Neurobiologische Grundlagen von Aggression und deren Relevanz zur Schule


Bachelorarbeit, 2012

50 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Definition von Aggression

3. Neuroanatomie
3.1 Das limbische System
3.2 Die Amygdala
3.3 Der orbitofrontaler Kortex

4. Neurochemie
4.1 Neurotransmitter
4.2 Serotonin
4.2.1 Serotonin-Transporter
4.2.2 Serotonin-Rezeptoren
4.2.3 5-HIAA-Spiegel
4.3 Dopamin, Noradrenalin, Adrenalin und GABA
4.3.1 Dopamin
4.3.2 Noradrenalin und Adrenalin
4.3.3 GABA
4.3.3.1 GABA-Rezeptoren
4.3.3.2 Störungen des gabaminergen Systems
4.4 Sexualhormone
4.4.1 Testosteron
4.4.2 Östrogen

5. Genetische Prädisposition
5.1 pränatale, perinatale und frühkindliche Phase
5.2 Monoaminoxidase
5.2.1 Polymorphismen von MAO-A

6. Aggression in der Institution Schule

7. Theorien der Gewalt
7.1 psychologische Theorien
7.1.1 Lerntheorie
7.1.2 Frustrationstheorie
7.2 soziologische Theorien
7.2.1 soziale Kontrolltheorie
7.2.2 Etikettierungstheorie

8. Präventions- und Interventionsprogramme
8.1 Faustlos-Gewaltpräventionscurriculum
8.2 Präventions- und Interventionsprogramm nach Olweus (1996)

9. Fragebogenerhebung an der Oberschule
9.1 Einleitung
9.2 Methode
9.3 Ergebnis
9.4 Diskussion

10. Überblick und Fazit

11. Literaturverzeichnis
11.1 Literatur
11.2 Internetquellen
11.3 Abbildungsverzeichnis

12. Anhang
12.1 Fragebogen
12.1.1 Fragebogen für Lehrkräfte
12.1.2 Fragebogen für Schüler

1.Einleitung:

„Gewalt an Schulen - Prügeln, bis der Arzt kommt“, titelte der Spiegel und entfachte damit einen intensiven Diskurs und ein großes Medienecho. In diesem Artikel heißt es, dass sich Erpressung, „Mobbing“ und Gewalt an Deutschlands Schulen häufen (Spiegel-Online 2005). Eine Analyse der Ruhr-Universität Bochum zufolge hat jeder fünfte Hauptschüler einen anderen Jugendlichen schon einmal so brutal verprügelt, dass dieser zum Arzt musste. Weitere Schlagzeilen wie „Alarmierende Gewalt an Schulen“ folgten, erweckten das Interesse der Öffentlichkeit und regten kontroverse Diskussionen an. Die Berichterstattung der Medien hinterlässt häufig den Eindruck, dass die Gewalt in den Schulen drastisch zugenommen hat. Empirische Studien können diese These nicht ganz bestätigen und sprechen allgemein nicht von einer Zunahme der Gewalt, sondern eher von der Steigerung ihrer Intensität. Der jüngste öffentlich bekannt gewordene Vorfall ereignete sich in Berlin während einer Klassenfahrt im März dieses Jahres und bestätigte die Zunahme der Intensität. Dabei soll ein Schüler von mehreren Mitschülern gequält, missbraucht sowie dabei gefilmt worden sein (N-TV 2012). Es kommen auch Fragen nach der Verletzung der Aufsichtspflicht auf. Besonders jedoch entstehen Fragen nach den Ursachen einer solchen Aggression. Es ist unverkennbar, dass ein Gewaltpotential nicht über Nacht entstehen kann.

Um sich mit dieser Thematik vertraut zu machen muss man sich zunächst mit dem Aggressionsbegriff auseinander setzen. Die Aggression gehört zu dem menschlichen Verhaltensrepertoire und ist evolutionär begründet. Daneben scheint es noch eine pathogene Aggression zu geben, die beispielsweise durch diverse Schädigungen des Gehirns oder durch Gene festgelegt wird. Dass Aggression eine Krankheit und diese z.T. in den Genen festgelegt sein soll, scheint zunächst befremdlich und kaum vorstellbar. Soll das bedeuten, dass Gewalttäter nicht zwangsläufig etwas für ihr Verhalten können? Kann auf aggressive Schüler anhaltend positiv eingewirkt werden? Sind Präventionsmaßnahmen in den Schulen demnach nicht erfolgversprechend? Viele Fragen kommen auf, wenn man Aggression als Krankheit benennt. Darüber hinaus kann man die Ursachen der Aggression in der Umwelt suchen: Das soziale Umfeld, das Elternhaus, der Freundeskreis und die Zukunftsperspektiven könnten ebenfalls maßgeblich sein. Dies erfordert aufgrund der Komplexität eine genaue Betrachtung der Ursachen, welche in der folgenden Arbeit näher erläutert werden. Vornehmlich werden die neurobiologischen Grundlagen der Aggression untersucht. Dafür ist zunächst die Definition der Aggression nötig um anschließend auf den Einfluss des limbischen Systems, der Amygdala und des orbitofrontalen Kortex, die wesentlich an der Entstehung und Verarbeitung von Emotionen beteiligt sind, einzugehen. Bedeutsam ist zudem, wie es zu Störungen dieser emotionsregulierenden Systeme kommt. Einige Neurotransmitter wie Serotonin, Dopamin, Noradrenalin und GABA sind daran im Gehirn beteiligt und werden zu diesem Zweck genauer beleuchtet. Die Annahme, dass Sexualhormone wie Testosteron und Östrogen hinsichtlich der Intensität von Aggression beteiligt sind, wird ebenfalls betrachtet. Im letzten Abschnitt dieser neurobiologischen Ursachen wird ein entscheidender Aspekt des genetischen Einflusses thematisiert, durch den geklärt werden soll, ob die pathogene Aggressionsform in den Genen festgelegt ist.

Im zweiten Teil dieser Arbeit wird die Aggression bezüglich der Relevanz zur Institution Schule genauer betrachtet. Dabei besteht weiterhin die Frage nach den Ursachen von Aggression. Um dies zu klären werden zunächst zwei soziologische und psychologische Theorien dargestellt, die den Ursprung für deviantes Verhalten in der Persönlichkeit bzw. dem Umfeld suchen (Hurrelmann & Bründel 2007). Nach dem Einblick in die Entstehung von Aggression geht es vor allem darum, wie man diese verhindern kann. Dazu werden zwei empirisch als erfolgreich eingestufte Präventions- bzw. Interventionsprogramme vorgestellt. Nach der theoretischen Betrachtung der Aggression erfolgt die Auswertung einer anonymen Umfrage an der Oberschule. Der Schwerpunkt der Umfrage liegt in dem

Gewaltempfinden der Lehrkräfte sowie der Schüler. Darüber hinaus sollen die Schüler sich in den Gemütszustand der Täter bzw. Opfer hineinversetzen und können gegebenenfalls eigene Erfahrungen schildern. Abschließend stellt sich in Anlehnung an das Thema die Frage, ob es notwendig ist, dass den Lehrkräften die neurobiologischen Grundlagen der Aggression bekannt sind, um die Probleme der Schüler richtig zu deuten und präventiv zu arbeiten.

Das abschließende Fazit versucht diese Fragen zu klären und legt den persönlichen Standpunkt der Autorin dar.

2.Definitionen von Aggression:

Eine einheitliche Definition des Begriffes sucht man in der Wissenschaft vergeblich. Viel mehr wird Aggression im Bezug zum Kontext definiert und findet in zahlreichen wissenschaftlichen Texten neue Erscheinungsformen. Nichtsdestotrotz gibt es einige Definitionen, die allgemein akzeptiert und benutzt werden. Im Rahmen dieser Arbeit ist es notwendig das Phänomen Aggression auf wissenschaftlicher Ebene zu verstehen. Um Klarheit zu schaffen, werden im Folgenden verschiedene Definitionen aufgezeigt, die den Begriff eingrenzen.

Das internationale Handbuch der Gewaltforschung bedient sich einer weit gefassten Definition und bezeichnet Aggression als jegliche Verhaltensform, die darauf abzielt, einen anderen Menschen zu verletzten (Baumeister & Bushman 2002). Die Brockhausenzyklopädie (2006) dagegen begrenzt den Begriff und stellt Aggression als eine schnelle, heftige Reaktion mit zerstörerischer Wirkung und als ein feindseliges Verhalten aufgrund situationsbedingter Reaktionsbereitschaft oder als Persönlichkeitsmerkmal eines Menschen dar. Darüber hinaus wird erwähnt, dass diese Aggression in extremer Ausprägung auch ein Symptom für eine Persönlichkeitsstörung darstellt. Selg et al (1997) umschreibt Aggression als ein gegen den Organismus oder gegen ein Objekt gerichtetes Austeilen schädigender Reize.

Roth (2003) erweitert diese Ansicht, indem er eine Aggression als eine affektive Verhaltensweise, die nicht nur auf das menschliche Verhalten beschränkt, sondern im gesamten Tierreich vorhanden ist, deklariert. Dies ist vor allem bei den Säugetieren zu finden und unterteilt sich in drei Subtypen. Diese umfassen die reaktive Aggression als Verteidigung der körperlichen Unversehrtheit und des Besitzes, Kämpfe um Ressourcen sowie Kämpfe um die soziale Stellung und Bedeutung. Daneben scheint es einen Subtyp der Aggression zu geben, der dem Lustgewinn dient und geplant ist. Diese wurde ausschließlich bei Schimpansen sowie Menschen nachgewiesen. Es existieren also verschiedene Formen der Aggression. Darüber hinaus kann Aggression direkt oder indirekt ausgeübt werden. Die direkte Aggression drückt sich in körperlicher oder verbaler Gewalt aus, wohingegen die indirekte Aggression darauf abzielt eine Person physisch zu quälen oder sie auszugrenzen. Ein Beispiel für die indirekte Aggression ist das „Mobbing“, ein Phänomen, welches zu einem späteren Zeitpunkt noch weiter ausgeführt wird. Lück et al (2005) geht darauf ein, dass physische Aggression überwiegend bei männlichen Personen vorkommt und verbale Aggression geringfügig mehr von weiblichen Personen ausgeübt wird.

Eine weitere wichtige Unterteilung der Aggression in zwei Formen wird in dem Artikel „neural mechanism of aggression“ aufgegriffen. Es werden die kontrollierte instrumentelle Aggression und die reaktiv-impulsive Aggression unterschieden. Die kontrollierte instrumentelle Aggression wird durch höhere kortikale Systeme reguliert. Sie zeichnet sich dadurch aus, berechnend sowie zweckorientiert zu sein und folgt einem konkreten Ziel. Sie wird meistens emotionslos, ohne Reue oder Mitleid ausgeübt. Dazu zählen z.B. Massenmorde, Attentate oder Völkermorde. Die reaktive Aggression ist die wohl am häufigsten auftretende Form der Aggression in der Gesellschaft. Sie ist an das limbische System und den Hypothalamus gekoppelt und kann plötzlich und fortdauernd auftreten. Darüber hinaus sind unangemessene aggressive Reaktionen charakteristisch. Ferner zeichnet sich diese Art der Aggression durch ein hohes Maß an Emotionalität wie Ärger oder Wut aus. Ein Beispiel für eine solche Aggressionsform ist die gewalttätige Auseinandersetzung mit fremden Personen, die einen vermeintlich provokativ angeschaut haben (Nelson & Trainer 2007).

Es lässt sich feststellen, dass Aggression eine natürliche Verhaltensweise des Menschen und der Tierwelt ist und als Mittel zum Überleben, zur Konkurrenz und zur Sicherung des eigenen Lebens sowie des Besitzes dient. Darüber hinaus gibt es eine weitere Form der Aggression, die als krankhaft bezeichnet wird, weil sie hinsichtlich einer Provokation überproportionale Maße erreicht, d.h. in einer Überreaktion mündet. Diese pathogene Aggression ist eines der Symptome von Persönlichkeitsstörungen und tritt zunehmend in unserer Gesellschaft auf. Hauptsächlich erscheinen pathogene Aggressionen unter drei Umständen: wenn das Gehirn in irgendeiner Weise geschädigt ist, während neurodegenerativer Störungen und in Zuständen mit Übererregbarkeit oder Untererregbarkeit (Haller et al 2005). Wie es zu solchen Störungen kommen kann, wird im Folgenden zunächst bezüglich der Neuroanatomie dargestellt.

3. Neuroanatomie

3.1 Das limbische System:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Hirnareale, die beim Enstehen und Verarbeiten von Affekten, positiven und negativen Gefühlen wie Aggression mitwirken (Förstl et al 2006).

Eines der wichtigsten Systeme hinsichtlich der Regulation von Emotionen wie Aggression ist das limbische System. Im Folgenden wird ein Exkurs in die Historie unternommen, um die Zuordnungen des limbischen Systems zu verstehen.

Aus historischer Sicht gibt es aufgrund unterschiedlicher Definitionskriterien und Untersuchungsmethoden viele Bedeutungswechsel des limbischen Systems.

Dementsprechend unterlief dieses System bis heute mehrere Zuteilungen. Eine Definition des limbischen Systems hängt vor allem von den Untersuchungsmethoden und der Unterteilung in Anatomie und Funktionalität ab. Durch verbesserte Techniken in der Neuroanatomie wurden die Komponenten des limbischen Sytems erweitert (Rensing et al 2006). Der französische Neurologe Paul Broca sprach 1878 von „le grand lobe limbique“ und bezeichnet damit die Zone der Hirnrinde, die sich wie ein Saum um die subkortikalen Hirngebiete legt. Darunter befinden sich der prägenuale, paraspleniale, cinguläre, perihinale und parahippocampale Gyrus. Jedoch war sich Broca über die spezifische Funktion dieser Zone noch nicht im Klaren. Der Forschung des amerikanischen Neurologen James Papez zufolge ist das System für die Entstehung von Emotionen zuständig. Er erweiterte das limbische System und schloss den Hypothalamus, den Mammillarkörper, die anterioren thalamischen Kerne und den Hippocampus mit ein, da diese Strukturen anatomisch miteinander verbunden sind. Entscheidend waren zudem die Erweiterungen, die der amerikanische Neurologe und Psychiater Paul MacLean 1952 einbrachte: Er fügte die Amygdala und das Septum hinzu. Die niederländischen Neuroanatomen Walla Nauta und Rudolf Nieauwenhuys waren durch verbesserte Techniken in der Lage, spezifische Verbindungen im Gehirn nachzuweisen. Sie fügten bestimmte Mittelhirnkerne, das zentrale Höhlengrau, die Raphè-Kerne, das ventrale tegmentale Areal und die Substantia nigra dem limbischen System bei. Etwas später führte Lennart Heimer die „erweiterte Amygdala“ dem limbischen System hinzu, auf welche im nächsten Abschnitt eingegangen wird (Rensing et al 2006).

Demnach hat sich das limbische Sytem zu einem physiologischen und anatomischen Begriff entwickelt und enthält auch aufgrund seiner Historie verschiedene Definitionen. In dieser Arbeit werden die Komponenten des limbischen Systems aufgrund ihrer Funktionalität Anatomie benannt.

Das limbische System besteht aus einem komplexen Schaltkreis von Hirnstrukturen, die den cingulären Cortex über den Hippocampus mit dem Hypothalamus und den Thalamus verbindet und aus Amygdala (erweiterte Amygdala), Hypothalamus, Thalamus, zentralem Höhlengrau, septohippocampalem System und Kortexarealen besteht. Dabei ist das Kernstück die Amygdala, die mit allen Strukturen des limbischen Systems sowie den Kontrollkernen des autonomen Nervensystems verbunden ist. Überdies ist das limbische System mit sensorischen Systemen, den exekutiven Zentren im Hirnstamm und den Kernen der zentralen autonomen Kontrolle verbunden. Infolgedessen ist es möglich, dass situationsgerechte Verhaltensweisen aktiviert und der Situation unpassende Reaktionen gehemmt werden (Rensing et al 2006).

Es ist offenkundig, dass alle Gehirnareale in irgendeiner Weise im Zusammenhang stehen. Aus diesem Grund wurde der Begriff des limbischen Systems oft kritisiert. Trotzdem wird dieser Begriff in der meisten Literatur verwendet.

In diesem System werden zudem Erinnerungen, Vorstellungen, Wahrnehmungen und Handlungspläne mit Emotionen und Affekten verbunden (Wahl 2009). Die folgenden Grundfunktionen des limbischen Systems sind auf die im Zusammenhang mit der Aggression stehende Relevanz beschränkt. Darunter zählen die Regulation der vegetativen Grundfunktionen des Körpers, beispielsweise des Hormonhaushalts und die Regulation affektiver Zustände wie Furcht, Verteidigung und Angriff. Darüber hinaus kontrolliert das limbische System die Stressregulation. Bei den vorangegangenen Funktionen spielen unter anderem das Septum, die erweiterte mediozentrale Amygdala und das zentrale Höhlengrau eine wichtige Rolle. Die emotionale Konditionierung wird von dem limbischen System reguliert. Ferner wird die emotionale Steuerung und die Beeinflussung kognitiver und exekutiver Leistungen, wie z.B. das Erkennen von Emotionen in der Mimik, der Gestik und der Körperhaltung, kontrolliert. Auch die motivationale Steuerung und die Bewertung des Verhaltens werden reguliert, welche vom mesolimbischen System, insbesondere der Amygdala und dem ventralen Striatum ausgeübt werden. Damit derartige Vorgänge ablaufen können, müssen subkortikale Zentren wie die basolaterale Amygdala, das ventrale Striatum und das Septum mit dem orbitofrontalen Kortex, dem präfrontalen Kortex und dem Hippocampus mit dessen Rinde interagieren (Roth & Dicke 2006).

Im Folgenden werden die Amygdala und der orbitofrontale Kortex hinsichtlich der Aggression genauer betrachtet.

3.2 Die Amygdala:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.2: Die Amygdala. Die rot markierten Hirnareale stellen die Amygdala dar (http://neurosciencenews.com/sm-fearless- woman-missing-amygdala/).

Die Amygdala ist ein heterogenes Kerngebiet, welches aus zirka zehn mannigfachen Unterkernen besteht (Rensing et al 2006). Dieses Kerngebiet wird dorsal vom Striatum abgegrenzt und befindet sich im medialen Areal des Temporallappens. Darüber hinaus enthält die „erweiterte Amygdala“ neben den oben erwähnten Kernen noch den Nucleus interstitialis des BNTS (basal nucleus of the striatum) sowie die Kerngebiete, die sich zwischen der Amygdala und dem BNTS befinden. Diese Zuordnung erfolgte aufgrund embryonaler Verwandtschaft beider Areale und kann nach heutiger Sicht hinsichtlich der Funktionalität anerkannt werden (Roth & Dicke 2006).

Die Amygdala spielt eine entscheidende Rolle bei der Entstehung und Ausprägung von Emotionen wie Furcht, Angst und Aggressionen (Wahl 2009). Beeinflusst werden solche Aggressionen bzw. ein aggressives Verhalten durch die limbischen Gehirnareale. Die Amygdala wirkt erregend auf den orbitofrontalen Kortex, der wiederum einen hemmenden Einfluss auf die Amygdala hat (Roth & Dicke 2006). Falls eine Beeinträchtigung bzw. Schädigung dieses regulierenden Mechanismus’ vorliegt, neigen die Individuen zu labilen Erregungen und zu impulsiven Gewalttaten. Gründe für eine solche Fehlfunktion könnten Entwicklungsdefizite oder auch Unfälle sein (Wahl 2009).

Ein wichtiger Aspekt ist, dass die Leitbahnen von der Amygdala aus stärker sind als jene Bahnen, die zur Amygdala hin führen. Dementsprechend kann man daraus schließen, dass ihre emotionale Wirkung stärker als jene in umgekehrter Richtung ist. Es ist folglich anzunehmen, dass ihre emotionale Wirkung, z.B. auf kognitive Prozesse, einen sehr hohen Einfluss hat. Ferner wirkt die Amygdala auf die hormonalen und vegetativen Systeme ein. Dadurch ist die Amygdala in der Lage, beispielsweise Mimiken, Flucht- und Verteidigungsreaktionen zu kontrollieren (Wahl 2009). In der Amygdala finden demzufolge die Kenntnisnahme und die Beurteilung bedrohlicher Situationen und die daraufhin unbewusste Entscheidung über Flucht oder Kampf statt (Roth 2003).

Weiterhin gliedert sich die Amygdala aus funktioneller Sicht in vier Abschnitte. Der erste Bereich besteht aus der olfaktorischen Amygdala, die ihren Namen aufgrund der engen Verbindung mit dem primären olfaktorischen System erlangt hat. Ein zweiter Kernbereich steht mit dem vomeronasalen System in enger Beziehung und wird daher auch vomeronasale Amygdala genannt. Der dritte Bereich umfasst die medialen und zentralen Areale der Amygdala und hat vornehmlich vegetative sowie viszerale Funktionen. Für die in dieser Arbeit thematisierte Aggression ist vor allem der vierte Bereich von Bedeutung, da er am ehesten mit der emotionalen Konditionierung wie auch mit der emotionalen Verarbeitung der visuellen, somatosensorischen und auditosorischen Informationen in Verbindung gebracht werden kann. Dieses Kerngebiet ist eng mit dem Hippocampus sowie mit den sensorischen Arealen der Großhirnrinde verbunden (Roth & Dicke 2006). Als die Hauptfunktionen der Amygdala werden hinsichtlich der Aggression meist die Kontrolle der vegetativen Funktionen, der Stressregulation und die Kontrolle von affektiven Reaktionen wie z.B. Kampf und die Verarbeitung emotionaler Komponenten, wie z.B. das Erkennen und Einschätzen von Mimiken und Gesten, benannt. Überdies wird die emotionale Konditionierung vermehrt der Amygdala zugesprochen (Roth & Dicke 2006).

Diese wichtigen Erkenntnisse der Amygdalafunktion beim Menschen sind bildgebenden Techniken wie der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und der funktionellen Magentresonanztomographie (fMRT, fMRI) sowie Läsionsstudien zu verdanken. Die PET ist eine funktionelle Imagingmethode und misst den Umsatz radioaktiv markierter Substanzen, die am Stoffwechsel des Gehirns beteiligt sind. Die fMRT wird genutzt, um morphologische Vermessungen des Gehirns durchzuführen. Dafür werden genaue Aufnahmen des Gehirns gemacht ( Lück et al 2005).

In der Amygdala werden sensorische Informationen und kontextuelle Gedächtnisinhalte über negative Ereignisse mit angeborenen, vegetativen und affektiven Furchtreaktionen verbunden (Wahl 2009). Zu diesen Annahmen führten LeDoux und Mitarbeiter Forschungen zur Furchtkonditionierung an Ratten durch. Angeborene Schreckreaktionen werden dabei durch Konditionierung modifiziert. In einem ihrer Experimente wird ein auditorischer Reiz mit einem Schmerzreiz gekoppelt. Der Schmerzreiz sowie der Lichtreiz münden in der basolateralen Amygdala und erhalten aufgrund der Verknüpfung eine negative Bedeutung. So kommt es zu einer erhöhten Schreck- bzw. Furchtreaktion, wenn diese Reize gekoppelt auftreten (Roth & Dicke 2006). Ein ähnliches Experiment machten Bechara und Mitarbeiter an Patienten, die Schäden an der Amygdala aufwiesen. Sie konditionierten die Patienten darauf, dass bei bestimmten Farben, die ihnen präsentiert wurden, ein lauter Lärm ertönte. Furcht- oder Schreckreaktionen traten bei den Patienten mit der bilateralen Schädigung der Amygdala nicht auf, stattdessen wurde der Ton ohne Emotionen wahrgenommen (Wahl 2009). Ferner gibt es Studien, die belegen, dass es Patienten mit bilateraler geschädigter Amygdala schwer fällt Emotionen wie Angst in Gesichtern zu erkennen (Adolphs 2006 & Müller 2010). Auch bei Erkrankungen wie dem Wutsyndrom (intermittent explosive disorder) sind Auffälligkeiten beim Betrachten zorniger Gesichter zu bemerken, die Aktivität der Amygdala ist während dieses Prozesses erhöht (Eastman & Campbell 2007). Eine Funktionsstörung der Amygdala kann zu einem übermäßigen negativen Affekt, zu reduziertem Empfinden sozialer Reize sowie zu einer Beeinträchtigung von Lernprozessen mit Belohnung und Bestrafung führen. Demzufolge wird der Amygdala bei der Entstehung von pathologischer Aggression ein großer Einfluss zugeschrieben (Müller 2006). Die Folgen des irrigen Einschätzens von Emotionen in der Mimik oder Gestik wie auch das Fehlen von Schreckreaktionen oder das fehlende Lernen aus negativen Konsequenzen von Verhaltensweisen, z.B. einer Bestrafung, sind gewaltig und können eine normale Sozialisation erschweren (Wahl 2009 & Lück et al 2005).

In tierexperimentellen und klinischen Forschungen wurde festgestellt, dass u.a. Angst, geringe Affektregulation sowie leichte Erregbarkeit mit Aggressivität in Korrelation steht. Die Ursachen scheinen in Defiziten bei der Impulskontrolle, die durch den Hippocampus, die Amygdala sowie den orbitofrontalen Kortex erfolgen, zu liegen. Wie zuvor erwähnt, ist das Zusammenspiel von orbitofrontalem Kortex und der Amygdala entscheidend für die Verarbeitung emotionaler Informationen (Roth 2003). In Studien an Personen mit impulsivreaktiver Aggression findet man eine kombinierte Dysfunktion von orbitofrontalem Kortex und der Amygdala, die wahrscheinlich in Defiziten der Emotionalität und der Abschätzung der Konsequenzen des eigenen Verhaltens besteht (Roth 2011).

Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass Volumenunterschiede der Amygdala in Zusammenhang mit Aggressivität stehen. Die Eltern-Kind Beziehung wurde von White et al (2008) bei 137 australischen Kindern erforscht. Die Kinder, die ein größeres Volumen der Amygdala aufwiesen, zeigten auch bei den Konfliktlösungen ein längeres affektiv-aggressives Verhalten als die Kinder mit gängigen Volumen der Amygdala. Diese Ergebnisse könnten der Amygdala ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Aggression zukommen lassen, sind aber noch umstritten (Wahl 2009).

3.3 Der orbitofrontale Kortex (OFC):

Der OFC ist ein Abschnitt des präfrontalen Kortex, welcher sich im vorderen Bereich des Gehirns befindet. Der OFC verdankt seinen Namen der Lage oberhalb der Augenhöhle. Er empfängt von sämtlichen sensorischen Systemen Reize, u.a. vom Hippocampus, der Amygdala und anderen Bereichen des präfrontalen Kortex. Er leitet wiederum Informationen u.a. an die Amygdala, den Hippocampus und das Striatum weiter (Hommel & Nattkemper 2011). Darüber hinaus sind Amygdala und OFC eng miteinander verbunden, ihre Interaktion ist entscheidend für die Verarbeitung emotionaler Reize und die Anleitung zum zielgerechten Verhalten (Coccaro et al 2007).

Zu den Funktionen des OFC zählen affektive Prozesse, die an der Verknüpfung von Reizmerkmalen und den damit integrierten Belohnungen beteiligt sind. Zudem ist der OFC entscheidend für die Handlungsplanung. Erste Hinweise auf diese Funktion lieferte der in der Literatur oft erwähnte Fall des Bahnarbeiters Phineas Gage (Hommel & Nattkemper 2011). Ihm schoss während eines Arbeitsunfalls eine drei Zentimeter dicke Eisenstange durch den Schädel. Der Bahnarbeiter überlebte, unterzog sich jedoch einer starken Persönlichkeitsänderung. Er wurde respektlos, unzuverlässig und konnte geplante Handlungen nicht mehr durchführen (Lück et al 2005). Die Professorin für Neurobiologie und Psychologie Hana Damasio rekonstruierte nach seinem Tod die Verletzung. Es stellte sich heraus, dass vor allem der OFC von der Eisenstange beschädigt worden war (Damasio et al 1994). Demnach lässt sich annehmen, dass seine Planungsschwierigkeiten sowie der Wandel seines Wesens auf die Läsion des OFC zurückgingen (Hommel & Nattkemper 2011).

Der OFC reguliert und verarbeitet demnach emotionale und motivationale Reize von Situationen und Handlungen (Wahl 2009). Laut bildgebenden Studien spielt der OFC eine wichtige Rolle bei der Beurteilung von sozialen Konsequenzen für Verhaltensweisen, besonders bei dem Faktor, ob das Verhalten eine negative oder positive Folge nach sich zieht (Zilles 2006 & Roth & Dicke 2006). Weitere bildgebende Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Verarbeitung von Emotionen bei aggressivem und impulsivem Verhalten unter der Beteiligung des OFC ablaufen. Diese Annahmen werden durch die Ergebnisse neurobiologischer Studien unterstützt. Sie besagen, dass die Dysfunktion von emotions- verarbeitenden Systemen wie der OFC und der Amygdala in Zusammenhang mit aggressiv- impulsiver Gewalt stehen. Dabei kontrolliert und hemmt der OFC Impulse und ist auf diese Weise an der Regulation von Emotionen beteiligt (Müller 2010). Sie weisen zudem auf eine enge Verbindung zwischen einer Schädigung dieser frontalen Hirnregion und der Steigerung von Aggression hin. Dies belegen Studien mit Patienten, die eine Schädigung des OFC vorweisen. Ihnen fehlt die Fähigkeit der Impulskontrolle und sie verhalten sich sozial unangemessen. Ebenso fehlt ihnen die Fähigkeit positive oder negative Konsequenzen ihres Verhaltens vorauszuahnen, obgleich diese ihr Handeln beeinflussen könnte (Roth & Dicke 2006). Daneben können erhöhte Reizbarkeit, geringere Emotionalität, reduzierte Empathie und Schuldempfinden sowie eine verminderte Frustrationsschwelle Folgen einer Läsion des OFC sein. Diese Folgen äußern sich u.a. in Gefühlsausbrüchen und in Aggressionen (Anders- Hoepgen 2006). Ferner weisen Personen mit einem hohen Niveau an impulsiver Aggression und dem Verlust der Kontrolle darüber eine niedrige Aktivität des frontalen Kortex auf (Eastman & Campbell 2007). Auch Patienten mit dem Wutsyndrom (intermittent explosive disorder) leiden unter einer Unterfunktion des Kortex, wenn ihnen Bilder präsentiert werden, auf denen zornige Gesichter dargestellt sind (Coccora et al 2007). Andere Patienten, die ebenfalls eine Beeinträchtigung des OFC aufweisen, können Gesichtsausdrücke und Mimiken nicht mehr einschätzen. Dementsprechend kann man die pathogene Aggression als eine denkbare Folge einer Unterfunktion des OFC und damit einhergehenden Störung der Regulation auf die subkortikalen Strukturen, insbesondere der Amygdala, deklarieren.

Auch aus tierexperimentellen Forschungen gibt es diesbezüglich Ergebnisse von männlichen Ratten sowie nicht menschlichen Primaten. Daraus geht hervor, dass Läsionen des OFC mit steigender Aggression in Verbindung stehen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 50 Seiten

Details

Titel
Neurobiologische Grundlagen von Aggression und deren Relevanz zur Schule
Hochschule
Universität Bremen  (Neurobiologie)
Note
1,0
Jahr
2012
Seiten
50
Katalognummer
V286745
ISBN (eBook)
9783668041431
ISBN (Buch)
9783668041448
Dateigröße
654 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Note 1,0 Verteidigung Note 1,0 (1. Prüfer) 1,3 (2. Prüfer)
Schlagworte
neurobiologische, grundlagen, aggression, relevanz, schule
Arbeit zitieren
Anonym, 2012, Neurobiologische Grundlagen von Aggression und deren Relevanz zur Schule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/286745

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