Suizidprävention bei Häftlingen


Seminararbeit, 2013

18 Seiten, Note: A


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Suizidraten

2. Suizidmethoden

3. Zeitpunkt und Art der Unterbringung

4. Profil eines suizidgefährdeten Häftlings und Risikofaktoren

5. PRÄEVENTION
5.1 Zellengestaltung
5.2 Screening
5.3 Beobachtung nach Inhaftierung
5.4 Soziales Netzwerk und die Rolle von Einsamkeit
5.5 Fortbildung & Arbeit
5.6 Sport
5.7 Suizidpräventionsprogramme: Peers
5.8 Die Implementierung der Peer-Suizidprävention (LISTENER-Projekt) in Österreich/Deutschland
5.9 Die Rolle der gefängnisinternen Kommunikation von Berufsgruppen bei der Suizidprävention

6. Zusammenfassung der Präventionsstrategien

7. Literaturverzeichnis

1. Suizidraten

Suizid ist die beabsichtigte Beendigung des eigenen Lebens. Die Suizidrate ist die Anzahl an Suiziden in einer Population im Bezug auf ein Jahr, hochgerechnet auf 100,000 Personen. Damit ist es möglich, die Suizidbelastung unterschiedlicher Gruppen (z.B. Männer-Frauen) zu vergleichen.

Die Suizidrate in Österreich ist hoch, von 1980 bis 1990 durchschnittlich 26.4 pro 100,000 (Fruehwald, Frottier, Eher, Gutierrez & Ritter, 2000). Bei Männern war die Suizidrate in diesem Zeitraum durchschnittlich 39.1 pro 100,000, bei Frauen 14.8 pro 100,000. In anderen europäischen Ländern wie Großbritannien (7.0/100,000), Spanien, Italien, Polen, Griechenland und Portugal sowie Neuseeland (10/100,000) und den USA (10.6/100,000) ist die Suizidrate deutlich niedriger.

Die Suizidrate in Gefängnissen ist höher als die in der Allgemeinbevölkerung. Laut Daniel (2006) ist die Suizidrate von Häftlingen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung neunmal höher. In Neuseeland waren es in den Jahren 1973-1982 27.3 pro 100,000 Insassen, in den USA 20.6 pro 100,000 Insassen.

Von 1980 bis 1998 stieg die Anzahl der Häftlinge um 94%, die Anzahl der Tode um 127% und die Anzahl der Suizide um 240% (Dalton, 1999). Im Jahr 1992 war die Suizidrate in Australien noch 155 pro 100,000 Insassen (Liebling, 1992), höher als jene in England und Wales (120 Suizide pro 100,000), aber niedriger als in den USA (140–200 pro 100,000). 2003 waren in Australien 29 (44%) der 66 Todesfälle selbstverursacht (McCall, 2004).

Allerdings ist das Vergleichen der Suizidraten in Haftanstalten verschiedener Länder problematisch, da sich die Gefängnisse stark unterscheiden (Backett, 1987). Beispielsweise ist die Suizidrate in Hochsicherheitsgefängnissen stark erhöht, in denen besonders gefährliche und psychisch gesörte Häftlinge untergebracht sind (Thomas, Read & Mellsop, 1992).

In Österreich kam es in den Jahren 1975-1997 zu 220 Suiziden in Haftanstalten, das entspricht einer Suizidrate von 127.4 pro 100,000 Insassen (basierend auf einer Gefängnispopulation von 7,510). 212 (96.4%) waren Männer. 2010 bis 2012 suizidierten sich in Österreich durchschnittlich 12 Häftlinge, 2013 waren es sechs Insassen.

107 (48.6%) der Suizide in den Jahren 1975-1997 fanden in Untersuchungshaft statt. Das entspricht einer Suizidrate von 236.0 pro 100,000. 16 (7.3%) Häftlinge waren als psychisch abnorme Rechtsbrecher in speziellen Einrichtungen untergebracht. Die Suizidrate der Häftlinge mit einer psychischen Störung entspricht somit 205.4/100,000, achtmal höher als die Suizidrate in der Allgemeinbevölkerung (1975-1997: 24.6/100,000). 97 (44.1%) Häftlinge waren bereits verurteilt, damit ist die Suizidrate dieser Gruppe etwa doppelt so hoch wie jene in der männlichen Allgemeinbevölkerung (81.3/100,000).

Acht Suizide wurden von Frauen begangen. Bei der weiblichen Gefängnispopulation von 325 (4.4% aller Insassen) entspricht das 102 Suiziden pro 100,000, mehr als 7 mal höher als in der weiblichen Allgemeinbevölkerung. Bei Männer ist die Suizidrate in Gefängnissen 3.5 mal höher als in der männlichen Allgemeinbevölkerung (Fruehwald et al., 2000).

2. Suizidmethoden

In den Jahren 1975-1997 war mit 181 Häftlingen (82.3%) das Erhängen die häufigste Suizidmethode in österreichischen Gefängnissen (Fruehwald et al., 2000). Andere Methoden waren das Durchtrennen verschiedener Arterien (11, 5%), Drogenüberdosis oder eine andere Art der Vergiftung (7.3%) sowie Springen (3.2%). Fünf Häftlinge (2.3%) wählten andere Methoden wie Erschießen, Elektrizität oder das Überfahrenwerden von einem Zug.

3. Zeitpunkt und Art der Unterbringung

16 Suizide (7.3%) wurden am ersten Tag der Haft begangen, 20 (9.1%) zwischen dem zweiten und zehnten Tag. 14.5% der Suizide wurden in der ersten Woche, 20% im ersten Monat und 34.5% in den ersten drei Monaten begangen, somit 72.7% im ersten Jahr.

23.5% aller Gefangenen waren zu mehr als 2 bis weniger als 5 Jahren verurteilt, 17.5% zu mehr als 5 Jahren. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Gefangener Suizid begeht, steigt mit der Dauer der Inhaftierung. Bei einer Haftstrafe bis zu sechs Monaten ist die Suizidrate 34.9 pro 100,000, bei einer Haftstrafe von mehr als 5 Jahren 162.8 pro 100,00, das entspricht 35%.

Die Suizidrate der verurteilten Gefangenen war niedriger als jene in Untersuchungshaft und jene der Gefangenen mit einer psychischen Störung. Ungefähr ein Viertel aller Straffälligen befand sich in Untersuchungshaft, die Suizidrate dieser Gruppe war 236 pro 100,000. Fast die Hälfte der Suizide in Untersuchungshaft wurde in den ersten zwei Monaten begangen. Mag. Jagl (Interview, 02.01.2014), Teil der Fachgruppe Suizidprävention im Strafvollzug, berichtet von zwei Zeitpunkten, zu denen vermehrt Suizide auftreten. Erstens in der ersten Woche nach Inhaftierung, meist nach 48 Stunden, wenn die Entscheidung, dass die Untersuchungshaft verhängt wurde, gefallen ist. Zweitens nach 6-8 Wochen, wenn die Untersuchungshaft nach der zweiten Haftprüfung nochmals verhängt wurde.

Die Suizidrate in Anstalten für psychisch abnorme Rechtsbrecher ist ungefähr so hoch wie die Suizidrate in Psychiatrien. Die häufigsten Diagnosen bei psychisch abnormen Rechtsbrechern sind Schizophrenie, affektive Störungen, Alkohol- und Drogenabhängigkeit. Im Zusammenhang mit diesen Störungen treten auch die meisten Suizide in Krankenhäusern auf (Wolfersdorf, Vogel, Keller & Hole, 1991).

4. Profil eines suizidgefährdeten Häftlings und Risikofaktoren

Die Gründe für Suizid sind komplex. Manche Individuen scheinen besonders dann suizidgefährdet zu sein, wenn sie mit einem schwierigen Lebensereignis oder mit zahlreichen Stressoren konfrontiert sind. Die Herausforderung für Suizidprävention bei Häftlingen ist es, jene zu identifizieren, die anfällig für den Freitod sind, sowie die Umstände zur effektiven Prävention (WHO, 2007). Die psychologische Autopsie ist eine retrospektive Methode der Suizidologie, mit der die Gründe für Suizid erforscht werden können (Pouliot & De Leo, 2006). Gesammelte Informationen zu physischen Erkrankungen, psychiatrischen Störungen, (kritischen) Lebensereignissen, Persönlichkeit und Lebenssituation können zur Suizidprävention beitragen.

Hayes (2012) postuliert zwei primäre Gründe für Suizid bei Häftlingen. Erstens sind Gefängnisse förderlich für suizidales Verhalten, zweitens ist der Insasse mit einer Krisensituation konfrontiert.

Von der Perspektive des Straftäters erhöhen bestimmte Charakteristika der Haftanstalt das Suizidrisiko: die Angst vor dem Unbekannten, Misstrauen in das autoritäre System, wahrgenommener Verlust über die Kontrolle der Zukunft, Isolation von der Familie und von wichtigen Bezugspersonen, Schamgefühl über die Inhaftierung, sowie die dehumanisierenden Bedingungen im Gefängnis (Hayes, 2005).

Zusätzlich können bestimmte Faktoren, mit denen Inhaftierte in einer Krisensituation konfrontiert ist, zum Freitod führen. Darunter fallen Substanzabhängigkeit, kürzlicher Verlust stabilisierender Ressourcen, das Schuldgefühl bezüglich der begangenen Straftat, momentane psychische Krankheit, früher begangene Suizidversuche, sowie ein nahender Gerichtstermin und das damit verbundene Urteil (Hayes, 2005).

Am Anfang einer Haftstrafe ist der Stress begrenzt auf die Angst vor dem Unbekannten und der Isolation von der Familie, aber über die Zeit verschlimmert sich die Situation durch den Verlust von Beziehungen außerhalb der Strafanstalt, Konflikte innerhalb des Gefängnisses, Viktimisierung, Frustration durch physischen und emotionalen Zusammenbruch sowie durch Probleme mit der Bewältigung der institutionellen Umwelt (Bonner, 1992, zitiert nach Hayes, 2012, S, 234).

Die Inhaftierung, Entzugssymptome von Substanzabhängigen oder eine lange Haftstrafe in Verbindung mit der Gefängnisumgebung können die Bewältigungsstrategien eines Inhaftierten übersteigen. Wenn der Häftling eine emotionale Bruchstelle erreicht hat, können das Resultat Suizidgedanken, ein Suizidversuch oder der Freitod selbst sein (Hayes, 2012). Durch einen Suizid versprechen sich die Häftlinge Befreiung von aufreibenden Gefühlen, sowie Kontrolle über die unpersönliche Umgebung (Rivlin, Fazel, Marzano, Hawton, 2013). Selbstverletzendes Verhalten wird für manche als reinigend und beruhigend empfunden, für andere als Selbstbestrafung für das begangene Delikt (Babiker and Arnold, 1997, zitiert nach Rivlin, Fazel, Marzano, Hawton, 2013, S 307).

Ein erster wichtiger Schritt zur Reduzierung der Suizidrate von Häftlingen ist es, Suizidprofile von Häftlingen zu erstellen, die zur Erkennung von Hochrisikogruppen und Warnsignalen verwendet werden können. Solche Profile dienen dem Personal zur Aufklärung und Sensibilisierung gegenüber Risikofaktoren, sowie zur Identifizierung von gefährdeten Insassen. Sie können jedoch keinen Suizid vorhersagen (Hayes, 2012).

Zusammenfassend lässt sich das Profil eines suizidgefährdeten Häftlings durch folgende Risikofaktoren skizzieren:

- junge, weiße Männer (zw. 25-34 Jahren)
- psychische Krankheit (Schizophrenie, affektive Störungen, v.a. Depression)
- hohe Levels depressiver Symptome, Hoffnungslosigkeit, Impulsivität, Aggression, Feindseligkeit und ein niedriger Selbstwert
- Familienstand: Single
- Substanzabhängigkeit
- bereits begangener Suizidversuch
- schlechte soziale Unterstützung (wenige enge Freunde innerhalb und außerhalb der Anstalt, wenig externe Kontakte in Form von Briefen, Telefonaten und Besuchen)
- soziale Isolation
- Begehung gewalttätiger Straftaten
- Scham-, Schuldgefühle
- persönliche negative Erfahrungen im Gefängnis (bullying)
- eine vorherige Freiheitsstrafe
- dysfunktionale Familie, Missbrauch als Kind, Traumatisierung durch negative Lebensereignisse
- Suizidfälle in der Familie
- Unterbringung von Jugendlichen in Haftanstalten für Erwachsene

Ein weiterer Risikofaktor ist die Zeit nach der Inhaftierung. Häftlinge sind in dem Zeitraum von 24 bis 48 Stunden, sowie 60 Tage nach der Inhaftierung stark suizidgefährdet (Hayes, 2012). Zudem verschlechtern die Sorge über ausstehende Verurteilungen, die Unterbringung in eine Einzelzelle oder Dispute mit dem Personal den emotionalen Zustand eines Häftlings. Anzumerken ist, dass ein Suizid bei Häftlingen durch die Kumulation diverser Risikofaktoren ausgelöst wird. „I´d lost my job. I split up with my missus. I had just been run over and beat up by the police. I was back in jail and I made a promise that I would never com back. Missing my baby and that. Just everything all at once. I was like an elastic band … when you stretch it … I just snapped and that was it“ (Rivlin, Fazel, Marzano, Hawton, 2013, S. 311).

5. PRÄEVENTION

5.1 Zellengestaltung

Über 80% der Suizide führen durch die Methode des Erhängens, meistens unter Verwendung von Bettwäsche und des Fenstergriffs, zum Tod. Eine weitere oft genützte Methode ist die Überdosis von Psychopharmaka (Daniel, 2006).

Da Erhängen die meistgewählte Methode bei Häftlingen ist, hat die Entfernung potenzieller Vorrichtungen, die es ermöglichen, Schleifen zu befestigen, wie zum Beispiel exponierte Stangen, Deckenleuchten, sowie die Entfernung anderer Strangualtionshilfsmittel höchste Priorität (Shaw, Baker, Hunt, Moloney, Appleby, 2004; Camilleri & McArthur, 2008; Hayes, 2012; WHO, 2007).

Shaw et al. (2004) schlagen vor, dass für suizidgefährdete Insassen Zellen ohne Fenstergriffe verfügbar sein sollten, sowie dass Leinenbettwäsche zur Verfügung gestellt werden soll, welche nicht für das Erhängen oder Strangulation verwendet werden kann.

[...]

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Suizidprävention bei Häftlingen
Hochschule
Universität Wien
Note
A
Autor
Jahr
2013
Seiten
18
Katalognummer
V286697
ISBN (eBook)
9783656871729
ISBN (Buch)
9783656871736
Dateigröße
432 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
suizidprävention, häftlingen
Arbeit zitieren
Anna Philipp (Autor:in), 2013, Suizidprävention bei Häftlingen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/286697

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