Luther über den Papst. Ein Vergleich seiner Aussagen in der Adelsschrift mit denjenigen in der Vorrede zur Freiheitsschrift


Hausarbeit (Hauptseminar), 2014

35 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Vorgeschichte zur Adelsschrift und zu dem Sendbrief an Leo X.

3. Luther über den Papst in der Adelsschrift
3.1. Luthers Aussagen über den Papst
3.2. Zusammenfassung

4. Luther über den Papst in dem Sendbrief an Leo X.
4.1. Luthers Aussagen über den Papst
4.2. Zusammenfassung

5. Vergleich der Aussagen Luthers über den Papst

6. Zusammenfassung

7. Quellen- und Literaturverzeichnis
7.1. Quellen
7.2. Sekundärliteratur
7.3. Weitere Literatur

1. Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit wird im Rahmen des Mastermoduls Historische Theologie verfasst. Das Thema der Arbeit ist der Vergleich der Aussagen Luthers über den Papst in der Adelsschrift[1] mit denjenigen im Sendbrief an Papst Leo X. Mit Bezugnahme auf den Titel, ist es das Ziel dieser Hausarbeit in vergleichender Perspektive die Standpunkte Martin Luthers über den Papst zum einen in der Adelsschrift als auch in dem Sendbrief herauszuarbeiten. Dabei spielen Gemeinsamkeiten, das heißt gleich-wertige Aussagen, und auch Unterschiede, das heißt abweichende und auch sich widersprechende Äußerungen, eine wichtige Rolle. Es soll die Frage beantwortet werden, warum Luther in der jeweiligen Schrift die Aussagen über den Papst so trifft, wie er sie trifft. Eingebettet wird dies in den historischen Rahmen der Abfassungszeit. So ergibt sich, dass das folgende zweite Kapitel sich mit der Vorgeschichte zur Adelsschrift und der des Sendbriefes an Papst Leo X. beschäftigt. Daran schließt sich dann die Herausarbeitung der Aussagen Luthers in der Adelsschrift an, da dies die chronologisch erste der beiden untersuchten Schriften ist. Im vierten Kapitel werden dann die Äußerungen Luthers aus dem Sendbrief dargestellt. Da an dieser Stelle der Ausarbeitung die Aussagen Luthers über den Papst aus den beiden Schriften vorliegen, kann im fünften Kapitel der Vergleich vollzogen werden. Das sechste Kapitel beinhaltet eine abschließende Zusammenfassung, bevor im nächsten Kapitel das Quellen- und Literaturverzeichnis folgt. Im achten und letzten Kapitel steht die Eigenständig-keitserklärung niedergeschrieben.

2. Vorgeschichte zur Adelsschrift und zu dem Sendbrief an Leo X.

Am 31. Oktober 1517 verschickte Luther zusammen mit einem Brief seine 95 Thesen zur Ablasspraxis an den Erzbischof Albrecht von Mainz und den Bischof von Brandenburg, Hieronymus Schultz. Zudem schlug er die Thesen möglicherweise an diesem oder einer der folgenden Tage[2] an der Tür der Schlosskirche zu Wittenberg an.[3] Damit begann das reformatorische Wirken Luthers, denn zum ersten Mal präsentierte er seine reformatorischen Einsichten und Gedankengänge in der Öffentlichkeit, sodass von ihm bewusst ein Konflikt mit der Kirche in Kauf genommen wurde. Denn die Thesen, deren Hauptanliegen die Kritik am Ablasshandel war, enthielten unter anderem auch „Zweifel an der Theorie vom Kirchenschatz und an der Verfügungsgewalt über das Fegefeuer“[4], in denen Luther zum ersten Mal in aller Offenheit gewisse päpstliche Machtansprüche in Frage stellte. Eine Reaktion des Erzbischofs Albrecht von Mainz blieb nicht aus. Am 13. Dezember 1917 stellte er, nachdem er die Thesen dem Papst übermittelt hatte, da „dessen Gewalt ja in Frage stehe“[5], eine Strafanzeige gegen Luther wegen Häresieverdachts; „die einzige wirksame Maßnahme von der Seite des Erzbischofes.“[6]

Die Einleitung des Ketzerprozesses gegen Luther begann erst am 7. August 1518[7], da der Papst „über seine eifrig betriebenen Vergnügungen, Jagden, Komödien, Bankette hinaus vollbeschäftigt mit seinen Machenschaften zum Auffüllen der immer leeren Kassen, mit der Familienpolitik des Hauses Medici und […] mit der Abwehr der Türkengefahr“[8] war, mit der Vorladung Luthers durch den Kardinal Cajetan, der ihn aufforderte seine Thesen binnen 60 Tagen in Rom zu widerrufen. Nach einem Streitschriftenwechsel zwischen Luther und Silvester Prierias, der „den Angriff auf die Hoheit des Papstes monierte“[9], erbat Luther, den Prozess gegen ihn nach Deutschland zu verlegen. Mit Hilfe des sächsischen Kurfürsten Friedrich des Weisen, den der Papst für sich gewinnen wollte, um ihn davon zu überzeugen, nicht für den Enkel des Kaisers Maximilian I. auf dem Augsburger Reichstag zu stimmen, gelang es Luther, den Prozess nach Augsburg zu verlegen. Friedrich der Weise sah die Schuld Luthers als nicht erwiesen an, da ihm kein Fehlverhalten wider die Schrift vorgeworfen werden konnte, und behielt ihn in seiner Obhut, trotz eines Auslieferungsgesuchs seitens der römischen Kurie.

Am 12. Oktober 1518 kam es auf deutschem Boden in Augsburg schließlich zum Verhör Luthers durch den Kardinal Cajetan. Wider Luthers Willen fand „das Gespräch […] eher unter juridischem als theologischem Vorzeichen“ statt. Der „Papalist“[10] Cajetan, dem aufgetragen worden war eine Disputation mit Luther zu vermeiden, was auch in seinem Interesse war, wollte Luther zum Widerruf bewegen und stützte sich bei seiner Argumentation für das Ablasswesen auf den Schatz der Kirche sowie die Autorität des Papstes. Luther war jedoch nicht gewillt zu widerrufen, ehe er nicht für seine Sache einstehen und sich Gehör verschaffen konnte. In der unabwendbaren Disputation stellte Luther die Autorität eines Konzils über die des Papstes, und die Wahrheit der Heiligen Schrift als Richtschnur über alle weltlichen und geistlichen Autoritäten. „[D]urch seinen Appell an ein allgemeines Konzil“[11] forderte er gar das Papsttum heraus. Damit war der „vielleicht wichtigste[…] Versuch im 16. Jahrhundert, ‚den Streit zwischen Luther und Rom auf die eigentlichen Probleme zu beschränken und womöglich zu überwinden‘“[12] passé. Cajetan verabschiedete sich bei Luther daraufhin mit folgenden Worten: „Geh, und erscheine nicht wieder vor mir, du willst denn widerrufen.“[13] Mit den Ordensbrüdern Linck und Staupitz verließ Luther schließlich am 20. Oktober fluchtartig Augsburg. Das Augsburger Verhör durch Cajetan war „eine Konfrontation […] [in der, d. V.] ihm hinsichtlich des Papstamtes die Augen geöffnet“[14] wurden, und so äußerte er nachfolgend in unterschiedlichen Schriften immer wieder Kritik am Papsttum, da eine Vorrangstellung des Papstes gegenüber einem Konzil oder gar der Heiligen Schrift in keiner Weise seiner Auffassung entsprach.

Die Auseinandersetzungen zwischen Rom und Luther kamen im Jahre 1519 zunächst aus zweierlei Gründen zum Stillstand. Zunächst war es das Zusammentreffen mit dem päpstlichen Nuntius Karl von Miltitz, einem „Diplomaten letzter Klasse“[15], der Luther dazu bewegte, nicht über die päpstliche Autorität, sowie die Ablasspraxis zu disputieren oder zu schreiben. Ebenso willigte von Miltitz ein, über die Auseinandersetzung zu schweigen und bis zu einer Verhandlung durch einen deutschen Bischof den Prozess ruhen zu lassen. Für Luther und Friedrich den Weisen, die beide den päpstlichen Nuntius nicht ganz ernst nahmen, war es eine willkommene Möglichkeit Zeit zu gewinnen.[16] Denn der zweite und eigentliche Hauptgrund, warum die Auseinander-setzungen zwischen Rom und Luther zur Ruhe kamen bzw. zur Ruhe kommen sollten, waren politische. Am 12. Januar 1519 starb Kaiser Maximilian I. und die Politik rund um die Kaiserwahl rückte in den Fokus der römischen Kurie und auch in den des sächsischen Kurfürsten Friedrich, der gar als Nachfolger gehandelt wurde. Doch der Stillstand um Luthers Konfrontationen mit Rom und dem Papsttum fanden kurz nach der Kaiserwahl, bei der am 28. Juni Karl V., seines Zeichens König von Spanien und Enkel des verstorbenen Kaisers, einstimmig zum Kaiser gewählt wurde, ein jähes Ende.

Die sogenannte Leipziger Disputation, die bereits am 27. Juni begann und eigentlich zwischen Johann Eck, Ingolstädter Theologieprofessor und „treuester Kämpfer in Deutschland“[17] und Andreas von Karlstadt, ein Vertrauter Luthers aus Wittenberg, stattfand, brach am 4. Juli Luthers Schweigen und die „Miltiziade“[18] war beendet. In der Disputation zwischen Eck und Luther, die insbesondere vom Thema des Primats des Papsttums bestimmt war, ließ dieser sich dazu hinreißen, die Fehlbarkeit eines Konzils zu behaupten. Damit spielte er Eck zu, der sich nun sicher war, Luther als Ketzer identifiziert zu haben. Luther jedoch stellte das reformatorische Formalprinzip ‚allein durch die Schrift‘ (sola scriptura) auf und bestritt eine verbindliche Auslegungsgewalt durch das höchste kirchliche Lehramt.[19]

Nach der Leipziger Disputation sah Luther sich immer wieder dazu gezwungen, sich mit seinen Gegnern wie Eck, Cajetan, Alvelt oder auch Prierias auseinanderzusetzen. Er verfasste Schriften, um seinen Argumenten zu Themen wie Sakramente und Primat des Papstes Nachdruck zu verleihen oder setzte sich in Gegenschriften gegen persönliche Vorwürfe zur Wehr. Nachdem im November 1519 der Prozess gegen Luther wieder aufgenommen wurde, aber weder ein Widerruf Luthers noch eine Auslieferung durch Friedrich den Weisen stattgefunden hatte, unternahm die römische Kurie am 20. Mai 1520 einen weiteren Versuch, den Kurfürsten unter Druck zu setzen. „[E]r müsse Luther zum Widerruf veranlassen, wenn er den Ruf des sächsischen Hauses nicht ernstlich schädigen wolle.“[20] Friedrich der Weise beharrte jedoch auf seiner Sicht der Dinge: Solange es Rom nicht gelinge Luther mit Hilfe eines Schriftbeweises der Häresie zu überführen, könne dieser weiter in seiner Obhut verweilen.[21] Schließlich führte die Hartnäckigkeit Luthers und auch Friedrich des Weisen dazu, dass eine Bannandrohungsbulle angefertigt wurde. Die Bulle mit dem Namen Exsurge Domine, die am 15. Juni 1520 ausgefertigt und am 24. Juni an der Peterskirche veröffentlicht wurde, sollte Luther zum Widerruf zwingen: „Binnen 60 Tagen […] hat er mit seinen Anhängern seinen Irrtümern sowie deren Predigt, Veröffentlichung und Verteidigung zu entsagen, die Bücher zu verbrennen und einen bestätigten Widerruf nach Rom zu übersenden oder, noch besser, ihn in Rom abzulegen, wobei ihm freies Geleit für die Reise zugesichert wird.“[22] Wenn Luther jedoch nicht binnen 60 Tagen einen bestätigten Widerruf gen Rom übersendet, verfallen er und seine Anhänger dem Bann und sie sind als Ketzer zu bezeichnen.

Anfang August des Jahres 1520 begann Luther mit der Veröffentlichung seiner reformatorischen Hauptschriften. Den Anfang markierte das Werk An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung. Ihr folgte am 6. Oktober die Schrift De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium (Vorspiel von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche). Dem dritten und letzten Hauptwerk Von der Freiheit eines Christenmenschen, welches am 20. November veröffentlicht wurde, ist der Sendbrief an Papst Leo X. angefügt worden. Für Luther fand der Abschluss des gegen ihn geführten Prozesses und der „unüberbietbare[…] Höhepunkt“[23] seiner Papstkritik schließlich am 10. Dezember 1520 statt. Er reagierte auf den Ablauf der 60-Tage-Frist und der Verbrennung seiner Werke am 28. September in Löwen und Lüttich, ebenfalls mit einer inszenierten Bücherverbrennung am Elstertor in Wittenberg. Dabei verbrannte er neben kirchlichen Rechtsbüchern auch die Bannandrohungsbulle und besiegelte damit die „abschließende[…] Scheidung“[24] von der römischen Kirche.

Die Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung und der Sendbrief an Papst Leo X. rücken nun in den folgenden beiden Kapiteln in den Fokus der Betrachtung. Sie sollen hinsichtlich der Aussagen Luthers über den Papst untersucht werden.

3. Luther über den Papst in der Adelsschrift

Die Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung lässt sich in drei grundlegende thematische Abschnitte untergliedern. Nach einer ganz kurzen Widmung an Herrn Nicolaus von Amsdorf und einem Vorwort an die Adressaten der Schrift, das heißt Kaiser Karl V. und dem Adel im deutschen Reich, widmet sich Luther zunächst den drei Mauern, die die Romanisten errichtet haben.[25] Daran anschließend befasst er sich mit den Dingen, die seiner Meinung nach in einem Konzil verhandelt werden sollten.[26] Der dritte, letzte und auch zugleich längste Teil handelt von Reformvorschlägen seitens Luthers, die auf einem Konzil oder durch die Macht der weltlichen Hand durchgesetzt werden sollten.[27] Diesen thematischen Ab-schnitten folgend sollen nun die Aussagen Luthers über den Papst dargestellt werden.

3.1. Luthers Aussagen über den Papst

Bei dem Angriff Luthers auf die erste Mauer der Romanisten, die sich aus der Behauptung, dass die geistliche Macht nicht der weltlichen Gewalt und ihrem Recht unterstehe, errichtet, klagt er ein, dass der geistliche Stand eine bloße Erfindung eben dieser Personengruppe sei.[28] Seine Begründung ist hier biblischen Ursprungs, denn aus 1. Kor. 12, 12ff. schließt er, dass „alle Christen […] warhafftig geystlichs stands“[29] sind. Das heißt, hier argumentiert Luther mit dem reformatorischen Prinzip des allgemeinen Priestertums. „So war es kein antiautoritärer Demokratismus, aus dem er zur Formulierung des allgemeinen Priestertums kam, sondern eine theologische-exegetische Entscheidung“[30] ; „Luther hat […] den Menschen mündig gesprochen“[31]. Er sieht keinen biblisch legitimierten Grund, einen geistlichen Stand hervorzuheben. Er beinhaltet nicht mehr als ein Amt in der christlichen Gemeinde und hat seinen Nutzen in Regierungs- und Verwaltungszwecken. Aber so hat ein jeder sein Amt inne, der „leye, priester, fursten, bischoff“[32] und dennoch sind sie durch die Taufe alle geistlichen Standes und somit auch die weltliche Herrschaft ein Glied des christlichen Körpers.[33] Denn „Christus hat nit zwey noch zweyerley art corper, eine(n) weltlich den andern geistlich. Ein heubt ist, vnd einen corper hat er.“[34] Luther kritisiert insbesondere die Anmaßung des Papstes, über sein eigentliches Amt hinaus, welches er in der Ver-kündigung und Auseinandersetzung mit dem Wort Gottes und in der Ausübung der Sakramente sieht,[35] Machtansprüche zu stellen und den geistlichen Stand über den weltlichen zu erheben.[36] Er will, dass die weltliche Macht, deren Aufgabe es ist, das Schwert zu führen, das heißt die militärische Gewalt- und Machtausübung, sowie die Durchsetzung der weltlichen Gesetze, gleichermaßen diejenigen straft, die ein geistliches Amt inne haben, wie diejenigen, die als Handwerker oder ähnliches, außerhalb der kirchlichen Amtsapparats ihrer Arbeit nachgehen. Ohne Rücksicht soll ein jeder von der weltlichen Macht gleich behandelt werden, nach dem Prinzip: „[W]er schuldig ist der leyde“[37]. Luther weist darauf hin, dass die Romanisten keinerlei biblische Begründung für ihre Vormachtstellung vorlegen können und kritisiert daher das geistliche Recht als „lauter ertichtet Romisch vormessenheit.“[38] Er hingegen legt ihnen mit Röm 13,1ff., wo unter anderem geschrieben steht, dass „[j]edermann […] untertan der Obrigkeit“[39] sei, eine biblische Textpassage vor, die seine Sichtweise untermauert. Den verbalen Höhepunkt im Blick auf den Machtanspruch des Papstes über den Kaiser liefert Luther am Ende seines Angriffs auf die erste Mauer, die er durch seine biblische Begründung um die Machtstellung der weltlichen Obrigkeit als gefallen ansieht, indem er sagt, dass der Papst und die Seinen eher die Welt zugrunde gehen lassen würden, als ihr Fehlverhalten einzugestehen und Neuerungen bzw. Änderungen anzustreben.[40] Zudem spricht Luther erstmals in der Adelsschrift die Antichrist-Thematik[41] an, indem er, wenn auch noch etwas vorsichtig formuliert, „des Endtchrists[42] spiel, odder sein nehster vorlaufft“[43] hinter den Machenschaften des Papstes vermutet. Dies ist zum einen eine harsche Kritik an dem Papst, zum anderen aber auch ein Appell an die Adressaten des Schreibens, die weltlichen Machtinhaber, nicht tatenlos dem Wirken der römischen Kurie zuzuschauen. Er fordert sie auf zu handeln, da seitens des Papstes keine Besserung zu erwarten ist. Es wird bereits hier deutlich, dass Luthers Kritik am Papsttum und der römischen Kurie daher rührt, dass sie für ihr Handeln und ihre Gebote keinerlei biblische Grundlage vorweisen können und sich stattdessen jede nur erdenkliche Freiheit nehmen, um ihre Vormachtstellung zu stärken und auszubauen.

Die zweite Mauer, die die Romanisten zu ihrem Schutze errichtet haben, handelt von der Vorstellung, dass es allein dem Papst zusteht, die Bibel auszulegen.[44] Luther sieht diese Mauer als „noch loszer vnd vntuchtiger“[45] als die erste, da die damit verbundene Anmaßung, dass der Papst in Glaubensangelegenheiten nicht irren könne, wider die Heilige Schrift ist.[46] Es sind keine Verse oder Worte aus der Bibel vorzubringen, die eine Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubensfragen rechtfertigen. Luther greift in dieser Frage den Papst und die Seinen an, indem er die „vnnaturliche[n] gesetz[e] [die] ym geistliche(n) recht“[47] stehen als „freuel ertichte fabel“[48] bezeichnet und die Romanisten als ungebildet charakterisiert.[49] Er schließt nicht aus, dass dem Papst ein Irrtum unterlaufen kann und die Männer zu Rom böse und keine rechten Christen sein könnten.[50] Man merkt Luther in den Textpassagen, die dem Niederreißen der zweiten Mauer dienen, an, dass es in ihm brodelt und er die Anmaßungen der Romanisten nicht weiter akzeptieren kann und auch nicht will. Ihre Begründung aus der ihr zugestandenen Schlüsselgewalt sieht Luther als zu frei und ohne jegliches Maß interpretiert.[51] Um den Papst, der nach Luther weder „glaubenn noch geyst hat“[52], endgültig in seiner Über-zeugung zu entkräften, greift Luther auf das Schriftprinzip zurück und führt Gegen-argumente bzw. –beweise aus der Bibel an. Er beruft sich auf 1. Kor. 14, 30, wo ge-schrieben steht, dass wenn jemand eine neue Erkenntnis der Schrift erhält, hat derjenige, der zuvor die Auslegung der Schrift vollzogen hat, zu schweigen.[53] Das heißt auch wenn der Papst eine Schriftauslegung vorgelegt hat, heißt dies nicht, dass er sich nicht geirrt haben und ein anderer ihn korrigieren könnte. Um dies zu untermauern führt Luther abermals das reformatorische Prinzip vom Priestertum aller Gläubigen an, indem er sagt: „Drumb geburt einem yglichen Christen, das er sich des glaube(n)s annehm, zuuorstehen vnd vorfechten, vnd alle yrtumb zuuordammen.“[54] Damit ist für Luther die zweite Mauer der Romanisten niedergerissen, denn in seinem Verständnis gebührt es einem jeglichen ehrlichen und frommen Christen sich der Auslegung der Schrift anzunehmen. Es ist nicht Pflicht eines jeden Christen den „ertichten wortten der Bepst“[55] ohne Eigeninterpretation zu folgen.

Nach Luthers Auffassung fällt die dritte und letzte Mauer nach den vorangegangenen Überlegungen von selbst in sich zusammen.[56] Die dritte Mauer, hinter der sich die Romanisten verstecken, erbaut sich aus dem Anspruch des Papstes alleinige legitime Institution der Konzilseinberufung zu sein.[57] Luther sieht auch in diesem Punkt den Papst und die Seinen gegen die Schrift, das heißt ohne biblische Legitimation, handeln und führt das fort, was er beim Niederreißen der zweiten Mauer begonnen hat. Er widerlegt den Singularanspruch des Papstes mit Hilfe des Schriftprinzips. Durch Apg. 15,6 sieht Luther eine Konzilseinberufung auch durch andere Institutionen legitimiert.[58] Denn das Apostelkonzil war keineswegs nur durch Petrus einberufen worden, sondern durch alle Apostel und Ältesten.[59] Aber in diesem Fall argumentiert Luther nicht nur auf Grundlage der Heiligen Schrift, sondern führt auch die Einberufung des ersten Konzils von Nicäa im Jahre 325 an, welches als eines der bedeutendsten in die Kirchen-geschichte eingegangen ist. Dieses Konzil wurde nicht durch den Papst, sondern durch den Kaiser Konstantin anberaumt. Weshalb Luther in seiner Schrift kritisch anmerkt, dass schließlich diese beiden Konzilien von den Romanisten als ketzerisch bewertet werden müssten[60], wenn sie denn ihren Standpunkt zur Einberufung eines Konzils einzig und allein durch den Papst beibehielten. Auch beim Niederreißen dieser dritten Mauer nimmt Luther kein Blatt vor den Mund und übt Kritik am Papst. Er merkt an, dass die Konzilien, die durch die Päpste einberufenen wurden, keine bemerkenswerte Erkenntnisse oder gar Fortschritte hervorgebracht haben.[61] Als „hellischen feynd“[62] sieht er den Papst an, wenn er davon spricht, dass demjenigen, der sich diesem Feind widersetzt und die Christen von dem „falsche[n] lugenhafftige[n] schrecken“[63] erweckt, Ehre gebührt.[64] Ein Bezug zu seinem eigenen Handeln ist an dieser Stelle nicht auszuschließen. Denn Luther erhofft sich von seinen Adressaten, und im Idealfall auch vom Papst und den Seinen, eine größere Anerkennung seiner der Christenheit dienenden Bestrebungen. Doch ihm wird klar, dass es dem Papst, der nicht mehr Herr seiner Sinne ist, da der Antichrist in ihn gefahren ist, nicht mehr möglich ist zu würdigen, was der Christenheit zum Vorteil dient.[65] Ein weiteres Mal greift Luther den Papst mit seiner Antichrist-Polemik an und in diesem Fall auch direkt. Es wird deutlich, dass sich Luther inzwischen darüber im Klaren ist, dass der Antichrist auf dem päpstlichen Stuhl zu Rom sitzt.

Die Argumentationsgrundlage der Romanisten, d.h. die drei Mauern, sieht Luther damit als nichtig an. Mit seiner Berufung auf das allgemeine Priestertum und seinen Schriftbeweisen, das heißt der Einbeziehung des reformatorischen Grundprinzips sola scriptura, reißt er die Rechtfertigungen des Papstes und der römischen Kurie nieder und lässt keinen Spielraum für Diskussionen, denn allein das Wort Gottes soll wieder zur allgemeinen Richtschnur werden.[66] Er greift bereits hier zu Beginn seiner Schrift den Papst heftig an und führt dies auch in seinen Überlegungen zu möglichen Themen einer Konzilsverhandlung fort.

Luther führt drei Themengebiete an, die er gerne in einem Konzil verhandelt haben möchte. Mit dem ersten Thema, der Weltlichkeit und der Pracht des Papstes, greift er diesen und sein Gefolge zu Rom in scharfer Weise an. Ihn brüskiert die „hoffart“[67] des Papstes. Insbesondere das Tragen der Tiara, einer Kopfbedeckung mit drei Kronreifen - „wo [doch] die hochsten kunig nur ein kron tragenn“[68] - strahlt eine weltliche Macht-anmaßung und die Anwesenheit des Antichrists aus, die Luther, und seiner Meinung nach auch Gott, nicht ertragen kann.[69] Schließlich stellt der Papst das geistliche Oberhaupt der Christenmenschen dar und ist Petrus‘ Nachfolger, jedoch nicht ein welt-licher König, der über Nationen und weltliches Recht herrschen soll. Und wenn er sich doch als Statthalter Christi auf Erden tituliert, so kann er kein Reich von dieser Welt regieren. Denn, wie Luther anführt[70], steht in der Bibel geschrieben: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“[71] Luther entlarvt durch seinen Schriftbeweis abermals das Fehlverhalten - in diesem Fall die überzogene weltliche Machtsymbolik - des Papstes. Wieder setzt Luther am Ende eines Abschnitts einen antichristlich-polemischen Schlusspunkt, indem er den Papst, der sich über die Engel des Himmels erhebt, in seinem Schaffen als Antichrist tituliert.[72] Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass Luther nicht den Papst als Person als Antichrist bezeichnet, sondern seine Werke. Dies lässt den Leser zu der Annahme kommen, dass Luther sich seiner Antichrist-Erkenntnis doch noch nicht hundertprozentig sicher ist. Er schöpft noch Hoffnung, denn wenn der Papst der Antichrist ist, so sind Hopfen und Malz verloren, doch sind nur seine Werke antichristlich, so kann ein Eingreifen des Kaisers und des deutschen Adels noch einen Wandel herbeiführen. Seinen Adressaten, die die eigentlichen weltlichen Machtinhaber sind, gibt er durch seine Polemik deutlich zu verstehen, welche weltliche Machtanmaßung der Papst hier vollzieht, derer sie Einhalt gebieten müssen, und wie kritisch es um die Kirche und das weltliche Gefüge steht.

Das zweite Thema, welches Luther in einem Konzil verhandelt haben möchte, ist der vermeintliche Nutzen, der aus der großen Anzahl an Kardinälen hervorgeht.[73] Er sieht die Anzahl der Kardinäle als Geldverschwendung an, da die Deutschen[74] viele Abgaben an Rom entrichten müssen, um unter anderem die zahlreichen Kardinäle zu ernähren und unterzubringen. Zudem hegt er gar Zweifel an der allgemeinen Zweckdienlichkeit der Kardinäle für die Christenheit. Eigentlich ein Thema bzw. ein Zustand, das/der nicht zwingend dem päpstlichen Wirken zuzuschreiben ist und dennoch übt Luther auch an dieser Stelle Kritik an ihm. Er fragt, warum die Deutschen eine „solch[e] reuberey, schinderey […] vo(n) dem bapst leyden mussen?“[75] Luther lässt somit in seiner Schrift keine Möglichkeit aus, den Papst höchstpersönlich für jegliche Missstände, die von Rom aus und in Rom selbst geschehen, verantwortlich zu machen.

[...]


[1] Der Begriff Adelsschrift ist die Kurzfassung folgenden Langtitels: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung.

[2] Vgl. Van Dülmen, Andrea: Luther-Chronik. Daten zu Leben und Werk. München 1983, S. 31: „Es ist allerdings ungewiß [sic!], ob Luther diesen Weg bereits am 31. Oktober wählte“.

[3] Vgl. Seebaß, Gottfried: Geschichte des Christentums III. Spätmittelalter – Reformation – Konfessionalisierung. Stuttgart 2006 (Theologische Wissenschaft, Bd. 7), S. 102 und Wohlfeil, Rainer: Einführung in die Geschichte der deutschen Reformation. München 1982, S. 20. Seebaß, Wohlfeil u.a. sehen den Thesenanschlag generell als umstritten bzw. nicht erwiesen an, sodass auch von einem Mythos gesprochen wird.

[4] Moeller, Bernd: Luther und das Papsttum. In: Beutel, Albrecht (Hrsg.): Luther Handbuch. Tübingen 22010, S. 108.

[5] Iserloh, Erwin: Reformation. Katholische Reform und Gegenreformation. Freiburg im Breisgau 1985 (Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. 4), S. 54.

[6] Ebd.

[7] An diesem Tag erhielt Luther die Vorladung. Verfasst und gedruckt wurde sie in den Monaten zuvor.

Vgl. hierzu: A.a.O., S. 56.

[8] A.a.O., S. 55.

[9] Seebaß 2006, S. 103.

[10] Moeller 2010, S. 110.

[11] Wohlfeil 1982, S. 21.

[12] Moeller 2010, S. 110; Lohse 1988, S. 48; teilweise zitiert nach Moeller 2010, S.110.

[13] Zitiert nach Van Dülmen 1983, S. 40.

[14] Moeller 2010, S. 110.

[15] Lau, Franz: Luther. Berlin 21966, S. 67.

[16] Vgl. Iserloh 1985, S. 63.

[17] Lau 1966, S. 67.

[18] Iserloh 1985,S. 63.

[19] Vgl. ebd., S. 65.

[20] Van Dülmen 1983, S. 58.

[21] Vgl. Seebaß 2006, S. 103; Iserloh 1985, 63.

[22] Brecht, Martin: Martin Luther. Sein Weg zur Reformation 1483-1521. Stuttgart 21983. S. 376.

[23] Lau 1966, S. 69.

[24] Moeller 2010, S. 113.

[25] Vgl. Blaschke, Karlheinz: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung, 1520. In: Delius, Hans-Ulrich: Martin Luther. Studienausgabe, Bd. 2. Berlin 1982. S. 98.

[26] Vgl. a.a.O., S. 108.

[27] Vgl. a.a.O., S. 122.

[28] Vgl. a.a.O., S. 99.

[29] Ebd.

[30] Brecht 1983, S. 354.

[31] Friedenthal, Richard: Luther. Sein Leben und seine Zeit. München, Zürich 51979, S. 263.

[32] Blaschke 1982, S. 101.

[33] Vgl. Köhler, Walther: Zu Luthers Schrift „an den christlichen Adel deutscher Nation“. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 45 (1925), S. 1-39, S. 32.

[34] Blaschke 1982, S. 101.

[35] Vgl. ebd.

[36] Vgl. a.a.O., S. 98.

[37] Blaschke 1982, S. 102.

[38] Ebd.

[39] Röm 13,1.

[40] Vgl. Blaschke 1982, S. 103.

[41] Vgl. 2. Thess. 2,3-10; 1. Joh. 2,18ff.; 1. Joh. 4,3; 2. Joh. 7; Offb. 13.

[42] Hier wird der Antichrist als Endchrist bezeichnet. Die Bedeutung bleibt aber dieselbe.

[43] Vgl. Blaschke 1982, S. 104.

[44] Vgl. Blaschke 1982, S. 98.

[45] A.a.O., S. 104.

[46] Vgl. ebd.

[47] Ebd.

[48] Ebd.

[49] Vgl. ebd.

[50] Vgl. ebd.

[51] Vgl. a.a.O., S. 105.

[52] Ebd.

[53] Vgl. 1. Kor 14,30.

[54] Blaschke 1982, S. 106.

[55] Blaschke 1982, S. 105.

[56] Vgl. a.a.O., S. 106.

[57] Vgl. a.a.O., S. 98.

[58] Vgl. a.a.O., S. 106.

[59] Vgl. Apg. 15,6.

[60] Vgl. Blaschke 1982, S. 106.

[61] Vgl. ebd.

[62] A.a.O., S. 107.

[63] A.a.O., S. 108.

[64] Vgl. a.a.O., S. 107.

[65] Vgl. Blaschke 1982, S. 107.

[66] Vgl. Lohse, Bernhard: Martin Luther. Eine Einführung in sein Leben und Werk. München 31997, S. 46.

[67] Blaschke 1982, S. 109.

[68] A.a.O., S. 108.

[69] A.a.O., S. 109.

[70] Blaschke 1982, S.109.

[71] Joh. 18,36.

[72] Vgl. Blaschke 1982, S. 109.

[73] Vgl. ebd.

[74] Die Zahlungen werden von den Bistümern entrichtet, die jedoch ihr Geld von den Christen in ihren Gemeinden erhalten. Das heißt es kann im Allgemeinen von den Deutschen gesprochen werden. (Vgl. a.a.O., S. 110).

[75] A.a.O., S. 110.

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Luther über den Papst. Ein Vergleich seiner Aussagen in der Adelsschrift mit denjenigen in der Vorrede zur Freiheitsschrift
Hochschule
Universität Osnabrück  (Institut für Ev. Theologie)
Veranstaltung
Mastermodul Historische Theologie
Note
2,7
Autor
Jahr
2014
Seiten
35
Katalognummer
V286599
ISBN (eBook)
9783656868446
ISBN (Buch)
9783656868453
Dateigröße
564 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Luther, Papst, Adelsschrift, Freiheitsschrift, Vergleich Luther und Papst, Historische Theologie
Arbeit zitieren
Jonas Knefelkamp (Autor:in), 2014, Luther über den Papst. Ein Vergleich seiner Aussagen in der Adelsschrift mit denjenigen in der Vorrede zur Freiheitsschrift, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/286599

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