Das politische Kabarett als Kommentator der Zeit. Die frühe Weimarer Republik, gesehen durch das Kabarett-Theater "Schall und Rauch" (1919-1921). Mit Texten von Kurt Tucholsky


Hausarbeit, 2001

16 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Berlins Kulturszene zur Weimarer Zeit

3. Das Kabarett

4. Geschichte des Ortes ‘Am Zirkus 1’ – das spätere «Schall und Rauch»

5. Das Kabarett »Schall und Rauch­«

6. Das Programm des «Schall und Rauch» als Spiegel der Zeit

7. Schluss

8. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Diese Arbeit gibt einen kleinen Einblick in die Geschichte eines politisch-literarischen Kabaretts der frühen Weimarer Republik. Es handelt sich um das ‘Brettl’ des Theaterregisseuren Max Reinhardt namens »Schall und Rauch«, das nur zwei Spielzeiten überdauerte. Ferner werden Texte seines prominentesten Chansondichters Kurt Tucholsky analysiert werden. Ziel ist es, an Hand der Textbeispiele aus dem Programm der Bühne Rückschlüsse auf die Wahrnehmung der Nachkriegszeit durch die Öffentlichkeit zu ziehen. Da sich das Kabarett durch seine Aktualität und seine Kommentarfunktion auszeichnet, scheint es für eine derartige Untersuchung geeignet.

Die Auswahl der Liedtexte ist exemplarisch und folgt der Frage, welche speziellen Themen problematisiert werden . Dabei ist zu beachten, zu welchen Teilen der Inhalt die gängigen Vorstellungen, sprich die öffentliche Meinung, oder die persöniche Einstellung des Autoren wiederspiegelt.

2. Berlins Kulturszene zur Weimarer Zeit

In der Zeit zwischen 1918 und 1933 entwickelte sich Berlin zu einer europäischen Kultur-Metropole. Künstler und Wissenschaftler, Schriftsteller und Journalisten, Architekten, Komponisten und viele andere fühlten sich von der jüngsten der Welthauptstädte angezogen, und verhalfen ihr durch ihre vereinten Kräfte und Ideen zu einem außergewöhnlich schöpferischen Aufschwung.[1]

Die Zeit unmittelbar nach dem verlorenen Krieg versprach mit ihrem Systemwechsel schließlich auch die Möglichkeit der Mitgestaltung von neuen geistig-kulturellen Werten.

Ausländische Einflüsse aus der jungen Sowjetunion und aus Frankreich, sowie Elemente der kommerziellen Massenkultur aus den USA fielen in Berlin gleichermaßen auf fruchtbaren Boden.[2]

Man zählte 49 Theater, drei Opernhäuser, über 20 Musiksäle, je drei große Revuetheater und Varietés, 37 Filmgesellschaften und rund 30 Verlage, die Ende der 20er Jahre über 2000 Zeitschriften und 40 Tageszeitungen herausbrachten. Außerdem eine ungezählte Menge an Kabaretts.[3]

Der Regisseur Bernhard Reich (1892-1972) beschrieb die künstlerische Freiheit, die mit diesem Klima einherging, folgendermaßen:

„Wer nichts weiter besaß als Geld, suchte es so schnell als möglich loszuwerden. Wenn es im Schrank oder in der Geldtasche unbeweglich lag, während die Zeit lief, veränderte sich sein Wert. Er nahm ab. Diejenigen, die den Abend frei hatten, kauften Karten für das Theater oder für ein Konzert, auch wenn sie sonst wenig Interesse für Kunst besaßen: die Not der Zeit wurde da zum Segen. Die Theater waren voll, ganz gleich, ob wertvolle oder belanglose Stücke gespielt wurden. […] Das Ideal, Theater mit künstlerischen Ambitionen, […] schien verwirklichungsreif.“[4]

Da man sich um das Publikum und damit die Einnahmequote nicht zu sorgen brauchte, konnte experimentiert werden. Das tat zum Beispiel Leopold Jessner, der im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt revolutionäre Stücke inszenierte und damit das Hoftheater gewohnte, bürgerliche Publikum provozierte.[5]

3. Das Kabarett

„[…] I would like to propose the following definition (or at least image) of an ‘ideal type’ cabaret. It consisted of a small stage in a relatively small hall, where the audience sat around tables. The intimacy of the setting allowed direct, eye-to-eye contact between performers and spectators. The show consisted of short (five- or ten-minute) numbers from several different genres, usually songs, comic monologues, dialogues and skits, less frequently dances, pantomines, puppet shows, or even short films. They dealt in a satirical or parodistic manner with topical issues: sex (most of all), commercial fashions, cultural fads, politics (least of all). These numbers were usually presented by professionel singers and actors, but often writers, composers, or dancers would perform their own works. The presentations were linked together by a conferencier, a type of emcee who interacted with the audience, made witty remarks about events of the day, and introduced the performers.“[6]

Das Kabarett war eine typische und häufige Erscheinung in der Kulturszene der Zwischenkriegszeit. Die unermessliche Vielzahl von Einrichtungen, die sich Kabarett nannten, lässt sich durch die Dehnbarkeit des Begriffs zu dieser Zeit erklären. Kleine Restaurants mit diversem Unterhaltungsangebot wurden ebenso mit Kabarett angepriesen wie anspruchsvolle Lesungen expressionistischer Künstler (z.B. im sogenannten »Neopathetischen Cabaret«). Das politisch-literarische Kabarett bildete durchaus nur einen Bruchteil der vorhandenen Etablissements.[7]

Wo lagen die Wurzeln der Kleinkunstbühnen, die sich, begünstigt durch den Wegfall der wilhelminischen Zensur, so rasch ausbreiteten?

Eine der Wurzeln des Kabaretts liegt sicherlich am Montmartre, der um 1880 noch ein malerischer Vorort Paris’ war. Für die Künstler, die sich dort angesiedelt hatten, stellte der Ort das geistige Zentrum der Welt dar. Sie trafen sich im »Chat Noir«, der Kneipe, die der Besitzer Rodolphe Salis als weltweit erstes ‘Cabaret’ eröffnet hatte. Hiermit löste er eine Kabarett-Gründungswelle aus; plötzlich traf sich die künstlerische Elite in öffentlichen Cafés und nicht mehr in aristokratischen Salons. Ihr schöpferisches Schaffen hatte stets einen gemeinsamen Kern: den Affront gegen die Bourgoisie. Eben diese hielt es jedoch bald für schick, die nonkonformen Dichter, die sich gegenseitig ihre Texte vortrugen, ‘in freier Wildbahn’ zu sehen und wurde zum Stammpublikum des Kabaretts. Der Chansonier Aristide Bruant, der 1885 sein »Mirliton« eröffnete, wurde, besonders durch das von Henri Toulouse Lautrec gemalte Plakat, weltbekannt. Weitere Kabaretts folgten: das »Aux Quat’-z-Arts«, das »La Boîte à Fursy« und das »Les Noctambules«.[8] Der Simplicissimus Verleger Albert Langen und Frank Wedekind, die beide in Paris gelebt hatten, mögen vor diesem Hintergrund über Kabarettgründungen nachgedacht haben.

Eine andere Wurzel des Kabaretts liegt im »Varieté« und im sog. »Tingeltangel«.

Das Varieté oder Specialitätentheater hatte seinen Ursprung in der englischen »Music Hall« aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Inhalt der Veranstaltungen war ein Mix aus Musik, Akrobatik, Zaubertricks, Tiernummern, populären Opernarien und anderem. Mit seinen groß angelegten, aufwändigen Shows und dem Engagement von internationalen Stars stand dieses Freizeitvergnügen im oberen Bereich der kulturellen Beliebtheitsskala und drohte allmählich das traditionelle Sprechtheater zu verdrängen. Tingeltangel-Bars waren dagegen kleine, oft verruchte Veranstaltungsorte, in denen meist Damen vor einem meist männlichen Publikum auftraten; ein Bild einer solchen Bar vermittelt z.B. der Film »Blauer Engel«, der Marlene Dietrich international bekannt machte.[9]

Seit den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts forderten namhafte Literaten eine künstlerische Veredelung dieses Genres. Otto Julius Bierbaum (1865-1910) veröffentlichte 1897 einen Roman namens »Stilpe«, in dem der Held ein Literatur-Varieté-Theater eröffnete, und bereitete damit das Kabarett in Deutschland geistig vor.[10]

1901 eröffneten schließlich die ersten zwei Kabarettbühnen: Ernst von Wolzogens »Überbrettl« in Berlin[11] und die »Elf Scharfrichter« in München. Bühnenautoren waren unter anderen Frank Wedekind, Erich Mühsam und Christian Morgenstern.[12]

[...]


[1] Ruth Glatzer, Berlin zur Weimarer Zeit. Panorama einer Metropole 1919-1933, Berlin 2000, S. 253 (weiterhin zitiert: Glatzer-Berlin)

[2] Jürgen Schebera, Damals im Romanischen Café... . Künstler und ihre Lokale im Berlin der zwanziger Jahre, Leipzig 1988

[3] Glatzer-Berlin, S. 253

[4] zitiert nach: Glatzer-Berlin, S. 270/71

[5] Glatzer-Berlin, S. 266

[6] Peter Jelavich, Berlin Cabaret, Cambridge, Massachusetts/ London 1993 (Studies in Cultural History) S.2 (weiterhin zitiert: Jelavich-Cabaret)

[7] Jelavich-Cabaret, S.4

[8] Walter Rösler, Das Chanson im deutschen Kabarett 1901-1933, Berlin 1980, S. 17-19 (weiterhin zitiert: Rösler-Chanson)

[9] Jelavich-Cabaret, S.20/21

[10] Rösler-Chanson, S. 56

[11] Fünf Tage später als Wolzogen eröffnete Max Reinhardt sein erstes »Schall und Rauch« in der Bellevuestraße, s. Abschnitt 4

[12] Helga Bemmann, Immer um die Litfaßsäule rum. Gedichte aus sechs Jahrzehnten Kabarett, Berlin 1968

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Das politische Kabarett als Kommentator der Zeit. Die frühe Weimarer Republik, gesehen durch das Kabarett-Theater "Schall und Rauch" (1919-1921). Mit Texten von Kurt Tucholsky
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Geschichtswissenschaften)
Veranstaltung
Deutschland 1918-1923: Erfahrungen und Deutungen einer Krisenperiode
Note
1,3
Autor
Jahr
2001
Seiten
16
Katalognummer
V28615
ISBN (eBook)
9783638303477
Dateigröße
501 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kabarett, Kommentator, Zeit, Weimarer, Republik, Kabarett-Theater, Schall, Rauch, Texten, Kurt, Tucholsky, Deutschland, Erfahrungen, Deutungen, Krisenperiode
Arbeit zitieren
Verena Lehmbrock (Autor:in), 2001, Das politische Kabarett als Kommentator der Zeit. Die frühe Weimarer Republik, gesehen durch das Kabarett-Theater "Schall und Rauch" (1919-1921). Mit Texten von Kurt Tucholsky, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28615

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