Zwischen Auftrag und Literatur. Die Augsburger Kriegsbriefe von Bertolt Brecht


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

14 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


1. Einleitung

„Bürgerschreck, Revolutionär und Tyrann“1, ein Artikel des Stern zum 50. Todestages von Bertolt Brecht, präzisiert auf diese Weise die enorme Wirkungskraft des bedeutendsten Dramatikers des 20. Jahrhunderts. Mutter Courage, Dreigroschenoper oder der gute Mann von Sezuan stehen bezüglich des Bekanntheitsgrades sicher außer Frage, Schriftstücke des jungen Brecht werden dagegen oft ignoriert. Doch liegen in diesen literarische und politische Tendenzen verborgen und verweisen auf eine durch Übernahme und Verarbeitung geprägte literarische Entwicklung, welche den Stil, doch auch die Formenvielfalt durch experimentelle Übungen prägte.

Nach dem frühesten vorliegenden autobiographischen Dokument, dem Tagebuch No. 10, widmet er sich seiner Schülerzeitung der Ernte, welche literarische Versuche enthält. Als er mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges die Möglichkeit erhielt für die Münchner-Augsburger Abendzeitung Auftragstexte zu verfassen, brachte er unter anderem die Augsburger Kriegsbriefe hervor, welche Stimmungsbilder des Augsburger Kriegsalltags wiedergeben.2

Die Augsburger Kriegsbriefe, die zwischen dem 14. August 1914 bis zum 27. September 1914 verfasst und veröffentlicht wurden, sollen hier hinsichtlich literarischer Gestaltung und Intention genauer betrachtet werden. Außerdem soll hier untersucht werden, ob sie als reine Auftragsarbeiten, als Übermittler patriotischer Gesinnung, als kritisierende Anspielungen auf gegenwärtige Wertvorstellungen oder gar als Kunstprodukte zu verstehen sind.

2. Rolle der Presse vor und bei Ausbruch des 1. Weltkrieges

Für den Ausbruch des 1. Weltkrieges sind nicht nur internationale oder wirtschaftliche Faktoren verantwortlich, sondern ebenso die „dominierende Mentalität“3, der Patriotismus, welche durch die Presse verbreitet werden konnte. Die Grundstimmung konnte durch tägliche Veröffentlichungen patriotischer Texte oder Artikel, welche den Krieg als “zwangsläufig und unvermeidlich”4 darstellten, schnell verbreitet werden.5 Die Presse, als öffentliche Meinung, wurde bewusst als relevanter Faktor im Zusammenspiel der Mächte genutzt und nährte durch die Veröffentlichung patriotischer Texte die vorherrschende Grundstimmung.6 So erhöhte sich mit dem Ausbruch des Krieges die Nachfrage nationalistischer Texte und Laien, wie auch bekannten Autoren, wurde die Möglichkeit dargeboten, Texte zu veröffentlichen.7 Nanny Lambrecht8 oder Ludwig Ganghofer9 sind unter zahlreichen anderen Autoren Vertreter von kriegsverherrlichenden Gedichten, welche in der Münchner Augsburger Abendzeitung veröffentlicht wurden.

3. Kriegsbriefe - ein Genre

Brecht hat den Titel weder erfunden, noch wahllos übernommen aber er griff auf ein vorhandenes Genre zurück. Der Kriegsbrief hat sich im journalistischem Bereich zu einer eigenen propagandistischen Gattung entwickelt und informierte in Tageszeitungen über Ereignisse und die Lage an der Front.10 Kurz nach dem Ausbruch des 1. Weltkrieges wurden Deutsche Kriegsbriefe von Paul Schweder in den Augsburger Neuesten Nachrichten und Kriegsbriefe aus dem Osten von dem Kriegsberichterstatter Rolf Brandt abgedruckt, um die in Augsburg verbliebene Bevölkerung über deutsche Heldentaten und Ereignisse an der Front in Kenntnis zu setzen.11

4. Augsburger Kriegsbriefe:

Die sieben Augsburger Kriegsbriefe, zwischen dem 14. August und 27. September 1914 verfasst und in der München-Augsburger Abendzeitung veröffentlicht, veranschaulichen das Geschehen hinter der Front und illustrieren Beobachtungen und kleinere Ereignisse, welche sich kurz nach Kriegsausbruch in Augsburg zugetragen haben.12 Ebenso schildern sie die Stimmung in der Stadt anhand verschiedener Situationen und den damit verbundenen Impressionen des Kriegsalltags in Form einer Reportage.13

Somit hat Brecht dieses Genre der Kriegsbriefe übernommen, auf seine Weise verändert und entgegnet den Deutschen Kriegsbriefen in der MünchenAugsburger Abendzeitung mit seiner Bearbeitung dieser Gattung.14

4.1.Nationalistische Topoi vs. Distanzierung

4.1.1.Nationalistische Topoi

Es ist augenfällig, dass sich Brecht in den Augsburger Kriegsbriefen an nationalistischen Topoi bediente. Zum einen wird das Topos des Krieges, der zur Besserung des Menschen führt, genannt: Wir sehen, daß alles verwandelt ist. Daß Streit, Haß, Kleinlichkeit verschwunden sind. Es hat alles gleichsam größere Maße angenommen. 15 Zum Anderen erfolgt die Rechtfertigung der Notwendigkeit der Opfer: „Opfer müssen gebracht werden und sollten sie blutig schwer werden.“16. Weiterhin fließt das Topoi der Einigkeit des Volkes mit ein. Diese Einigkeit besteht auf allen Ebenen. Sozial, wie auch politisch, lässt Brecht die nationale Übereinstimmung in der Gesinnung erkennen. Denn die verschiedenen Gesellschaftsschichten sind vom gleichen Gefühl ergriffen und begrüßen nebeneinander zusammen freudig den Krieg: „Einfache Arbeiter haben mit Offizieren, mit Beamten gestritten und gelacht.“17 Übermittelt wird diese Einigkeit auch durch die Beschreibung des Gesanges, welcher in einem Gleichklang das Hochgefühl der Zeit verkündet. Denn das Bild der patriotischen Veranstaltung des Nationalfeiertages unterstreicht diese außergewöhnliche Eintracht des Volkes besonders durch die übertreibende Aneinanderreihung von Verben, teilweise Onomatopoesien, welche das Erklingen des vereinten Gesanges darstellt: “schwoll, stuermte, donnerte, gesungen,[...], klang, jauchzte, verkündend die Wahrheit von deutscher Einigkeit“18.

In Eintracht sieht das Volk und selbst die Parteien dem Kaiser entgegen, ein Topos, welches in manchen Veröffentlichungen dieser Zeit zu finden war: „Und all die Augen dieser Tausende ruhen auf einem Mann: dem Kaiser. Der ist der Held aller geworden über Nacht. Aller: der stetigen Nörgler, der kühlen Denker und der - Sozialdemokraten.“19.

4.1.2.Funktion der nationalistischen Topoi

Gerade in der Zeit kurz nach dem Kriegsausbruch wurde die nationalistische Stimmung der Bevölkerung von einer Euphorie untermauert, die durch literarische Beiträge unterstützt wurde. Für Autoren dieser Zeit blieb also keine andere Möglichkeit als die Gesinnung zu einem gewissen Teil widerspiegeln zu lassen, da Redakteure die Texte sonst nicht abgedruckt hätten. So hatte auch Brecht patriotische Inhalte in seinen Texten wiederzugeben, denn hätte er Gleichgültigkeit gegenüber dem Krieg erkennen lassen, wären wahrscheinlich keine der Beiträge veröffentlicht worden.

Somit musste er sich an die Forderungen anpassen und seine Distanzierung gegenüber dem Krieg mit patriotischen Aussagen und Klischees verdecken. Ein Ernte-Mitarbeiter Walter Groos meinte:

„Brecht sagte mir einmal, als wir uns über Lyrik unterhielten, er werde zeigen, dass er so schreiben könne, wie die Welt es verlangt. Ich betrachte Brechts frühe Zeitungsveröffentlichungen als Versuche, diesem Anspruch zu genügen.“20

4.1.3. Distanzierung zu nationalistischen Inhalten

Einige Aussagen und Inhalte spiegeln Brechts Distanzierung gegenüber dem Krieg wieder, denn es sind eindeutig Unterschiede zu anderen Berichten dieser Zeit vorhanden.

Ein Beispiel dafür ist, dass die französischen Kämpfer keinesfalls als Feinde beschrieben werden, sondern als gleichwertige Opfer des Krieges gelten: „So schwankt Bahre um Bahre vorbei. Deutsche sind drauf und auch Franzosen - alle tuen einem tief leid.“21 Dieses Mitleid gegenüber dem Feind, die Gleichstellung der Deutschen mit dem französischen Volk, ist wohl eine der Aussagen, die in dieser Zeit selten gedacht oder gar ausgesprochen wurden. Brecht bezieht sich damit nicht nur auf den ungerechtfertigten Völkerhass, sondern ebenso auf die eigentliche Tragik des Krieges, dass viele Opfer für abstrakte Ziele des Vaterlands sterben.

[...]


1 Vgl. Armborst, Matthias: Bertolt Brecht - Bürgerschreck, Revolutionär und Tyrann, in: http:/ www.stern.de, 13. August 2006, 1 Seite.

2 Vgl. Brecht, Bertolt, Hillesheim, Jürgen: "Wie ich mir aus einem Roman gemerkt habe-- ": früheste Dichtungen. Suhrkamp 2006. S. 222.

3 Vgl. Rosenberger, Bernhard: Zeitungen als Kriegstreiber? Die Rolle der Presse im Vorfeld des Ersten Weltkrieges. Köln/ Weimar/ Wien 1998. S. 22.

4 Ebd., S. 23.

5 Ebd., S. 25.

6 Vgl. Rosenberger, Zeitungen als Kriegstreiber, S. 24.

7 Vgl. Hillesheim, Ich mußimmer dichten, S. 84.

8 Vgl. Brecht, Hillesheim, Wie ich mir aus einem Roman gemerkt habe, S. 127.

9 Ebd., S. 140.

10 Ebd., S. 102.

11 Ebd., S. 102 - 103.

12 Vgl. Hillesheim, Ich mußimmer dichten, S.87.

13 Ebd., S. 100.

14 Vgl. Hillesheim, Ich mußimmer dichten, S. 102/103.

15 Brecht,-Bertolt,-Werner-Hecht:-Werke:-grosse-kommentierte-Berliner-und-Frankfurter-Ausgabe.-Bd.-21.-Berlin:-1988. S. 19.

16 Ebd., S. 18.

17 Ebd., S. 11.

18 Ebd., S. 20.

19 Vgl. GBA, Bd. 21, S. 11.

20 Frisch, Werner/ Obermeier K. W.: Brecht in Augsburg. Erinnerungen, Dokumente, Fotos. Berlin 1986. S. 57.

21 Vgl. GBA, Bd. 21, S. 17.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Zwischen Auftrag und Literatur. Die Augsburger Kriegsbriefe von Bertolt Brecht
Hochschule
Universität Augsburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
14
Katalognummer
V285885
ISBN (eBook)
9783656860969
ISBN (Buch)
9783656860976
Dateigröße
495 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
zwischen, auftrag, literatur, augsburger, kriegsbriefe, bertolt, brecht
Arbeit zitieren
Jeanne Dest (Autor:in), 2009, Zwischen Auftrag und Literatur. Die Augsburger Kriegsbriefe von Bertolt Brecht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/285885

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