Die Religionspolitik unter Lenin und Stalin und ihre Folgen für das Christentum und den Islam


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

23 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Religionspolitik gegenüber Christen unter Lenin

III. Religionspolitik gegenüber Muslimen unter Lenin

IV. Religionspolitik gegenüber Christen unter Stalin

V. Religionspolitik gegenüber Muslimen unter Stalin

VI. Schlussbetrachtung

VII. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

ÄReligion ist das Opium des Volkes“ - wer kennt nicht diese ideologische Leitlinie von Karl Marx, dem intellektuellen Übervater des Kommunismus. Nun war das Land, in dem der erste Praxisversuch des Kommunismus unternommen wurde, ausgerechnet das zutiefst ländlichreligiös geprägte Russland.

Sollte man da mit der Brechstange sofort jede Religion verbieten? Diesen Weg zu gehen wäre wenig erfolgversprechend gewesen. Sollte man die Bürger versuchen zu zwingen, sich zwischen Religion und Marxismus-Leninismus zu entscheiden, bestand die Gefahr, dass allzu viele Menschen nicht bereit gewesen, ihre Verbindungen zur Religion zu kappen. Schließlich waren vor allem der christliche und islamische Glaube im Bewusstsein des Volkes schon über Generationen tief verankert.

Doch sollte man daher die antireligiöse Stoßrichtung des Marxismus ganz aufgeben? Das wiederum kam aus Gründen der ideologischen Überzeugung nicht in Frage, denn Verrat an kommunistischen Idealen wollte man auch nicht begehen. Also musste Sowjetrussland einen Mittelweg gehen.

Das bedeutete einerseits, dass man Religionsausübung anders als im Frankreich nach der Französischen Revolution nicht grundsätzlich verbot. Andererseits bedeutete das, dass man von Seiten des Staates durchaus bereit war, die praktischen Rechte von Religionen in diskriminierender Weise zu beschneiden und militante atheistische Propaganda massiv zu fördern.

In dieser Arbeit sollen die sowjetische Politik und ihre Auswirkungen gegenüber dem Christentum und dem Islam einander gegenüber gestellt werden. Dabei soll die Betrachtung die Zeit von Lenin (1917-1924) und von Stalin (1924-1953) umfassen. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Politik beider sollen dabei herausgearbeitet werden. In dieser Zeit ging es um die ideologische Etablierung des Kommunismus in der Sowjetunion - in einem Land, das wegen seiner ländlichen, agrarischen und vor allem religiösen Prägung dafür alles andere als vorherbestimmt schien.

Der Schwerpunkt soll dabei in den Abschnitten über das Christentum auf die orthodoxe Kirche in Russland gelegt werden. Schließlich war die Orthodoxie nicht nur die mit Abstand stärkste christliche Konfession vor Katholiken, Lutheranern und evangelikalen Freikirchen, sondern sie hatte in Russland durch ihre Rolle als Staatskirche des zarischen Russland jahrhundertelang deutlich ihre Spuren hinterlassen.

Daher soll in dieser Arbeit von den christlichen Konfessionen die Orthodoxie im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Da die Orthodoxie gerade auch im Zentrum des sowjetischen Reiches präsent und im Alltag der Menschen allgegenwärtig war, verwundert es nicht, dass es zu ihrer Rolle und Bedeutung in der damaligen Zeit viel Literatur gibt. Neben verschiedenen Überblicksdarstellungen wie denen von Karl-Heinz Ruffmann, in denen auch die Entwicklung der orthodoxen Religion in der Sowjetzeit behandelt wird, ist ein Fachaufsatz von Wolfgang Heller sehr hilfreich zu diesem Thema.

Auch wenn die Literatur dagegen zum Islam in der Sowjetunion in der untersuchten Zeit dürftig ist, so ist es anhand von Überblicksdarstellungen und der Aufsätze von Hans Bräker und Frank Nesemann möglich, auch die Entwicklung der Islampolitik in der Sowjetunion unter Lenin und Stalin mitsamt ihren Auswirkungen darzustellen.

Dabei sollen mehrere Fragen gestellt werden. Welche Maßnahmen ergriffen die sowjetischen Machthaber zu welcher Zeit? Welche taktisch-strategischen Motive steckten dahinter? Welche Auswirkungen hatte das Vorgehen des Staates jeweils auf das reale Leben der Religionsgemeinschaften und der religiösen Menschen? Zu welchen Zeiten wurde aus welchen Gründen die sowjetische Religionspolitik geändert?

Gerade das Spannungsfeld zwischen atheistischer Staatsideologie des Kommunismus und einer tiefsitzenden religiösen Gesellschaft verleiht dem Thema eine Brisanz und eine Spannung, mehr dazu erfahren zu wollen. Es soll dabei versucht werden, gewisse Handlungen und Verhaltensweisen von Religiösen und des Antireligiösen auf den Einfluss ideologischer oder taktischer Motive zu untersuchen.

Zuerst wird in den ersten beiden Kapiteln nach der Einleitung die Religionspolitik unter Lenin untersucht, wobei zuerst die Politik gegenüber Christen untersucht wird und dann diejenige dem Islam gegenüber. Anschließend wird die Religionspolitik Stalins genauer unter die Lupe genommen werden. Auch hier wird das Augenmerk zuerst auf das Christentum gelegt, ehe es im darauffolgenden Kapitel um den Islam gehen wird. Zum Abschluss wird in der Schlussbetrachtung eine abschließende Einschätzung abgegeben werden.

II. Religionspolitik gegenüber Christen unter Lenin

Im Parteiprogramm von 1919 forderte die KPdSU auf die Religion bezogen Ädas Band zwischen den Ausbeuterklassen und den Organisationen religiöser Propaganda vollständig zu zerstören“ und auch Ädurch eine umfassend orientierte, wissenschaftlich aufgeklärte und antireligiöse Propaganda zur tatsächlichen Befreiung der werktätigen Massen von religiösen Vorurteilen“ beizutragen.1 Diese Wortwahl machte schon deutlich, wie konsequent und kämpferisch-atheistisch die Stoßrichtung der marxistisch-leninistischen Ideologie war. Doch wie war die Umsetzung in der Praxis? Darum soll es im folgenden gehen.

Hauptobjekt der bolschewistischen Religionspolitik seit Lenin war die russisch-orthodoxe Kirche, allerdings waren auch Islam, Protestantismus, Katholizismus, christliche Sekten, Judentum und Buddhismus betroffen.2 Es verwundet jedoch nicht, dass aufgrund der Stärke und jahrhundertelangen historischen Tradition im Zarismus die Orthodoxie im Mittelpunkt der Religionspolitik Lenins stand.

Ab 1917 fuhr trotz aller theoretischen Propaganda Lenin dennoch einen pragmatischen Kurs in der Religionspolitik, der stark von strategisch-taktischen Gesichtspunkten bestimmt war. Er war bestrebt, eine Polarisierung in der Frage der Stellung zur Religion zu vermeiden, daher lehnte er einen Krieg gegen die Religion Äum jeden Preis“ ab.3

An diesen Äußerungen kann man erkennen, dass es dem neuen Herrscher aus strategischen und taktischen Gründen vor allen anderen Zielen darum ging, seine Herrschaft zu stabilisieren, indem er sich in breiten Teilen des Volkes zumindest keine neuen Feinde machte. Erst wenn das Ziel der Herrschaftskonsolidierung erreicht war, konnte man seiner Meinung die Zerstörung religiösen Bewusstseins verstärkt repressiver angehen.

Obwohl die orthodoxe Kirche im November 1917 die Institution des Patriarchats wiederhergestellt hatte, konnte sie in keiner Weise an ihre Stellung in der Zarenzeit anknüpfen. Das lag zum einen an der atheistischen Kampfeinstellung der neuen Herrscher im Staat, zum anderen jedoch in noch größerem Maße daran, dass speziell die Orthodoxie wegen ihrer jahrhundertelangen engen Zusammenarbeit mit den Zaren kompromittiert war.4

Aber auch die evangelikalen Freikirchen wurden aus politischen Gründen wurden wegen ihrer internationalen Kontakte als Agenten des Kapitalismus verdächtigt.5 Das macht deutlich, dass die neuen kommunistischen Machthaber Religionen und Konfessionen immer im Verdacht hatten, eine gegen sie gerichtete politische Bestrebung zu unterstützen. Das wurde im Fall der Orthodoxie mit der Rolle in der zarischen Vergangenheit begründet, im Fall der Freikirchen mit ihren internationalen Kontakten in kapitalistische Länder wie die USA.

Es wäre jedoch bei allem Pragmatismus angesichts des militanten Atheismus der Ideologie Lenins erstaunlich gewesen, wenn man auf jegliche gesetzliche Diskriminierungen gegen Religionen verzichtet hätte. Ab Januar 1918 wurden das Eigentum und der Besitz der orthodoxen Kirche beschlagnahmt. Hohe Würdenträger wurden eingekerkert, auch der Patriarch Tichon. Staatsbürgerliche Rechte wurden den Geistlichen jedoch vorenthalten, genauso wurden religiöse Kulthandlungen selbst bei Begräbnissen untersagt.

Als Tichon 1925 starb, wurde der orthodoxen Kirche die Wahl eines neuen Patriarchen verboten. Erst nach wiederholten Loyalitätsbekundungen der orthodoxen Kirche gegenüber dem Regime wurde der Restorganisation der Orthodoxie 1927 zugestanden weiterbestehen zu dürfen.6 Dies zeigt, dass der neue kommunistische Staat bedingungslose Loyalität von der Orthodoxie dafür erwartete, dass er auf eine komplette Zerschlagung verzichete.

Tichon war Ende Februar 1922 damit einverstanden, im Einklang mit einem Beschluss des Allrussischen Exekutivkomitees wertvollen Kirchenschmuck und nicht für den Gottesdienst nötige Wertgegenstände der Hungerhilfe zu spenden. Dies reichte Lenin jedoch nicht, der dem Politbüro mitteilte: ÄGerade und nur jetzt, da es in den Hungergebieten zu Menschenfresserei kommt und die Leichen zu Hunderten, wenn nicht Tausenden auf den Straßen herumliegen, können und daher müssen wir die Konfiszierung der kirchlichen Wertgegenstände auf härteste und schonungsloseste Weise durchführen. (…) Den Patriarchen Tichon, meine ich, sollten wir zweckmäßigerweise nicht anrühren, obwohl er zweifellos an der Spitze dieser Meuterei von Sklavenbesitzern steht.“7 Diese Äußerungen Lenins zeigen deutlich, dass etwaige Toleranz gegenüber der orthodoxen Kirche allein taktisch motiviert war. An dem Endziel, der Enteignung und Zerschlagung orthodoxen Kirche Hort der Religiosität, hielt er immer fest. Sobald er seine Herrschaft fester im Sattel sah, wollte er die Merkmale seiner Politik Schritt für Schritt ins Repressive verschärfen.

Letztlich ging es Lenin darum, ein Exempel zu statuieren, um damit jeden potenziellen Widerstand der Zukunft im Keim zu ersticken, wie er dem Politbüro mitteilte: ÄGerade jetzt muss diesen Leuten eine solche Lektion erteilt werden, dass sie auf Jahrzehnte hinaus es nicht wagen, an einen Widerstand auch nur zu denken.“ Trotzki unterstützte Lenin da voll und ganz, indem er mit dessen Billigung im Hintergrund eine Kommission von Scharfmachern etablierte, welche die Konfiszierung der Wertgegenstände organisierte. Dabei sollte Trotzki jedoch wegen seiner jüdischen Herkunft nicht als Drahtzieher bekannt, wie Lenin anordnete.8 Das war taktisch klug gewählt, wäre die Beteiligung Trotzkis doch ein Einfallstor für Antisemiten gewesen, das internationale Judentum hinter der Kampagne zu verdächtigen.

Die orthodoxe Kirche, die Lenin aus ideologischen Gründen in Verdacht hatte, eine potenzielle Keimzelle des Widerstandes zu sein, sollte also durch harte Maßnahmen derart eingeschüchtert werden, dass sie aus Angst loyal zum Staat stand. Das war Lenins Hauptziel, damit das neue Regime sich stabilisieren konnte. Daher war er auch aus strategisch-taktischen Gründen bereit, der orthodoxen Kirche ein Minimum an Rechten zu gewähren. Das änderte jedoch nichts an seinem langfristigen Ziel, das Bewusstsein von Religion als ÄOpium des Volkes“ (Karl Marx) langfristig durch systematische Diskriminierung und Propaganda zu vernichten.

III. Religionspolitik gegenüber Muslimen unter Lenin

ÄMuslime Russlands, Tataren, des Wolgagebietes und der Krim, Kirgisen und Sarten Sibiriens und Turkestans, Türken und Tataren Transkaukasiens, Tschetschenen und Bergvölker des Kaukasus! Ihr alle, deren Moscheen und Bethäuser zerstört, deren Glauben und Sitten von den Zaren und den Bedrückern niedergetreten wurden! Von jetzt ab werden eure Glaubensbekenntnisse und Sitten, eure nationalen und kulturellen Einrichtungen für frei und unantastbar erklärt. Richtet euch euer nationales Leben frei und ungehindert ein. Ihr habt ein Recht darauf. Wisset, dass eure Rechte, gleich wie die Rechte aller Völker Russlands, mit der Macht der Revolution und ihrer Organe, der Räte der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten, geschützt werden.“9

Mit diesen werbenden Worten auf Flugblättern versuchte die leninistische Regierung die Muslime für sich zu gewinnen. War das taktisch motiviert? Sicherlich, denn die neue bolschewistische Regierung sah Religion generell als zu überwindendes Relikt an - also auch den Islam.

Jedoch sah man den Islam nicht als so große Gefahr wie die Orthodoxie an. Das lag zum einen daran, dass die Schwerpunkte des islamischen Glaubens jenseits des Zentrums lagen. Zum anderen auch daran, dass der Islam mit seinen Funktionären bei weitem nicht so eng mit der zarischen Herrschaft in Verbindung stand, sondern über die Jahrhunderte bestenfalls toleriert worden war. Außerdem hat der Islam traditionell im Gegensatz zu christlichen Konfessionen keine feste Kirchenstruktur, weswegen seine Grundsätze des Glaubens von vielen Kommunisten wissensmäßig gar nicht so genau bekannt waren. Dies erklärt, warum man unter Lenin auf einen wesentlich sanfteren und kooperativeren Kurs gegenüber dem Islam setzte als gegenüber dem orthodoxen Christentum.

Doch ließen sich die Ideologie des Marxismus-Leninismus und islamische Traditionen denn wirklich so leicht miteinander vereinbaren? ÄTatsächlich aber lag es keinesfalls im Interesse der neuen Machthaber, abseits Leninscher Vorstellungen von ‚Sozialismus in nationaler Form‘ den muslimischen Untertanen des noch jungen Sowjetstaates gerade auf religiös- kulturellem Gebiet jegliche wirkliche Autonomie einzuräumen.“, wie Frank Nesemann treffend ausführt. ÄVielmehr mussten sich bolschewistischer Atheismus und die vielerorts im sowjetischen Orient tief verwurzelte islamische Religiosität, mussten sich die sozialrevolutionären Ziele der Partei Lenins und die ungeachtet der zarischen Herrschaft über Jahrhunderte bewahrten Fundamente der islamischen Gesellschaftsordnung in ihrer ‚Scharia‘- Orientierung in unüberbrückbaren Gegensatz gegenüberstehen.“10 Daher musste es auch zwischen dem Islam und den neuen atheistischen Herrschern früher oder später zu Konflikten kommen. Doch setzte man dabei von Seiten des Staates bewusst auf Repression.

Der X. Parteikongress der KPdSU beschloss 1921, Äden werktätigen Massen der nichtrussischen Völker zu helfen, ein Pressewesen, Schulen, Theater, Klubs und überhaupt ein Kultur- und Bildungswesen in der Muttersprache zu entwickeln.“ Das Ziel war, die Völker in Zentralasien und im Kaukasus zu alphabetisieren. Eine offensichtlich antiislamische Stoßrichtung stand also nicht dahinter.

Dennoch führte dieser Beschluss dazu, dass künftig alle Völker das lateinische Alphabet lernen mussten, wogegen sich islamische Geistliche und alte Bildungseliten warnten. Der Erfolg sprach jedoch für sich.

[...]


1 Ruffmann, 1967, S. 180.

2 Ruffmann, 1972, S. 163.

3 Schulze-Wessel, 2011, S. 180.

4 Ruffmann, 1972, S. 163.

5 Tuchtenhagen, 2001, S. 139.

6 Ruffmann, 1967, S. 175.

7 Heller, 2001, S. 27.

8 Ebenda.

9 Zitiert nach: Nesemann, 2001, S. 211f.

10 Nesemann, 2001, S. 212.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Religionspolitik unter Lenin und Stalin und ihre Folgen für das Christentum und den Islam
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte mit dem Schwerpunkt der Geschichte Osteuropas)
Veranstaltung
Islam in Russland (16.-20. Jahrhundert)
Note
2,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
23
Katalognummer
V285791
ISBN (eBook)
9783656860372
ISBN (Buch)
9783656860389
Dateigröße
1023 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
religionspolitik, lenin, stalin, folgen, christentum, islam
Arbeit zitieren
Matthias Thöne (Autor:in), 2013, Die Religionspolitik unter Lenin und Stalin und ihre Folgen für das Christentum und den Islam, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/285791

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