"Grecovery" und die Politik der Selbsttäuschung

Die Krise und ihre Folgen in Griechenland


Essay, 2014

10 Seiten


Leseprobe


“Grecovery" und die Politik der Selbsttäuschung

Abstract

Griechenland steckt derzeit in einer Obsession von der Rückgewinnung der internationalen Vertrauens und somit der Rückkehr in die Vergangenheit. Doch die Wirklichkeit ist ganz anders. Die griechische Gesellschaft ist buchstäblich zerrissen und es bestehen minimale gesellschaftliche Erwartungen.

Das soziale Mosaik in Griechenland ist derzeit gekennzeichnet durch das Risiko der Arbeitslosigkeit, das Risiko der Armut und der neuen Migration, also insgesamt dem Absturz des Lebensniveaus. Ein Bild, das keineswegs einen Aufschwung andeutet. Der Hauptgrund hierfür ist eine aufdiktierte Sparpolitik, die von einer Logik der inneren Abwertung beseelt ist.

Die griechische Gesellschaft sucht verzweifelt nach Auswegen aus der sozialen Misere und ist dementsprechend anfällig auf kuriose politische Versprechungen. Doch das große Problem ist, dass die politischen Parteien in Griechenland im Prinzip keine bestimmten Politikinhalte verkörpern, keine zusammenhängende programmatische Prioritäten und folglich keine reife Strategie für einen Ausweg aus der Krise.

Die Auswirkungen des Klientelismus

Haushaltspolitisch untragbare soziale Zusagen sind in Griechenland das effektivste Vehikel für den Aufstieg politischer Parteien an die Macht. Dennoch kalkulieren die griechischen Mainstream-Medien unnötigerweise, die programmatischen Ζusagen der Parteien bei deren öffentlichen Präsentation mit mathematischer Exaktheit, als würde dies von allein automatisch die Implementierung garantieren.

Jedem politischen Laien ist in Griechenland allerdings bekannt , daβ die etablierten Machtparteien seit jeher eine Politik des scheinbaren haushaltspolitischen Rationalismus verkörpern, die in Wirklichkeit in einem irrationalem System klienteler Zusagen und Gegenleistungen eingebettet ist. Auf diese Art und Weise erringen die etablierten Machtparteien das Vertrauen der Öffentlichkeit. Letztere wiederum vertrauten den Zusagen der Machthaber um Vorteile, Konzessionen und Privilegien zu erringen und den schwierigen Weg der Rationalisierung von Staat und Gesellschaft zu umgehen.

Mit einem ausgedehntem System der Vetternwirtschaft reservierte sich die griechische Gesellschaft den eigentlich selbstverständlichen Anspruch auf soziale Sicherheit und Wohlstand. Dieser Tatbestand verzehrte allerdings einerseits die Funktionsweise des Staates insgesamt und zehrte andererseits erheblich an den Staatsfinanzen. Mit anderen Worten war in historischer Hinsicht in Griechenland, der Anspruch auf „individuelles Glück” mit dem Anspruch auf kollektives Wohlergehen nicht unbedingt verkoppelt.

Die Vetternwirtschaft ist zwar keine griechische Erfindung, aber sie wird nirgendwo so systematisch praktiziert wie in Griechenland. Die jeweiligen Regierungen stellen ihre Anhänger zufrieden in der Hoffnung dabei auf Gegenleistungen und oft schrieben sie sogar die Gesetze zu deren Gunsten um.

Anders als in den Kontinentaleuropäischen Ländern entwickelten sich in Griechenland Strukturen eines wilden Korporatismus , welche kaum die einzelnen Partikularinteressen zähmen konnten. Vielmehr entwickelte sich ein bürokratischer Klientelismus , in Form von ausgedehnten und zerstreuten Klientelnetzwerken mittels derer die beiden grossen Volksparteien ( PASOK und Nea Dimokratia) die Verwaltung kontrollierten1.

Jede politische und soziale Gruppe bemüht sich durch ihre Beziehungen zu den Parteiennetzwerken in der Verwaltung ihre Einzelinteressen durchzusetzen. Das Ergebnis ist ein deformierter Staat der kaum den Weg einer umfassenden Europäisierung gehen kann, aufgrund seiner institutionellen Schwächen, die auf die nachhaltigen soziokulturellen Praktiken von Klientelismus, Personalismus und Rentiersmentalität zurückzuführen sind2.

Auf die Wirkung gewachsener Netzwerke organisierter Interessen in und um den Staat verweiste bereits Mancur Olson3. Er definierte diese Netzwerke als ‚redistributive Allianzen“ die ihrer eigenen Interessenslogig folgen. In der machtheoretischen Konstruktion Olsons prägt der Abhängigkeitsgrad der politischen Führung von kompakten Interessengruppen den politischen Entscheidungsprozeβ.

Je mehr gewisse Interessensgrippen der Lage sind ihre individuelle Nebeninteressen zu verfolgen und dabei etwaige negative Auswirkungen ihrer Bestrebungen auf die Gemeinschaft ignorieren , desto geringer ist die Möglichkeit einer politischen Entscheidungsfindung die dem Gemeinwohl dient. Umso schädlicher für die gesamte Gesellschaft können die resultierenden Politikoptionen sein.

Dementsprechend reagieren die machtvollen Interessengruppen in der Regel defensiv in Zeiten des Wandels und der verbreiteten Unsicherheit und versuchen Reformen –trotz externer Imperative – zu verhindern. Ein andauerndes Wachstum dieser redistributiven Allianzen kann u.U den Staat in enorme Berdrängnis bringen und lang ersehnte Modernisierungsprozesse verhindern.

Geradezu ein Paradebeispiel dafür ist Griechenland.

Wie Lavdas/ Chatzigianni treffend 4 betonen hat die “ begrenzte Reformfahigkeit Griechenlands auch eine durchgreifende Europaisierung behindert“. Daher verbleibt „ als„ wichtigste Herausforderung im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts bestehen, …. „Verbande und Interessengruppen dafür zu nutzen, Reformen zu befordern, statt diese weiter zu behindern. Aber schon die Art der Reform – ausgehandelt oder auferlegt – ist gegenwärtig Ursache für Konflikte und Auseinandersetzungen. So lies der Schock eines extern formulierten Austeritätsprogrammes, das Stabilisierung durch Deflation zu erreichen sucht, 2010/11 wenig Spielraum für andere Optionen. Zudem wird die gewerkschaftliche Beteiligung an nationaler Politik durch das Negativbeispiel der Umsetzung des von IWF, EU und EZB diktierten Memorandums und der darin festgelegten Reformvorgaben geprägt. Massnahmen, die daraufhin 2010 implementiert wurden, beschrankten unmittelbar und zu einem erheblichen Ausmas Arbeitnehmerrechte und schwächten die Gewerkschaften“. Dies ist jedenfalls ein fatales Ergebnis eines ungezügelten Korporatismus der in klientele Strukturen eingebettet ist.

Diejenigen die so tun als wüssten sie nichts von den strukturellen Defiziten von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat in Griechenland sind bestenfalls als naiv zu bezeichnen.

Denn die verhängnisvolle Komplizenschaft zwischen Gesellschaft und Macht zeitigte tragische Folgen die sich gegenwärtig in Form einer horrenden Staatsveschuldung manifestieren.

Ein Blick auf die Entwicklung der Schulden in Griechenland zeigt:, die griechischen Politiker sind in aller Regel unfähig zur dauerhaften Haushaltsdisziplin. Der Staat gab immer mehr aus als er einnimmt. Auch in den besten Zeiten. Das Resultat offenbart sich im Schuldenstand der immer neue Höchststände erreicht.

Das politische System reproduzierte sich lange unbedrängt unter Bedingungen der Verschleierung der realen politischen , wirtschaftlichen und finanziellen Zwänge. Es war jedoch vorauszusehen daβ diese Zwänge unter den geeigneten Umständen umso massiver zum Vorschein treten würden.

Die neuen Obsession: Das Grecovery

Zwar demokratisierte sich Griechenland rasch nach der Militärdiktatur von 1967-73 und integrierte sich schnell im europäischen Kontext. Gleichzeitig erlebte das Land aber fast 40 Jahre lang eine Phase imaginären Wohlstands, der auf Konsum -Obsessionen gegründet war. Ein Misszustand der bewusst von den herrschenden politischen und wirtschaftlichen Eliten geschürt wurde.

So ist Griechenland an der absoluten Sackgasse angelangt. Doch das Spiel mit den Halluzinationen wird von den Machteliten fortgesetzt . Illusionen werden sowohl von Regierung als auch von Opposition in Bezug auf das genannten "Grecovery" verbreitet. Grecovery bedeutet irgendwie etwas Licht am Ende des Tunnels, die Hoffnung auf ein Ende der Krise, auf die Erholung der griechischen Wirtschaft, auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und auf eine Rückkehr zum Wohlstand.

Es ist jedoch offensichtlich, dass es hierbei um eine von den Tatsachen entfernte Sicht handelt, zumal die Erholung des Landes im tiefen Gegensatz steht zum alltäglichen Elend der Griechen. Dennoch ist das „Grecovery“ gleichermaßen attraktiv und trügerisch. Die ständige Nachrichten über eine Aufwertung Griechenlands von den Rating-Agenturen, verbunden mit einer Steigerung seiner Kreditwürdigkeit. Dementsprechend der erneute Ζugang des Landes zu den Fianzmärkten.

Die geschürte Hoffnung auf eine Schuldenregelung durch eine Konferenz von Kreditgebern oder durch günstige Regelungen der EU Partnerländer.

Die Ankündigungen einer ganzen Reihe frivoler Programme für den Wiederaufbau und die Entwicklung.

All das ist integriert in einer Obsession von der Rückgewinnung der internationalen Vertrauens und somit der Rückkehr in die Vergangenheit.

Die sozialen Auswirkungen der Sparpolitik

Doch die Wirklichkeit ist ganz anders. Die griechische Gesellschaft ist buchstäblich zerrissen und es bestehen minimale gesellschaftliche Erwartungen.

Da aber eine Tendenz zur "Pornographie mit der Krise" im Sinne einer Dramatisierung und emotionaler Überbetonung besteht, versuchen wir im folgenden die Auswirkungen der Krise mit bestimmten unerbittlichen Zahlen zu manifestieren.

Ernüchternd sind zunächst einmal sind die Ζahlen was das politische Misstrauen der Bevölkerung gegenüber dem politischen System angeht Nach einer aktuellen Umfrage misstraut der grösste Teil der Gesellschaft der Linksopposition des Syriza genauso wie der Regierung. Während 64 % der Befragten nicht an dem Versprechen der Regierung vom Ausstieg aus den Memoranden“ glaubt, erwarten 69 % auch von einer Syriza-Regierung nicht den von ihr versprochenen Ausstieg . Nur 10 % glauben das die gegenwärtige Regierung „ganz sicher“, ihr Ausstiegsversprechen einlösen kann. Was das gleiche Versprechen von der Linksopposition angeht glaubt nur 5 % der Befragten an eine Einlösung“ 5.

Was nun die gesellschaftlichen Folgen der Krise anbelangt, sind die Ζahlen umso dramatischer.

Die Jugendarbeitslosigkeit im Alter unter 25, lag 2013 auf 64% während sie in Deutschland vergleichsweise auf 8% lag . Heute hat sich diese Zahl aufgrund der erhöhten Migration etwas verringert. Es ist bezeichnend, dass in den letzten vier Jahren rund 140.000 junge Wissenschaftler ins Ausland auswanderten.

Die Auswirkungen der Krise in Griechenland werden u.A von den verschiedenen sozialen Berichten der Europäischen Kommission dokumentiert. Nach diesen Berichten6 ist in Griechenland die größte Zunahme von Arbeitslosigkeit (+ 19,7%) der arbeitenden Bevölkerung seit dem Tief von März 2008 anzutreffen. Genauso , die größte Reduktion der Nominallöhne je Arbeitnehmer im Jahr 2012 (-4,2%), der größte Kostenreduktion des Arbeitsfaktors im gleichen Jahr (-6,2%), die größte Reduktion der Produktionskosten pro Arbeitseinheit (-5,5%), die höchste Steigerung im Vergleich zu 2008 des Anteiles der jungen Menschen, die weder in der Ausbildung oder auf dem Arbeitsmarkt sind (+ 8,6% der Bevölkerung im Alter von 15-24 Jahren ), der größte Rückgang der Beschäftigung (-11,6%) seit 2008 und die größte Zunahme der Auswanderung in andere Länder der Europäischen Union (+ 170%).

Insgesamt sind die Berufsaussichten im Land katastrophal. Griechenland gilt inzwischen nicht nur als der europäische "Champion“ der Arbeitslosigkeit ", sondern als der neue "Champion" weltweit! Die offizielle Arbeitslosenrate für das erste Halbjahr 2014 erreichte 28% ( 2.000.000 Menschen). Bei Frauen haben wir eine Arbeirtslosenquote von 35%. Nur 10,5% der Arbeitslosen bekommen Arbeitslosengeld. Die Langzeitarbeitslosen sind inzwischen insgesamt 1.000.000 Personen im Vergleich zu 3,5 Millionen Beschäftigten. Die letzte ILO Studie mit dem Titel „Productive Jobs for Greece“ „ beschreibt die bisherigen Möglichkeiten zur Beschäftigungsschaffung im Land als „anämisch“. Mehr als 70 Prozent der fast 1,3 Millionen Arbeitslosen in Griechenland sind länger als ein Jahr ohne Arbeit. Seit der Krise 2008 ist einer von vier Arbeitsplätzen verloren gegangen.

Der Anteil der Griechen, die einem Armutsrisiko ausgesetzt sind, hat sich innerhalb von fünf Jahren mehr als verdoppelt und stieg von 20 Prozent im Jahr 2008 auf mehr als 44 Prozent 2013“ 7.

Wie der jüngste OECD-Bericht über die Beschäftigungsaussichten (Employment Outlook 20148 ) dokumentiert wird eine Arbeitslosigkeit in Griechenland erwartet, die insgesamt über dem Vorkrisenniveau liegt, trotz eines begrenzten Rückganges gegen Ende 2015. Griechenland, so der Bericht, hat eine der höchsten Raten von Langzeitarbeitslosigkeit unter den OECD-Ländern. Dieser Prozentsatz stieg von 49% auf 71% zwischen dem vierten Quartal 2007 und dem ersten Quartal 2014. In dem Bericht heißt se auch, dass der Rückgang der Reallöhne in Griechenland der größte unter den OECD-Ländern war (mehr als 5% pro Jahr im Durchschnitt im, ersten Quartal 2009).

In Bezug auf Armut, ist Griechenland in der vierten Position unter den 28 Mitgliedsstaaten der EU mit dem höchsten Anteil von Menschen, die in Armut leben auf der Grundlage von Daten des NSSG (National Statistical Service of Greece)

Nach der NSSG stieg der Anteil der Griechen, die im Jahr 2013 an der Armutsgrenze lebten (Einkommen von weniger als 60% des nationalen verfügbaren Median-Äquivalenzeinkommens) auf 34,6% oder 3.795.100 Menschen. In der Tat wächst diese Zahl stetig an. Seit 2010 des Jahres wo das erste Memorandum verabschiedet wurde. Im Jahr 2010 lebten noch 27,6% der Bevölkerung an der Armutsgrenze. Im Jahr 2011, waren es 27,7 %, im Jahr 2011 , 31 %, im Jahr 2012 , und 34, 6 % im Jahr 2013. Wie die Zahlen der NSSG deutlich zeigen hat sich das Armutsrisiko nach 2010 erhöht, genauso wie sich die Armutslücke um 24,1% erhöht hat. Das Risiko von Armut oder sozialer Ausgrenzung hat um sieben Prozentpunkte auf 25,4% erhöht.

Bemerkenswert ist ebenfalls , dass nur die Zahl der Haushalte die ohne Strom auskommen mussten aufgrund unbezahlter Rechnungen zu Beginn des Winters 2013 auf 350.000 geschätzt wurden.

Parallel dazu gerät Griechenland aufgrund der Sparpolitik immer mehr in eine Gesundheitskrise9. Dies behaupten in einer Studie Forscher der britischen Universitäten Cambridge, Oxford und London Nach Ansicht der Forscher traf der rigide Sparkurs vor allem die Vorsorgeprogramme . Dies hatte zur Folge dass die Zahl der HIV-Neuinfektionen dramatisch angestiegen. Ebenso „wurde das Budget der Krankenhäuser um ein Viertel reduziert, die Ausgaben für Medikamente wurden auf die Hälfte zusammengestrichen. Ärzte und Kliniken reagierten mit Gebühren, die viele Griechen angesichts dramatisch sinkender Einkommen und Rekordarbeitslosigkeit nicht zahlen können. Weil Arbeitslose zudem nach zwei Jahren ohne Job ihre Krankenversicherung verlieren, stehen der Studie zufolge mittlerweile geschätzt 800.000 Griechen komplett ohne Schutz da. Besonders sind die Auswirkungen auf Kinder hervorzuheben: Die Zahl der Kinder mit niedrigem Geburtsgewicht ist allein zwischen 2008 und 2010 um 19 Prozent gestiegen, die Zahl der Totgeburten um mehr als 20 Prozent.

Der Hauptgrund für die aufgeführten sozialen Auswirkungen ist die aufdiktierte Sparpolitik, realisiert von verschiedenen ,Memoranden die von einer Logik der inneren Abwertung beseelt sind. Es handelt sich hierbei um drastische Kürzungsprogramme die faktisch fundiert sind auf der Logik einer strukturellen Kopplung von massiven Lohn-, und Rentenkürzungen, der Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse, der zunehmenden Intensivierung der Arbeit, den Entlassungen im öffentlichen Sektor , der Überbesteuerung niedriger und mittlerer Einkommen, der ausgedehnten Reduzierung öffentlicher aber auch privater Investitionen,.

Der Rückgang der Innlandsnachfrage, der Innlandsproduktion und des BIP in Kombination mit der Massenschliessung von Kleinunternehmen sind das Ergebnis eines zweifelhaften Spiels mit einer numerischen Haushaltskonsolidierung. Wie der Professor für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Athener Panteion-Universität und Direktor des Forschungsinstituts für Arbeit der Gewerkschaftsdachverbände, Savas Robolis10 vorrechnet „von den 960.000 griechischen Unternehmen hätten 930.000 im Schnitt nicht mehr als vier Mitarbeiter…“ . Es handele sich hierbei um Kleinstunternehmen "ohne hohes Wettbewerbsniveau, die vor allem auf Produkte und Dienstleistungen für die 3,5 Millionen privaten griechischen Haushalte spezialisiert seien. Wenn man diesen nun das Einkommen senkt, drückt man automatisch die Nachfrage und den Konsum. Die kleinen Unternehmen, die keine Liquidität hätten, seien schnell am Ende“. "Genau das ist eingetreten", nach Robolis. Allein im Jahr 2010 machten rund 60.000 dieser Mini-Firmen dicht, und 2011 war die Zahl noch höher. Nach Berechnungen der Griechischen Industrie-, und Handelskammer haben seit Anfang der Krise bereits 200.000 kleine und mittlere Firmen geschlossen und es sollen in Zukunft noch 300.000 folgen wenn diese Politik fortgesetzt wird 11

In einfachen Worten, ist die soziale Mosaik in Griechenland derzeit gekennzeichnet durch das Risiko der Arbeitslosigkeit, das Risiko der Armut und der neuen Migration , also insgesamt dem Absturz des Lebensniveaus . Ein Bild, das keineswegs an ein «Grecovery» erinnert.

Die fehlende politische Kapazität

Unter solchen Umständen sucht die griechische Gesellschaft verzweifelt nach einer Rettungschance und ist dementsprechend anfällig auf neue kuriose politische Versprechungen. .

Doch das große Problem ist, dass die politischen Parteien in Griechenland im Prinzip keine bestimmten Politikinhalte verkörpern und damit keine zusammenhängende programmatische Prioritäten die auf konkrete und zeitnahe wirtschaftliche und soziale Studien fundiert wären.

Dieser Tatbestand beruht darauf dass der Machtanstieg in Griechenland auf soziale und politische Vielschichtigkeit reduziert ist dh also auf Parteien „die für Wähler und Mitglieder aller gesellschaftlicher Schichten und unterschiedlicher Weltanschauungen im Prinzip offen“ sind. Otto Kircheiner sprach in dieser Hinsicht von einer Umformung der Massenintegrationsparteien , die in einer Zeit schärferer Klassenunterschiede und deutlich er erkennbarer Konfessionsstrukturen entstanden war, zu Allerweltsparteien (catch-all partys), zu echten Volksparteien.

Die Allerweltsparteien bemühen sich kaum die Massen geistig und moralisch einzugliedern, und konzentrieren sich primär auf die Wählerschaft. Sie opfert also eine tiefere ideologische Durchdringung für eine weitere Ausstrahlung und einen rascheren Wahlerfolg12.

Der Machtanstieg basiert in Griechenland in hohem Maße auf klassenspezifische Unklarheit und ideologische Verschwommenheit . Daher ind seitens der Parteien kaum eine kollektive, direkte und echte Klassenbezogenheit anzutreffen noch Praktiken und Verpflichtungen im diesem Sinne. . Die Verpflichtungen der Parteien in Griechenland gegenüber gewissen Klassen oder bestimmten Interessensgruppen bilden sich eher unter den Tisch und indirekt heraus und sind an der Reproduktion der Machtelite gekoppelt. . Griechenland ist das Land in dem sich der Klassenkompromiss auf der Hinterbühne des öffentlichen Geschehens harausbildet. Aus diesem Grunde erscheinen nicht selten im Land selbst die bürgerlichen Machtparteien kommunikativ, als Verteidiger der Schwachen und die sogenannten fortschrittlichen Parteien als Anwälte des Unternehmertums. Ein Durcheinander ohnegleichen.

Welche Partei kennt zB. wirklich die Probleme , der produktiven Klassen an der Grenzgebieten Griechenlands, an den abgelegenen ländlichen Gebieten oder den benachteiligten Stadtgebieten?

Welche politische Partei kennt das wahre Bild der Marktsituation, oder das Ausmas der Überbesteuerung der Haushalte ?

Welche Partei ist sich bewusst, wie die Kleinunternehmer ihren Alltag bewältigen oder wie die Obdachlosen um ihr Überleben kämpfen?

Die Periode der Memmoranden seit 2010 bewirkte bei den Griechen ein tiefes Gefühl der Abneigung gegenüber den politischen Eliten, gegenüber der EU, manchmal gegenüber der deutschen Regierung, gegenüber den Immigranten, gegenüber den Gewerkschaftlern, gegenüber dem staatlichen Sektor und gegenüber den Arbeitgebern. Eine tiefe Legitimationskrise von gesellschaftlicher , politischer und kultureller Tragweite. In der Regel Griechen warten die Entwicklungen ab mit innerer Wut und geballter Faust in der Tasche.

Das Eintretten von wirtschaftlichem Wachstum von allein ohne nennenswerte Verbesserungen im Alltag und ohne Aufdeckung der realen Situation des Landes ist sicher nicht genug, um die Wut zu entschärfen. Die Menschen im Land wollen wieder anständig leben, nicht aber ohne die absolute Wahrheit zu erfahren. .

Iraklion, 1-12-2014

[...]


1 Lavdas, K. A., Interest Groups in Disjointed Corporatism: Social Dialogue in Greece and European ’Competitive Corporatism’, in: WEP 28 (März 2005) 2, S. 297-316.

2 ebda.

3 Olson, Mancur (1971), The Logic of Collective Action: Public Goods and the Theory of Groups. Cambridge, MA: Harvard University Press, 2nd ed.

4 Kostas A. Lavdas und Efthalia Chatzigianni Griechenland. Interessengruppen und Politik im Zeitalter der Europaisierung. In : Werner Reutter (Hrsg.) Verbände und Interessengruppen in den Ländern der Europäischen Union, 2., aktualisierte und erweiterte Auflage, VS Verlag fόr Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012, s. 247- 274

5 Griechenland: Es riecht nach Wahlen – Über die Chancen der Syriza Niels Kadritzke http://www.nachdenkseiten.de/?p=23764

6 Siehe zB Entwicklungen in den Bereichen Beschäftigung und Soziales: weiteres Auseinanderdriften und wachsende Gefahr langfristiger Ausgrenzung http://ec.europa.eu/social/main.jsp?langId=de&catId=89&newsId=1774&furtherNews=yes und EU-Jugendbericht: Beschäftigung und soziale Inklusion müssen oberste Priorität erhalten http://europa.eu/rapid/press-release_IP-12-948_de.htm

7 http://www.ilo.org/berlin/presseinformationen/WCMS_322469/lang--de/index.htm

8 http://www.keepeek.com/Digital-Asset-Management/oecd/employment/oecd-employment-outlook-2014_empl_outlook-2014-en#page1

9 Folgen der Sparpolitik: Säuglingssterblichkeit in Griechenland steigt um 43 Prozent von Florian Diekmann und Nicolai Kwasniewskihttp://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/studie-sparkurs-hat-verheerende-folgen-fuer-gesundheit-der-griechen-a-954879.html

10 Wirtschaftskrise: Griechenland droht die Massenarmut Aus Athen berichtet Manfred Ertel http://www.spiegel.de/politik/ausland/wirtschaftskrise-griechenland-droht-die-massenarmut-a-772787.html

11 ΕΠΙΧΕΙΡΗΣΕΙΣ 13.10.2014 ΕΕΑ: Προβλέψεις για κλείσιμο 300.000 επιπλέον επιχειρήσεων http://www.kathimerini.gr/787865/article/oikonomia/epixeirhseis/eea-provleyeis-gia-kleisimo-300000-epipleon-epixeirhsewn

12 Kirchheimer, Otto, Der Wandel des westeuropäischen Parteiensystems, in: Politische Vierteljahresschrift 6. Jg. (1965), Heft 1, s.20-41.

Ende der Leseprobe aus 10 Seiten

Details

Titel
"Grecovery" und die Politik der Selbsttäuschung
Untertitel
Die Krise und ihre Folgen in Griechenland
Autor
Jahr
2014
Seiten
10
Katalognummer
V285392
ISBN (eBook)
9783656860273
ISBN (Buch)
9783656860280
Dateigröße
506 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
grecovery, politik, selbsttäuschung, krise, folgen, griechenland
Arbeit zitieren
Emmanuel Mavrozacharakis (Autor:in), 2014, "Grecovery" und die Politik der Selbsttäuschung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/285392

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