Der Mongolensturm


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

25 Seiten, Note: gut plus (2+)


Leseprobe


Gliederung:

Einleitung

I. Vorgeschichte
1. Die Situation in der Kiever Rus‘ vor dem Einbruch der Mongolen
2. Die Entwicklung des Mongolischen Reichs unter Čingiz-Chan

II. Erster Zusammenstoß
1. Die Schlacht an der Kalka
2. Innenpolitische Auswirkungen auf die Rus‘
3. Weitere Entwicklung des Mongolischen Reichs

III. Der Europafeldzug
1. Die Unterwerfung der Rus‘
2. Die Folgen des Falls der Rus‘ für Europa
3. Folgen für die Rus‘

Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Einleitung

„In demselben Jahre sind um unserer Sünden willen unbekannte Stämme gekommen. Niemand hat recht gewußt, wer sie sind und von wo sie aufgebrochen sind, welches ihre Sprache ist, aus welchem Geschlecht sie stammen und welcher ihr Glauben ist. Man nennt sie Tataren, andere aber sagen, sie heißen Taurmenen, noch andere sagen, Petschenegen. Wiederum etliche behaupten, es wären diejenigen, von welchen Methodius von Patara gesagt hat, sie kämen von der Etriw-Wüste, welche zwischen Ost und Nord liegt. Denn Methodius sagt, wenn das Ende der Zeiten käme, dann würden diejenigen erscheinen, welche Gideon vertrieben hatte. Sie würden den ganzen Erdkreis vom Osten bis zum Euphrat und vom Tigris bis zum Pontischen Meer – außer Äthiopien – erobern. Nur Gott allein weiß, wer sie sind und von wo sie aufgebrochen sind. Das werden wohl die weisen Männer, welche die Bücher verstehen, gut begreifen; wir aber wissen nicht, wer sie sein könnten. Hier tragen wir es nur zum Gedächtnis der Not ein, welche sie über die russischen Fürsten gebracht haben.“[1]

Mit diesen Worten berichten die russischen Chronisten vom ersten Zusammentreffen mit dem fremden Reitervolk der Mongolen, welche, nahezu unbemerkt von der abendländischen Welt, unter ihrem Anführer Čingiz-Chan ein Reich errichtet hatten, das nicht nur von seiner Ausdehnung her nichts Vergleichbares kannte, noch von seiner politischen Organisation her Vergleiche mit anderen Hochkulturen scheuen muss.

Ihre Ankunft in Europa im 13. Jahrhundert wurde von vielen als Strafe Gottes der Sünden wegen – die Überlieferungen haben einen apokalyptischen Grundton – angesehen. Sicherlich bedeutet sie einen enormen Einschnitt in die Geschichte Europas, welche dadurch nicht nur beeinflusst, sondern nachhaltig geprägt wurde.

I. Vorgeschichte

1. Die Situation in der Kiever Rus‘ vor dem Einbruch der Mongolen

Als die Mongolen im 13. Jahrhundert über Rußland hinein brachen, trafen sie auf ein Reich, das nach Hans von Rimscha „durch Uneinheitlichkeit, Zerrissenheit und Vielgestaltigkeit charakterisiert“[2] war.

In der Forschung wird der Niedergang des Kiever Reichs mit dem Tod Jaroslavs des Weisen im Jahre 1054 eingeläutet. Dieser versuchte bereits frühzeitig zu Lebzeiten eine klare Struktur in die Erbfolge zu bringen und teilte das Reich nach politisch- wirtschaftlichen Aspekten unter seinen fünf Söhnen ihrem Alter entsprechend auf. Izjaslav, der Älteste, erhielt Kiev mit Novgorod. Ihm sollten die Brüder an des Vaters statt gehorchen. Svjatoslav sollte in Černigov, Vsevolod in Perejaslavl‘, Igor im wolhynischen Vladimir und Vjačeslav in Smolensk seine Residenz haben. Für die Erbfolge auf dem Kiever Fürstenstuhl war stets der Senior der Dynastie vorgesehen, sodass nach dem Tode des Kiever Großfürsten ein Nachrücken der jüngeren Brüder erfolgen muss, was seit 1068 zu ständigen Bruderkriegen führte.

Diese Erbfolgeordnung des Seniorats barg eine Unzulänglichkeit, die Günther Stökl wie folgt beschreibt: „Das System mußte allen moralischen und patriotischen Ermahnungen zum Trotz unlösbare Verwicklungen nach sich ziehen, wenn sich die Fürstensippe rasch vermehrte und in immer mehr Teilfamilien aufspaltete.“[3]

Darüber hinaus litt „die Ordnung, die Jaroslav hinterlassen hatte, [...] von Anfang an zwei Grundfehlern, indem sie weder das Fürstentum Polock berücksichtigte, in dem die Nachkommen von Jaroslavs Bruder Izjaslav regierten, noch die Nachkommen von Jaroslavs ältestem Sohn Vladimir, der zwei Jahre vor dem Vater gestorben und vorher Fürst in Novgorod gewesen war.“[4] Daraus resultierten immer wieder Onkel- Neffenkonflikte, welche charakteristisch für das Seniorat sind und die russische Geschichte bis in die Moskauer Zeit erfüllten.

Infolge der neuen Erbfolgeordnung und der daraus resultierenden Bruderkriege lässt sich eine Stärkung der politischen Rolle und Bedeutung der städtischen Bevölkerung gegenüber dem Fürsten erkennen; ebenso nahm jedoch die Gefahr von Außen, insbesondere durch die Kumanen oder Polovcer seit 1061 zu.

Auf einer Fürstenversammlung in Ljubeč im Jahre 1097 wurde der Versuch unternommen, die Unzulänglichkeiten des Seniorats zu beheben und das Gesamtreich neu zu ordnen: Die Teilgebiete wurden den einzelnen Zweigen des Rurikidenhauses zu erblichem Besitz neu zugewiesen. Kiev galt jedoch nach wie vor als Besitz der gesamten Rurikidendynastie.

Eine Kontinuität und Stabilität blieb aber erneut aus. Im Gegenteil: die Auflösung des Russischen Reiches wurde dadurch nur noch beschleunigt. Irene Neander beschreibt diesen Prozess treffend: „Auf einem Fürstentag [...] wurde zwar bestimmt, daß jeder in seinem Vatererbe [...] bleiben sollte, der Kampf um den Großfürstensitz Kiev wurde danach jedoch nicht aufgegeben, und in den einzelnen Territorialfürstentümern ging die Teilung nach dem Prinzip des Seniorates weiter, was sowohl zu einer immer größeren Zersplitterung als auch zur Fortsetzung der Fehden, wenn auch in kleinerem Maßstab, führte.“[5]

Die unaufhörlichen Kriege zwischen den verschiedenen Linien der Rurikiden lassen die Städte allmählich zurück- und einen landbesitzenden Adel, die Bojaren, hervortreten.

Zum letzten Mal in der Geschichte Rußlands zeigte sich Kievs Vormachtstellung unter Vladimir II. Monomach (* 1053, + 1125). „Bei den unteren Schichten der Bevölkerung sprach für ihn, daß er der Willkür der Reichen und Mächtigen durch das Gesetz Schranken auferlegte, indem er den Zinsfuß herabsetzte und die Schuldknechtschaft milderte; die Reichen und Mächtigen waren zufrieden, daß er das Eigentum schützte und die Ordnung wieder herstellte; die Fürsten respektierten seine Macht von vornherein oder bekamen zu fühlen, daß er auch schnell und hart durchgreifen konnte“[6], schreibt Günther Stökl. Jedoch gelang es auch ihm nicht, den schon weit fortgeschrittenen Prozess dauerhaft zu stoppen. Stökl kommt zu dem Fazit, dass „auf das Ganze des Kiever Staates gesehen [...] Vladimir Monomach nicht eine dauerhafte Ordnung [ge]schaffen [hat], sondern nur eine erfolgreiche Herrschaft [hat] ausüben können.“[7]

Das politische Gewicht verlagerte sich in der Folgezeit endgültig in die mittlerweile nahezu selbstständigen Fürstentümer und Stadtstaaten. Der Kampf um Kiev als Hauptstadt des einstigen Einheitsstaates dauerte aber dennoch an.

Spätestens im Jahre 1169 wird der Bedeutungsverlust Kievs unübersehbar: Andrej Bogoljubiskij, der Sohn Jurij Dolgorukijs, der von 1149 bis 1157 Großfürst von Kiev war und dem als fünften Sohn Vladimir Monomachs das ferne Gebiet um Vladimir im Nordosten zugefallen war, besiegte und tötete den Kiever Großfürsten, plünderte Kiev, verzichtete jedoch auf die Verlegung seiner Residenz an den Dnjepr, sondern blieb in seinem Fürstentum Suzdal‘-Vladimir und ließ das Kiever Fürstentum durch einen bedeutungslosen Vasallen verwalten. Kiev war sozusagen zur Provinz degradiert. Dazu Stökl: „Das Verhältnis hatte sich umgekehrt: Die Mächtigen zog es nicht mehr nach Kiev, um Großfürst zu werden und – wenigstens dem Anspruch nach – über das Reich zu herrschen, sondern die Großfürstenwürde löste sich vom Kiever Territorium und begab sich auf Wanderschaft, den Mächtigsten zu suchen.“[8]

Die soziale Gliederung in diesem neu entstehenden Rußland mit neuen Zentren im Nordosten (Suzdal'-Vladimir), im Norden (um Novgorod) und im Westen (um Galicien) erinnert an den westlichen Feudalismus, mit dem Adel an der Spitze der Hierarchie, darunter mehrere Bauernklassen und darunter die Sklaven.

Die Kämpfe mit Steppenvölkern und die Streitigkeiten der Teilfürsten untereinander um die Großfürstenwürde setzten sich im 13. Jahrhundert bis zum Einbruch der Mongolen fort.

Zu Beginn des 13. Jahrhunderts lassen sich folgende häufig wiederum geteilte Fürstentümer aufzählen: Kiev, Černigov, Perejaslavl‘, Galicien, Wolhynien, Turov-Pinsk, Polock, Murom-Rjasan, Suzdal'-Vladimir, Smolensk und Novgorod, die weitestgehend selbstständig lediglich durch das gemeinsame Band der Kirche und der Dynastie gehalten wurden.

Werner Philipp charakterisiert die Situation wie folgt: „Rußland war am Anfang des 13. Jahrhunderts in zahlreiche Territorien aufgeteilt, die jeweils als Ganzes Hausgut einzelner Zweige der Dynastie waren, aber durch endlose Realteilungen unter Beibehaltung der Herrschaftsansprüche aller Mitglieder der Familie immer weiter aufgespalten wurde.“[9]

In dieses Machtvakuum stießen die Mongolen vor.

2. Die Entwicklung des Mongolischen Reichs unter Čingiz-Chan

Als im 13. Jahrhundert erstmalig die Mongolen zunächst in der Steppenzone auftauchten, wurde darin von Seiten der russischen Fürsten keine besondere Gefahr gesehen. Zu oft hatte man in der Vergangenheit Angriffe von Nomadenvölkern aus der Steppe abwehren müssen und die Erfahrung hatte gelehrt, dass sich wohl auch dieses unbekannte Volk früher oder später niederlassen würde und sich die Beziehungen zu ihm im Laufe der Zeit – sei es durch Handelsverträge, Eheschließungen oder Ähnlichem – stabilisieren und normalisieren würden.

Dass es sich hierbei aber um eine völlig neue Entwicklung handelte, die durchaus die volle Aufmerksamkeit der Fürsten gerechtfertigt hätte, bringt Hans von Rimscha auf den Punkt: „Denn was jetzt hier vor sich ging, war keineswegs eine Wiederholung des Früheren, sondern etwas ganz Neues, ja es war ein bis dahin noch nicht dagewesener Vorgang in der Geschichte [...]: die Unterstellung fast des gesamten asiatischen Kontinents einschließlich großer Teile von China und der gesamten mittelasiatischen Gebiete unter eine Zentralherrschaft und die sich daraus ergebende Begründung des größten, territorial geschlossenen Reiches, das die Welt – soweit unsere Kenntnis reicht – je gesehen hat.“[10]

Mit Temučin besaß dieses Reich einen Anführer, einen „geradezu idealtypischen, charismatischen Kriegsherren“[11], dem es gelungen war, die verschiedenen mongolischen Stämme zu vereinen. Das dies keineswegs friedlich vonstatten ging, beschreibt Johannes von Plano Carpini in seinem Reisebericht: „Er ging in fremde Länder und ließ niemanden fort, dessen er nur habhaft werden und den er für seine Schar gewinnen konnte. Er machte sich die Männer seines Volkes geneigt, die ihm als Anführer zu jeglichen Missetaten folgten. Er begann, nachdem er viele Männer um sich gesammelt hatte, mit den Sumongal – das heißt den Tartaren – zu kämpfen, tötete ihren Führer, unterwarf sich alle Tartaren in heftigem Kampf und führte sie in die Knechtschaft. Danach kämpfte er mit allen Völkern dort: Die Merkit, die nahe am Land der Tartaren lebten, unterwarf er ebenfalls im Kampf; von dort aus kämpfte er gegen die Mecrit und besiegte auch sie.“[12]

[...]


[1] Zenkovsky, Serge A. (Hrsg.): Aus dem alten Russland. Epen, Chroniken und Geschichten, München / Wien 1968, S. 167.

[2] von Rimscha, Hans: Geschichte Rußlands, 2. Auflage, Darmstadt 1970, S. 65.

[3] Stökl, Günther: Russische Geschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, 6. erw. Auflage, Stuttgart 1997, S. 94.

[4] ebd., S. 95.

[5] Neander, Irene: Russische Geschichte in Grundzügen, 4. Auflage, Darmstadt 1988, S. 33.

[6] Stökl, Günther, a.a.O., S. 99.

[7] ebd., S. 101.

[8] ebd., S. 104.

[9] Philipp, Werner: Altrußland bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, in: Golo Mann, August Nitschke (Hrsg.): Propyläen Weltgeschichte. Eine Universalgeschichte, 5. Band, Berlin / Frankfurt a. M. 1963, S. 244ff.

[10] von Rimscha, Hans, a.a.O., S.86

[11] Kulke, Hermann: Mongolen in Asien und Europa? Einleitende Gedanken, in: Stephan Conermann, Jan Kusber (Hrsg.): Die Mongolen in Asien und Europa, Kieler Werkstücke, Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte (herausgegeben von Rudolf Jaworski und Peter Nitsche), Band 4, Frankfurt a. M. / Berlin / Bern / New York / Paris / Wien 1997, S. 14.

[12] von Plano Carpini, Johannes: Kunde von den Mongolen 1245 – 1247, in: Jürgen Osterhammel, Folker Reichert (Hrsg.): Fremde Kulturen in alten Berichten, Band 3, Sigmaringen 1997, S. 60f.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Der Mongolensturm
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Seminar für Osteuropäische Geschichte)
Veranstaltung
Die Geschichte der Kiever Rus'
Note
gut plus (2+)
Autor
Jahr
2004
Seiten
25
Katalognummer
V28538
ISBN (eBook)
9783638302920
Dateigröße
670 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mongolensturm, Geschichte, Kiever
Arbeit zitieren
Peter Brendebach (Autor:in), 2004, Der Mongolensturm, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28538

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Der Mongolensturm



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden