Extremismus im Internet

Die Bedeutung des Internets für die Mobilisierungsprozesse von Rechtsextremisten und Islamisten im Vergleich


Bachelorarbeit, 2014

49 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Einleitung

1. Begriffsbestimmungen
1.1. Begrifflichkeiten im Kontext des Rechtsextremismus
1.2. Begrifflichkeiten im Kontext des Islamismus

2. Die Ideologie als Basis von Extremismus
2.1. Ideologiekritik als theoretisches Konstrukt der Soziologie
2.2. Rechtsextremistische Ideologien
2.3. Islamistische Ideologien

3. Soziale Bewegungen und Mobilisierungsprozesse
3.1. Theorien sozialer Bewegungen
3.2. Mobilisierungsprozesse und deren Faktoren
3.2.1. Rekrutierung
3.2.2. Framing-Analyse und kollektive Identität
3.2.3. Theorien der Ideenverbreitung

4. Mobilisierung durch das Internet
4.1. Rechtsextremistische Mobilisierung durch das Internet
4.2. Islamistische Mobilisierung durch das Internet
4.3. Die Rolle des Internets für die Mobilisierung von Rechtsextremen und Islamisten als soziale Bewegung

5. Strukturelle Inhaltsanalyse
5.1. Die Methode der Inhaltsanalyse
5.2. Das Codierschema
5.2.1. Codierschema nach Caiani & Parenti
5.2.2. Framinganalyse nach Snow & Benford
5.2.3. Codiervorgang und Auswertungsschema
5.3. Das Untersuchungsmaterial
5.4. Auswertung der Ergebnisse

Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abb.1 Auswertungsschema nach Caiani und Parenti

Abb.2 Screenshot: Startseite von „Altermedia“

Abb. 3 Screenshot: Startseite „GIMF“

Tab. 1: Auswertungsschema nach Caiani und Parenti

Tab. 2: Auswertungsschema nach Snow und Benford

Einleitung

Eric Hobsbawm (1995) beschrieb das 20. Jahrhundert als Zeitalter der Extreme. Es ist sogleich das „Geburtszeitalter“ von Kommunismus und Nationalsozialismus gewesen mit dem Auf- und Abstieg der extremen Linken und extremen Rechten mit dem Ausgang des Scheiterns. Parallel dazu vollzieht sich durch das 20. Jahrhundert ein rasanter sozialer Wandel der, im 21. Jahrhundert angekommen, als Ergebnis eine funktional ausdifferenzierte Gesellschaft zeigt (vgl. Luhmann 2005: 125). Extremismus präsentiert sich nicht in einem politischen, einheitlichen Regime, sondern in vielen verschiedenen Gruppierungen, die aus ihrer Ideologie heraus der neuen Heterogenität entgegenzuwirken versuchen.

Die Vielzahl an extremistischen Bewegungen büßt durch ihre nicht immer hohen Teilnehmerzahlen nicht an Gefährlichkeit ein. Das zeigen, auf Deutschland bezogen, der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) und die Sauerland Gruppe. Die NSU beging seit den frühen 1990er Jahren diverse Anschläge und konnte über zehn Jahre hinweg unbemerkt fremdenfeindlich motivierte Morde begehen1. Die Sauerland Gruppe plante ebenfalls mehrere Jahre lang Sprengstoffanschläge und verabredete sich zum Mord, konnte jedoch vor Begehung der Tat verhaftet werden2.

Extremismus ist kein Phänomen, das große Bevölkerungsgruppen in Deutschland betrifft, dennoch ist das vereinzelte Vorkommen von gewaltbereiten Extremismus umso schockierender.

In dieser Arbeit spielt jedoch nicht allein das Phänomen des Extremismus eine Rolle, sondern soll zusammen mit der Entwicklung des Internets betrachtet werden. Die Forschungsfrage, die in dieser Arbeit beantwortet werden soll, lautet: „Welche Bedeutung hat das Internet für Mobilisierungsprozesse von Rechtsextremisten und Islamisten im Vergleich?“

Seit Beginn der 2000er Jahre ist die Onlinepräsenz von extremistischen Gruppierungen im Internet bedeutend gestiegen. Extremisten wie der 21-Jährige Arid Uka, der im März 2011 am Frankfurter Flughafen zwei amerikanische Soldaten erschoss und sich nach eigenen Angaben allein über Jihad-Propaganda Videos aus dem Internet radikalisierte (vgl. Conway 2012: 279). Welche Rolle genau aber das Internet bei der Mobilisierung von Extremisten spielt, darüber existieren bis jetzt kaum wissenschaftliche Arbeiten. In dieser Arbeit soll jedoch nicht nur die Mobilisierung durch das Internet untersucht werden, sondern es soll auch in einen Vergleich der Mobilisierungsprozesse zwischen Rechtsextremisten und Islamisten übergehen. Sind hier Unterschiede vorhanden und wie lassen diese sich feststellen?

Zum Beantworten der Forschungsfrage ist eine breite theoretische Ausarbeitung geplant, die das Fundament für die Inhaltsanalyse zweier Websites bilden soll.

Zunächst wird eine Begriffsbestimmung vorgenommen, bei der die Schwierigkeiten von Begriffen der Extremismusforschung verdeutlicht werden soll und die Begriffe, die für diese Arbeit verwendet werden, definiert werden. Im zweiten Kapitel werden die Ideologien von Rechtsextremismus und Islamismus erläutert werden, nachdem ein kurzer Abschnitt der Ideologiekritik auf die theoretische Komplexität dieses soziologischen Konstruktes hingewiesen hat. Das dritte Kapitel umfasst einen Exkurs zu sozialen Bewegungen, aus dem heraus auch das Kapitel der Mobilisierungsprozesse entspringt. In dem Abschnitt zu sozialen Bewegungen soll eine Herleitung stattfinden, in der bewiesen wird, dass extremistische Gruppierungen auch soziale Bewegungen sind. Aus dieser Annahme heraus können dann die Mobilisierungstheorien sozialer Bewegungen auch auf extremistische Gruppierungen angewandt werden.

Des Weiteren wird im Abschnitt der Mobilisierung das Konzept der Framing-Analyse umschrieben, welches später als Analyseschema der Inhaltsanalyse dienen soll. Mit dem Unterkapitel zu Theorien der Ideenverbreitung wird ein Aspekt aufgegriffen, der bis dato in keiner Theorie zur Mobilisierung intensiv thematisiert wurde und in dieser Arbeit das Verständnis prägen soll, welche Wirkung das Internet auf die Mobilisierung von extremistischen Gruppierungen hat. Damit wird der erste Teil der Arbeit abgeschlossen, denn im zweiten Teil wird dem Thema der Mobilisierung eine weitere Variable hinzugefügt, nämlich den Aspekt des Internets.

Im vierten Kapitel folgt ein weiterer theoretischer Abschnitt, der aber dieses Mal islamitische Mobilisierung und rechtsextreme Mobilisierung durch das Internet thematisiert und den derzeitigen Wissensstand zur Internetnutzung durch Rechtsextremisten und Islamisten zusammenfasst.

Im fünften Kapitel beginnt die eigene Analyse, für die zwei Websites ausgewählt wurden und mit zwei verschiedenen Auswertungsschemen untersucht werden. Anschließend werden die Ergebnisse präsentiert und im Fazit der Arbeit verarbeitet.

Wie bereits am Anfang der Einleitung geschrieben, hat sich das Bild des Extremismus weitgehend verändert. Anstatt in großen und mächtigen Gruppen aufzutreten, haben sich die Bewegungen in kleinteilige Gruppierungen aufgesplittet. Wie die Handlungsmöglichkeiten der Gruppierungen sich dadurch verändert haben und welche Rolle dabei das Internet spielt, ist ein weiterer Aspekt der sich durch die Arbeit zieht und erst im Fazit erneut aufgegriffen wird, denn hierbei geht es um die Einordnung der Ergebnisse in den gesellschaftlichen Kontext.

1. Begriffsbestimmungen

In der Extremismusforschung herrscht große Uneinigkeit über die Begrifflichkeiten, mit denen gearbeitet wird. Aus dieser Uneinigkeit heraus wirkt das Forschungsfeld zum Extremismus nicht stringent, woraus sich die Schwierigkeit ergibt mit den vorliegenden Materialien zu arbeiten. Daher soll dieser Abschnitt zum einen dazu dienen, die Begrifflichkeiten und Uneinigkeiten möglichst geordnet darzustellen und zum anderen auch die Begriffe zu verdeutlichen, mit denen in dieser Arbeit maßgebend gearbeitet wird.

Zu Anfang ist es sinnvoll, die Begriffe Extremismus und Radikalismus, die häufig als Synonyme verwendet werden, auf ihren Ursprung zurückzuführen.

Extremismus kommt, wie Radikalismus, aus dem Lateinischen. Extremismus stammt von „extremus“ (lat.: der/das Äußerste) ab und Radikalismus von „radix“ (lat.: Wurzel) (vgl. Backes 1989: 55 / Neumann 2013: 3). Beide Wörter implizieren eine drastische Abwendung von geltenden gesellschaftlichen Werten und dem herrschenden, politischen System. Der Begriff Extremismus tauchte erstmals in der britischen Presse im 19. Jhdt. auf und wurde während des amerikanischen Bürgerkrieges als Begriff im angloamerikanischen Bereich institutionalisiert (vgl. Backes 1989: 56). In Deutschland hat das Wort Radikalismus eine längere Tradition und wurde häufig im Kontext marxistischer Reformer verwendet (vgl. Backes 1989: 59). Die Übersetzung des Begriffes Extremismus durch „den Äußersten“ setzt somit eine Mitte voraus, der Antagonismus hierzu bildet „der Gemäßigte“.

An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass im Umgang mit dem Wort Extremismus Vorsicht geboten ist. Denn Extremismus ist eine Definition aus geltenden Normen und Werten heraus und sagt deshalb erstmal nichts über Gefährlichkeit, beziehungsweise richtig oder falsch aus (vgl. Jaschke 2006: 16f.). Schließlich wird Extremismus im Grunde durch das herrschende politische System definiert. Die Gefahr des Begriffes besteht darin, Menschen, die sich diametral zur Gesellschaft und dem politischen System verhalten, als Kriminelle abzustempeln. Zumal die Einstufung als Extremist es dem politischen System legitimiert diesen zu überwachen oder zu bestrafen.

In dieser Arbeit jedoch wird Extremismus als Form von Devianz verstanden, durch die nicht nur Gefahr gegenüber einem politischen System entsteht, sondern auch Gefahr gegenüber Individuen, die durch eine bestimmte Ideologie abgewertet werden.

Der Begriff Radikalismus wird in der Literatur als zu vage beschrieben und es wird darauf hingewiesen, dass man auf diesen Begriff im Kontext von extremistischen Gruppen verzichten sollte (vgl. Pfeiffer 2002: 22/ Brinckmeier 2012: 21ff.). Aus diesem Grund wird für diese Arbeit nur der Begriff des Extremismus verwendet.

1.1. Begrifflichkeiten im Kontext des Rechtsextremismus

Im Vergleich zum Islamismus sind die Begrifflichkeiten im Kontext des Rechtsextremismus etwas ausformulierter und einheitlicher. Tatsächlich soll auf die Ideologie des Rechtsextremismus erst im nächsten Kapitel eingegangen werden, weshalb hier nur eine Differenzierung der Begriffe vorgenommen wird, auch wenn diese bereits die verschiedenen Richtungen in der rechten Bewegung anreißen. Die Begriffsbestimmungen sind angelehnt an die von Thomas Pfeiffer, da diese am differenziertesten ausgearbeitet sind und äquivalent zum Gros anderer Definitionen zum Rechtsextremismus.

Als ersten Begriff nennt Pfeiffer (2002: 23) Faschismus, den er als Sprachgebrauch formuliert, der häufig von marxistisch orientierten Autoren verwendet wird und sich als allgemeiner „Überbegriff“ nicht eignet, da er zu eindimensional bleibt. Zudem findet man Faschismus auch als spezifische Form politischer Herrschaft.

Neonationalsozialistisch ist ein besonders militanter Teil von Rechtsextremen, die ihre Identifikation und Ideologie dem Nationalsozialismus unterstellen.

Rechtspopulismus versteht Pfeiffer nicht als Ausgangspunkt einer Ideologie, sondern als eine politische Taktik, die von Politikern verwendet wird. Weitere häufig zu findende Begriffe im Kontext des Rechtsextremismus sind die Alte Rechte und Neue Rechte. Die Alte Rechte setzte sich aus überzeugten Anhängern der Weimarer Republik zusammen und knüpft an das Gedankengut der NSDAP an. Jedoch entwarfen die Anhänger der Alten Rechten keine neuen Konzepte, weshalb sich die Neue Rechte bildete. Diese weisen zwar inhaltlich keine Trennschärfe auf, doch entwarfen diese neuen strategischen Orientierungen und bildeten somit die „neue Generation“ der Rechten nach dem 2. Weltkrieg (vgl. Pfeiffer 2002: 24).

Eine neue Form von Neonationalsozialismus, die der Autonomen Nationalisten, die sich nicht nur an aktueller trendiger Bekleidung orientiert sondern sich auch inhaltlich bewusst der politischen Symbolik der radikalen Linken bedient, zeigt, dass obwohl hier die wichtigsten Strömungen des Rechtsextremismus innerhalb Deutschlands benannt wurden, zahlreiche andere Strömungen existieren, die an dieser Stelle nicht alle aufgezählt werden können (vgl. Schedler 2011: 68). Zudem gibt es eine Art „Ausreißer“, wie zum Beispiel den norwegischen Rechtsextremisten Andreas Breivik, der sich keiner der hier benannten Strömungen zuordnen lässt und dennoch rechtsextreme Ideologien vertritt.

1.2. Begrifflichkeiten im Kontext des Islamismus

Diesem Teil des Kapitels muss gleich zu Beginn vorangestellt werden, dass es keine einheitlichen Bestimmungen der Begriffe im islamistischen Kontext gibt. Die Definitionen werden hier so differenziert wie es subjektiv am sinnvollsten erschien.

Till Hagen Peters (2012) schrieb unter anderem auf Grund der Undurchschaubarkeit dieses Feldes ein narratives Review über Islamismus bei Jugendlichen in empirischen Studien und fasste das Problem der Begriffsbestimmungen folgendermaßen zusammen:

„So kann das, was ein bestimmter Autor mit dem Begriff Islamismus meint, bei anderen Autoren durchaus mit islamischer bzw. islamistischer Fundamentalismus islamischer Extremismus, Neofundamentalismus, politischer Islam, islamischer Fanatismus, islamischer Totalitarismus, islamischer Terrorismus oder Dschihadismus bezeichnet werden.“ (Hagen-Peters 2012: 9).

Es wird also deutlich, dass in der Wissenschaft zu dieser Thematik eine regelrechte babylonische Sprachverwirrung herrscht. Die jedoch am häufigsten benutzten Begriffe sind: Fundamentalismus, Dschihadismus und Islamismus, auch wenn diese sinngemäß äußerst nah beieinander liegen, so kann man doch die Unterschiede herausarbeiten.

Fundamentalismus stellt zunächst einmal einen Bezug zu Religion her. Die Religion wird von Fundamentalisten als universale Lösung betrachtet (vgl. Rieger, Frischlich & Bente 2013: 10). Johannes Kandel (2011: 9) geht so weit, dass er den Fundamentalismus in Bezug zum Islam als unbewaffnete und unpolitische (Re)-islamisierung von Gläubigen und Ungläubigen betrachtet, während Islamisten als Fundamentalisten politische Aktionen und Ziele der religiösen Doktrin hinzufügen. Islamismus ist also religiös motiviert, aber dennoch eine Form von politischem Extremismus, denn auf Basis der Sharia (religiöses Gesetz), die militant interpretiert wird und somit legitimiert durch Allah ein politisches Konzept für die Umnah (muslimische Glaubensgemeinschaft) realisieren soll (vgl. Rieger, Frischlich & Bente: 2013: 11f.). Da diese militante Durchsetzung als Jihad (heiliger Krieg) beschrieben wird, ist Dschihadismus eine ebenso häufige Bezeichnung für Islamismus.

Der Islamwissenschaftler Rüdiger Lohlker (2004) definiert Dschihadismus als eine „transnationale islamische Bewegung (…) die den Dschihad im militärischen Sinne als zentrales Konzept ihrer Aktivitäten und Theorien bestimmt und eher ein ethnisch-moralisches Unternehmen darstellt.“ (Lohlker 2004: 9). Islamismus ist jedoch auch eine transnationale Bewegung, weshalb dieser Punkt nicht als Unterschied gelten kann. Auch Lohlker vermerkt, dass die Abgrenzung zu nationalen Bewegungen wie die Hamas in Palästina oder die Hisbollah im Libanon nicht eindeutig bestimmt werden kann, da sich diese ähnlicher Taktiken bedienen. Dschihadismus sollte deshalb als Begriff nur dann benutzt werden, wenn sich Islamisten selbst als solche bezeichnen, denn dann üben diese den Jihad durch beispielsweise geplante Selbstmordattentate tatsächlich aus.

Da sich diese Arbeit auf Extremismus in Deutschland konzentriert, sollte besonders der Kontext des Salafismus dargelegt werden. Geht es in Deutschland um islamistischen Extremismus, fällt fast immer das Wort Salafismus, welches an dieser Stelle am optimalsten mit einem Zitat skizziert werden kann:

„Der Begriff „Salafismus“ bezeichnet eine Doktrin puristischer Erneuerung, welche neben der wortgetreuen Interpretation der Quellen des Islam – des Koran und der Überlieferungen zu Taten und Aussagen des Propheten Mohammed (hadith) – die absolute Befolgung darin enthaltener Gebote und die Nachahmung des Propheten und seiner Gefährten bis ins Detail des täglichen Lebens fordert.“ (Malthaner & Hummel 2012: 247).

Auch wenn Islamismus die ungewünschte Konnotation zur nicht militanten muslimischen Bevölkerung hervorruft, wurde sich auf Grund der schwierigen definitatorischen Lage für die Nutzung des Begriffes Islamismus für diese Arbeit entschieden. Gemeint ist damit eine Form von politischen Extremismus auf Basis der muslimischen Religion, die Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele nutzt.

2. Die Ideologie als Basis von Extremismus

Dieser Abschnitt dient im Besonderen dazu zum einen die Motivation der Extremisten durch ideologische Gebilde herauszuarbeiten und zum anderen darzulegen, dass Gemeinsamkeiten in der strukturellen Betrachtung der Ideologie existieren, die einen Vergleich in dieser Arbeit bezüglich der Nutzung des Internets überhaupt erst möglich machen.

Ob nun Religion oder Politik als Grundlage für fundamentalistischen oder politischen Extremismus fungieren, macht keinen Unterschied für die jeweilige Konstitution der Wirklichkeit. Denn es handelt sich immer um geschlossene Gedankengebilde. Es wird im Grunde wie im Sinne einer Religion, an etwas geglaubt und nicht hinterfragt, sondern stringent verfolgt. Politik und Religion sind nicht bloß Programmatik oder Glaube, sondern eine komplette Weltanschauung, die durch alle Lebensbereiche eines Extremisten dringt und ihn bestimmt (vgl. Jaschke 2006: 47).

Doch bevor im Einzelnen auf die extremistischen Ideologien eingegangen werden kann, muss der in der Soziologie viel diskutierte Begriff der „Ideologie“ nicht als Begrifflichkeit, sondern als theoretisches Konstrukt erläutert werden.

2.1. Ideologiekritik als theoretisches Konstrukt der Soziologie

Ideologie ist die Summe aus Ideen, Vorstellungen und Theorien, welche aus sozialen Gruppen hervorgeht und als Leitbild für die Rechtfertigung von Handlungsweisen dienen. Ideologiekritische Positionen versuchen dabei, die in ihren Augen, verblendete Wahrnehmung der gesellschaftlichen Realität aufzudecken, um somit Zugang zu den wirklichen Verhältnissen freizulegen (vgl. Ritsert 2002: 17ff.).

Die Karl Marx`schen Ausführungen diesbezüglich dienten Theoretikern wie Karl Mannheim, Theodor Adorno oder Max Horkheimer, ihre theoretischen Überlegungen darauf aufzubauen und für sich weiterzuentwickeln. Eine ausführliche Herleitung kann an dieser Stelle nicht gelingen, weshalb die nächsten theoretischen Ausführungen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben und ausschließlich als kurze Darstellung dienen sollen.

In der Gesamtheit der Marx`schen Ideologieüberlegungen kann extrahiert werden, dass für Marx die Ideologie eine bestimmte Art von falschen Bewusstsein darstellt, „das sich von der gesellschaftlichen Praxis losgelöst, sich ihr gegenüber verselbstständigt hat. Die Ursache für diese Verselbstständigung (…) liegt darin, daß die Gesellschaft selbst zerrissen, in Klassen gespalten ist.“ (Hauck 1992: 10f.).

Karl Mannheim führt Marx` These in ausgebauter Form von der Ideologielehre zur Wissenssoziologie. Er unterscheidet den Ideologiebegriff in „partikular“ und „total“. Der „partikulare“ Ideologiebegriff umfasst die Ablehnung bestimmter Ideen und Vorstellungen des Gegners, während der „totale“ Ideologiebegriff eine komplette Weltanschauung ablehnt und dabei eine eigene entwickelt (vgl. Hauck 1992: 20f.) Jedoch erhebt Mannheim Kritik an Marx und leitet so die Ideologielehre zur Wissenssoziologie, indem er eine selbstkritische Haltung einnimmt und von allen Wissenschaftlern fordert auch die eigene Position und den eigenen Standort als ideologisch zu erkennen und somit die eigenen Handlungsweisen kritisch zu betrachten (vgl. Hauck 1992: 21).

Auch wenn dies nur einen minimalen Auszug aus der soziologischen Ideologielehre darstellt, so wird doch deutlich, dass man es hierbei mit einem umstrittenen Begriff und Konzept zu tun hat. Insbesondere da nun Ideologie als extremistisches Konzept weiter betrachtet wird, soll dieser Abschnitt verdeutlichen, dass es sich bei dem Konzept der Ideologie, um kein einheitliches handelt. Dadurch wird die wissenschaftliche Selbstreflektion dieser Arbeit gefördert.

2.2. Rechtsextremistische Ideologien

„Das rechtsextremistische Spektrum in Deutschland reicht von Parteien, die z.B. als Ersatz für verbotene neonazistische Kameradschaften auftreten, bis hin zu Bürgerinitiativen, die sich z.B. gegen Asylbewerber richten. Vereint wird die Szene durch ein starkes ideologisches Band: Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus sowie eine generelle Demokratiekritik sind nur einige Aspekte der rechtsextremistischen Weltanschauung. Wenn Herkunft oder Rasse über den Wert eines Menschen entscheiden sollen, oder wenn in der „Volksgemeinschaft“ kein Raum für „Fremde“ sein soll, dann werden zentrale Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung missachtet.“ (Verfassungsschutzbericht 2013: 61).

Im Duktus des Verfassungsschutzes tauchen bereits essentielle Begriffe der ideologisch geprägten Wertevorstellungen von Rechtsextremisten auf. Jedoch existiert eine hohe Diversität an rechtsextremen Gruppierungen und somit auch vielfältige rechtsextreme Ideologien, obwohl sie alle Entscheidendes gemeinsam haben: „Überschneidungen mit rechtsextremen Gruppen gibt es in den Bereichen der Fremdenfeindlichkeit und der Ablehnung von Vielfalt und Pluralismus der Kulturen und Lebensstile.“ (Borstel & Heitmeyer 2012: 145).

Hans-Gerd Jaschke (2006: 75f.) differenziert rechtsextreme Ideologien in fünf gegenstandsbezogene Auseinandersetzungen. Es zeigt den Reichs-Mythos mit der Annahme von einem deutschen Reich, welches durch Alliierte zerstört wurde und mit den Grenzen von 1937 wieder aufgebaut werden soll. Ganz im Sinne von David Irving, der die Geschichte neu schreiben möchte, ist der Geschichts-Revisionismus ein weiterer wichtiger Punkt. Auch die Dekadenz-Theorie gehört zu den grundsätzlichen Auseinandersetzungen im Rechtsextremismus. Es handelt sich dabei um den kulturellen Verfall nach 1945, der durch amerikanischen Kulturimperialismus und Einwanderern aus dem asiatischen, südeuropäischen und afrikanischen Bereichen vorangetrieben werde. Die letzten beiden Punkte sind absolute Indikatoren für Rechtsextremismus, denn zum einen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus aus einem darwinistischen, biologischen Denken heraus und zum anderen Ablehnung von Demokratie und Parlamentarismus durch den nationalsozialistischen Blickwinkel.

Im Gegensatz zum Linksextremismus finden im Rechtsextremismus weniger inhaltliche Debatten statt, ideologische Programme sind weitaus weniger intellektuell und ausgefeilt. Stattdessen wird viel Wert auf Zusammenhalt durch Anerkennung, Zugehörigkeitsgefühl und Aufwertung des Einzelnen gelegt. Das Selbstbewusstsein der Einzelnen wird gestärkt, indem sie nicht nur das Gefühl der Gruppenzugehörigkeit bekommen, sondern auch eine feste Rolle innerhalb der Gruppe zugewiesen bekommen (vgl. Borstel & Heitmeyer 2012: 357).

Ideologeme wie Volk, Nation, Heimat, Blut und Boden werden nicht hinterfragt, sondern ähnlich einer Religion, etwas an das man zu glauben hat. Durch den Glauben bildet sich eine eigene Weltanschauung, die sich dichotimisiert gegen menschliche Gleichheit wendet. Es existiert durch die Ideologie der Ungleichwertigkeit eine expressive „schwarz-weiß“ und „alles oder nichts“ Reduktion der pluralistischen Welt (vgl. Caiani & Parenti 2013: 13).

Es zeigt sich, dass trotz der großen Ausdifferenziertheit innerhalb der rechtsextremen Bewegung die zentralen Werte die gleichen sind. Es gibt Unterschiede wie diese Werte in Ziele verpackt werden und wie die Ziele durchgesetzt werden, jedoch kann man generalisierend sagen, dass die dichotome Ideologie der Ungleichwertigkeit sich durch alle rechtsextrem gesinnten Gruppierungen und Vereinigungen zieht.

2.3. Islamistische Ideologien

„Der Islamismus in Deutschland ist kein einheitliches Phänomen. Allen Ausprägungen gemeinsam ist der Missbrauch der Religion für politische Ziele. Islamistische Ideologie geht von einer göttlichen Ordnung aus, der sich Gesellschaft und Staat unterzuordnen haben. Dieses „Islam“ -Verständnis steht im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und verletzt im Besonderen die demokratischen Grundsätze der Volkssouveränität, der Trennung von Staat und Religion, der Glaubensfreiheit, der Gleichstellung der Geschlechter sowie der sexuellen Selbstbestimmung. Die verschiedenen Ausprägungen des Islamismus unterscheiden sich sowohl in ihrem Anspruch (regional oder global) als auch in ihren Mitteln (legalistisch, gewaltorientiert oder terroristisch).“ (Verfassungsschutz 2013: 192).

Der Einführungsabsatz zur Lage des Islamismus in Deutschland aus dem Verfassungsschutzbericht 2013 macht deutlich, dass es im Islamismus weitaus schwieriger ist die Gemeinsamkeiten ideologischer Gegenstandspunkte herauszuarbeiten im Kontrast zum Rechtsextremismus. Jedoch können auch für den Islamismus ideologische Stränge gefiltert werden, die sich durch die unterschiedlichen islamistischen Gruppierungen ziehen.

Islamismus tritt in verschiedenen Formen auf. In erster Linie bewegt sich auch der Islamismus um eine Ideologie der Ungleichheit, schließlich findet eine Abwertung von anderen Religionen und Weltanschauungen statt. Dabei erscheint Islamismus als eine Herrschaftsideologie, die ebenfalls als politischer Extremismus betrachtet werden kann, denn das Ziel ist die Errichtung eines Staates, in dem alle Menschen nach strengen muslimischen Regeln leben, daneben werden keine anderen Religionen oder Wertevorstellungen akzeptiert (vgl. Kandel 2011: 7). Islamismus kann aber auch als politische Protest- und Oppositionsbewegung gesehen werden, denn sie richtet sich nicht nur gegen die westliche Welt, sondern auch gegen muslimische Regime. Ebenso wie im Rechtsextremismus gibt es auch im Islamismus Angebote für Bildung, Kultur und Freizeit über welche die Ideologie weitergetragen werden soll und kann somit ebenfalls als soziale Bewegung betrachtet werden. Gleichzeitig ist Islamismus auch eine „global-transnationale Diskursgemeinschaft“ (Kandel 2012: 8), die über starke virtuelle Netzwerke verfügt.

Nach Außen funktioniert Islamismus nur über Abgrenzung, die nicht gegen spezifische Gruppen gerichtet ist, sondern gegen eine komplette feindliche Umgebung. Auch gegen Muslime, die in den Augen von Extremisten nicht gläubig genug leben, richtet sich die feindliche Haltung (vgl. Lohlker 2009: 11). Nach Innen hingegen gibt es nur die Religion, die jeden Lebensbereich durchdringt. Politisiert bedeutet das, dass nicht nur ein Herrschaftsanspruch erhoben wird, sondern es auch nur eine „Wahrheit“ gibt. Für jeden Bereich des Lebens gibt es eine religiöse Aufgabe zu erfüllen. Der salafistische Imam Mohammed Fazazi propagierte deshalb in seiner berühmten Predigt aus den 2000ern, dass der Islam die Lösung sei (vgl. Kandel 2011: 9). Und er sei nicht nur die Lösung, sondern auch Antwort auf alle Fragen. Das Ziel ist es westliche Wertevorstellungen durch muslimische zu ersetzen und durchzusetzen, auch mit Gewalt und der Verbreitung von Angst. Da Islamisten Muslime sind, aber nur ein minimaler Teil von Muslimen auch Islamisten, ist es besonders wichtig die Grenze zu ziehen an dem Punkt, wo Hass gegenüber anderen Wertevorstellungen gepredigt wird und Gewalteinsatz zur Bekehrung als legales Mittel zum Einsatz kommt.

Viele islamistische Gruppierungen und Einzelpersonen in Deutschland weisen Bezüge zum Salafismus auf, jedoch ist es auch in der salafistischen Szene nur ein geringer Prozentsatz, der Gewalt als legales Mittel einsetzt (vgl. Malthaner & Hummel 2012: 245).

[...]


1 Siehe hierzu: http://www.spiegel.de/thema/braune_zelle_zwickau/ (zugegriffen: 3.9.2014)

2 Siehe hierzu: http://www.spiegel.de/thema/sauerland_gruppe/ (zugegriffen: 3.9.2014)

Ende der Leseprobe aus 49 Seiten

Details

Titel
Extremismus im Internet
Untertitel
Die Bedeutung des Internets für die Mobilisierungsprozesse von Rechtsextremisten und Islamisten im Vergleich
Hochschule
Universität Bremen  (Institut für Soziologie)
Note
1,7
Autor
Jahr
2014
Seiten
49
Katalognummer
V285227
ISBN (eBook)
9783656851868
ISBN (Buch)
9783656851875
Dateigröße
763 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Extremismus, Rechtsextremismus, Islamismus, Internet, Mobilisierung, soziale Bewegungen, Framing, Qualitativ, Soziologie, Kriminalsoziologie
Arbeit zitieren
Katharina Leimbach (Autor:in), 2014, Extremismus im Internet, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/285227

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