Plinius Selbstdarstellung der Vergangenheit unter Domitian


Hausarbeit, 2013

20 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Einleitung
1.2 Fragestellung
1.3 Hinführung

2 Hauptteil
2.1 Plinius als opportunistischer Wendehals
2.2 Plinius als Sympathisant der stoischen Opposition
2.3 Epistulae 1,5: Plinius und Regulus
Ebene der Selbstdarstellung
Ebene der historischen Wahrheit
Ebene der Intention bei der Veröffentlichung
2.4 Epistulae 3,11: Plinius und Artemidorus
Ebene der Selbstdarstellung
Ebene der historischen Wahrheit
Ebene der Intention bei der Veröffentlichung

3 Schluss
3.1 Fazit

4 Literaturverzeichnis
4.1 Quellen
4.2 Internetquellen
4.3 Sekundärliteratur

1 Einleitung

1.1 Einleitung

Politische Opportunisten, die sich am Ende einer Terrorherrschaft trotz aktiver Mithilfe schnellstmöglich von dieser distanzieren wollen, sind kein reines Phänomen der Neuzeit (beispielsweise nach dem Ende des dritten Reichs), sondern tauchen in der Historie immer wieder auf. Der Althistoriker Karl Strobel stellt Gaius Plinius Caecilius Secundus, heutzutage als „Plinius der Jüngere“ bekannt, in diese Reihe der Opportunisten und zieht bewusst die Parallele zu führenden Kreisen in der DDR, die in den Jahren 1989-1990 alle politischen Prinzipien über Bord warfen und sich nach der Meinung der Mehrheit richteten, in dem er Plinius als „Paradebeispiels eines Wendehalses“[1] ausmacht.[2] Hintergrund ist die politische Karriere, die Plinius unter dem Kaiser Domitian bis zu dessen Tod 96 n. Chr.[3] vollzog, ohne sich zu Lebzeiten von diesem im Nachhinein als pessimus princeps betitelten „Tyrannen“ zu distanzieren. Vielmehr prägte Plinius das Bild Domitians als schlechten Kaiser selbst, in dem er ihn im Jahr seines Konsulats in seinem Panegyricus als das negative Gegenbild des nun herrschenden Kaisers Trajan präsentierte, welcher somit glorifiziert wurde.[4] Die These Strobels, Plinius sei ein ausgewiesener Opportunist oder gar „williger Helfer eines Unrechtsystems,“[5] wird jedoch in der neueren Forschung keineswegs geteilt. Als Gegenpol zu Strobels extremer Position eignen sich die Ausführungen des Philologen Frank Beutel. Dieser sieht in Plinius keinen Opportunisten, sondern einen politischen Akteur, der der stoischen Opposition unter Domitian wirklich nahe gestanden haben könnte.[6]

1.2 Fragestellung

Wo also ist Plinius in der großen Spannweite zwischen der Strobelschen und der Beutelschen These zu verorten? Dies herauszuarbeiten wird Aufgabe der folgenden Hausarbeit sein. Problematisch ist jedoch, dass es zu Plinius Wirken unter Domitian kaum Quellen gibt, außer seiner eigenen Epistolographie inklusive dem Panegyricus. Aus diesem Grund soll sich meine Fragestellung nicht nur auf die „historische Wahrheit“ des Verhaltens des Plinius unter Domitian, sondern auf insgesamt drei Ebenen beziehen. Ein Fokus liegt auf der Ebene der Selbstdarstellung des Autors. Bewusst soll hier auf die Formulierung „Selbstinszenierung“[7] verzichtet werden, solange keine ausführliche Untersuchung stattgefunden hat, um die Arbeit ergebnisoffen gestalten zu können. Wie also stellt Plinius sich selbst in seiner Vergangenheit dar? Nach der Bearbeitung dieser Frage sollen Ergebnisse für die zweite Ebene mit dem aus geschilderten Gründen spekulativen Charakter der historischen Wahrheit abgeleitet werden. Die große Frage ist hierbei: Lassen sich aus der Selbstdarstellung des Plinius Rückschlüsse auf seine politischen Aktivitäten oder Meinungen in Bezug auf Domitian und dessen Opposition finden? Abgerundet wird die dreiteilige Untersuchung mit der Metaebene, die den politischen Akteur Plinius von dem späteren Verfasser Plinius trennen möchte. Somit findet die Besonderheit, dass die Briefe vom Verfasser selbst veröffentlicht wurden, die Plinius’ Epistolographie eine Sonderstellung in der Antike sichert,[8] in dieser Arbeit seine Berücksichtigung. Diese Ebene der Intention beschäftigt sich mit der konkreten Frage: Welche Intention verfolgt Plinius durch das Veröffentlichen dieser Selbstdarstellung?

Der Hauptteil der Arbeit besteht also darin, Strobels und Beutels Thesen zu erläutern und anhand der Ebene der Selbstdarstellung, der Ebene der historische Wahrheit und der Ebene der Intention bei der Veröffentlichung die Thematik zu erarbeiten. Hierzu möchte ich induktiv vorgehen, um anhand von Einzelbeispielen die Thesen zu überprüfen und eine eigene Bewertung vollziehen zu können. Dabei soll der Fokus auf drei verschiedenen Schriften des Plinius liegen: Zunächst wird kurz ein Ausschnitt des Panegyricus (95,3-4) ins Auge gefasst werden, hernach folgen zwei exemplarische Briefe des Plinius, die vergleichsweise früh in dessen Werk veröffentlicht wurden und sich mit der Zeit unter Domitian beschäftigen, ohne direkt auf den Kaiser selbst einzugehen: Epistulae 1,5 sowie Epistulae 3,11.[9] Nach der Bearbeitung dieser Texte in Hinblick auf die drei großen Fragen kommt es zu einer abschließenden Bewertung und dem Rückbezug auf die Thesen Strobels und Beutels. Zunächst soll die Arbeit mit einer Hinführung fortgesetzt werden, in welcher Plinius’ Karriere unter Domitian kurz umrissen werden soll und erläutert wird, warum kein Urteil über die „historische Wahrheit“ des Agierens von Plinius unter Domitian gefällt werden kann.

1.3 Hinführung

61 geboren schaffte es Plinius der Jüngere als erster seiner Familie, also als homo novum, in den Senatorenstand und wurde im Jahre 100 unter Kaiser Trajan zum Konsul gewählt. Den Großteil seiner politischen Karriere vollbrachte Plinius unter Kaiser Domitian, welcher von 81 bis 96 an der Spitze des Römischen Staates stand. Bereits 81 wurde Plinius Mitglied der Zehnmännerkommission, einer Art Gerichtshof, später schaffte er es zum Militärtribun in Syrien.[10] 90 wurde Plinius Quaestores Augusti, also ein vom Kaiser persönlich vorgeschlagener Quaestor, was für eine enge Verbindung zwischen ihm und Domitian spricht. Dies betont auch Strobel, der darauf verweist, Plinius habe Domitian 89 zu seinem Sieg über die Usurpation des Saturninus sowie seinem Germanensieg gratuliert.[11] 92 folgte durch kaiserliche Kommendation das Volkstribunat, ebenso wie es nur ein Jahr später bei der Wahl zur Prätur der Fall war: „Domitian hatte Plinius also sogar das eigentlich vorgeschriebene amtlose Intervalljahr zwischen den beiden Magistraturen erlassen, um seine Karriere zu beschleunigen.“[12] Als letzte Station gelangte Plinius in die Position eines Praefectus aerarii, also in die Leitung der Kasse für die Legionsveteranen, ehe Domitian am 18. September 96 zu Tode kam, woraufhin Plinius dieses Amt offenbar niederlegte.[13]

Problematisch ist bei der Rekonstruktion dieser Karriere, dass wir über den Aufstieg und die Tätigkeiten des Plinius im Allgemeinen in jener Zeit kaum etwas wissen. Die einzelnen Stationen des cursus honorum sind lediglich aus einer von Plinius in Auftrag gegebenen Grabinschrift in Comum überliefert, welche die Historikerin Stein-Hölkeskamp als „Monument der Selbstinszenierung und Selbstdarstellung, die Plinius ja so meisterhaft beherrschte“[14] bezeichnet. Plinius selbst äußert sich in seiner gesamten Briefsammlung nie direkt zu seinem Aufstieg unter Domitian. Seine Aktivitäten während der Prätur verschweigt er beispielsweise komplett.[15] Im Panegyricus nimmt er nur in 95,3-4 auf seine eigene Karriere Bezug, tätigt hier aber offensichtlich eine Falschaussage, indem er behauptet, dass die Liebe Trajans ihm gegenüber so groß sei, „wie damals der Haß des schlechtesten Princeps [Domitian] auf mich!“[16] Warum er auf den direkten Vergangenheitsbezug verzichtet und stattdessen nur auf wenige kleine Episoden eingeht, ist aus politisch-taktischen Gründen durchaus nachvollziehbar: “Certainly a man whose career apparently flourished in the last tyrannical years of Domitian has no overwhelming need to draw attention to that fact in a book which celebrates political rebirth under a new emperor and which turns a friendly blind eye to contemporary chaos and instability.”[17] Aus dem Fakt, dass wir kaum etwas zu Plinius tatsächlichem Verhalten unter Domitian sagen können, resultiert nun das Problem, dass Aussagen über die „historische Wahrheit“ jener Zeit nur bedingt möglich sind und man sich daher eher auf die Intention der Briefe Plinius über diese Zeit konzentrieren sollte. Hier folge ich dem Argument Beutels: „Für diese Konzentration auf die Frage nach der Intention spricht die Tatsache, dass für die Zeit der Herrschaft Domitians wenig Quellenmaterial vorhanden ist und für die Frage nach dem Verhalten von Plinius unter der Regierung Domitians lediglich seine eigenen Aussagen zur Verfügung stehen. Daher ist eine Verifizierung oder Falsifizierung dieser von Plinius gemachten Aussagen über seine eigene Vergangenheit in der Regel kaum möglich.“[18]

Nach dieser thematischen Hinführung, die die Problematik der Auseinandersetzung mit der Zeit des Plinius unter Domitian offen legen sollte, wird nun die genauere Erarbeitung der zwei gegensätzlichen Thesen erfolgen, bevor ich mich auf die einzelnen Schriften des Plinius konzentrieren werde.

2 Hauptteil

2.1 Plinius als opportunistischer Wendehals

Im Zuge seiner Laufbahn als Historiker hat Karl Strobel mehrere Schriften veröffentlicht, in denen er sich äußerst kritisch mit dem Wirken des Plinius auseinandersetzt. Schon 1985 kommt er zu dem vernichtenden Urteil, dass Plinius ein Mann ist, „dessen bewusst berechnete Selbstherausstellung und Selbstbestätigung und dessen Eitelkeit stets präsent sind, auch wenn sie ein Mantel aus Floskeln der Bescheidenheit umgibt.“[19] So ist es auch nicht verwunderlich, dass sein 2003 erschienener Text „Plinius und Domitian: Der willige Helfer eines Unrechtssystems? Zur Problematik historischer Aussagen in den Werken des jüngeren Plinius“ die These vertritt, Plinius sei ein Politiker, „der unter jedem totalitären und despotischen System Karriere gemacht und das jeweils gerade Gewünschte und Korrekte zu verkünden gewusst hätte.“[20] Auch andere Althistoriker sehen Plinius politische Rolle kritisch; Sven Page beispielsweise bezeichnet ihn etwas neutraler als „Machtpolitiker par excellence.“[21] Doch Strobels Thesen gehen darüber hinaus, wenn er Plinius gar als „Paradebeispiels eines Wendehalses“[22] stilisiert. Durch seine Rhetorik provoziert Strobel bewusst, um eine „kontroverse Diskussion“[23] anzustoßen. Insofern sind seine Äußerungen mit Vorsicht zu genießen, wie auch Beutel in einer Fußnote zu Strobel konstatiert, in welcher er diesem ein „negatives unreflektiertes Pauschalurteil über den Autor“[24] vorwirft. Wie aber und mit welcher Argumentation kommt Strobel zu seinem vernichtenden Urteil über Plinius?

Strobel sieht Plinius als Teil einer gesamten Senatorenschicht, die von Domitian gefördert ihre Ämterlaufbahn durchschritt, ohne sich jemals in irgendeiner Art von dem „Tyrannen“ zu distanzieren.[25] Dabei zieht er Vergleiche zur Neuzeit, in dem er die Schreckensherrschaft Domitians mit dem Terror des Stalinismus gleichsetzt. In diesem System zeige Plinius der Jüngere sich „uns als Karrierist und Opportunist, als ehrgeiziger und selbstgefälliger Vertreter der politisch aktiven Senatorenschicht, die sich in flavisch-domitianischer Zeit geformt hatte.“[26] Nach dem Tode Domitians sei es zu einer Art „Endstalinisierung“ und antidomitianischer Wende gekommen, ein Urteil, dem wenngleich in bedächtigerer Wortwahl, viele Historiker folgen würden, befindet man sich schließlich in der „aufgeheizten Nerva-Zeit, als man gegen die Parteigänger des letzten Princeps vorgeht.“[27] Laut Strobel wird diese Wende jedoch von denjenigen propagiert, die selbst im Regime Domitians mitgedient hatten.[28] Als Beispiel nennt er den Panegyricus des Plinius, in welchem Trajan zum optimus princeps und Domitian zum pessimus princeps als Art der „politisch-historische Legendenbildung“[29] stilisiert wird. So gesehen ist Plinius die Speerspitze derjenigen, die sich nach dem Tode Domitians gegen diesen wenden und an Trajan anpassen. Einen Beleg hierfür sieht Strobel in besagter Stelle des Panegyricus (95,3-4), die hier kurz umrissen werden soll:

Plinius spricht an dieser Stelle seiner Lobrede auf Trajan davon, dass er „von jenem heimtückischen Princeps, bevor sein Haß auf die Guten offen ausbrach, in meiner Laufbahn gefördert wurde, danach aber auf der Stelle trat.“[30] Schon hier zeigt sich eine gewisse Problematik: Denn wie in der Hinführung gezeigt wurde, kann keineswegs die Rede davon sein, dass Plinius Karriere unter Domitian stagnierte, auch nicht in den letzten Jahren der „Terrorherrschaft“. Eine weitere Form der Wahrheitsverdrehung offenbart sich, wenn er davon spricht, dass er den längeren Weg zu Ämtern angetreten habe, nach dem er erfahren habe, wie dieser Weg abzukürzen sei. Es sei darauf verwiesen, dass Plinius Karriere unter Domitian vielmehr durch „kaiserliche Kommendation“[31] beschleunigt wurde. Der Abschnitt endet mit dem direkten Vergleich zwischen Trajan und Domitian: „…wenn schließlich meine Liebe zum besten Princeps heute so groß ist wie damals der Haß des schlechtesten Princeps auf mich!“[32] Dies bedeutet, dass sich Plinius auf der Ebene der Selbstdarstellung als Opfer Domitians präsentiert. Für die Ebene der historischen Wahrheit lässt sich aus dieser Selbstdarstellung aus folgendem Grund keinerlei Rückschlüsse ziehen: In der Geschichtsforschung scheint man sich hier einig zu sein, dass Plinius Aussagen „offenkundig unwahr“[33] sind und dies auch dem Senat bewusst gewesen sei. Strobel sieht in dieser Lüge seine These belegt, entlarvt Plinius für sich als opportunistischen Wendehals und zieht somit einen Schluss auf das Gesamtwerk des Plinius. Dieser Schluss ist jedoch problematisch, wie auch Beutel kritisiert: „Mag hier auch tatsächlich eine Falschaussage von Plinius vorliegen, so ist der analoge Schluß auf alle anderen Plinianischen Äußerungen über die Vergangenheit sicher nicht zulässig.“[34] Geht man auf die dritte Ebene ein, die der Intention bei der Veröffentlichung des Panegyricus, so ist der Grund offenkundig: Plinius stellt durch seine Aussagen nicht nur sich selbst in der aktuellen Position als frisch gewählter Konsul in ein besseres Licht, sondern auch seinen Kaiser Trajan.

Einen weiteren Beleg für seine These sieht Strobel im Abschnitt 90,5 des Panegyricus, in welcher Plinius sich und seinen Mitkonsul Tertellus als Opfer der domitianischen Herrschaft hinstellt. Hierbei benutzt Plinius eine Metapher, die uns im Laufe der Arbeit ein weiteres Mal begegnen wird: „Jener Schurke, der alle Guten beraubte und peinigte, hat uns beide damals gemeinsam getroffen, durch das Hinmorden unserer Freunde und durch seinen Blitz, den er ganz dicht in unsere Nähe schleuderte.“[35] Letzen Endes gilt für Strobel: „Alle Verdammungsurteile, die Plinius selbst über Domitian und sein Unrechtsregime sowie über dessen aktive Mitarbeiter ausspricht, müssen in der historischen Urteilsfindung auf ihn selbst zurückfallen.“[36] Hieraus folgt: „Im historischen Urteil erscheint der jüngere Plinius nicht nur als ein Mitläufer und Opportunist. Er war, um den Sprachgebrauch unserer Zeitgeschichtsschreibung zu gebrauchen, jedenfalls ein williger Helfer, wenn nicht sogar ein Täter in dem von ihm selbst offen als brutales und menschenverachtendes Unrechtsregime verurteilen Herrschaftssystem Domitian.“[37] Abschließend ist sogar von einem „charakteristischen Fall eines Paradigmenwechsels“[38] die Rede.

Das Urteil des Plinius als Opportunist folgt bei Strobel aus der Grundprämisse, dass er keine direkte oder indirekte Abgrenzung zu Domitian durch beispielsweise Unterstützung der Opposition zu dessen Lebzeiten feststellt. Vielmehr sieht er ihn gar als aktiven Unterstützer Domitians, was er daran festmacht, dass Plinius, den er schon an anderer Stelle als Mensch sieht, „der sich stets als loyaler und ergebener Mitarbeiter der Herrscher – und zwar auch in den späten Jahren Domitians – zu profilieren verstand,“[39] eifrig die Karriereleiter bestieg, ohne sich für Opfer der Schreckensherrschaft einzusetzen oder sich anderweitig von Domitian zu distanzieren. Zum „Wendelhals“ wird er dadurch, dass er sich hernach so über den schlechten Kaiser auslässt und ihn als Negativfolie für den optimus princeps Trajan in seinem Panegyricus missbraucht. Mit den Quellen, die Strobel für seine Argumentation angibt, ist ein solcher Schluss immanent und zulässig, abgesehen vielleicht von der bewusst überzogenen Rhetorik Strobels, die beispielsweise aus dem Vergleich zur Neuzeit im Allgemeinen und zum Stalinismus im Besonderen resultiert. Das Argument steht und fällt jedoch mit der Prämisse, die Plinius unterstellt, er habe sich nie direkt oder indirekt durch Unterstützung der Opposition von Domitian zu Zeiten von dessen Kaiserherrschaft distanziert. Wäre dies doch der Fall, so wird die Konklusion, Plinius sei ein „williger Helfer“ und Opportunist, hinfällig. Nach der Darstellung der Gegenposition zu Strobel wird also zu untersuchen sein, ob in den Briefen des Plinius Argumente für oder gegen Strobels Grundprämisse zu finden sind.

2.2 Plinius als Sympathisant der stoischen Opposition

Frank Beutel zeichnet in seinem Werk „Vergangenheit als Politik“ ein deutlich positiveres Bild von Plinius dem Jüngeren. In Bezug auf den Panegyricus weicht er jedoch kaum von Strobel ab und kommt zu folgendem Urteil: „Ähnlich wie bei Tacitus scheint die Verurteilung Domitians und seiner Regierungszeit bei Plinius nach der heutigen Einschätzung jedoch stark überzeichnet und allzu negativ dargestellt.“[40] Er betont hierbei die Funktion, die die Verurteilung Domitians für die politische Gegenwart besitzt, wobei wir direkt bei der Ebene der Intention des Veröffentlichens des Panegyricus angelangt wären: Plinius braucht dieses negative Bild eines tyrannischen Kaisers, um den Kontrast zu Trajan zu ermöglichen; „Domitian fungiert als negatives Paradigma für alle priores principes.“[41] Beutel betont weniger den Aspekt des Opportunismus, sondern eher den politischen Charakter der Lobschrift als Auswirkung auf die Zeit des Erscheinens des Panegyricus.

[...]


[1] Strobel, Karl: Plinius und Domitian: Der willige Helfer eines Unrechtssystems? Zur Problematik historischer Aussagen in den Werken des jüngeren Plinius, in: Plinius der Jüngere und seine Zeit, Hg. von Castagna, Luigi u. Lefèvre, Eckard, Müchen u. Leipzig 2003, S.304. Künftig: Strobel (2003)

[2] Der Begriff des „Wendehalses“ wurde 1989, obgleich schon im Volksmund vorhanden, von der Schriftstellerin Christa Wolf aufgegriffen und in einer bedeutenden Rede auf jene elitären Kreise in der DDR bezogen. Dazu: http://www.dhm.de/ausstellungen/4november1989/cwolf.html - Abgerufen am 28.06.2013

[3] In Folge wird für alle weiteren genannten Jahreszahlen festgelegt, dass die Jahre nach Christus gemeint sind.

[4] Panegyricus, 93,4 wie alle weiteren Passagen in folgender Ausgabe: Panegyricus - Lateinisch/Deutsch: Übersetzt, eingeleitet u. hg. von Werner Kühn, Darmstadt 1985. Hier heißt es auf Domitian und Traian bezogen: „So hat also der schlechteste Princeps den Mann übergangen, der dann vom besten Princeps unmöglich übergangen werden konnte.“

[5] Vgl.: Strobel (2003)

[6] Beutel, Frank: Vergangenheit als Politik. Neue Aspekte im Werk des jüngeren Plinius, Frankfurt 2000, S.235. Künftig: Beutel (2000).

[7] Ein Begriff der sich für die literarischen Aktivitäten des Plinius etabliert hat, nicht jedoch für seine Politik. Vgl.: Vogt-Spira, Gregor: Die Selbstinszenierung des jüngeren Plinius, in: Plinius der Jüngere und seine Zeit, Hg. von Castagna, Luigi u. Lefèvre, Eckard, Müchen u. Leipzig 2003, S. 51-68

[8] Vgl.: Ludolph, Matthias: Epistolographie und Selbstdarstellung. Untersuchungen zu den ‚Paradebriefen’ Plinius des Jüngeren, Tübingen 1997, S.14. Künftig: Ludolph (1997).

[9] Für die Briefe wird folgende Ausgabe verwendet: Plinius, Sämtliche Briefe - Lateinisch/Deutsch: Übersetzt u. hg. von Philips, Herbert u. Giebel, Marion, Stuttgart 1998

[10] Zum Ablauf der Karriere des Plinius: Stein-Hölkeskamp, Elke: Zwischen Pflicht und Neigung? Lebensläufe und Lebensentwürfe in der römischen Reichsaristokratie der Kaiserzeit, in: Von der militia equestris zur militia urbana, hg. von Blösel, Wolfgang u. Hölkeskamp, Karl-Joachim, Stuttgart 2011, S.175. Künftig: Stein-Hölkeskamp (2011).

[11] Vgl.: Strobel (2003), S. 303

[12] Stein-Hölkeskamp (2011), 175

[13] Vgl.: Ebd.

[14] Ebd. S.191

[15] Gibson, Roy u. Morello, Ruth: Reading the Letters of Pliny the Younger, Cambridge 2012, S.35

[16] Panegyricus: 95,4

[17] Gibson u. Morello (2012), S. 35

[18] Beutel (2000), S. 173

[19] Strobel, Karl: Zu zeitgeschichtlichen Aspekten im ´Panegyricus´ des jüngeren Plinius: Trajan – “imperator invictus“ und “novum ad principatum iter,“ in: Bamberger Hochschulschriften: Zur Deutung von Geschichte in Antike und Mittelalter, hg. von Knape, Johannes u. Strobel, Karl, Bamberg 1985, S. 12. Künftig: Strobel (1985)

[20] Strobel (2003), S. 313

[21] Page, Sven: Literarische Kommunikation und politische Existenz – Plinius der Jüngere und die römische Aristokratie, in: Potestas 2, Castellón de la Plana, 2009, S. 48. Künftig: Page (2009)

[22] Strobel (2003), S. 304

[23] Ebd., S. 310

[24] Beutel (2000), S. 23, Anm.: 34

[25] Vgl.: Strobel (2003), S. 301

[26] Strobel (2003), S. 304

[27] Lefèvre, Eckhard: Vom Römertum zum Ästhetizismus, Göttingen 2009, S. 50. Künftig: Lefèvre (2009)

[28] Vgl.: Strobel (2003), S. 305.

[29] Ebd.

[30] Panegyricus: 95,3

[31] Stein-Hölkeskamp (2011), S. 175

[32] Panegyricus: 95,4

[33] Strobel (2003), S.308

[34] Beutel (2000), S.173

[35] Panegyricus 90,5

[36] Strobel (2003), S. 312

[37] Ebd.

[38] Ebd.

[39] Strobel (1985), S. 10

[40] Beutel (2000), S. 40

[41] Ebd., S. 47

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Plinius Selbstdarstellung der Vergangenheit unter Domitian
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
2,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
20
Katalognummer
V285083
ISBN (eBook)
9783656853411
ISBN (Buch)
9783656853428
Dateigröße
425 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
plinius, selbstdarstellung, vergangenheit, domitian
Arbeit zitieren
Martin Hamre (Autor:in), 2013, Plinius Selbstdarstellung der Vergangenheit unter Domitian, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/285083

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