Anders als die Anderen. Homosexualität zu Beginn des 20. Jahrhunderts anhand des Werkes „Der Tod in Venedig“ von Thomas Mann


Hausarbeit, 2014

16 Seiten


Leseprobe


Hinführung zum Thema

Heutzutage bildet die Gesellschaft, was Liebe und Beziehung betrifft, ein Idealmodell - es besteht aus Mann und Frau und bildet eine heterosexuelle Beziehung. Allerdings existieren neben diesem Strom auch andere Orientierungen wie die Homosexualität, die im gesellschaftlichen Leben aber meist nicht akzeptiert werden.

Schon Goethe sagte in seinen „Maximen und Reflektionen“:„‘Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.‘“1

Er betont hier, dass die Thematik der Homosexualität in der Gesellschaft nicht nur toleriert, sondern auch akzeptiert werden muss und Toleranz hier bedeutet, etwas hinzunehmen, obwohl man eigentlich negativ dem gegenüber gestimmt ist.

Auch Thomas Mann griff dieses Thema auf und verfasste darüber sein bekanntes Werk „Der Tod in Venedig“. Doch als er diese Novelle schrieb, ahnte er wahrscheinlich nicht, dass die Thematik der Homosexualität einige Jahre später, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, an großer Bedeutung gewinnen würde.

1. Homosexualität in den Jahren 1900 bis 1930

Der Begriff Homosexualität stammt von dem österreichisch-ungarischen Schriftsteller Karl Maria Benkert und hat sich gegen Begriffe wie „Conträrsexualität“, „Uranismus“, oder „Inversion“ durchgesetzt2. Zur Homosexualität gab es während dieser Zeit der Weimarer Republik sehr konträre Ansichten. Sowohl in der Gesellschaft als auch verstärkt in der Zeitungs- und Zeitschriftenbranche herrschten sowohl positive als auch negative Ansichten gegenüber diesem Thema.

1.1. Gesellschaftliche Umstände

In der Gesellschaft galten Mann und Frau als zwei völlig unterschiedliche Menschentypen, wobei der Mann eher das aktive, rationale und überlegene Geschlecht, die Frau das passive, emotionale und unterlegene Geschlecht war. Außerdem müsste nach der „natürlichen Ordnung“3 ein Mann immer eine Frau und eine Frau immer einen Mann begehren. Dass sich ein Mann zu einem Mann hingezogen fühlt, wurde als „weiblich“ oder „verweiblicht“ bezeichnet, eine Frau zu einer Frau als „männlich“ oder „vermännlicht“4.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahm das Interesse an Homosexualität stark zu. Im Jahre 1905 erschienen 320 Artikel, die sich mit Homosexualität beschäftigten und das Thema wurde zunehmend Inhalt von zahlreichen Diskursen5.

In der Weimarer Republik erlebten sowohl „Homosexuellen-Bewegungen“ als auch die „homosexuelle Subkultur“ einen Aufschwung. Die Zahl der Lokale und Orte zur Kontaktaufnahme stieg stetig an. Es entstanden Freizeitvereine, die für alle Schichten zugänglich waren6.

Am 14. August 1919 kam in Berlin, erstellt vom 1897 gegründeten WhK (Wissenschaftlich-humanitäres Komitee), erstmals eine Zeitschrift für gleichgeschlechtlich Begehrende mit dem Titel „Die Freundschaft“ heraus, die in den Folgejahren als Wegbegleiter der „homosexuellen Bewegung“ galt7. Hauptaufgabe sah die Redaktion darin, gleichgeschlechtlich begehrende Menschen und die Gesellschaft „über Homosexualität aufzuklären“8. Es bildeten sich Freundschaftsverbände, die es ermöglichten, Kontakte und Bekanntschaften zu knüpfen. Auch wollten sie alle ansprechen, die sich als „anders als die Anderen“ betrachteten9. Die Vorstellung, aufgrund des gleichgeschlechtlichen Begehrens „anders als die Anderen“ zu sein und einer eigenen Gruppierung anzugehören, war ein positives Identifikationsangebot der „homosexuellen Bewegung“, das aber nur ein Teil der Männer begehrender Männer10 annahm.

Das „in Erscheinung treten“ gleichgeschlechtlicher Liebe war unter anderem auch ein Resultat der Homosexuellenbewegung und ihrer Aufklärungsarbeit. Diese war in der Weimarer Republik auch Gegenstand von Kunst, Literatur, Theater und Film. So fanden sich gerade auf den Feuilleton-Seiten vieler Zeitungen und Zeitschriften zahlreiche Artikel, die sich insbesondere mit männlicher, aber auch weiblicher Homosexualität beschäftigen11.

Trotz der Informations - und Aufklärungsarbeit der Zeitschriften und Verbände war das öffentliche Auftreten gleichgeschlechtlich Liebender nicht immer und überall gewollt. Ein negatives Beispiel zeigen Tumulte, die sich am 15. August 1919 bei der Hamburger Uraufführung des Aufklärungsfilmes „Anders als die Anderen“ zugetragen hatten, worauf dann weitere Vorstellungen verhindert wurden12.

1.2. Strafrechtliche Verfolgung

Als konkreteste Forderung der „homosexuellen Bewegung“ lässt sich die Beseitigung des Paragraphen 175 nennen. Sie war das Symbol für die gesellschaftliche Unterdrückung obwohl es sich nur um die Forderung nach Entkriminalisierung der männlichen Sexualpraktiken handelte, die unter Strafe standen13.

Der § 175 existierte vom 15. Mai 1871 bis zum 11. Juni 1994. Er stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe. Insgesamt wurden 140.000 Männer nach den verschiedenen Fassungen des Paragraphen 175 verurteilt14.

Grundlage für diesen Paragraphen war das preußische Strafgesetzbuch von 1851, das für „widernatürliche Unzucht“ unter Männern eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu vier Jahren, sowie den befristeten Verlust der Ehrenbürgerrechte festsetzte15.

Gegen dieses Gesetz vorzugehen, setzten sich sowohl Zeitschriftenredaktionen als auch die Freundschaftsverbände zum Ziel. Sie führten einen politischen Kampf gegen die strafrechtliche Verfolgung16.

Die Zeitschriften und Verbände sahen in der allgemeinen Presse einen der Hauptschuldigen an der gesellschaftlichen Diskriminierung der Homosexuellen, da sie diese hauptsächlich mit Verbrechen in Zusammenhang brachten17. Friedrich Radszuweit , der Gründer des BfM (Bund für Menschenrechte), der sich ebenfalls für die Streichung des §175 einsetzte, gab der Presse eine Mitschuld an den zahlreichen Selbsttötungen gleichgeschlechtlich begehrender Menschen und forderte 1923: „‘Die Presse soll Kulturträgerin […] sein. Wo ist die Presse, die endlich den Mut findet, der Öffentlichkeit zu verkünden, daß den homosexuellen Menschen dauernd Unrecht geschieht durch die Beibehaltung des § 175?‘“18

Er stellt hier die Frage, weshalb die Presse, die doch über einen so großen Einflusskreis verfügt, diesen aber nicht nutzt, um die Diskriminierung zu verringern und das Denken der Leser zu verändern.

Insbesondere Sensationsblätter verleumdeten gleichgeschlechtlich liebende Menschen, indem sie unter anderem behaupteten, sie würden die Jugend verführen19.

2. Erläuterungen zu Thomas Manns Homosexualität

2.1. Lebenssituation vor 1911

Paul Thomas Mann wurde am 6. Juni 1875 in Lübeck geboren, war Sohn des Konsuls Thomas Mann und der aus einer deutsch-brasilianischen Kaufmannsfamilie stammenden Julia Mann. Er hatte vier Geschwister und bereits im Grundschulalter entwickelte er eine Zuneigung zu seinen männlichen Mitschülern.20

Mit vierzehn Jahren verliebt er sich in einen Mitschüler namens Armin Martens und später in den älteren Schulkollegen Williram Timpe.21 „Zwischen 1900 bis 1903 war Thomas Mann in den Maler Paul Ehrenberg verliebt“22. Als er 190523, nach langem Warten und Werben Katia Pringsheim heiratete, schrieb er in einem Aufsatz „Die Ehe im Übergang“:“ ‘Alles, was die Ehe ist, nämlich Dauer, Gründung, Fortzeugung, Geschlechterfolge, Verantwortung, das ist Homoerotik nicht.‘“ 24 Sie bekamen zwischen 1905 und 1919 sechs gemeinsame Kinder25.

Im Jahre 1911 reiste Thomas mit seiner Frau Katia und seinem älteren Bruder Heinrich nach Italien und verweilte dann letztendlich in Venedig.26 Hier „fand er den Stoff, aus dem dann unverhofft seine berühmteste Erzählung wurde[.]“27

2.2. Resultate des Aufenthaltes in Venedig

In Venedig trat seine „unterdrückte, sehnsüchtige und zugleich ängstliche Liebe zu schönen jungen Männern“28, wieder in den Vordergrund, die er aufgrund der zu dieser Zeit herrschenden strafrechtlichen Verfolgung homosexueller Handlungen, geheim halten musste.29

Im Hotel in dem Familie Mann Quartier bezog, fiel Mann der vierzehnjährige Junge Wladyslaw Baron Moes auf, der in dem Buch unter dem „Decknamen“ Tadzio erwähnt wird.

Ein Jahrzehnt nach Thomas Manns Tod bestätigte Baron Moes von Mann genau porträtiert worden zu sein.30

3. Interpretation des Werkes „ Der Tod in Venedig “

3.1. Charakterisierung der Hauptfigur „ Gustav von Aschenbach “

Gustav von Aschenbach ist knapp über fünfzig Jahre alt und wurde in L., „einer Kreisstadt der Provinz Schlesien, als Sohn eines höheren Justizbeamten geboren“31. Seine Mutter war Tochter eines böhmischen Kapellmeisters. Er ist nicht sonderlich groß, trägt keinen Bart, hat braunes, schon stark angegrautes Haar und ist Brillenträger.32 Er arbeitet als Schriftsteller und Dichter und zu seinem fünfzigsten Geburtstag bekam er von einem deutschen Fürsten aufgrund seiner dichterischen Leistungen, von denen ein Teil in Schulbücher übernommen wurde, den Adelstitel verliehen33.

Er wohnt in München in einer Wohnung in der Prinz-Regenten-Straße und war mit einer gelehrten jungen Frau verheiratet. Sie starb früh, doch Aschenbach hat mit ihr eine bereits verheiratete Tochter.34

„Die Vermählung dienstlich nüchterner Gewissenhaftigkeit [seines Vaters] mit dunkleren, feurigeren Impulsen [seiner Mutter]“35 hätten aus Aschenbach diesen „besonderen Künstler“36 gemacht.

Aschenbach selbst, ist mit seinen Werken selbst, nie zufrieden37. Außerdem war sein ganzes Leben auf Ruhm gestellt38 und von Kindheitstagen an, wurde von ihm Leistung erwartet39. „[S]ein Lieblingswort war ‘Durchhalten‘“40 und aufgrund von Krankheit konnte er nicht zur Schule gehen, sondern musste zu Hause unterrichtet werden41.

3.1.1. Aschenbach zu Beginn des Werkes

„Überreizt von der schwierigen und gefährlichen […] Eindringlichkeit und Genauigkeit des Willens erfordernden Arbeit“ konnte Aschenbach „dem Fortschwingen des produzierenden Triebwerkes in seinem Innern“ keine Ruhe gewähren, fand „den entlastenden Schlummer“42 nicht und versucht dann, an der frischen Luft seine Schreibblockade zu lösen. Nachdem er als Kind „von allen Seiten auf die Leistung - und zwar auf die außerordentliche - verpflichtet“43 worden war, befindet er sich, nachdem er bei seinem Spaziergang einen Fremden getroffen hatte, der in ihm eine „wahrhaft als Anfall und ins Leidenschaftliche, ja bis zu Sinnestäuschung gesteigerte“44 Reiselust geweckt hatte, in einem Zwiespalt seiner Gefühle, der ihn bis hin zu seinem Tode begleiten wird.

Er entscheidet sich zu verreisen und erreicht per Schiff schließlich eine Insel in der Adria. Doch dort bemerkt er, dass er noch nicht am „Ort seiner Bestimmung“45 angekommen ist, da er „das Fremdartige und Bezuglose“46 sucht und entschließt sich dann doch für Venedig als Endreiseziel47. Auf dem Schiff wird Aschenbach auf einen „falschen“ Jüngling aufmerksam. Er hatte ein sehr markantes Aussehen, denn „das matte Karmesin der Wangen war Schminke, das braune Haar […] Perücke“48. Außerdem war er „alt, man konnte nicht zweifeln. Runzeln umgaben ihm Augen und Mund.“49 “Seine Hände […] waren die eines Greises.“50

Sein Alter und seine wahre Identität so extrem zu überschminken, widert Aschenbach sehr stark an, und er war „schauerlich angemutet“51. Dem Wandel seiner Selbst wird Aschenbach zum ersten Mal auf dem Schiff bewusst, als er eine Veränderung bemerkt, denn „[i]n diesem Augenblick jedoch berührt ihn das Gefühl des Schwimmens, und mit unvernünftigem Erschrecken aufsehend, gewahrte er, daß der schwere und düstere Körper des Schiffes sich langsam vom gemauerten Ufer löste“52.

In dem Schiff, das sich hier vom Ufer wegbewegt, kann man symbolisch Aschenbach selbst sehen, der sich nun aus seinem bisher beständigen, tadellosen Leben auf eine Reise ins Ungewisse begibt.

Im Laufe der Reise wendet sich Aschenbach von seiner stark kontrollierenden Seite ab und lässt sich ganz von der Reise in den Bann ziehen. Zum Beispiel steigt er in eine Gondel ein, die ihn nicht dorthin fährt, wo er hin wollte, doch er lässt die Fahrt geschehen, ohne einzuschreiten, wie er es sonst getan hätte, obwohl er glaubte, sich in den Händen eines Verbrechers zu befinden53. Es stellt sich heraus, dass der Gondoliere gar keine Konzession besitzt, um Passagiere zu befördern54.

Als der Dichter im Hotel ankommt, bezieht er sein Zimmer, doch als er auf das Meer blickt, erreicht ihn ein „Anflug von Traurigkeit“55 und Einsamkeit. Denn “Einsamkeit zeitigt das Originale, das gewagt und befremdend Schöne, das Gedicht. Einsamkeit zeitigt aber auch das Verkehrte, das Unverhältnismäßige, das Absurde und Unerlaubte“56. Mit dem Absurden und Unerlaubten wird hier schon indirekt auf sein Schicksal, die Liebe zu einem Jungen namens Tadzio hingewiesen.

3.1.2. Veränderung Aschenbachs im Verlauf des Werkes

Aschenbach trifft Tadzio zum ersten Mal beim Abendessen im Hotel. Es war ein „langhaariger Knabe von vielleicht vierzehn Jahren.“57

„ Sein Antlitz, bleich und anmutig verschossen, von honigfarbenem Haar umringelt, mit der gerade abfallenden Nase, dem lieblichen Munde, dem Ausdruck von holdem und göttlichem Ernst[.] “ 58

So wird der Junge beschrieben, von dem Aschenbach aber sonst keinerlei Informationen besitzt. Er war schön gekleidet59 und seine Haut war „weiß wie Elfenbein“60.

Der Junge verkörpert für Aschenbach das „vollkommen [S]chön[e]“61 doch stellt er für ihn nur ein Kunstwerk dar. Auf diese Weise distanziert sich Aschenbach von Tadzio und es kommt im ganzen Verlauf der Novelle zu keinem einzigen Gespräch.

Tadzio zieht Aschenbach durch seine Schönheit in den Bann, doch eines Nachmittags bei einem Spaziergang entscheidet sich Aschenbach für seine Gesundheit und entschließt Venedig wegen des Wetters62 zu verlassen. Am Morgen beim letzten Frühstück bemerkt der Dichter, dass er eigentlich nur auf Tadzio gewartet hatte. Er denkt „[i]ch will also bleiben“63. „Und weiter dachte er: Wahrhaftig, erwarteten mich nicht Meer und Strand, ich bleibe hier, solange du bleibst!“64

Aschenbach will seine homoerotische, leidenschaftliche Liebe zu Tadzio vor sich selbst und der Gesellschaft aufgrund von „Sittenzwang oder eigener Grille“65 verbergen, doch am Ende des vierten Kapitels gesteht er sie sich ein und seine Gefühle werden durch den Satz „‘Ich liebe dich!‘“66 sehr deutlich. Hier gibt sich Aschenbach ganz dem Verlangen hin und löst sich von seinem sonst so strukturierten und geplanten Leben.

Eines Tages lehnt er sich „in völliger Trunkenheit an die Angeln der Tür“67 zu Tadzios Zimmer, denn „er verfolgte ihn, er stellte ihm nach“68. Außerdem macht Aschenbach nichts mehr Sorgen, als der Fakt, dass Tadzio abreisen könnte. Aschenbach wüsste dann nicht mehr weiter zu leben69.

In einem Reisebüro erfährt Aschenbach von der „indischen Cholera“70, die sich in Venedig ausbreitet, doch reist weder er selbst ab, noch warnt er Tadzio und seine Familie. Auf einem Marktplatz kauft Aschenbach dann „einige Früchte, Erdbeeren, überreife und weiche Ware“71 die ihm dann Schwindelanfälle bereiten.72

In der kommenden Nacht hat Aschenbach „einen furchtbaren Traum“73 und als er aus diesem erwacht, ist er „entnervt, zerrüttet und kraftlos“74 und „[e]r scheute sich nicht mehr die beobachtenden Blicke der Menschen“75. Er ist seinem Untergang verschrieben und Tadzio vollends unterworfen, denn in seinem Traum war er „dem fremden Gotte gehörig“76.

Ein letztes Mal beobachtet der Künstler Tadzio am Strand, dann sinkt sein Kopf, doch vor seinem inneren Auge sieht Aschenbach Tadzio und „[i]hm war […] als ob der bleiche und liebliche Psychagog dort draußen ihm lächle, ihm winke; als ob er, die Hand aus der Hüfte lösend, hinausdeutete, voranschwebe, ins Verheißungsvoll-Ungeheure“77.

Aschenbach stirbt am Meer und „noch desselben Tages empfing eine respektvoll erschütterte Welt die Nachricht von seinem Tode.“78.

3.2. Vermeintliche Beziehung zwischen Tadzio und Aschenbach

Nach den ersten Beobachtungen Tadzios, durch Aschenbach, versucht der Dichter den Namen des Jungen herauszufinden, indem er ihn am Strand beobachtet und „mit Hilfe einiger polnischer Erinnerungen“79 den Namen „Tadzio“ erkennen kann, das wohl eine Abkürzung von „Tadzeus“ sein muss.80 Bei diesen Beobachtungen macht Aschenbach auch eine Zuneigung Tadzios zu Jungen aus, denn dieser wird von seinem Spielkollegen am Strand geküsst.81

Aschenbach ist sich seiner räumlichen Nähe zu Tadzio bewusst, und fühlt sich und ihn in Sicherheit, da ein Seitenblick genügt, um ihn zu bewundern.82 Kurz danach begegnen sich beide im Aufzug und sind sich näher wie nie zuvor. Aschenbach bemerkt Tadzios schlechte Zähne. Diese schrecken ihn aber nicht ab, sondern im Gegenteil fängt Aschenbach an, sich Sorgen um Tadzios Gesundheit zu machen.83

Aufgrund dieser Zuneigung, ist davon auszugehen, dass Aschenbach das Frühstück und seine, aufgrund von Krankheitssymptomen, geplante Abreise aus Venedig heraus gezögert hat, um den Jungen noch einmal zu sehen. Ein Zufall - falsch geleitetes Gepäck - zwingt Aschenbach zu bleiben.84 Die Trauer, Tadzio verlassen zu müssen, lässt auf die Freude schließen, die den Dichter überkommt, als die Abreise durch den Zwischenfall verzögert wird. In der verbleibenden Zeit beobachtet Aschenbach den Jungen ausgiebig und lernt ihn kennen, ohne ein Wort mit ihm zu wechseln.

So „kannte der Betrachtende jede Linie und Pose“85 Tadzios und das hatte zur

Folge, dass Aschenbach selbst den Wunsch äußerte „beim Schreiben den Wuchs des Knaben zum Muster zu nehmen“86 und in seiner Nähe zu schreiben. Allerdings ist das Verhältnis zwischen den beiden sehr einseitig, da keinerlei Gedanken und Gefühle des Jungen preisgegeben werden. Somit ist die Perspektive Tadzios zu dieser Beziehung Interpretationssache.

Nachdem sich Aschenbach die Liebe zu Tadzio selbst eingesteht, geschieht im Werk eine Wendung, denn hier wird Aschenbach zum ersten Mal als „der Verliebte“87 bezeichnet. Aschenbach beobachtet Tadzio beim Spielen und möchte ihm zu Hilfe eilen, als er zu ersticken droht88. Dieser Moment scheint die Hinführung auf Aschenbachs plötzlichen Tod, den er kurze Zeit später erleidet89. Davor allerdings, ergibt sich ein erster und letzter Blickkontakt der beiden90.

Die Beziehung zwischen beiden Protagonisten ist nonverbaler Natur und es kommt im Laufe der gesamten Novelle zu keinem Gespräch und der Blick und sein Lächeln sind das Letzte, was Aschenbach von Tadzio sieht.

4. Spiegelung der damaligen Realität im Werk Thomas Manns

Unter Berücksichtigung der Gegebenheiten, die zur Zeit Manns herrschten und bei einem Vergleich des Verfassers mit der Hauptfigur des Werkes, können einige Parallelen gezogen werden.

Sowohl Aschenbach, wie in Punkt 3.1. genannt, als auch Mann fahren beide nach Venedig. Die Stadt ist hier kein Zufall, denn diese „Reiselust“ die sowohl Mann als auch Aschenbach erleben, geht auf eine „Italien-Sehnsucht“91 zurück, bei der bürgerliche homosexuelle Männer auf Reisen gehen, um ihr Ziel zu erreichen.92 „Manns Reiselust gen Italien beruft sich - im Gegensatz zu der Aschenbachs - auf die Sicherheit der Rückfahrkarte“93. Beide verlieben sich dort in einen jungen Polen. Mann in Wladyslaw und Aschenbach in Tadzio. Dadurch kann man bei beiden eine homosexuelle Neigung erkennen. Aufgrund der vorherrschenden gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten, wie in Punkt 1.1. und 1.2. erläutert, war es auch beiden nicht möglich, ihre Liebe offen zu zeigen. Außerdem kann man Gustav von Aschenbach und auch Thomas Mann als Künstler bezeichnen. Aschenbach ist, wie auch Thomas Mann, als Dichter und Schriftsteller tätig. Ironischerweise lässt Mann Aschenbach Werke vollenden, die er selbst nicht beendet hatte, wie z. B. die Biografie „‘Friedrich‘“94 des Ersten oder die „Erzählung [des] ‘Elenden‘“95. Nach Thomas Mann ist im Werk „Der Tod in Venedig“, wie er „in seinem 1930 entstandenen Lebensabri ß“ 96 versichert, „nichts erfunden“97, wobei man hier die Namen ausklammern muss.

Abschließender Gedanke

Heutzutage ist es vielen homosexuellen Männern bzw. Paaren möglich, ihre Neigung öffentlich zu zeigen. Doch dies gilt hauptsächlich für hochentwickelte Länder wie auch Deutschland eines ist. In anderen weniger weit entwickelten Ländern müssen diese Menschen ihre Liebe genau so geheim halten, wie es auch Gustav von Aschenbach und Thomas Mann mussten.

Doch trotz dieser „Normalität“ ist in Deutschland die Heirat zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern immer noch nicht möglich und es kann nur eine Partnerschaft eingetragen werden.

1969 setzten sich in New York Schwule und Lesben erstmals öffentlich gegen Diskriminierung zur Wehr. Die darauf folgenden Straßenkämpfe bildeten den Start einer neuen Bewegung - den Christopher Street Day98, bei dem Homosexuelle um mehr Rechte und das Ende der Diskriminierung kämpfen.

Trotz alle dem sind gleichgeschlechtliche Beziehungen in 76 Ländern der Welt illegal und in fünf Ländern stehen sie sogar unter Todesstrafe.99

Meine Vorstellung der Zukunft wäre, dass es gleichgeschlechtlichen Paaren und Menschen mit homosexueller Neigung möglich ist, in Frieden und ohne Angst miteinander leben zu können und sich nicht vor der Gesellschaft und deren Reaktion verstecken zu müssen.

Literaturverzeichnis

1. Primärliteratur:

- Mann, Thomas, „Der Tod in Venedig“, 20. Auflage, Frankfurt am Main: S. Fischer, 2007

2. Sekundärliteratur:

- Staun, Harald, Das Ende der Toleranz, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 7, 16.02.2014, S. 37
- Micheler, Stefan, Selbstbilder und Fremdbilder der „Anderen“, Band 10, 1. Auflage, Konstanz: UVK, 2005
- Schede, Hans - Georg, Lektüreschlüssel - Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 1. Auflage, Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, 2005
- Deutsche Dichter - Vom Beginn bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, Band 7, 1. Auflage, Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, 1989
- Härle, Gerhard, Männerweiblichkeit - Zur Homosexualität bei Klaus und Thomas Mann, 2. Auflage, Frankfurt am Main: Hain, 1993

3. Internetquellen:

- http://boardsteinschwubbe.de/schwulenchronic/175.php (20.08.2014, 17:53)
- https://aktuell.spoe.at/homophobie-gedenktag-gleichgeschlechtliche-liebe-weltweit- akzeptieren-523728/ (30.10.2014, 13:30)
- http://www.kinofenster.de/filme/ausgaben/kf0410/geschichte_der_homosexualitaet/ (30.10.2014, 13:43)

[...]


1 16.02.2014, Nr.7, Frankfurter Allgemeine Zeitung, S. 37

2 Stefan Micheler, Selbstbilder und Fremdbilder der "Anderen", 2005, S. 43

3 Stefan Micheler, Selbstbilder und Fremdbilder der "Anderen", 2005, S. 41

4 Vgl. Stefan Micheler, Selbstbilder und Fremdbilder der "Anderen", 2005, S. 41

5 Vgl. Stefan Micheler, Selbstbilder und Fremdbilder der "Anderen", 2005, S. 45

6 Vgl. Stefan Micheler, Selbstbilder und Fremdbilder der "Anderen", 2005,S. 49

7 Vgl. Stefan Micheler, Selbstbilder und Fremdbilder der "Anderen", 2005,S. 83

8 Stefan Micheler, Selbstbilder und Fremdbilder der "Anderen", 2005,S. 84

9 Vgl. Stefan Micheler, Selbstbilder und Fremdbilder der "Anderen", 2005,S. 87

10 Stefan Micheler, Selbstbilder und Fremdbilder der "Anderen", 2005,S. 296

11 Stefan Micheler, Selbstbilder und Fremdbilder der "Anderen", 2005,S. 113

12 Vgl. Stefan Micheler, Selbstbilder und Fremdbilder der "Anderen", 2005, S. 115-116

13 Vgl. Stefan Micheler, Selbstbilder und Fremdbilder der "Anderen", 2005, S. 45

14 Vgl. http://boardsteinschwubbe.de/schwulenchronic/175.php (20.08.2014, 17:53)

15 Vgl. Stefan Micheler, Selbstbilder und Fremdbilder der "Anderen", 2005, S. 59

16 Vgl. Stefan Micheler, Selbstbilder und Fremdbilder der "Anderen", 2005, S. 85

17 Vgl. Stefan Micheler, Selbstbilder und Fremdbilder der "Anderen", 2005, S. 109

18 Stefan Micheler, Selbstbilder und Fremdbilder der "Anderen", 2005,S. 109

19 Vgl. Stefan Micheler, Selbstbilder und Fremdbilder der "Anderen", 2005, S. 109

20 Vgl. Hans-Georg Schede, Lektüreschlüssel, Reclam, 2005, S.75

21 Vgl. Hans-Georg Schede, Lektüreschlüssel, Reclam, 2005, S.75

22 Hans-Georg Schede, Lektüreschlüssel, Reclam, 2005, S.77

23 Autorenverzeichnis, Reclam, S. 84

24 Hans-Georg Schede, Lektüreschlüssel, Reclam, 2005, S.78

25 Vgl. Hans-Georg Schede, Lektüreschlüssel, 2005, Reclam, S.78

26 Vgl. Hans-Georg Schede, Lektüreschlüssel, 2005, Reclam, S.5

27 Hans-Georg Schede, Lektüreschlüssel, 2005, Reclam, S.75

28 Hans-Georg Schede, Lektüreschlüssel, 2005, Reclam, S.6

29 Vgl. Hans-Georg Schede, Lektüreschlüssel, Reclam, 2005, S.6

30 Vgl. Hans-Georg Schede, Lektüreschlüssel, Reclam, 2005, S.6

31 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 19

32 Vgl. Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 29/30

33 Vgl. Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 29

34 Vgl. Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 29

35 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 19

36 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 19

37 Vgl. Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S.17

38 Vgl. Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 20

39 Vgl. Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 20

40 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 21

41 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 21

42 Vgl. Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 1

43 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 20

44 Vgl. Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 13

45 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 31

46 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 31

47 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 32

48 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 34, 35

49 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 34

50 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 35

51 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 35

52 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 35

53 Vgl. Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 45

54 Vgl. Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 46

55 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 48

56 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 48

57 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 50

58 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 50

59 Vgl. Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 51

60 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 51

61 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 50

62 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 54

63 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 59

64 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 57

65 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 93

66 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 97

67 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 104

68 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 101

69 Vgl. Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 100

70 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 119

71 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 133

72 Vgl. Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 136

73 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 142

74 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 127

75 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 127

76 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 127

77 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 139

78 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 139

79 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 63

80 Vgl. Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 63

81 Vgl. Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 63

82 Vgl. Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 64/65

83 Vgl. Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 65

84 Vgl. Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 73

85 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 82

86 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 87

87 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 100

88 Vgl. Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 138

89 Vgl. Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 139

90 Vgl. Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 139

91 Gerhard Härle, Männerweiblichkeit, 1993, S. 143

92 Vgl. Gerhard Härle, Männerweiblichkeit, 1993, S. 143

93 Gerhard Härle, Männerweiblichkeit, 1993, S. 144

94 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 29

95 Thomas Mann, Der Tod in Venedig, 2007, S. 26

96 Hans-Georg Schede, Lektüreschlüssel, Reclam, 2005, S.8

97 Hans-Georg Schede, Lektüreschlüssel, Reclam, 2005, S.8

98 Vgl. http://www.kinofenster.de/filme/ausgaben/kf0410/geschichte_der_homosexualitaet/

99 Vgl. https://aktuell.spoe.at/homophobie-gedenktag-gleichgeschlechtliche-liebe-weltweit- akzeptieren-523728/

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Anders als die Anderen. Homosexualität zu Beginn des 20. Jahrhunderts anhand des Werkes „Der Tod in Venedig“ von Thomas Mann
Autor
Jahr
2014
Seiten
16
Katalognummer
V285031
ISBN (eBook)
9783656867210
ISBN (Buch)
9783656867227
Dateigröße
443 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
anders, anderen, homosexualität, beginn, jahrhunderts, werkes, venedig, thomas, mann
Arbeit zitieren
Katharina Emmer (Autor:in), 2014, Anders als die Anderen. Homosexualität zu Beginn des 20. Jahrhunderts anhand des Werkes „Der Tod in Venedig“ von Thomas Mann, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/285031

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