Die fiktionalisierte Darstellung der Teilung Chinas und deren internationale Faktoren in "Roter Fels" und "Gelbe Gefahr"


Seminararbeit, 2012

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Romananalysen
2.1 Roter Fels
2.2 Gelbe Gefahr

3 Vergleich

4 Schlussbemerkungen

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Immer hat Geschichte zwei Komponenten: das, was geschehen ist, und den, der das Geschehene von seinem Orte in der Zeit sieht und zu verstehen sucht. Nicht nur korrigieren neue sachliche Erkenntnisse die alten; der Erkennende selber wandelt sich. Die Vergangenheit lebt; sie schwankt im Lichte neuer Erfahrungen und Fragestellungen (Mann zit. N. Jonas 2004, 38).

Die vorliegende Arbeit behandelt den Science-Fiction-Roman Gelbe Gefahr, der Wang Lixiong zugeschrieben wird, sowie einen Vertreter der revolutionären Literatur Chinas, den Kriegsroman Roter Fels von Luo Guangbin und Yang Yiyan.1 Beide eint sie das literarische Bestreben, erzählerische Darstellungsformen für die Phasen territorialer und ideologischer Teilung zu finden und Gründe für dieses Phänomen zu erforschen. Warum ist es so aufschlussreich, gerade diese beiden Romane im Zusammenhang zu lesen und zu interpretieren? Die Antworten, die die Texte herausarbeiten, sind maßgeblich von deren zeitlichen Paramatern und damit variierender Literarizität und Funktionalität bestimmt. Sie problematisieren das Phänomen eines geteilten China nicht nur auf ganz unterschiedliche Art und Weise, sondern gelangen auch zu ganz unterschiedlichen Botschaften an den Leser. Besonders für das nicht-chinesische Publikum ist dabei von Interesse zu erfahren, wie internationaler, meist westlicher Einfluss diesbezüglich gesehen wird. Nach einer Einzelbetrachtung beider Werke und deren spezifischen Interpretationen der Teilungsfrage im Rahmen ihrer Gesellschafts- und Kapitalismuskritik folgt ein Kapitel zu strukturellen, stilistischen sowie inhaltlichen Kongruenzen und Divergenzen. Besonders vor dem Hintergrund der ungelösten Patt-Situation an der Taiwanstraße und der erneuten gesellschaftlichen und geschichtlichen Weggabel, an der sich die Festlandchinesen im Moment befinden, lohnt im Schluss ein Blick darauf, welche Handlungsmaximen und Lösungen sich möglicherweise aus der Lektüre von Roter Fels und Gelbe Gefahr für die nahe Zukunft ableiten lassen.

2 Romananalysen

2.1 Roter Fels

[Die Volksrepublik China; A.H.] (setzte gegen) eine ambivalente westliche, (...) eine totalitaristische Moderne. Ihr Kampf gegen eine westliche Moderne, war aus ihrer Sicht ein notwendiger Beitrag zur Konsolidierung des neuen Staates. Und dem hatte sich alles unterzuordnen (Kubin 2009, 272).

So bleibt kein Raum für die Ambivalenzen der Moderne, was sich unmittelbar auch auf das Schreiben von Roter Fels auswirkt. Die Folge ist, dass unpersönliche bzw. unzuverlässige Erzähler seltener anzutreffen sind, eine Erprobung des point of view nur noch eingeschränkt stattfinden kann und die Schilderung seelischer Abnormitäten in den Hintergrund tritt, es sei denn es handelt sich um jene der Gegner (Kubin 2009, 273). Dies wiederum führt unweigerlich zur Entstehung simplifizierender Dualismen, insbesondere zu den Ontologisierungen von Gut und Böse, von revolutionär versus reaktionär, „heroischer Kampf der werktätigen Bevölkerung“ (Luo 1977, 483) gegen die Unterdrückung durch Grundherren sowie Großbourgeoisie2. Eben diese rhetorische Absolutheit in der Darstellung der zwei Kontrahenten soll im folgenden Kapitel beleuchtet werden.

Um vorgefasste, also vorgegebene ideologische Ziele zu unterstützen, verläuft die sprachliche Demarkationslinie dieses Kriegsromans (Pohl 2006, 279) umso eindeutiger zwischen einem roten China „fortschrittlicher“ Helden und Märtyrer einerseits und einem weißen China der kapitalistischen und nationalistischen Schurken andererseits. Die stereotype und romantisierende Ästhetik, die dem Revolutionären Realismus und der Revolutionären Romantik verpflichtet ist, entwirft das Äußere ihres Personals entsprechend: großgewachsen und erhaben bzw. klein und denaturiert. Damit wird gemäß der ästhetischen Norm ein gewisses Bedürfnis nach Eindeutigkeit in der Merkmalszuschreibung bedient und bewusst forciert, was größtenteils statische Figuren erzeugt, die auf wenige typische Eigenschaften und Merkmale reduziert bleiben. Helden „neuen Typs“ verkörpern beispielsweise der unkorrumpierbare Parteifunktionär Xu Yunfeng 3 und die unerschrockene, virile Märtyrer­Gestalt des Long Guanghua4. Die Nationalisten und ihre amerikanischen Verbündeten fungieren in erster Linie als Kontrastfiguren, um einen rhetorischen und erzählerischen Gegenpol zu ihren proletarischen Opponenten zu bieten. Pejorative physiognomische Attribute, verstärkt durch wiederholte Tier-Metaphern und -Vergleiche,5 liefern die beabsichtigte degradierende Visualisierung eines entmenschlichten Feindes.6

„Das Haus glich einer Bestie, die sich zum Sprung duckt. (...) Man konnte den Geheimdienst mit dem riesigen Netz einer Spinne vergleichen (...). Alle diese unsichtbaren Fäden liefen hier zusammen, wo die schwarze Giftspinne [Xu Pengfei; A.H.] ihre Höhle hatte (...). Wie gewöhnlich, war auch jetzt das Schreien [der Gefangenen; A.H.] zu hören“ (82-84).

Ein Spezifikum der Figurenentwürfe besteht in der Melange von chinesischem Nationalismus und den Insignien westlichen Kapitalismus und Imperialismus. Soldaten, im Roman ubiquitärer Ausdruck einer militarisierten Gewaltherrschaft, 7 tragen US-amerikanische

Waffen und Uniformen und erhalten US-amerikanische Ausbildung.8 Dekadente Parteigranden kokettieren im Gespräch mit amerikanischen Vorgesetzten mit englischen Versatzstücken,9 eine Entfremdung von ihrer eigenen Kultur bewusst in Kauf nehmend.

Cheng Gang (kam) in direkte Berührung mit jener Welt, die ihm Abscheu und Ekel einflößte. Die höheren Angestellten waren nur in amerikanische Uniformen gekleidet und hatten von früh bis spät nichts anderes zu tun, als zur Börse zu rennen, (...) dem Volk mit unersättlicher Gier das Blut auszusa ugen. All dem gegenüber konnte der junge Cheng Gang nichts anderes als Zorn und Hass empfinden (Luo 1977, 32).10

Die von der Guomindang11 unter Chiang Kai-shek 12 aufgebaute Gesellschaft wird folglich zum Inkubator eines neuen chinesischen Typs, der sich in Duktus und Habitus unaufhaltsam amerikanisiert. Diese Tendenz impliziert ein geradezu verstörendes Moment für die Verfechter einer eigenständigen, genuin „chinesischen“ Lebensordnung, konterkariert sie doch die auf jahrhundertelange Erfahrung gründende Gewissheit, dass gebietsfremde Invasoren letztlich Mal für Mal in die chinesische Kultur assimiliert werden können (Kissinger 2011, 22).13 Im Kampf um China steht also nicht nur die Einheit der Nation auf dem Spiel. Schlimmer, eine kommunistische Niederlage wäre gleichbedeutend mit einem vollständigen Verlust chinesischer Identität.

An der weißen Wand prangte eine Reihe von Fotografien: der amerikanische Spionagehäuptling und Vizechef der SACO Miles und Dai Li (...) (142).14

Zur Verdeutlichung ihrer Botschaft im Dienste der Vereinfachung weltanschaulicher Kategorien schrecken die Autoren nicht einmal vor Geschichtsrevisionismus zurück. Es ist richtig, dass die Administrationen unter Roosevelt und Truman vor allem durch Waffenlieferungen ihren Anteil an einer Prolongierung des Bürgerkrieges (Guógòng Nèizhàn, HÄrt^) zu verantworten hatten. Das betrifft nicht nur die Auseinandersetzung auf dem

Festland, sondern insbesondere auch die Schaffung eines Refugiums für die Reste nationalistischer Herrschaft auf Taiwan. Die Zusammenarbeit zwischen der Guomindang und den USA während des Konflikts beschränkte sich nichtsdestoweniger auf Geheimdienstaktivitäten. Ausländische Mithilfe beim Aufbau und der Verwaltung von Konzentrationslagern (jizhöngying, ^ψ^) für politische Häftlinge wurde nicht gewährt.15 Doch handelt es sich um mehr als bloße Propaganda. Im Gegenteil, die manipulierte und manipulative Darstellungsweise entwickelt die bereits etablierte rhetorische proximitas beider Typengruppen, Nationalisten und Amerikaner, lediglich konsequent weiter. Es geschieht ein erwartbarer Bruch mit historischer Akkuratesse zu Gunsten literarischer Pointierung. Durch die Stilisierung der Haftanstalten der „SACO, der Hochburg der chinesischen und amerikanischen Reaktion“ (386), zu einem neuzeitlichen locus terribilis, werden sie zu einem beredten Zeugnis des realsozialistischen Geschichts- und Gesellschaftsbildes „am Vorabend der Befreiung Chinas“ (483). Darüber hinaus entsteht der Topos der nationalistischen Geißel, die sich mit Gewalt gegen die Wiedervereinigung einer gespaltenen Nation unter neuem Banner stemmt.

Die schwer bewachten Konzentrationslager agieren als Metaphern, die en miniature die Jahrzehnte währende Geiselnahme und Gefangenschaft der chinesischen Gesellschaft durch die chinesisch-amerikanische Despotie versinnbildlichen sollen.16 Die Abgeschiedenheit der SACO-Festungen wie der „Höhle“ (Zhäzi Dòng, „Höhle der Ehrlosen“) und dem „Weißen Haus“ (Bái Göngguän, Й^Ш) zeigt sie als widernatürliche Fremdkörper inmitten der blühenden Landschaften Chinas.17 Ferner repräsentieren sie die gesellschaftliche Isolation, in die sich die als koloniale Fremdherrschaft wahrgenommene reaktionäre Allianz durch ihre „volksfeindliche“ Politik manövriert hat. Sie bilden literarische Kristallisationspunkte des maliziösen, geradezu morbiden gesellschaftlichen Experimentes der Nationalisten, das chinesische Volk zu hörigen Untertanen einer importierten Ideologie umzuformen.18 Dieser Versuch ist zum Scheitern verurteilt, sind doch die Kommunisten vereint und untrennbar in ihrer unerschütterlichen, quasi-religiösen Glaubenshaltung (siehe S. 139: „Mein Bekenntnis“). Dieses revolutionäre Bewusstsein vermittelt ihnen Mao Zedong, der die Kommunistische Partei Chinas als eine Entität sui generis mit absolutem Anspruch auf Wahrheit symbolisiert. Folglich ist jede Abweichung von diesem Dogma lediglich temporär, mithin auch die Existenz aller Elemente, die diesen widernatürlichen Teilungszustand erst ermöglichten.19 Mit ihrem Werk gelingt den Autoren eine maoistische Meistererzählung über die legendäre Staatsgründung und dem „Aufbruch in das Licht der Zukunft“ (Pohl 2006, 283)20 - und somit ex post die Suggestion eines konkludenten und einheitlichen Geschichtsbildes.

2.2 Gelbe Gefahr

(...) Taiwan, Fuzhou, Nanjing (...) want to wipe out the Party and the government and divide up China, so that they can all have their own little kingdoms. They want to kill everyone here, to tear down the five-starred red flag of our People's Republic and fly the white star of the Kuomintang and Taiwan in its place. How has China reached such a state of disunity (Wang 2008, 286)?

Der folgende Abschnitt behandelt die Darstellung der Teilung Chinas im Science-Fiction­Roman Gelbe Gefahr. Der Autor Wang Lixiong erstellt zuerst eine äußerst komplexe Analyse dieses Problems, ehe er zu einer Konklusion kommt. Daher ist es notwendig, zuerst einen

Blick auf gesellschaftsinterne Aspekte zu werfen, um den desintegrativen Einfluss internationaler Faktoren verstehen zu können. China wird von Wang als eine Nation charakterisiert, in der ein dünner, aber mächtiger Filz des Polit- und Geldadels das Land sozioökonomisch abgewirtschaftet hat. Ohne ein einendes, Kohäsion zeitigendes Element entstehen folglich Risse entlang aller gesellschaftlichen Achsen.21 Der desolate Zustand Chinas begünstigt zudem einen Rückfall Japans, der USA und Russlands in eine imperialistische Politik mit dem Ziel der Annexion und territorialen Neuordnung Chinas.

Mit einer facettenreichen, diese prekäre Situation Chinas illustrierende Metapher wartet der Erzähler gleich zu Beginn des Buches auf. Die baufälligen Dämme des Gelben Flusses bersten (Wang 2008, 15-17) und die Fluten reißen das Land durch die Zerstörung der Nord­Süd-Eisenbahnverbindung zwischen Beijing und Shanghai gewaltsam entzwei. Weite Teile des Landes stürzen in der Folge in Not und Elend. Die Darstellung des Vorfalles antizipiert eine Kette von Ereignissen, die im späteren Massenexodus des chinesischen Volkes

kulminieren, welches sich einer unaufhaltsamen Welle gleich über die Erde ausbreiten wird.22 Das Menetekel dient auch als metaphorisches Vehikel zur Offenlegung des irreversiblen Verfalls innerhalb der chinesischen Gesellschaft.

,Politics in command!’ was the magic formula of the Chinese Communist Party for governing the country and it was an excellent method of guaranteeing the loyalty of government departments. But when the political situation became complicated, the efficiency of government departments declined rapidly. Uncertainty about the verdict on June Fourth had a profound effect on the morale of all government personnel and matters of primary importance tended to take second place. Social disorder also affected organization and the normal circulation of goods, so that when all the preparations had been made an emergency had already become a crisis (15).23

Es rächt sich nun die Jahrzehnte währende Säumnis staatlicher Vormundschaft, dem Volk nie genug Autonomie und gesellschaftlichen Raum für die Entwicklung einer Zivilgesellschaft eingeräumt zu haben. Die Abwesenheit effektiver Verwaltungsstrukturen und eines Verantwortungsgefühls gegenüber dem Mitmenschen spiegeln sich in dem Unvermögen wider, die Bevölkerung in dem Maße für die Reparatur der Deiche mobilisieren zu können (15), wie es früher möglich gewesen wäre. Die Katastrophe kann so ungehindert ihren Lauf nehmen.24 Das Bild gewinnt eine weitere Deutungsebene durch seinen Verweis auf historische Überschwemmungen des Stromes und die Implikationen für die jeweiligen politischen Machthaber.25

Ein solches Dammbruch-Ereignis weckt zudem Assoziationen an Chinas zweiten bedeutenden Strom, den Jangtsekiang mit seinem Dreischluchtenstaudamm, der das Land dem chinesischen Verständnis nach in Nord und Süd teilt.26 Das wirft die Frage nach einer Beziehung der Kontiguität auf, das heißt, inwiefern das Buch der historischen Zusammengehörigkeit beider Flüsse zur Illustration von Aspekten der Teilung Rechnung trägt. In der Tat markiert der Strom beispielsweise im späteren Handlungsverlauf - genau wie Ende der 1940er Jahre - die psychologisch wichtige Demarkationslinie zwischen den chinesischen Bürgerkriegsparteien (283) und - in der Vision Wangs - anschließend die Front zwischen den US-amerikanischen und russischen Truppen (433).

In Ermangelung einer Vision für die Zukunft dieser dysfunktionalen Gesellschaft und eines überzeugenden Exponenten schotten sich die kommunistischen Machthaber zunehmend ab (63). Dieses Verhalten führt zur Genese einer gefährlichen Bruchstelle zwischen Staatsregierung und Staatsvolk. Statt neue, kreative Wege aus der Krise zu suchen, verfällt der Machtappart wie früher dem alten Habitus, einen kaiserähnlichen Herrscher zu inthronisieren. Wang Feng ist Ausdruck dieses hilflosen Wunsches nach Erlösung durch eine messianische Führergestalt. Wang installiert eine monokratische, faschistische Diktatur, um Kontrolle und ideologische Einheit wiederherzustellen (127). Das zementiert aber noch die Zersplitterung der Gesellschaft und beschleunigt so den bevorstehenden Kollaps des Landes.27 Der Antagonist Wang Feng weist durchaus viele Qualitäten eines lernenden und veränderbaren Charakters auf, muss aber auch als typisierter Ausdruck einer hermetischen Politkaste gelten, die jedes revolutionäre Pathos, nicht indessen ihren Alleinvertretungsanspruch verloren hat. Es sind gesellschaftliche Systeme wie dieses, welche in der Geschichte schon oft den Emporstieg von Fanatismus und Menschenverachtung begünstigt haben.28

Der Autor geht an dieser Stelle nicht nur von einem zyklischen Verlauf der Geschichte aus, bei dem sich historische Ereignisse in Abwandlung wiederholen: „The progress of humanity over the ages is like an insignificant ,0‘ drawn in the sands of time“ (492)29. Traumata, wie sie durch die Verletzung nationaler Souveränität entstehen, nehmen einen besonderen Platz im kollektiven Gedächtnis der Chinesen ein. Die folgende Passage etwa illustriert, wie ein Ungleicher Vertrag selbst noch fast zwei Jahrhunderte später zu einem empörten Aufschrei der Volksmassen führen kann.

„What you see over there used to be Chinese territory until the Russian Czar seized it by the unequal treaty of Aigun that China was forced to sign in 1858.” After this rather pedantic start, the speaker rephrased it. “Over there is the treasured land of our ancestors. The hairy devils took it from us by force.” This was the kind of language everyone in China had heard every day for thirty years when China and Russia were deadly 30 enemies (368)30.

Bemerkenswert ist ferner das Szenario, welches der Autor auf Basis der historischen geostrategischen Situation Japans und Chinas der 1930er und 1940er entwirft. Japan schafft erneut einen Mandschukuo ähnlichen Marionettenstaat in der nördlichen Provinz Heilongjiang (Hèilóngjiangsheng,31 Am Ende des 20. Jh. entsteht die Sino-

Japanese Economic Cooperation Region „zu gegenseitigem Nutzen“ mit Einwilligung der chinesischen Regierung (12). Eine bestimmte geschichtliche Konstante ist trotzdem wieder zu entdecken. Das Aufleben der japanischen Expansionsbestrebungen korrespondiert zeitlich mit der Absenz eines tragfähigen Wertekonsenses und großer Ungleichheit in der chinesischen Gesellschaft. An diesen ungelösten Fragen zerbricht das Land schließlich in ein nördliches und ein südliches Territorium.

Der zweite Teil des Werks stellt u. a. dar, wie Taiwan, die USA und Russland in den Bürgerkrieg involviert werden und welche Rolle sie als internationale Akteure bei den desintegrativen Vorgängen in China spielen.32 Taiwan entschließt sich, die Gunst der Stunde zu nutzen und zieht an der Seite der Föderation der nun unabhängigen südchinesischen Provinzen in den Krieg gegen Nordchina mit dem Ziel der Zurückeroberung des Festlandes (283). Wang Feng vereitelt dies mit einem Nuklearschlag gegen Taipeh, was aber gleichzeitig sein politisches Ende bedeutet (287, 296, 357). Im weiteren Verlauf bringen die USA die von der Südlichen Allianz eroberten Gebiete sukzessive unter ihre Kontrolle, während Russland die nördlichen Regionen besetzt hält. Anfänglich wird der Leser wie auch das chinesische Volk über die Ziele der Intervention im Unklaren gelassen.33 Doch bald stellt sich die Erkenntnis ein, dass die „Neokolonialherren“ mit der Besetzung Chinas ausschließlich ihre eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen verfolgen (432-434): „I take a piece, you take a piece“ (432).34

Wang Lixiong, der den Leser zu diesem Zeitpunkt bereits mit der Struktur seiner dystopisch-futurologischen Extrapolationen vertraut gemacht hat, reduziert die Nova 35 auf ein Mindestmaß und verzichtet auf allzu plötzliche Peripetien. Das stiftet Kohärenz, begründet nachvollziehbare Entwicklungen und verleiht der Fiktionalisierung eines geteilten China zusätzliche Glaubwürdigkeit. Weiterhin ist auffällig, dass sich der Autor regelmäßig fingierter Ausschnitte aus westlichen Zeitungen und Zeitschriften wie The Times (282) oder Libération Daily (357) bedient. Er ahmt darin jene Erklärungs- und Deutungsmuster nach, wie sie tatsächlichen Artikeln der benannten Publikationen zu Grunde liegen könnten:

The US state Department [sic] has sent people to Taipei and to Fuzhou to discuss diplomatic relations. Yesterday the Assistant Secretary of State publicly expressed the hope that the crisis in China will be solved by a referendum. The attitude of the European community is close to that of the US; that of Russia is less clear. After the collapse of the USSR it was assumed in the West that Russia would become a second- rate power and no longer represent a significant threat. (...) The breakup of China would be less of a threat to her security than its transformation into a united, pro-western country. (... ) In this way Moscow hopes to realize Stalin's dream of a partition of China north and south of the Yangzi River (283f).

Diese Form des Zitierens erlaubt eine Intensivierung des „Immersionseffektes“, was auf Leserseite u. U. zu einer willentlichen Aussetzung der Ungläubigkeit führt (Walton 1978, 4­10). Dem Leser sowie den Personen, durch welche die Fokalisierung vor sich geht, bleibt vieles anfänglich noch verborgen. Verschiedene Handlungsstränge finden nur allmählich zueinander bzw. werden erst spät aufgelöst. Der als manipuliert anmutende Aufbau einer dramatischen Spannung - Ergebnis von Wang Lixiongs erzählerischer Strategie - konfligiert mit dem aufklärerischen Anspruch des Autors einen „objektiven“ Bericht über eine alternative Realität mit einer gänzlich neuen Sozialphilosophie zu verfassen.36 Mit der Nutzung derartiger erdachter Schriftstücke, die per se einem objektiven Schreibstil verpflichtet sind, gelingt dem Autor diese Gratwanderung. In Verbindung mit Tagebucheinträgen (332f) und Beobachtungen der Figuren entsteht daraus eine Collage, ein "Mosaik von [fiktiven, A.H.] Zitaten" (Kristeva 1972, 244f), die die Tragweite eines umfassenden Dossiers und die Authentizität eines Geschichtsbuches gewinnt. Durch diese „Historisierung der Zukunft“ entsteht der Eindruck eines faktualen Textes, obwohl es sich um einen fiktionalen Text handelt. Diese Art der dokumentarischen Darstellung eines zerbrochenen Chinas der Zukunft beinhaltet letztlich auch eine Subjektivierung des ethischen Imperativs, Lehren aus der eigenen Geschichte zu ziehen und von der uns eigenen „immunitären“ Fähigkeit zur Selbstperfektionierung Gebrauch zu machen (Sloterdijk 2009, 5-17). Damit wird sowohl die Verhinderung der Anti-Utopie möglich, als auch die Bewahrung unserer Gesellschaften - so unvollkommen sie auch sein mögen.

3 Vergleich

Beide Bücher unterscheiden sich in der Wahl ihrer erzählerischen Strategien, um Kapitalismuskritik zu üben und ihre Gegenmodelle sozioökonomischer Organisation zu propagieren. Was den emotionalen Zugang des Lesers hinsichtlich ihrer Botschaften anbelangt, divergieren sie auffallend. Die Lektüre evoziert respektive buchstäblich gegensätzliche Stimmungen. Während Gelbe Gefahr durch seine Nüchternheit, Profundität und die Gegenwart einer fin de s/ecle-Stimmung besticht,37 versucht Roter Fels die Verringerung der Distanz zum Leser durch die literarische Nachahmung der Aufbruchsstimmung und revolutionären Ekstase des Bürgerkrieges. Der Leser findet sich beide Male in der Rolle des Lernenden bzw. des Belehrten wieder - aber mit jeweils unterschiedlichem Vorzeichen. Der folgende Abschnitt soll Charakteristika der differenten erzählerischen Vorgehensweisen akzentuieren und dabei auf strukturelle Aspekte, also den Aufbau kausaler und chronologischer Zusammenhänge „hinter“ der Erzählung, Figurenkonstellationen und -konzeptionen, sowie auf die Frage eingehen, inwieweit ein mimetischer Bezug zu den Realitäten außerhalb der Romane erzeugt wird.

Alle Autoren, Wang, Luo und Yang, wählen zunächst eine deduktive Methode. Anhand des desolaten Zustandes der Nation legen sie ein malum morale, nämlich die systeminhärenten Defizite des Kapitalismus offen. Nach der Identifikation des internationalen Faktors als Entstehungsgrund, folgt bei Wang der induktive Schluss, dass sich die so verursachte chinesische Identitätskrise und der damit verbundene innere38 gesellschaftliche Verfall zwangsläufig wegen ihrer katalytischen Wirkung zu einer globalen Krise ausweiten muss. In der Tat wird das in Gelbe Gefahr projektierte China zum späteren „Epizentrum“ der Handlung, von wo aus sich gesellschaftliche und politische Risse in alle Himmelsrichtungen ziehen.39 Das primäre Interesse des Autors gilt damit weniger dem Deskriptiv-diegetischen bei seiner Aufarbeitung internationaler Mitwirkung an der chinesischen Teilung wie in Roter Fels, als vielmehr der Eruierung kausaler Zusammenhänge im Rahmen eines prognostischen Modells, um zu einem „Programm der Gleichheit“ (Müller 2003, 4-10) als Grundlage eines neuen Gesellschaftsvertrages zu finden. Während Roter Fels die „Schuldfrage“ schon a priori als historisches Fixum keiner Prüfung unterzieht, bleibt Wangs Roman diesbezüglich ambivalent und lässt in effectu den Schluss einer Mitschuld Chinas an seiner Spaltung zu.

Die gesamte erste Hälfte des Science-Fiction-Romans ist als verlängerte Exposition zu sehen,40 die intradiegetisch ab ovo von der zersetzenden Dynamik systemisch-sozialer Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten (staats-)kapitalistischer Gesellschaften berichtet, die unweigerlich zur Katastrophe führen muss: zuerst zum Bürgerkrieg der Chinesen dann aller „Weltbürger“.41 Bei Wang wird die Internationalität dieses Problemkomplexes insbesondere durch die Diversität der Handlungsorte verdeutlicht.42 An dieser Stelle stehen sich die erzählerischen Vorgehensweisen der Autoren diametral gegenüber. Die Handlung des Kriegsromans Roter Fels findet ausschließlich auf dem Gebiet der späteren Volksrepublik statt und verzichtet auf eine derart elaborierte Hinführung. Der Roman geht stattdessen in medias res. Die Rahmenhandlung - der Bürgerkrieg - präsupponiert ein elementares Verständnis der spezifisch kommunistischen Lesart dieser vorgelagerten Erzählebene.43

Die konfigurativen Elemente sind zentral für die Schöpfung zweier organischer fiktiver Welten. Diese wiederum bringen mannigfaltige refigurative Zwischenwelten hervor, die sich zwischen Gelesenem und eigener Erfahrung auftun. Beiden Romanen gelingt es auf diese Weise, eine überzeugende Verknüpfung zwischen sich und der Wirklichkeit herzustellen. Im Gegensatz zu Roter Fels tritt Gelbe Gefahr in seiner Eigenschaft als epische Komposition zurück und setzt erzählerische Freiheiten des Autors zu Gunsten innerer Evidenz hintan. Diesen Wirklichkeitseffekt, effet de reel, erzeugt der Erzähler durch detaillierte Beschreibungen der Räume und nichtsprachlichen Handlungen (Barthes zit. n. Genette 1998, 118, 222f). Somit vermeidet der Autor während der Lektüre allzu große Zweifel an Sinnhaftigkeit und Wahrscheinlichkeit der fiktiven Welt, möchte aber auch keine Illusionsbühne konzipieren. Wang Lixiong relativiert so die literarische „Abgesondertheit“ seines raum-zeitlichen Universums gerade soweit, um das Interesse des Lesers zu stimulieren, geht aber nie soweit, den Leser zur Aufgabe der Distanz zu seinem politisch engagierten Text zu verleiten.

Die Textstrukturation des Kriegsromans Roter Fels hingegen animiert den Leser, seinen Anspruch auf Verifizierbarkeit auszusetzen, sich ganz in den „Bann“ des Romans ziehen zu lassen. Der Leser ist sich der Präsenz des parteiischen Erzählers zwar gewahr, der manipulativ und sympathielenkend Einfluss auf die Worte seiner Figuren und die Gestaltung der Aktions­und Stimmungsräume nimmt. Eingedenk der spezifischen Anforderungen der proletarischen Romantik, die lediglich die damals zu Gebote stehenden, also politisch diktierten literarischen Analysewerkzeuge nutzt, mindert das die mimetische Qualität des Textes nicht. Dies kann aber dennoch zum Eindruck der Wirklichkeitsverfremdung führen, bei dem sich das Publikum sehr wohl der Illusion dieses revolutionären „Bühnenstücks“ bewusst wird.44 Insgesamt betrachtet wirft diese offensichtlich stilisierte Fiktionalisierung Chinas zur Bürgerkriegszeit die berechtigte Frage auf, ob Gelbe Gefahr bei aller immanenten Unschärfe seiner Zukunftsvision nicht eine größere Strukturhomologie (Auerbach 2001, 256), also eine größere Ähnlichkeit zwischen fiktiver und realer Welt aufweist.45

Während in Roter Fels die Darstellung einer horizontalen Spaltung zweier konkurrierender Ideologien im Vordergrund steht, untersucht Gelbe Gefahr eher die Aspekte einer vertikal geteilten, sozial äußert differenzierten chinesischen Gesellschaft. Diese unterschiedlichen thematischen Schwerpunkte sind von direkter Konsequenz für die Gestaltung des Personals, derer sich die Werke bedienen. Um die Hierarchisierung möglichst gut nachvollziehen zu können, zeichnet der Sci-Fi-Roman ein äußerst vielschichtiges Bild der Gesellschaft, ihrer Gruppen und Konflikte, was weniger Raum für homogene, d. h. erwartbare Verhaltensmuster lässt. Sie entpuppen sich als dynamisch in ihrer charakterlichen Entwicklung. Und obwohl zwar jeweils Teil eines gesellschaftlichen Systems, nicht aber an textexterne Parameter gebunden wie in Roter Fels, verfügen sie über die entscheidende Fähigkeit, sich je nach Situation opportunistisch, nicht konform und unerwartet zu verhalten.46

In vielerlei Hinsicht wirkt Gelbe Gefahr wie die „erwachsenere“ Fiktionalisierung der Teilungsproblematik. Dies ist allerdings weniger als Wertung denn als Hinweis auf den zeitlichen Abstand der Entstehung beider Werke zu verstehen. Denn die Charaktere aus Roter Fels teilen noch nicht die prägenden persönlichen und nationalen Traumata etwa der Kulturrevolution, der wirtschaftlichen Liberalisierung unter Deng Xiaoping oder des Tiananmen-Massakers. 47 Das Personal im Roman von Wang Lixiong, so die Lesart des Verfassers dieses Aufsatzes, verfügt dadurch über einen breiteren Erfahrungs- und Wissenshorizont. Stellt man den Vergleich an, so scheint die ideologische, geradezu jugendliche Nibelungentreue Cheng Gangs oder Xu Yunfengs, Helden der frühen sozialistischen Revolution, dem entidealisierten Pragmatismus eines Shi Ge gewichen zu sein.

4 Schlussbemerkungen

Autopoietische Systeme können ihre Strukturen nicht als Fertigprodukte aus ihrer Umwelt beziehen. Sie müssen siedurch ihre eigenen Operationen aufbauen und das erinnern - oder vergessen“ (Luhmann 2008, 13) Wang Lixiong stellt sich sein China als eines vor, in dem aufgeklärte Stimmen nach den Erfahrungen der Vergangenheit zwar immer noch Verfolgung erleiden, trotz allem aber wieder eher der Möglichkeit zur Äußerung und Einflussnahme teilhaftig werden. In der zweiten Hälfte seines Lebens gelangt er zu der nüchternen Erkenntnis, dass das gewaltige gesellschaftliche Experiment, das sein Land in den letzten zweihundert Jahren durchlief und durchlitt, in einer teleologischen Sackgasse geendet hat. Weder der halbfeudal-halbkoloniale Hybrid, noch der Sozialist chinesischer Prägung, noch der staatskapitalistischer Autokrat vermochten China eine überzeugende Vision für die Zukunft und damit dauerhafte Stabilität zu offerieren.48 Alle zeitigten und zeitigen sie letztlich Gesellschaften, deren Chancenungleichheit und ungerechte Verteilung der Ressourcen die Menschen entzweien. Dadurch der Fähigkeit zur Selbstbestimmung und zum Widerstand beraubt, liegt das Land ständig unter dem Schatten eines kolonialen Damoklesschwerts der territorialen Zergliederung Chinas, oder, um im Bild der beiden Romane zu bleiben - sogar deren „Atomisierung“. Die „Befreier“ beider Texte zeigen daher vehemente Skepsis gegenüber jedem Import sowie der eilfertigen Applikation nicht-chinesischer Ideologeme. Insbesondere der Kapitalismus in all seinen Variationen und mit all seinen Verheißungen stoße regelmäßig an eine „Technologiegrenze“, die eine weitere soziale Evolution vereitle. Denn ungeachtet dessen wie lange das „Gleichgewicht des kapitalistischen Schreckens“ in der Vergangenheit oder Gegenwart auch funktioniert haben mag, sobald alle Eskalationsstufen sozialen Unfriedens abgeschritten sind, komme es zum unweigerlichen Kollaps.49 Einen Ausweg aus dieser verhängnisvollen, selbst verschuldeten Unmündigkeit sehen sowohl die „jungen“ als auch die „alten Revolutionäre“ in ihren jeweils eigenen, genuin chinesischen Transformationskonzepten. Beiden ist gemein, dass sie ihren Lösungsvorschlägen die historisch gewachsene und mehrfach unter Beweis gestellte Fähigkeit Chinas zur Selbsterneuerung und Selbstfindung sowie die Ideale des politischen und gesellschaftlichen Egalitarismus zu Grunde legen.

Eine weitere zentrale Übereinstimmung besteht in der Schlüsselrolle, die beiden Romane dem Taiwan-Konflikt zuschreiben. Sie beklagen den aus ihrer Sicht unhaltbaren Zustand, dass die Formosastraße mehr als nur eine breite Meerenge darstellt. Indem sich die Grenze zwischen beiden Bürgerkriegsparteien in Roter Fels gleich einem Trichter Richtung Süden bis hin nach Taiwan verjüngt, scheint sich auch die raison d’être des Festland-Regimes dauerhaft auf den Antagonismus zum südlichen Bruder zu verengen. Solange auch nur die Androhung einer actio des Festlandes existiert, existiert auch immer die Gewissheit einer gleich großen reactio „Nationalchinas“, die wiederum auf den Urheber der Aktion zurückwirken würde. Zwei Völker, die ohne Aussicht auf baldige Wiedervereinigung einen integralen Teil ihrer nationalen Identität auf die Isolation ihrer „abtrünnigen Provinzen“ gründen, werden ob dieser psychologischen Barriere auf Dauer zumindest partiell vom Rest der Welt isoliert bleiben.50

Wang Lixiong weist so auf ein gefährliches Dilemma hin, wie es entstehen kann, wenn überholte Denkmuster auf die unkontrollierbaren Dynamiken einer globalisierten Welt prallen. Der Irrglaube, einen Ausweg zu finden, indem man denselben - wie in Roter Fels - noch zu erobern und zu vernichten beabsichtigt, ist genauso vermessen wie die Hoffnung, eine Perpetuierung des Status Quo durch vorsichtige wirtschaftliche Normalisierung könne echte politische Konvergenz ersetzen. Die Teilung wird auf dem Fundament traditionellen geostrategischen Denkens daher überhaupt nicht oder nur unter großen Opfern zu überwinden sein. Letztlich, so Wang, ermöglicht nur eine weitere soziokulturelle Evolution hin zu einer „universalen“ Kultur die Lösung des Taiwan-Konfliktes. Dem allerdings muss erst eine radikale Entgrenzung der Kulturen vorausgehen. Es ist an uns Lesern - Bewohnern dieser unentwirrbar verflochtenen Welt - zu entscheiden, wie diese Passage verlaufen wird.

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[...]


1 Da der Aufsatz im Folgenden anhand der Romane auf die Spezifika beider literarischer Gattungen eingehen wird, sei hier zur Einführung in die Thematiken lediglich auf die beiden folgenden Werke verwiesen. Umfassende Informationen zum Science-Fiction-Genre gibt beispielweise Darko Suvin mit seinem 1979 erschienenen Buch Poetik der Science Fiction. Zur Theorie einer literarischen Gattung. Helwig Schmidt- Glintzer geht auf den Seiten 257-269 seiner Geschichte der chinesischen Literatur u. a. näher auf den sozialistischen Realismus in China, sowie die sog. 2RR ein, den Revolutionären Realismus und die Revolutionäre Romantik (1999. München: Beck'sche Verlag.).

2 Die maoistische Terminologie spricht hier von der „besitzlosen Klasse“ (wúchan jiejí, Ж^ШШ) und dem „Feudalismus“ (fengjiàn, ±d®) (Fairbank 2006, 3211).

3 „Mit Drohungen hatten sie nichts erreicht, jetzt wollten sie ihn kaufen“ (Luo 1977, 151). „Ich werde der Revolution nie in den Rücken fallen, indem ich auf euren politischen Schacher eingehe“ (157).

4 „(Long Guanghua) hatte etwas unverkennbar Militärisches an sich. Seine Uniform hatte er noch an, und trotz der brütenden Hitze war der Kragen bis obenhin geschlossen. Selbst die Mütze hatte er auf. Nur seine Ärmel waren hochgekrempelt und ließen die muskulösen braunen Arme frei. ,Ich gehöre zur Neuen Vierten Armee (...) (und bin im) Bürgerkrieg verwundet worden.‘ Er öffnete die Uniformjacke und ließ eine breite Narbe auf der rechten Schulter sehen. ,Als ich wieder zu Bewusstsein kam, war ich gefangen. Erschießt mich, habe ich gesagt, sie haben es aber nicht gemacht‘ (167). Die Seiten 188 sowie 197-200 beschreiben seinen Märtyrertod.

5 „Dieser Mann [Xu Pengfei, Leiter eines Spionagedienstes; A.H.] massig, mit dunklem, glattrasiertem Gesicht, buschigen Augenbrauen und fettem, ausdruckslosem Kinn“ (83).

6 Weitere Vergleiche und Metaphern, mit denen die nationalistischen und kapitalistischen Antagonisten belegt werden, und die teilweise sogar deren Namen ersetzen, finden sich z. B. auf den Seiten 187 („Orang-Utan“), 189 („Eule“), 192 („Aufseher mit einem Schweinsgesicht), 213 („wir [die Kommunisten; A.H.] treiben die Schweine und Schafe hinaus“, „Sohn einer Schildkröte“), 296 „[ein amerikanischer Arzt mit einem; A.H.] (spitzen) Mausgesicht“, 353 („Spürhunde“), 458 („die Kreaturen Amerikas und Tschiang Kai-scheks“). Von jedem Fluchtweg abgeschnitten und der Volksbefreiungsarmee in die Ecke gedrängt, zeigt die „GMD-Bestie“ Xu Pengfei schließlich ihre ganze Krudität. „Du willst nicht? Ich erschieße dich! (...) Landesverräter! Man soll ihn sofort erschießen! (...) Mit Stumpf und Stiel ausrotten! Töten! Töten“ (483)!

7 Am 28. Januar 1932 nahm Chiang die Arbeit als Direktor der Kommission für Militärische Angelegenheiten

auf (Guómín Zhèngfü Jûnshi Weiyuánhui, Diese baute er konsequent nicht nur zum

neuen Gravitätszentrum der Nationalen Revolutionsarmee, sondern der gesamten Republik China aus (Eastman 1986, 129; Fairbank 2006, 292). So gelang es Chiang, die Parteidiktatur sukzessive in eine Militärdiktatur zu überführen. Die Armee unter ihrem Militärdiktator Chiang kontrollierte jetzt vollständig Entwicklung und Ausrichtung des Regimes (Eastman 1986, 118-119, 122).

8 Die Seiten 6, 34 213 und 397 gehen z. B. auf die amerikanischen Waffenlieferungen und die Ranger­Schulungen der GMD-Soldaten ein. Seite 318 beschreibt das ganze Ausmaß der amerikanischen Teilhabe am chinesischen Spionageprogramm: „Es gab [im Gefängnis-Archiv; A.H.] Bücher mit den Initialen der SACO, zweisprachige Lehrbücher über Spionagetechnik, Sprengtechnik, Beschattung und dergleichen.“ Die kolonialen Absichten und der genaue Umfang der amerikanischen Intervention bleiben dem chinesischen Volk und dem Leser lange Zeit verborgen (331, 431f, 457f). Das erzeugt die Vorstellung eines „gespenstischen Schattens“ (389), der nach außen hin kaum in Erscheinung tritt. Es wird deutlich, dass die USA eine Art graue Eminenz hinter der nationalistischen Regierung sind und Chiang als willfährige Marionette für ihre politischen und ökonomischen Ziele installiert haben.

9 Shen Yangzhai, Vizechef des Geheimdienstes der KMT-Armeeagentur in Südwestchina: „Jedes einzelne [der

Bilder; A.H.] ist O.K. Und hollywoodreif“ (Luo 1977, 150) (Zhängzhäng döu shi ,ting häo‘, bäifenzhibäi de haolàiwù jìngtóu, (Luo 1961, 186).

10 Die folgenden Zitate illustrieren die ausschweifende amerikanische Lebensart, die zwar Wohlstand, aber auch Dekadenz nach China gebracht hat, und daher, so die Aussage an dieser Stelle, nicht nachahmenswert ist. „Es ist ja nichts Besonderes aufzutreiben in Chongqing. Ein paar russische Spezialitäten. aber der Wein ist schon besser. Amerikanischer Champagner und französischer Portwein“ (144). „Er war am „Cathy“, dem bekannten Kino, angelangt, wo soeben die Vorstellung zu Ende gegangen war. Das Publikum strömte im grellen Licht unter einem Riesenplakat mit einer nackten Frau hindurch auf die Straße. (...) Er musterte seine Umgebung: meistens Pärchen, die mit sich selbst beschäftigt waren und sich jedenfalls nicht um ihn hier in der Ecke kümmerten“ (112f).

11 Zhongguó Guómíndang, ψΗΗΚ^, Abk.: GMD, Nationalistische Partei Chinas.

12 Chiang Kai-shek (auch Jiang Jièshi, Ш^5 oder Jiang Zhongzhèng, ШФШ), geb. am 31. Oktober 1887 in Xikou (Provinz Zhejiang), gest. am 5. April 1975 in Taipei (Leung 2002, 65-67).

13 Als das Projekt nationalistisch-kapitalistischer Kolonisierung und Umerziehung auf dem Festland zu scheitern droht, greifen die Alliierten auf eine drastischere Maßnahme, die Strategie der „verbrannten Erde“, zurück. Chongqing und die letzten noch kontrollierten Gebiete im Südwesten sollen während der Umsiedlung des nationalchinesischen Machtapparates nach Taiwan verwüstet, alle politischen Häftlinge, und damit die leidenschaftlichsten Patrioten, sollen exekutiert werden. Die amerikanischen Besatzer, auf deren Betreiben hin diese Maßnahme vornehmlich zurückzuführen ist, schicken Sprengkommandos zur Unterstützung (378, 390, 446). Hier wird gewissermaßen bereits im Kleinen erprobt, was die Amerikaner und die ihre hörige Staatengemeinschaft, dem Roman nach, später mit letaler Konsequenz zu wiederholen beabsichtigen: „Wenn in vier bis fünf Jahren der neue Weltkrieg ausbricht, brauchen nur ein paar Atombomben zu fallen, und alles renkt sich wieder ein. (...) Bessere Tage kommen (...) Schließlich hat Washington dem ,Alten‘ [Chiang Kai-shek; A.H.] gegenüber deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die UNO nicht tatenlos zusehen wird, wie sich die Roten in Asien ausbreiten“ (431f).

14 Die Organisation für Chinesisch-Amerikanische Zusammenarbeit (Zhöngmei Tèzhong Jìshù Hézuòsuo, #ФФЙЖ^№Як, Sino-American Cooperative Organization, Abk.: SACO), wurde 1943 im Rahmen des SACO- Vertrages gegründet. Ziel war es, ein Spionage- und Sabotagenetzwerk im Krieg gegen Japan aufzubauen und Hilfe bei der Ausbildung von Geheimdienstpersonal zu leisten. Leiter waren der Chef von Chiang Kai-sheks Geheimpolizei, der Zentralbehörde für Ermittlung und Datenerhebung, Dai Li und der Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte in China Milton E. Miles. Der Organisation gehörten etwa 3 000 amerikanische und mehr als 100 000 chinesische Soldaten an. Die SACO gilt als Vorläufer der United States Navy SEALs (Miles 1967, 283-286; Stratton 2004, 1-5, 34-36). Cao Ying (W^) gibt in seinem Buch Aufzeichnungen über die Zentralbehörde für Ermittlung und Datenerhebung detailliert Auskunft über Aufbau und Ziele der Organisation (1995 12-15, 63, 89f).

15 Deng Youping (XßX^) präsentiert in seinem Artikel Über die chinesisch-amerikanische Zusammenarbeit in den Konzentrationslagern umfangreiches Quellenmaterial, das diesen Vorwurf entkräftet (1988).

16 „Handfesseln, Rostfrei. Made in USA“ (286).

17 Dagegen steht die ostentative Verbundenheit der Kommunisten zu ihrem Land und seiner Geschichte. Dies soll ihren Anspruch begründen, die wahren Träger einer „nationalen Essenz“ zu sein. Das emotionale Band zwischen „chinesischer Erde“ und autochthonem Bewohner wird an verschiedenen Stellen im Buch geknüpft. So rezitieren die Gefangenen Lyrik der Tang-Zeit, etwa das Gedicht Allein beim Trinken im Mondschein von Li Bai, welche u. a. die Schönheit der unberührten chinesischen Natur preist (Luo 1977, 376f; Waley 1919, 27f). Die Umdeutung dieser Bildsymbolik im Dienste der Ideologie erinnert an die Natur- und Landschaftsdarstellungen des chinesischen sozialistischen Realismus der 1960er und 1970er. Vgl. z. B. Luo Gonglius Mao Zedong im Jinggang-Gebirge, Shi Lus Übergang nach Nord-Shaanxi oder Zhan Jianjuns Fünf Helden im Langya-Gebirge. Der Mensch, und zwar der kommunistische Mensch allein, wird in diesen transzendent-metaphysischen Erhabenheitsinszenierungen, die auch in Roter Fels regelmäßig vorkommen, als harmonischer, indigener Bestandteil Chinas gezeigt (Luo 1977, 362, 482, 526).

18 Mit der Präsenz der Amerikaner fassen zunehmend westlicher Bellizismus und faschistisches Gedankengut in der Republik Fuß (371). Gegen diese staatlich geduldete Verrohung der Gesellschaft steht der feinsinnige und überlegene Intellekt der „fortschrittlichen“ Linken (372). Dies immunisiert Cheng Gang z. B. gegen das „Wahrheitsserum“, das ihm der amerikanischer Arzt einflößt (298-301). Die gewaltsame Injektion verbildlicht hier eben jene Invasion eines seiner Natur nach zwar inferioren, in seiner Primitivität und Rücksichtslosigkeit zeitweilig aber überlegenen fremden Eindringlings.

Mit dem Erstarken des Totalitarismus in Europa wurde dieser auch für die politische Rechte Chinas immer attraktiver (Fung 2000, 41-44). Fasziniert durch den augenscheinlichen „Erfolg“, setzte sich Chiang persönlich für den soziopolitischen Strukturwandel nach Vorbild des Nationalsozialismus in Deutschland ein. Die Geheimorganisation der Blauhemden (Lán Yïshè, Ж ^ ?± ; „Gesellschaft der Blauhemden“, weitere Bezeichnungen gebräuchlich) konstituierte zwischen 1932 und 1938 den innersten Führungszirkel und operativen Nukleus der Whampoa-Clique. Als „nationalistischer Revolutionswächter“ und Exponent der chinesischen Spielart des Faschismus („konfuzianischer Faschismus“) initiierten die Blauhemden die Bewegung für „Neues Leben“ (xln shenghuó yùndòng, ЙЁЙЕЙ) und versuchten so eine allgemeine konservative Mobilisierung der Bevölkerung (Dirlik 1975, 945-980).

19 Xu Yunfeng richtet in einer Art Schlussplädoyer über seine Henker, sie würden auf Grund der linearen (marxistischen) Entwicklung der Menschheit zwangsläufig von der Erde getilgt. „‘Vielleicht kannst du ausrücken. Aber vor der Strafe der Geschichte kannst du nicht fliehen.‘“ Xu Yunfeng stach genau in die Wunde. „‘Du willst nicht, aber du mußt erkennen, dass eure Klasse, eure Herrschaft und Kraft vom Rad der Geschichte zermahlen werden, für immer und ewig. Amerikanische Flugzeuge und Geschütze werden euch nicht helfen, genauso wenig wie Diversion und Sabotage. Ihr könnt als Banditen in die Berge gehen, rettet euch das? Du selbst glaubst nicht daran. Ihr bekommt die Kraft des Volkes zu spüren, seht seinen Sieg. (...) Was euch bevorsteht, ist grausame Nacht, schwarze Finsternis““ (450). Alsbald zerfallen, wie von Xu vorhergesagt, die letzten Reste reaktionärer Herrschaft auf dem Festland. „Feuerschein beleuchtete die hohe Umfassungsmauer des ,Weißen Hauses‘. Die SACO-Hölle brannte an allen Ecken und Enden, zerfiel in Schutt und Asche“ (Luo 1977, 482).

20 Die letzte Szene des Romans ist ein ikonographisches Zitat dieser Ästhetik: „Von Osten her schickte der glutrote Sonnenball seine ersten Strahlen (...) und in Millionen Strahlen ergoß sich das Morgenrot über ein freies Land (482)“.

21 In der jüngeren Geschichte Chinas übernahmen diese Funktion regelmäßig die „überragenden“ Parteiführer. “At the bottom there was ‘the Chairman’s’ signature (...). Though he had not been seen for a long time, it had lost none of its authority. It had the effect of a huge hand smoothing over differences and was accepted without hesitation or resentment” (188).

22 Hierbei handelt es sich um eine Anspielung auf ein berühmtes Zitat von Sun Yat-sen: „World progress is like a

tidal wave. Those who ride it will prosper, and those who fight against it will perish” (Shìjiè cháoliú, hào hào dàngdàng, shùn zhr zé chang, nì zhl zé wáng, ШШШШ, 1¿1h ЖЙИИА) (Sun zit. n.

Zhao 2011, 287).

23 Auslöser des desintegrativen Moments in dieser Entwicklung sind die durch das Tiananmen-Massaker am 4. Juni 1989 ausgelösten Unruhen (1). Die Ambivalenz all der transformativen Prozesse, die das Land in Folge dessen durchlebt, insbesondere der Umstand, dass sich das Land an einem Scheideweg befindet, wird dabei in der Formulierung deutlich, dass es sich bei dem Zwischenfall um eine „long-awaited opportunity or else a sharp double-edged sword“ handele (ebd.).

24 An unterschiedlichen Stellen im Buch werden „Gier“ und „Konsumerismus“ angeprangert, die die letzten verbliebenden „Werte“ einer Gesellschaft konstituieren, die dadurch zwar noch temporär weiter existieren kann, sich auf absehbare Zeit aber kannibalisieren wird (150, 244).

25 Durch die defizitäre Staudammverwaltung sahen sich etwa die absolutistischen Yuan (1279-1368) nicht im Stande, den wiederholten Fluten Einhalt zu gebieten, was aus Sicht der Bevölkerung einem Entzug des „Mandats des Himmels“ gleichkam (Eberhard 1971, 290). Ein Parteifunktionär greift diese Parallele auf. Er erwähnt mit den Qing allerdings eine Linie von Kaisern, die sich im Gegensatz zu den mongolischen Fremdherrschern durch eine effektive Bewältigung von Überschwemmungskatastrophen auszeichnete. Dies war schon damals ein wichtiger gesellschaftlicher Kitt und würde auch nun der Legimitierung des Herrschaftsanspruches der jetzigen „Dynastie“ dienen (336f). „We are not living in the corrupt Qing empire now!” said the head of the Committee for Rural Development indignantly. “The flood victims are not the Taiping, White Lotus or Nian rebels that Zeng Guofan was talking about. We are properly organized and won't allow things to get out of hand” (Wang 2008, 35).

26 Vgl. jiangbëi, ff ff, „nördlich des Jangtsekiang“ bzw. jiangnán, ff Й, „südlich des Jangtsekiang“ Dem Jangtsekiang kommt in der kollektiven Wahrnehmung der Chinesen eine besondere Bedeutung zu. Der Autor wählt diesen Ort daher auch für mehrere wichtige Ereignisse in seinem Roman. Der Fluss steht für die Kanonenbootpolitik der Westmächte (das Schifffahrtsrecht galt noch bis zur Mitte des 20. Jh.) und ist gleichsam der chinesische Rubikon, den die Volksbefreiungsarmee (VBA) während des Chinesischen Bürgerkrieges am 21. April 1949 überschritt (Fairbank 2006, 199f, 311).

27 Einer der Protagonisten des Romans, Shi Ge, etwa konstatiert: “China as a whole is sliding irresistibly, like a landslide, towards the abyss. The stronger the resistance to this tendency is, the greater the shock will be. (...) There seems to be no possibility of escape from destruction” (130).

28 Vergleiche dazu beispielsweise die Biographien von Zhou Enlai, Walter Ulbricht und Hermann Göring, die genau wie Wang Feng Karriere im Militär gemacht hatten und so die Errichtung jener Regime ermöglichten, in denen sie später Schlüsselpositionen einnehmen sollten (Leung 2002, 211f; Schroeder 1998, 81f; Fest 2004, 101­103).

29 Siehe dazu auch die Arbeiten von Oswald Spengler, Lin Tongji und Lei Haizong. Die beiden letztgenannten Historiker untersuchten historiographische Gesetzmäßigkeiten insbesondere mit der Absicht, eine Erklärung für die chinesische Geschichte während des antijapanischen Widerstandes vorzulegen (Xingtài shìxué, morphologische Geschichtsschreibung) (Luo 2001, 675). Hier z. B. weitere Stellen im Buch, die die morphologische Struktur chinesischer Geschichte beschreiben: „In earlier periods of crisis, China seemed to be getting bogged down. Without a basic change in policy, helping to get the country out of the mud, would merely allow the same thing to happen again, each time worse than the last” (Wang 2008, 126). “China is changing and at present no one dares predict what the future may bring. What we see now is reminiscent of the beginning of the twentieth century, when China was without a government. However, history never repeats itself exactly” (283). “’Several times in the history of our country, the state has collapsed and the result was not always so terrible as you describe it,’ the woman said” (327).

30 Besonders häufig wird Bezug auf die Übergangszeit vom Kaiserreich zur Republik und die Herrschaft der Nationalisten genommen. So zum Beispiel vergleicht Shi Ge die staatlich induzierten Liberalisierungstendenzen des zeitgenössischen China mit dem ambitionierten Reformkurs der Qing-Dynasty von 1911, die dadurch ihren eigenen Niedergang einleiteten (129). Weiterhin ahnt er den langwierigen und blutigen Weg hin zur Etablierung einer neuen Zentralgewalt voraus, wie es im China der ersten Hälfte des 20. Jh. schon einmal vorkam (ebd.). Auf den Seiten 199, 267 sowie 277 befinden sich weitere Anspielungen auf die Republikzeit als wichtiges Kapitel chinesischer Identitätssuche. Die Intention des Autors ist es zu zeigen, dass Identitätssuche ein rekurrierender Prozess ist und nicht durch die Ausrufung „endgültiger“ Wahrheiten ersetzt werden kann.

31 Damit ist die Parallele zum chinesisch-japanischen Krieg hergestellt, bei dem sich Japan getreu der Maxime divide et impera die fragile territoriale Integrität der chinesischen Republik unter Chiang Kai-shek zu Nutze machte und spätestens dann China als Hegemon Asiens ablöste. Die Black Dragon Society (Heilóngshè, M^?±, Anspielung auf die Provinz Heilongjiang) verdeutlicht schon durch ihre Bezeichnung, dass sie programmatisch in dieser Tradition steht. Die Nordprovinz soll als Brückenkopf dienen, um von hier aus die Invasion weiterer Teile Nord- und Nordostasiens voranzutreiben (12, 371).

32 Obgleich einem Projekt wie der erwähnten chinesisch-japanischen Sonderwirtschaftszone ein einschneidender Paradigmenwechsel im Umgang mit der eigenen nationaler Souveränität und mit dem japanischen „Erbfeind“ vorausgegangen sein musste, bleibt es für den weiteren Verlauf der Handlung von peripherer Bedeutung.

33 “But the two nuclear powers have their own intentions and whether they can genuinely maintain the unity of China remains to be seen” (357f).

34 “I didn't come back to China after fifty years abroad to see it colonized by the United States and Russia” (359). “’Any colonization, in the future, my friend,’ Shi Ge paused, then added with a cheerful, if enigmatic expression, ‘will be colonization turned upside down.’” (ebd.). Die Wortwahl macht deutlich, dass es sich bei der ausländischen Präsenz in der Wahrnehmung der Chinesen um einen Akt der Kolonialisierung und nicht, wie von westlichen Medien beschrieben, um eine “humanitäre” Intervention handelt (358).

35 Novum, Mehrzahl Nova, ist ein von Darko Suvin geprägter Begriff zur Bezeichnung von Elementen eines Science-Fiction Romans, die augenscheinlich kontrafaktisch, in ihrer Existenz aber nicht unmöglich sind (Suvin 1979 82f, 93f). Zukünftige Ereignisse, wie sie Wang in seinem Science-Fiction-Roman konstruiert, nehmen stets den „roten Faden“ der Vergangenheit wieder auf, und generieren so eine zwar erdachte, aber plausible kausale Verbindung zwischen Fakt und Fiktion.

36 Diese Stellen beschreiben Shi Ges Vision einer gesellschaftlichen Neuordnung, die von zentraler Bedeutung für das Buch ist: “What we need is an electoral system based on the principle that every sentient person, whether peasant or illiterate, can give expression to his or her will in a way that encourages social harmony. That's exactly what the Multi-level Election System is” (241). “The equal sharing which was an essential part of the Multi-Level Election System, was not only the sole means of survival, but also the basis for the revival of virtue, morality, self-sacrifice and love. Perhaps the disaster that had struck the Chinese people might prove to be their salvation (455)”.

37 “These last few years Shi Ge had felt the approach of final disaster. At first only in his dreams, then more and more frequently in his waking hours, but still as a nightmare: a formless, huge, edgeless and implacable convulsion, like a hurricane approaching, shaking the earth and rocking the mountains” (Wang 2008, 129).

38 Beide Bücher kritisieren die Hybris, dass sich die Menschheit, und zumindest ein Teil der Chinesen, mit dem Wohlstandskapitalismus fälschlicherweise auf dem Gipfel gesellschaftlicher Entwicklung, gleichsam am „Ende der Geschichte“ angekommen sieht. In Roter Fels reicht dieser blinde Fanatismus soweit, dass die USA, als wichtigster Exponent dieses Dogmas, sogar gewaltsam versucht, sein Gesellschaftsmodell in China durchzusetzen. Dabei werden allzu leicht die gesellschaftszersetzenden Implikationen dieses „faustischen Handels“ übersehen, also sich wiederholende Phasen einer weitgehenden kreativen Selbstzerstörung. Der Erzähler greift in Gelbe Gefahr an einer Stelle offen die Kurzsichtigkeit und Skrupellosigkeit des kapitalistischen Auslands an: „Foreign investors had only short-term perspectives, and were ready to withdraw at any moment. Since the collapse of the Soviet Union and the dramatic changes in Eastern Europe, China had become an isolated fortress that bore alone the pressure from the West, led by the United States. All sorts of obstructions, difficulties and restrictions were put in the way, causing inestimable damage to China” (Wang 2008, 38).

39 Damit sind die Verteilungskämpfe zwischen Nord und Süd innerhalb Chinas, aber auch die ideologischen und politischen Ost-West-Auseinandersetzungen zwischen der Volksrepublik und der Republik China sowie dem Festland und der internationalen Staatengemeinschaft gemeint (163-166, 181-184). Im Gespräch zwischen Shi Ge und dem russischen Präsidenten wird China mit einem „Geschwür“ verglichen, das es auszumerzen gelte: „I remember a young research student I had once, who compared China to an ulcerated leg. In order to save itself, he said humanity would have to steel itself to cut off that leg; that is to say, to expel China from the world“ (Wang 2008, 439).

40 Erst ab Seite 179 wird eine direkte Involvierung nicht-chinesischer Akteure in den Konflikt beschrieben: „The Southern Alliance had recently made secret contact with various foreign governments, which had all come to nothing. The West was worried about the line taken by the new regime in Beijing, but was not willing to make any promises to the independentists, who had no visible chance of success. The Alliance had to get going on its own, only if it succeeded would 'friends' turn up” (129).

41 In diesem Gespräch werden die Demokratiedefizite westlicher Gesellschaften diskutiert, und warum es sich damit als tragfähiges Konzept zur gesellschaftlichen Neuordnung nicht für China eignet: “‘Sometimes I have to agree with those who say that the quality of democracy depends on the quality of the people. We have nine hundred million peasants. Almost half of them are illiterate and couldn't even sign their names on a voting card. ’ ‘When do you think democracy in China will be feasible then?' Chen Pan asked. ‘In two hundred years from now when the whole population has university degrees? Having a university education is no proof that someone understands democracy’” (Wang 2008, 241).

42 Aufschlussreich ist hier eine Betrachtung der jeweiligen Kapitelunterüberschriften. Z. B. Kapitel 2: „Taipei - On the Fujian-Guangdong border - Beijing: Zhongnanhai - Canada: Lake Manitoba - Beijing: Unit Sixteen - The Three Gorges Dam on the Yangzi River” (61).

43 Dass sich dieses Buch an ein über die historischen Umstände unterrichtetes Publikum wendet, wird am Nachwort der dt. Übersetzung deutlich, welches eben diese Information enthält und u.a. der chinesischen Ausgabe von 1961 fehlt.

44 Durch die revolutionäre Rhetorik, insbesondere die regelmäßig anzutreffenden proletarischen Kampfgesänge, erinnert die Lektüre des Buches stellenweise an die Inszenierungstechniken der revolutionären Modellopern der Kulturrevolution (gémìng yàngbanxì)

45 Obwohl beide Werke effektive Strategien finden, den Leser zur „Einfühlung“ in die Handlung zu bewegen, wäre es nicht ganz treffend von einer Katharsis am Ende der Lektüre zu sprechen.beabsichtigen keineswegs, ihre Leserschaft von Gefühlen beispielsweise des Mitleids oder der Furcht zu läutern. Im Gegenteil, während der Roman Rote Fels beabsichtigt Sympathien und Antipathien zu verstetigen, zielt die Handlung von Gelbe Gefahr gerade auf die Erzeugung solcher Affekte ab.

46 Gelbe Gefahr hebt also vor allem auf die Komplexität der interpersonellen und transnationalen Wechselwirkungen ab. Antrieb und Motivation der Figuren ergeben sich nicht immer aber oft aus den Zwängen, die die Angehörigkeit in einem bestimmten gesellschaftlichen System mit sich bringt, sie sind also aber nie Resultat einer erzählerisch diktierten Prädisposition („immer niederträchtig“ oder „ausschließlich rational“ usw.). Die Dynamik des sozialen Zwangs, die Wang seiner Gesellschaftsanalyse und -kritik zu Grunde legt, führt in seinem Szenario zu einer Dysfunktion der Autopoiesis, also der gesellschaftlichen Fähigkeit zur Selbstreproduktion und -erhaltung. Er impliziert damit aber auch, dass diese Dynamik eben nicht vorherbestimmt ist, und der Mensch kraft seines freien Willens aktiv an der Gestaltung - und Erhaltung - seiner Zukunft mitwirken müsse. In diesem Apell unterscheidet sich Gelbe Gefahr ganz wesentlich vom affirmativen Charakter von Roter Fels.

47 Vgl. dazu die Beobachtung von Shi Ge: “For many years he had worked very hard helping the Party to govern the country, but after the fever of fanaticism in the Cultural Revolution, he had lost faith in the Communist Party. The gunfire on June Fourth in Tiananmen Square made him realize that this murderous tyranny was done for. But because he had never joined the prodemocracy movement and was considered politically reliable, he was given important responsibilities” (89).

48 Hier reflektiert Shi Ge über die “stürmische Jugend” seines Landes: “For about twenty years or more there was no central authority, and the country was torn apart by civil war between rival warlords. Authority was only re-established the by efforts of outstanding men or unscrupulous power hunters such as Mao Zedong and Chiang Kai-shek, after the loss of tens of millions of lives” (Wang 2008, 129).

49 Siehe dazu auch das Ebenenmodell der Konflikteskalation nach Friedrich Glasl: Dieser stellt "die Eskalation in seinem neunstufigen Modell nicht als einen Anstieg zu immer höheren Eskalationsstufen dar, sondern als einen Abstieg zu immer tieferen, primitiveren und unmenschlicheren Formen der Auseinandersetzung(die) mit einer zwingenden Kraft in Regionen führt, die grosse, 'unmenschliche Energien' aufrufen, die sich jedoch auf die Dauer der menschlichen Steuerung und Beherrschung entziehen" (Glasl zit n. Berner 1989, 37).

50 Autopoietische Systeme zeichnen sich durch die Kongruenz von Erzeuger und Produkt und damit der Untrennbarkeit von Existenz und Handeln aus. Dies wird auch als rekursive Organisation bezeichnet, d. h. das Resultat des funktionalen Zusammenwirkens seiner Komponenten ist genau jener gesellschaftliche Organismus selbst, der die einzelnen Komponenten erzeugt hat (Varela 1987, 53-57).

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die fiktionalisierte Darstellung der Teilung Chinas und deren internationale Faktoren in "Roter Fels" und "Gelbe Gefahr"
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
22
Katalognummer
V284973
ISBN (eBook)
9783656852353
ISBN (Buch)
9783656852360
Dateigröße
869 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
China, Literatur, Gelbe Gefahr, Roter Fels, Teilung, Kapitalismus, Maoismus, Kommunismus
Arbeit zitieren
Anselm Houswitschka (Autor:in), 2012, Die fiktionalisierte Darstellung der Teilung Chinas und deren internationale Faktoren in "Roter Fels" und "Gelbe Gefahr", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/284973

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