Asyl, Deutschland und Europa. Die Hintergründe der bundesdeutschen Position zur europäischen Asylpolitik


Akademische Arbeit, 2012

21 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Neuer Liberalismus

3. Parteien als gesellschaftliche Interessensorganisationen

4. Interessen der Parteien in der Asylpolitik
4.1 SPD
4.2 CDU
4.3 FDP

5. Fallstudien
5.1. Mitteilung der Europäischen Kommission zur Neuansiedlung 2009
5.2. Gesetzentwurf zur Schengen-Reform 2012

6. Fazit

7. Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Asyl in der Europäischen Union (EU), der Traum von vielen politisch Verfolgten. Aber wieso setzt sich Bundesinnenminister Friedrich in der EU dafür ein, dass die Mitgliedstaaten der Union bei Flüchtlingswellen selbst Grenzkontrollen einführen dürfen? Und das, obwohl im gemeinsamen Schengen-Raum, die Grenzkontrollen zwischen Mitgliedstaaten abgeschafft wurden. Kommt die Position der Bundesrepublik in der EU in der Asylpolitik den Forderungen und Zielvorstellungen der Interessengruppen in Deutschland nach? Dies ist die Leitfrage dieser Arbeit. Grundlage ist der Neue Liberalismus nach Andrew Moravcsik. Der Neue Liberalismus besagt, dass die Außenpolitik eines Staates von den Interessensgruppen bestimmt wird, die innenpolitisch dominant sind. In der folgenden Analyse wird die EU-Politik als Teilbereich der Außenpolitik der Bundesrepublik betrachtet. Im Politikfeld „Asylpolitik“ wird überprüft, ob die Bundesrepublik in der EU die Interessen der dominanten deutschen Interessengruppen äußert, vertritt und durchsetzt. Dies ist gerade im Politikbereich Asyl eine relevante Frage, weil der deutsche Nachbarstaat Frankreich schon mit der Grenzschließung im Angesicht von Flüchtlingen aus Lampedusa drohte[1]. Steigende Flüchtlingszahlen beunruhigen die Bürger der EU und werden als Sicherheitsgefahr definiert[2]. Kommt Deutschlands Position zur Asylpolitik der EU aufgrund der innergesellschaftlichen Interessensgruppen zustande?

In Kapitel 2 werden die zentralen Annahmen des Neuen Liberalismus erläutert. Daraufhin wird dargelegt, was eine Interessensgruppe nach der Definition von A. Moravcsik kennzeichnet und warum in Deutschland die Parteien als Interessensgruppen erachtet werden können (Kapitel 3). Die dominanten Interessensgruppen in der Bundesrepublik sind die gewählten Parteien auf Bundesebene. In Kapitel 4 wird mithilfe der Grundsatzprogramme der Parteien die Position der jeweiligen „Interessensgruppe“ zur Asylpolitik herausgearbeitet. Kapitel 5 bildet das Kernstück der Arbeit: Die Analyse zweier Beschlüsse der EU zur Asylpolitik. Hier wird konkret überprüft, ob die Bundesrepublik die Interessen der regierenden Parteien auch auf Europäischer Ebene vertreten hat. Das erste Fallbeispiel ist eine Mitteilung der Kommission zur Neuansiedlung von Flüchtlingen aus dem Jahr 2009[3] (Kapitel5.1). Im Jahr 2009 bildeten SPD und CDU/CSU die Regierungskoalition der Bundesrepublik. Das zweite Fallbeispiel betrachtet einen Vorschlag der EU Innenminister zu einer Schengen-Reform im Jahr 2012 (Kapitel 5.2). Dieser Vorschlag fällt unter die Zeit der Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP. Für diese beiden Analysen werden die Positionen zur Asylthematik von SDP (Kapitel 4.1), CDU (als dominierendes Programm für CDU und CSU, Kapitel 4.2) und FDP (Kapitel 4.3) in ihren Grundsatzprogrammen analysiert. Die beiden Fallbeispiele sind zu unterschiedlichen Regierungskoalitionen in Deutschland gewählt, um festzustellen ob mit einem Wechsel der dominanten Interessensgruppe in der Bundesrepublik auch ein Wechsel der Interessensvertretung auf EU Ebene stattfindet.

2. Neuer Liberalismus

Theorien der Internationalen Beziehungen sind wissenschaftliche Hilfskonstruktion, die eine Handlungsorientierung für politische Entscheidungsfindung geben oder erklären, wie sich Akteure in der Internationalen Staatenwelt verhalten.[4] In der folgenden Analyse ist der Neue Liberalismus, der von Moravcsik in einem wichtigen Aufsatz[5] auf den Punkt gebracht wird, Grundlage zur Betrachtung deutscher Außenpolitik in der europäischen Asylgesetzgebung. Der Neue Liberalismus hat nicht den Anspruch einer normativen Theorie. Grundlage ist die wertfreie Betrachtung der Internationalen Beziehungen. Im Zentrum der Analyse stehen organisierte Gesellschaften.[6] Politik ist das Ergebnis von Aushandlungsprozessen organisierter Gruppen. Moravcsik betont: „For liberals, the configuration of state preferences matters most in world politics – not as realists argue, the configuration of capabilities and not, as institutionalists (…) maintain, the configuration of information and institutions.”[7] Demnach ist Internationale Politik die Aushandlung der resultierenden Positionen nationaler Regierungen. Der Staat dient als Arena zur Aushandlung der innergesellschaftlichen Präferenzen.[8] Dabei setzt sich der stärkste gesellschaftliche Akteur durch und bestimmt auch die Internationale Politik des Staates. Gesellschaftliche Akteure versuchen in aller Regel nicht die „Staatsräson, wonach die Sicherung des Staates als Machtproduzent“[9] zentral ist, durchzusetzen. Um die abhängige Variable, also das außenpolitische Verhalten einer Regierung, zu erklären, wird die unabhängige Variable, also die Präferenzen der gesellschaftlichen Akteure beobachtet. Die innergesellschaftlichen Interessen werden von sozialen Akteuren aggregiert, verkörpert und artikuliert. Außenpolitisches Verhalten lässt sich also nur mithilfe der Betrachtung des second Image, der Nation, verstehen. Dabei handeln die gesellschaftlichen Akteure nach dem Prinzip der Konsequentialität. Sie verfolgen ihr Ziel rational nach dem Modell des Homo oeconomicus. Sie wägen Vor- und Nachteile ab und kennen alle möglichen Optionen und Risiken. Das Ziel, welches sie verfolgen kann ein Materielles, aber durchaus auch ein Normatives sein. Staaten haben kein feststehendes Ziel, wie Realisten es annehmen.[10] Je nach politischer Öffentlichkeit verfolgen Staaten verschiedene Ziele, die wandelbar sind und von Interpretation der sich durchsetzenden Interessensgruppe abhängen.[11] Der Staat wird nicht als einheitlicher Akteur gesehen, sondern als „a representative instituion constantly subject to capture an recapture, construction and reconstruction by coalitions of social actors“.[12]

Zusammenfassen lässt sich der neue Liberalismus anhand von drei zentralen Annahmen nach Moravcsik:[13]

1. Zentrale Akteure der Internationalen Politik sind Individuen und soziale Gruppen: bottom-up Präferenzbildung
2. Konkurrenz von innergesellschaftlichen Interessensgruppen führt zur Präferenzbildung von Staaten
3. Die Handlungsmuster der internationalen Politik sind auch von den zwischenstaatlichen Interessenkonstellationen (policy interdependence) abhängig

Die dritte Annahme ist für die folgende Analyse weniger relevant. Sie erklärt mit dem Konzept der policy interdependence die Verbindung von staatlicher Präferenzbildung und dem internationalen Konfliktverhalten.[14] Im Zentrum der folgenden Analyse soll geprüft werden, ob innergesellschaftliche Tendenzen der Bundesrepublik Deutschland zur Asylpolitik in der Europäischen Union vertreten werden. Vertreten bedeutet sowohl artikuliert, als auch durchgesetzt. Es wird nicht analysiert, inwiefern Präferenzen verschiedener Staaten kompatibel sind oder nicht.

3. Parteien als gesellschaftliche Interessensorganisationen

Im „Parteienstaat Deutschland“[15], kommt den Parteien eine besondere Rolle zu. Sie sind im Grundgesetz explizit erwähnt: Ihnen kommt die Aufgabe der politischen Willensbildung des Volkes zu.[16] Im Neuen Liberalismus sind organisierte Gruppen, diejenigen, die Interessen und Präferenzen ihrer Mitglieder aggregieren und artikulieren. Organisierte Interessen sind „freiwillig gebildete, soziale Einheiten mit bestimmten Zielen und arbeitsteiliger Gliederung“[17], die „individuelle, materielle und ideelle Interessen ihrer Mitglieder im Sinne von Bedürfnissen, Nutzen und Rechtfertigungen zu verwirklichen suchen“[18]. Derjenige gesellschaftliche Akteur, der sich durchsetzt, bestimmt dann nach der Theorie des Neuen Liberalismus die Präferenz eines Staates in der Außenpolitik. In der Bundesrepublik Deutschland kommt diese Aufgabe den Parteien zu. Im Parteiengesetz werden die Aufgaben der Parteien weiter konkretisiert: Parteien sollen „die Beteiligung der Bürger am politischen Leben fördern, [Bürger] zur Übernahme von politischen Ämtern heranbilden […], Einfluss auf die politische Entwicklung in Parlament und Regierung nehmen [und] ihre politischen Ziele in die staatliche Willensbildung einbringen“[19]. So wird „für eine ständige lebendige Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen“[20] gesorgt.

Parteien müssen demokratisch organisiert sein. Dies wird umgesetzt, indem Parteien „bottom up“ (von unten nach oben) organisiert werden.[21] Die höchste Parteiebene, der Bundesverband, geht aus den unteren Verbänden hervor. Eine Partei der Bundesrepublik Deutschland ist damit eine organisierte Gruppe, die aus der Gesellschaft hervorgeht. Die Parteiführung ist im Volk verankert und wird erst durch die wechselseitige Beziehung zwischen Nation und Partei zur Führung der Partei[22]. Dies ist in der präsidentiellen Demokratie der USA nicht der Fall. In den USA formierte sich das Zweiparteiensystem „nicht auf Grund einer gemeinsamen politischen bzw. religiösen Weltanschauung oder eines geteilten sozialen Hintergrunds, sondern verkörp[ert] den Typus der Patronagepartei“[23]. Parteien sind in den USA ein Mittel des Machterwerbs und dienen zur Besetzung politischer Ämter[24]. Daher sind Parteien im US-amerikanischen Verständnis, von dem auch Moravcsik geprägt ist, keine Interessensgruppen, können in Deutschland aber dennoch als Interessensgruppe betrachtet werden.

Parteien nehmen an Wahlen teil, dadurch kommt es zu einem öffentlichen Wettbewerb zwischen verschiedenen Parteien. Jede Partei verkörpert bestimmte politische Ansichten und Präferenzen. Die Partei, welche die Ansichten der Mehrheit der Bevölkerung vertritt, wird bei einer demokratischen Wahl (Nach den Bestimmungen zur Bundestagswahl im Grundgesetz: allgemein, gleich, direkt, frei und geheim Artikel 38 und 39 GG) zum Regieren befähigt und legitimiert.[25] Wahlen institutionalisieren den Wettbewerb von Parteien. Dieser Aushandlungsprozess zwischen Parteien entspricht im Neuen Liberalismus der Aushandlung von Präferenzen zwischen organisierten Gruppen. Im Neuen Liberalismus ist der Staat eine Arena, der Regeln vorgibt, innerhalb derer der Wettbewerb zwischen Interessensgruppen stattfindet.[26] Die organisierten Gruppen, hier die Parteien stehen in Konkurrenz zueinander oder kooperieren, um die Interessen der Bürger zu aggregieren.[27] Die Parteien der Bundesrepublik halten sich an die Gesetze des Staates, wenn sie um Stimmen der Bevölkerung werben.[28] Wie in der Annahme des Neuen Liberalismus ist Politik im Parteienstaat der Aushandlungsprozess von organisierten Gruppen: Hier den Parteien.

[...]


[1] Euractiv. „Frankreich bereitet Schließung der Grenze zu Italien vor“. 11.4.11. Internetversion unter: <http://www.euractiv.com/de/globales-europa/frankreich-bereitet-schliessung-news-503921>(Zugriff 22.8.12).

[2] O.A.. „Keine Friedensdividende - Deutsche Innenbehörden wappnen sich gegen Terroranschläge“. 19.3.02.Iin: Frankfurter Allgemeine. Internetversion unter: <http://www.faz.net/frankfurter-allgemeine-zeitung/keine-friedensdividende-192779.html> (Zugriff 20.8.12).

[3] Kom (2009) 447: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat zur Einrichtung eines gemeinsamen Neuansiedlungsprogramms der EU.

[4] Gu, Dr. Xuewu. Theorien der internationalen Beziehungen - Einführung. München : 2000.

[5] Moravcsik, Andrew. Taking Preferences Seriously - A Liberal Theory of International Politics. In: International Organisation. 51, Bd. 4 (1997) , S. 513-553.

[6] Krell, Prof. Dr. Gerd. Weltbilder und Weltordnung Einführung in die Theorie der internationalen Beziehungen. Baden-Baden: 2009.

[7] Moravcsik, Andrew. Taking Preferences Seriously o.o.A.. S. 513.

[8] Oppermann, Kai, Jäger, Thomas. Außenpolitikanalyse. Nomos 2006.

[9] Schieder, Siegfried. 2010. Theorien der Internationalen Beziehungen. Opladen 2012. S.184.

[10] Oppermann, Kai, Jäger, Thomas. Außenpolitikanalyse. a.a.O..

[11] Krell, Prof. Dr. Gerd.Weltbilder und Weltordnung. a.a.O..

[12] Moravcsik, Andrew. Taking Preferences Seriously. o.o.A. S.518.

[13] Moravcsik, Andrew. Liberal International Relations Theory: A Scientific Assessment. In: Progress in International Relations Theory Appraising the field. Cambridge, Massachusetts : 2003. S. 159-204.

[14] Schieder, Siegfried. Theorien der Internationalen Beziehungen. o.o.A.

[15] Marschall, Stefan. Das politische System Deutschlands. Konstanz 2007. S.106.

[16] Artikel 22 GG

[17] Fröhlich, Manuel, Korte, Karl-Rudolf. Politik und Regieren in Deutschland. Paderborn 2006. S. 117.

[18] Alemann, Ulrich von. Organisierte Interessen in der Bundesrepublik. Opladen 1989. S.30.

[19] Marschall, Stefan. Das politische System Deutschlands. o.o.A. S. 111

[20] Ebenda S.111

[21] Rudzio, Wolfgang. Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden 2006.

[22] Jun, Uwe. Wandel von Parteien in der Mediendemokratie. Frankfurt am Main 2004.

[23] Hallermann, Andreas, Kaim, Markus. Parteien im Internationalen Vergleich. 2003. S.50. Internetversion unter: http://www.thueringen.de/imperia/md/content/text/lzt/43.pdf. (Zugriff: 7. 8. 12).

[24] Ebenda. S.51.

[25] Jens Hesse, Joachim, Ellwein, Thomas. Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland. Baden-Baden 2012.

[26] Krell, Prof. Dr. Gerd. Weltbilder und Weltordnung a.a.O..

[27] Nicolauß, Karlheinz. 2002. Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland. Paderborn 2002.

[28] Jens Hesse, Joachim, Ellwein, Thomas. Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland. o.o.A.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Asyl, Deutschland und Europa. Die Hintergründe der bundesdeutschen Position zur europäischen Asylpolitik
Hochschule
Universität Trier  (Politikwissenschaft Internationale Beziehungen)
Note
2,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
21
Katalognummer
V284545
ISBN (eBook)
9783656848295
ISBN (Buch)
9783656848301
Dateigröße
506 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Neuer Liberalismus, Politik, Asyl, Parteien, Interessensorganisationen, Maull
Arbeit zitieren
Diana Steinmetz (Autor:in), 2012, Asyl, Deutschland und Europa. Die Hintergründe der bundesdeutschen Position zur europäischen Asylpolitik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/284545

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