Die Entwicklung der Beurteilung der vergleichenden Werbung. Dogmengeschichtliche Probleme des Lauterkeitsrechts


Studienarbeit, 2008

41 Seiten, Note: 17 Punkte (sehr gut)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A. Einführung und Gang der Untersuchung

B. Der Begriff der vergleichenden Werbung
I. Terminologie
II. Der Tatbestand der vergleichenden Werbung
1. Werbung
2. Erkennbarer Mitbewerberbezug
a) Mitbewerber
b) Erkennbarkeit
3. Vergleichserfordernis
III. Erscheinungsformen
1. Traditionelle Dreiteilung
2. Heutiges Begriffsverständnis

C. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
I. Der Grundsatz der Zulässigkeit der vergleichenden Werbung
1. Die rechtliche Ausgangssituation im 19. Jahrhundert
a) Die Gewerbefreiheit als liberale Grundentscheidung der Rechtsordnung
b) Die Anfänge der gerichtlichen Beurteilung durch das Reichsgericht
2. Nach Inkrafttreten des UWG von 1896
3. Rechtliche Beurteilung unter dem UWG von 1909
II. Die Wende zum Verbotsgrundsatz in der Rechtsprechung des RG
1. Personenbezogene Werbung
2. Sachbezogene Werbung
a) Der Verbotsgrundsatz der Hellegold-Entscheidung
b) Beurteilung der Hellegold-Entscheidung
aa) Die Argumentationen Kohlers und Lobes
bb) Der Schutzzweck des UWG und die wirtschaftliche Entwicklung als Hintergründe zur Hellegold-Entscheidung
c) Die Entwicklung der anlehnenden Werbung
III. Entwicklung der Ausnahmen vom Verbotsgrundsatz
1. Systemvergleich
2. Fortschrittsvergleich
3. Abwehrvergleich
4. Auskunftsvergleich
IV. Zusammenfassung

D. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
I. Die Fortführung der vom RG entwickelten Grundsätze
II. Die Entwicklung zum Aufklärungsvergleich
1. Das Verbotsprinzip in der Literatur
2. Der Bericht des Bundesjustizministers
3. Die Entwicklung zur Ausnahme-Generalklausel in der Rechtsprechung
a) Ansätze zur Liberalisierung der vergleichenden Werbung
b) Das Bekenntnis des BGH zum Verbotsgrundsatz
4. Die Phase der Stagnation in der Rechtsprechung
5. Besonderheiten der anlehnend vergleichenden Werbung
6. Bewertung der Entscheidungspraxis des BGH zur Ausnahme-Generalklausel
III. Die Abkehr vom Verbotsgrundsatz
1. Liberalisierungstendenzen des BGH
2. Die Richtlinie 97/55/EG und deren „Umsetzung“ durch den BGH
a) Die Entstehung und Zweck der Richtlinie 97/55/EG
b) Die inhaltlichen Bestimmungen der Richtlinie 97/55/EG
c) Die ausdrückliche Aufgabe des Verbotsgrundsatzes durch den BGH
3. Die gesetzliche Normierung vergleichender Werbung

E. Resümee

A. Einführung und Gang der Untersuchung

Was unter Benachbartem hervorragt, ist dort groß, wo es hervorragt. Denn Größe hat kein bestimmtes Maß: Erst der Vergleich hebt oder drückt herab.

(Seneca[1] )

Vergleichende Werbung führte in Deutschland bis vor wenigen Jahren noch ein Schattendasein. Kampagnen zwischen konkurrierenden Unternehmen, wie sie der legendäre „Cola-Krieg“ zwischen den beiden Getränkeherstellern Pepsi- und Coca-Cola über Jahrzehnte hinweg in den USA hervorbrachte[2], die das fremde Produkt offen und eindeutig zu eigenem Zweck ausbeuteten, waren in der deutschen Werbelandschaft lange Zeit schlichtweg unvorstellbar. Die Beispiele der Fast-Food-Ketten McDonald’s und Burger King[3], und insbesondere der Autovermieter Sixt und Starcar[4] zeigen aber, dass sich diese besondere Werbeform im Laufe der letzten Jahre auch hierzulande zu etablieren scheint. Der Sinn und Zweck eines Vergleichs hat sich indes seit der Antike nicht gewandelt und liegt insofern auch der modernen Werbung zugrunde: Eine Leistung für sich gesehen vermag noch nichts über deren Wert auszusagen; eine Einschätzung deren Güte lässt sich erst gewinnen, indem sie mit anderen in Beziehung gesetzt wird.

Hat das obige Zitat schon seit knapp 2000 Jahren Bestand, so ist der Beurteilungspraxis der entsprechenden wettbewerbsrechtlichen Problematik eine deutlich geringere Halbwertszeit gegönnt.

Die Entwicklung der Beurteilung der vergleichenden Werbung wird im Folgenden genauer zu beleuchten sein. Vorn weg findet sich eine Klärung der Frage, was sich aus rechtlicher Sicht hinter dem Terminus „vergleichende Werbung“ verbirgt (B.). Die darauffolgenden Untersuchungen sollen chronologisch – der wettbewerblichen Relevanz folgend – die Entwicklungsstufen insbesondere anhand der Rechtsprechung des Reichsgerichts (C.) und des Bundesgerichtshofs (D.) zur kritisierenden vergleichenden Werbung aufzeigen. Auf Besonderheiten in der persönlichen und der anlehnenden vergleichenden Werbung[5] wird an den entsprechenden Stellen hingewiesen.

B. Der Begriff der vergleichenden Werbung

Eine Legaldefinition für den Sammelbegriff der vergleichenden Werbung findet sich nach aktuellem Recht in § 6 I UWG.[6] Vergleichende Werbung ist jede Werbung, die unmittelbar oder mittelbar einen Mitbewerber oder die von einem Mitbewerber angebotenen Waren oder Dienstleistungen erkennbar macht. Da sich jedoch das gesamte Wettbewerbsrecht als ein europäisch geprägtes Rechtsgebiet präsentiert, gründet nicht nur jene Definition auf den Vorgaben einer Richtlinie. Vielmehr entspringt auch die Bezeichnung „vergleichende Werbung“ selbst der Richtlinie 97/55/EG über irreführende und vergleichende Werbung[7].

I. Terminologie

Bis zu deren Erlass im Jahre 1997 fand sich keine kongruente Terminologie im Bereich der vergleichenden Werbung in der deutschen Rechtsprechung[8] und im Schrifttum. In der ersten systematischen Untersuchung über dieses Gebiet bezeichnete Kohler im Jahr 1917 diese als „persönliche Reklame“.[9] Diese Terminologie konnte jedoch insofern missverstanden werden, als dass sie rein persönliche Verhältnisse des Konkurrenten zum Gegenstand hätte. Deshalb wurde sie vom Begriff der „vergleichenden Reklame“[10] abgelöst. Nichtsdestotrotz benutzte das Reichsgericht zunächst beide Termini als Oberbegriffe für den Hinweis auf die besonderen Vorzüge der eigenen gewerblichen Leistungen gegenüber denjenigen bestimmter Konkurrenten.[11] Erst im Folgenden setzte sich die wohl auf Nerreter zurückzuführende Unterscheidung zwischen „vergleichender Werbung“ als leistungsbezogener und „persönlicher Werbung“ als personenbezogener Vergleich durch.[12] Später kam die von Droste [13] geprägte Bezeichnung „bezugnehmende Reklame“ oder „Werbung“ auf.[14] Erst nach Erlass der RL 97/55/EG bürgerte sich der Begriff der „vergleichenden Werbung“ in der deutschen Rechtsprechung und Literatur als Oberbegriff der Werbung mit Vergleichswirkung ein.[15] Dieser stimmte jedoch insofern mit dem bis dahin üblichen Begriff der bezugnehmenden Werbung überein, da auch weiterhin – wie zu zeigen ist – die Bezugnahme ein wesentliches Merkmal darstellt.[16] Diese inzwischen auch gesetzliche Verwendung (§ 6 I UWG) der „vergleichenden Werbung“ als Oberbegriff soll im weiteren Verlauf auch der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegt werden.[17]

II. Der Tatbestand der vergleichenden Werbung

Um zu beleuchten, was unter dem Begriff der vergleichenden Werbung aktuell zu verstehen ist, ist ein Blick auf die Tatbestandsmerkmale des § 6 I UWG zu werfen. Nach der Definition setzt vergleichende Werbung die Merkmale Werbung (1 unten) und erkennbaren Mitbewerberbezug (2.) ausdrücklich voraus. Strittig ist, ob ein Vergleich vorzuliegen hat (3.).

1. Werbung

Werbung ist nach der Legaldefinition in Art. 2 Nr. 1 der RL 84/450/EWG eine Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen zu fördern.[18] Da dieses Merkmal denkbar weit auszulegen ist, genügt hier jede Form der Information anderer mit dem Ziel der Absatzförderung[19], eine Wettbewerbshandlung i.S.d. § 2 I Nr.1 UWG vorausgesetzt.[20] Form und Adressat der Äußerung spielen keine Rolle, sodass auch nichts sagende Anpreisungen oder reine Wertungen davon erfasst sind.[21] Einzig rein kritische Aussagen über den Mitbewerber oder dessen Produkte sind zu prüfen, ob sie – zumindest mittelbar oder im Umkehrschluss – der Förderung des eigenen Absatzes dienen sollen.[22]

2. Erkennbarer Mitbewerberbezug

Die werbende Äußerung muss – unmittelbar oder mittelbar – einen Mitbewerber erkennbar machen.

a) Mitbewerber

Bei der Frage, wann es sich um einen Mitbewerber i.S.d. § 6 I UWG handelt, ist problematisch, ob hierbei auf die nationalrechtliche Definition des § 2 I Nr.3 UWG zurückzugreifen ist.[23] Da der europäische Gesetzgeber dieses Merkmal voraussetzt, es aber nicht eigenständig definiert, ist dieser Begriff richtlinienkonform auszulegen.[24] Nach Konkretisierung des Europäischen Gerichtshofs[25] beruht eine Einstufung von Unternehmen als Mitbewerber auf der Substituierbarkeit ihrer Waren oder Dienstleistungen am Markt.[26] Nicht notwendig ist, dass die Unternehmen der gleichen Branche angehören, die Substitution kann auch erst in der Werbung nahegelegt werden. Ausschlaggebend für das reale Bestehen eines Austauschverhältnisses ist die Ansicht eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers.[27]

b) Erkennbarkeit

Entscheidend für das Vorliegen einer vergleichenden Werbung ist, dass der Mitbewerber in der Werbeaussage unmittelbar oder mittelbar für den Durchschnittsverbraucher[28] erkennbar gemacht wird. Diese Identifizierung muss sich aus der Werbeaussage selbst ergeben.[29] Wird der Mitbewerber bzw. seine Produkte darin namentlich benannt oder gezeigt, spricht man von einer unmittelbaren Erkennbarkeit.[30]

Im Fall der mittelbaren Bezugnahme hat sich diese für den Durchschnittsverbraucher unter Berücksichtigung der konkreten Umstände und der betroffenen Mitbewerber respektive deren Produkte, förmlich aufzudrängen.[31] Sie darf sich daher nicht erst reflexartig aus der Betonung der eigenen Vorzüge und dem Umkehrschluss daraus ergeben, dass diese Merkmale bei den Konkurrenten bzw. deren Produkten nicht vorliegen.[32] Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs[33] reicht eine „nur um zehn Ecken gedachte Bezugnahme“ nicht aus.[34] Ausreichend ist aber ein Bezug auf besondere Merkmale des Mitbewerbers, dessen Niederlassungsort oder einen Werbeslogan („Schraubst du noch oder wohnst du schon?“ als Anspielung an den Slogan eines schwedischen Möbelhauses).[35] Sofern ein Marksegment nur von wenigen (Oligopol) – und erst recht von nur zwei (Duopol) – Marktteilnehmern besetzt ist, ist die Schwelle der mittelbaren Erkennbarkeit niedriger anzusetzen, da sich im angesprochenen Verkehrskreis ein Bezug zu den wenigen und bekannten Konkurrenten geradezu aufdrängt.[36]

3. Vergleichserfordernis

Als überaus umstritten gestaltet sich die Frage, ob § 6 I UWG über das geschriebene Merkmal der Bezugnahme hinaus einen Vergleich[37] voraussetzt. Um das Problem zu veranschaulichen, sei ein vom BGH entschiedener Fall[38] skizziert: Hierin klagte die Porsche A.G. gegen eine Werbekampagne einer Herstellerin von Aluminiumrädern. Diese warb mit Fotos, auf denen ein eindeutig identifizierbares Fahrzeug der Porsche A.G. ausgestattet mit den Rädern der Beklagten abgebildet war. Daneben hieß es u.a. im Text: „So wie Mode Menschen macht, so verändern Räder Autos. Wir von R.A. (Beklagte) machen Mode fürs Auto.“

Der EuGH erläuterte in der Toshiba/Katun -Entscheidung vom 25.10.2001, dass eine wörtliche Auslegung des Art. 3 a RL 97/55/EG – also ohne Vergleichserfordernis – abzulehnen wäre. Eine solche hätte zur Folge, dass jegliche Werbung, die einen Mitbewerber identifizierbar macht, aber keinen Vergleich gem. Art. 3a lit. a-h enthält, unzulässig wäre. Dies widerspräche aber der Markenrechtsrichtlinie 89/104/EWG, die eine beschreibende Benutzung einer fremden Marke unter bestimmten Umständen zuließe.[39] Dagegen urteilte das Gericht in der Entscheidung Pippig-Augenoptik/Hartlauer vom 08.04.2003, dass jede vergleichende Werbung die Vorteile des Werbenden gegenüber dem Mitbewerber herausstellen sollte. Ein Vergleich ergäbe sich zwangsläufig aus einer solchen Beschreibung.[40]

Der EuGH äußert sich also nicht eindeutig. Spricht im Toshiba/Katun -Urteil einiges für das Vergleichserfordernis, scheint er in der zweiten Entscheidung davon auszugehen, dass jede Bezugnahme auch einen Vergleich impliziere.[41]

Der BGH gibt sich gleichfalls unklar in seiner Rechtsprechung: Bejahte er zum Teil das Erfordernis eines Vergleichs, das zusätzlich zu einer Bezugnahme vorzuliegen hätte,[42] wurde diesem Merkmal in anderen Urteilen keinerlei Bedeutung zugesprochen[43].

Nach herrschender Ansicht der Literatur sollen die Fälle der Bezugnahme ohne Vergleich nicht von § 6 I UWG erfasst sein. Schon begrifflich könne nur von vergleichender Werbung bei Werbemaßnahmen mit Vergleich gesprochen werden. Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 6 UWG auf jegliche identifizierende Werbung unter dem Gesichtspunkt der Werbeliberalisierung sei nicht gewollt.[44]

III. Erscheinungsformen

Zum Zweck einer Systematisierung der folgenden Darstellungen ist es dienlich, einzelne Gruppen des Werbevergleichs zu kategorisieren.

1. Traditionelle Dreiteilung

Im traditionellen deutschen Recht hatte sich eine „klassische Trias“[45] innerhalb der vergleichenden Werbung heraus kristallisiert, die sich aus der Art und Weise der Bezugnahme sowie dem Bezugspunkt des Vergleichs ableitete. Die dabei diskutierten Erscheinungsformen gliederten sich auf in die persönlich vergleichende Werbung einerseits und die anlehnende sowie die kritisierend vergleichende Werbung andererseits.[46]

Die persönliche (vergleichende) Werbung weicht dabei insofern von den letztgenannten ab, da sie die Aussagen umfasst, die sich auf subjektive Eigenschaften des Konkurrenten beziehen, beispielsweise dessen Ausbildung, Staatsangehörigkeit, persönliche Verhaltensweisen oder politische Ansichten.[47]

Sowohl die anlehnende als auch die kritisierende vergleichende Werbung stehen dagegen für sach- und leistungsbezogene Werbevergleiche. Den Bezugspunkt bildet also das Produkt des Konkurrenten, mit dem dieser am Markt antritt. Im Falle der anlehnenden (vergleichenden) Werbung will der Werbende den guten Ruf des vom Markt anerkannten Konkurrenzproduktes für sich mittels einer positiven Bezugnahme in Form einer Gleichstellung mit diesem zunutze machen.[48] Beispielsweise durch Formulierungen wie „ebenso gut wie ...“, „Ersatz für …“, „in gleicher Qualität wie …“.[49]

Demgegenüber handelt es sich bei der kritisierenden (vergleichenden) Werbung um eine negative Bezugnahme. Der Werbende will hier gerade die Vorteile seiner Produkte mittels einer negativen Darstellung der Alternativen hervorheben.[50] („Produkt A ist besser als Produkt B.“)

2. Heutiges Begriffsverständnis

Es stellt sich daher die Frage, inwiefern diese Gruppen auch nach aktueller Rechtslage dem Begriffsverständnis der vergleichenden Werbung entsprechen. Unter Berücksichtigung der unumstrittenen Voraussetzung des erkennbaren Mitbewerberbezugs (B.II.2) der vergleichenden Werbung ergibt sich, dass allesamt eine Bezugnahme auf den Mitbewerber (im Falle der persönlichen Werbevergleiche) oder dessen Erzeugnisse oder Dienstleistungen (für die sach- und leistungsbezogenen Werbevergleiche) enthalten. Einzig strittig ist das Tatbestandsmerkmal des Vergleichs für anlehnende Werbevergleiche, da die bloße Bezugnahme auf ein anderes Unternehmen oder Produkt mangels Gegenüberstellung keinen Vergleich bietet.[51] Setzt man dieses voraus, liegt jedenfalls ein Werbevergleich im Falle einer implizierten Kompatibilitätsaussage vor, wenn die werbende Äußerung das eigene Angebot als Alternative zum fremden erscheinen lässt.[52] Da gerade dies als Sinn und Zweck einer solchen Werbung erscheint, sind alle drei traditionellen Erscheinungsformen als Unterfälle des heutigen Rechtsverständnisses anzusehen[53] und daher den weiteren Ausführungen zu Grunde zulegen.

C. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts

I. Der Grundsatz der Zulässigkeit der vergleichenden Werbung

1. Die rechtliche Ausgangssituation im 19. Jahrhundert

Deutsche Rechtsprechung zum Thema der vergleichenden Werbung taucht erstmalig gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf. Bis dahin war das rechtliche und wirtschaftliche Bild geprägt vom deutschen Zunftwesen, in welchem Werbung in nahezu jeder Form verpönt und untersagt war.[54]

a) Die Gewerbefreiheit als liberale Grundentscheidung der Rechtsordnung

Den Ausgangspunkt in der Rechtsordnung bildet zu dieser Zeit die Gewerbeordnung des norddeutschen Bundes von 1869[55], die in § 1 grundsätzlich Jedermann den Betrieb eines Gewerbes erlaubte. Diese erstmalige Gewerbefreiheit und die Entfaltung der Produktionskräfte infolge der Industrialisierung machten den Absatz von Waren und Dienstleistungen zur unternehmerischen Aufgabe, wodurch der moderne Wettbewerb und damit der rechtliche Umgang mit diesem entstanden.[56] Einschränkungen erfuhr der Grundsatz der Gewerbefreiheit lediglich durch Spezialgesetze, da keine Generalklausel zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs existierte. Insbesondere eine Anwendung des von der französischen Rechtsprechung zur deliktsrechtlichen Generalklausel des Art. 1382 Code Civil[57] entwickelten Prinzips der concurrence déloyale wurde mangels gesetzlicher Grundlage abgelehnt.[58]

b) Die Anfänge der gerichtlichen Beurteilung durch das Reichsgericht

Noch vor Einführung des UWG im Jahre 1896 finden sich zwei Urteile des RG zur vergleichenden Werbung, die jedoch nicht unter diesem Schlagwort erörtert wurden.

Schon im Jahr 1880 hatte das RG den Fall zu entscheiden, dass der Börsenverein des deutschen Buchhandels (in Form einer eG) in einem Rundschreiben an Verlage diejenigen Buchhändler auflistete, die regelmäßig gegen genossenschaftliche Rabattvorschriften verstießen. Der Börsenverein rief dazu auf, diese nicht mehr mit Verlagserzeugnissen zu beliefern.[59] Das RG erkannte in diesem Fall der kritisierenden Werbung mit Boykottaufruf einen Schadensersatzanspruch des Gewerbetreibenden mit der Begründung an, dergleichen Maßregelungen verletzten das Recht auf Achtung der Person und Ansehen des individuellen Geschäftsbetriebs, auf dessen Wahrung jeder Gewerbetreibende Anspruch hätte, solange er nicht rechtswidrig oder unsittlich handelte.[60]

Die Werbung wäre hier unstatthaft, da es sich hier um eine Handlung über Handelsstufen hinweg drehte. Andererseits anerkannte das Gericht jedoch ein Recht zur kritisierenden Bezugnahme aller miteinander im Wettbewerb Stehenden.[61]

In einem zweiten Fall, bei dem der Kläger vortrug, der Beklagte versuchte durch falsche Angaben über das klägerische Geschäft Dienstsuchende und Auftraggeber abzuwerben und in sein eigenes Comptoir zu ziehen, betonte das Gericht ausdrücklich, dass es im preußischen Recht aufgrund der Gewerbefreiheit kein Lauterkeitsrecht gäbe.[62]

Schon früh kritisierte das Schrifttum diese liberale Entscheidungspraxis des RG, nach der selbst „die Fessel der Ehrlichkeit und des kaufmännischen Anstandes“ die Freiheit des Handels und des Verkehrs nicht zu begrenzen vermochte.[63]

2. Nach Inkrafttreten des UWG von 1896

Aber auch die Einführung einer gesetzlichen Normierung des Lauterkeitsrechts mit dem UWG von 1896[64] brachte zunächst keine Änderung der liberalen Einstellung. Das UWG erklärte nur „moralisch verwerfliche“ Wettbewerbspraktiken, wie z.B. die Irreführung (§§ 1-4), das Behaupten unwahrer Tatsachen über Dritte (§§ 6, 7) und den Eingriff in das Firmenrecht (§ 8) als rechtswidrig. Die Einführung einer Generalklausel war jedoch in bewusster Abgrenzung zum französischen Recht abgelehnt worden.[65] Eine gesetzliche Regelung der vergleichenden Werbung war gleichfalls nicht enthalten. Gesetzlich klargestellt war damit jedoch, dass auch vergleichende Werbung nicht irreführend sein und keine unwahren Tatsachen enthalten durfte.[66]

Es stellte sich daher vor allem das Problem, den Begriff der „Angabe tatsächlicher Art“ abzugrenzen von bloßen Werturteilen und marktschreierischen Übertreibungen, da sowohl § 1 also auch § 6 UWG (1896) lediglich unwahre Tatsachen ahndeten.[67] So stellte zwar die Angabe, Eis- und Kältemaschinen der Fa. Linde seien 20% besser als jene der Fa. Borsig, eine überprüfbare Anpreisung in Form einer Tatsachenbehauptung dar.[68] Als reine Werturteile in Form des Eigenlobs beurteilte das RG Aussagen wie „größtes Lager der Residenz“[69] und „den bisherigen Methoden in jeder Weise überlegen“[70].

[...]


[1] Simon, S. 105.

[2] Vgl. Schmeh, Wie Pepsi den großen Rivalen Coca-Cola ärgerte, http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27033/1.html (Stand 16.03.2008).

[3] Spiegel-Online, 26.01.2003, http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,232429,00.html (Stand 16.03.2008).

[4] Manager-Magazin.de, http://www.manager-magazin.de/fotostrecke/0,2828,20123,00.html (Stand 16.03.2008)

[5] Zur Einteilung dieser Gruppen vgl. (B.III.)

[6] In der Fassung vom 03.07.2004, BGBl. I S.1414; zuletzt geändert am 21.12.2006, BGBl. I S.3367.

[7] ABl. Nr. L 290 vom 23.10.1997, S.18, RL 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Okt. 1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung; inzwischen aufgegangen in der Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung vom 12.12.2006, ABl. L 376 S.21.

[8] Im Folgenden: RG.

[9] Kohler, MuW XVI, 127 (127 ff.); vgl. auch RG 11.03.1927, RGZ 116, 277 – Konsumverein.

[10] RG 02.12.1932, GRUR 1933, 256 (257) – Gesenkammer; RG 09.11.1934, GRUR 1935, 382 (384) – „Dahmit“-Haus: „persönliche – besser: vergleichende – Reklame“; Eichmann, S: 1 mit Hinweis auf Nolting-Hauff, GRUR 1931, 342 (343).

[11] RG 11.03.1927, RGZ 116, 277 (280) – Konsumverein.

[12] Vgl. Eichmann, S. 2 mit Verweis auf Nerreter, GRUR 1933, 9 (10).

[13] Vgl. Eichmann, S. 11, mit Verweis auf Droste, GRUR 1951, 140 (141).

[14] BGH 12.01.1972, GRUR 1972, 553 – Statt Blumen Onko-Kaffee; Rosenthal/Leffmann, UWG 1969, § 1 Rn. 63.

[15] Stellv BGH 05.02.1998, GRUR 1998, 824 (827) – Testpreis-Angebot.; Menke, WRP 1998, 811 (812).

[16] Baumbach/Hefermehl, 2001, § 1 Rn. 366a.

[17] Als umfassende Oberbegriffe sind auch Werbevergleich und Vergleichswerbung zu verstehen.

[18] Im Wege der richtlinienkonformen Auslegung gilt dies auch für § 6 I UWG: Lehmler, UWG, § 6 Rn. 19; MünchKommUWG/ Menke, § 6 Rn. 36.

[19] Die Frage der Anwendbarkeit des § 6 I UWG im Nachfragewettbewerb ist vom EuGH noch ungeklärt. Für seine (entsprechende) Anwendung sprechen sich aus: Hefermehl/ Köhler /Bornkamm, 2008, § 6 Rn. 30; Lehmler, UWG, § 6 Rn. 21; a.A. Fezer/ Koos, UWG, § 6 Rn. 49.

[20] Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, S.128.

[21] Piper/ Ohly, § 6 Rn. 24 m.w.N.

[22] Hefermehl/ Köhler /Bornkamm, 2008, § 6 Rn. 30.

[23] Vgl. MünchKommUWG/ Menke, § 6 Rn. 46 ff.

[24] Lehmler, UWG, § 6 Rn. 28.

[25] Im Folgenden: EuGH.

[26] EuGH 19.04.2007, GRUR 2007, S. 511 Tz. 28 – de Landtsheer/CIVC.

[27] Hefermehl/ Köhler /Bornkamm, 2008, § 6 Rn. 34.

[28] EuGH 19.04.2007, GRUR 2007, 511 Tz. 23 – de Landtsheer/CIVC.

[29] Sack, WRP 2001, 327 (333); Piper/ Ohly, § 6 Rn. 31.

[30] Hefermehl/ Köhler /Bornkamm, 2008, § 6 Rn. 36.

[31] BGH 05.12.1996, GRUR 1997, 539 (540) - Kfz-Waschanlagen; BGH 14.12.2000, GRUR 2001, 752 (753) - Eröffnungswerbung.

[32] BGH GRUR 2002, 828 (829) – Lottoschein; BGH GRUR 2002, 75 (76) – SOOOO … BILLIG!; GRUR 1999, 1100 (1101) - Generika-Werbung.

[33] Im Folgenden mit BGH abgekürzt.

[34] BGH GRUR 2002, 982 (983) – Die „Steinzeit“ ist vorbei.

[35] Piper/ Ohly, § 6 Rn. 33 m.w.N.

[36] Stellv. BGH 25.02.1999, GRUR 1999, 1100 (1101) - Generika-Werbung; Henning-Bodewig, GRUR Int. 1999, 385 (391); Baumbach/Hefermehl, 2001, § 1 Rn. 358.

[37] Der Wortlaut entstammt Art. 2 Nr. 2a RL 97/55/EG, und findet sich aktuell in Art. 2 lit. c RL 2006/114/EG.

[38] BGH 15.07.2004, GRUR 2005, 163 – Aluminiumräder.

[39] EuGH 25.10.2001, GRUR 2002, 354 (Rn. 34 f.) – Toshiba/Katun; Piper/ Ohly, § 6 Rn. 35.

[40] Vgl. EuGH 08.04.2003, GRUR 2003, 533 (Rn. 36) – Pippig Augenoptik/Hartlauer.

[41] Das Vergleichserfordernis bejahend: Sack, WRP 2008, 170 (172); a.A. Köhler, GRUR 2005, 273 (275).

[42] BGH 15.07.2004, GRUR 2005, 163 (165) – Aluminiumräder; BGH 25.04.2002, GRUR 2002, 982 (983) – Die „Steinzeit“ ist vorbei“; BGH 21.06.2001, GRUR 2002, 75 (76) – „SOOOO … BILLIG!“?.

[43] BGH 02.12.2004, GRUR 2005, 348 – Bestellnummernübernahme; BGH 05.02.2004, GRUR 2004, 607 (611) – Genealogie der Düfte.

[44] Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, S.131; Begründung Regierungsentwurf, WRP 2000, 555 (560); Scherer, WRP 2001, 89 (96); Hefermehl/ Köhler /Bornkamm, 2008, § 6 Rn. 19; MünchKommUWG/ Menke, § 6 Rn. 75.

[45] Meyer, S.20 m.w.N.

[46] Hefermehl/ Köhler /Bornkamm, 2008, § 6 Rn. 17.

[47] Baumbach/Hefermehl, 2001, § 1 Rn. 430; Gloy/Bruhn, GRUR 1998, 226 (226).

[48] Eichmann, S. 5; v. Gamm, Wettbewerbsrecht, Kap.23 Rn.1 m.w.N.

[49] Jungbäck, S. 15.

[50] Großkomm./ Brandner/Bergmann, UWG, § 1 Rn. 108; Gloy/Bruhn, GRUR 1998, 226 (226f.); BGH v. 08.04.1952, GRUR 1952, 582 (584) - Bruchleidende.

[51] BGH 15.07.2004, GRUR 2005, 163 (165) – Aluminiumräder.

[52] Fezer/ Koos, § 6 Rn. 80.

[53] Vgl. auch Begründung Regierungsentwurf, WRP 2000, 555 (559); MünchKommUWG/ Menke, § 6 Rn. 33.

[54] Beater, § 3 Rn. 1 ff. (23f.).

[55] BGBl. Norddeutscher Bund 1869, S.245 ff.

[56] Tetzner, UWG 1957, Vorbem. Anm. 4.

[57] „Jede Handlung eines Menschen, die einem anderen Schaden zufügt, verpflichtet denjenigen, durch dessen Schuld dieser entstanden ist, diesen zu ersetzen.“, vgl. dazu Hudelmaier, S. 99 f.

[58] Großkomm./ Köhler, Vor § 13 Rn. 1.

[59] RG 25.06.1890, RGZ 28, 238 – Buchhandel.

[60] RG 25.06.1890, RGZ 28, 238 (249)– Buchhandel.

[61] RG 25.06.1890, RGZ 28, 238 (248)– Buchhandel: "Das in der Konkurrenzberechtigung liegende Recht, mittels des eigenen Konkurrenzbetriebes in solche Beziehungen einzugreifen, kommt hier nicht in Frage, da die getroffenen Veranstaltungen keine der Klägerin ihre Beziehungen abwendig machenden Handlungen eines Konkurrenzbetriebes sind.".

[62] RG 24.01.1895, RGZ 35, 166 (169) – Gesindecomptoir.

[63] Insb. Kohler, Unlauterer Wettbewerb, S.57 ff. (59); Wadle, JuS 1996, 1064 (1065) m.w.N.

[64] Reichsgesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs v. 27.05.1896, RGBl. 1896, 145.

[65] Zur concurrence deloyale vgl. B.I.1.a); Ahrens, WRP 1980, 129 (130 ff.); Reichold, AcP 193, 204 (221 ff.) m.w.N.

[66] Schricker, AcP 172, 203 (207).

[67] Hartlage, S. 8 f.

[68] RG 08.05.1900, JW 1900, 476 - Lindes Eismaschinen: Ein reines Werturteil hätte „beste Eismaschinen“ isoliert dargestellt, die Angabe eines Prozentsatzes erweckte den Eindruck eines Ergebnisses einer vergleichenden Untersuchung und Feststellung anerkannter Sachverständiger.

[69] RG 13.07.1897, JW 1897, 476 Nr.59.

[70] RG 18.03.1898, JW 1898, 300.

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Die Entwicklung der Beurteilung der vergleichenden Werbung. Dogmengeschichtliche Probleme des Lauterkeitsrechts
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Note
17 Punkte (sehr gut)
Autor
Jahr
2008
Seiten
41
Katalognummer
V284453
ISBN (eBook)
9783656847878
ISBN (Buch)
9783656847885
Dateigröße
718 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wettbewerbsrecht, UWG, vergleichende Werbung
Arbeit zitieren
Anselm Prusko (Autor:in), 2008, Die Entwicklung der Beurteilung der vergleichenden Werbung. Dogmengeschichtliche Probleme des Lauterkeitsrechts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/284453

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