Femme fatale, Naive oder Aufklärerin? Die Polyvalenz der Minna von Barnhelm


Hausarbeit, 2013

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Stellung der Frau im 18. Jahrhundert

3. Analogien zu Lessings Biografie

4. Die verschiedenen Facetten der Minna von Barnhelm
4.1 ‘Nomen est Omen’
4.1.1 Wille
4.1.2 Liebe
4.1.3 Schutz
4.2 Die Spielerin
4.3 Die Intrigantin
4.4 Die Naive
4.5 Vor dem Hintergrund der moralischen Konventionen

5. Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

6.1 Primärliteratur
6.2 Sekundärliteratur

„Ehre und Ruhm, die meisterstrebten Güter, bestehen ja aus unsagbarer Nichtigkeit, denn dem, der etwas von dem Ewigen erschaut, scheint es Torheit, sich um solche Dinge

zu bemühen.“ Aristoteles

1. Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit ist in dem Seminar „Aufklärer, Genie, Freund - Gotthold Ephraim Lessing“ geschrieben worden und ist Bestandteil des Moduls „L 3.1 Literaturgeschichte II“.

Das 1767 erschienene Lustspiel Minna von Barnhelm oder das Soldaten- glück brachte seinerzeit aktuelle Zeitgeschichte auf die Bühne. So spielt die Hand- lung in der Zeit direkt nach dem siebenjährigen Krieg, was durch die Benennung der Jahreszahl im Untertitel deutlich hervorgehoben wird: „Ein Lustspiel in fünf Aufzügen verfertigt im Jahre 1763“. Goethes respektvolles Urteil hierzu lautete: „Die erste aus dem bedeutenden Leben gegriffene Theaterproduktion von spezi- fisch temporären Gehalt.“1 Gleichzeitig bezeichnete er das Stück aber auch als „die wahrste Ausgeburt des siebenjährigen Krieges.“2 In der Tat handelt es sich nicht vordergründig um ein Liebespaar, das nach einigen Wirrungen glücklich wieder zusammenfindet, vielmehr geht es um zwei ehrenhafte Hauptcharaktere, die zwar beide von Adel sind, aber deren Konflikte sich zu einem bürgerlichen Protest zuspitzen, der das offenbart, was Lessing an sozialer Erfahrung gesammelt hat.3

Lessings Minna von Barnhelm ist eine äußerst facettenreiche Figur, deren Herkunft anscheinend im Bereich des nicht verhoften Adels zu anzusiedeln ist, was ihre Freiheit, nach ihren Neigungen - und nicht der Etikette entsprechend - handeln zu können, erklären könnte. Ihre individuelle Autonomie, ihr geradezu revolutionäres Selbstverständnis als Frau, das nicht nur dem damaligen Zeitgeist diametral entgegen gesetzt ist, sondern eigentlich eher dem heutigen entspricht, lässt sie so außerordentlich reizvoll erscheinen.

Ziel dieser Arbeit ist es, das Verhalten der Figur Minna vor dem histori- schen Hintergrund des einsetzenden Zeitalters der Aufklärung einer genaueren Prüfung zu unterziehen und zu untersuchen, wie Lessing die Minna agieren lässt, um bei Tellheim einen Prozess in Gang zu setzen, der ihm über die Hürde der veralteten Konventionen zu einem selbst bestimmten und eigenverantwortlichen Leben verhilft. Dazu sollen sowohl die damaligen Konventionen beleuchtet wer- den als auch die verschiedenen Facetten der Minna. Schließlich sollen die Analo- gien zu Lessings Biografie unterstrichen werden, was insofern von Bedeutung sein könnte, als anscheinend wichtige Erlebnisse seines Lebens verarbeitet wor- den sind.

2. Die Stellung der Frau im 18. Jahrhundert

Die Stellung der Frau im 18. Jahrhundert war durch Abhängigkeit gekennzeichnet. Das Mädchen bzw. die unverheiratete Frau war der patria potestas unterworfen, sie war Besitztum ihres Vaters4 und ging von dort in den Besitz ihres Ehemannes über. Sie selbst war keine Rechtsperson und daher im juristischen Sinne von Vätern, Ehemännern oder anderen männlichen Verwandten abhängig. Da-rüber hinaus besaß sie kein Recht auf Eigentum.5

Auch zu Lessings Zeit war Martin Luthers Definition der Ehe noch von großer Bedeutung. Frauen hatten demzufolge kein Recht auf ein autonomes Leben und wenn sie darüber hinaus gar ledig blieben, war ihre Existenz „nicht von Be- deutung“. Luther erachtete den Familienstand als den einzig erstrebenswerten und Gründe für eine Ehelosigkeit wurden von ihm nicht akzeptiert. Die Aufgabe des Mannes war die des Ernährers der Familie, die der Frau das Gebären und die Auf- zucht von Kindern. Eine besondere Bildung der Mädchen hielt Luther für unangemessen.6

„Der christlichen Religion verdank[t] die Frau die sittliche Gleichstellung mit dem Mann in der Ehe, aber ‘die Natur und durch sie der vernünftige Wille haben die verschiedenen Geschlechter gegründet’ […].“7 Die Frau war dem Ehe- mann in jeglicher Hinsicht, auch in Bezug auf das Fleischliche zu Gehorsam ver- pflichtet, er war Herr über ihren Körper. Gott hingegen, als dem himmlischen Ehegatten und dem Herrn über die Seele, hatten alle seelischen Regungen zu gel- ten.8

In dem Maß, wie Männer durch ihren Beruf, durch eine expandierende bürgerliche Vereinskultur und intensivere politische Anteilnahme stärker mit dem an Bedeutung wachsenden öffentlichen Leben verflochten waren, entfernten sie sich aus dem häuslich-familialen Bereich, der sich umgekehrt zu einem exklusiven Raum für Frauen und Kinder ausbildete.9

Eine weibliche Existenz außerhalb der traditionellen Frauenrolle war undenkbar, zudem auch nur durch verinnerlichte Selbstunterdrückung zu bedienen, denn von der Frau wurden „Passivität, Demut, Geduld, Nachgiebigkeit, Emotionalität, Freundlichkeit, Fürsorglichkeit und Liebesfähigkeit“ erwartet.10

Mitte des 18. Jahrhunderts begann sich ein Wandel abzuzeichnen. Die Be- gründung für die Subordination der Frau war nun nicht mehr religiös gerechtfer- tigt, sondern „anthropologisch mit dem Rekurs auf naturgegebene Wesenseigen- schaften“.11 Dieser Wandel war indessen nur theoretischer Natur, denn geändert hat sich dadurch erst einmal nicht viel. Immerhin wurde ein entscheidender Schritt in Richtung Emanzipation getan: Frauen erhielten das Recht auf freie Gatten- wahl.12 Jedoch „[g]emeinsame Neigungen als Grundlage einer Ehe - das war eine Vorstellung, die der traditionellen Ehe fremd war.“13

3. Analogien zu Lessings Biografie

Lessing schreibt in einem Brief an seinen Freund Nicolai (Mai 1777), und reflektiert darin seine Teilnahme am siebenjährigen Krieg als Sekretär eines Ge- nerals Friedrichs II., dass er selbst in „Leipzig für einen Erzpreußen, und in Berlin für einen Erzsachsen“ gehalten worden sei, aber „keines von beiden war, und kei- nes von beiden sein musste - wenigstens um die ‘Minna’ zu machen.“14 Die Aus- sage Lessings Bruders Karl unterstreicht die Wichtigkeit dieser Tätigkeit: „Es ist zu zweifeln, ob wir eine ‘Minna von Barnhelm’ von ihm hätten, wenn er nicht diesen Posten angenommen [hätte].“15

Für die Aufgabe seines Daseins als Intellektueller und Gelehrter war si- cherlich nicht nur die Suche nach dem Abenteuer, sondern ebenfalls die nach fi- nanzieller Absicherung ursächlich. Und so wird mit dem scheinbar mittellosen Tellheim seine eigene Armut reflektiert, denn „Geldsorgen überschatten sein ganzes Leben“.16 Im Gegensatz zu Tellheim, der von hilfsbereiten Freunden um- geben ist, sich aber als zu stolz erweist, Hilfe von anderen anzunehmen, scheint Lessing diesem Dünkel nicht zu unterliegen, denn er schreibt an seinen Vater, um ihn wegen seiner Versorgung zu beruhigen, dass er Freunde habe.17

Im „Hamburgischen Freundeskreis“, einem kleinen Literaturzirkel, werden Lessings Werke diskutiert. Mitglied konnte jeder Mann werden - Frauen jedoch blieb dies verwehrt.18 Dies scheint die gleiche Basis zu sein, die das Verhältnis Tellheims zu Minna symbolisiert, des klugen und weltgewandten Mannes zu ei- nem Fräulein.

Wie bedeutend die Liebe für Lessing ist, ist nicht nur in einem Brief an seine Verlobte Eva König (vom 23.01.1776) zu sehen: „[…] erhalten Sie mir Ihre Liebe, die wirklich das größte Gut, meine Glückseligkeit allein ausmachen kann.“19, auch seinen Freund Mendelssohn bittet er in einem Brief (vom 18.12.1756) darum, dass er nicht müde werden solle, ihn zu lieben.

Mit knapp 20 Jahren beschließt Lessing auszubrechen, um ein „Mensch“ zu werden. Es geht ihm um „Vervollkommnung“. Daher bittet er auch Moses Mendelssohn in dem vorgenannten Brief, dass dieser nicht müde werden solle, ihn zu bessern.20 Um Besserung geht es auch in Minna von Barnhelm, was hier, wie sich an späterer Stelle zeigen wird, mittels Lachen geschehen soll.

Des Weiteren ist die lange Trennung zwischen Minna und Tellheim sicher- lich nicht nur dem Umstand des Krieges geschuldet, denn auch Lessing und Eva König waren jahrelang getrennt, da diese in Wien ihre Vermögensverhältnisse ordnete.“21 Auch die vermögende Minna ist in „eigenen Angelegenheiten“ unter- wegs.22

Ein prominenter Aspekt ist das Spiel! Lessing als Spieler, der sich „hitzig um sehr hohe Einsätze spielend, so hohe Einsätze, dass der General […] ihn warnt“23, nicht nur in Minna und Riccaut spiegelt, sondern auch in Tellheim (wie noch zu zeigen sein wird) und Wachtmeister Werner, wenn dieser zu Franziska sagt: „Geb’ Sie mir Ihre Hand, Frauenzimmerchen! Topp! - Über zehn Jahr ist sie Frau Generalin, oder Witwe!“24 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Lessing das Spiel nie mehr aufgibt, sich sogar im Lotteriespiel mit Eva Kö- nig zusammentut. „Den biographischen Aspekt von der Spielernatur Lessings darf man im Auge behalten, wenn […] die Heldin den Geliebten auffordert, das Leben als Spiel zu betrachten und damit den ganzen Einsatz zu wagen.“25

[...]


1 Ztiert nach Rilla, Paul: Lessing und sein Zeitalter. 2., unveränd. Aufl. München: C.H. Beck 1977. S. 106.

2 Rilla, Paul: Lessing und sein Zeitalter. S. 105.

3 Vgl. Rilla, Paul: Lessing und sein Zeitalter. S.106.

4 Vgl. Frömmer, Judith: Vaterfiktionen. Empfindsamkeit und Patriarchat in der Literatur der Aufklärung. München: Wilhelm Fink 2008. S.18.

5 Vgl. Wurst Karin: Frauen und Drama im achtzehnten Jahrhundert. Köln: Böhlau 1991. S. 26.

6 Vgl. Wosgien, Gerlinde Anna: Literarische Frauenbilder von Lessing bis zum Sturm und Drang. Ihre Entwicklung unter dem Einfluß Rousseaus. Frankfurt/Main: Lang 1999. S. 66 f.

7 Becher, Ursula A.J.: Weibliches Selbstverständnis in Selbstzeugnissen des 18. Jahrhunderts. In: Weiblichkeit in geschichtlicher Perspektive. Fallstudien und Reflexionen zu Grundproblemen der historischen Frauenforschung. Hrsg. von Ursula A.J. Becher und Rüsen, Jörn. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1988. S. 178.

8 Vgl. Ammicht Quinn, Regina: Körper - Religion - Sexualität. Theologische Reflexionen zur Ethik der Geschlechter. Mainz: Grünewald 1999. S. 243.

9 Frevert, Ute: Bürgerliche Meisterdenker und das Geschlechterverhältnis. Konzepte, Erfahrungen, Visionen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. In: Bürgerinnen und Bürger. Geschlechter- verhältnisse im 19. Jahrhundert. Hrsg. von Ute Frevert. Göttingen: Vandenbhoeck & Ruprecht 1988. S. 32.

10 Vgl. Wurst, Karin A.: Frauen und Drama im achtzehnten Jahrhundert. S. 27.

11 Zit. nach Wosgien, Gerlinde Anna: Literarische Frauenbilder. S. 68.

12 Vgl. Wosgien, Gerlinde Anna: Literarische Frauenbilder. S. 100.

13 Becher, Ursula A.J.: Weibliches Selbstverständnis in Selbstzeugnissen des 18. Jahrhunderts. S. 226.

14 Rilla, Paul: Lessing und sein Zeitalter. S.108.

15 Fick, Monika: Lessing Handbuch. Leben - Werk - Wirkung. Zweite durchges. und ergänzte Auflage. Stuttgart: Metzler 2004. S. 242

16 Fick, Monika: Lessing Handbuch. S. 11.

17 Vgl. Fick, Monika: Lessing Handbuch. S. 12.

18 Vgl. Fick, Monika: Lessing Handbuch. S. 12.

19 Fick, Monika: Lessing Handbuch. S. 21.

20 Vgl. Fick, Monika: Lessing Handbuch. S. 19.

21 Vgl. Fick, Monika: Lessing Handbuch. S. 4.

22 Vgl. Lessing, Gotthold Ephraim: Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück. Stuttgart: Reclam 2003. II/2. S. 28.

23 Fick, Monika: Lessing Handbuch. S. 19.

24 Lessing, Gotthold Ephraim: Minna von Barnhelm. V/14. S. 107.

25 Fick, Monika: Lessing Handbuch. S. 20.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Femme fatale, Naive oder Aufklärerin? Die Polyvalenz der Minna von Barnhelm
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
Note
1,7
Autor
Jahr
2013
Seiten
19
Katalognummer
V284193
ISBN (eBook)
9783656841692
ISBN (Buch)
9783656841708
Dateigröße
436 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
femme, naive, aufklärerin, polyvalenz, minna, barnhelm
Arbeit zitieren
Claudia Rehmann (Autor:in), 2013, Femme fatale, Naive oder Aufklärerin? Die Polyvalenz der Minna von Barnhelm, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/284193

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