Litigation-PR in Deutschland

Eine kritische Betrachtung


Masterarbeit, 2013

75 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung

2. Litigation-PR in Deutschland
2.1 Definition von Litigation-PR
2.2 Geschichtliche Entwicklung LPR
2.2.1 USA
2.2.2 Deutschland
2.2.3 Unterschiede zwischen USA und Deutschland
2.3 Litigation-PR in der Praxis
2.3.1 Ziele der Litigation-PR
2.3.2 Einfluss der Medien auf die Gerichte
2.3.3 Abgrenzung Litigation-PR zur Krisen-PR
2.3.4 Reputation Management
2.3.5 Zusammenarbeit zwischen Litigation-PR-Experte und Anwalt
2.3.6 Die Situation der Medien
2.4 Rechtliche Rahmenbedingungen für Litigation-PR
2.5 Die anderen Protagonisten und ihre Rolle
2.5.1 Medien
2.5.2 Jurisprudenz
2.5.3 Öffentlichkeit
2.6 Litigation-PR für Staaten

3. Diskussion
3.1 (Verfassungs-)rechtliche Gesichtspunkte
3.2 Ethische Gesichtspunkte
3.3 Medien
3.4 Öffentlichkeit
3.5 Zukunft des Rechtssystems und der Gerichte
3.6 Ergebnis der Diskussion

4. Fazit

Literaturverzeichnis

1.Einleitung

Aliquid semper haeret: Von jeder – noch so abwegigen Beschuldigung – bleibt immr etwas hängen (Francis Bacon)

Der ehemalige Post-Chef Klaus Zumwinkel, die amerikanische Studentin Amanda Knox, der Wettermoderator Jörg Kachelmann oder der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann: sie alle haben mehr oder weniger ihre breite Bekanntheit in Deutschland Gerichtsverfahren zu verdanken. Ob der Vorwurf der Steuerhinterziehung, der Vergewaltigung oder des Mordes. Sie alle mussten mindestens zwei Urteile über sich ergehen lassen, eines durch das Gericht, das andere durch die Öffentlichkeit. Auch wenn ein Angeklagter in Deutschland so lange als unschuldig gilt, bis er von einem Gericht rechtskräftig verurteilt wurde, zeigen diese Fälle, welche Macht die Medien in Deutschland gerade bei juristischen Auseinandersetzungen besitzen. Den durch die Medien vorverurteilten Moderatoren Jörg Kachelmann und Andreas Türck beispielsweise hat der spätere Freispruch vor Gericht zwar eine Freiheitsstrafe erspart. Doch durch die Berichterstattung während der Prozesse, in der auch nach einem Freispruch immer wieder betont wurde, es handele sich nur um einen „Freispruch zweiter Klasse“, ist den Betroffenen eine berufliche Zukunft in ihrem alten Umfeld kaum mehr möglich. Der Ruf ist ruiniert, die öffentliche Existenz vernichtet (Boehme-Neßler, 2012). Einem Unternehmen kann es ähnlich ergehen. Wird in den Medien von einem gefährlichen Produkt berichtet, von Kinderarbeit oder ähnlichem, wird das Unternehmen auch nach dem Gewinn eines Prozesses nur schwer wieder das Vertrauen seiner Kunden zurückgewinnen. Die Reputation ist für lange – wenn nicht für immer – beschädigt. „Der Beklagte sieht sich heutzutage häufig einer ‚Umkehrung‛ der Unschuldsvermutung [in den Medien] gegenüber: Er wird als schuldig dargestellt, bis der Beweis seiner Unschuld erbracht ist“ (Van Loon, Odebrecht, & Penz, 2012, S. 304).

Gerade rechtliche Auseinandersetzungen von Unternehmen werden in den vergangenen Jahren immer aufmerksamer in den Medien verfolgt. Beispiele wie Mannesmann, Falk, Siemens oder die Deutsche Telekom belegen dies eindrücklich (Heinrich, 2010). Die Berichterstattung solcher Fälle weicht dabei oft von der Vorgehensweise der Juristen ab. Aus dem trockenen Deutsch der Juristen wird eine lebhafte, emotionale Schreibe, aus Gerüchten werden Tatsachen, aus der Unschuldsvermutung eine Vorverurteilung. Ganz nach den Vorstellungen der Leser, denn: „Der Bezug auf das Recht ist vor allem für jene, die beruflich nicht damit befasst sind (...) ein Bezug auf Moral“ (Müller-Neuhof, 2010, S. 141). „Die Medien machen die Öffentlichkeit zum Gerichtssaal“ (Boehme-Neßler, 2012, S. 76). Die Tatsache, dass wir immer mehr in einer Mediengesellschaft leben, verstärkt diesen Effekt und erhöht die Macht der Medien.

In der PR-Branche hat sich daher in den achtziger Jahren in den USA und mittlerweile seit mehreren Jahren auch in Deutschland, eine neue PR-Disziplin etabliert, die sich auf juristische Fälle spezialisiert hat. „Wer heute noch glaubt, dass jemand, der im Gericht Recht zugesprochen bekommt, damit auch gleichzeitig von der Öffentlichkeit die Absolution erhält, der irrt gewaltig“ (Holzinger & Wolff, 2009, S. 18), sagen zwei der Vorreiter der sogenannten Litigation-PR in Deutschland. Sie sehen sich als das Gegengewicht zur heutigen Medienberichterstattung während juristischen Auseinandersetzungen.

Litigation-PR ist gerade in der Wissenschaft jahrzehntelang trotz seiner Existenz vernachlässigt worden. Erst in den letzten Jahren hat sich diese Form der PR von einem Praxisfeld in ein Forschungsfeld verwandelt (Rademacher & Schmitt-Geiger, 2012)

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Litigation-PR in Deutschland. Dabei soll zunächst anhand der Literatur die unterschiedlichen Voraussetzungen von Litigation-PR in Deutschland und deren Ursprungsland USA herausgearbeitet werden. Im Folgenden werden die verschiedenen Protagonisten von Litigation-PR (Litigation-PR-Berater, Jurisprudenz, Öffentlichkeit, Medien) und ihre Rollen anhand der Literatur dargestellt. Daraufhin werden in der Diskussion die Rollen der Protagonisten kritisch hinterfragt und die Frage beantwortet, welchen Einfluss Litigation-PR auf die Zukunft des deutschen Rechtssystems und der Rechtskommunikation haben kann.

Da Litigation-PR in den deutschsprachigen Ländern entgegen den Erwartungen eher im Zivilrecht als im Strafrecht stattfindet (Holzinger, 2012), wird sich die vorliegende Arbeit vermehrt auf zivilrechtliche Probleme und Beispiele aus Wirtschaftsprozessen beziehen, ohne jedoch gänzlich strafrechtliche Eigenheiten außer Acht zu lassen. Aufgrund zahlreicher Publikationen, die die Kommunikation zwischen Litigation-PR-Beratern und der Staatsanwaltschaft in den Mittelpunkt rücken, soll in dieser Arbeit darauf nicht explizit eingegangen werden.

Ziel dieser Arbeit ist eine umfassende Darstellung der Funktion von Litigation-PR, die damit verfolgten Ziele und die Auswirkung auf Öffentlichkeit, Medien und Gerichte.

2. Litigation-PR in Deutschland

Da die bisher erschienene Literatur über Litigation-PR in Deutschland überschaubar ist und sich meist nur mit einzelnen Aspekten der Litigation-PR beschäftigt, soll zunächst ein Gesamtüberblick erfolgen.

2.1 Definition von Litigation-PR

Bisher liegt noch keine einheitliche Definition von Litigation-PR vor, weder in der Praxis, noch in der Wissenschaft (Heinrich, 2010). Eine Annäherung kann daher nur über die Wortbedeutung von PR und Litigation erfolgen. PR (Public Relations) bedeutet zunächst einmal beauftragte Organisationskommunikation (Bentele, Fröhlich, & Szyszka, 2008). Beauftragt ist die Kommunikation, da nicht jede Äußerung eines Organisationsangehörigen als PR gelten soll, sondern nur Aussagen dafür zuständiger Personen (Streeck, 2010). Der Begriff Litigation-PR setzt sich somit aus der Definition von PR und dem lateinischen Wort „litigator“ (= Prozessführer, prozessführende Partei) zusammen, dass im amerikanischen so viel wie Gerichtsverfahren bedeutet. Zusammengesetzt handelt es sich somit um Öffentlichkeitsarbeit während juristischen Auseinandersetzungen (Holzinger & Wolff, 2009), beziehungsweise „strategische öffentliche Kommunikation im Zusammenhang mit rechtlichen Verfahren“ (Boehme-Neßler, 2010, S. 9). Auch wenn dies keine feststehenden Definitionen sind, wird im Folgenden auf diese Definitionen zurückgegriffen.

2.2 Geschichtliche Entwicklung LPR

Um Litigation-PR in Deutschland zu verstehen, muss zunächst der Ursprung der Litigation-PR und deren Voraussetzungen betrachtet werden. So ist Litigation-PR ein Begriff, der bereits seit mehr als dreißig Jahren in den USA gebraucht wird. Unabhängig von der bereits besprochenen Definitionsproblematik handelt es sich dabei um eine PR-Tätigkeit während juristischen Auseinandersetzungen. Diese PR-Tätigkeit, bei der Einfluss auf die Medien und schlussendlich auf die Gerichtsentscheidung genommen werden soll, ist jedoch weitaus älter als der Begriff Litigation-PR. So gilt die sogenannte „Dreyfus-Affäre“ als eine der ersten PR-Kampagnen, die unter das heutige Verständnis von Litigation-PR fallen – und das nicht vor wenigen Jahren in den USA, sondern bereits Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich (vgl. Boehme-Neßler, 2010b, S. 22; Holzinger & Wolff, 2009, S. 44). So lange es Gerichte gibt, gibt es daher auch eine Form der Litigation-PR diese Gerichte zu beeinflussen. Doch dauerte es bis zu den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, um daraus eine professionelle und flächendeckende PR-Disziplin in den USA zu machen.

2.2.1 USA

Der Grundstein für die Entstehung von professioneller Litigation-PR in den USA wurde 1981 gelegt. In diesem Jahr entschied der US-Supreme Court in der bahnbrechenden Entscheidung Chandler vs. Florida1, dass sich eine Liveberichterstattung aus dem Gerichtssaal nicht negativ auf das Verfahren auswirken muss und ließ die Fernsehberichterstattung aus dem laufenden Prozess zu (Boehme-Neßler, 2010b). Seitdem hat sich in den USA die Liveberichterstattung aus Gerichtsverhandlungen etabliert, wenn auch in den verschiedenen Bundesstaaten sehr unterschiedlich (Nead, 2005).

Haggerty (2012) sieht die Geburtsstunde der professionellen Litigation-PR in den frühen achtziger Jahren mit dem Zivilrechtsfall US General William Westmoreland gegen den Fernsehnachrichtensender CBS.2 Westmoreland klagte wegen einer ausgestrahlten Dokumentation des Fernsehsenders über den Vietnamkrieg, in dem er seiner Meinung nach zu Unrecht diskreditiert wurde.

CBS had the foresight to hire a public relations representative named John Scanlon, who cleverly worked to manage the coverage of the case on CBS´s behalf. Every step of the way, from shortly after the filing of the complaint until the case actually reached the courthouse, Scanlon was there, discussing the case with reporters, passing out key documents used in court (along with documents that weren´t) and otherwise making CBS´s case. (Haggerty, 2012, S. 43-44)

Es war der erste Fall, in dem ein PR-Berater von Anfang bis Ende einen Prozess begleitete und die Medien versuchte, auf seine Seite bzw. die Seite des Mandanten zu ziehen. So begannen ab diesem Zeitpunkt Kommunikationsberater und Juristen die begleitende Öffentlichkeitsarbeit bei Gerichtsprozessen mit dem Begriff Litigation-PR zu versehen, da die klassischen Instrumente der PR bei öffentlich begleitenden Gerichtsprozessen nicht ausreichen (Engel & Scheuerl, 2012).

Seitdem, aber vor allem seit der Jahrtausendwende, ist Litigation-PR aus amerikanischen Gerichtsälen und Zeitungen nicht mehr wegzudenken. Es ist eine der jüngsten Disziplinen der PR, aber vor allem der am schnellsten wachsende Bereich in den USA (Haggerty, 2012).

2.2.2 Deutschland

In Deutschland hat es lange gedauert, bis professionelle Litigation-PR Einzug in die Gerichtsberichterstattung und die Gerichte gefunden hat. Bis vor kurzem konnte in Deutschland kaum jemand etwas mit dem Begriff Litigation-PR anfangen. Doch britische und amerikanische Großkanzleien und Kommunikationsberater drängten in den letzten Jahren vermehrt auf den deutschen Markt und brachten das Wissen über die Dienstleistung der begleitenden Prozesskommunikation mit. So hat sich die Verschlossenheit der PR-Berater für dieses neue Betätigungsfeld gewandelt. Waren es vorher eher kleine Teams, die sich auf dieses Nischengebiet fokussiert hatten, sind in den vergangenen Jahren immer mehr PR-Berater zu finden, die sich allein auf Litigation-PR spezialisiert haben. (Holzinger & Wolff, 2009)

Neben der Gründung neuer Litigation-PR-Büros gibt es noch weitere Anzeichen, dass Litigation-PR in Deutschland immer mehr an Bedeutung gewinnt. So gibt es mittlerweile reine Litigation-PR Tagungen, mehrere Verbände haben sich gegründet und seitdem Holzinger und Wolff ( 2009) ein Buch über ihre Arbeit als Litigation-PR Experten geschrieben haben, ist das Thema auch immer häufiger in Ratgebern, aber auch in wissenschaftlichen Arbeiten zu finden.

2.2.3 Unterschiede zwischen USA und Deutschland

Auch wenn vor allem US-amerikanische Großkanzleien professionelle Litigation-PR in Deutschland eingeführt haben und sie sich zu etablieren scheint, ist deutsche Litigation-PR kein Spiegelbild der US-amerikanischen. Sowohl die rechtlichen, als auch die medialen Rahmenbedingungen in Deutschland sind ganz andere als die in den USA (Schmitt-Geiger, 2012). So ist Litigation-PR nicht grundlos in den USA entstanden.

Jurysystem

Das US-amerikanische Justizsystem hat die perfekten Voraussetzungen, um von außen Einfluss auf die Öffentlichkeit und die Medien zu nehmen, da allein die Jury über Schuld oder Unschuld entscheidet und von den Anwälten mit ausgesucht werden kann (Holzinger & Wolff, 2009). Die Auswahl zieht sich oft über Wochen hin und wird nicht selten von den Verteidigern instrumentalisiert. Die so vorausgewählten Jury-Mitglieder sind später einfacher von der „guten Sache“ zu überzeugen als einzelne Richter in Deutschland, da deren Entscheidungen häufig von emotionalen Gefühlen geprägt sind (Schmitt-Geiger, 2012).

Wie wichtig die Auswahl der Jury sein kann, ist gut an dem Prozess des schwarzen Ex-Football-Stars O.J. Simpson zu beobachten. Die im Strafprozess vornehmlich schwarze Jury sprach ihn trotz erdrückender Beweise frei, eine zum Großteil aus Weißen bestehende Jury hielt ihn im darauffolgenden Zivilverfahren jedoch für schuldig (Schmitt-Geiger, 2012).

Die Auswahl der Jury ist somit in den USA eine der wichtigsten Aufgaben der Anwälte und Litigation-PR-Experten, können sie doch zum Teil selbst entscheiden, wie die Gruppe zusammengesetzt ist, die es zu überzeugen und zu manipulieren gilt (vgl. Holzinger & Wolff, 2009, S. 45-47). Seit dem Ende der neunziger Jahre wird auch in Großbritannien vermehrt auf Litigation-PR zurückgegriffen. Nicht zuletzt, weil auch dort Jurys Teil der Rechtsprechung sind.

In Deutschland ist es in dieser Form jedoch nicht möglich, da bereits seit mehr als 100 Jahren das Jury-Gericht durch ein Schöffengericht ersetzt wurde und die Schöffen nicht von den Verteidigern mit ausgewählt werden. „Prozessführung über Medien, wie man sie aus den USA kennt, wo Anwälte eine Jury beeindrucken müssen, oder in Österreich, wo es ähnlich ist – funktioniert in Deutschland in der Regel nicht“ (Friedrichsen, 2010, S. 53) Deutsche Laienrichter sind in ihren Entscheidungen genauso beeinflussbar wie die Mitglieder einer amerikanischen Jury, doch durch die Beteiligung von mindestens einem Berufsrichter wird diese Beeinflussung deutlich eingeschränkt (Casper & Zeisel, 1979, zitiert nach Schmitt-Geiger, 2012, S. 67). Demnach wird nach Schmitt-Geiger (2012) in Deutschland der Möglichkeit, Urteile über die Laienrichter zu beeinflussen, zu große Bedeutung beigemessen (a. A. Gerhardt, 2009, S. 249, der anhand des Falls Weimar aufzeigt, dass die Medien jedenfalls über die (weiblichen) Schöffen Einfluss auf das Urteil nehmen konnten).

Punitive damages

Eine weitere Besonderheit des US-amerikanischen Justizsystems sind „punitive damages“, auf Deutsch „Strafschadensersatz“. Diese gerade erstinstanzlich sehr hohen Schadenssummen werden zusätzlich zum Schadensersatz gewährt, wenn das Verhalten des Beklagten als besonders verwerflich anzusehen ist und er von einer Fortsetzung dieser schädigenden Handlung abgehalten werden soll (Seitz, 2001).

Ohne genauere Fälle zu kennen, hat fast jeder schon einmal von Millionensummen in den USA gehört, die für das Verbrühen mit Kaffee bei McDonald´s oder ähnlichen Dingen gezahlt werden mussten. Zwar werden diese erstinstanzlichen Urteile oft in weiteren Instanzen niedrigere Beträge reduziert. Doch aus journalistischer Sicht haben diese hohen Beträge einen Reiz – je höher die Beträge, desto höher das Interesse der Leser an einem Fall (Schmitt-Geiger, 2012).

Die Anwälte merkten schnell, dass ihnen auf Klägerseite das Medieninteresse bei Zivilprozessen, bei denen es um Strafschadensersatz ging, Vorteile bringen konnte. „So etablierte sich die Litigation-PR auch im zivilrechtlichen Bereich“ (Schmitt-Geiger, 2012, S. 61). Die Medien werden dabei häufig als Druckmittel verwendet, um unter medialem Trommelwirbel Unternehmen aus Angst vor negativer Berichterstattung zu einem Vergleich zu bewegen (Jahn, 2012).

Welche Auswirkungen die Schadensersatzsummen auf das Prozessverhalten haben können, zeigt der Fall der Deutschen Telekom im Streit mit ihren Aktionären über angeblich falsche Angaben im Börsenprospekt. In den USA ist die Deutsche Telekom aus Angst vor hohen Schadensersatzsummen sehr schnell zu einem Vergleich mit ihren Aktionären gekommen. In Deutschland läuft das Verfahren jedoch seit beinahe zehn Jahren – für die Telekom mit guter Aussicht auf einen Erfolg. (Jahn, 2012)

Sammelklagen

Ein weiterer Unterschied sind Sammelklagen, sogenannte „Class Actions“. Sie führen in den USA vor allem aufgrund ihrer regelmäßig hohen Schadensersatzforderungen zu einem enormen Medienereignis (Schmitt-Geiger, 2012). Den Klägeranwälten geht es dabei vor allem darum, die breite Öffentlichkeit mittels Stimmungsmache für die Interessen des Mandanten zu gewinnen (Kiessling, 2009).

In Deutschland gibt es diese Form der Sammelklagen hingegen nicht. Bisher kennt das deutsche Rechtssystem lediglich die „Musterklage“, bei der eine gemeinsame gerichtliche Prüfung von Schadensersatzforderungen mehrerer Anleger möglich ist. Als Beispiel für eine Musterklagekann der Prozess von rund 17.000 Aktionären gegen die Deutsche Telekom gesehen werden. Dieser ist aber mit einer US-amerikanischen Sammelklage und den dort summierten Schadensersatzforderungen nicht vergleichbar.

In den USA kommt noch hinzu, dass die Anwälte meist nur dann eine Bezahlung erhalten, wenn sie den Prozess gewinnen. Daher sind Sammelklagen bei den Anwälten sehr beliebt. Die mögliche Bezahlung bei einem hohen Streitwert ist dementsprechend hoch und es minimiert sich das Risiko, dass die anfallenden Kosten für die Vorbereitung auf das Verfahren, die bei großen Prozessen in Millionenhöhe anfallen können, sich am Ende für den Anwalt nicht lohnen.

Pre-Trial-Discovery-Verfahren

Ein weiterer Unterschied zwischen dem US-amerikanischen und dem deutschen Justizsystem ist das Pre-Trial-Discovery-Verfahren. Dabei wird es US-amerikanischen Klägern in Zivilprozessen gestattet, zur Beweissicherung sämtliche Informationen beim Beklagten einzuholen. Dieser ist dazu verpflichtet, Gegenstände, E-Mails, Dokumente, elektronische gespeicherte Informationen und vieles mehr herauszugeben. Damit lässt sich ein starkes Medieninteresse wecken. Vor allem, wenn bei einem namenhaften Unternehmen vor laufender Kamera Unterlagen aus dem Unternehmenssitz transportiert werden. Auch hier kommt es oft nicht zu einem Prozess, da mit Hilfe der Litigation-PR bereits vorher mit den Bildern oder der Androhung der Bilder enormen Druck auf den Beklagten ausgeübt wird und man sich schlussendlich auf einen Vergleich „einigt“. (Schmitt-Geiger, 2012)

Visuelle Rechtskommunikation

In den USA fester Bestandteil der Beratung und in Deutschland bisher noch fast unbekannt ist die visuelle Rechtskommunikation. Dabei werden hochtechnische und komplexe Sachverhalte durch aufbereitete (animierte) Bilder veranschaulicht. Als Beispiel verweist Holzinger (2012) hierbei auf einen Artikel von Florian Illies (2011), nach dem das Atomreaktorunglück von Fukushima nicht das Ende des Atomzeitalters eingeläutet habe, weil die Menschen vernünftig geworden seien. Vielmehr sei die Wirkkraft der Bilder in den Köpfen der Menschen so stark geworden, dass sie nicht mehr zu verdrängen seien. Genau diese Wirkung soll in den USA bei den Jurymitgliedern und den Medien einsetzen, um den Prozess im Sinne des Mandanten gestalten zu können.

Live-Übertragung

Viele amerikanische Prozesse werden live im Fernsehen übertragen. Durch Sender wie TruTV (vormals Court TV) oder iReport ist Litigation-PR direkt vom Gerichtssaal in die heimischen Wohnzimmer möglich (Schmitt-Geiger, 2012). „Journalistisch interessante Prozesse können daher sofort zu Medienereignissen werden“ (Schmitt-Geiger, 2012, S. 65). In Deutschland sind Film- und Tonaufnahmen von Gerichtsverhandlungen hingegen gemäß § 169 S. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) verboten.

In den USA und Großbritannien sind mittlerweile auch prozessbegleitende Litigation-PR-Websites und -Blogs in vielen Verfahren Standard. Aber auch in Deutschland gewinnen sie, gerade im zivilrechtlichen Bereich, an Bedeutung (Holzinger & Wolff, 2009).

Staatsanwaltschaft

„Anders als in den USA sind Staatsanwaltschaften nach deutschem Recht eben nicht einseitige Partei, sondern gehalten, gleichermaßen belastende und entlastende Tatsachen zu ermitteln und zu würdigen“ (Unverzagt, Gips, & Zolling, 2012, S. 344). Staatsanwälte in den USA sind daher nicht unabhängig, sie sind nicht reine Ermittlungsbehörde, sondern Ankläger. Daher ist auch ihr Verhältnis zu den Medien viel offener als in Deutschland.

Medien

Es besteht auch ein großer Unterscheid zwischen den US-amerikanischen und den deutschen Medien. „Der Konkurrenzdruck der Medien durch das Internet führte dazu, dass sich US-Medien bei der Erzeugung gewinnbringender Skandale beteiligen – die Boulevardisierung wurde zur wirtschaftlichen Überlebensstrategie“ (Schmitt-Geiger, 2012, S. 66). Die Clinton-Lewinsky-Affäre soll hier stellvertretend für diese Entwicklung stehen.

Der Konkurrenzdruck der Medien in Deutschland ist bei weitem noch nicht so groß wie in den USA. Daher ist die deutsche Medienlandschaft nicht in dem Maße auf Skandalisierung und Geld angewiesen wie die US-amerikanische. Da Deutschland sich einen kritischen Journalismus bisher halbwegs bewahrt hat, ist dort eine Beeinflussung der Medien bisher nicht in dem Maße möglich wie in den USA. (Schmitt-Geiger, 2012, a. A. jedoch Boehme-Neßler, 2012; Fengler & Ruß-Mohl, 2005) Litigation-PR in Deutschland zielt daher bisher weitestgehend darauf ab, ausgewogene Berichterstattung in den Medien zu erreichen.3

Litigation-PR-Berater

„In den USA und Großbritannien ist es üblich, dass die Litigation-PR-Berater direkt von den mandatsführenden Kanzleien angeheuert und auch vergütet werden (...) In Deutschland scheinen direkte Mandatierungen der Litigation-PR-Berater durch den Mandanten eher die Regel zu sein“ (Holzinger, 2012, S. 337). Das liegt vor allem daran, dass Litigation-PR-Experten im Team der Strafverteidiger in Deutschland, im Gegensatz zu den USA, kein Zeugnisverweigerungsrecht haben. Sie können daher vom Staatsanwalt befragt werden, um an Informationen der Gegenseite zu gelangen (Holzinger, 2012).

2.3 Litigation-PR in der Praxis

In einer Mediengesellschaft werden anonymen Unternehmen früher oder später natürliche Personen zugeordnet, meist die ihrer Vorstandsvorsitzenden bzw. CEOs. Bei juristischen Auseinandersetzungen ist dies allerdings auch dem deutschen Rechtssystem geschuldet, dass (außer bei gewissen OWiG-Verstößen) keine Anklage gegen die Unternehmen selbst, sondern nur gegen deren Verantwortlichen vorsieht. Die Reputation des Chefs wird somit gleichgesetzt mit der Reputation des Unternehmens (Heinrich, 2012; Kleiner, 2010). So wurde beispielsweise der Mannesmann-Prozess zu einem Ackermann-Prozess, obwohl auch weitere ehemalige Mannesmann-Manager angeklagt waren (Wilmes, 2006).

Gerade Manager haben in der heutigen Gesellschaft einen schweren Stand. Ihre Aussagen, ihr Handeln und Verhalten und selbst ihr Privatleben kann unter genauester Beobachtung stehen. Ihre hohen Einkommen sind für viele Bürger ein Sinnbild für verkommene Moral und Ungerechtigkeit. Sie in einem Prozess „hängen“ zu sehen, verursacht vielerorts mehr Schadenfreude als Mitleid. Ob die vorgeworfene Tat wirklich begangen wurde, ist oft nur Nebensache, sowohl für die Öffentlichkeit, als auch für die Presse. Gerichtet wird dann oft nicht mehr im Gerichtssaal, sondern im „Court of Public Opinion“, dem Gerichtshof der Öffentlichkeit (Haggerty, 2003).

Es ist daher eine große Bedrohung für jeden Manager, aber auch für deren Unternehmen, wenn sie angeklagt werden und das mediale Interesse geweckt wird. Denn „[e]rst wenn ein rechtlicher Konflikt das mediale Interesse weckt, kann dies zu einer (Unternehmens-)Image schädigenden publizistischen Krise führen“ (Heinrich, 2012, S. 28).

Die kommunikative Begleitung durch Litigation-PR-Spezialisten soll den Klienten daher vor allem vor den irreparablen Reputationsschäden und seinen Folgen schützen, die durch falsche Darstellungen in den Medien hervorgerufen werden. Litigation-PR ist daher als ein Instrument zur „Waffengleichheit“ zu verstehen, das gegen falsche Aussagen der Medien und Staatsanwaltschaften einen Ausgleich schaffen will. Dies ist der Ausgangspunkt, von dem aus das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit erhalten oder aufgebaut werden soll. Daher setzt Litigation-PR auch nicht erst beim Gerichtsprozess an, sondern schon deutlich früher im Vorfeld. (Reber, Gower, & Robinson, 2006). Ziel ist es vielmehr, den Verlauf eines Prozesses mit Hilfe von gezielter Öffentlichkeitsarbeit zu beeinflussen (Heinrich, 2012). Dies wird zumindest für den Fall gelten, dass es sich beim Klienten um den Angeklagten eines Strafprozesses bzw. den Beklagten eines Zivilprozesses handelt. Bei der Definition von Litigation-PR wird daher nicht von Prozessbegleitung gesprochen, sondern vielmehr von juristischen Auseinandersetzungen, die einem Prozess durchaus vorgelagert sein können. Da Skandalisierung nur dort bekämpft werden kann, wo sie stattfindet, nämlich in den Medien, kommt Litigation-PR die Aufgabe zu Teil, Angriffe auf die Reputation eines Angeschuldigten frühzeitig und mediengerecht zu dementieren (Eisenegger, 2012).

Dass es bei der Litigation-PR vor allem um die Wahrnehmung des Klienten in der Öffentlichkeit geht, muss nicht nur mit dem direkten Konfliktgegner, sondern mit einer ganzen Reihe weiterer Interessengruppen kommuniziert werden. Bei einem Unternehmen können dies sowohl die Mitarbeiter, Anteilseigner und Kapitalgeber, wie Banken und Aktionäre, sein, als auch Kunden, Lieferanten und nicht zuletzt die Medien (Heinrich, 2012). Diese Gruppe kann sich unter gewissen Umständen um Personen aus Wirtschaft und Politik, Behörden, Verbänden und weiteren Gruppen erweitern (Lies, 2008, S. 192).

Für die Rezipienten der Medien sind Gerichtsprozesse unterhaltsam und spannend, für die Betroffenen jedoch meist ein zu verkraftender Ausnahmezustand (Heinrich, 2012). Da selbst bei einem erfolgreichen Prozessausgang fast immer etwas negatives hängenbleibt, scheint „eine rein juristische Lösung des Konfliktes, gerade bei medienwirksamen Rechtsverfahren, nicht mehr ausreichend zu sein (Heinrich, 2012, S. 24). Nach amerikanischen Untersuchungen glauben 42 Prozent der Bevölkerung, dass „etwas dran sein müsse“, wenn gegen ein Unternehmen oder dessen Verantwortlichen ermittelt werde. Wird die Anschuldigung von einem Unternehmenssprecher mit einem „kein Kommentar“ abgetan, steigert sich die Zahl sogar auf 51 Prozent (Holmes, 2002; siehe auch Hantler, 2003). Bis zum möglicherweise positiven Gerichtsurteil kann das Urteil des „Gerichtshofs der Öffentlichkeit“ das Unternehmen bereits die Existenz gekostet haben. Denn „rechtliche Verfahren können die Folge einer klassischen Krise sein, aber auch selbst zu einer Krise werden“ (Heinrich, 2012, S. 28).

Die Arbeit eines Litigation-PR-Experten beginnt nicht erst mit der Anklage oder dem Prozess, sondern ab der ersten Minute der aufkommenden Krise. Von Anfang an werden Strategien ausgearbeitet, da in jeder Phase eines schwebenden Verfahrens eine Situation ausgelöst werden kann, die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zieht und direkte Kommunikation erfordert (Möhrle, 2012). Es ist daher die Aufgabe von Litigation-PR-Beratern, die Standpunkte der Verteidigung mittels verschiedener PR-Instrumente effektiv und cross-medial zu platzieren, um eine mediale Vorverurteilung des Angeklagten zu verhindern (Holzinger, 2012). Um sich seine Legitimation zu behalten, sollte Litigation-PR dabei aber immer nur ein Werkzeug des Reagierens sein, um Ungleichheiten zu beseitigen, aber niemals ein Agierendes, um Ungleichheit zu schaffen (Hild, 2010). Dabei muss die Zielsetzung sein, die Deutungshoheit über den Fall zu erlangen, damit unwiderruflichen Vorverurteilungen frühzeitig entgegengetreten werden kann (Van Loon et al., 2012).

Zum einen wird bei Litigation-PR versucht, bestimmte Personen im Sinne des Auftraggebers zu beeinflussen (z.B. Sachverständige, Investoren, Zeugen, Bankangestellte). Dies geschieht in der Regel durch persönliche Gespräche und Zusendung von Informationen und Dossiers (Streeck, 2010). Zum anderen wird versucht, über die Massenmedien zu beeinflussen. Dabei werden Journalisten entweder mit PR-Material versorgt und ihre wirtschaftliche Not und Unwissenheit ausgenutzt, oder aber mit ihnen zusammengearbeitet.

Bestehende Kontakte der Kanzleien zu Fachjournalisten sowie den Rechtsabteilungen der Verlagshäuser, Medienhäuser und – sofern zutreffend – in das Verfahren involvierten Unternehmen sind von unschätzbarem Wert für die Litigation-PR. In der Praxis werden die Kontakte zur Fachpresse und in die Rechtsabteilungen der Medienhäuser dazu genutzt, um den Mandanten schädigende Medienberichterstattung im Vorfeld zu unterbinden oder zumindest einzudämmen. Gleiches gilt natürlich auch für die Kommunikationsberatung: Ihr Netz an Medienkontakten kann die Berichterstattung zu einem Rechtsstreit beeinflussen und das Litigation-PR-Team frühzeitig mit Informationen zu bevorstehenden Veröffentlichungen versorgen. (Van Loon et al., 2012, S. 307)

„Ein oft unterschätztes, aber durchaus effektives Instrument ist auch das vertrauliche Hintergrundgespräch mit prozesserfahrenen Journalisten aus den Leitmedien“ (Holzinger & Wolff, 2009, S. 206).

Es können auch strategisch juristische Fachbeiträge in Fachzeitschriften und Journalen platziert werden, in der Hoffnung, die Gerichte würden sich der „herrschenden Lehre“ anschließen und eine durch Literaturzitate belegbare Rechtsmeinung bevorzugen (Christiansen, 2012). Dass dieses Vorgehen Erfolg haben könnte, zeigt die ehemalige Richterin Brigitte Koppenhöfer in einem abgedruckten Interview mit Uwe Wolff (Holzinger & Wolff, 2009, S. 95). Auf die Frage, wodurch Richter in ihrer Meinung am ehesten zu beeinflussen seien, antwortet sie: „Durch Rechtsprechung und Literatur“. Gerade bei jahrelangen Wirtschaftsprozessen scheint es ein leichtes, fallspezifische Artikel rechtzeitig in die Fachliteratur zu bringen (Christiansen, 2012).

Die wahre Arbeit der Litigation-PR ist es jedoch, die enorme Anzahl an Informationen während eines Gerichtsprozesses dermaßen aufzubereiten, dass sie jeder verstehen kann, auch die Presse (Haggerty, 2012). „Da sich nicht wenige Entscheidungsträger gern auf Ergebnisse ihrer ‚eigenen‘ Recherche im Internet verlassen, ist das Platzieren von im Sinne des Auftraggebers positiven Inhalten dort und an prominenter Stelle (die meistens käuflich ist) mittlerweile ein Standardmittel der PR“ (Streeck, 2010, S. 133).

Bei Zivilstreitigkeiten werden Zeitungberichte in den für den Anspruchsgegner bedeutsamen Leitmedien platziert, um ihn zum Nachdenken über sein bisher nicht wahrgenommenes Gesprächsangebot zu überdenken (Holzinger & Wolff, 2009). „So können die Anwälte durch die Mitarbeit im Litigation-PR-Team externen Einfluss auf die Rechtsfindung und sogar Rechtsprechung im betreuten Fall nehmen“ (Van Loon et al., 2012, S. 309).

2.3.1 Ziele der Litigation-PR

In den USA ist das oberste Ziel der Litigation-PR, den Ausgang von Gerichtsverfahren im Sinne des Mandanteninteresses zu beeinflussen oder auch zu einem außergerichtlichen, vorteilhaften Vergleich zu kommen (Holzinger & Wolff, 2009). Das zweite Ziel ist der Schutz der Reputation des Mandanten, vor, während und nach dem Gerichtsverfahren.

In Deutschland sind die Ziele die Gleichen, aber in unterschiedlicher Reihenfolge. Es geht daher zunächst darum, die öffentliche Meinung zu gewinnen und das mediale Umfeld eines Prozesses für den Mandanten positiv zu gestalten – allerdings mit dem Ziel, dadurch das Verfahren zu beeinflussen (Boehme-Neßler, 2010a; Heinrich, 2010). Dabei wird bewusst nicht von der Beeinflussung des Urteils, sondern des Verfahrens gesprochen, denn Litigation-PR beginnt nicht erst im Gerichtsaal, sondern spätestens im Ermittlungsverfahren (Reber et al., 2006).

Bei Litigation-PR für den Beklagten ist häufig das oberste Ziel, den Fall so schnell wie möglich aus den Medien zu bekommen, um die Reputation des Mandanten nicht noch weiter zu gefährden. In zivilrechtlichen Streitigkeiten kann daher das Ziel sein, einen Vergleich auszuhandeln und es somit überhaupt nicht erst zu einem jahrelangen Rechtsstreit kommen zu lassen. Die Geldforderung, die bei einem Vergleich zu entrichten ist, hat häufig nicht ansatzweise so große Folgen wie jahrelange negative Presseberichterstattung. Allerdings wird „Litigation-PR (…) in Deutschland im Zivilrecht fast ausnahmslos auf der Klägerseite in Anspruch genommen“ (Holzinger, 2012). Das Pendant im Strafrecht ist der „Deal“ gemäß § 153a StGB, die vorzeitige Verfahrenseinstellung (Holzinger & Wolff, 2009). Auch hier soll das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nachhaltig und schnell beseitigt werden.

Bei Litigation-PR für den Kläger besteht der große Vorteil darin, dass er den Zeitpunkt der Klageeinreichung selbst in der Hand hat. Daher achten Litigation-PR-Berater darauf, die Klage zu einem taktisch günstigen Moment einzureichen, um die gegnerische Seite so schwer wie möglich zu treffen. So bieten sich vor allem Termine der Gegenpartei an, an denen generell eine hohe Medienpräsenz herrscht, wie etwa die Vorstellung eines neuen Produkts, der Quartalszahlen oder die Hauptversammlung. So können sogar Fachjournalisten auf die Klage aufmerksam gemacht werden, die sich sonst mit dem Thema nicht befasst hätten. Wenn dann auch noch der Unternehmenssprecher bei der Konfrontation mit dem Vorwurf ein schlechtes Bild von sich und seinem Unternehmen abgibt, war der Tag für die Litigation-PR-Berater ein voller Erfolg. (Holzinger & Wolff, 2009)

„Der erfolgreiche Ausgang eines rechtlichen Verfahrens hängt also zunehmend davon ab, inwieweit sich Organisationen in der Öffentlichkeit gegenüber den anderen Verfahrensbeteiligten behaupten können“ (Heinrich, 2012, S. 26). Demnach ist Litigation-PR eine logische Schlussfolgerung der Medialisierung der Gesellschaft (Boehme-Neßler, 2010a). Sie nutzt nur aus, was schon immer der Fall war, nämlich den Einfluss der Öffentlichkeit auf die Gerichte. Schon vor mehr als 30 Jahren schrieb der frühere Bundesrichter Werner Sarstedt: „Natürlich stehen die Richter unter dem Druck der öffentlichen Meinung. Und natürlich hat die öffentliche Meinung auf sie Einfluss“ (zitiert nach Gerhardt 2009, S. 248). Durch die heutige Medienlandschaft ist es nur noch viel einfacher geworden, die Öffentlichkeit schneller zu erreichen (und zu manipulieren). „So versucht Litigation-PR, rechtliche Fragen als moralische Probleme zu präsentieren und zu bearbeiten“ (Streeck, 2010, S. 137), denn mit der Moral lässt sich die Öffentlichkeit ein, mit juristischen Fragen eher nicht. Allerdings ist dabei immer Fingerspitzengefühl nötig, denn zu offensichtlich darf die Beeinflussung der Medien – und darüber die der Öffentlichkeit – nicht sein. „Litigation-PR ist dann besonders gut und wirksam, wenn sie nicht zu sehen oder zu merken ist. Die öffentliche Meinung soll beeinflusst werden, man soll es aber nicht merken“ (Boehme-Neßler, 2010, S. 10). Wenn die Meinung der Öffentlichkeit zu Gunsten des Mandanten beeinflusst wurde, kann „Litigation-PR die Ermittlungsrichtung der Staatsanwaltschaft beeinflussen, auch die Prioritäten ihrer Ermittlungen“ (Holzinger & Wolff, 2009, S. 22). Das ist auch nötig, wenn etwas gegen die Waffenungleichheit bei juristischen Auseinandersetzungen getan werden soll. So soll nach dem Litigation-PR-Berater Uwe Wolff nicht nur den großen Unternehmen, sondern vor allem den kleinen geholfen werden:

Ob es mächtige Bankhäuser sind, die mit der schieren Macht ihrer mandatierten Großkanzleien einen weniger mächtig juristischen Gegner regelrecht an die Wand drücken oder ob es Großunternehmer sind, die es sich leisten können, mittelständischen Unternehmen über Patentstreitigkeiten das Leben schwer zu machen, weil sie ganz einfach den längeren Atem haben. (Wolff, 2010, S. 121)

So ist er sich sicher, dass die strategische Rechtskommunikation zu einer entscheidenden Waffe des schwächeren Teils einer rechtlichen Auseinandersetzung werden kann.

Zivilrechtliche Fälle sind oft auf den ersten Blick nicht so interessant wie die Fälle der Strafgerichte. Statt Mord, Totschlag und Vergewaltigung geht es um Patentrecht oder Kapitalmarktrecht, die Fälle dauern nicht Wochen oder Monate und werden im Gericht verhandelt, sondern sie dauern Jahre und werden hauptsächlich über den Schriftverkehr geregelt. Dabei ist das Zivilrecht häufiger Einsatzgebiet von Litigation-PR als das Strafrecht (Holzinger & Wolff, 2009). Denn es kann unter Umständen auch Aufgabe der Litigation-PR sein, das Bewusstsein über diesen Fall über mehrere Jahre in den Medien zu halten (zumindest dann, wenn es sich um Litigation-PR auf Seiten des Klägers handelt). Medien verlieren bei einem solchen Fall schnell den Überblick, sodass sie erinnert werden, aber auch leichter manipuliert werden können.

[...]


1 Chandler vs. Florida, 449 U.S. 560 (1981)

2 William C. Westmoreland v. CBS, Civ. 7913 U.S. (1984)

3 als negatives Gegenbeispiel kann hier der Fall Kachelmann genannt werden

Ende der Leseprobe aus 75 Seiten

Details

Titel
Litigation-PR in Deutschland
Untertitel
Eine kritische Betrachtung
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Kommunikationswissenschaften)
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
75
Katalognummer
V284080
ISBN (eBook)
9783656836049
ISBN (Buch)
9783656836056
Dateigröße
717 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ausgezeichnet mit Best-Thesis-Award der LMU München
Schlagworte
Litigation-PR
Arbeit zitieren
Simon Heinrich (Autor:in), 2013, Litigation-PR in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/284080

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Titel: Litigation-PR in Deutschland



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