Das Französische im Aostatal. Nur noch eine künstliche Aufrechterhaltung?


Hausarbeit, 2014

12 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Geschichte

3 Das Sonderstatut
3.1 Das Französische an den Schulen
3.2 Nur eine Künstliche Aufrechterhaltung?

4 Schluss

5 Bibliographie

1 Einleitung

Italien ist weltweit bekannt als das Land mit den vielen Dialekten. Tatsächlich kann man in der Apennin Halbinsel außer das Italienische auch zahlreiche weitere romanischen und nichtromanische Sprachen sowie Dialekte finden. Einer ihrer Regionen die aufgrund ihrer politischen und sprachlichen Situation besonders herausragt ist das Aosta-Tal.

Das Aosta-Tal liegt im Nordwesten, im Dreiländereck Italien, Frankreich, Schweiz und es ist nicht nur territorial, aber auch Einwohnermäßig die kleinste Region der Apennin Halbinsel.1 Nichtsdestotrotz ist sie aufgrund ihrer relativ komplexen sprachlichen Situation für Sprachwissenschaftler von besonderem Interesse. Zusammen mit Trentino-Südtirol und Friaul-Julisch-Venetien ist das Aosta-Tal einer der drei autonomen Regionen Italiens mit einen Sonderstatut. Dieses Sonderstatut erlaubt die Anerkennung einer weiteren Sprache neben der Nationalsprache Italienisch in den jeweiligen Regionen.2 Im Falle des Aosta-Tals ist das Französische die zweite Amtssprache. Diese Stellung des Französischen macht aus der italienischen Region ein Teil der Frankophonie, also die Gesamtheit der französischsprechenden Staaten.3 Neben dieser zwei Nationalsprachen werden ein patois - das Frankoprovenzalische - einen germanischen Dialekt - das Walser-Deutsch - und einen italienischen Dialekt - das Piemontesische – gesprochen; und weitere Sprachen und Dialekten sind durch die heutige Immigration dazu gekommen.4

Das Aosta-Tal gibt in seiner Verfassung an, dass das Französische die gleiche Stellung wie das Italienischen in der Region habe. Nichtdestotrotz wird mit Hinblick auf die Frankophonie im Aostatal von einen Mythos gesprochen.5 Der Linguist Josserand äußert sich folgendermaßen über den Zustand des Französischen im Aosta-Tal: „La langue française […] est toutefois maintenue artificiellement. “6 „Elle est une façade soigneusement ravalée. “7

Da das Französische einer der Amtssprachen vom Aosta-Tal ist, stellt sich die Frage, warum in der Region so wenige Menschen diese sprechen. Um dies zu beantworten, werde ich zunächst die wichtigsten geschichtlichen Ereignisse der Region erläutern. Daraufhin wird anhand des Beispiels Schule vorgestellt, wie die Verwendung der zwei Sprachen geregelt ist und ob diese der Anforderungen eines Bilingualismus in der Tat entspricht. Abschließend werden die Gründe für das Verschwinden des Französischen im Aosta-Tal vorgestellt.

2 Geschichte

Um die sprachliche Situation des Aostatal besser verstehen zu können sind Kenntnisse der geschichtlichen Entwicklung der Region von Relevanz. Die wichtigsten Etappen werden im Folgenden erläutert.

Das Astatal wurde im Jahre 25 v.Chr. romanisiert und bekam den Namen Augusta Praetoria, woraus das heutige Name Valle D’Aosta entstand.8 Nach dem Untergang des weströmischen Reich 4769 wurde die Region im Züge der großen Volkerwanderungen, die ab Ende des V. Jahrhunderts begannen, von Burgunder, Goten, Lombarden und Franken besiedelt10. Ab 1032 gehörte das Aostatal dem Hause Savoyen. Als Folge dieser Herrschaft - die mehr oder weniger bis 1860 hielt11 - wurde das Französische zur Sprache der Kultur, der Kirche, der Verwaltung und der Justiz. Hinweise darauf, dass die breite Masse des Volkes Französisch sprach, sind jedoch nicht gegeben12. Die Muttersprache der Bevölkerung zu jener Zeit war das Frankoprovenzalische13. Am 17. März 1861 entstand das Königreich Italien und das Aostatal gehörte gänzlich dem italienischen Staat. Mit der Ernennung von Benito Mussolini zum Ministerpräsidenten im Jahre 1922 breitete sich die faschistische Bewegung in ganz Italien aus14. Ein Jahr später begann das Italisierungsprozess. Die Ortsnamen wurden italianisiert, die Taufnamen mussten Italienisch sein und auch die Italianisierung der Familiennamen war geplant, kam aber nicht mehr zur Ausführung. Es folgten weitere Dekrete, welche die Französische Sprache an den Schulen gänzlich verboten15 und französische Stadt- und Straßennamen zu italienischen umwandeln ließen16. 1943 endete Mussolinis Diktatur endgültig. Drei Jahre später, 1946, wurde Italien zur Republik. Im Jahre 1945 bekam das Aostatal die Anerkennung seiner Autonomie, drei Jahre später folgte das Sonderstatut.

3 Das Sonderstatut

Am 1. Januar 1948 trat die neue Verfassung Italiens in Kraft die unter anderen auch Artikeln zum Schutze von Minderheiten beinhaltete. Der Artikel 116 der Verfassung garantiert dem Aostatal Autonomie durch die Verabschiedung eines entsprechenden Spezialstatuts.17 Ein Monat später, am 26. Februar, wurde das Sonderstatut veröffentlicht. Im Titel VI „langue et organisation des écoles“ sind Artikeln, die für die Sprachpolitik der Region von Bedeutung sind, erhalten. Der Artikel 38 lautet folgendermaßen: „ La langue française et la langue italienne sont à parité en Vallée D’Aoste. “18 Dieses Statut strebt demzufolge einen perfekten Bilingualismus an. Also kann durchaus angenommen werden, dass die Bewohner des Aosta-Tals sowohl das Italienische als auch das Französische auf der gleichen Weise beherrschen. Das Sondertatut selbst ist in den beiden Sprachen geschrieben, die Ausweise sind ebenso zweisprachig und in den Schulen werden die gleiche Anzahl an Schulstunden dem Französischen wie dem Italienischen gewidmet. Trotz allem scheint kein tatsächlicher Bilingualismus in der Region vorhanden zu sein.

Im Folgenden wird anhand des Beispiels Schule gezeigt, wie das Sonderstatut die Verwendung der zwei Sprachen verwaltet und ob man im Falle des Aosta-Tals wirklich von einen Bilingualismus sprechen kann.

3.1 Das Französische an den Schulen

Um die Schäden des Faschismus im Aosta-Tal wieder reparieren zu können, wurde nach dem zweiten Weltkrieg die Schule als Instrument zur Restauration der Frankophonie verwendet.19 Aus diesem Grund stehen im Sonderstatut Gesetze über die Verwaltung des Französischen und Italienischen an den Schulen.

Art.39 : Dans les écoles de n’importe quel ordre ou degré qui dépendent de la Région, un nombre d’heures égal è celui qui est consacré à l’enseignement de l’italien est réservé, chaque semaine, è l’enseignement du français. L’enseignement de quelques matières peut être dispensé en français.20

Die Schulordnung sieht also vor, dass dem Französischen die gleiche Anzahl an Unterrichtsstunden gewidmet werden sollen wie dem Italienischen. Somit scheinen beiden Sprachen tatsächlich gleichgestellt zu werden. Was jedoch den vielleicht wichtigeren Punkt, nämlich das Französische als im Unterricht anderer Fächer einzusetzende Verkehrssprache betrifft, so ist im Statut lediglich von der Möglichkeit dazu die Rede.21

In den Artikel 38 wird weiterhin ausgeführt: „Les administrations de l’Etat prennent à leur service dans la Vallée, autant que possible, des fonctionnaires originaires de la Région ou qui connaissent le français. “ 22 Um kompetente Lehrpersonen einzustellen werden bei der Einstellung möglichst Lehrkräfte aus der Region bevorzugt, da von diese angenommen werden kann, dass sie beiden Amtssprachen auf dem gleichen Niveau beherrschen. Dieses bedeutet jedoch keineswegs, dass dies auch praktisch umgesetzt wird, denn den meist italophonen Lehrern des Aosta-Tals fehlen die Französischkenntnisse. 23

Das Beispiel Schule zeigt, dass obwohl ein Bilingualismus vorgesehen ist, dieser nicht in der Tat umgesetzt wird. In der Schule wird das Italienische dem Französischen bevorzugt und die Auswirkungen sind mangelhafte Kenntnisse des Französischen in der aostanischen Bevölkerung.

3.2 Nur eine Künstliche Aufrechterhaltung?

Das Aosta-Tal befindet sich laut Statut in einer Bilingualen Situation. Ob dies jedoch auf der Realität zutrifft ist zweifelhaft. Das Linguistische Wörterbuch definiert folgendermaßen den Begriff „Bilingualismus“:

Das Bilingualismus ist entweder die gleich gute Beherrschung zweier Sprachen – die Fähigkeit, sich in der Zweitsprache so gut auszudrücken wie in der Erst- oder Muttersprache – oder die Beherrschung der zweiten Sprache nur in dem Maß, um sich von der ersten im gegebenen Fall unabhängig zu fühlen.24

Im Aosta-Tal kann man also kaum von einer solchen Situation sprechen. Das Beispiel Schule zeigt, dass das Französische kein „muss“ ist, es bleibt also lediglich eine weitere Option neben dem Italienischen als Unterrichtssprache. Ebenso im Alltag der Aostaner scheint das Französische keinen Platz finden zu können. Eine Umfrage des Jahres 2002 im Auftrag der Fondation Chaneux ergab, dass von den Befragten Aostaner nur 0,5% Französisch in der Familie sprechen.25 Die Ergebnisse des Linguist Josserand sind zwar etwas höher, jedoch nicht von herausragender Bedeutung. Er gibt in seiner Untersuchung von 2003 an, dass nur annährend 1% der Aostanischen Bevölkerung zu Hause Französisch spricht.26 Demzufolge scheint es tatsächlich so, als ob trotz der Bemühungen der Region das Französische aufleben zu lassen, diese keinen positiven Ergebnissen erbringen. Die große Mehrheit der Bevölkerung gebraucht das Französische nicht.

Doch wie kann es dazu kommen, dass eine der Frankophonie gehörige Region kaum frankophone Sprecher besitzt? Hierfür liegen mehrere Gründe vor. Einer davon ist, dass das Französische nicht als Teil der eigenen Kultur gesehen wird. Wie aus der Geschichte des Aostatal entnommen werden kann, gehörte die Region früher Savoyen, deren Verwaltungssprache Französisch war. Die Mehrheit der Bevölkerung, also die ungebildete Schicht, sprach jedoch eine archaische Form des Französischen, das heutige Frankoprovenzalisch.27 Ab dem XV. Jahrhundert verbiet der Klerus die Verwendung des Frankoprovenzalischen in den Kirchen und drängte die Verwendung des Französischen auf.28 Somit wurde das Französische zu einer aufgezwungenen Sprache, die gar nicht Teil der eigenen Kultur war. Auch in den letzten Jahrzehnten in denen sich das Italienische ausbreitete blieb das Französische lediglich den höheren Schichten vorenthalten.

En 1994, l’italien domine dans les agglomérations urbaines où l’immigration s’est concentrée, l’usage du franco-provençal existe dans les communes rurales et le français demeure l’apanage d’une certaine aristocratie culturelle.29

Die Tatsache, dass die Muttersprache im Aosta-Tal eigentlich das patois ist und nicht das Französische, führte sogar zu einen Einspruch gegen das Sonderstatut. Nichtdestotrotz setzte sich der Französisch-Italienischen Bilingualismus durch.30 Ein weiterer Grund für die Ablehnung gegenüber dem Französischen, liegt an der Französisch-Italienischen Beziehung. Im Petit Robert findet sich unter dem Stichwort „Frankophonie“ folgender Eintrag: „Qui parle habituellement le français, au moins dans certaines circonstances de la communication, soit comme langue maternelle, soit comme langue seconde.31 “ Frankophonie bedeutet also nicht nur das Wissen über das Französische verfügen zu können, aber diese Sprache auch sprechen und sich dessen Land und Kultur zugehörig fühlen. Es wird also erwartet, dass Frankreich und die Region kooperieren. Dies findet jedoch aufgrund der schlechten Beziehung zwischen Frankreich und Italien nicht statt, sodass sich die Aostaner von Frankreich vernachlässigt fühlen.32 Durch die fehlende Unterstützung des Französischen fehlt es in der Region an alltäglichen Kontakt mit der Sprache durch Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehkanäle und Radiosender. Die Zugehörigkeit zum Italienischen Staat führte seit 1861 zu einer stärkeren Präsenz des Italienischen in der Region, nicht nur in der Verwaltung, aber auch in den Medien. Durch die faschistische Bewegung Mussolinis fand, wie im vorherigen erklärt, eine Entfremdung der Aostaner gegenüber der französischen Kultur. Die Einigung Italiens führte des Weiteren auch zum neuen Phänomen der nationalen Migration, welches heute noch anhält. Im Zuge dieser Urbanisierung wurde das Italienische zur Kommunikationssprache zwischen der aostanischen Bevölkerung und den Zuwanderern. Dazu kommen die entstandene gemischten Ehen, welches die Familien dazu brachten, und immer noch bringen, eine gemeinsame Sprache untereinander zu verwenden, in diesem Fall das Italienische. Das alles führte dazu, dass heutzutage nicht nur das Französische, sondern auch das patois bedroht sind im Aosta Tal vollkommen zu verschwinden.

[...]


1 Vgl. Janin, Bernard : Une région alpine originale. Le Val D’Aoste. Tradition et renouveau. Aosta 1976, S. 9.

2 Vgl. http://www.consiglio.regione.vda.it/statuto/statuto_i.pdf (Zugriff: 08.09.2014).

3 Vgl. Josserand, Jérôme-Frédéric : Conquête, survie et disparition. Italien, français et francoprovençal en Vallée d’Aoste. Uppsala 2003, S. 51.

4 Vgl. ebenda, S. 9.

5 Vgl. Jablonka, Frank: Frankophonie als Mythos. Variationslinguistische Untersuchungen zum Französischen und Italienischen im Aosta-Tal. Wilhelmsfeld 1997.

6 Josserand (2003), S. 9.

7 ebenda, S. 51.

8 Vgl. Bernard (1976), S. 119.

9 Vgl. Bauer, Roland : Sprachsoziologische Studien zur Mehrsprachigkeit im Aostatal: mit besonderer Berücksichtigung der externen Sprachgeschichte. Tübingen 1999, S. 18.

10 Vgl. Bernard (1976), S. 123.

11 Vgl. Bauer (1999), S. 25.

12 Vgl. Josserand (2003), S. 44.

13 Vgl. ebenda, S. 44.

14 Vgl. Bauer (1999), S. 105.

15 Vgl. ebenda, S. 113.

16 Vgl. ebenda, S.118

17 Vgl. ebenda, S. 168.

18 ebenda, S. 171.

19 Jablonka (1997), S. 70.

20 Bauer (1999), S. 171.

21 ebenda, S. 172.

22 Bauer (1999), S. 171.

23 Vgl. Josserand (2003), S. 109.

24 Lewandowski, Theodor: Linguistisches Wörterbuch. Heidelberg 1994. Artikel: Bilingualismus.

25 Vgl. Cavalli, Marisa : Bilinguisme et plurilinguisme au Val d’Aoste. Le rôle de L’école. In : Fondation Emile Chanoux : Une Vallée d’Aoste bilingue dans une Europe plurilingue. Aosta 2003, S. 18-27, hier-S. 19.

26 Vgl. Josserand (2003), S. 50.

27 Vgl. Stich, Dominique : Parlons francoprovençal. Une langue méconnue. Paris 1998, S. 11.

28 Vgl. Josserand (2003), S. 51.

29 Puolato, Daniela: Francese-italiano, italiano-patois, il bilinguismo in Valle d’Aosta fra realtà e ideologia. Bern 2006, S. 32.

30 Vgl. Josserand (2003), S.50.

31 Rey-Debove, Josette: Le nouveau petit Robert, dictionnaire alphabétique de la lingue française. Paris 2006, Artikel : Francophonie.

32 Josserand (2003), S. 140.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Das Französische im Aostatal. Nur noch eine künstliche Aufrechterhaltung?
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
Proseminar II Linguistik
Autor
Jahr
2014
Seiten
12
Katalognummer
V283911
ISBN (eBook)
9783656837039
ISBN (Buch)
9783656837046
Dateigröße
483 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Aosta Tal, Frankoprovenzalisch, Französisch, Schule, Sonderstatut, Patois
Arbeit zitieren
Alexia Soraia Pimenta Gomes Zonca (Autor:in), 2014, Das Französische im Aostatal. Nur noch eine künstliche Aufrechterhaltung?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/283911

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