Die ottonische Politik gegenüber Venedig


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

27 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Die Vorgeschichte: Das Paktum Kaiser Lothars von 840

3. Die ottonische Politik
3.1. Otto I.
3.2. Otto II.
3.3. Otto III.
3.4. Heinrich II.

4. Resümee

Literatur

1. Einleitung

Mit dem Vordringen der deutschen Könige über die Alpen im 10. Jahrhundert in das alte langobardische, später karolingische Regnum Italiae trafen sie in den Lagunen am Nordufer der Adria auf ein Herrschaftsgebiet, das in Europa einzigartig war. Durch die Ereignisse der Völkerwanderungszeit hatten sich die Untertanen Ostroms in die Reichweite des Schutzes der byzantinischen Flotte auf die Inseln und lidi der Lagune geflüchtet, um vor den landgebundenen Truppen eindringender germanischer Herrscher in Sicherheit zu sein. Nach dem Fall Ravennas verblieben diese Lagunengebiete als die letzten Herrschaftsbereiche der italischen Halbinsel, die zumindest nominell noch unter dem Regiment Konstantinopels standen. Das Archipel Rialto hatte sich im Laufe des 9. Jahrhunderts zum Hauptort eines Gemeinwesens entwickelt, das in jeder Hinsicht doppelgesichtig war: in seiner Lage, dem Meer und dem Überseehandel zugewandt aber gleichermaßen auf stabile Verhältnisse auf dem umgebenden Festland angewiesen; in der politischen Verfassung, die ihm einen dux bescherte, der kein Herzog im westlich-feudalen Sinne und kein hypatos im byzantinischen Sinne war, da Byzanz seine Wahl nur noch zu bestätigen hatte; in seiner kirchlichen Organisation, nicht mehr der Orthodoxie zugeneigt, aber ebenso wenig bereit, sich dem römischem Patriarchen zu beugen.

Diese Scharnierfunktion hatte Verträge mit den Herrschern des Festlandes zur Folge, die die Rechtssicherheit und den Modus des Handels gewährleisten sollten. Garant dieser Abkommen wurde im Jahre 840 unter dem Eindruck der schwindenden Macht Konstantinopels der Kaiser des Abendlandes und Herrscher über das Regnum Italiae. Mit dem so genannten Pactum Lotharii wurde eine ganze Reihe ähnlicher Pakta eröffnet, die in ihren Bestimmungen grundlegend für das Verhältnis zwischen Herrscher und Dogat wurden.

Ziel dieser Arbeit soll es sein, die Rolle zu beleuchten, die Venedig in der Politik der Ottonen spielte, die als erste transalpine Herrscher nach dem Niedergang der karolingischen Dynastie wieder politische Ziele in Italien verfolgten. Wie nutzten sie die besonderen Gegebenheiten, die der Dogat, am Rande der europäischen Feudalwelt gelegen, zu bieten hatte?[1]

2. Die Vorgeschichte: Das Paktum Kaiser Lothars von 840

Am 22. Februar 840 hatte der Sohn und Mitkaiser Ludwigs des Frommen, Lothar I., auf Bitten des Dogen vertragliche Regelungen zwischen Venedig und den Städten des Königreichs Italien vermittelt.[2] Diesem ältesten erhaltenen Vertrag war allerdings mindestens ein weiterer vorausgegangen, der möglicherweise 812 im Zusammenhang der Einigung Karls des Großen mit dem byzantinischen Kaiserreich über die Anerkennung der westlichen Kaiserwürde geschlossen wurde.[3]

Dringlich war der Vertrag geworden, nachdem der Doge Pietro Trandenico im Jahre 839 siegreich von einer Strafexpedition gegen die Narentaner zurückgekehrt war.[4] Lothar, bestrebt, seine Herrschaft auch auf die außerhalb des Regnum Italiae gelegenen Gebiete der fränkischen Reiche auszudehnen, konnte nicht darauf verzichten, sich der Hilfe und Freundschaft des Dogats zu versichern.

Die Regelungen des Paktums, die größtenteils schon unter den Langobardenkönigen und Karl dem Großen geltendes Recht nochmals fixierten, erstreckten sich auf den Umgang mit Flüchtlingen, Fragen der Gerichtsbarkeit, Handelsfreiheit, Grenzziehung und nicht zuletzt auf die Einschränkung des offenbar florierenden Sklavenhandels Venedigs. Auch die Interessen, die Lothar an diesem Abkommen hat, werden deutlich: Venedig verpflichtet sich, seine Feinde nicht zu unterstützen, ihn vielmehr rechtzeitig vor Angriffen zu warnen, und ihm auf sein Verlangen hin eine Flotte gegen die feindlichen Slawen zur Verfügung zu stellen.

Die Bedeutung dieses Vertrages liegt dabei nicht in seinen Einzelbestimmungen, sondern in der Tatsache, dass er zwischen dem Träger der Kaiserwürde und dem gloriosissimus Dux Veneticorum geschlossen wurde. Der Doge war also nicht mehr abhängig von der Zustimmung Konstantinopels, um Verträge und Bündnisse mit seinen Nachbarn abzuschließen; Venedig mithin selbständig und ein eigenständiger Machtfaktor in der Politik Oberitaliens.[5]

Das Paktum, zunächst auf fünf Jahre befristet, wurde von den Nachfolgern Lothars im Königreich Italien auf Grundlage der Bestimmungen von 840 immer wieder erneuert.[6]

3. Die ottonische Politik

3.1. Otto I.

Vom ersten Liudolfinger auf dem deutschen Königsthron, Heinrich I. ist nichts überliefert, das auf eine regelrechte Politik gegenüber Venedig hindeutet. Erst gegen Ende seiner Herrschaft scheint er einen Italienzug geplant zu haben.[7] Immerhin stand man miteinander in Kontakt, wie der durch den Dogen und den Patriarchen von Grado übermittelte Brief des Jerusalemer Patriarchen aus dem Jahre 932 beweist.[8]

Sein Sohn Otto nutzte hingegen die Gelegenheit, Anspruch auf die Krone des Regnum Italiae zu erheben und durchzusetzen, als er 951 Adelheid, die junge Witwe des verstorbenen Königs Lothar heiratete und in Pavia die Huldigung der italienischen Großen entgegennahm. Auf diese Gegebenheiten stellte sich der 959 gewählte Doge Pietro IV. Candiano ein, indem er seine bisherige Gattin Johannia und ihren Sohn Vitale – freilich gut versorgt als Äbtissin von S. Zaccaria bzw. als späterer Patriarch von Grado – verstieß und Waldrada, eine Nichte Adelheids, zur Ehefrau nahm.[9] Für Otto zahlte sich diese Verbindung mit dem Dogen aus, als er einige Jahre später für die Werbung um die Hand einer byzantinischen Prinzessin für seinen Sohn einen Venezianer als Gesandten gewinnen konnte. Venedig erreichte hingegen, dass Kaiser Otto am 2. November 967 das Paktum mit dem Dogat auf der Grundlage des Pactum Lotharii erneuerte.[10]

Was war der Inhalt dieser Vereinbarung? Otto war nicht bereit, die Verbesserungen der Bedingungen, die Venedig in den Jahren der inneren Zerrissenheit des Regnum Italiae von den jeweiligen Thronprätendenten gewährt bekommen hatte, in vollem Umfange zu bestätigen. Die wichtigste Änderung war dabei die Aufhebung der Gerichtsbarkeit des Dogen über die im Regnum weilenden Venezianer. Auch die Abgabenfreiheit der Dogenfamilie bei Geschäften wurde gestrichen und der jährliche Zins für die Ausstellung der Urkunde auf 50 lib. und die Abgabe eines Palliums erhöht (in der Urkunde mit der Nummer 23 bezeichnet)[11]. Vorteilhaft für Venedig war allerdings, dass nunmehr die Bedingungen des Paktums nicht mehr wie bisher alle fünf Jahre bestätigt werden mussten, sondern bis zum Tode des ausstellenden Herrschers galten.

Die von Otto gewährten Privilegien lassen sich in verschiedene Gruppen einteilen: zu den Regelungen, die Bündnis- und Beistandsfragen betreffen, gehört die Zusage des Königs (1), jeden Anführer einer Heerschar, die den Dogat angreift, innerhalb 60 Tagen auszuliefern und den Schaden zu ersetzen, oder anderenfalls 500 Goldsolidi zu bezahlen. Außerdem sagt er zu, dem Dogen unverzüglich das Nahen eines Feindes innerhalb des Reichs zu melden, wenn er davon erfährt (5). Im Falle eines Streits verpflichten Dogat und der Herrscher des Regnums sich gegenseitig, ihre Gesandten nicht aufzuhalten, deren Briefboten bei Strafandrohung von 300 Goldsolidi nicht zurückzuhalten, und 1000 Goldsolidi an deren Eltern zu zahlen, falls einer von ihnen getötet würde (12).

Eine weitere Gruppe von Vereinbarungen betrifft im weitesten Sinne die Strafverfolgung: Geflohene Untertanen sowohl des Reichs als auch Venedigs sollen ausgeliefert werden, sobald sie gefunden werden (2 u. 4), dabei wird dem Ortsvorsteher (iudex) eine Belohnung von mindestens einem Goldsolidus für jeden ausgelieferten Unfreien versprochen. Sollte er letzteres aber verweigern oder sich gar als Fluchthelfer betätigen, droht ihm eine Strafe von 72 Goldsolidi pro Unfreiem (7). Diebstahl soll in beiden Herrschaftsgebieten mit dem Vierfachen des Wertes ersetzt werden, jedoch nur mit dem Zweifachen, wenn es sich um Pferde oder sonstiges (Zug-)Vieh handelt (6 u. 9). Man kommt überein, die Beteiligten eines Mordes festzunehmen und auszuliefern oder 300 Goldsolidi pro Kopf zu zahlen (14)

Erwartungsgemäß umfangreich sind die Regelungen, die den Handel zwischen Regnum und Dogat betreffen. Er soll prinzipiell frei, gewaltlos und „nach dem Herkommen“[12] betrieben werden können; dabei ist ein vierzigstel des Wertes als Ufergeld zu entrichten (10 u. 11). Besonderes Augenmerk wird auf die Möglichkeiten zur Pfändung gelegt: prinzipiell untersagt, ist sie dennoch in Zusammenhang mit Forderungen an Flüchtlingen und Sachen erlaubt (8), solange es sich nicht um Kirchengut handelt (17).[13] Die Gegner müssen sich innerhalb einer Friedenspflicht von sechs Monaten, in der sie nicht gegenpfänden dürfen, einem Richterspruch unterwerfen, der Gläubiger muss daraufhin das Pfand zurückerstatten und ggf. den doppelten Wert ersetzen. Während des Prozesses ist nur der Pfandnehmer zur Beschwörung seines Anspruchs verpflichtet (16 u. 26).[14]

[...]


[1] Vgl. Gerhard Rösch, Venedig. Geschichte einer Seerepublik, Stuttgart / Berlin / Köln 2000, 36-39

[2] M.G. Capit. 2, 233

[3] Vgl. Adolf Fanta, Die Verträge der Kaiser mit Venedig bis zum Jahre 983, MIÖG Ergänzungsband 1, Innsbruck 1885, 67-123, 73

[4] Johannes Diaconus, Cronaca Veneziana, in: Giovanni Monticolo (Hrsg.), Cronache veneziane antichissime, Rom 1890 (=Fonti per la storia d’Italia 9), 59-171, 113

[5] Vgl. Manfred Hellmann, Grundzüge der Geschichte Venedigs, Darmstadt 1976, 14-15

[6] Übersicht über die einzelnen Pakta bei Mathilde Uhlirz, Die staatsrechtliche Stellung Venedigs zur Zeit Kaiser Ottos III., Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 76 (1959), 82-110, 91-92

[7] Widukind von Corvey, Die Sachsengeschichte I, 40, ed. Paul Hirsch, Hannover 1935 (=M.G. SS. rer. Germ. 60)

[8] M.G. Const. 1, 4

[9] Johannes Diaconus (wie Anm. 4), 138; Der größte Teil der Forschung übergeht die beiden Urkunden M.G. DD. 1, 257 und 258, die in diesem Zusammenhang am 26.8.963 von Otto für Johannia bzw. (einen) Vitalis ausgestellt worden sind. Die Rechtsverleihungen und –bestätigungen deuten darauf hin, dass der Impuls für die Eheschließung mit Waldrada auch zu einem guten Teil Otto zuzuschreiben ist.

[10] M.G. DD. 1, 350; Vgl. Hellmann (wie Anm. 5), 23

[11] Unter dem Pallium hat man weder das Symbol der Erzbischofswürde, noch das einfache antike Obergewand zu verstehen, vielmehr ist hier an ein wertvolles Kleidungsstück zu denken, das als symbolhafter Tribut übergeben wird.

[12] „...quod inter eos convenerint“

[13] Diese Regelung korrespondiert mit Nr. 24, die Kirchen und Klöster prinzipiell von den Einschränkungen des Paktums ausnimmt. Wenn jedoch die Forderung gegenüber einem Priester besteht, darf nach zweimaliger Ladung gepfändet werden.

[14] Das Pfändungsverfahren soll sinngemäß auch auf Kautionsstreitigkeiten angewendet werden (Nr. 27)

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Die ottonische Politik gegenüber Venedig
Hochschule
Westfälische Wilhelms-Universität Münster  (Osteuropäische Geschichte)
Veranstaltung
Hauptseminar: Venedig - Istrien - Dalmatien im Mittelalter.
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2002
Seiten
27
Katalognummer
V28377
ISBN (eBook)
9783638301756
Dateigröße
480 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Darstellung der Beziehungen zwischen Venedig und den deutschen Herrschern Heinrich I., Otto I., Otto II., Otto III. und Heinrich II. Überprüft wird dabei u. a., ob die in der Forschung beschriebenen Herrschaftskonzepte (z. B. "renovatio imperii") auch in der Politik gegenüber Venedig zum Ausdruck kamen.
Schlagworte
Politik, Venedig, Hauptseminar, Venedig, Istrien, Dalmatien, Mittelalter
Arbeit zitieren
Christoph Osterholt (Autor:in), 2002, Die ottonische Politik gegenüber Venedig, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28377

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