Die Kampfdarstellungen der spätmittelalterlichen Epik. Fiktion oder Abbilder ihrer Zeit?

Eine Untersuchung anhand des "Eckenlieds" sowie den Fechtbüchern der frühen Neuzeit


Bachelorarbeit, 2014

43 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Merkmale der Heldenepik und Aventiuren des Spätmittelalters
2.1 Vermittelte Normen und Tugenden der handlungstragenden Personen der mittelalterlichen Erzählungen
2.2 Überlieferte ritterliche Normen und Tugenden aus historischer Sicht

3. Die Fechtbücher des Spätmittelalters

4. Das liechtenauersche Fechten, als Medium der ritterlichen Kampfweise und der adligen Herren

5. Die materiellen Komponenten des Ritters

6. Der Kampf Dietrichs und Eckes im Eckenlied

7. Vergleich von Kampfdarstellungen im Eckenlied und Peter von Danzigs Fechtbuch Cod. 44 A

8. Schlusswort

9. Literatur

1. Einleitung

Moderne Filme zeigen gerne ein Bild des Mittelalters, welches mehr durch vorhergehende Filme geprägt ist, als durch Bilddarstellungen und Schriften dieser Zeit. Auch die kämpferischen Darstellungen stellen hierbei keine Ausnahme dar. Bereits Museen nutzen Fantasyfilme als Vergleichswert und bezeichnen Filme wie den Herrn der Ringe als modernen Ritterfilm.1 Doch warum sollten Gestalten, die einer anderen Welt entspringen, den Regeln des europäischen Rittertums folgen? Die moralischen Grundwerte haben zwar die europäische Gesellschaft geprägt, aber dies gilt nicht für andere Staaten und imaginäre Königreiche folgen ihren eigenen Regeln. Die Bezeichnung Ritter macht jedoch eine Person noch nicht zu einem solchem oder wer würde die Jedi-Ritter aus Star Wars, mit den Rittern der Kreuzzüge des 11. und 12. Jahrhunderts zu vergleichen versuchen? Diese Darstellungen erzeugen einen Schein, der nicht das Gegebene widerspiegelt, doch wie verhält es sich mit Texten, die bereits dem Mittelalter entstammen? Können diese eine Authentizität liefern, nur weil es sich bei diesen um Zeitzeugen handelt? Dieser Frage will diese Arbeit primär nachgehen. Das Quellenwerk, an der eine Untersuchung stattfindet, ist das Eckenlied. Dieses Werk der Dietrichepik bietet sich an, da es Elemente der Epik und des höfischen Romans vereint sowie eine ausführliche Kampfbeschreibung beinhaltet, die auf Authentizität untersucht werden kann. Sie ist ähnlich detailliert wie die Artusromane Hartmanns von Aue und nicht so oberflächlich wie es z. B. Der Huge Scheppel ist: „den ersten den er traff | den slug er zuo | der erden.“2 Eine solche Aussage lässt sich hinsichtlich des genauen Kampfablaufs nicht betrachten. Die Dietrichepik ist jedoch nicht bloss wegen ihrer höheren Genauigkeit der Beschreibung interessant, sondern auch aus entstehungszeitlichen Gründen. Es handelt sich um eine etwas spätere Erzählung des 13. Jahrhunderts, die den Fechtbüchern, die in den Folgejahrhunderten erschienen, noch näher ist. Diese bilden das Gegenstück des Vergleichs. Mit Fechten im modernen Verständnis teilen diese jedoch nichts. Der moderne Sportdegen ist aus den alten Waffen hervorgegangen, doch der Begriff blieb derselbe, so dass auch der Kampf mit dem Schwert als Fechten bezeichnet wird. Dieses Verständnis von Fechten hat sich bereits im Mittelalter in Form eines lexikalischen Wandels gezeigt. So wurde der Begriff vehten für kämpfen, vermehrt vom allgemeineren Begriff striten verdrängt, behielt seine kämpferische Semantik jedoch in Bezug auf den Kampf mit Blankwaffen.3

Da sowohl die Waffen als auch die Rüstung der Ritter ständigen Veränderungen unterworfen waren, müssen diese erst erfasst werden, um eine Aussage über die Darstellung im literarischen Text machen zu können. Somit beschreibt diese Arbeit in einem ersten Schritt die Werte und Normen von höfisch-literarischen Rittern und ihren historischen Vorbildern, bevor sie auf die Fechtbücher eingeht. Diese zu erfassen ist rein technisch uninteressant, doch spielt die Motivation in den mittelalterlichen Aventiuretexten eine entscheidende Rolle. Deswegen soll der Kämpfer nicht nur äusserlich betrachtet werden, sondern auch sein Verhalten und seine Werte, was ebenfalls einen Einfluss auf die Kampfart haben kann.

Die Fechtbücher, die für die rein technische Komponente stehen, vermitteln in erster Linie, wie korrekt gekämpft werden sollte und sind vordergründig als Anleitungen zu verstehen. Dass dies jedoch mit Problemen verbunden ist, zeigt sich bereits durch die nahe Sprachstufe und Verwandtschaft zur heutigen Kultur. Dies erzeugt eine trügerische Sicherheit.4 Die älteste Version dieses Schrifttypus, das Towerfechtbuch, I.33, wurde nicht, wie zu erwarten wäre, von einem Ritter oder Adligen verfasst, sondern von einem Mönch. Es existieren noch weitere Berichte über fechtende Mönche, wie Ilsam5 oder Hanko Döbringer, einem Schüler Liechtenauers. Sie alle zeigen, dass eine Verwandtschaft des christlichen Glaubens und dem Fechten keine Unvereinbarkeit darstellte, so dass den Glauben mit dem Schwert zu bringen, keine Seltenheit war. Eine starke Ausformung zeigt sich schliesslich in den Ordensrittern, die nach strengen Glaubensregeln lebten und zugleich das Schwert zu führen wussten. Im späten 14. Jahrhundert schliesslich machte sich Johannes Liechtenauer auf, das Wissen über das Fechten seiner Zeit zusammen zu tragen, weshalb dieser Fechtmeister nach einer allgemeinen Vorstellung der Fechtbücher ebenfalls genauer beschrieben wird. Sein Anspruch, ritterliches Fechten zu vermitteln, erscheint auf den ersten Blick abwegig. Er lehrte nicht den Kampf mit Schwert und Schild, sondern denjenigen mit dem deutschen Langschwert, dem Schwert zu „Anderthalb Hand“.6 Die Handschrift 44 A8 von Peter von Danzig gilt als eines der ausführlichsten Werke über die Lehren Liechtenauers und wird somit viel als Vergleichsquelle beisteuern. Nachdem die Vorlagen genauer beschrieben wurden, werden Besonderheiten in den Kampfdarstellungen zwischen Dietrich und Ecke, den Kontrahenten des Eckenlieds, hervorgehoben, um sie in einem weiteren Kapitel mit den Vorbildern zu vergleichen. Somit sollte eine genauere Aussage über deren Einfluss auf die Beschreibung der Geschichte möglich sein, um vielleicht die strikte Trennung zwischen historischen Werken und literaturwissenschaftlichen etwas weiter zu entschärfen.

2. Merkmale der Heldenepik und Aventiuren des Spätmittelalters

Der Inhalt der spätmittelalterlichen Heldenepik oder -dichtung ist nicht, wie anzunehmen wäre, mit den ritterlichen Geschichten des Mittelalters kongruent, sondern bezieht sich auf die Helden germanischer und frühmittelalterlicher Zeit.7 Zentral ist stets eine Figur des heroischen Zeitalters, was als wichtigster Unterscheidungspunkt zum höfischen Roman zu werten ist, denn dieser bezieht sich meist auf französische Quellen, die mit der Artussage ein Netz von Geschichten entwickelt haben, die aufeinander Bezug nehmen.8

Teils ist eine Eingrenzung nicht so leicht, wie dies bei Dietrich von Bern geschieht, der sich sowohl an die Heldendichtung der Theoderich-Zeit anlehnt, als auch dem Aventiureweg folgt. Die aventiurhaften Reisen der spätmittelalterlichen Helden funktionieren nach ihren eigenen Regeln. Walter Haug zufolge liegt diesen Unternehmungen ein vierstufiges System zugrunde, das sich folgendermassen aufbaut: Zuerst unterliegt die Reise selbst keinem Zufall und auch sämtliche Begebenheiten, Gegner und Gefahren dienen, obwohl sie völlig willkürlich erscheinen, einem längerfristigen Ziel, das den Protagonisten in eine gewisse Richtung lenkt, die von der Textart vorgegeben ist.9 Zum Zweiten darf der Held keine Einschränkung erhalten, die ihn in einer Weise beeinträchtigt, die seine gesamte Aventiure scheitern lassen könnte. Eine jede Wunde ist stets reversibel. Falls sie dennoch so schlimm sein sollte, dass seine Mission scheitern oder für längere Zeit ausgesetzt werden müsste, sind Zaubersalben zur Hand, die diese sogar ohne die geringste Narbe verschwinden lassen. Die Helden altern nicht während ihrer Reise, so dass Schönheit und Kraft niemals nachlassen. So wird auch der Tod soweit ausgeklammert, wie er den Fähigkeiten des Kriegers entspricht. Nur durch sein Scheitern kann ihn dieser erreichen. Hunger, Krankheit, Atrophie werden ihm niemals ein Ende bereiten.10 Diese zeitliche Einschränkung kann sich jedoch nicht auf den Handlungsablauf beziehen, da eine äusserliche Veränderung durchaus im möglichen Bereich liegt. So eignet sich Dietrich die Rüstung und das Schwert Eckes an, doch auch dieser Akt wäre im Grunde reversibel durch das Ablegen der Ausrüstung, was inhaltlich jedoch kaum Sinn ergäbe. Der dritte Punkt schliesst ein Bewusstsein der Körperlichkeit aus. Dies umfasst wie bereits im vorigen Teil körperlich Beeinflussendes, wie Krankheiten, Anfälligkeiten, physiologische (Grund)bedürfnisse, aber auch Ablenkendes wie Sinnlichkeit und körperliche Angst. Eine solche Regung darf niemals autonom vorkommen, sondern muss als zentrales handlungstragendes Element vorliegen. Andernfalls würde Erecs verligen als prominentestes Gegenbeispiel hierfür stehen.

Der vierte Punkt bezieht sich auf die Innerlichkeit des Helden. Ebenso, wie bei der Äusserlichkeit, hängt ihm das Erlebte nicht nach. Es plagen ihn weder Gewissensbisse noch Zweifel. Eine Situation folgt auf die nächste und ein Rückbezug wird nur durch Analogie oder vergleichend als Kontrast durchgeführt und nicht als Verarbeitung bzw. Verdrängung des Erlebten. Vergangenes bleibt vergangen.

Die Normen und Lebensansichten der mittelalterlichen Erzählungen richteten sich primär an Adlige.11 Unter anderem deshalb ist es auch verständlich, dass die Protagonisten selbst ebenfalls diesem Stand entsprangen. Geschichten, die Personen niedrigen Standes zum Vorbild haben, sind oft der Gattung der Märchen zuzuordnen und dürften wohl auch ein anderes Zielpublikum gehabt haben.

Die vorherrschende Norm in den Schriften reduziert den Kampf nicht auf etwas Gewöhnliches, wohl aber auf etwas Normales, das jedoch seine Berechtigung hat. Somit sind auch die Darstellungen der Gewalt in den Texten Referenten von Werte- und Normensystemen.12 Diese hatten in der höfischen Gesellschaft durchaus einen Realitätsanspruch, da die für solche Erzählungen gewählte Bezeichnung „conte“ bis zum 16. Jahrhundert ausschliesslich für reale Ereignisse genutzt wurde.13 Jedoch muss hier unterschieden werden zwischen poetischem Wahrheitsgehalt und tatsächlichem.14 Es handelt sich vielmehr um eine innere textuelle Sinnhaftigkeit, die auf ihr eigenes System betrachtet stimmt. Die Vorlagen der heroischen Epik entstammen historischen Ereignissen, doch werden diese nicht exakt übernommen.15 „Fehler“ wurden ausgemerzt, um der Geschichte zu entsprechen und somit war es kein Widerspruch, Attila und Theoderich in derselben Geschichte zu zeigen. Eine reale Historizität wird narrativ erzeugt. So entstanden quasi- historische Epen wie die Nibelungen.16 Durch diese Vermischung von realen und fiktiven Ereignissen kam es zu einer Fiktionalisierung der Geschichte und einer gleichzeitigen Historisierung der Fiktion.17 Die epischen Werke sorgten für ein Geschichtsbewusstsein in der Gesellschaft, indem sie Wahres und Solches, was für wahr gehalten wurde, kombinierte.18

Dass die Geschichten nicht in der Zeit ihrer Verfasser spielten, hatte durchaus einen Grund.

Die verklärten, heroischen Gestalten der früheren Zeit zeigten einen Missstand bestehender Verhältnisse, da die Ritter des 12. Jahrhundert die kirchlichen Ideale von Tugend und Ehre nicht lebten, sondern vermehrt das Anhäufen von Reichtümern in den Vordergrund stellten. Dieser Bereicherungsgedanke war ein Überbleibsel des 9. Jahrhunderts, als sie bessere Söldner waren.19

Um eine erhöhte Glaubhaftigkeit zu erreichen, wurden Heldentaten nicht in die Bereiche der Mythen verbannt, sondern fanden an realen Orten statt. Deren Topographie war zwar erfunden, doch blieb der Name korrekt.20 Eine ungewohnte Situation wurde in eine bekannte übertragen, was mit dem Ort begann und sich über Ausrüstung und Verhaltensweisen ausbreitete.21

2.1 Vermittelte Normen und Tugenden der handlungstragenden Perso- nen der mittelalterlichen Erzählungen

Die Attribute der Ritter in den Epen und Aventiuren stammen möglicherweise von antiken Vorbildern, die sich von Ciceros de officiis herleiten lassen22. Dies ergibt insofern Sinn, da der Dienst als die wichtigste Aufgabe des Ritters zu verstehen ist, gleich ob Minne- oder Waffendienst.23 Die weltliche Ordnung wird stark vereinfacht, indem sie von der vorherrschenden Politik getrennt wurde und stattdessen nur einem Herrscher unterstellte. Dieser war nicht König Artus, sondern Gott selbst.24 Obwohl die Gottesfurcht oft nicht zentrales Element der Erzählung ist, findet sie des Öfteren Erwähnung. So sagt Tristan: „unser sige und unser saelekeit | diu enstât an keiner ritterschaft | wan an der einen gotes craft“25. Physische Stärke war im Mittelalter das wichtigste Attribut, ehe es in der Renaissance von der geistigen Kraft verdrängt wurde.26 Diese war aber nicht rein brachial, da stets edle Motive von Nöten waren, diese zu legitimieren. Mit der rein körperlichen Kraft verbinden sich noch zwei weitere Elemente zur Stärke des Kriegers. Diese sind die Waffenbeherrschung, also Technik, und die Gottesfurcht. Letztere steht für die Verbundenheit des Kämpfers mit Gott und Siegen war ohne dessen Hilfe nicht möglich.

Die Beherrschung der Waffe wurde als meisterschaft bezeichnet und war ebenso entscheidend für das Bestehen eines Kampfes: „mit guoeter kunst, mit niuwer kraft | und mit alsô gelîcher meisterschaft“.27 Doch wurden dem höfischen Ritter noch weitere Attribute zugesprochen, die über den Kampf hinausgehen. So musste er guot, reine, biderbe, vrum, lobesam, tiure, wert, ûz erwelt, schame, triuwe und kiusche sein. Neben diesen Attributen musste er auch der adlig christlichen Norm entsprechen und mâze und staete wahren.28

Diese charakterlichen Merkmale wurden noch durch körperliche ergänzt, die von der Kirche jedoch nicht unterstützt wurden. So mussten Ritter nicht nur fromm und tugendhaft sein, sondern auch schön, stolz, reich, prachtliebend, voll Ruhmverlangen und von hoher Abkunft.29 Es diente dem adligen Selbstverständnis, eine Gleichsetzung von innerer und äusserer Schönheit vorzunehmen. So war ein hoch geborener Mann auch stets heldenhaft und fromm und von gutem Aussehen. In den Geschichten wird deshalb ein fremder Adliger sogleich an seinem Aussehen erkannt. Noch weiter auffällig ist dies bei den Frauen. Die Schönste ist stets auch die Herrin. Eine Begebenheit, die auch in der Ilias vorhanden ist. So ist Helena die Schönste und nicht etwa eine ihrer Kammerzofen.

Um die Vormachtstellung des Adels etwas zu legitimieren, entstand eine Unterscheidung zwischen Adel der Geburt und Adel der Gesinnung.30 Der Adel verpflichtete also zu tugendhaftem Handeln, gemäss der Höhe der Geburt, so dass ein König wie Artus tugendhafter handeln musste, als ein gewöhnlicher Ritter wie Lancelot. Zum höfischen Ideal gehörte auch das Hochhalten der hövescheit. Diese sah eine Freude am Kampf vor, die auch Bestandteil der Erziehung der Adligen war. So sollte dafür gesorgt werden, dass der junge Adlige Freude daran hat, geschickt zu buhurdieren und sich mit dem Schild zu decken.31 Dem Ritter wird also ein Drang auferlegt, den Kampf zu suchen und sich darin zu beweisen.32 Auch die Verteilung von Frauen33 bildet einen grundlegenden Bestandteil in den höfischen Romanen, so dass der Minnedienst einen ebenso wichtigen Teil der Erziehung einnehmen musste. So sollte er auch gerne zu den Damen gehen und wohlerzogen vor ihnen stehen und bei ihnen sitzen.34 Den Anforderungen der hövescheit zu genügen, war ein Zeichen von hôhen muot. Dies beschrieb im höfischen Umfeld ein gesellschaftliches Hochgefühl des Ritters, doch klerikal war es reiner Hochmut.35 Auch im Begriff der Ehre unterschieden sich die Ansichten der beiden Institutionen. êre war für den höfischen Ritter der Inbegriff des Seins, der von den Dichtern zum Universalbegriff des Wertesystems der höfischen Gesellschaft erklärt wurde, doch die andere Meinung tat diese als nichtigen, leeren Schall ab.36

Auch im Kampf finden wir eine geregelte Situation vor, so dass die übliche Kampfreihenfolge so aussieht, dass sich die Ritter erst zu Pferd treffen. Danach wird der Kampf zu Fuss mit Waffen weitergeführt, meist dem Schwert und zuletzt wird die Distanz noch einmal verringert, so dass sich die Kontrahenten im Ringen gegenüber stehen.37 Diese Art des Kämpfens ist eng mit dem Ehrsystem verknüpft. So schreibt Hartmann von Aue, dass Mabonagrin enhæte sich gewert38, wäre seine Waffe nicht zerbrochen und deshalb ist es für Erec nicht unehrenhaft, gegen einen Unbewaffneten zu kämpfen. Sein Antrieb ist Rache, was als Restituierung für die verletzte Ehre ausreichend ist. Somit wird der Angriff auf einen schutzlosen Gegner legitim.39

Ansonsten wird jedoch eine Angleichung der Waffen bevorzugt, wie sie auch Norm in den Fechtbüchern ist.

2.2 Überlieferte ritterliche Normen und Tugenden aus historischer Sicht

Die Ritter des Mittelalters zeigten Parallelen zu den Nobiles der römischen Kultur.40 Im Hochmittelalter war der Ritter meist ein Krieger bzw. ein rîter.41 Seine Attribute entstammen königlicher Natur, weshalb der beste Ritter auch der von Gott eingesetzte König sein musste.42 Die Vorschriften und Vorlagen des Fürstenspiegels galten zwar für den König, aber als Vorlage dienten die meisten Grundsätze auch dem Ritter. So finden wir in De duodecim abusivis saeculi das Kapitel zum rex iustus entgegen dem rex iniquus die Vorschriften zum Schutz der Kirche, der Schwachen, Witwen und Waisen, der Gerechtigkeit, der Bestrafung der Schuldigen sowie dem Vertrauen in Gott.43 Ihre Vorbilder stellten die alttestamentarischen Könige dar. Allen voran David und Salomon.44 Der König war rex et propheta. Eine Funktion, die mit der Herrschaft in Gottes Gnaden gut vereinbar war.

Im 12. Jahrhundert fand eine Verschiebung der Attribute vom König auf die Fürsten statt.45 Dies war bereits eine erste Minderung der Hervorhebung der Abstammung gegenüber den Attributen und Tugenden. Eine Adelszugehörigkeit war ausreichend, um dem Ideal entsprechen zu können. Dieses beinhaltete Demut, keine Gier, Aufopferung, Schonung von Leben, Unterstützung der Armen und Bedürftigen, Waisen zu speisen, Betrübte zu trösten, die Wahrung des Rechts, den Schutz von Kirchen, Klöstern und Witwen.46

Da die Verteidigung durch das Schwert geschah, wurde eine soziale Hierarchisierung noch immer verstärkt, da eine ausgiebige Kampfausbildung Privileg des Adels/Ritterstandes blieb.47 Demut, Gehorsam und Treue machten den Ritter zu einem dienenden Herrn, der dem christlichen Ideal entspricht. So sagte Gregor der Grosse ( † 604), dass „Gott dienen herrschen ist.“48 Des Weiteren musste der Ritter Ehre, milte und staete zeigen.49 Sein ganzes Wesen musste sich dem christlichen Lebenswandel hingeben, wie er es bei der Schwertleite versprach. Dazu gehörte die Meisterschaft des Waffenhandwerks ebenso wie der versprochene Schutz.50 Im 11. Jahrhundert wurden diese Regeln durch Bonizo von Sutri erweitert. So sollten die Ritter ihrem Herrn ergeben sein, nicht nach Beute streben, zum Schutz der Leben ihrer Herren ihr eigenes nicht schonen, für das Wohl der Allgemeinheit bis zum Tode kämpfen und Schismatiker und Ketzer bekriegen.51 Wer diesen Regeln in ausserordentlicher Weise gefolgt war, waren die Ordensritter, allen voran die Templer.52 Die Ordensoberen verdammten Verhalten, das dem höfischen Ritter als lobesam galt.

„Und wie die Geier, die das Aas wittern, so späht ihr aus und trachtet nach Kriegen in den entferntesten Gegenden. Das ist gewiss der schlimmste Weg, weil er ganz von Gott abgekehrt ist. Wenn ihr aber für eure Seele sorgen wollt, so legt schleunigst den Gürtel einer solchen Ritterschaft ab und tretet mutig in den Kriegsdienst Christi und eilt zur Verteidigung der orientalischen Kirche.“53

Balderich von Dol prangerte an, den Krieg zu suchen, statt ihm zu begegnen, wo er bereits tobt. Des Weiteren geht er auf den Minnedienst ein, den die Ritterorden weiter verschärfen:

„Die verführerischen Reize der Frauen und eure Besitztümer sollen euch nicht dazu verlocken, dass ihr nicht auszieht.“54

Die Ordensritter besinnen sich schliesslich auf die Worte Paulus, der sagte, dass das Leben allein der Partnerschaft vorzuziehen wäre: „Es ist dem Menschen gut, dass er kein Weib berühre.“55 Dies nahmen sie in ihre Ordensstatuten auf, so dass sie sich zu Armut, Gehorsam und Keuschheit verpflichteten.56 Diese Ausformung des Rittertums war aber sehr strikt, weshalb es nicht als Norm auf alle Ritter ausgeweitet werden kann, zeigt aber die grösste Ausformung des christlichen Gedankens und der Verbundenheit zu Gott und Kirche.

3. Die Fechtbücher des Spätmittelalters

Fechtbücher können als erste Anleitungen verstanden werden, denen das Grundthema des Kampfes gemeinsam ist, doch bilden sie kein homogenes Corpus.57 Dies mag daran liegen, dass die ältere verwandte Art dieses Texttypus die Hausbücher sind. Auch in ihnen finden sich Fechtanweisungen, obwohl in deutlich geringerem Umfang. So gibt es im mittelalterlichen Hausbuch die Darstellung von Ochs und Wechsel58, einer der vier Grundhuten Liechtenauers, sowie eine spätere Kampfhaltung des 15. Jahrhunderts und ansonsten einen Aufschluss über die vorhandene Ausrüstung.59 Eine detaillierte Beschreibung des Bewegungsablaufs fehlt jedoch. Auch in der Ritterlehre von Hanko Döbringer verhält es sich so, dass die Tugenden und Merkmale beschrieben werden, aber keine klaren Anweisungen formuliert wurden.60 Dies ist ein Merkmal der frühen Fechtbücher, die noch keine ikonographischen Darstellungen beinhalten. Während in Hausbüchern aus dem 14. und 15. Jahrhundert nur in jeweils einem eine Fechtanweisung gefunden wurde, können die Fechtbücher als spezialisierte Form dieses Texttypus angesehen werden.61 Das früheste Werk dieser Gattung ist das Towerfechtbuch I.33 aus dem Tower von London, das um das Jahr 1300 datiert wird.62 Sein Verfasser ist kein Fechtmeister, wie bei anderen Werken, sondern ein Mönch, doch teilt er die Verbundenheit zur Kirche mit dem Pfaffen Hanko Döbringer, der sein Manuskript Ende des 14. Jahrhunderts verfasste.63 Auffallend ist seine wirre Struktur. So werden Waffen eingeführt, und bereits nach wenigen Seiten wird das Thema gewechselt, ganz so, als läge dem Manuskript keine klar geordnete Grundstruktur zugrunde.64 Dies erscheint eher untypisch. So findet sich in Peter von Danzigs Handschrift eine klare Linie, die bereits zu Beginn vorgestellt wird: „| Des ersten mit dem langen swert | Dar nach mit der glefen | vnd mit dem swert zw roß | Dar nach mit dem kürczen swert zwo champf |“65 Die Schriften haben eine klare Struktur, denn ihre Aufgabe ist es, trainingsbegleitend zu fungieren.66 Eine Ersetzung des Meisters ist (noch) nicht gewollt. Dies geht auf Liechtenauer zurück, denn dieser wollte ein gemain werden der Techniken verhindern. „So hat er die selbig kunst igleich besunder lassen schreiben mit verporgen | vnd verdackten wooten | Dar umb daß sÿ nit yderman vernemen noch versteen sol | als du sÿ her nach geschriben wirst vinden | vnd hat das getan durch der leichtfertigen schirmaister woillen | Dÿe Irr kunst gering wegen | das sein kunst von den selbigen maisterñ nicht gemain noch geoffenwart sol werden solichen lewten die | dye kunst In wirden nicht behalten als an dañ der kunst zw gehört ~“67

Um die allgemeine Verbreiterung aufzuhalten, hat sich Liechtenauer auf Zedel gestützt, die das Lernen eines Eingeweihten erleichtern, aber gleichzeitig durch ihre Knappheit, einem Uneingeweihten keine Chance geben, etwas zu verstehen.68 „Twer benÿmpt was vom tag her chumpt“.69 Einerseits ist die Anweisung knapp und reimt sich, was einen erhöhten Mnemoeffekt erzeugt, also ein leichteres Einprägen, andererseits ist die Kenntnis der Fachbegriffe zwingend notwendig. Dieses System hatte jedoch einen Haken, der auch durch Lehrer nicht vollständig unterdrückt werden konnte. Um das Versmass zu erreichen, mussten teils überflüssige Informationen in den Reim eingebettet werden, die zu anderen Auslegungen der Technik führen konnten.70 Diese Reim- und Füllwörter evozierten Varianten.

Verschriftlicht wurden also jene Komponente des Trainings, die unabänderlich sein sollten. Somit die Techniken und Stellungen, nicht jedoch die sprachlichen Elemente, obwohl der metrische Teil der Zedel darauf hindeuten könnte.71 Die zu Anfang „dunklen“ und „verdeckten“ Worte wurden später durch Glossen erhellt, damit „yderman“ nach Liechtenauer trainieren konnte.72 Eine Ausweitung auf das Bürgertum musste folgen, doch verhinderte der Umstand der geringen Alphabetisierung eine allzu weite Verbreitung.

[...]


1 Ausstellung: Echte Burgen falsche Ritter im HMB – Museum für Geschichte / Barfüsserkirche in Basel [15.11.2013 – 29.06.2014].

2 Huge Scheppel, 12r Z. 32.

3 Hills, 1985, S. 256.

4 Wilkens, 2014I, S. 1.

5 Eckehard, 1989, S. 198.

6 Hills, 1985, S. 288.

7 Inwiefern die Beschreibungen von dieser zeitlichen Einordnung abweichen, soll entscheidender Teil dieser Arbeit sein.

8 Ebenbauer, 1988, S. 16f.

9 Haug, 1989, S. 6f.

10 Haug, 1989, S. 7.

11 Hoffman, 1974, S. 41.

12 Malcher, 2009, S. 9.

13 Gumbrecht, 1983, S. 438.

14 Meyer, 1994, S. 9.

15 Bleumer, 2000, S. 129f.

16 Bleumer, 2000, S. 136.

17 Stanesco, 1993, S. 9.

18 Kühebacher, 1979, S. 69.

19 Bumke, 2008, S. 428-432.

20 Meyer, 1994, S. 184.

21 Bleumer, 2000, S. 131.

22 Bumke, 2008, S. 416.

23 Ehrismann, 1995, S.170.

24 Bumke, 2008, S. 417.

25 Friedrich, 2005, S. 156.

26 Bumke, 2008, S. 424.

27 Erec Vv. 919f.

28 Bumke, 2008, S. 418.

29 Bumke, 2008, S. 419.

30 Bumke, 2008, S. 421.

31 Bumke, 2008, S. 426.

32 Malcher, 2009, S. 98.

33 Friedrich, 2005, S. 127.

34 Bumke, 2008, S. 426.

35 Bumke, 2008, S. 427.

36 Bumke, 2008, S. 428.

37 Meyer, 1994, S. 213.

38 Erec Vv. 9245.

39 Ehrismann, 1995, S 154.

40 Ehrismann, 1995, S.170.

41 Ehrismann, 1995, S.169.

42 Paravicin, 2011, S. 54.

43 Bumke, 2008, S. 384.

44 Bumke, 2008, S. 386.

45 Bumke, 2008, S. 388&403.

46 Bumke, 2008, S. 400.

47 Friedrich, 2005, S. 129.

48 Bumke, 2008, S. 407.

49 Dinzelbacher, 1992, S. 706.

50 Ehrismann, 1995, S.173.

51 Bumke, 2008, S. 401.

52 Vgl. Pierre Paul Read: Die Templer. Die Geschichte der Tempelritter, des geheimnisvollen Ordens der Kreuzzüge, München 2009.

53 Bumke, 2008, S. 405.

54 Bumke, 2008, S. 405.

55 1. Kor 7,1.

56 Bumke, 2008, S. 409.

57 Müller, 1992, S. 251.

58 Das mittelalterliche Hausbuch Tafel 2.

59 Abb. 1.

60 Müller, 1994, S. 361.

61 Wierschin, 1965, S. 3.

62 http://freywild.ch/i33/i33a.html#01 [8.4.14].

63 Wierschin, 1965, S. 4.

64 Müller, 1992, S. 264.

65 Hagedorn, 2008, S. 6.

66 Müller, 1992, S. 252.

67 Hagedorn, 2008, S. 6.

68 Müller, 1994, S. 364.

69 Hagedorn, 2008, S. 50.

70 Müller, 1994, S. 363.

71 Müller, 1994, S. 360.

72 Wierschin, 1985, S. 5.

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
Die Kampfdarstellungen der spätmittelalterlichen Epik. Fiktion oder Abbilder ihrer Zeit?
Untertitel
Eine Untersuchung anhand des "Eckenlieds" sowie den Fechtbüchern der frühen Neuzeit
Hochschule
Universität Zürich
Autor
Jahr
2014
Seiten
43
Katalognummer
V283757
ISBN (eBook)
9783668015166
ISBN (Buch)
9783668015173
Dateigröße
2350 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Epik, Ritter, Kampfdarstellungen, Fechtbücher, Eckenlied, Mittelalter
Arbeit zitieren
Benjamin Kettner (Autor:in), 2014, Die Kampfdarstellungen der spätmittelalterlichen Epik. Fiktion oder Abbilder ihrer Zeit?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/283757

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