Neuere Erklärungskonzepte zur sozialen Konstruktion von "gender"


Seminararbeit, 1998

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

0 EINLEITUNG

1 „SEX“ UND „GENDER“ - SINNVOLLE ORDNUNGSKATEGORIEN?
1.1 DIE BIOLOGISCHE ZWEIGESCHLECHTLICHKEIT
1.2 DIE SOZIALE ZWEIGESCHLECHTLICHKEIT

2 THEORETISCHE GRUNDPOSITIONEN
2.1 BIOLOGISMUS/NATURALISMUS
2.2 GLEICHHEIT DER GESCHLECHTER
2.3 GYNOZENTRISCHER FEMINISMUS
2.4 POSTMODERNE DEKONSTRUKTION
2.4.1 DISKURSTHEORIE
2.4.2 ETHNOMETHODOLOGIE

3 DIFFERENZ UND HIERARCHIE
3.1 ARBEITSWELT
3.2 PHALLOZENTRISMUS
3.3 WISSENSCHAFT

4 AUSBLICK

LITERATUR

0 Einleitung

Die Zweiteilung der Geschlechter in Männer und Frauen als sich gegenseitig ausschließende Kategorien erscheint in weiten Teilen menschlicher Gesellschaften seit denkbar langer Zeit als unhinterfragbare Tatsache. Während in früheren Zeiten der Frage nach dem Ursprung der Zweigeschlechtlichkeit mit einem Verweis auf die göttliche Schöpfung (im Christentum) begegnet wurde, wird die Existenz zweier Geschlechtskategorien in heutiger Zeit über die Natur (Evolution, Biologie) begründet. Diese Letztbegründung bietet den Ausgangspunkt für alle darauf aufbauenden geschlechtsspezifischen Unterscheidungen in diversen gesellschaftlichen Kontexten. Auch die Frauenforschung und Frauenbewegung hat in ihren frühen Stadien Konzepte auf Grundlage der Zweigeschlechtlichkeit entwickelt und diese sozialisationstheoretisch begründet. In jüngerer Zeit läßt sich jedoch ein Wandel weg von der Akzeptanz natürlicher Geschlechtsunterschiede hin zur Dekonstruktion eben dieser Unterschiede erkennen. Frau (und teilweise auch man) geht mit Bezug auf andere erkenntnistheoretische Annahmen (wie z. b. die konstruktivistische Epistemologie) davon aus, daß die Zweigeschlechtlichkeit im sozialen Prozeß konstruiert wird.

In der vorliegenden Hausarbeit sollen zunächst die Geschlechtskategorien anhand der Konzepte „sex“ und „gender“ gegenübergestellt und kritisch beleuchtet werden. Im Anschluß daran werden unterschiedliche theoretische Grundpositionen vorgestellt, die die Geschlechterdifferenz oder deren Aufhebung in verschiedener Weise erklären. Parallel hierzu sollen auch einige Strömungen in der Frauenbewegung mit unterschiedlichen Annahmen und Zielrichtungen angesprochen werden. Im Anschluß an diesen Theorieteil folgen einige Beispiele aus den Bereichen Arbeit und Wissenschaft, welche die Konsequenzen der sozialen Konstruktion von Geschlecht hinsichtlich dem Aufbau und Erhalt männlicher Herrschaftsstrukturen in Gesellschaften illustrieren sollen. Hierbei wird die Geschlechterdifferenz als notwendige Voraussetzung für eine anschließende Hierarchie im Geschlechterverhältnis betrachtet. Abschließend werden einige Gedanken mit Blick auf mögliche Coping-Strategien sowie prophylaktische Maßnahmen von Frauen und Männern zur Durchbrechung dieser hierarchischen Verhältnisse skizziert.

1 „Sex“ und „gender“ - sinnvolle Ordnungskategorien?

1.1 Die biologische Zweigeschlechtlichkeit

Im anglo-amerikanischen Sprachraum bezeichnet das Wort „sex“ den biologisch zugeschriebenen Status von Menschen als Männer oder Frauen. Eine solche Zuschreibung erfolgt aufgrund verschiedener anatomischer, morphologischer, physiologischer oder endokrinologischer Unterscheidungen (vgl. Gildemeister/Wetterer, 1992, S. 209). So wird z. B. bei der Geburt eines Menschen anhand seiner äußeren Geschlechtsmerkmale das biologische Geschlecht (entweder Mädchen oder Junge) festgelegt. Im Alltagsverständnis der meisten Menschen ist diese Festlegung als selbstverständlich (da „natürlich“) verankert.

Allerdings scheint bei näherer Betrachtung der bestimmenden Kriterien für die Festlegung des „sex“ eine grundsätzliche und widerspruchsfreie Einordnung in zwei sich ausschließende Kategorien (Mann/Frau) problematischer zu sein als angenommen. Die für die Bestimmung trennscharfer Klassifizierungen verantwortlichen Wissenschaften (z. B. Biologie und Physiologie) entwerfen neuerdings ein weitaus differenzierteres Bild der binären biologischen Geschlechtszuordnung. Die Geschlechtskategorien „werden nicht mehr als zwei entgegengesetzte, einander ausschließende Kategorien verstanden, sondern vielmehr als Kontinuum, bestehend aus dem genetischen Geschlecht, dem Keimdrüsengeschlecht und dem Hormongeschlecht.“ (Lorber/Farell, 1991, S. 7).

Darüber hinaus müssen die verschiedenen Geschlechtsfaktoren nicht unbedingt bei einer Person übereinstimmen und außerdem sind ihre Wirkungen umweltabhängig (vgl. Gildemeister/Wetterer, 1992, S. 209). An dieser Stelle sei ein Beispiel zur Illustration angefügt: einer heterosexuellen russischen Athletin wird die Teilnahme bei den olympischen Spielen als Frau untersagt, da sie aus medizinischer Sicht (d. h. hinsichtlich ihrer Chromosomen) männlich ist (vgl. Gergen, 1996, S. 238). Somit erscheint eine eindeutige Zuordnung zu einem biologischen Geschlecht unter Berücksichtigung aller als relevant erachteten Unterscheidungskriterien entgegen alltäglicher und auch sozialwissenschaftlicher Erwartungshaltungen als unmöglich.

1.2 Die soziale Zweigeschlechtlichkeit

Das Pendant zu „sex“ als biologischem Geschlecht ist im englischen „gender“ als soziales bzw. kulturelles Geschlecht. Gender wird als in Sozialisationsprozessen erworbener Geschlechtsstatus definiert. Im klassischen Sinne (frühe Frauenforschung) werden analog zur biologischen Zweigeschlechtlichkeit ebenfalls zwei Gendertypen (maskulin/feminin) unterschieden. Welche Kriterien einer Unterscheidung zwischen maskulinem und femininem Gender zugrunde liegen, ist jedoch alles andere als eindeutig. So werden verschiedenste bipolare Konstrukte angeführt, und dem einen oder anderen Gender als typische Merkmale, Eigenschaften, Verhaltensweisen, etc. unterstellt. Beispiele hierfür sind: rational/irrational, objektiv/subjektiv, stark/schwach, logisch/intuitiv, usf. (vgl. Seifert, 1992, S. 275).

Die Verwendung des Gender-Konzeptes bietet zunächst den entscheidenden Vorteil, daß Unterschiede im Verhalten und Handeln zwischen den Geschlechtern losgelöst von dem jeweiligen „sex“ der Geschlechter erklärbar sind, da sie aufgrund der Gender-Sozialisation entstanden sein können. Andererseits besteht die Gefahr einer Manifestation des Denkens in zwei Kategorien, welche angeblich in einem (wenn auch unbestimmten) Zusammenhang mit den zugrundeliegenden biologischen Geschlechtskategorien stehen. Somit werden biologische Unterschiede, die je nach Wahl der Kriterien alles andere als eindeutig sind (s. o.), und soziale/kulturelle Unterschiede zwischen den Geschlechtern in einem gewissem Sinne parallelisiert. Gildemeister und Wetterer (1992) sprechen in diesem Zusammenhang von einem latenten Biologismus der Gesamtstruktur „sex- gender“ (a. a. O., S. 207).

Aus der Annahme, daß es (exakt) zwei biologische und zwei soziale Geschlechter gibt, die sich kongruent aufeinander abbilden lassen (damit ist gemeint, daß männliche Wesen maskulin sind und weibliche Wesen feminin, was immer das auch sein mag), folgt im Umkehrschluß, daß es keine „Mischtypen“ (maskuline Frauen, feminine Männer) gibt. Im Gegensatz zu der Annahme der sozialen Zweigeschlechtlichkeit zeigen Ergebnisse der kulturanthropologischen Forschung, daß in manchen Kulturen drei Gender-Identitäten nebeneinander gelebt werden, in anderen ein Wechsel zwischen verschiedenen sozialen Geschlechtern möglich ist und in wieder anderen Genderrollen z. T. unabhängig von körperlichen Merkmalen angenommen werden (vgl. Gildemeister/Wetterer, 1992, S. 208, Gildemeister, 1992, S. 228-230).

Zur Vermeidung der Dualität von Geschlechtskategorien schlägt Hagemann-White (1988) vor, von der „Null-Hypothese“ auszugehen, welche besagt, „daß es keine notwendige, naturhaft vorgeschriebene Zweigeschlechtlichkeit gibt, sondern nur verschiedene kulturelle Konstruktionen von Geschlecht“ (zitiert nach Gildemeister/Wetterer, 1992, S. 211).

2 Theoretische Grundpositionen

Die nachfolgenden Positionen zur Gender-Diskussion basieren sowohl auf unterschiedlichen wissenschaftlichen Theorierichtungen als auch auf verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Ausrichtungen in der Frauenbewegung1. Es lassen sich anhand bestimmter Kriterien grundlegende Unterschiede zwischen den einzelnen Ansätzen aufzeigen. So wird z. B. auf die Gleichheit bzw. Ungleichheit der Geschlechter, auf angeborene vs. erworbene Geschlechtsunterschiede, sowie auf strukturelle vs. prozessuale Begründung von Unterschieden fokussiert.

2.1 Biologismus/Naturalismus

Der Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist ein Rückgriff auf die Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschung in Bezug auf Unterschiede zwischen den Geschlechtern (z. B. in den Bereichen Anatomie, Physiologie, Neurologie, Biopsychologie, Soziobiologie, etc.). Beispiele für naturalistische Unterschiede sind im Bereich von Genen, Hormonen, Trieben, Hemisphärendominanz, Breite des Corpus Callosum, Gebärfähigkeit der Frauen etc. zu finden. Diese Ergebnisse werden in einer Weise interpretiert, daß hieraus grundsätzlich unterschiedliche Motive, Fähigkeiten, Gefühle, Eigenschaften, Handlungs- und Denkweisen etc. zwischen Männern und Frauen resultieren, die dann die in der gesellschaftlichen Wirklichkeit vorfindbaren Geschlechtsunterschiede erklären sollen (vgl. Lorber, 1994, S. 37ff.).

So wird z. B. eine stärkere Ausprägung der Verbindung der zwei Hirnhälften (Corpus Callosum) bei Frauen als biologistische Erklärung für deren angeblich stärker emotional bestimmte Denkweise verwendet, da ein höherer Informationsaustausch zwischen den beiden weiblichen Hemisphären stattfinden kann. Durch diesen Wechsel von Informationen könne die rechte Gehirnhälfte, welche u.

a. für Emotionen zuständig sei, die linke Hemisphäre, welche den analytischen Verstand und die Sprache steuere, beeinflussen (Der Spiegel, 1996, S. 122-123).

Die Implikationen einer biologistischen Sichtweise sind offenkundig: wenn Männer und Frauen „von Natur aus“ unterschiedlich sind, sollten sie auch in der Gesellschaft unterschiedliche Genderrollen einnehmen, die diesen Unterschieden entsprechen. Aufgrund naturalistischer Letztbegründungen besteht also kein Veränderungsbedarf in Bezug auf diese gesellschaftliche Rollenverteilung. Darüber hinaus wären Rollenänderungen entgegen den „natürlichen“ Geschlechtsunterschieden dysfunktional für Mensch und Gesellschaft.

2.2 Gleichheit der Geschlechter

Die Forderung nach der Gleichheit der Geschlechter im politischen und sozialen Leben war der Beginn der ersten Frauenbewegungen und zielt(e) auf die Erreichung gleicher Rechte (z. B. Wahlrecht), Chancen, Bildung und Anerkennung gleicher Fähigkeiten ab. Dieser Ansatz geht also von ungleichen gesellschaftlichen Verhältnissen aus, die die Frauen in einigen Bereichen benachteiligen. Die politischen Erfolge dieses liberalen Feminismus zeigen sich heute z. B. in der Einführung von Quotenregelungen und Partizipation (Thürmer-Rohr, 1995, S. 88).

2.3 Gynozentrischer Feminismus

Diese feministische Position betont die grundlegende Ungleichheit der Geschlechter aufgrund natürlicher unveränderlicher Unterschiede. Allerdings wird eine Enthierarchisierung der Geschlechterverhältnisse gefordert, wozu die Weiblichkeit als essentieller Wert aufgewertet werden soll. Männer und Frauen sind zwar verschieden, diese Verschiedenheit soll aber als gleichwertig anerkannt werden.

[...]


1 Neben den hier vorgestellten Positionen gibt es eine Reihe weiterer Theorierichtungen, wie z. B. der Marxismus bzw. materielle Feminismus als makrosoziologischer Ansatz oder die psychoanalytische Theorie, welche andere Erklärungen für Gender- Unterschiede liefern (vgl. Due Billing/Alvesson, 1994, S. 25ff.). Diese Ansätze werden hier aus Platzgründen nicht behandelt.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Neuere Erklärungskonzepte zur sozialen Konstruktion von "gender"
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Fakultät für Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Seminar Arbeit und Geschlecht
Note
1,0
Autor
Jahr
1998
Seiten
18
Katalognummer
V2828
ISBN (eBook)
9783638117081
ISBN (Buch)
9783638851855
Dateigröße
424 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
gender, sex, Feminismus, Diskurstheorie, Ethnomethodologie, Postmoderne, Dekonstruktion, Biologismus, Naturalismus, Phallozentrismus
Arbeit zitieren
Sascha Wingen (Autor:in), 1998, Neuere Erklärungskonzepte zur sozialen Konstruktion von "gender", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/2828

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