Das europäische Währungsrecht. Die Konvergenzkriterien und der Stabilitäts- und Wachstumspakt


Seminararbeit, 2014

45 Seiten, Note: 15 pkt.


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

LITERATURVERZEICHNIS
Die Konvergenzkriterien und der Stabilitäts- und Wachstumspakt - Rechtsfragen und tatsächliche Entwicklung

A. HISTORISCHE EINFÜHRUNG

B. DIE KONVERGENZKRITERIEN UND DER SWP
I. DIE KONVERGENZKRITERIEN
1. Historische Entwicklung der Kriterien
2. Die Kriterien im einzelnen
a) Preisstabilität
aa) Theorie
bb) Praxis
b) Stabilität der öffentlichen Finanzen
aa) Defizitkriterium
bb) Schuldenstandkriterium
cc) Ökonomische Kritik an den Kriterien
dd) Der Beschluss des Rates über das Bestehen eines übermäßigen Defizits
c) Wechselkursstabilität
aa) Überblick
bb) Normale Bandbreite
cc) Teilnahme am Wechselkurssystem
dd) Abwertungsverbot
d) Zinsen
e) Sonstige ökonomische Rahmendaten
3. Verbindlichkeit der Konvergenzkriterien?
4. Einhaltung der Konvergenzkriterien / Tatsächliche Entwicklung
5. Fazit
II. DER STABILITÄTS- UND WACHSTUMSPAKT (SWP)
1. Gründe für die Einführung des Paktes
2. Primärrechtliche Basis
a) Die ursprüngliche Fassung des Pakts
aa) Die Entschließung
bb) Die präventive Komponente
cc) Die korrektive Komponente
b) Die erste Reform des SWP
aa) Hintergründe
bb) „Aufweichen der Kriterien“
c) Änderungen im Primärrecht durch den Vertrag von Lissabon
d) Die Umsetzungsrealität vor der zweiten Reform des SWP
e) Die zweite Reform des SWP 2011 / der jetzige normative Bestand
aa) Die Regeln des sog. „Six-packs“
(1) VO (EU) 1175/2011 des Parlaments und des Rates
a. Das „Europäische Semester“
b. Wirtschaftlicher Dialog
c. Sanktionen
(2) VO (EU) 1177/2011 des Rates
(3) VO (EU) 1173/2011 des Parlaments und des Rates
(4) Rechtmäßigkeit der neuen Regeln
a. Das geänderte Sanktionsregime
i. Art. 121 VI AEUV als Grundlage
ii. Art. 136 AEUV als Grundlage
b. Die umgekehrte Abstimmung
(5) Folgen der Rechtswidrigkeit
(6) RL 2011/85/EU
bb) Die Regeln des sog. „Two-packs“
(1) VO (EU) 472/2013
(2) VO (EU) 473/2013
(3) Rechtmäßigkeit
3. Die Umsetzungsrealität
4. Auswirkung im deutschen Recht

C. FAZIT

Literaturverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A. Historische Einführung

Gegenstand der Arbeit sind die Konvergenzkriterien und der Stabilitäts- und Wachstumspakt. Gemeinsam bilden sie den rechtlichen Rahmen, der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Die ersten Überlegungen zur Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), gehen in die sechziger Jahre zurück. Der Werner-Plan zur Schaffung einer gemeinsamen Währung von 1971 scheiterte, da es nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems1 nicht gelang, einheitliche Zielvorstellungen zu formulieren2. Der „Bericht zur Wirtschafts- und Währungsunion in der Europäischen Gemeinschaft“ (sog. „Delors-Bericht“) von 1989 sieht Verwirklichung der WWU in einem Dreistufenszenario vor3. Der Begriff der WWU, der sich erstmalig im Vertrag von Maastricht ( Präambel 6. Absatz, Art.2, 109 e und 109 j EGV-Maastricht) findet, kann als Überbegriff für die Vertragsbestimmungen zur Wirtschafts- und Währungspolitik der EU gesehen werden4. Gegenstand des Vertrages von Maastricht waren die zweite und dritte Stufe des Delors Berichts. Die zweite Stufe begann am 1.Januar 1994. In dieser Stufe sollte es zu einer Budgetkonsolidierung in den Mitgliedsstaaten kommen, außerdem wurde das „Europäische Währungsinstitut“, Vorläufer der Europäischen Zentralbank, errichtet5. Mit Eintritt in die dritte Stufe wurden die Umrechnungskurse zwischen den beteiligten Währungen endgültig festgelegt und der Euro eingeführt. Die an der WWU teilnehmenden Staaten haben die Geld- und Wechselkurspolitik der EU als Ergebnis dieser Entwicklung vollständig übertragen6.

B. Die Konvergenzkriterien und der SWP

Die europäische Währungsverfassung enthält eine Grundentscheidung für eine stabile Währung7. Um die Stabilität der Währung zu sichern, haben sich die Mitgliedsstaaten verschiedenen, auf solide Haushaltspolitik zielenden Regeln unterworfen8. Dazu zählen sowohl die Konvergenzkriterien, als auch der Stabilitäts- und Wachstumspakt. Beide Regime werden hier mit Blick auf Rechtsfragen und die tatsächliche Umsetzung behandelt.

I. Die Konvergenzkriterien

Das Recht formuliert die Bedingungen, unter denen der Schritt in die europäische Gemeinschaftswährung unternommen werden kann9. Die erste „Hürde“ auf dem Weg in die Gemeinschaftswährung ist das Erreichen einer gewissen Konvergenz in rechtlicher und ökonomischer Hinsicht zwischen den Mitgliedsstaaten10. Dazu stellte der Maastricht Vertrag gewisse Kriterien auf. Wegen des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Mitgliedsstaaten wurden diese Kriterien seit dem Vertrag von Maastricht inhaltlich nicht und wörtlich kaum verändert11, sie werden daher auch „Maastricht Kriterien“ genannt12. Unter Konvergenzkriterien werden hier die vier ökonomischen Kriterien des Art. 140 I S. 3 AEUV bzw. die entsprechenden Normen in den vorhergehenden Verträgen verstanden. Diese Terminologie entspricht dem Vertragstext, der von „Konvergenz“ nur im Hinblick auf die ökonomischen Kriterien spricht (Art. 140 I S. 3 AEUV), sowie der Überschrift des Protokolls13 Nr. 13 („Über die Konvergenzkriterien“), welches sich lediglich auf die ökonomischen Kriterien bezieht. Soweit ersichtlich, wird der Begriff überwiegend allein für die ökonomischen Kriterien verwendet14. Die Kriterien bilden ein „kohärentes und integriertes Ganzes“ und sind kumulativ zu erfüllen15.

1. Historische Entwicklung der Kriterien

Schon in den ersten beiden Stufen der Dreistufenszenarios streben die Mitgliedsstaaten Konvergenz an. Schließlich setzt der Vertrag von Maastricht für den Eintritt in die dritte Stufe der WWU einen „hohen Grad an dauerhafter Konvergenz“ voraus. Die Kriterien sind in Art. 140 AEUV mit dem Protokoll (Nr. 13) über die Konvergenzkriterien, sowie in Art. 126 mit dem Protokoll (Nr. 12) über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit festgelegt. In einem einheitlichen Währungsraum mit zentral gesteuerter Geldpolitik fallen wichtige Instrumente weg, mit denen ein Land auf Schocks (zB. Rückgang der Nachfrage nach seinen Exportgütern) reagieren kann16, denn geldpolitische Entscheidungen auf Unionsebene sind stets Kompromisse17. Kosten und Nutzen eines einheitlichen Währungsraumes bewertet die Theorie der „optimalen Währungsräume“18. Trotz einiger Unterschiede im Detail stimmen die Theorien darin überein, dass zwischen den Staaten ähnliche Strukturen, sowie die Konvergenz nationaler Wirtschaftspolitiken für das Funktionieren eines einheitlichen Währungsraumes maßgebliche Voraussetzungen sind19. Die Theorie des optimalen Währungsraumes lässt sich im Ganzen jedoch schwer operationalisieren20, so dass im Vertrag vergleichsweise einfach zu prüfende wirtschaftliche Kriterien festgesetzt wurden21. Diese Kriterien sollen die Optimalität des zu schaffenden Währungsraumes rechtlich stützen22. Trotz dieser normativen Absicherung war die Eurozone nach überwiegender Ansicht kein optimaler Währungsraum23.

2. Die Kriterien im einzelnen

Die Kriterien des Art. 140 I AEUV werden nun jeweils rechtlich und ökonomisch untersucht.

a) Preisstabilität

Zunächst haben die Mitgliedsstaaten einen hohen Grad an Preisstabilität zu erreichen. Ersichtlich ist dieses Ziel aus einer Inflationsrate, die jenen - höchstens drei - Mitgliedsstaaten nahe kommt, die auf dem Gebiet der Preisstabilität das beste Ergebnis erzielt haben (Art. 140 I erster Gedankenstrich AEUV). Das Kriterium wird durch Art. 1 des Protokolls (Nr. 13) über die Konvergenzkriterien konkretisiert auf eine maximale Abweichung von 1,5% nach oben. Für die Zwecke des Preisstabilitätskriteriums wird die Inflation an den in der Verordnung

(EG) Nr. 2494/95 des Rates vom 23. Oktober 1995 über harmonisierte Verbraucherpreisindizes definierten, harmonisierten Verbraucherpreisindizes (HVPI) gemessen24.

aa) Theorie

Das Kriterium entspricht dem Primat der Preisstabilität in der WWU (Art. 3 III S. 2 EUV; Art. 119 II AEUV)25. Anders als dieses ist es jedoch relativ formuliert und daher interpretationsbedürftig26. Welche Inflationsrate konkret heran zu ziehen ist, ist dem Wortlaut nicht zu entnehmen. So ist unklar, ob nur die Inflationsraten der Euro-Mitgliedsstaaten oder die aller EU Staaten heranzuziehen sind27. Weiterhin lässt die Formulierung sowohl die Errechnung des Durchschnitts der drei niedrigsten Inflationsraten, als auch das Heranziehen der niedrigsten Inflationsrate eines Landes zu28. Es ergeben sich rechnerisch sechs Möglichkeiten, zur Berechnung des Referenzwerts29. Da es um einen Vergleich mit der Spitzengruppe geht, kann das Einbeziehen der Inflationsraten aller Mitgliedsstaaten in den Vergleichsrahmen die Anforderungen an die Preisstabilität nur erhöhen. Dies entspricht dem übergeordneten Ziel der Preisstabilität, so dass unter teleologischen Gesichtspunkten30 alle Inflationsraten einbezogen werden sollten31.

bb) Praxis

In der Praxis wird zur Berechnung des Referenzinflationswertes das ungewichtete arithmetische Mittel der drei preisstabilsten Mitgliedsstaaten gebildet. Dabei werden, was begrüßenswert ist, auch Staaten berücksichtigt, die den Euro nicht eingeführt haben32. Keine Berücksichtigung finden dabei Daten solcher Mitgliedsstaaten, die nach einem negativen Schock eine nach unten abweichende oder negative Inflationsrate haben33. Die Prüfung, ob die geringe Inflationsrate eines Mitgliedsstaates ausnahmsweise nicht berücksichtigt wird, orientiert sich an zwei Kriterien: zum einen muss der Zwölfmonatsdurchschnitt deutlich unter der Rate anderer Mitgliedsstaaten liegen, zum andern muss die Preisentwicklung erheblich durch außergewöhnliche Faktoren beeinflusst sein34. Die Praxis ist zu begrüßen, da diese Mitgliedsstaaten gerade nicht die geforderte Preisstabilität, sondern Deflation aufweisen. Obgleich es nicht zwingend ist, die Inflationsraten dreier Länder heranzuziehen („ hhchstensöchstens drei“), wurde die Höchstzahl von drei Ländern bislang in keinem der EZB Berichte unterschritten35.

b) Stabilität der öffentlichen Finanzen

Stabilitätsorientierte Geldpolitik bedarf solider Finanzpolitik36. Daher zielt das zweite Kriterium auf „eine auf Dauer tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand“, ersichtlich aus einer öffentlichen Haushaltslage ohne übermäßiges Defizit iSd. Art. 126 AEUV (Art. 140 I zweiter Gedankenstrich AEUV). Der unbestimmte Rechtsbegriff der „auf Dauer tragbaren Finanzlage der öffentlichen Hand“ wird durch den Verweis auf Art. 126 AEUV konkretisiert. Das Kriterium ist gem. Art.

2 des Protokolls Nr. 13 erfüllt, wenn der Rat kein übermäßiges Defizit nach Art. 126 VI AEUV festgestellt hat. Eine eigenständige Prüfung der Finanzlage der Mitgliedsländer findet im Verfahren des Art. 140 AEUV aber gerade nicht statt - beschließt der Rat nach Art. 140 II AEUV, so ist entscheidend, ob er zeitlich früher einen Beschluss nach Art. 126 VI AEUV erlassen hat. Dem Beschluss nach Art 126 AEUV kommt insofern konstitutive Wirkung zu37.

In der Praxis enthalten die Konvergenzberichte dennoch Stellungnahmen zur Situation der öffentlichen Finanzen, die über die bloße Feststellung, ob ein Beschluss vorliegt, hinausgehen38. Ein Beschluss setzt nach Art. 126 AEUV und dem zugehörigen Protokoll (Nr. 12) zunächst voraus, dass ein Mitgliedsstaat die Anforderungen an die Haushaltsdisziplin nicht erfüllt und die Kommission einen Bericht dazu erstellt hat. Zu diesem Bericht gibt nach Art. 126 IV AEUV der Wirtschafts- und Finanzausschuss eine Stellungnahme ab, bevor der Rat mit qualifizierter Mehrheit (ohne die Stimme des betroffenen Mitgliedsstaates) auf Vorschlag der Kommission und unter Berücksichtigung der Bemerkung, die der betreffende Mitgliedsstaat gegebenenfalls abzugeben wünscht, nach Prüfung der Gesamtlage entscheidet, ob ein übermäßiges Defizit besteht. Konkretisiert wird das Verfahren durch die Verordnung 1467/97/EG, die Teil des sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspaktes (SWP) ist39. Den Maßstab für die Prüfung der Haushaltsdisziplin setzen die Referenzwerte, auf die Art. 126 II AEUV verweist40.

aa) Defizitkriterium

Art. 1 I erster Gedankenstrich des Protokolls Nr. 12 legt fest, dass der Referenzwert für „das Verhältnis zwischen dem geplanten und dem tatsächlichen öffentlichen Defizit im Verhältnis zum BIP zu Marktpreisen“ im Sinne des Art. 126 II AEUV 3% beträgt. Der Begriff des „öffentlichen Defizits“ wird in Art. 1 III der VO (EG) 479/2009 unter Verweis auf das europäische System volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung definiert41. Ein Überschreiten der 3% Grenze kann nach Art. 126 II dann nicht als übermäßig eingestuft werden, wenn einer der Ausnahmetatbestände vorliegt. Zum einen ist ein Defizit von über 3% dann nicht als übermäßig einzustufen, wenn es „erheblich und laufend zurückgegangen ist“ sowie ein Wert „in der Nähe des Referenzwerts“ erreicht ist (Art. 126 II lit. a erster Gedankenstrich AEUV). Die Kriterien sind kumulativ zu erfüllen42. Zum andern liegt ausnahmsweise kein Verstoß gegen die Haushaltsdisziplin vor, wenn die Übertretung des Grenzwertes nur ausnahmsweise und vorübergehend geschieht und das Verhältnis in der Nähe des Referenzwertes bleibt (Art. 126 II lit. a zweiter Gedankenstrich AEUV).

Nach Art. 2 I der VO (EG) 1467/97 ist der Referenzwert für diesen Fall ausnahmsweise überschritten und damit das Defizit nicht übermäßig, wenn die Überschreitung auf ein außergewöhnliches Ereignis, das sich der Kontrolle des betreffenden Mitgliedsstaates entzieht und die Lage der öffentlichen Finanzen erheblich beeinträchtigt, oder einen schwerwiegenden Wirtschaftsabschwung zurückzuführen ist.

bb) Schuldenstandkriterium

Art. 1 I zweiter Gedankenstrich des Protokolls Nr. 12 legt sodann fest, dass der Referenzwert für das Verhältnis zwischen dem öffentlichen Schuldenstand und dem BIP zu Marktpreisen 60% beträgt. Der Begriff des öffentlichen Schuldenstandes wird in Art. 1 V der VO (EG) 479/2009 definiert. Wiederum sieht der Vertrag hier eine Ausnahme vor. Wenn der öffentliche Schuldenstand sich in den Jahren vor der Prüfung „hinreichend rückläufig“ entwickelt hat und der 60% Grenze „rasch genug“ nähert, so ist das Schuldenstandkriterium eingehalten (Art. 126 II lit. b AEUV). Im Rahmen des SWP 2011 wurde der Tatbestand sekundärrechtlich präzisiert und eingeengt - als hinreichend rückläufig gilt der Wert gem. Art. 2 Ia VO (EG) 1467/97, wenn „als Richtwert“ der Abstand zum 60% Referenzwert in den letzten drei Jahren um wenigstens ein Zwanzigstel gesunken ist. Dabei kann auch eine positive Haushaltsvorausschätzung der Kommission berücksichtigt werden.

cc) Ökonomische Kritik an den Kriterien

Die Neuverschuldungsquote von 3% soll langfristig die Verschuldungsquote bei 60%, also im Rahmen des Erlaubten halten. Hieran findet sich in der ökonomischen Literatur vielfach Kritik43, denn um bei einer Neuverschuldung von 3% langfristig tatsächlich eine Verschuldensquote von 60% zu erreichen, muss die nominale Wachstumsrate bei 5% liegen44. Tatsächlich lag die nominale Wachstumsrate zwischen 2000 und 2008 allerdings bei 2,1%. Eine jährliche Neuverschuldung von 3% ist mit einer nachhaltigen Haushaltspolitik bei dieser Wachstumsrate unvereinbar45.

dd) Der Beschluss des Rates über das Bestehen eines übermäßigen Defizits

Gemäß Art. 126 VI AEUV trifft die endgültige Entscheidung über die Haushaltslage der Rat, hier in Zusammensetzung der Wirtschafts- und Finanzminister46. Der Vertreter des betroffenen Mitgliedsstaates ist nach Art. 126 XII AEUV nicht stimmberechtigt, erhält aber die Möglichkeit Bemerkungen abzugeben, die der Rat zu berücksichtigen hat. Das Verfahren im Rat ist durch den weiten Ermessensspielraum gekennzeichnet, der dem Gremium zukommt. Die Entscheidung stützt sich auf eine wirtschaftspolitische Analyse und hat auch eine politische Dimension47. Wenn allerdings der Rat einem Mitgliedsstaat den Beitritt in die Währungsunion ermöglicht, der offensichtlich gegen die Haushaltsdisziplin verstößt, begeht er als Unionsorgan einen Vertragsverstoß, den der EUGH feststellen kann48. Die Rechtsgrundlage hierfür ist entweder Art. 263 AEUV, für den Fall, dass der Rat das Bestehen eines übermäßigen Defizits verneint, oder Art. 265 AEUV, für den Fall, dass der Rat einen Beschluss nach Art. 126 VI AEUV unterlässt49.

c) Wechselkursstabilität

Drittes Kriterium ist schließlich die Einhaltung der normalen Bandbreiten des Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems seit mindestens zwei Jahren ohne Abwertung gegenüber dem Euro (Art. 140 I dritter Gedankenstrich). Es dürfen keine starken Spannungen im Wechselkurs aufgetreten sein (Art. 3 des Protokoll Nr. 13).

aa) Überblick

Das Kriterium stellt auf das Europäische Währungssystem (EWS) ab. Das EWS wurde zum 1. Januar 1999 durch den Wechselkursmechanismus II (WKM II) abgelöst50. Dieser tritt als Referenzkriterium an Stelle des EWS51. Das Kriterium der Wechselkursstabilität setzt sich aus drei Subkriterien zusammen.

bb) Normale Bandbreite

Zunächst muss die „normale Bandbreite“ des Wechselkursmechanismus des europäischen Währungssystems eingehalten werden. Bei Unterzeichnung des Maastrichter Vertrages betrug die normale Bandbreite des Wechselkurssystems des EWS 2,25% nach oben oder unten. Im August 1993 wurde die normale Bandbreite infolge von Turbulenzen auf 15% erhöht und damit praktisch aufgegeben. Der WKM II hat dies als Standardschwankungsbreite übernommen52. Infolge dieser Erweiterung ist unklar, welche Bandbreite als „normal“ zu bezeichnen ist. Teils wurde angenommen, das Kriterium sei schlicht unanwendbar53. Rein formal kann argumentiert werden, dass die54 „normale Bandbreite“ nunmehr 15 % beträgt Sinn- und Zweck des Wechselkurskriteriums ist die Vergleichbarkeit der Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedsstaaten55. Eine teleologische Interpretation der Norm muss daher zum Ergebnis kommen, dass die ursprüngliche Bandbreite von 2,25 % als Kriterium heranzuziehen ist56. Dieses ist jedoch nicht als absolut zu verstehen, da keine Interventionsmechanismen mehr zur Verteidigung der Bandbreite zur Verfügung stehen57.

cc) Teilnahme am Wechselkurssystem

Während Art. 140 I dritter Gedankenstrich lediglich von der „Einhaltung der normalen Bandbreite“ spricht, verlangt Art. 3 des Protokolls Nr. 13 eine „Teilnahme am Wechselkursmechanismus des EWS“. Zur Teilnahme am WKM II sind die Mitgliedsstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt, allerdings nicht verpflichtet58. Wird die Teilnahme am WKM II als formelles Kriterium bejaht, so entsteht das Problem eines opting out-Rechts durch die Hintertüre - generell wurde ein solches Recht bewusst nicht aufgenommen59. Aus rechtlicher Sicht ist an dem Kriterium dennoch festzuhalten60.

[...]


1 System fester Wechselkurse zum US-Dollar. Dazu: Krugman/Obstfeld/Melitz, Internationale Wirtschaft, S. 694f. .

2 Vgl. Görgens/Ruckriegel/Seitz, Europäische Geldpolitik, S. 6 ff.

3 Dauses/ Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, F. I. 2. b).

4 Grabitz/Hilf/Nettesheim/ Bandilla, Das Recht der EU, Art. 119 AEUV Rn. 7.

5 Hilpold in Hilpold/Steinmair, Neue europäische Finanzarchitektur, S. 20.

6 R. Schmidt, HStR XI , §252 Rn. 7 spricht insofern von einer „Schicksalsgemeinschaft“. 1

7 Vgl. Herrmann, Währungshoheit, Währungsverfassung und subjektive Rechte, S. 226 m.w.N.

8 Neben den erörterten u.A. die sog. „no bail out-Klausel“ des Art. 125 AEUV. Vgl. Callies/Ruffert/ Häde, EUV/AEUV, Art. 125 AEUV Rn. 2.

9 Schorkopf, AöR 136 (2011), 323 (329).

10 In rechtlicher Hinsicht müssen die innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sein (Art. 140 I S.2 AEUV) vgl. Hahn/Häde, Währungsrecht, S.124.

11 Callies/Ruffert/ Häde, (Fn. 8), Art. 140 Rn. 13f.

12 Ungerer in Bergmann, Handlexikon, Stichwort: „Konvergenzkriterien“.

13 Nach Art. 51 EUV sind die Protokolle Bestandteile der Verträge.

14 Etwa: Ungerer, a.a.O.; Hahn / Häde, Währungsrecht, S. 124; Selmayr, Das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion, Bd. 1, S. 281, 315, fasst scheinbar auch die Anforderung rechtlicher Konvergenz unter den Begriff „Konvergenzkriterien“.

15 EZB Konvergenzbericht Juni 2013, S. 7.

16 Issing, Der Euro, S. 42.

17 Harms, Internationale Makroökonomik, S. 489 f.

18 Grundlegend: Mundel, The Theory of Optimum Currency Areas, American Economic Review, 1961, S. 657-665; Weiterführend: Harms, (Fn. 17), S. 489.

19 Weeber, Arbeitspapiere der Nordakademie, No. 2012-06, S. 8

20 Beispielsweise lässt sich die Mobilität von Arbeitnehmern schwer als überprüfbares Kriterium formulieren. Zur geringen Arbeitnehmermobilität innerhalb der EU im vergleich zu den USA: Klein/ Shambaugh, Exchange Rate Regimes in the Modern Era, S. 21ff.

21 Siekmann/ Hermann/Steven, Art. 140 Rn. 10.

22 Weeber (Fn. 19) S. 8; Entgegen Zapka, Der EuGH, S. 185., handelt es sich jedoch nicht um „die praktizierte Theorie des optimalen Währungsraums“.

23 Issing (Fn. 16), S. 44.; Murswiek, Von der Stabilitätsunion zur Haftungs- und Transferunion, FS Stürner, S. 1925 (1930).

24 8. Erwägungsgrund d. Beschlusses (2010/416/EU).

25 R. Schmidt, HStR XI, §252, Rn. 23 „Grundnorm der europäischen Wirtschaftsverfassung“.

26 Neumann /Klein, Analyse der Beschlüsse von Maastricht, S. 195 (211).

27 Callies/Ruffert/ Häde, (Fn. 8), Art. 140, Rn. 18.;

28 Vgl. nur Palm, Preisstabilität, S. 81.

29 Beutel, Differenzierte Integration in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, S. 276.

30 Das Stabilitätsziel ist Auslegungskriterium: Callies/Ruffert/ Häde, (Fn 8), Art. 140 Rn. 37.

31 Grabitz/Hilf/Nettesheim/ Palm, (F. 4), Art. 140 Rn. 22.

32 Vgl. zum Verfahren den 8. Erwägungsgrund des Beschlusses 2010/416/EU.

33 So wurde in der Konvergenzprüfung zu Lettland die Griechische Inflationsrate (0,4%) nicht eingerechnet - EZB, Konvergenzbericht Juni 2013, S. 10.

34 EZB, Konvergenzbericht Juni 2013, S. 10.

35 Siekmann/ Herrmann/Steven, Art. 140 Rn. 36.

36 Palm, (Fn. 28), S. 84.

37 Schulze-Steinen, Rechtsfragen zur Wirtschafts- und Währungsunion, S. 251. 5

38 Siekmann/ Herrmann/Steven, Art. 140 Rn. 39.

39 Ausführlich zum SWP unten, B. II.

40 Grabitz/Hilf/Nettesheim/ Bandilla, (Fn. 4), Art. 126 Rn. 45.

41 = VO 2223/96.

42 Grabitz/Hilf/Nettesheim/ Bandilla, (Fn. 4), Art. 126 Rn. 52. 6

43 Jonas, ZEI Working Paper B 14-2004, S. 18ff.

44 Anschaulich: Wissenschaftlicher Beirat, Gutachten Nr. 01/11, S. 27 f., Abbildung 2.

45 Afflatet, Politik, Staatsverschuldung und die deutsche Schuldenbremse, S. 105. 7

46 Callies/Ruffert/ Häde, (Fn. 8), Art. 126 Rn. 49.

47 Grabitz/Hilf/Nettesheim/ Bandilla, (Fn. 4), Art. 126 Rn. 72 m.w.N.

48 Callies/Ruffert/ Häde, (Fn. 8), Art. 140 Rn. 21.

49 Callies/Ruffert/ Häde, (Fn. 8), Art. 140 Rn. 21.

50 Palm (Fn. 28), S. 57 ff.

51 Grabitz/Hilf/Nettesheim/ Palm, (Fn. 4), Art. 140 Rn. 28.; Selmayr (Fn 24), S. 389; Für die Praxis vgl. 10 Erw. Grund des Beschlusses 2013/378/EU.

52 Beutel (Fn. 29), S. 281.

53 Nachweise bei Beutel, (Fn. 7), S. 282 Fn, 45.

54 Kortz, Endstufe, S. 125.

55 Palm, (Fn. 28), S. 82.

56 Tettinger, Das Schicksal der Deutschen Markt, FS Stern (1995), S. 1365 (1370); BK GG/ Häde, Art. 88 Rn. 333.

57 Beutel, (Fn. 29), S.284, 218; BK GG/ Häde, Art. 88 Rn. 334; EZB, Konvergenzbericht Mai 2012, S. 14.

58 Vgl. Präambel, 2. Erwägungsgrund, 3. Gedankenstrich WKM II-Abk. - Die Unverbindlichkeit geht nach Beutel (Fn. 29), S. 215 wohl auf Initiative Großbritanniens zurück.

59 Grabitz/Hilf/Nettesheim/ Palm, (Fn 4), Art. 140 Rn. 29.

60 Beutel (Fn. 29.), S. 287; Selmayr (Fn. 24), S. 390. 9

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Details

Titel
Das europäische Währungsrecht. Die Konvergenzkriterien und der Stabilitäts- und Wachstumspakt
Note
15 pkt.
Autor
Jahr
2014
Seiten
45
Katalognummer
V282675
ISBN (eBook)
9783956877186
ISBN (Buch)
9783668005990
Dateigröße
845 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
währungsrecht, konvergenzkriterien, stabilitäts-, wachstumspakt, Wirtschaftsrecht Geldpolitik
Arbeit zitieren
Jonas Jaenicke (Autor:in), 2014, Das europäische Währungsrecht. Die Konvergenzkriterien und der Stabilitäts- und Wachstumspakt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/282675

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