Identität 2.0. Die digitale Welt als Ort der Identitätsfindung in der Adoleszenz am Beispiel Facebook


Magisterarbeit, 2013

129 Seiten, Note: 1,7

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Hypothese
1.2 Aufbau der Arbeit
2 Begriffsbestimmungen
2.1 Adoleszenz
2.2 Identität
2.3 Das soziale Netzwerk Facebook im Web 2.0

3 Identitätsentwicklung in der Adoleszenz unter besonderer Berücksichtigung des sozialen Netzwerks Facebook
3.1 Die Omnipräsenz des Phänomens Facebook
3.2 Facebook und seine Möglichkeiten für die Jugend
3.2.1 Selbstdarstellung über das eigene Profil
3.2.2 Zugehörigkeit zu Gruppen
3.2.3 Identitätsbestimmende Kommunikationsformen bei Facebook
3.2.3.1 Gruppenbezogene Kommunikation bei Facebook
3.2.3.2 Interpersonale Kommunikation bei Facebook
3.3 Peers bei Facebook
3.4 Die Familie und ihr Einfluss auf die Internetaktivität ihrer jugendlichen Kinder
3.5 Negative Auswirkungen durch Facebook
3.6 Zwischenfazit

4 Identität und Facebook in der Adoleszenz - empirische Untersuchung
4.1 MethodischeVorgehensweise
4.1.1 Datengewinnung mittels Fragebogen
4.1.2 Die Teilnehmer
4.2 Ergebnisse der Befragung
4.2.1 Emotionale Verfassung
4.2.2 Motivation und Einstellung
4.2.3 Selbstdarstellung
4.2.4 Kommunikation
4.2.5 Äußere Einflüsse
4.2.6 Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlussfolgerungen

5 Fazit und Ausblick

6 Literaturverzeichnis

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 4.2.1 - 1: Gefühle der befragten Jugendlichen im „Offline-Alltag“ (Q36)

Abbildung 4.2.1 - 2: Gefühle der befragten Jugendlichen im „Online-Alltag“ (Q37)

Abbildung 4.2.2 -1: Registrierung der Jugendlichen bei Facebook (Q1)

Abbildung 4.2.3 -1: Welche Motive zeigen die Bilder auf Facebook (Q15)

Abbildung 4.2.4 -1: Welche Facebook-Funktionen nutzen die Jugendlichen (Q20)

Abbildung 4.2.5 -1: Persönlichkeitsauswirkende Aspekte (Q33)

1 Einleitung

Die Generation der Jugend ist für jede Gesellschaft von enormer Besonderheit. Sie sind diejenigen, die neue Ideen und Erfahrungen mitbringen und so das Werk der Erwachsenen weiterführen. Von Jahr zu Jahr verändern sich dabei jedoch die Lebensbedingungen, in denen die Jugendlichen aufwachsen, sodass sie stets vor neue Herausforderungen gestellt werden. Die größte Herausforderung ist dieser

Lebensabschnitt selbst. Die jungen Menschen befinden sich hier in einer Phase des fundamentalen Wandels, in der sich biologische, kognitive und vor allem soziale Aspekte verändern bzw. entwickeln. Zum einen müssen jungen Menschen lernen, mit dem sich verändernden Körperbild umzugehen, denn dieser erfährt einen enormen Wachstumsschub. Es bilden sich die Geschlechtsmerkmale aus und die Proportionen des Körpers verändern sich (vgl. Oerter/Dreher 2008, S. 274). In diesem Zusammenhang müssen sie nun auch lernen mit ihrer Sexualität umzugehen. Weiter entwickelt sich im Jugendalter die Denk- und Reflexionsfähigkeit (vgl. ebd.), sodass fortan abstraktes, wissenschaftliches und systematisches Denken möglich ist. In diesem Sinn können und müssen sich die Jugendlichen nun auch auf Werte und Ziele für ihre schulische und berufliche Zukunft festlegen. Eine weitere bedeutende Veränderung in dieser Lebensphase vollzieht sich im Umbau der sozialen Beziehungen. Die in der Kindheit wichtigsten Menschen im Leben waren die Eltern. Von diesen lösen sich Jugendliche nun Stück für Stück ab, suchen Unabhängigkeit und orientieren sich dabei vermehrt an den Gleichaltrigen (vgl. Fend 2003, S. 304).

Unter all diesen Aspekten entwickelt sich in der Adoleszenz ein bedeutendes und individuelles Merkmal des Menschen weiter: die Identität. Diese Entwicklung der Identität beginnt bereits in den frühen Jahren der Kindheit, ihren Höhepunkt jedoch erreicht sie in der Jugend und setzt sich dann über die gesamte Lebensspanne fort, denn eine Identität ist niemals endgültig erreicht. Die Jugendlichen beschäftigen sich nun mit Fragen wie: Wer bin ich? Welche Richtung möchte ich in meinem Leben einschlagen? Welche Werte sind mir wichtig? Welche Ziele verfolge ich? Auf diese Fragen gilt es Antworten zu finden, d.h. es folgt eine Zeit der intensiven Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit. Diese Phase wird oftmals als Phase des „Sturm und Drangs“ definiert. Die Jugendlichen entwickeln nun somit eigene Ansichten und Eigenschaften, die wiederrum ständig hinterfragt, verworfen, erweitert oder neu organisiert werden, bis sie sich schließlich auf etwas Bestimmtes festlegen können. Dieses richtungslos wirkende Experimentieren ist für einen jungen Menschen und dessen Entwicklung einer reifen und beständigen Identität jedoch notwendig. Auf diesem Weg kann er sich langsam vom Kind zum Erwachsenen entwickeln und letztmalig in der Kindheit erlernte Verhaltensweisen anwenden, bevor diese aufgegeben und neue Kompetenzen erlernt werden müssen.

Zu den o.g. individuellen Herausforderungen kommt der Umstand der sich ständig verändernden Lebensbedingungen hinzu, sodass sich Jugendliche im 21. Jahrhundert zudem mit Prozessen der Individualisierung und Pluralisierung konfrontiert sehen. Diese Situation stellt sie vor große Aufgaben, weshalb sie sich neben der Familie, den Freunden und der Schule weitere Orientierungspunkte suchen, die ihnen Halt bieten, neue Erfahrungen ermöglichen und einen Raum geben, sich zu entfalten. Diese Aspekte finden Jugendliche heutzutage in den digitalen Medien. Im Zuge der Globalisierung und weltweiten Vernetzung ist das Internet mittlerweile zu einem alltagsbestimmenden Medium avanciert. Dabei bezieht es nahezu jeden Lebensbereich mit ein, sodass im privaten, beruflichen und schulischen Leben vermehrt auf die verschiedenen Möglichkeiten der digitalen Medien zurückgegriffen wird. Diese Medien spielen somit für jedermann eine Rolle wie nie zuvor, natürlich und vor allem auch für die Jugend. Mit dem Web 2.0, auch Social Web genannt, erfolgt hier nicht mehr nur der reine Informationsaustausch, sondern vielmehr soziale Interaktion. Das moderne Web 2.0 macht es seinen Nutzern möglich aktiv mitzugestalten, Dinge zu verändern, hinzuzufügen oder auch zu entfernen, kurz: zu partizipieren.

Dieser Partizipation folgen bspw. die Internet-Seiten der zahlreichen sozialen Netzwerke. Das wohl bekannteste unter diesen Netzwerken ist Facebook. Hier können sich die Nutzer ein persönliches Profil anlegen und die eigene Persönlichkeit online anderen zugänglich machen. Der vermutlich wichtigste Aspekt dieses Netzwerks ist die Verknüpfung des Profils mit zahlreichen Freunden rund um den Globus. Ist man einmal vernetzt, kann man über Facebook mit diesen Freunden kommunizieren und interagieren. Facebook wurde somit entwickelt, „um die Welt offener und transparenter zu machen“ (Facebook 1). Derzeit verzeichnet Facebook die beträchtliche Rekordzahl von über 1 Milliarde Nutzern weltweit.

Speziell die junge Generation nutzt eben diese Angebote von Facebook, da sie hier den eingangs erwähnten Raum zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit vorfinden. Ob, und inwieweit Facebook Einfluss auf die Identitätsentwicklung adoleszenter Menschen nimmt, bleibt zu klären. Dieser Aspekt wird deshalb in der vorliegenden Arbeit genauer betrachtet. Zudem werden hierfür Befragungen von Jugendlichen aus der sich anschließenden empirischen Untersuchung herangezogen. Einer solchen Befragung entstammt das folgende Zitat:

„Mit Facebook lernt man viel über andere Menschen und auch sich selbst und eigene Reaktionen auf bestimmte Dinge, [...] oder auch auf schlimme Dinge, die täglich in der Welt geschehen und auf die man manchmal erst durch Facebook aufmerksam gemacht wird!“ (Zitat einer 19-jährigen weiblichen Befragten)

1.1 Hypothese

Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf der Identitätsentwicklung in der Adoleszenz unter besonderer Berücksichtigung des sozialen Netzwerks Facebook. Es soll untersucht werden, ob und inwieweit diese Internet-Plattform Einfluss auf die jugendliche Identität nimmt. Von besonderem Interesse sind dabei dessen Auswirkungen auf den Teil der Persönlichkeit, den man soziale Identität nennt. In diesem Sinn wird folgende Hypothese aufgestellt:

Die aktive Teilnahme am sozialen Netzwerk Facebook ist bei Jugendlichen im Alter von 16 bis 19 Jahren eine feste Komponente der Identitätsentwicklung. Stärkeren Einfluss erfährt dabei die soziale Identität eines Jugendlichen. Kann mit der empirischen Untersuchung festgestellt werden, dass die Jugendlichen Facebook in ihr Leben integriert haben und dabei ihre Identität von Facebook beeinflusst wird, gilt der erste Hypothesenblock als bestätigt. Wenn darüber hinaus in einem zweiten Schritt belegt werden kann, dass sich dieser Einfluss stärker auf soziale Beziehungen als auf individuelle Persönlichkeitsmerkmale auswirkt, gilt auch der zweite Hypothesenblock als verifiziert. Der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ist somit der individuelle Jugendliche. Auf diese Weise können subjektive Ansichten und Einstellungen gegenüber Facebook erfasst werden.

1.2 Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in zwei Bereiche: einen theoretischen und einen empirischen Teil. Ziel dabei ist die Beleuchtung des Phänomens Facebook im Hinblick auf die jugendliche Identitätsentwicklung. Um diesem Anliegen gerecht zu werden baut sich die Arbeit wie folgt auf:

In Kapitel 2 werden für die Arbeit relevante Begriffsbestimmungen vorgenommen. Diese beziehen sich auf die Adoleszenz, die Identität und das im Social Web 2.0 angesiedelte Facebook.

Daran schließt sich in Kapitel 3 der theoretische Teil dieser Arbeit an. Hier soll in einem ersten Schritt die Omnipräsenz von Facebook skizziert werden, bevor die einzelnen Ebenen dieses Netzwerks unter dem Gesichtspunkt der Identitätsfindung in Augenschein genommen werden. In einem weiteren Schritt werden zum einen die Peergruppen bei Facebook und zum anderen die Familie und deren Einfluss auf die Facebook-Aktivität thematisiert. Darauffolgend wird die mit Facebook möglich werdende negative Auswirkung des Cybermobbings dargestellt. In dem letzten Teil des theoretischen Rahmens wird ein Zwischenfazit gezogen.

In Kapitel 4 werden schließlich die theoretischen Grundlagen anhand einer empirischen Untersuchung überprüft. Hier werden die Ergebnisse fünf verschiedenen Kriterien folgend präsentiert und ausgewertet.

Mithilfe der gewonnenen Daten wird abschließend in Kapitel 5 die aufgestellte Hypothese überprüft. Darüber hinaus schließt die Arbeit mit Anregungen für den Umgang mit Facebook im Hinblick auf diejugendliche Identitätsentwicklung.

2 Begriffsbestimmungen

Im folgenden Kapitel werden als Grundlage für die vorliegende Arbeit relevante Begrifflichkeiten thematisiert und erläutert. So wird es einerseits einen Einblick in das Jugendalter und die damit verbundene Jugendforschung geben. Weiter wird auf Basis der aktuellen Thematik und früherer Theoretiker der Begriff der Identität beleuchtet. Der letzte Bereich der Begriffsbestimmungen wird dem Web 2.0 sowie dem sozialen Netzwerk Facebook nachgehen.

2.1 Adoleszenz

Der Begriff Adoleszenz stammt vom lateinischen adolescere, „heranwachsen“. Die Adoleszenz kann als Phase komplexer körperlicher, kognitiver und sozialer Veränderungen bezeichnet werden, als sogenannte Übergangsphase zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Es gilt neue Kompetenzen zur Erfüllung von Aufgaben und Rollen des Erwachsenenalters zu erwerben, wohingegen Verhaltensformen und Privilegien der Kindheit aufgegeben werden müssen (vgl. Oerter/Dreher 2008, S. 271). Nach Oerter und Dreher (2008) markiert das Eintreten der Pubertät, genauer die Geschlechtsreife, den Beginn der Adoleszenz. Frühere zeitliche und altersbezogene Eingrenzungen dieses Lebensabschnittes sind heute nicht mehr ohne Weiteres durchführbar. Aufgrund des sozialen Wandels und der sich nach hinten verlagernden Ausbildungsdauer im Schul- und Berufsleben kann sich die Adoleszenz bis in die 20er Lebensjahre ausdehnen (vgl. Baacke 1993, S. 42f). Die Psychologie verwendet diesbezüglich den Terminus Adoleszenz, während die Soziologie in diesem Zusammenhang von Jugend als soziales Gruppenphänomen spricht, und die Biologie zumeist den Begriff der Pubertät im Kontext der biologischen Veränderungen verwendet (vgl. Fend 2003, S. 22). Umgangssprachlich wird diese Lebensphase häufig als Jugendalter beschrieben. In der vorliegenden Arbeit werden die Begrifflichkeiten „Jugendalter“ und „Adoleszenz“, sowie die „Jugendlichen“ und „Adoleszenten“ verwendet.

In der Adoleszenz finden Entwicklungen auf biologischer, kognitiver und sozialer Ebene statt. Auf der körperlichen Ebene sehen sich die Jugendlichen fortan mit ihrer biologischen Entwicklung konfrontiert, d.h. aufgrund hormoneller Veränderungen erfährt das vertraute Körperbild einen enormen Wachstumsschub, die Proportionen verändern sich und die sekundären Geschlechtsmerkmale bilden sich aus (vgl. Oerter/Dreher 2008, S. 274)1. Eine weitere Veränderung im Jugendalter bezieht sich auf die kognitive Entwicklung. Die Denk- und Reflexionsfähigkeit wird hier erweitert, sodass neue Formen des Denkens, z.B. die Metakognition, logisches Denken und auch neue Formen des Beobachtens, Vergleichens und Urteilens hinzukommen (vgl. ebd.)2. Sie sind nun in der Lage abstrakt, systematisch und wissenschaftlich zu denken. Dies schließt ebenso die Fähigkeit zur Selbstreflexion mit ein, mögliche Lebensziele auszuprobieren und sich auf bestimmte Ziele festzulegen (vgl. Pinquart/Silbereisen 2002, S. 105f). Auch im sozialen Bereich vollzieht sich im Jugendalter ein drastischer Wandel. Die zunehmende Verselbstständigung der Jugendlichen schließt die Veränderung zwischenmenschlicher Beziehungen, die Erprobung neuer Rollen und den Ausbau sozialer Kompetenzen mit ein (vgl. Oerter/Dreher 2008, S. 274). Kern des Wandels ist die Verschiebung der primären Bezugspersonen, die Individuation (vgl. Pinquart/Silbereisen 2002, S.103). Hier folgt einer zunehmenden Distanzierung von den Eltern eine vermehrte Konzentration auf die Gleichaltrigen. Die Jugendlichen suchen nun mehr und mehr in meist homogenen Gruppen von Gleichaltrigen, den sogenannten Peergruppen, nach Zugehörigkeit, Sicherheit und Verständnis. So haben Peers auch eine besondere Funktion bei der Ablösung von den Eltern. Sie bieten außerhalb der Familie Raum für Autonomie, Halt und Orientierung (vgl. Oerter/Dreher 2008, S. 321) und leisten Hilfestellung beim Bewerten von Handlungen, Erfahrungen und Meinungen. Die Bewertung und Anerkennung durch die Eltern verliert hier somit deutlich an Bedeutung. Studien haben jedoch gezeigt, dass Peers dabei keineswegs die Rolle der Familie ersetzen, sondern diese vielmehr ergänzen und den Gleichgesinnten unterstützend zur Seite stehen. Jugendliche gehören oft gleichzeitig mehreren Peergruppen an, denn in unterschiedlichen Kontexten (z.B. Sportgruppen, Schulgruppen, Religionsgruppen, Freizeitgruppen usw.), die von Zeit und Kontext abhängen, können sie sich jeweils frei bewegen. So haben die Jugendlichen mehrere Optionen sich persönlich zu entfalten.

Zum Thema Jugendforschung finden sich in der Literatur verschiedenste entwicklungspsychologische Adoleszenztheorien. Sie begründet ihren Anfang zu Beginn des 20. Jahrhunderts3, intensiv erforscht wurde das Thema jedoch erst ca. 50 Jahre später. Einen Meilenstein für diese Forschung begründete Sigmund Freud. In seinen

Forschungen zu der Persönlichkeitsentwicklung des Menschen4 lag sein Hauptaugenmerk auf dem Kindesalter, jedoch findet man auch Beiträge zur Jugendforschung. So ist nach Freud die psychische Entwicklung mit dem Eintritt in die Adoleszenz nicht abgeschlossen, sondern es werden vielmehr die Phasen der psychosexueilen Entwicklung erneut, jedoch in veränderterWeise, durchlaufen. Zum einen erfolgt nun eine Verlagerung der libidinösen Objektbesetzungen der Kindheit von den Eltern auf Gleichaltrige, sodass die Bindung an die Eltern erstmals gelockert bzw. gelöst wird. Zum anderen entsteht nach Freud eine neue Kontrollinstanz der Psyche, das sogenannte Ich-Ideal. Diese Struktur resultiert aus der vorangegangen Ablösung von den Eltern und bedeutet gleichzeitig auch die Distanzierung von dem in der Kindheit entstandenen elterngeprägten Über-Ich. Fend beschreibt im Sinne Freuds die Adoleszenz als eine „Phase fundamentalen Wandels der Triebstruktur, der damit verquickten Beziehungsstruktur und den korrespondierenden psychischen Instanzen.“ (Fend 2003, S. 84)

Auch Peter Bios, der im Umfeld von Freud arbeitete, stützt sich auf dessen Theorie. Ihm „verdanken wir eine wesentliche Erweiterung des psychoanalytischen Modells, wie sich in der Adoleszenz die kindliche zur erwachsenen Persönlichkeit wandelt.“ (Fend 2003, S. 90) Für Bios ist die zeitliche Spanne, in der diese Veränderung erfolgt, von zentraler Bedeutung. Er sieht keinen plötzlichen, gleichmäßigen Wandel, sondern differenziert zwischen verschiedenen Phasen5, die sich wiederum aufeinander beziehen, und schreibt diesen je eigene, spezifische Kerngebiete zu (vgl. ebd.). Als erste Phase der Adoleszenz sieht Bios die Präadoleszenz im Alter von 10 bis 12 Jahren. Im Zentrum steht die „Auseinandersetzung mit dem sich verändernden Körperbild“ (vgl. Garlichs/Leuzinger­Bohleber 1999, S. 68). Auf die Präadoleszenz folgt die Frühadoleszenz, in der sich die 13- bis 15-jährigen Adoleszenten mit der ersten Distanzierung von den Eltern konfrontiert sehen. Im Alter von 15 bis 17 Jahren beginnt die mittlere, auch eigentliche Adoleszenz genannt. Während in diesem Altersabschnitt die Frage nach dem „Wer bin ich?“ im Zentrum jugendlichen Handelns steht, geht es in der Spätadoleszenz im Alter von 18 bis 20 Jahren vermehrt um die Antwort, „Das bin ich!“ (vgl. ebd. S. 68f). Die mittlere sowie die späte Adoleszenz repräsentieren somit den ersten aktiven Prozess der Identitätsarbeit, der am Ende weder abgeschlossen noch endgültig ist, sondern vielmehr über das gesamte Leben hinaus weiterverläuft. Aus diesem Grund wird als letzte

Entwicklungsphase die Postadoleszenz genannt. Die 21- bis 25-Jährigen beschäftigen sich nun vermehrt mit dem Ausbau der Identität und somit auch mit detaillierten Planungen bzgl. Beruf und Partnerschaft (vgl. Fend 2003, S. 93).

Die Adoleszenz ist somit eine Phase enormer körperlicher, kognitiver und sozialer Veränderungen. Die Jugendlichen erreichen eine körperliche und geistige Reife, welche wiederum zu neuen sozialen und persönlichen Herausforderungen führt. Die sozialen Beziehungen werden „umgebaut“, um schließlich über eine zunehmende Individuation zur eigenen Identität zu gelangen.

2.2 Identität

Im Jugendalter sehen sich die Adoleszenten, wie eingangs erwähnt, mit neuen Aufgaben und Anforderungen, die es zu bewältigen gilt, konfrontiert. Die Jugendlichen streben fortan bspw. den Aufbau von Peer- und Partnerschaftsbeziehungen an. Ein weiteres Feld ist die Vorbereitung auf den Beruf sowie das Erreichen einer sukzessiven Unabhängigkeit von den Eltern (vgl. Oerter/Dreher2008, S. 273). Damit entstehen gewisse Freiräume, in denen die Jugendlichen die Gestaltung ihres Lebens eigenständig in die Hand nehmen können und so zur wichtigsten Aufgabe der Adoleszenz gelangen, der Entwicklung der Identität. „Durch tägliche Auseinandersetzungen mit Aufgaben im sozialen Kontext von Eltern, von Gleichaltrigen, von Freunden und von Lehrern“ (Fend 2003, S. 210) können die Jugendlichen die eigene Identität aus- bzw. weitergestalten, denn dieser Vorgang beginnt bereits in der Kindheit, findet seinen Höhepunkt jedoch in der späten Adoleszenz. Kinder sind bereits in der Lage sich durch Persönlichkeitseigenschaften zu beschreiben, während der Adoleszenz werden diese jedoch aufgrund der fortschreitenden kognitiven Entwicklung zunehmend differenzierter und abstrakter. Die Bildung der Identität besteht nun in der Definition welche Richtung im Leben eingeschlagen wird, wohin man möchte, wer man ist und welche Werte wichtig sind. Man kann es auch als Suche nach dem eigenen und wahren Wesen bezeichnen (vgl. Berk 2011, S. 546). Oerter und Dreher definieren Identität im allgemeinen Sinn als „einzigartige Kombination von persönlichen, unverwechselbaren Daten des Individuums wie Name, Alter, Geschlecht und Beruf, durch die das Individuum gekennzeichnet ist und von allen anderen Personen unterschieden werden kann.“ (Oerter/Dreher 2008, S. 303) Identität ist folglich die unvergleichliche Persönlichkeit eines Menschen, aus der eigenen und auch aus der Fremdsicht. Wichtig hierbei sind deshalb auch die Aspekte der eigenen Selbstbeschreibung, dem Selbstkonzept, und dessen, wie es bewertet bzw. evaluiert wird, das Selbstwertgefühl. Es wird für den Jugendlichen zunehmend wichtiger wie andere Menschen ihn wahrnehmen. Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass Jugendliche im Kontext der Familie, der Freunde, der Schule oder des Berufs je eine andere Identität zeigen können. Daraus resultiert wiederum die Beschäftigung mit der Frage welches die „echte“ Identität ist. Aus diesem Grund hinterfragt und erweitert ein Jugendlicher stets sein eigenes Selbstbild und so befindet er sich auf dem Weg zu einem geschlossenen Selbst (vgl. ebd., S. 547). Auch der Selbstwert verändert sich in dieser Phase der Entwicklung. Das Gefühl von sich und über sich selbst wird besser, sodass das Empfinden von z.B. persönlicher Reife oder der eigenen Sympathie meist positiv behaftet ist. Korrelieren diese beiden Aspekte, Selbstwert und Selbstkonzept, positiv miteinander, können sie sich wechselseitig verstärken. Ein einfaches Beispiel: Ein Schüler mit guten Leistungen wird vermutlich über ein positives Selbstwertgefühl verfügen und somit schneller sein Selbstbild bestimmen können, als ein Jugendlicher der seinen „Platz im Leben“ noch nicht gefunden hat. Dieser verfügt wahrscheinlich über ein wenig positiv ausgeprägtes Selbstwertgefühl. Somit lässt sich bzgl. der Entwicklung der Identität festhalten: „Eine gut organisierte Selbstbeschreibung und ein differenziertes Selbstwertgefühl bilden für einen Heranwachsenden die kognitive Grundlage für die Entwicklung einer eigenen Identität.“ (Berk 2011, S. 548)

Das anfangs erwähnte Konzept der Auseinandersetzung mit verschiedenen Aufgaben findet seinen Ursprung bei Robert J. Havighurst unter dem Konstrukt der Entwicklungsaufgaben6. Hierbei wird jeder Altersphase eine entwicklungsangepasste Aufgabe zugeschrieben: der Kindheit, der Jugend sowie dem frühen Erwachsenenalter. Die Adoleszenz beinhaltet nach Havighurst folgende Entwicklungsaufgaben:

„(1) Neue und reife Beziehungen zu Altersgenossen beiderlei Geschlechts aufbauen, (2) Übernahme der männlichen oder weiblichen Geschlechtsrolle, (3) Akzeptieren der eigenen körperlichen Erscheinung und effektiven Nutzung des Körpers, (4) Emotionale Unabhängigkeit von den Eltern und von anderen Erwachsenen erreichen, (5) Vorbereitung auf Ehe und Familienleben, (6) Vorbereitung auf eine berufliche Karriere, (7) Werte und ein ethisches System erlangen, das als Leitfaden für das Verhalten dient - Entwicklung einer Ideologie, (8) Sozial verantwortliches Verhalten erstreben und erreichen“ (Dreher/Dreher 1985, S. 59).

Erik H. Erikson zeichnet die Gedanken Freuds und auch Havighursts weiter und fasst die Gesamtheit dieser Vorgänge und Aufgaben während der Adoleszenz und auch dessen Bewältigung unter dem Begriff der Identität zusammen. Identität ist demnach die Kernaufgabe der Adoleszenz (vgl. Fend 2003, S. 403). Hierzu hat Erikson ein sogenanntes Stufenmodell der Persönlichkeitsentwicklung7 erarbeitet und unterscheidet darin acht sich voneinander abgrenzende Stufen der psychosozialen Entwicklung, ab dem ersten Lebensjahr hin zu dem hohen Erwachsenenalter, mit je eigenen Konflikten und Krisen, mit denen sich der Mensch aktiv auseinandersetzen muss. Demzufolge ist nach Erikson die Identitätsbildung ein lebenslanger Prozess (vgl. Erikson 1993, S. 141), der jedoch in der Adoleszenz seinen Höhepunkt findet. Dabei folgt dieser Prozess einigen Gesetzmäßigkeiten: „(1.) das Erreichen früher Entwicklungsstufen ist eine notwendige Voraussetzung für das Erreichen späterer Entwicklungsstufen, (2.) die Stufensequenz ist nicht umkehrbar [...], (3.) für jede Entwicklungsstufe gibt es eine optimale (organismische) Zeit des Auftretens“ (Kruse/Schmitt 2002, S. 128). Die Korrelation der einzelnen Stufen und das erfolgreiche Bewältigen vorangegangener Entwicklungsaufgaben ermöglichen dem Jugendlichen, unter dem Aspekt des Erwerbs neuer Kompetenzen8, die Entwicklung und Ausarbeitung der eigenen Identität. Erikson bezeichnet den aufkommenden Konflikt bzw. die Krise der Adoleszenz als „Identität versus Identitätsdiffusion“. Die Identitätsfindung verläuft demnach nicht ohne Komplikationen, sondern vollzieht sich gemäß Erikson als überwindbare, normative Krise (vgl. Erikson 1993, S. 144). Im Allgemeinen variiert die Aufgabe der Identitätsentwicklung in unterschiedlichen Gesellschaften bzgl. der Dauer, der Intensität und der Ritualisierung (vgl. Erikson 2003, S. 159). Jugendliche in komplexen Gesellschaften erleben eine Identitätskrise, eine Zeit der Verwirrung und Anspannung. Es werden Alternativen erprobt, bereits verkörperte Eigenschaften hinterfragt, um sich schließlich auf etwas Bestimmtes festzulegen. Erikson nennt dies das psychosoziale Moratorium. Dies ist eine Periode, in der ein Jugendlicher „durch freies Experimentieren mit Rollen einen passenden Platz in irgendeinem Ausschnitt der Gesellschaft finden sollte, einen Platz, der fest umrissen ist und doch auch ausschließlich für ihn gemacht zu sein scheint.“ (ebd. S. 160) Dies bedeutet, dass das soziale Umfeld einen Raum zur Verfügung stellen muss, in dem sich die Adoleszenten ausprobieren können, der ihnen zeigt, dass die Bedürfnisse und Fähigkeiten akzeptiert und verwirklicht werden können, der ihnen Anerkennung schenkt und ihnen eine erreichbare Zukunft aufzeigt. Ein psychosoziales Moratorium ist somit eine für Erikson notwendige Phase des Aufschubs erwachsener Verpflichtungen, denn durch diesen Prozess des Experimentierens und der Bestätigung seitens der Gesellschaft, also der Selbstfindung, gelangen Jugendliche nach und nach zu einer reifen und beständigen Identität. Die eigene Identität nimmt man nach Erikson dann am bewusstesten wahr, wenn man aktiv an ihr arbeitet oder dabei ist in das Stadium der Identitätsdiffusion einzutreten (vgl. ebd. S. 170). Die Identitätsdiffusion äußert sich bspw. in Arbeitslähmungen, bei denen sich der Jugendliche nicht auf seine Arbeit konzentrieren kann, oder in einer Identitätsbefangenheit, in der ein Jugendlicher sich nicht als Einheit erkennen und darstellen kann (vgl. Fend 2003, S. 406). Um aktiv an der eigenen Identität zu arbeiten ist ebenfalls das Bewusstsein von sich selber von zentraler Bedeutung. Der Jugendliche muss sich angesichts der aufkommenden Turbulenzen in der Adoleszenz identisch mit seiner eigenen Person fühlen. Erikson spricht hier von dem Gefühl der Gleichheit und Kontinuität. Auch das Gegenüber muss bzw. kann dann diese Aspekte in ihm erkennen und akzeptieren. Identität entsteht also im Sinne Eriksons „an den Schnittstellen von persönlichen Entwürfen und sozialen Zuschreibungen.“ (vgl. Krappmann 1998, S. 67)

Aufbauend auf Erikson hat James E. Marcia vier verschiedene Identitätszustände herausgearbeitet: die erarbeitete Identität, die übernommene Identität, das Moratorium und die diffuse Identität9 (vgl. Fend 2003, S. 407ff). Zur Bestimmung des Identitätstypus findet man wiederum zwei Dimensionen, die Exploration, d.h. die aktive Suche und das Ausprobieren von neuen Möglichkeiten und Alternativen, und zum anderen Commitments, die unterschiedlichen inneren Verpflichtungsgefühle gegenüber neuen Werten. Eine erarbeitete Identität wird bspw. durch eine intensive Explorationsperiode erlangt, d.h. durch die Suche und die Festlegung auf bestimmte Werte und Ziele. Charakteristika dieses Zustandes sind u.a. Zielstrebigkeit, Ruhe, ein hoher Selbstwert, Resistenz gegen soziale Beeinflussung, Bestimmtheit, die Offenheit für etwas Neues und die Kontrolle über das eigene Leben (vgl. Flammer/Alsaker 2002, S. 161; Berk 2011, S. 549). Die Jugendlichen mit einer übernommenen Identität dagegen haben die Explorationsphase ausgelassen, denn sie haben sich wenig aktiv um eine eigene Position bemüht, sondern vielmehr die Werte von Anderen, wie z.B. den Eltern, schlichtweg übernommen, ohne diese zu überprüfen (vgl. Berk 2011, S. 551). Diese Jugendlichen kann man als stressanfällig und ängstlich beschreiben, die wenig offen für Neues sind. Sie verfügen über einen hohen, aber verletzbaren Selbstwert, sie sind gehorsam und stehen für Autorität (vgl. Flammer/Alsaker 2002, S. 161). Wer sich in dem jugendtypischen Stadium des Moratoriums befindet, hat sich in einer Explorationsphase zwar intensiv mit Werten und Überzeugungen auseinandergesetzt, sich jedoch noch nicht endgültig auf eine eigene Position festgelegt. Diese Jugendlichen sind engagiert in dem was sie tun, gleichzeitig sind sie jedoch auch ängstlich im Bereich der Festlegung. Sie sind offen für Neues, haben aber im Gegenzug wenig feste Strukturen aufzuweisen (vgl. ebd. S. 162). Als letzten Identitätsstatus ist die diffuse Identität zu nennen. Hier verfügen die Jugendlichen über einen niedrigen Selbstwert und lassen sich aufgrund fehlender Exploration und innerer Festlegung durch Unentschlossenheit und Desinteresse beschreiben. Sie bauen weder eine eigene Position auf, noch kümmern sie sich darum, d.h. sie sind enorm zurückhaltend was soziale Beziehungen betrifft, ihnen fehlt eine klare Richtung im Leben (vgl. ebd.). Da sie meist von einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit begleitet sind, sind sie bzgl. der Identitätsfindung am wenigsten reif (vgl. Berk 2011, S. 551).

In der Forschung gehen verschiedene Identitätskonzepte davon aus, dass eine Identität komplexe Strukturen aufweist. Eine Vielzahl an Eigenschaften beeinflusst die Art und Weise einer Identität, d.h. es existiert nicht die eine „wahre“ Identität, sondern eben mehrere Teil-Identitäten10 (vgl. Döring 2003, S. 325). Die grundlegende Unterscheidung liegt hier im Bereich der persönlichen versus der sozialen Identität, wobei die Grenze fließend ist (vgl. ebd. S. 331). Sie bedingen einander und sind folglich nicht klar voneinander trennbar. In der Literatur findet man für die persönliche Identität verschiedenste Termini, persönliche, individuelle oder subjektive Identität, Ich-Identität, Identitätsgefühl, Selbst-Identität u.v.m., die die Einzigartigkeit eines Individuums und somit das Gefühl des Sich-Wahrnehmens und des bewussten Sich-mit-sich-selbst- Identifizierens ausdrücken. Die persönliche Identität deckt demzufolge gleichzeitig Persönlichkeitsmerkmale wie Name, Alter, Geschlecht, Größe usw. ab, aber eben auch die Fähigkeiten, Ziele und Werte mit denen sich eine Person selbst identifiziert (vgl. ebd.). Erikson versteht unter der persönlichen Identität folgendes:

„Das Gefühl der Ich-Identität ist also das angesammelte Vertrauen darauf, daß der Einheitlichkeit und Kontinuität, die man in den Augen anderer hat, eine Fähigkeit entspricht, eine innere Einheitlichkeit und Kontinuität (also das Ich im Sinne der Psychologie) aufrechtzuerhalten.“ (Erikson 1993, S. 107)

Turner definiert die persönliche Identität als „die Selbstdefinition als einzigartiges Individuum im Sinne einer interpersonellen oder intragruppalen Differenzierung.“ (Simon/Trötschel 2007,S. 173) Der Begriff der sozialen Identität geht auf Tajfel und Turner zurück. Unterschiedlichste Untersuchungen zu Identifikationsprozessen haben gezeigt, dass in engen sozialen Beziehungen auch das Gegenüber in die eigene Identität mit eingeschlossen wird. Dadurch erweitert sich die Identität um eine weitere Komponente, die soziale Identität, denn der Mensch erlangt die Fähigkeit sich in unterschiedlichen Kontexten wie Familie, Freunde, Schule usw. sozial einzubinden und sich so mit diesen Gruppen zu identifizieren (vgl. ebd. S. 171). Tajfel und Turner haben diesbezüglich die Theorie der sozialen Identität der Intergruppenbeziehungen erarbeitet. Hier wird zwischen zwei Kategorien unterschieden: der Eigengruppe, als die Gruppe, zu der man gehört, und der Fremdgruppe, als die Gruppe, zu der man nicht gehört. Nach Tajfel und Turner kann der Mensch nun aufgrund seiner Gruppenzugehörigkeit eine soziale Identität entwickeln, die der Teil einer Person ist, die aus dem Bewusstwerden über die Zugehörigkeit zu einer Gruppe und der emotionalen Verbundenheit und Bedeutung dieser Zugehörigkeit entsteht (vgl. ebd. S. 172). Soziale Identität ist also die Interpretation der eigenen Person als Gruppenmitglied sowie die Übernahme der Gruppenwerte in die Identität. Im Zuge einer solchen Gruppenbeziehung und der daraus resultierenden sozialen Identität hat der Mensch das Bedürfnis seine Eigengruppe positiv von den Fremdgruppen abzuheben, was wiederum zu Diskriminierungen führen kann (vgl. ebd.). Gehört z.B. ein Jugendlicher einer sozial schwachen Gruppe an, ist seine soziale Identität wenig positiv behaftet. Er fühlt sich von Äußerungen durch die Fremdgruppen wie z.B. „Wir sind sowieso viel cooler als die!“ diskriminiert und entwickelt Methoden, um sich aus der Lage zu befreien und letztlich eine positiv behaftete soziale Identität zu erreichen. Diese können auf persönlicher Ebene der Austritt und Wechsel der Gruppe sein, oder sich auf der Gruppenebene z.B. durch die Anfechtung dieser Meinung äußern. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Identifiziert sich ein Individuum mit sich selbst, nämlich über individuelle Unterschiede zu anderen Menschen, und hebt sich dadurch von diesen ab, spricht man somit von persönlicher Identität. Identifiziert sich dagegen eine Person mit einer Gruppe, der sie angehört, und sieht die Merkmale und Interessen dieser in sich vereint, spricht man von sozialer Identität. Zur sozialen Identität zählen auf der Basis der Gruppenzugehörigkeiten verschiedene Identitäten. Da man hier einer bestimmten Gruppe angehört sind auch Teil-Identitäten wie die kulturelle, berufliche, religiöse und auch die digitale Identität unter das Konstrukt der sozialen Identität zu fassen.

Das heutige Verständnis von Identität hat sich im Vergleich zu den eben beschriebenen Theorien weiterentwickelt. Erikson ging davon aus, dass am Ende der Adoleszenz eine einheitliche und stabile Identität durch das notwendige Experimentieren im psychosozialen Moratorium erreicht wird. Aufgrund der sich verändernden Lebensbedingungen im Zuge des gesellschaftlichen Wandels durch Individualisierung, Pluralisierung und Globalisierung ist jedoch eine Anpassung der jugendlichen Identitätsgenese erforderlich geworden. So ist die Entwicklung der Identität zu einer Daueraufgabe geworden, bei der die Identität nicht endgültig erreicht werden kann, sondern vielmehr ständig weiterentwickelt wird, sie muss immer wieder neu „erkämpft“ und angepasst werden. Versuche, diese neue Form der Identitätsentwicklung begrifflich zu definieren, erfolgten bspw. unter dem Konstrukt der „Bastelexistenz“ nach Hitzler und Honer (vgl. Hitzler/Hohner 1994) oder den „Patchwork-Identitäten“ nach Keupp (vgl. Keupp 2008). Beide Theorien gehen davon aus, dass sich eine Identität aus mehreren Teilidentitäten, abhängig vom jeweiligen Kontext, zusammensetzt. Dabei fordern die Autoren eine aktive und kreative Eigenleistung des Menschen bei der Identitätsarbeit, nach Keupp kann sie in ihrer „spezifischen Ästhetik farbig und bunt erscheinen“ (Keupp 2008, S. 10). Identität entsteht und festigt sich somit nicht nur während der Adoleszenz, sondern vielmehr durch eine ständige Neuinterpretation und Anpassung an die bestehenden Gegebenheiten über das gesamte Leben, und dies durch sich wechselnde und integrierende, also kollektive Entwürfe. Bei Sherry Turkle findet sich die Definition der „multiplen Identität“, bei dessen Entwicklung dem Internet eine besondere Relevanz zuzusprechen ist. Für das von Erikson postulierte psychosoziale Moratorium sieht die Autorin aufgrund der heutigen gesellschaftlichen Bedingungen keinen Platz im alltäglichen Leben, sodass es sich nun in die Räume des Internet verlagert hat (vgl.Turkle 1998, S. 329). Hier sieht Turkle den idealen Raum für das Experimentieren mit verschiedenen Identitätsentwürfen und nennt es ein „Soziallabor für Experimente mit [...] Ich-Konstruktionen und -Rekonstruktionen“ (ebd. S. 289). Diesen Ausführungen zufolge ist Identität nicht endgültig erreichbar, sondern sie entwickelt sich stetig weiter und integriert immer wieder neue Entwürfe und lässt sie wieder fallen. Die Entwicklung der Identität ist ein lebenslanger Prozess, dessen Höhepunkt nach wie vor im Jugendalter erreicht wird, da hier erste Festlegungen bzgl. der eigenen Zukunft getroffen werden. Dabei besteht Identität aus sich kontinuierlich wechselnden Teilidentitäten.

Wie sich letztlich eine Identität ausformt, wird, wie bereits deutlich wurde, durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Zum einen bspw. durch die persönliche Wahrnehmung der eigenen Person in der Auseinandersetzung mit sich selbst, eigenen Überzeugungen und Wertvorstellungen. Weiterhin kommt der Familie eine besondere Funktion zu. Bietet sie dem Jugendlichen nach Berk (vgl. 2011, S. 552) eine „sichere Ausgangsbasis“, hat er die Möglichkeit sich frei in die Welt hinauszubewegen um eigene Erfahrungen zu sammeln. Ein ausgewogenes Verhältnis von enger Bindung und Distanz erweist sich als förderlich für die Identität. Wird eine freie Meinungsäußerung und offene Kommunikation innerhalb der Familie geboten, neigt ein Jugendlicher zu den von Marcia beschriebenen Zuständen der erarbeiteten Identität oder des Identitätsmoratoriums. In umgekehrter Weise erreichen die Jugendlichen meist nur die diffuse Identität, oder bei einer engen Bindung zu den Eltern, jedoch der fehlenden Möglichkeit von gesunder Distanz, lediglich die übernommene Identität. Auch die Freunde bilden nach Berk eine weitere Ebene bei den Einflussfaktoren auf die Identitätsfindung. Sie bieten, wie oben erwähnt, die Chance verschiedene Positionen und Rollen zu explorieren. Neue Werte, Ideen, Rat und Unterstützung bedingen eine wechselseitige Beeinflussung, sodass sich Jugendliche gegenseitig als Vorbilder bei der eigenen Identitätsentwicklung dienen können. Weiter kann die Schule auf verschiedene Arten unterstützend bei der Identitätsfindung sein. Ein gutes schulisches Selbstwertgefühl, welches durch Notengebung und Ermutigungen seitens der Lehrer entsteht, korreliert mit einer „gesunden Identität“. Auch praktische und berufliche Trainingsprogramme oder außerschulische Aktivitäten in z.B. Gemeinden nennt Berk als förderlich auf dem Weg zu einer eigenen, stabilen Identität.

Heutzutage gewinnt im Hinblick auf die adoleszente Identitätsentwicklung ein weiterer wichtiger Aspekt an Bedeutung: die digitalen Medien. In unserer Gesellschaft kann speziell das Internet mit seiner Vielzahl an Möglichkeiten einen großen Einfluss auf die Entwicklung und somit auch auf die Identitätsfindung haben. Im folgenden Abschnitt wird der Begriff des Social Web 2.0 thematisiert. Weiter wird auf die damit verbundene Möglichkeit der Nutzung von sozialen Netzwerken wie Facebook eingegangen.

2.3 Das soziale Netzwerk Facebook im Web 2.0

Digitale Medien sind längst zu einem festen Bestandteil des alltäglichen Lebens geworden. In nahezu keinem Bereich unseres Lebens lässt sich heute auf einen Computer und besonders auf ein Smartphone oder Tablet-PC verzichten. In Beruf, Ausbildung und im privaten Leben wird meist sogar täglich der Computer und auch das Internet genutzt. Für jedermann, im Fall der vorliegenden Arbeit jedoch speziell für Jugendliche, spielen diese Medien mittlerweile eine Rolle wie nie zuvor. Anhand des modernen Begriffs „Web 2.0“ lässt sich bereits eine über die Zeit gesehene Veränderung der Nutzung und Verfügbarkeit dieser Medien ausmachen, denn das früher vorherrschende, eher passive Such-Internet im Sinne des Web 1.0 machte 2004 den Weg frei für das von Tim O’Reilly geprägte interaktive Social Web 2.0. In diesem Web 2.0 können Nutzer nun im Sinne eines Autors oder Produzenten aktiv und dynamisch verschiedene Internetauftritte bzw. Webseiten mitgestalten und mitbestimmen, d.h. es besteht die Möglichkeit neue Inhalte hinzuzufügen, bestehende Inhalte zu verändern oder auch zu löschen. Im eigentlichen Sinn kann daher auch vom „Sozialen Netz“ gesprochen werden, da der Großteil der stattfindenden Aktivitäten nicht mehr nur den Informationsaustausch, sondern vielmehr soziale Kommunikation und Interaktion betrifft.

Dieser angesprochenen Partizipation folgen bspw. Internetseiten wie die Online Enzyklopädie Wikipedia, das Videoportal YouTube oder auch soziale Netzwerke wie Facebook, auf denen die Inhalte ausschließlich durch die Nutzer generiert werden (vgl. Münker2010, S. 31). Münker sieht in der Erscheinung des Web 2.0 „nicht weniger als eine radikale Neuerfindung des Internet.“ Die Tatsache, dass das Internet über einen langen Zeitraum eine Plattform war, die lediglich Informationen für deren Nutzer bereitstellte, wandelte sich somit mit der Entstehung des Web 2.0. Die zentralen Grundgedanken des modernen sozialen Web 2.0 sind Kommunikation, Interaktion und Partizipation, also soziales Interagieren im Onlineraum, was schließlich den Schlüssel des Erfolgs des neuen Webs darstellt (vgl. ebd. S. 33).

Besonders bei Jugendlichen nimmt dieses soziale Internet einen sehr hohen Stellenwert ein. Es bietet ihnen die Möglichkeit in Netzwerken wie Facebook persönliche Profile zu erstellen und dieses wiederum mit denen von Anderen, meist Freunden, zu verknüpfen11. Sie können sich dort mitteilen, Positionen beziehen und im Gegenzug eine Reaktion von anderen Nutzern fordern bzw. erwarten (vgl. Richard/Grünwald/Recht/Metz 2010, S. 15). Soziale Medien werden folglich überhaupt erst durch den gemeinsamen Gebrauch der Nutzer möglich. Auf der Webseite von Facebook äußern sich die Entwickler in den Facebook-Grundsätzen wie folgt:

„Wir entwickeln Facebook, um die Welt offener und transparenter zu machen, was unserer Meinung nach zu einem besseren gegenseitigen Verständnis und einer engeren Bindung führen wird. Facebook fördert Offenheit und Transparenz, indem es Einzelpersonen eine größere Mitsprache beim Austausch von Informationen und Herstellen von Verbindungen gibt.“ (Facebook 1)

Facebook wurde 2004 von Mark Zuckerberg gegründet und hat seinen Sitz im amerikanischen Palo Alto. Zu Beginn war es als Kommunikationsplattform für Studenten der Harvard University gedacht. Diese örtliche Einschränkung war jedoch schnell überholt und Facebook wurde kurze Zeit später auch für Studenten anderer amerikanischer Universitäten und schließlich weltweit für jeden Nutzer ab 13 Jahren12 zugänglich. Im Oktober 2012 wurde diesbezüglich bekanntgegeben, dass die Marke von einer Milliarde aktiven Nutzern durchbrochen wurde. Innerhalb kürzester Zeit ist Facebook zum größten sozialen Netzwerk im Web 2.0 geworden.

Facebook-Nutzer haben in ihrem Account zwei Optionen: einerseits das Profil und andererseits die Startseite. Auf der Profilseite findet man die selbst eingestellten Daten bzw. Merkmale des Besitzers wie das Profilbild, persönliche und berufliche Informationen, Bilder sowie die Posts13 des Profilbesitzers. Auch Kommentare von Anderen zu diesen Posts sind zu sehen. Diese Ebene zeigt das Profil in unveränderbarerWeise14, wie es von den Freunden gesehen wird. Freunde können durch Freundschaftsanfragen dem jeweiligen Profil hinzugefügt werden, wobei jedoch auch die Möglichkeit besteht eine solche Anfrage abzulehnen. Auch bleibt es dem Profil-Besitzer überlassen, ob sein Facebook-Profil nur für Freunde oder für jeden sichtbar ist. Auf der Startseite werden wiederum die eigenen und die Posts der Freunde nach Aktualität sortiert angezeigt. Die Startseite eines Facebook-Accounts ist mit der Pinnwandfunktion die eigentliche Kommunikationsebene der Plattform, auf der man alle Neuigkeiten erfährt und, sofern die Freunde aktiv sind, auf den neusten Stand gebracht wird. Hierbei ist jedoch eine Einschränkung zu beachten: Facebook hat 2012 einen Algorithmus namens Edgerank entwickelt und eingeführt, der für die Sichtbarkeit der Posts verantwortlich ist. Dieser verhindert, dass jeder Post der Freunde sichtbar wird. In den persönlichen Einstellungen von Facebook muss nunmehr eingestellt werden, ob und wer die eigenen Posts sehen kann und welche man selbst von den Freunden sehen möchte. Wird diese Einstellung nicht vorgenommen, erscheinen lediglich zwölf Prozent der durchschnittlichen Posts (vgl. Haaf 2013, S. 90.).

Facebook stellt mit dem Chat15, sowie der Statusmeldung- und Kommentar-Funktion Kommunikationsebenen zur Verfügung, die den Kontakt mit Freunden über das Internet erheblich erleichtern. Weiterhin hat ein Nutzer die Möglichkeit all das, was auf der Start- und Profilseite zu sehen ist, zu bewerten. Dies kann in Form eines Kommentares geschehen, durch einen Klick auf den Button „Gefällt mir“16 oder „Teilen“. Mit dieser Funktion kann z.B. ein Video eines Freundes für die eigenen Freunde veröffentlicht werden.

Zentraler Gedanke von Facebook ist somit die oben erwähnte Offenheit und Transparenz im Sinne von aktiverTeilnahme, Kommunikation und Interaktion.

„Eine unkommentierte Aussage ist eine nicht gehörte Aussage. Ein inaktiver User wird nicht wahrgenommen, weil er nicht teilnimmt - sich dem Informationsfluss entzieht. Anwesenheit alleine schafft noch keine Existenz. Und Existenz wird nur über aktive Teilnahme erzeugt.“(Richard/Grünwald/Recht/Metz 2010, S. 92)

In diesem Sinn ist Facebook eine benutzergenerierte Kommunikationsplattform, die zur Selbstdarstellung, zur Beziehungspflege und für die Auseinandersetzung mit der Umwelt genutzt werden kann. Somit kann es als ein entscheidender Faktor bei der Identitätsfindung in der Adoleszenz verstanden werden. Diesem Aspekt wird im folgenden Kapitel nachgegangen.

3 Identitätsentwicklung in der Adoleszenz unter besonderer Berücksichtigung des sozialen Netzwerks Facebook

Die digitalen Medien haben uns erreicht. Ein Leben ohne Computer, Smartphone & Co. ist für viele Menschen und besonders für Jugendliche kaum vorstellbar und in der Praxis nahezu ausgeschlossen. Tagtäglich spüren wir die Allgegenwärtigkeit dieser Medien. Ob in der Schule oder Ausbildung, im Beruf, im Privaten oder der Politik kann dieses Phänomen kaum umgangen werden, denn beinahe jeder Bereich ist involviert und kann nicht auf die modernen Geräte und Handhabungen verzichten. Die digitalen Medien sind mittlerweile zu einem selbstverständlichen Teil unseres Alltags geworden.

In diesem Zusammenhang untersucht der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest (mpfs) jährlich mit der Langzeitstudie Jugend, Information, (Multi-) Media (JIM- Studie) die Medienentwicklung und den generellen Medienumgang von 12- bis 19­jährigen Jugendlichen in Deutschland17. In der aktuellen 15. Studie aus dem Jahr 2012 wurden 1.201 Jugendliche in einer repräsentativen Stichprobe telefonisch befragt (vgl. mpfs1,S.4). Die Studie hat u.a. gezeigt, dass Computer bzw. Laptop, Handy, Fernseher und Internetzugang als Mediengrundausstattung in allen deutschen Haushalten vorhanden sind (vgl. ebd. S. 6). Dadurch besteht beinahe für jeden die Möglichkeit die Angebote des Social Web zu nutzen. Vermehrt rücken dabei die Angebote der sozialen Netzwerke ins Zentrum, wobei Facebook mit 77 Prozent die mit Abstand meistgenutzte Online-Community unter Jugendlichen darstellt (vgl. ebd. S. 41).

Doch was macht den Reiz von Facebook für Jugendliche überhaupt erst aus? Die zentralen Schlüsselbegriffe sind dabei Selbstdarstellung, Kommunikation und Interaktion. Adoleszenten wird durch das Social Web die Möglichkeit geboten, diese Aspekte aus dem real erlebten Alltag in den digitalen Raum zu transformieren. Sie können mittels Facebook kommunizieren, sich selbst darstellen, eigene Grenzen kennenlernen und sich ausprobieren, Erfahrungen sammeln, Antworten auf Probleme finden oder sich von den Erwachsenen abgrenzen. Die Optionen, die Facebook jungen Menschen bietet, scheinen, da sie virtuell stattfinden, grenzenlos zu sein. Und eben das macht Facebook zu einem enorm spannenden und spektakulären Medium für Jugendliche. Aus diesem Grund ist die Thematik so aktuell wie nie zuvor und bedingt somit die intensive Auseinandersetzung mit den daraus resultierenden Herausforderungen und Problemen, besonders im pädagogischen Forschungsfeld. Jugendliche stehen in ihrer Entwicklungsphase ohnehin vor neuen Herausforderungen und Aufgaben, zudem sehen sie sich heute mit der genannten Thematik konfrontiert. Besonders im Kontext der Identitätsentwicklung während der Adoleszenz können die digitalen Medien und sozialen Netzwerke wie Facebook starken Einfluss nehmen. Es gilt somit die Affinität der Jugendlichen zu den digitalen Medien motivierend einzusetzen und einen sinnvollen Umgang, im Sinn von Medienkompetenz, aufzubauen, zu kontrollieren und zu stärken, um sie auf aufkommende Probleme bzgl. der Medienwelt vorzubereiten. Auch oder gerade weil diese Jugendlichen in das heutige digitale Zeitalter hineingeboren sind, scheint dies ein zentrales Anliegen zu sein. Man nennt diese Generation die „Digital Natives“18, also junge Menschen die nach 1980 in diese uns bekannte digitale Welt geboren wurden und damit bestens vertraut sind (vgl. Palfrey/Gasser 2008, S. 1). Im Vergleich dazu werden diejenigen, die nicht mit den Anwendungen und Möglichkeiten des Internets von Beginn an vertraut sind, sondern diese erlernen und sich langsam daran gewöhnen mussten, digital immigrants genannt (vgl. ebd. S. 4). Für die digital natives sind jedoch sämtliche Erscheinungen rund um das Internet und der damit verbundene Umgang zur Selbstverständlichkeit geworden. Sie sind mit ihm (ausgewachsen und eignen sich neue Programme oder Funktionen mühelos, oftmals spielerisch an. Ein ständiges miteinander vernetzt sein gehört für sie zum Alltag, wobei sie selten und teilweise gar nicht zwischen online und offline unterscheiden (vgl. ebd.). Problematisch ist allerdings die gängige Auffassung, dass sie sich bei der Informationssuche und -beschaffung völlig auf das Internet verlassen können. Weiter kann man Defizite im Bereich der Datensicherheit erkennen. Aus diesen Gründen ist die o.a. Stärkung der Medienkompetenz von enormer Bedeutung, um ihnen eine Orientierung in der komplexen und ambivalenten digitalen Welt zu ermöglichen.

Die folgenden Kapitel beleuchten die Korrelation zwischen Facebook und Identitätsfindung. Im ersten Teil wird gezeigt, dass das Phänomen Facebook mittlerweile omnipräsent und somit unumgänglich geworden ist. Im zweiten Teil konzentriert sich die vorliegende Arbeit auf die von Facebook zur Verfügung gestellten Werkzeuge im Hinblick auf die Identitätsentwicklung. Daran anschließend werden die Peers bei Facebook und der familiäre Einfluss auf die Internetaktivität der jungen Menschen betrachtet. Zudem werden im darauffolgenden Kapitel auch die möglichen negativen Folgen der Facebook- Nutzung aufgezeigt. Abschließend wird ein Zwischenfazit gezogen.

3.1 Die Omnipräsenz des Phänomens Facebook

Seit 2008 ist die deutsche Version von Facebook verfügbar. Der anfangs eher geringe Zuwachs an Besuchern19 verzeichnet in den letzten Jahren eine deutliche Steigerung. Mit mittlerweile 25,1 Millionen aktiven Nutzern in Deutschland loggt sich fast jeder vierte Deutsche mindestens einmal im Monat bei Facebook ein (vgl. Statista 1). Ein solches Wachstum lässt sich besonders auf die Möglichkeit der mobilen Internetnutzung zurückführen, denn Werbefilme wie der der Deutschen Telekom AG zeigen die Omnipräsenz der digitalen Medien und suggerieren dem Zuschauer damit gleichzeitig eine „bessere“ Welt via Internet. Die Werbung zur ,,LTE Mobilfunktechnologie - Digitale Welt“ verspricht:

„Es gibt eine Welt, in der Unterricht Begeisterung entfacht, in der man alles ohne Bargeld bezahlen und das zu Hause von unterwegs steuern kann, in der man seltener zur Sprechstunde muss und immer live dabei ist, in der Autos Parkplätze finden und Büros überall sein können. Eine Welt, in der man gemeinsam viel erreichen kann. In diese Welt nehmen wir Sie mit.“ (Telekom 1)

Durch diese Möglichkeit zur mobilen Internetnutzung, bspw. durch Smartphones, können die Benutzer somit zeit- und ortsunabhängig auf das Internet und damit auch auf Facebook zugreifen. Zusätzlich hierzu gibt es die Möglichkeit der Nutzung von zahlreichen Apps20, die die Benutzung dieses mobilen Internets erleichtern. Die eigens von Facebook herausgegebene Facebook-App ermöglicht dem Benutzer „schneller als jemals zuvor mit Freunden auf dem Laufenden“ (Facebook 3) zu bleiben, da hier kompakt sämtliche Funktionen von Facebook zur Verfügung stehen und genutzt werden können.

Die Aktualität von Facebook wird, wie oben beschrieben, somit auch im Bereich der Werbung offensichtlich. Betrachtet man weiter die Print-Werbung in Zeitschriften oder auf Plakaten findet sich oftmals am unteren Bildrand das Logo von Facebook. Auch verschiedene Unternehmen setzen in ihrer TV-Werbung verstärkt auf den Einflussbereich von Facebook und verweisen häufig am Ende des Films auf ihre dortige Seite.

Aufgrund dieser Omnipräsenz von Facebook in den Medien wird das Thema auch im privaten Alltag zunehmend relevanter. Der Gesprächsdiskurs von Jugendlichen schließt bei den unterschiedlichsten Themen Facebook mit ein. So kann man, z.B. wenn Jugendliche aufeinander treffen, häufig beobachten, wie im Gespräch der Austausch von Neuigkeiten mit Facebook in Verbindung gesetzt wird.

Unter dem Gesichtspunkt der Omnipräsenz der digitalen Medien und folglich von Facebook deuten o.g. Aspekte auf einen hohen Stellenwert für das persönliche Leben hin. Der immer häufigere Gebrauch von Facebook ist zu einem festen Bestandteil des Lebens geworden und prägt dadurch den Nutzer, hier besonders den Jugendlichen, zunehmend. Ein täglicher Kontakt weckt Interesse, zugleich steigert es die Einflussnahme. Die Erarbeitung und Findung der eigenen Identität während der Adoleszenz setzt eine tägliche Auseinandersetzung mit verschiedenen Aufgaben in unterschiedlichen sozialen Kontexten voraus (vgl. Fend 2003, S. 201). Aufgrund der Omnipräsenz und des häufig täglichen Umgangs kann Facebook als neuer Aspekt in die aktive und tägliche Identitätsarbeit intergiert werden. Welche Möglichkeiten sich dabei den Jugendlichen bieten wird im folgenden Kapitel näher erläutert.

3.2 Facebook und seine Möglichkeiten für die Jugend

Wie bereits in Kapitel 2.3 beschrieben, stellt Facebook den jugendlichen Benutzern verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung um bspw. mit den Freunden in Kontakt zu treten. Im folgenden Kapitel werden die grundlegendsten Bausteine unter besonderer Berücksichtigung der Auswirkung auf die Identitätsgenese analysiert. Dabei werden im Sinn von Jan-Hinrik Schmidt Identitäts- und Beziehungsmanagement21 im Kontext der verschiedenen Tools bei Facebook genauer betrachtet. Zum einen betrifft dies das persönliche Profil, weiter wird die Funktion der Gruppen analysiert. Darüber hinaus wird es einen Einblick in die verschiedenen Kommunikationsbereiche bei Facebook geben. Hierzu zählen mehrere Optionen, wie eigene Posts und Statusmeldungen, die Kommentar-, Like- und Teilen-Funktion, aber auch der Chat und die Nachrichten­Funktion.

3.2.1 Selbstdarstellung über das eigene Profil

Profile sind auf dem sozialen Netzwerk Facebook ein zentraler, wenn nicht der zentralste Aspekt. Hier laufen Identitäts- und Beziehungsmanagement unmittelbar zusammen, indem auf einem Profil eine aktive Selbstdarstellung des Nutzers und der kommunikative Austausch mit Freunden stattfinden (vgl. Schmidt/Paus-Hasebrink/Hasebrink 2011, S. 68).

Ein elementares Kennzeichen des Internets und somit des Web 2.0 ist die herrschende Körperlosigkeit, während im Vergleich dazu Menschen im realen Raum, dementsprechend im Offline-Leben, in Interaktionen physisch anwesend sind (vgl. Mišoch 2004, S. 130). Aus diesem Grund muss ein Jugendlicher beim Anlegen eines Facebook-Accounts zuallererst seiner eigenen Person Ausdruck verleihen. Dies geschieht mittels des Erstellens eines persönlichen Profils, der Basis eines jeden Facebook- Accounts. Hier werden relevante Eckdaten wie Name, Geschlecht, Alter, Wohnort, individuelle Eigenschaften und Vorlieben angegeben und ein entsprechendes Profilbild hinzugefügt. An dieser Stelle ist anzumerken, dass die Jugendlichen in der Gestaltung des Profils durch Facebook-Vorgaben nicht frei sind, der Spielraum ist durch feste Kategorien begrenzt. Nichtsdestotrotz ist das Profil eines Facebook-Nutzers die Online­Präsentation der eigenen Person, die Selbstdarstellung, um die persönliche Attraktivität zu propagieren. Schmidt spricht vor diesem Hintergrund von Identitätsmanagement, also der Frage nach dem „Wer bin ich?“ (vgl. Schmidt/Paus-Hasebrink/ Hasebrink 2011, S. 26f). Den Gebrauch des modernen Social Web zu Zwecken des Identitätsmanagements setzt der Autor mit der Selbstauseinandersetzung als Entwicklungsaufgabe in der Adoleszenz gleich, bei der es darum geht, Erfahrungen mit den eigenen Vorstellungen und Wünschen bzgl. der Gegenwart oder Zukunft zu machen, gleichwohl auch die Möglichkeiten der Selbstpräsentation oder des Selbstausdrucks zu erkunden (vgl. ebd. S. 27). Zusätzlich dazu bietet Facebook, als ein Forum der Selbstvermarktung, die Unabhängigkeit von Zeit und Raum.

Da bei Facebook eine bereits angesprochene Körperlosigkeit herrscht, müssen relevante Merkmale einer Person, wie der Körper oder das Gesicht, mittels Medien in Form von z.B. Bildern vermittelt werden. Somit sind Profilbild und Fotoalben wichtige Aspekte eines Facebook-Profils. Mit dem Profilbild werden die Vorstellungen der Nutzer voneinander geprägt, da mit diesem gezeigt wird, wer man ist oder wer man sein möchte. Häufig werden hierfür theatrale Posen gewählt, die sich „stark an symbolischen Codes der Markt-, Jugend- und Konsumkultur und des Werbe- und Starsystems“ orientieren (Tillmann 2011, S. 60). Jugendliche greifen auf selbstdarstellendes Bildmaterial zurück, das sich mit Themen rundum Körper, Sexualität, Liebe, Gewalt und Schmerz beschäftigt (vgl. Richard/Grünwald/Recht/Metz 2010, S. 48). Ferner lassen sich die Profilbilder in vier Typologien kategorisieren: Körper, Freunde, Orte und Handlungen (vgl. ebd. S. 50). Bzgl. des Profilbildes und der Selbstdarstellung auf Facebook lässt sich ein geschlechtsspezifischer Unterschied erkennen: Während sich junge Mädchen eher in Flirt- oder Modelposen präsentieren, greifen Jungen vermehrt auf Denker- oder Grußposen zurück (vgl.Tillmann 2011, S. 60). Da das Profilbild einen entscheidenden Faktor beim Identitätsmanagement ausmacht, ist es hierbei wichtig, ungeachtet der Art einer Pose, einen möglichst authentischen und empathischen, jedoch nicht zu intimen Eindruck zu vermitteln, mit dem dennoch Aufmerksamkeit erzeugt wird. Ein persönliches Bild wirkt damit als einer der ersten Impulse bei anderen Nutzern und bietet so die Grundlage für eine weitere Kontaktaufnahme oder Interaktion über Facebook. Gleichzusetzen mit dieser Wirkung sind Fotos in Fotoalben, einem weiteren Tool des Profils. Hier können Bilder aus dem Alltag eingestellt werden, z.B. aus dem vergangenen Urlaub, von der letzten Party oder von persönlichen Hobbies. Diese verhelfen den Facebook-Nutzern zur Vertiefung oder Neuanbahnung von Freundschaften, da sie realitätsgetreue Informationen über das Leben des Nutzers preisgeben und ein Interesse bei anderen Nutzern wecken können (vgl. ebd. S. 61). Profilbild und Fotoalben bilden somit eine wichtige Komponente der Selbstdarstellung und damit auch des Identitätsmanagements, da sie dem Betrachter einen tiefen Einblick in das Leben des adoleszenten Facebook-Nutzers bieten.

Identitätsarbeit und Selbstdarstellung finden über das Profil auch auf anderen Ebenen statt. Ein weiterer zentraler Aspekt sind hierbei bspw. die Freunde. Laut aktueller JIM- Studie haben Jugendliche im Alter von 16 bis 19 Jahren durchschnittlich mehr als 300 Freunde, wobei der Freundschaftbegriff hier sehr weit gefasst wird (vgl. mpfs 1, S. 45). Zu den Facebook-Freunden zählen nicht nur enge Freunde, mit denen man sich regelmäßig trifft oder denen man private Dinge anvertraut, sondern im weitesten Sinn auch lediglich kurze Bekanntschaften oder Freunde von Freunden. Generell fördern diese Freunde auch Aspekte des Beziehungsmanagements. Unter diesem Konstrukt, gleichgesetzt mit der Entwicklungsaufgabe der Sozialauseinandersetzung, versteht Schmidt die Pflege von bestehenden und die Bildung von neuen Beziehungen verbunden mit der Frage „Welche Position habe ich in meinem sozialen Netzwerk?“ (Schmidt/Paus-Hasebrink/ Hasebrink 2011 S. 26f). Im Bezug auf die Selbstdarstellung eines Jugendlichen via Facebook ist dabei die Anzahl der Freunde äußerst signifikant, denn eine hohe Anzahl an Freunden geht einher mit einem Gefühl von Anerkennung, Beachtung und Verbundenheit mit der Peergruppe (vgl. ebd. S. 203). Nicola Döring sieht in diesen „Online­Vielkontaktern“ keine negative Erscheinung, vielmehr in den „Wenigkontaktern“ (vgl. Döring 2011, S. 19). Jugendliche mit einer hohen Anzahl an Freunden, ungeachtet der Art der Beziehung, beschreibt sie als gesellig und selbstbewusst, junge Menschen mit weniger Online-Kontakten dagegen gilt es laut der Autorin in ihrer Medien- und Sozialkompetenz zu stärken. Folglich äußert sich unter dem Aspekt der Freunde die Art der sozialen Integration, die für einen jungen Menschen in der Adoleszenz von großer Bedeutung ist und verknüpft somit auf den Facebook-Profilen die zentralen Elemente des Identitäts- und Beziehungsmanagements22.

Der Aspekt der Selbstdarstellung auf Profilen von sozialen Netzwerken wird von der Gesellschaft oftmals eher kritisch gesehen. Gängige Vorstellungen hierzu sind geprägt von unwahren Inszenierungen der Persönlichkeit, was bedeutet, dass viele Menschen glauben, es handele sich bei diesen Profilen um selbstidealisierte Darstellungen und nicht um die tatsächliche Persönlichkeit des Nutzers23. Facebook versucht dies durch seine Nutzungsbedingungen bei der Registrierung und Sicherheit der Konten zu unterbinden bzw. zu regulieren und verpflichtet den Benutzer zur Angabe des wahren Namens und realer Daten (vgl. Facebook 2). Falsche persönliche Informationen und Kontaktdaten und das gleichzeitige Führen mehrerer Konten werden dort explizit verboten (vgl. ebd.). Trotzdem teilte Facebook im Sommer 2012 mit, dass laut Schätzungen etwa neun Prozent der damals 955 Millionen registrierten Profile sogenannte Fake-Accounts seien. Es besteht somit trotz allem die Möglichkeit sich unter einem falschen Namen bei Facebook zu registrieren. In diesem Zusammenhang führten im Jahr 2010 deutsche und amerikanische Psychologen die Studie „Facebook Profiles Reflect Actual Personality, Not Self-Idealization“ durch. Hierzu wurden 236 deutsche StudiVZIMeinVZ und amerikanische Facebook-Profile von jugendlichen Netzwerk-Nutzern im Alter von 17 bis 22 Jahren untersucht (vgl. Back/Stopfer/Vazire/Gaddis/Schmukle/Egloff/Gosling 2010, S. 372). Die Ergebnisse der Studie widerlegen die oben erwähnten gängigen Vorstellungen der Gesellschaft. Vielmehr zeigen sie, dass die Nutzer ihre Profile nicht zu Selbstidealisierungszwecken verwenden, sondern um ihre echte Identität auszudrücken und diese zu kommunizieren (vgl. ebd. S. 374). Auch die vorliegende Untersuchung wird diesen Aspekt aufgreifen. Hier werden jedoch ausschließlich deutsche Facebook-Profile von 16- bis 19-jährigen Jugendlichen beleuchtet. Spricht man von der Möglichkeit des Aufbaus einer Schein-Identität, kann dies im Sinne Eriksons mit dem Experimentieren im psychosozialen Moratorium gleichsetzen werden (vgl. Turkle 2012, S. 262). Das psychosoziale Moratorium ist eine Phase des Aufschubs von Pflichten und durch ein Experimentieren mit verschiedenen Rollen kann ein Jugendlicher eine reife Identität erreichen. Facebook ist mit seinen Möglichkeiten generell ein idealer Ort, um mit der eigenen Identität zu experimentieren oder zu spielen, sich selbst auszuprobieren und im Zuge dessen Selbstbewusstsein aufzubauen. Ebenso kann man dies auf die sogenannten Schein-Identitäten beziehen. Diese können als Experimentierfeld für die Identitätsgenese gesehen werden und letztlich einen Weg darstellen, der den Jugendlichen dabei hilft, eine reife und feste Identität zu entwickeln. Stellt sich z.B. ein junger Mensch auf seinem Facebook-Profil nicht wahrheitsgetreu dar, entwirft somit eine „falsche“ Identität seiner eigenen Person, können ihn die Freunde nicht genau zuordnen und werden ihn u.U. im Umkehrschluss nicht als Freund akzeptieren (vgl. Kirkpatrick 2011, S.13). Daraus resultiert, dass dem Schein-Identität-Besitzer nach und nach klar wird, dass er, um aktiv an Facebook teilnehmen zu können, seine wahre Identität zu erkennen geben muss. Durch das vorangegangene Experimentieren und den spielerischen Umgang mit den eigenen Selbstdarstellungen festigt sich schließlich die Identität des Jugendlichen.

Facebook bietet jungen Menschen eine Vielzahl an Möglichkeiten sich darzustellen. Wie bereits erläutert über die Option Fotos von sich hochzuladen, über die eigenen Freunde und die damit verbundenen Zugehörigkeiten, auch darüber sich anders zu präsentieren als in der Realität. Hinzu kommt die Möglichkeit sich Ideen und Anregungen von anderen Nutzern einzuholen. Durch ein „Stöbern“ in den unzähligen Facebook-Profilen eröffnen sich den Jugendlichen neue Wege und Räume sich auszudrücken. Sie können beispielhafte Selbstdarstellungen in ihre eigene integrieren und weiter ausbauen. Darüber hinaus bietet das Internet und die weltweite Vernetzung von Facebook die Chance, Kontakte auf transnationaler Ebene zu bilden, sodass auch Aspekte anderer Kulturen in die eigene Identität eingeschlossen werden können (vgl. Holzwarth 2010,S. 450). Das Publikum der persönlichen Selbstdarstellung wird somit durch die vorzufindenden Gegebenheiten enorm erweitert. Für sämtliche Formen der Selbstdarstellung mittels einem sozialen Netzwerk wie Facebook sind nach Holzwarth verschiedene Medienkompetenzen erforderlich (vgl. ebd. S. 448). Zum einen benötigen junge Menschen die Kompetenz des Selektierens von wichtigen, nützlichen und persönlichkeitsangepassten Aspekten. Des Weiteren muss abgewogen werden können inwieweit sich negative Auswirkungen durch die eigenen Äußerungen und Darstellungen verhindern bzw. abwenden lassen. Zum anderen nennt Holzwarth Kompetenzen zu Fairness und Ethik. Bei einer erfundenen oder unwahren Selbstdarstellung muss der Jugendliche sich fragen, ob diese bereits eine bewusste Täuschung darstellt und im Zuge dessen einen anderen Nutzer verletzen könnte, oder ob diese im Sinn eines spielerischen Umgangs zu Selbstdarstellungszwecken gerechtfertigt ist.

Wie eingangs erwähnt ist das persönliche Profil eines adoleszenten Facebook-Nutzers die Basis einer erfolgreichen Selbstdarstellung. Es bietet seinen Nutzern verschiedene Möglichkeiten die eigene Identität zu repräsentieren und für sich selbst zu festigen. Im eigentlichen Sinn bildet ein Profil das Synonym für die persönliche Identität, auf dem ein jugendlicher Facebook-Nutzer seine individuellen Persönlichkeitsmerkmale, Fähigkeiten und Ziele definieren kann. Gleichzeitig dient es auch als Plattform für die soziale Identität eines Jugendlichen, da sich durch die Freundschaften eine Zugehörigkeit und soziale Einbettung abzeichnet. Es lässt sich abschließend festhalten, dass die möglichst originäre und originelle Gestaltung sowie die Pflege des eigenen Profils auf Facebook die wichtigste Form des Identitätsmanagements im Social Web darstellt (vgl. Schmidt/Paus­Hasebrink/ Hasebrink 2011, S. 266).

3.2.2 Zugehörigkeit zu Gruppen

Neben der Selbstdarstellung via persönlichem Profil auf Facebook zählt auch die Gruppenzugehörigkeit zu einem zentralen Bestandteil der Identitätsentwicklung in der Adoleszenz. Besonders in sozialen Netzwerken wie Facebook gewinnt dabei der Wunsch nach einer Teilnahme an der Welt und am Leben, oder aber auch das bloße Dabeisein, zunehmend mehr Relevanz für junge Menschen. Auch unter diesem Gesichtspunkt wird die untrennbare Verbindung des Identitäts- und Beziehungsmanagement deutlich. Anhand der Zugehörigkeit zu verschiedenen Gruppen24 bzw. Seiten25 auf Facebook stellen sich die Jugendlichen selbst dar, sie positionieren sich im sozialen Gefüge und zeigen damit anderen Nutzern was ihnen wichtig ist und wozu sie gehören bzw. gehören möchten (vgl. ebd. S. 267). Die Intentionen der jungen Menschen bei der Nutzung einer Gruppe entsprechen denen bei der Nutzung einer Seite, sich möchten individuelle Vorlieben hervorheben und Zugehörigkeit anzeigen. Aus den o.g. Gründen sind diese Funktionen auch unmittelbar mit der persönlichen sowie sozialen Identität verbunden.

Um ein Verständnis für die Vielfalt an Facebook-Gruppen zu bekommen muss im ersten Schritt eine Gruppe als solche definiert sein. Nach Johnson und Johnson besteht eine Gruppe „aus zwei oder mehr Personen, die miteinander agieren, die sich der Gruppe zugehörig fühlen [...], deren Verhalten in irgendeiner Form wechselseitig voneinander abhängt [...j.deren Interaktionen durch gruppenspezifische Rollen und Normen strukturiert sind, die sich gegenseitig beeinflussen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen und deren individuelle Bedürfnisse durch die Gruppe befriedigt werden.“ (Gollwitzer/Schmitt2006, S. 189)

Solche Gruppen lassen sich in verschiedene Typen kategorisieren: die informelle und formelle Gruppe, diese jeweils wiederum in die Primär- und Sekundärgruppe.

[...]


1 Für weiterführende Literatur zur körperlichen Entwicklung im Jugendalter siehe Oerter/Dreher 2008, S. 289­303.

2 Für weiterführende Informationen zur kognitiven Entwicklung in der Adoleszenz siehe die Stadientheorie der geistigen Entwicklung nach Jean Piaget in Fatke 1991, S. 39-45 oder Oerter/Dreher 2008, S. 284-289.

3 Die erste große Entwicklungstheorie zur Adoleszenz geht auf Stanley Hall im Jahre 1904 zurück. Mit seiner biogenetischen Rekapitulationstheorie sieht er die Adoleszenz als Phase des „Sturm und Drangs“ begleitet von gegensätzlichen Gefühlen. Halls Theorie hat nachhaltigen Einfluss auf die weitere Forschung genommen und zu weiteren Theorien und Studien angeregt. Besonders einflussreich sind die von Sigmund Freud und dessen Tochter Anna Freud, Siegfried Bernfeld und Erik Erikson. Für weiterführende Informationen siehe Fend 2003, S. 41ff oder Oerter/Dreher 2008, S. 274ff.

4 Die klassische Phasenlehre der Persönlichkeitsentwicklung nach S. Freud beinhaltet u.a. die Theorie des genetischen Triebschicksals. Hierbei ist nach Freud die Libido die Energie für aufkommende Triebe. Diese ist mit Lustzonen gleichzusetzen, welche sich im Laufe der Entwicklung verschieben. Die erste Verschiebung vollzieht sich in der oralen Phase von der Geburt bis zum 1. Lebensjahr, darauf folgt die anale (2-3 Jahre) und später die phallische Phase (3-5 Jahre). Aus der Entwicklung und Verschiebung der Libido geht schließlich die Struktur der Psyche hervor. Das „Es“ als unbewusste Instanz, welche nach Triebbefriedigung strebt, das bewusste „Ich“, welches dem Realitätsprinzip folgt und mithilfe von Abwehrmechanismen zwischen dem „Es“ und der dritten Instanz dem „Über-Ich“, der moralischen Instanz, vermittelt. Für weiterführende Informationen siehe Freud 1969, S. 62-118 und Freud 1976, S.235-289.

5 Vgl. hierzu auch Bios 1992, S. 66-182.

6 Eine Entwicklungsaufgabe ist nach Havighurst „eine Aufgabe, die in oder zu einem bestimmten Zeitpunkt im Leben eines Individuums entsteht, erfolgreiche Verwirklichung führt zu seinem Glück und Erfolg bei späteren Aufgaben, während Versagen zu Unglückseligkeit des Individuums führt, zu Missbilligung durch die Gesellschaft und zu Schwierigkeiten mit späteren Aufgaben. [...] Entwicklungsaufgaben einer bestimmten Gruppe von Menschen entstehen durch drei Quellen: (1) körperliche Reifung, (2) kultureller Druck (die Erwartungen der Gesellschaft), und (3) individuelle Wünsche oder Werte.“ (Havighurst 1956, S. 215 Übersetzung d. Verfasserin) Dreherund Dreher haben in verschiedenen Untersuchungen dieses Konzept der Entwicklungsaufgaben ergänzt. Für weiterführende Informationen siehe Dreher/Dreher 1985, S. 56-70.

7 Erikson folgt in seinem Stufenmodell den von Freud erarbeiteten Phasen der psychosexueilen Entwicklung und modifiziert bzw. erweitert diese durch Zuordnungen verschiedener Aufgaben und Entwicklungsthemen. Für weiterführende Informationen siehe Erikson 1993, S. 55-122 und Fend 2003, S. 403ff.

8 Erikson nennt dies eine psychosoziale Modalität.

9 Marcia beschreibt zudem vier Formen diffuser Identität: die kulturell adaptive Diffusion, die Störungsdiffusion, die sorgenfreie Diffusion und die Entwicklungsdiffusion. Die kulturell adaptive Diffusion wurde von Kraus und Straus in vier Formen weiter ausdifferenziert: der traditionale Typ, der Surfer, der Isolierte und die Patchworkidentität. Für weiterführende Informationen siehe Oerter/Dreher 2008, S. 307f.

10 Siehe hierzu auch die patchwork - identitat seite 19.

11 Diese u.a. Möglichkeiten bieten sich selbstverständlich auch allen weiteren Nutzern. Im Fall der vorliegenden Arbeit stehen jedoch ausschließlich jugendliche Nutzer im Alter von 16 bis 19 Jahren im Zentrum.

12 Zur Altersbeschränkung bei Facebook vgl. Facebook 2 Kapitel 4. Registrierung und Sicherheit der Konten.

13 Unter einem „Post“ wird in diesem Zusammenhang ein öffentlicher Beitrag einer Person verstanden. Dieser kann in Form einer bloßen Meinungsäußerung oder zur Anregung von Diskussionen erfolgen.

14 Die Struktur eines Facebook-Profils wird von Facebook vorgegeben und ist deshalb in seiner Erscheinung immer gleich.

15 Der Begriff „Chat“ meint aus dem Englischen übersetzt das Plaudern, Schwatzen und zwanglose Unterhalten in Form eines internetbasierten Austauschs mit einem anderen Internet-Nutzer.

16 Synonym wird in dervorliegenden Arbeit der Begriff „Liken“ bzw. „Likes“ verwendet.

17 Die Kernthemen der Studie sind Medienausstattung, Freizeitverhalten, Mediennutzung, Wichtigkeit und Glaubwürdigkeit der Medien. Weiter geht es in der aktuellen Studie um „die Nutzung von Musikvideos, die Wahrnehmung von Scripted Reality Formaten im Fernsehen, Probleme im Umgang mit sozialen Netzwerken und Aspekte der mobilen Internetnutzung.“ (mpfs 1, S.3f)

18 Don Tapscott differenziert diese Generation weiter aus. So nennt er zwischen 1977 und 1997 Geborene „The Net Generation“ und nach 1998 Geborene die „Generation Next". Für weiterführende Literatur siehe Tapscott 2009, S. 15-37.

19 Das Marktforschungsunternehmen Nielsen Online veröffentlichte Hochrechnungen, die lediglich einen Zuwachs von 26,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr mit der englischen Version aufzeigten. Dies entspricht 1,2 Millionen Besuchern im ersten Quartal des Jahres 2008. Im internationalen Vergleich wurden Wachstumsraten im dreistelligen Bereich erreicht (vgl. FAZ 1).

20 Ein App ist eine Anwendung (engl, application) für die sogenannten Smartphones. Dies sind Programme, die dessen Funktionen erweitern und einen schnellen Zugang zu den Inhalten möglich machen. Beispiele hierfür sind Wetterberichte, Nachrichten oder auch Anwendungen wie Facebook.

21 Als dritten Bereich nennt Schmidt das Informationsmanagement und beschreibt es im Sinn des Filterns, Selektierens und Kanalisierens von Informationen aller Art. Dieser Aspekt findet bei Facebook jedoch weniger Beachtung als bei anderen Diensten des Social Web wie z.B. bei Wikipedia oder YouTube und spielt deshalb in der vorliegenden Arbeit eine untergeordnete Rolle. Für weiterführende Informationen siehe hierzu Schmidt/Paus-Hasebrink/Hasebrink 2011, S. 26f.

22 Für eine detailliertere Ausführung zum Thema Freunde und Peers bei Facebook siehe Kapitel 3.3.

23 Ein populäres Beispiel hierfür ist SchülerVZ, das im April diesen Jahres geschlossen wurde. Der Grund hierfür wurde nicht genannt, Spekulationen abersehen ihn darin, dass in diesem Netzwerk gefälschte Profile vorherrschend waren. Provokativ wurde SchülerVZ auch FakeVZ genannt.

24 Die Funktion der Facebook-Gruppe ist ausgelegt für die Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe von Menschen über gemeinsame Interessen. Die Mitgliedschaft einer Gruppe wird auf dem Profil für alle sichtbar angezeigt. Legt ein Nutzer eine Gruppe an, müssen alle neuen Gruppenmitglieder von ihm bestätigt oder hinzugefügt werden. So erfolgt die Kommunikation innerhalb einer Gruppe in einem geschlossenen Raum. Vgl. hierzu Facebook 4.

25 Eine Facebook-Seite ist im wesentlichen Sinn eine Funktion für Unternehmen oder Organisationen und gleicht in seinerWirkung einem Newsletter, bei dem ein Facebook-Nutzer über Neuigkeiten, Angebote usw. informiert wird. Beim Markieren des Buttons „Gefällt mir“ wird dies auf dem Profil angezeigt und somit für alle anderen Nutzer sichtbar. Eine Seite ermöglicht eine offene Kommunikation auf breiter Ebene. Vgl. hierzu Facebook 5.

Ende der Leseprobe aus 129 Seiten

Details

Titel
Identität 2.0. Die digitale Welt als Ort der Identitätsfindung in der Adoleszenz am Beispiel Facebook
Hochschule
Universität Kassel
Veranstaltung
Pädagogik / Erziehungswissenschaften
Note
1,7
Jahr
2013
Seiten
129
Katalognummer
V282674
ISBN (eBook)
9783656817345
ISBN (Buch)
9783656817352
Dateigröße
4861 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
identität, welt, identitätsfindung, adoleszenz, beispiel, facebook
Arbeit zitieren
Anonym, 2013, Identität 2.0. Die digitale Welt als Ort der Identitätsfindung in der Adoleszenz am Beispiel Facebook, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/282674

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