Umgang mit Krisen in Familien. Vergleich Deutschland und Schweden


Masterarbeit, 2014

72 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Begriff Familie im Hinblick auf die unterschiedlichen Länder
2.1 Deutschland: „Mutter, Vater, Kind“
2.2 Schweden: Familiendebatte eng verbunden mit der über gesellschaftliche Gleichstellung

3. Bedeutung von Krise für Menschen in einem Wohlfahrtsstaat

4. Die Bezeichnung „Wohlfahrtsstaat“, dessen Entstehung und Architekturen
4.1 Zur Entstehung des Wohlfahrtsstaates
4.2 Formen bzw. Architekturen des Wohlfahrtsstaates
4.2.1 Der liberale Wohlfahrtsstaat
4.2.2 Der konservative Wohlfahrtsstaat
4.2.3 Der sozialdemokratische Wohlfahrtsstaat
4.2.4 Fazit und Kritik zum Modell von Esping-Andersen

5. Wohlfahrtsstaat Deutschland
5.1 Familie und deren finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten
5.2 Betreuung und Schule für Kinder und Jugendliche
5.2.1 Kinderkrippe, Krabbelstube und Kindergarten
5.2.2 Tagesmutter und Tagesvater
5.2.3 Betreuung von Schulkindern
5.2.4 Bildungsgänge bis zum Beruf
5.3 Soziale Sicherung in Deutschland für alle BürgerInnen
5.3.1 Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe
5.3.2 Krankenversicherung und Unfallversicherung
5.3.3 Rente und Alter
5.3.4 Grafische Übersicht des deutschen Sozialsystems

6. Välfärdsstaten Sverige (Wohlfahrtsstaat Schweden)
6.1 Ekonomiskt Familjestöd (Finanzielle Unterstützung von Familien)
6.2 Utbildning och Vård av Barn (Betreuung und Bildung von Kindern)
6.2.1 Förskolan/ Öppna Förskolan (Vorschule / offene Vorschule)
6.2.2 Familjedaghem (Familientagesstätten)
6.2.3 Fritidshem (Freizeitheim und offene Freizeittätigkeit)
6.2.4 Skolan och Högskola / Universitet (Schule und Hochschule)
6.3 Socialförsäkringssystemet (Soziales Sicherungssystem)
6.3.1 Ekonomiskt Bistånd (Sozialhilfe)
6.3.2 Arbetslöshetsförsäkring (Arbeitslosenversicherung)
6.3.3 Olycksfallsförsäkring (Unfallversicherung)
6.3.4 Sjukförsäkring (Krankenversicherung und Gesundheitsvorsorge)
6.3.5 Pensionsförsäkring (Rente und Unterstützung im Alter)
6.3.6 Grafische Übersicht des schwedischen Sozialsystems

7. Die familiäre Krise aus Wohlfahrtsstaat und Familie
7.1 Familie und Kinder
7.2 Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe
7.3 Unfallversicherungen
7.4 Gesundheitsversorgung
7.5 Renten

8. Soziale Arbeit in Deutschland und Schweden
8.1 Ausbildung und Arbeitsbereiche
8.2 Rahmenbedingungen und Grundlagen für SozialarbeiterInnen
8.3 Psychosoziale Krisenarten und Unterstützungsangebote Sozialer Arbeit

9. Abschließende Diskussion

10. Quellenverzeichnis

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Tabelle 1: Übersicht über Typen des Wohlfahrtsstaates

Abbildung 1: Grafische Übersicht des deutschen Wohlfahrtstaates

Abbildung 2: Grafische Übersicht des schwedischen Sozialsystems

1. Einleitung

Schweden scheint seit Langem ein Vorbild für einen funktionierenden Sozialstaat bzw. Wohlfahrtsstaat zu sein. Die BürgerInnen1 haben Vertrauen in ihren Staat und glauben daran, dass er ihnen nur Gutes will und sie ausreichend unterstützt, ja sogar alle gleich- behandelt und -stellt. Dieses Bild wird in der Öffentlichkeit vermittelt bspw. in der Lite- ratur, welche andere Wohlfahrtsstaaten Schweden gegenüberstellen, aber auch in den Printmedien wie z. B. der Zeitschrift GEO, eine große monatlich erscheinende Zeitung in Deutschland. Hier wurde im März dieses Jahres ein fünfzehnseitiger Bericht veröf- fentlicht mit dem Titel „Klassenbeste“ (vgl. Albig 2014: 68f.). Auch dieser Artikel han- delte darüber, wie gut es den Schweden gehe und wie sie das bewerkstelligen. Der Au- tor zeigte dazu Beispiele auf, unter anderem die Umsiedlung einer Stadt für den Neubau von Industrieanlagen. Anhand dieses Beispiels belegt er, dass die von dieser Umsied- lung betroffenen Schweden, trotz der für sie persönlich daraus resultierenden Krise, weiterhin Vertrauen in ihren Staat hätten und grundsätzlich zufrieden seien (vgl. Albig 2014: S. 70ff.). Es hat den Anschein, als wenn diese Meinung oder eher das Bild von Schweden und seinen BürgerInnen kaum nach der Aktualität hinterfragt werden würde und ob diese Zufriedenheit und gesellschaftliche Gleichstellung bereichsübergreifend wirklich so vorhanden ist, und zwar bei allen Menschen in Schweden. Weiterhin soll vergleichend betrachtet werden, wie die Gleichstellung der Menschen in Deutschland umgesetzt wird.

In dieser Arbeit soll vor allem auf die Familie in Bezug auf die Hilfsangebote bei Krisen und auch im Alltag geschaut werden, also sowohl Prävention wie auch alltägliche Angebote und staatliche Unterstützung. Diese Ergebnisse sollen dann kritisch im Vergleich mit dem deutschen Hilfssystem analysiert werden, vor allem auch im Hinblick auf die Soziale Arbeit. Daraus ergibt sich die folgende Fragestellung:

Inwieweit agiert der Staat in Schweden und Deutschland präventiv, um bei Familien (individuellen) Krisensituationen vorzubeugen und unterstützend bei bestehenden Kri sen die nötige Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten?

Zu untersuchen wäre, ob Deutschland und Schweden schon vieles ähnlich handhaben und die Staaten gar nicht so verschieden sind, sondern nur der gesellschaftliche Umgang mit Krisen in Familien variiert. Außerdem muss untersucht werden, ob Bereiche, in denen Familien in Krisen der Hilfe bedürfen, auch ausreichend abgedeckt sind und so vielleicht ein Bedarf entsteht, welcher noch gedeckt werden muss. Da die Vorstellungen von dem Bild einer funktionierenden Familie so verschieden in den Ländern sind, dass dadurch schon ein völlig unterschiedlicher Hilfsansatz entstehen kann, muss dies auch in den Blickpunkt gerückt werden. Der Umgang mit sozialen Problemen bzw. die Herangehensweise an die Probleme und die Familien soll verglichen werden, um hier eventuelle Überschneidungen bzw. Positives hervor zu heben.

Damit all diese Fragen beantwortet werden können, wird zuerst die Familie in Hinblick auf die beiden verschiedenen Kulturen betrachtet. Zur Differenzierung des Begriffs Fa- milie im jeweiligen Land werden die Rollen der einzelnen Familienmitglieder erörtert und das gesellschaftliche Bild dargelegt. Anschließend wird die Bedeutung von Krise für diese Arbeit definiert, um festzulegen, unter welchem Blickwinkel der schwedische und deutsche Wohlfahrtsstaat betrachtet werden soll. Daraufhin werden die beiden Wohlfahrtsstaaten dargestellt und verglichen, um zu erkennen welche Unterstützungen von staatlicher Seite, für die Familien vorhanden sind und welche Lücken, z. B. eine mögliche Krise, für die Familie bedeuten können. Hieran anknüpfend soll die Soziale Arbeit in beiden Ländern dargelegt werden, da es sich aus dem Hilfsbedarf der Men- schen ergeben könnte, wo die Soziale Arbeit anknüpft. Dieses Kapitel umfasst auch die gesellschaftliche Stellung einer/s SozialpädagogIn, die Ausbildung und Arbeitsbereiche sowie die monetäre Vergütung.

Zusammenfassend soll ein Ergebnis erzielt und Eindruck vermittelt werden von der Familie, deren mögliche Krisen und deren zustehenden sozialpädagogische und wohlfahrtsstaatliche Unterstützungsangebote im Ländervergleich.

2. Der Begriff Familie im Hinblick auf die unterschiedlichen Länder

Nachstehend soll für diese Arbeit der Begriff der Familie länderspezifisch dargelegt werden. Da in jedem Land andere Vorstellungen und Normen für Familie vorherrschen, werden durch geschichtliche Hinführung die aktuellen Charakteristika einer Familie hergeleitet und beschrieben. Es gibt keine allgemeingültige Definition, deshalb werden, wenn es im Laufe der Arbeit um Familie in dem betreffenden Land geht, die Darstellungen der nun folgenden Beschreibungen gelten.

2.1 Deutschland: „Mutter, Vater, Kind“

Im deutschen Duden steht, dass eine Familie gebildet wird „aus einem Elternpaar oder einem Elternteil und mindestens einem Kind bestehende [Lebens]gemeinschaft“ (Duden 2013). Wenn man diese Definition analysiert, scheint sie zum aktuellen gesellschaftli- chen Bild von einer modernen Familie zu passen. Mit der Bezeichnung Elternpaar wird eine scheinbar geschlechtsneutrale Formulierung genutzt, welche auch schwule und lesbische Eltern mit einschließen kann. Betrachtet man sich die Seite jedoch genauer wird als Beispielbild eine zweigeschlechtliche Ehe mit zwei Kindern verwendet (vgl. Duden 2013).

Die Bezeichnung „Familie“ wurde erst Anfang des 18. Jahrhunderts in den deutschen Wortschatz aufgenommen und ist bis heute einer ständigen Entwicklung der Vorstel- lung dessen unterzogen. Zuvor, bis Ende des 18. Jahrhunderts, galt der Begriff des „Hauses“ (vgl. Nave-Herz 2013: S. 33f.). Hierzu zählten alle im Haushalt lebenden Mitglieder. Je nach Stellung gehörten also mehr oder weniger Personen hierzu. Die Be- ziehung zwischen den Angehörigen war zweckgebunden. Das bedeutete in der Realität, dass Ehe und Kinder selten wegen der Liebe zweier Menschen ins Leben gerufen wur- den, denn eher wegen Altersversorgung, Geld, Stammhaltung, etc. (vgl. Nave-Herz 2013: S. 43). Ein weiterer Unterschied zur heutigen Familie war die fehlende familiäre und eheliche Intimsphäre, da die Kernfamilie mit den Angestellten oder anderen nicht verwandten Menschen in einem Haushalt lebte und nicht genügend Räume zur Verfü- gung standen. Durch die hohe Kindersterblichkeit und trotz der Durchschnittlich acht bis zwölf Geburten die eine Frau damals erlebte, hatte jede Familie ca. drei bis vier Kinder (vgl. Nave-Herz 2013: S. 44f.). Die Größe des Haushaltes hing von der Tätigkeit ab, welcher alle nachgingen und ob es unverheiratete Verwandte zu versorgen gab oder der Hausherr sich eine Magd oder Knecht leisten konnte. Bei einem Handwerksbetrieb bspw. lebten auch Gesellen und Lehrlinge mit im Haushalt. Der Hausherr hatte die höchste Stellung, vor allem durch die damals geltende christliche Weltanschauung. Die

Frau war in diesem Weltbild für den Haushalt und auch Arbeiten zum Lebensunterhal z. B. für den Verkauf der produzierten Ware oder die Feldarbeit zuständig (vgl. NaveHerz 2013: S. 48f.). Es gab auch Kernfamilien ohne Besitz, welche dann zum Lohnerwerb z. B. als Tagelöhner auf Höfen und Feldern halfen. Selten fanden sie zusammen Anstellungen und ihre Kinder mussten früh weg von den Eltern und selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen durch Hilfstätigkeiten (vgl. Nave-Herz 2013: S. 50f.).

Im 19. Jahrhundert kristallisierten sich zwei Familienarten heraus, die Proletarische und die Bürgerliche. Durch die hohe Zahl der selbstständigen Familienbetriebe war die An- zahl der proletarischen Familien zwar höher, wurde aber nicht wie die bürgerliche Fa- milie als Vorbild angesehen. Dieser Familientyp wird bis in die heutige Zeit als Ideal einer Familie angesehen und deshalb an dieser Stelle weiter erklärt. Durch die Industria- lisierung zogen die Menschen in die Städte und fingen dadurch auch an, in anderen Konstellationen zusammen zu leben. Es wohnten nicht mehr so viele Mitglieder in ei- nem Haushalt da die Menschen z. B. wohlhabender wurden und sich den Luxus eines intimeren Zusammenlebens nur mit den eigenen Kindern und EhepartnerIn leisten konnten. Dieser Lebensstil wurde von den ärmeren BürgerInnen nachgeahmt und so weiter gefördert und verbreitet. Durch das engere Zusammenleben der Kernfamilie konnten eher Bindungen entstehen, gestärkt und so ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt werden. Auswirkungen waren vor allem für die Aufgaben der Frauen merk- bar, da sie nur noch den Haushalt zu führen hatten, wenn der Mann wohlhabend genug war (vgl. Nave-Herz 2013: S. 54f.). Die emotionale Beziehung zu Kindern änderte sich in diesem Zuge, da sie nicht länger mit am verdienen des Lebensunterhaltes beteiligt werden mussten. Auch Säuglinge wurden, im Gegensatz zu vorherigen Zeiten, von der Kindesmutter selbst erzogen, weil mehr zeitliche Kapazitäten vorhanden waren. Die auf Liebe basierende Ehe war in diesem Zuge der emotionalen Entwicklung in der Familie die logische Folge. Die Ehe war nicht länger ein zweckmäßiger Vertrag, der für beide Parteien und deren Familien Vorteile brachte. Die Positionen der Geschlechter in den Familien blieben aber gleich. Der Vater war der Familienernährer und die Mutter über- nahm die Erziehung des Kindes anteilig mit ihrem Mann und führte den Haushalt allein. Diese Aufgabenverteilung rührte auch daher, dass man jedem Geschlecht, bestimmte Attribute zuteilte. Die Frau war z. B. liebevoll und geduldig und deshalb gut für die Er- ziehung des Kindes geeignet (vgl. Nave-Herz 2013: S. 56f.).

In der eigentlichen bürgerlichen Familie konnte dieses Ideal jedoch nicht in diesem Ma- ße ausgelebt werden. Wegen dem Bedarf an finanziellen Mitteln waren Mutter, Vater und Kind weiterhin gezwungen erwerbstätig zu sein. Auch wurden wegen der finanziel- len Knappheit Zimmer oder einzelne Betten vermietet, wodurch keine familiäre Intimi- tät gegeben war. Durch die Attribute der Geschlechter gab es Berufe, welche nur Frauen ausübten z. B. Gesellschafterin, Kindermädchen oder Gouvernante (vgl. Nave-Herz 2013: S. 60f.). Im Dritten Reich wurde dieses Familienideal dann sogar politisch be- stimmt und gefördert z. B. mit dem Mutterkreuz für vier Kinder. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Aufteilung Deutschlands als Resultat dessen, wichen die Vorstellun- gen von der Familie auseinander. In West-Deutschland behielt man die bisherigen Vor- stellungen bei. Doch in der DDR wurde die erwerbstätige Mutter beworben und poli- tisch unterstützt durch den Ausbau der Kinderbetreuung. Die Erwerbstätigkeit beider Ehepartner wurde nicht nur wegen des finanziellen Bedarfs angestrebt, sondern auch, weil die Frau bei der Trennung keinen Unterhaltsanspruch hatte (vgl. Nave-Herz 2013: S. 63). Die Emanzipation der Frau im Rahmen der Studentenbewegung in den 70er Jahren bewirkte auch einen Wandel in West-Deutschland und glich so die Vorstellungen einer Familie in ganz Deutschland an (vgl. Nave-Herz 2013: S. 64).

Die Rollen von Mutter und Vater sind bis heute noch immer einem ständigen Wandel unterzogen. Die Ehe hat jedoch nach wie einen hohen Stand und damit Bestand in Deutschland. Das durchschnittliche Heiratsalter von Frauen beträgt im Moment 29 und das von Männern 32 Jahre (vgl. Nave-Herz 2013: S. 65). In Deutschland hat jede fünfte Frau bis Mitte vierzig noch kein Kind und wird dies rein statistisch dann auch nicht mehr bekommen (vgl. Statistisches Bundesamt, Geburtentrends 2013: S. 31). Die Ge- burtenrate in Deutschland beträgt 1,4 Kinder pro Frau und hat eine sinkende Tendenz. Dies ist auch erkennbar an den immer populärer werdenden Ein-Kind-Familien (vgl. Nave-Herz 2013: S. 65).

Scheidungen sind zwar häufiger geworden, jedoch kann dies in Verbindung gebracht werden mit geschichtlichen Ereignissen wie dem Fall der Mauer und Änderungen von rechtlichen Bestimmungen bei Scheidungen. Dazu gehören z. B. die veränderten Unter- haltsansprüche von Frauen aus der DDR nach der Vereinigung Deutschlands. Unter anderem hierdurch sind 26 % Alleinerziehende, wovon 90 % Mütter mit Kindern sind (vgl. Nave-Herz 2013: S. 66f.). Diese Tatsachen wurden in den letzten Jahren des Öfte-ren als „die Krise von Familie und Ehe“ bezeichnet (Nave-Herz 2013: S. 77). Ob dies tatsächlich der Fall ist und nicht eher der Grund der Scheidung die Krise darstellt, soll im Zusammenhang mit dem Wohlfahrtsstaat in Deutschland in Kapitel 7 betrachtet werden.

Die Fachliteratur in Deutschland betrachtet Familie aus unterschiedlichen Positionen. In der Familienforschung ist die Familie eine institutionelle Verbindung mit zwei Bezie- hungsmerkmalen: eine Ehe basierend auf Liebe und orientiert an den christlichen Wer- ten, sowie verbunden durch die Aufgabe der Erziehung bzw. Elternschaft. Das wissen- schaftliche Verständnis sieht die Familie als Organisationsform eines Mehrgeneratio- nenhaushaltes in einem institutionellen Kontext stehend auf ökonomischer, kultureller und sozialer Basis. Aber auch ein Rechtsverhältnis und eine Verwandtschaftsbeziehung zwischen mehreren Personen spielen dabei eine tragende Rolle. Die moderne Familie besteht aus mindestens zwei Generationen welche gemeinsam ihren Alltag gestalten und gemeinsam versuchen, Mittelwege zwischen den Bedürfnissen und Wünschen aller zu finden und somit eine Gemeinschaft bilden (vgl. Wolf 2012: S. 88f.). In der heutigen Zeit erfolgen auch in der Institution Familie ständig grundlegende Veränderungen. Die- se Veränderungen werden beeinflusst vom Strukturwandel sozialer und kultureller Art, welche die traditionellen Werte und Lebensformen infrage stellt und dadurch Familie als Halt und Orientierung gefährden könnte (vgl. Wolf 2012: S. 90).

2.2 Schweden: Familiendebatte eng verbunden mit der über gesellschaftliche Gleichstellung

In Schweden und auch dem restlichen Europa war im Mittelalter die Familie geprägt von handwerklichen oder bäuerlichen Hausgemeinschaften. Die weitere Entwicklung der Häuser zu Familien, ereignete sich ähnlich dem oben beschriebenen Wandel in Deutschland (vgl. Otte/ Anskog Dietrich 1997: S. 107). Das gesellschaftliche Bild in Schweden von einer Familie hat sich mit der Geschichte entwickelt und wurde von der Familienpolitik nachweislich beeinflusst. Einer der ausschlaggebenden Punkte ist das die Familienpolitik als Gleichstellungspolitik gesehen werden kann. Dies spiegelt sich u. a. in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer wieder.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Arbeitskräfte dringend benötigt. In Frauen, vor allem verheirateten Hausfrauen, sah man eine ungenutzte Ressource an Arbeitskraft. Hieraus entstand die Politik zur Förderung der Arbeitsbeteiligung von Frauen. Diese Reform wurde aber erst Mitte der Sechziger- bis Siebzigerjahre beschlossen und in die Realität umgesetzt. Das System des Familienernährers war wie in Deutschland bis zu dieser Zeit das meist praktizierte (vgl. Kolbe 2002: S. 30f.). Ab diesem Zeitpunkt ist auch vom schwedischen Modell die Rede (vgl. Kolbe 2002: S. 36). Es wurde eine Kommission gegründet welche Reformvorschläge einbringen sollte, von denen auch einige umgesetzt wurden, u. a. das Kinderbeihilfengeld. Alva Myrdal, eine schwedische Soziologin welche mit an der Kommission beteiligt war, setzte sich für eine Umkehrung der Denkweise ein. Frauen sollten nicht nur einen gesetzlich festgelegten Anspruch auf Arbeit mit Vergütung haben, sondern das Recht haben als berufstätige Frau Mutter zu sein. Die Familienpolitik wurde also nicht nur in der Gleichstellungspolitik verankert, sondern auch in der Arbeitsmarktpolitik. Dieser Schritt machte die Frauen unabhängiger von ihrem Ehemann als Ernährer der Familie da sie nun selbst diese Rolle einnehmen konnte. An diesem Modell gab es aber auch Kritik, da dies zu sehr die Frau in den Fo- kus nehme, nach Eva Morberg. Gleichstellung sollte ihrer Meinung nach bedeuten, dass man Mann und Frau als Menschen sieht welche beide Kindererziehung, Arbeit und an- dere Aufgaben als Rechte und Pflichten haben (vgl. Kolbe 2002: S. 86f.). Das daraus entstandene Doppelversorgermodell mit seinen institutionellen Regelungen wird bis heute in Schweden praktiziert, also beide Elternteile oder auch Partner erbringen des Familieneinkommens (vgl. Hülskamp/ Seyda 2004: S. 33).

Ein weiterer wichtiger Fortschritt war das 1979, Schweden als erstes Land das absolute Gewaltverbot in der Erziehung eingeführt hat. Das Gesetz lautet übersetzt im schwedischen Elternrecht:

Das Kind darf weder einer körperlichen Bestrafung noch einer sonstigen herabsetzenden Behandlung ausgesetzt werden. Elternrecht: Kap. 6 § 3 Abs. 2 “ (vgl. Bussman/ Erthal/ Schroth 2011: S. 3).

Dies wird bis heute durch Kampagnen und Werbungen immer wieder in das Gedächtnis der Gesellschaft gerufen und hat dadurch auch einen hohen Bewusstseinsgrad (vgl. Bussman/ Erthal/ Schroth 2011: S. 15).

Heutzutage prägt die geschichtliche Entwicklung von Emanzipation und Gleichstellung auch die Gesellschaft und daraus resultierend die Vorstellung von Familie sehr. Es gibt in Schweden 42 % Ein-Personen-Haushalte ohne Kinder, 7 % Alleinerziehende und 28 % sonstige Privathaushalte, was vor allem kinderlose Paare bedeutet. Diese Zusammen- setzung von schwedischen Haushalten zeigt die Wertvorstellungen von schwedischen Bürgern auf. Nur 24 % der schwedischen Haushalte stellen Paare mit Kindern dar (vgl. Mühling/ Schwarze 2011: S. 20). Die Schwedinnen bekommen mit durchschnittlich 28,7 Jahren ihr erstes Kind. Durch das immer höher werdende Alter der Frauen bei der Geburt des ersten Kindes, bekommen diese meist nicht mehr so viele Kinder. Im Schnitt hat die schwedische Frau 1,75 Kinder. Dabei ist zu bemerken, dass die Geburten von unehelichen Kindern kontinuierlich ansteigen (vgl. Mühling/ Schwarze 2011: S. 25ff.). Die Heirat scheint kein zwingender Faktor für eine Beziehung und damit auch Familie zu sein. So liegt das Durchschnittsalter bei der Hochzeit in Schweden bei den Männern bei über 32 Jahren und die Frauen sind rund 31 Jahre alt. Die Scheidungsrate ist mit 11,3 % sehr hoch. Nur 47 % der volljährigen Schweden leben in einer Ehe und 0,3 % in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Der Rest ist verwitwet, ledig oder ist zwar verheiratet aber getrennt lebend. Also hat sich gut die Hälfte der volljährigen Schwe- dInnen gegen das Modell Ehe entschieden (vgl. Mühling/ Schwarze 2011: S. 29). Wel- che Gründe hierfür vorliegen könnten, wird im Kapitel 6.1 finanzielle Unterstützung von Familien, noch einmal angeschaut und in Verbindung gesetzt.

3. Bedeutung von Krise für Menschen in einem Wohlfahrtsstaat

Kurt Tucholsky schrieb in seinem Essay „Deutsche Richter“:

„ Eine Krise ist jener Ungewisse Zustand, in dem sich etwas entscheiden soll: Tod oder Leben - Ja oder Nein “ (Tucholsky 1927).

Dies beschreibt den richtungsweisenden Wendepunkt, welchen eine Krise darstellt sehr gut und zeigt auch auf, dass sie zugleich eine Chance kann. Eine Möglichkeit sich einer Herausforderung zu stellen, einen neuen Anfang zu wagen und Ressourcen zu entde- cken, um sie zu mobilisieren. Das bedeutet nicht, dass jede Herausforderung eine Krise verkörpert. Aber sie birgt sie in sich, wenn die Herausforderung nämlich zur Überforde- rung wird und das Gefühl aufkommt, dass es die Existenz bedroht ist und keine der bis-her erlernten Strategien und Fähigkeiten vorhanden zu sein scheinen, um dem entgegen zu wirken (vgl. Stein 2009: S. 20f.).

Das Wort Krise stammt von dem altgriechischen Wort krisis ab und bedeutet Um- schlagpunkt, Wende und Entscheidung. Ursprünglich wurde es in der Medizin verwen- det wenn bei einer Krankheit ein Wendepunkt dahingehend sichtbar wurde ob der Pati- ent den stärker auftretenden Symptomen erliegen oder eine Genesung eintreten würde (vgl. Stein 2009: S. 21). Krisen können von unterschiedlichen Gesichtspunkten aus be- trachtet und gedeutet werden. Das Wort Krise wird im Zusammenhang mit soziologi- schen, psychologischen, wirtschaftlichen, politischen und viele andere Kontexten und einhergehende Definitionen verwendet. Jedoch muss unterschieden werden zwischen individuellen und staatlichen Krisen und daher auch zwischen einer persönlich empfun- denen Krise und einer materiellen oder anderen existenzbedrohenden allgemeingültigen Krise (vgl. Hedinger 2012: S. 148). In diesem Teil der Begriffsdefinition soll eher auf die existenzsichernde und materielle Krise eingegangen werden, da diese zugehöriger ist für die Thematik des sozialen Sicherungssystems für BürgerInnen des jeweiligen Sozialstaates. Die individuellen psychosozialen Krisen und deren Arten wie z. B. Trauer oder andere positive wie negative Lebensveränderungen werden im Kapitel der Sozialen Arbeit dieser Masterarbeit näher beschrieben. Krise meint also im Folgenden materielle Existenzbedrohungen wie z. B. Arbeitslosigkeit und deren Folgen und Absicherungen dagegen. In Bezug auf die Kategorien der Krise ist hiermit die soziale Krise gemeint. Bei dieser Krisenart ist es so, dass ein Problem unter vielen Menschen verbreitet ist, diese es aber nicht aus eigener Kraft beheben können. Damit ist z. B. gemeint, dass die wirtschaftliche Situation in einem Land in Schieflage gerät und deshalb viele Menschen arbeitslos werden oder die sozialen Leistungen nicht mehr ausgezahlt werden können bzw. gekürzt werden müssen wegen nötiger Einsparungen (vgl. Prager/ Hlous 2006: S. 13). In dieser Arbeit wird daher im weiteren Verlauf auf soziale Belastungen näher ein- gegangen welche vor allem die soziale Krise auslösen können.

4. Die Bezeichnung „Wohlfahrtsstaat“, seine Entstehung und Architek- turen

In diesem Kapitel sollen die beiden Modelle eines Wohlfahrtsstaates von Deutschland und Schweden dargestellt werden. Um dies nachvollziehbar abbilden zu können, muss zu erst eine allgemeine Erklärung für den Begriff des Wohlfahrtsstaates bestimmt werden. Für diese Arbeit wird die Definition aus dem Politiklexikon von Schubert und Klein verwendet. Diese Definition wurde ausgewählt für diese Masterarbeit weil sie das nun Folgende gut umschreibt und auch die Schwierigkeiten z. B. der Bezeichnung und deren Bedeutung benennt. Der Wortlaut der Definition lautet wie folgt:

W. ist die Kurzbezeichnung für einen Staat, der eine Anzahl unterschiedlicher (Fürsorge-)Maßnahmen, Programme und Politiken anwendet, die der sozialen, materiellen und kulturellen Wohlfahrt der Bevölkerung dienen. Die Bezeichnung stammt aus der angloamerikanischen Politikwissenschaft (Welfare State) und wird häufig gleichlautend für den Begriff Sozialstaat verwendet, ist aber umfassender zu verstehen und wird (aus der neoliberalen Kritik heraus) in jüngster Zeit eher mit einer individuellen Bevormun dung, mit Einschränkung von Eigeninitiative und Verantwortung in Verbindung gebracht als mit den (im Deutschenüblichen) Begriffen Wohlfahrt und Wohlergehen.

Zunehmend wird auch auf den Begriff des Wohlfahrtssystems zurückgegriffen, da dieser berücksichtigt, dass (ebenfalls zunehmend) sog. nicht staatliche Akteure an der Erstellung von Sozial- und Wohlfahrts leistungen beteiligt sind “ (Schubert/ Klein 2011: S. 332).

Der Wohlfahrtsstaat wird in allen Ländern anders geprägt und ausgelegt da diese auch unterschiedliche Ausgangssituationen hatten. In Deutschland z. B. standen zu Beginn des Wohlfahrtsstaates, im 19. Jahrhundert, die Arbeiter im sozialpolitischen Fokus. In England waren es die Armen und in Frankreich die Familie. Auch die verschiedenen Begriffe zeigen die unterschiedlichen Herangehensweise an den Wohlfahrtsstaat und dessen Bedeutung. In Deutschland wird immer häufiger der Begriff „Sozialstaat“ ge- nannt während in Schweden „Volksheim“ (schwedisch „folkhem“) hierfür verwendet wird (vgl. Schmid 2010: S. 42f.). Auch in dem Politiklexikon von Schubert und Klein wird auf den Begriff des Sozialstaates in der Erklärung des Wohlfahrtsstaates verwie- sen. Die Ausführung zum Sozialstaat soll deshalb auch in die Definition für diese Arbeit einfließen.

S. bezeichnet einen demokratischen Staat, der verfassungsgem äß nicht nur die Grundrechte und persönlichen und wirtschaftlichen Freiheiten garantiert (Rechtsstaat), sondern auch rechtliche, finanzielle und materielle Maßnahmen ergreift, um soziale Gegensätze und Spannungen (bis zu einem gewissen Maß) auszugleichen. Das S.-Prinzip schließt insofern an das rechtsstaatliche Ziel der Gerechtigkeit an und ist in Art. 20 und 28 GG festgelegt “ (Schubert/ Klein 2011: S. 281).

Bei diesen beiden Definitionen wird sichtbar, dass die Ziele sich unterscheiden. Der Wohlfahrtsstaat versucht Maßnahmen zu installieren, um das materielle, soziale und kulturelle Wohlergehen seiner Bürger zu steigern und zu sichern, während der Sozial- staat Menschen unterstützt die bereits in einer Notlage sind und sich nicht selbst helfen können. Zusätzlich installiert der Sozialstaat dann Maßnahmen, um diesen Notlagen vorzubeugen bzw. sie auszugleichen. Gerechtigkeit und Gleichstellung scheint beim Sozialstaat sehr wichtig zu sein. Wenn also zwischen Wohlfahrtsstaat und Sozialstaat unterschieden wird, wäre es interessant zu ermitteln, zu welchem Begriff mit den ent- sprechenden Ausformungen bzw. Erscheinungsformen die beiden Länder eher tendie- ren. Im dritten Lesebuch der Sozialen Demokratie von der Friedrich Ebert Stiftung wird auch von den Grundwerten Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität gesprochen (vgl. Akademie für Soziale Demokratie 2012: S. 8). Vor allem wird hier ein Zitat aus dem Hamburger Programm hervorgehoben:

Gerechtigkeit gründet in der gleichen Würde jedes Menschen. Sie bedeutet gleiche Freiheit und gleiche Lebenschancen, unabhängig von Herkunft oder Geschlecht “ (SPD-Parteivorstand 2007: S.15).

Es stellt sich auch an diesem Punkt die Frage gestellt, wie man die Maximen Gleichheit, Bedarfsgerechtigkeit, Chancengleichheit und Leistungsgerechtigkeit erreichen kann und vor allem im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit und Generationsgerechtigkeit, also die faire Aufteilung von Rechten und Pflichten zwischen Mann und Frau, Jung und Alt (vgl. Akademie für Soziale Demokratie 2012: S. 15ff.).

Da der Terminus Wohlfahrtsstaat (welfare state) auf internationaler Forschungsebene häufiger genutzt wird, soll dieser auch für diese Masterarbeit gelten.

4.1 Zur Entstehung des Wohlfahrtsstaates

Nach Lessenich sind vier Ansätze bzw. Erklärungsmodelle zur Entstehung und Entwicklung von Wohlfahrtsstaaten besonders hervor zu heben (vgl. Lessenich 2000: 39ff.). Es sind der funktionalistische Ansatz, der interessen- und konflikttheoretische Ansatz, der institutionelle Ansatz und der wohlfahrtskulturelle Ansatz. Diese sollen im weiteren Textverlauf näher erläutert werden.

In dem funktionalistischen Ansatz wird davon ausgegangen das durch die Industrialisie- rung, dem einhergehenden wirtschaftlichen Wandel und den Folgeerscheinungen die traditionellen und privaten Hilfesysteme bspw. Familie oder Gemeinden sich auflösten bzw. überlastet waren mit dieser neuen Situation (Industrialismus-These). Die neue Si- tuation entstand u. a. durch ein Wachstum der Bevölkerung, den Umzug vieler Men- schen in die Städte und der damit einhergehenden Auflösung von bisherigen traditionel- len Lebensweisen. Dieser Umstand nötigte die Gesellschaft, wohlfahrtsstaatliche Siche- rungssysteme zu entwickeln, da dies neuartige soziale Probleme für die Gesellschaft waren. Außerdem entstand durch den Kapitalismus ein stärkeres Arm/Reich Gefälle welches um die herrschende Ordnung beizubehalten z. B. durch Armenfürsorge aufge- fangen werden musste (neomarxistischer Ansatz). Der Wohlfahrtsstaat übernimmt hier eine sehr gegensätzliche Rolle. Zum einen schützt er den Kapitalismus und zum anderen wird er dadurch aber zur finanziellen Belastung hierfür (vgl. Ullrich 2005: 29ff.).

Der interessen- und konflikttheoretische Ansatz leitet die Entstehung des Wohlfahrts- staates von politischen und sozialen Ursachen her. Besonders wichtig sind hierfür die politischen Machtverhältnisse und die divergenten gesellschaftlichen Interessengruppen. Durch die verschiedenen Ansichten und Meinungen können soziale Konflikte entstehen. Dazu hat u. a. beigetragen das Arbeiter auch Wähler wurden und sich Gewerkschaften bildeten um die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten. Diese Faktoren verhalfen den Arbeitern den Arbeitgebern auf Augenhöhe zu begegnen und gelangten dadurch zu ei- nem Mitbestimmungsrecht. Durch die Bedürfnisse der Arbeitnehmer auf z. B. Absiche- rung bei Arbeitslosigkeit oder Krankheit wurden neue Absicherungssysteme geschaffen (Machtressourcenansatz oder der Parteienstärkeansatz). Außerdem wurde so von den Herrschenden ein Zugeständnis an die aufbegehrende Arbeiterklasse gemacht und so ihre Position vorerst geschützt (neomarxistische Konflikttheorie). Darüber hinaus gibt es auch die Mittelklassenthese, nach der die Mittelschicht nicht nur wegen sozialer Ab- sicherung ein Interesse an wohlfahrtsstaatlichen Absicherungen hatte, sondern auch wegen der steigenden Karrieremöglichkeiten. Entscheidend wäre nach der Parteienkoa- litionsthese auch ein Zusammenschluss verschiedener Interessensgruppen für die Ent- wicklung des Wohlfahrtsstaates gewesen (vgl. Ullrich 2005: 31ff.). Zusammenfassen lassen sich diese Ansätze also damit, dass durch verschiedene politisch motivierte Handlungen also auch von unterschiedlichen interessierten Akteuren die Ausdehnung des Wohlfahrtsstaates vorangetrieben wurde.

Es gibt unterschiedlicher Erklärungsmuster bei den institutionellen Ansätzen. Laut Ull- rich gibt es drei Hauptrichtungen (vgl. Ullrich 2005: S. 34). Die staatszentrierten Erklä- rungen sehen im Staat und dessen Bürgern eine große Antriebskraft für die Entstehung eines Wohlfahrtsstaates. Durch das Bilden der Grundlagen für einen leistungsstarken Staat wurde auch die Basis für wohlfahrtsstaatliche Leistungen geschaffen. Dieser An- satz kann auch so gesehen werden, dass die herrschende Klasse Sozialpolitik als Mittel sah, um die eigenen Interessen zu schützen. In diesem Zusammenhang könnte man auch die Richtung sehen, welche das Konkurrenzverhalten zwischen den Nationalstaaten und dessen Wechselwirkung aufeinander als Ansatzpunkt für die Entstehung eines Wohl- fahrtsstaates sieht. Der Rückkopplungseffekt wohlfahrtsstaatlicher Institutionen stellt die dritte Richtung dar und führt zu der Debatte, ob vorhandene Strukturen die gesell- schaftlichen Entwicklung zukünftig zwangsläufig beeinflussen (vgl. Ullrich 2005: S. 35). Ein bekannter Vertreter der institutionalistischen Wohlfahrtsanalyse ist Gøsta E- sping-Andersen. Er leistete einen großen Beitrag mit der Zuordnung von Typologien der Wohlfahrtsstaaten, auf die im nächsten Kapitel genauer eingegangen wird. Seine bekanntesten Veröffentlichungen sind: „The Three Worlds of Welfare Capitalism“ (1990), „Welfare States in Transition“ (1996), „Social Foundations of Postindustrial Economies“ (1998) und „Why We Need a New Welfare State“ (2002).

In die Überlegungen über die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates beziehen die wohlfahrtskulturellen Ansätze auch den Einfluss von Ideologien oder religiösen Orientierungen ein. Das Interesse liegt hierbei zusätzlich bei Deutungsmustern und Diskursen welche immer mit Erwartungshaltungen an soziale Sicherung und die allgemeine gesellschaftliche Vorstellung von den Betroffenen und deren Ursachen oder Wertung einhergehen. Bei diesen Ansätzen bezieht man sich vor allem auf historische Untersuchungen also z. B., dass in Deutschland die Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert stärker und größer wurde. Das Augenmerk lag auf ihren Bedürfnissen und Erwartungen im Hinblick auf die ganze Bevölkerung (vgl. Ullrich 2008: S.47).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die funktionalistischen Ansätze eine genügende Erklärung für die Entwicklung und deren Bedingungen von Wohlfahrtsstaaten liefern z. B. soziale Problematiken aus verschiedenen strukturellen und anderen Modernisierun- gen im Zusammenhang mit der Industrialisierung. Durch die konflikttheoretischen und institutionalistischen Theorien werden die unterschiedlichen Ereignisse in den Wohl- fahrtsstaaten und deren Gestaltungen sowie deren Niveau sichtbar gemacht. Die kultura- listischen Ansätze erklären eher geistige und moralische Gegebenheiten von Wohlfahrtsstaaten.

4.2 Formen bzw. Architekturen des Wohlfahrtsstaates

Gøsta Esping-Andersen hat hierzu 1990 eine Studie in dem Buch „The Three Worlds of Welfare Capitalism“ veröffentlicht (Esping-Andersen 1990). Er ordnete in dem Buch die westlichen Industrieländer in drei verschiedene Arten von Architektur eines Wohl- fahrtsstaates zu. Die Architekturen oder auch verschiedenen Organisationsstrukturen wurden namentlich bestimmt von politischen Richtungen bzw. Parteien welche maß- geblich an der Schaffung der unterschiedlichen Formen der Wohlfahrtsstaaten beteiligt waren. Die drei Formen sind liberaler, konservativer und sozialdemokratischer Wohl- fahrtsstaat. Es hat sich zusätzlich gezeigt, dass man diese auch geografisch zuordnen kann weshalb der liberale Wohlfahrtsstaat auch als Angelsächsisch, der konservative als kontinental und der sozialdemokratische als skandinavisch bezeichnet wird (vgl. Aka- demie für Soziale Demokratie 2012: S. 34f.). Um einen Vergleich anstellen zu können, betrachtete Esping-Andersen die Wohlfahrtsstaaten unter drei Prämissen. Diese sind der Grad der Dekommodifizierung, das Verhältnis zwischen Markt, Staat und Familie und das Ausmaß der Stratifikation.

Dekommodifizierung hat das englische Wort „commodity“ also Ware als Wortstamm. Mit Ware ist in diesem Zusammenhang Arbeit gemeint. Dieses Kriterium soll zeigen inwieweit die Menschen nicht auf den Arbeitsmarkt angewiesen sind und trotzdem für ihren Lebensunterhalt gesorgt ist. Inwieweit ist der Mensch also abhängig vom Markt. Als Beispiel könnte man sagen, dass die Dekommodifizierung sehr hoch ist wenn der Staat genügend Unterstützung und einen Rechtsanspruch darauf anbietet, sodass der Mensch nicht jede schlecht bezahlte Arbeit annehmen muss, um seine Familie zu ernäh- ren und damit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Unabhängig von den Gründen wie z. B. Krankheit, Alter oder Verfügbarkeit wie saisonale Flauten (vgl. Esping-Andersen 1990: S. 22). Der Grad der Dekommodifizierung ist demzufolge hauptsächlich von drei Faktoren abhängig. Das sind nach Esping-Andersen die Zugangsvoraussetzungen, nach welchen Leistungen vergeben werden, die Höhe der Einkommensersatzleistungen (in- come replacement) im Vergleich zum Lohn sowie die Bezugsdauer und der Zugang zu Leistungen. Je nach Typ des Wohlfahrtsstaats sind die Regeln und gleichkommende Dekommodifizierung unterschiedlich ausgeprägt. Großbritannien handelt z. B. nach dem Sozialfürsorgeprinzip und hat einen geringen Wert weil sie eine Bedürftigkeitsprü- fung haben und einen kleinen Leistungsumfang. Die Bürger sind damit gezwungen, sich am Arbeitsmarkt zu beteiligen (vgl. Esping-Andersen 1990: S. 48). Durch die nur vo- rübergehende Unabhängigkeit von der Erwerbstätigkeit ist in Staaten mit Sozialversi- cherungssystemen die Dekommodifizierung auch relativ gering. Hinzu kommt, dass die Höhe und Dauer der sozialen Leistungen an die frühere Beschäftigung geknüpft ist also auch an Dauer und Art der Arbeit (vgl. Esping-Andersen 1998: S. 37). Es gibt aber auch Staaten mit universellen Sicherungssystemen. Diese universellen Sicherungssysteme kümmern sich darum, dass alle ihre Bürger eine Grundsicherung haben, angelehnt an das mittlere Wohlstandniveau. Diese Grundsicherung ist unabhängig von vorangegan- genen Beitragszahlungen, Erwerbsarbeit und Bedürftigkeitsprüfungen (vgl. Ullrich 2005: S. 108ff.). Esping-Andersen sieht den Grund für den Grad der Dekommodifizie- rung in den wohlfahrtsstaatlichen Traditionen und der Stärke der Arbeiterklasse. Von den 18 untersuchten Ländern weißt Schweden eine hohe Dekommodifizierung auf, was an den liberalen Traditionen liegt und an der dominierenden Sozialdemokratie. Deutsch- land hat eine mittlere Dekommodifizierung laut den Untersuchungen und Amerika hat durch die schwache Arbeiterbewegung einen geringen Wert (vgl. Esping-Andersen 1990: S. 53ff.).

Die zweite Prämisse Stratifikation kommt von dem lateinischen Begriff „stratum“ und heißt Decke. Dies soll die verschiedenen Schichten einer Gesellschaft darstellen also z. B. Milieus oder Ober-, Mittel- und Unterschicht. Es zeigt welche unterschiedlichen Gruppen in einer Gesellschaft vorhanden sind und wie sie vom Staat behandelt werden. Insbesondere wird geschaut, ob der Staat zu einer Klassifizierung unter den Menschen beiträgt. Dies soll aufzeigen das der Staat selber das Stratifizierungssystem ist (vgl. E- sping-Andersen 1990: S. 23). Die oben bereits genannten Bedürftigkeitsprüfungen und damit Sozialversicherungsmodelle bspw. bestärken und manifestieren soziale Ungleich- heit. Die Statusgleichheit, welche durch die bedürftigkeitsunabhängige Grundsicherung im universellen Sicherungssystem vorhanden ist, sorgt für Solidarität und Statusgleich- heit (vgl. Esping-Andersen 1990: S. 25).

[...]


1 Bei der Anwendung der männlichen Schreibform rücken weibliche Personen im Bewusstsein der Leser- schaft häufig in den Hintergrund. Durch Verwendung von Beidnennungen wie mit dem Binnen-I wird die Beteiligung von Frauen an den jeweiligen Personengruppen in dieser Masterarbeit sprachlich deutlich gemacht.

Ende der Leseprobe aus 72 Seiten

Details

Titel
Umgang mit Krisen in Familien. Vergleich Deutschland und Schweden
Hochschule
Universität Vechta; früher Hochschule Vechta  (Soziale Arbeit)
Note
1,7
Autor
Jahr
2014
Seiten
72
Katalognummer
V282251
ISBN (eBook)
9783656766209
ISBN (Buch)
9783656766216
Dateigröße
959 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schweden, Deutschland, Wohlfahrtsstaat, Sozialstaat, Hilfesystem, Sozialsystem, Familie, Sozialarbeit
Arbeit zitieren
Helene Schumacher (Autor:in), 2014, Umgang mit Krisen in Familien. Vergleich Deutschland und Schweden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/282251

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