Der Rentierstaat Iran. Die Schwächen eines „starken“ Staates am Beispiel der Iranischen Revolution 1979


Hausarbeit, 2013

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Rentierstaat
2.1. Begriffsdefinition
2.2. Die verschiedenen Arten von Renten
2.3. Das Verhältnis von Staat und Gesellschaft im Rentierstaat

3. Der „starke Staat“ nach Stephen Krasner
3.1. Begriffsdefinition
3.2. Die Stärken und Schwächen Arabischer Rentierstaaten

4. Rentierstaat Iran
4.1. Die politische Entwicklung des Iran von der Pahlavi-Dynastie zur Islamischen Republik
4.2. Einfluss rentierstaatlicher Strukturen auf die Entwicklung des Iran

5. Der Weg zur Iranischen Revolution 1979
5.1. Konflikte zwischen Staat und Gesellschaft zu Zeiten des Pahlavi-Regimes
5.2. Schwächung des Iranischen Staates aufgrund rentierstaatlicher Strukturen
5.3. Bazar-Ulama-Allianz

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

8. September 1978 in Teheran. Auf dem Jaleh-Platz sind mehrere Tausend Demonstranten aufgelaufen, denen wiederrum Hunderte Streitkräfte der Iranischen Regierung gegenüberstehen. Schnell beginnt die Situation zu eskalieren. Mit bis zu 15.000 angegebenen Toten soll dieser Tag als Höhepunkt einer Revolution in die Geschichte eingehen, die noch Monate zuvor niemand hatte kommen sehen[1]. Nur etwa 100 Tage sollte es letztendlich dauern, bis aus den anfänglich kleineren Protestbewegungen ein Sturz des monarchischen Regimes folgte und das Staatsoberhaupt, Mohammad Reza Pahlavi, nach 37 Jahren Amtszeit zur Flucht gezwungen wurde[2].

Selbst Experten und Wissenschaftler gerieten in Erklärungsnot, als deutlich wurde, dass der, nach den Kriterien Krasners, als „stark“ geltende Iranische Staat[3], sich nicht mehr zu wehren vermochte[4]. Auch in der Debatte um das Rentierstaatskonzept herrschte Uneinigkeit, wurden doch die Entwicklungen im Iran als Widerspruch zu den Thesen der Rentierstaatstheorie gesehen, welche davon ausgeht, die Regierung in einem solchen Staat habe mittels Depolitisierung und Repression volle Kontrolle über die Gesellschaft[5].

Einige Wissenschaftler jedoch behaupten in diesem Zusammenhang das genaue Gegenteil: Rentierstaatliche Strukturen werden als entscheidende Ursache dafür gesehen, dass der Iranische Staat sich letztendlich nicht mehr gegen seine Bevölkerung zur Wehr setzen konnte[6].

In dieser Arbeit möchte ich am Beispiel der Iranischen Revolution von 1979 den Wahrheitsgehalt dieser letzten These überprüfen. Meine Fragestellung lautet demnach: Inwiefern tragen rentierstaatliche Strukturen in einem „starken“ Staat im Sinne Krasners, auf bestimmten Ebenen, zu einer Schwächung desselben bei, sodass sie als Erklärungsfaktor für die plötzlich aufkeimende Revolutionsbewegung im Iran im Jahre 1979 dienen können?

Nachdem zunächst eine Begriffsdefinition des Rentierstaates und des „starken Staates“ nach Krasner erfolgt, werden, zunächst allgemein und dann in Bezug auf den Iran, die Auswirkungen rentierstaatlicher Strukturen auf das Verhältnis von Staat und Gesellschaft beleuchtet und schließlich die spezifischen Faktoren, die zum Sturz des Pahlavi-Regimes geführt haben, betrachtet. In einem Fazit möchte ich die gewonnenen Erkenntnisse zusammenführen, um zu einer Antwort auf die eingangs formulierte Fragestellung zu gelangen.

2. Rentierstaat

2.1. Begriffsdefinition

Ein Staat wird als Rentierstaat definiert, wenn er sich zu einem substantiellen Teil durch Einnahmen aus externen Quellen finanziert[7], bei dessen Generierung nur ein sehr geringer Teil der Bevölkerung direkt beteiligt ist[8]. Den Renteneinnahmen stehen somit keine Investitions- oder Arbeitsleistungen innerhalb des Staates gegenüber und sie stehen dem Staat quasi zur freien Disposition. Da der Staat nicht auf die Steuerzahlungen der Bevölkerung angewiesen ist, ist er von dieser weitgehend unabhängig[9].

Der Begriff wurde zunächst durch Hossein Mahdavy eingeführt[10] und durch Hazem Beblawi und Giacomo Luciani weiter geprägt[11].

2.2. Die verschiedenen Arten von Renten

Renten lassen sich aus unterschiedlichen Quellen generieren und teilen Rentierstaaten in diesem Zusammenhang in zwei Kategorien ein, die Rentiers ersten Grades, welche sich vornehmlich durch Rohstoffquellen finanzieren und die Rentiers zweiten Grades, welche vor allem auf politische Renten durch andere Staaten angewiesen sind, sowie sich auf Lage- und Migrantenrenten stützen[12].

Die für die Rentierstaaten der MENA-Region[13] bedeutendste Einnahmequelle besteht in dem Gewinn, der aus der Verwertung von Rohstoffen durch externe Akteure gezogen wird. Den deutlich größten Anteil nehmen dabei Erdöl- und Erdgasgewinnung ein. Diese Rentenquelle ist deshalb besonders lukrativ, weil die Einnahmen aus der Rohstoffverwertung zu bis zu 97%, in Form von Renten, an den Staat gehen, in dem sich die Rohstoffe befinden, da die Kosten der Gewinnung in dieser Region relativ gering sind[14].

Mit Gründung der OPEC („Organisation Erdöl exportierender Staaten“) im Jahre 1960 liberalisierten sich die erdölexportierenden Staaten von den multinationalen Erdölgesellschaften und nahmen das Preisdiktat selbst in die Hand, was ihre Einnahmen durch die Ölgewinnung weiter erhöhte[15].

Für die Rentiers zweiten Grades, die auch als „Semirentiers“ bezeichnet werden[16], also jene Staaten, die selbst keine größeren Rohstoffvorkommen besitzen, sind vor allem Einnahmen durch ausländisches Kapital eine entscheidende Quelle. Dabei kann es sich um Darlehen handeln, direktes Investment durch andere Staaten, Hilfsgelder oder auch um den Handel mit Devisen[17].

Vor allem bei der Zuteilung von unilateralen Hilfsgeldern oder der Gewährung von Krediten, steht oft ein strategischer Aspekt dahinter, weshalb hier auch von politischer Rente gesprochen wird[18]. Dabei kann es zum Beispiel um das Ziel der Konsolidierung einer politischen Ordnung innerhalb des Empfängerlandes gehen oder um andere außenpolitische Interessen, wie die Unterstützung im Kriegsfall oder die Nicht-Einmischung in einen Konflikt[19].

Ein weiterer wichtiger Faktor sind Renteneinnahmen durch Überweisungen von Migranten, die im Ausland einer Beschäftigung nachgehen, an ihr Heimatland. Da zwar eine Arbeitsleistung erbracht wird, diese aber nicht in dem Staat, der durch das Geld profitiert, gilt die Migrantenrente dennoch als vollwertige Rente[20].

Neben politischen Konstellationen und Rohstoffvorkommen, kann auch die geographische Lage eines Landes entscheidend für die Einnahme von Renten sein. So genannte „Lagerenten“ entstehen aus den Gebühren, die Staaten für die Nutzung von Ölleitungen oder Wasserwegen, wie beispielsweise dem Suezkanal in Ägypten, veranschlagen[21].

2.3. Das Verhältnis von Staat und Gesellschaft im Rentierstaat

Der Begriff des Rentierstaates fiel in der Vergangenheit vor allem dann, wenn es darum ging, das Ausbleiben von Demokratisierungsbewegungen im Arabischen Raum zu erklären, nachdem auf dem Rest der Welt, vor allem ab Mitte der 1970er Jahre, Demokratisierungswellen die politischen Systeme grundlegend verändert hatten[22], während eine solche Entwicklung im Arabischen Raum nicht stattfand[23].

Die Resistenz der Rentierstaaten gegenüber Demokratisierung lässt sich vor allem mit der Tatsache begründen, dass der Staat in einem solchen System nicht auf die Steuereinnahmen durch die Bürger angewiesen ist, sondern sich fast ausschließlich durch die Renteneinnahmen finanziert und somit weitestgehend autonom agieren kann[24]. Die Bürger ihrerseits sind auf die Zahlungen durch den Staat, welcher für viele Menschen den Arbeitgeber darstellt oder sie durch Alimente unterstützt, angewiesen und haben deshalb keine Bestrebungen, sich gegen diesen zu erheben. Zudem kann hier das Prinzip „No taxation without representation“, das einst den Ursprung des Amerikanischen Unabhän- gigkeitskrieges markierte, nicht geltend gemacht werden, da im Rentierstaat die Steuern entsprechend niedrig ausfallen[25].

Weder die Bürger noch der Staat haben also die Absicht, die Bevölkerung mit in politische Aktivitäten einzubeziehen und der Staat verbleibt in einer rein anleitenden bzw. verwaltenden Position, ohne eine Verbindung zur Gesellschaft herzustellen[26].

Anstatt Produktivität entgegen zu streben, geht es auf Seiten der Bürger vor allem darum, durch eine günstige politische und wirtschaftliche Positionierung einen möglichst guten Zugang zu den Einnahmen aus der Rente zu erhalten, was auch als „rent-seeking“ bezeichnet wird.[27]

Weil jeder vor allem auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist und der Staat politische Aktivitäten, die eine Gefahr darstellen könnten, überwacht bzw. eine gezielte „Depolitisierung“ der Gesellschaft betreibt[28], kommt es nur selten zur Bildung starker politischer Gruppen oder gewerkschaftlicher Bündnisse[29]. Der Staat wiederum nutzt seine Liquidität, um sich politische Einflussnahme auf dem finanziellen Weg zu beschaffen[30]. Weiterhin nutzt er die Einnahmen aus den Renten, um einen starken Repressionsapparat aufzubauen[31], der die Gesellschaft unter Kontrolle halten soll.

Anstelle eines Produktionsstaates, der auf wirtschaftliche und politische Entwicklung hinarbeitet, bildet sich somit ein Verteilungsstaat heraus, dessen vorrangige Aufgabe es ist, die Einnahmen aus den Renten gerecht auf die Bevölkerung aufzuteilen[32]. Da das Geld meist ohne direkte Gegenleistung an die Bevölkerung verteilt wird, was oft willkürlich erscheint oder mit bestimmten Umständen, wie der Position innerhalb der Gesellschaft bzw. des staatlichen Systems zusammenhängt, wird innerhalb der “rentier mentality“ die Entlohnung nicht mehr im kausalen Zusammenhang mit einer Arbeitsleistung gesehen, sondern viel mehr mit speziellen Umständen in Verbindung gebracht, die es zu erreichen gilt[33].

Da die Patron-Klient Beziehungen, die aufgebaut werden, um von den Renteneinnahmen profitieren zu können, ein hohes Maß an Organisationsvermögen erfordern, werden jene, die dieses nicht besitzen, nämlich die armen und schwachen Bevölkerungsschichten, von den Vorteilen der Rentengewinnung ausgeschlossen und haben kaum eine Chance, ihre Position innerhalb der Gesellschaft zu verbessern[34].

Letztlich ist das Resultat der Umwandlung in ein Rentierstaatssystem eine Umkehrung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft, da nicht die Gesellschaft den Staat durch ihre Steuern finanziert, sondern der Staat diese durch die Einnahmen aus den Renten[35].

[...]


[1] Afkhami, Gholam Reza (2009): The life and times of the Shah, University of California Press, S. 465.

[2] Kurzman, Charles (2004): The unthinkable revolution in Iran, Cambridge, MA [u.a.], Harvard Univ. Press, S. 1.

[3] Krasner, Stephen, S. 56.

[4] Kurzman, S. 1.

[5] Shambayati, Hootan (1994): The Rentier State, Interest Groups, and the Paradox of Autono-my: State and Business in Turkey and Iran, in: Comparative Politics , Vol. 26, No. 3, Ph.D. Program in Political Science of the City University of New York, S. 307f.

[6] Vgl. ebd.

[7] Beblawi/ Luciani (1987): The Rentier State, London u.a. : Croom Helm, S.70

[8] Vgl. ebd., S. 51.

[9] Beck, Martin (2007): Der Rentierstaatsansatz, in: Holger Albrecht: Der Vordere Orient - Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, Baden-Baden: Nomos, S. 101-119, S. 102.

[10] Mahdavy, Hossein (1970): The Pattern and Problems of Economic Development in Rentier States: The Case of Iran, in: Studies in the Economic History of the Middle East, ed. M.A. Cook, Oxford University Press.

[11] Beblawi/ Luciani (1987).

[12] Pawelka, Peter (1993): Der Vordere Orient und die international Politik, Stuttgart u.a. : Kohlhammer, S. 106.

[13] Die Bezeichnung MENA-Region (“Middle East and North Africa”) steht für das Gebiet von Marokko bis zum Iran, häufig auch als „Naher Osten“ bezeichnet, URL: http://web.worldbank.org/WBSITE/EXTERNAL/COUNTRIES/MENAEXT/0,,menuPK:247619~pagePK:146748~piPK:146812~theSitePK:256299,00.html.

[14] Beblawi/ Luciani, S. 26.

[15] Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag (2009), 4. Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut.

[16] Pawelka (1993), S. 106.

[17] Beblawi/ Luciani, S. 26.

[18] Pawelka, Peter (1993), S. 106.

[19] Boeckh/ Palawi (1997): Staat, Markt und Rente in der internationalen Politik, Opladen : Westdt. Verl.

[20] Beck, Martin (2009): Rente und Rentierstaat im Nahen Osten, in: Der Nahe Osten im Umbruch, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 28.

[21] Beblawi/ Luciani, S. 26.

[22] Merkel, Wolfgang (2003), in: Claus Offe, Heidrun Abromeit, Arthur Benz, Klaus von Beyme: Demokratisierung der Demokratie. Diagnosen und Reformvorschläge, Frankfurt, S. 43.

[23] Beck, Martin (2009), S. 28ff.

[24] Beck (2007), S. 102.

[25] Beblawi/ Luciani, S. 53.

[26] Shambayati, S. 328f.

[27] Pawelka, Peter (2002): Der Staat im Vorderen Orient: Über die Demokratieresistenz in einer globalisierten Welt, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften.

[28] Beck (2007), S. 114.

[29] Beblawi/ Luciani, S. 226.

[30] Beblawi/ Luciani, S. 7.

[31] Beck (2007), S. 114.

[32] Beblawi/ Luciani., S. 69.

[33] Vgl. ebd., S. 52.

[34] Beck (2007), S. 112.

[35] Beck (2009), S. 41.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Der Rentierstaat Iran. Die Schwächen eines „starken“ Staates am Beispiel der Iranischen Revolution 1979
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto Suhr Institut)
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
19
Katalognummer
V282091
ISBN (eBook)
9783656769385
ISBN (Buch)
9783656769378
Dateigröße
479 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Iran, Rentierstaat, Starker staat, revolution, islamische revolution, iranische revolution
Arbeit zitieren
Ann-Britt Ohlsen (Autor:in), 2013, Der Rentierstaat Iran. Die Schwächen eines „starken“ Staates am Beispiel der Iranischen Revolution 1979, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/282091

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