Gemeinsamer Unterricht in der Sekundarstufe. Eine empirische Studie zu Erfahrungen und Problemen an einer Gesamtschule

Inklusion und Integration im Vergleich


Masterarbeit, 2014

164 Seiten, Note: 1,1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 EINLEITUNG

2 BEHINDERUNG IN DER SCHULE: DIE FÖRDERSCHWERPUNKTE
2.1 FÖRDERSCHWERPUNKT: LERNEN
2.2 FÖRDERSCHWERPUNKT: GEISTIGE ENTWICKLUNG
2.3 FÖRDERSCHWERPUNKT: EMOTIONALE UND SOZIALE ENTWICKLUNG
2.4 FÖRDERSCHWERPUNKT: SPRACHE
2.5 FÖRDERSCHWERPUNKT: KÖRPERLICHE UND MOTORISCHE ENTWICKLUNG
2.6 FÖRDERSCHWERPUNKT: HÖREN
2.7 FÖRDERSCHWERPUNKT: KRANKE
2.8 FÖRDERSCHWERPUNKT: SEHEN

3 VON DER EXKLUSION ZUR INKLUSION
3.1 DIE EXKLUSION
3.2 DIE SEPARATION
3.3 DIE KOOPERATION
3.4 DIE INTEGRATION
3.4.1 Das Konzept
3.4.2 Umstrukturierungsprozesse
3.4.3 Zusammenfassung
3.5 DIE INKLUSION
3.5.1 Das Konzept
3.5.2 Umstrukturierungsprozesse
3.5.3 Zusammenfassung

4 DIE INTEGRATION UND INKLUSION IM VERGLEICH
4.1 DIE KONZEPTE
4.2 DIE UNTERRICHTSPRAXIS

5 UNTERSUCHUNGSERGEBNISSE VON STUDIEN ZUR INTEGRATIVEN PÄDAGOGIK
5.1 ZAHLEN UND DATEN ZUR BESCHULUNG VON FÖRDERSCHÜLERN IN DEUTSCHLAND
5.2 UNTERSUCHUNGSERGEBNISSE ZUM INTEGRATIVEN UNTERRICHT

6 STUDIE ZU ERFAHRUNGEN UND PROBLEMEN AN EINER GESAMTSCHULE
6.1 ANMERKUNG ZUM DATENSCHUTZ
6.2 VORSTELLUNG DES UNTERSUCHUNGSRAUMS:
6.2.1 Das allgemeine Schulprofil
6.2.2 Das Integrationskonzept: Der Gemeinsame Unterricht

7 ZUR FRAGESTELLUNG UND DEN THESEN

8 FORSCHUNGSMETHODIK
8.1 DATENERHEBUNG
8.1.1 Die Beobachtung mit einem Beobachtungsbogen
8.1.2 Leitfadengestütztes Experteninterview
8.2 DATENAUFBEREITUNG
8.2.1 Statistische Aufbereitung
8.2.2 Transkription
8.3 DATENANALYSE
8.3.1 Quantitative Daten
8.3.2 Qualitative Daten
8.4 DATENAUSWERTUNG

9 STUDIENDURCHFÜHRUNG
9.1 DATENERHEBUNG
9.1.1 Auswahl der beobachteten und befragten Personen
9.1.2 Umfang der Beobachtung und Befragung
9.1.3 Zeitpunkt der Beobachtung und Befragung
9.1.4 Der Beobachtungsbogen
9.1.5 Der Interviewleitfaden
9.2 DATENANALYSE
9.2.1 Die quantitativen Daten
9.2.2 Die qualitativen Daten
9.3 DATENAUSWERTUNG

10 FAZIT UND AUSBLICK

11 LITERATURVERZEICHNIS
11.1 LITERATUR
11.2 INTERNETQUELLEN

ANHANG I

Danksagung

Mein Dank geht an meine Familie und meine Freunde, die mich bei der Erstellung der Mas- terarbeit unterstützt haben. Ein besonderer Dank gilt meiner Frau Marlen, die es während der Bearbeitungszeit nicht immer leicht mit mir hatte, aber mir dennoch zu jeder Zeit unter- stützend zur Seite stand. Ebenso gilt meinem Vater Harald ein besonderer Dank, da er mir als Korrektor zur Verfügung stand und mir mit Kritik und Rat stets unter die Arme griff

1 Einleitung

Das Thema Inklusion ist momentan in aller Munde. In regionalen und überregionalen Print- medien sind zurzeit viele Artikel rund um die Inklusion zu finden: Kommentare, Leserbriefe oder Berichte darüber, wo und wann als nächstes inklusiv unterrichtet werden soll. Ebenso finden sich im Internet unzählige Berichte, Diskussionsforen und andere Beiträge zur Inklusi- on. Auch im Fernsehen ist diese Thematik präsent in Form von Dokumentationen, Nachrich- ten und Diskussionsrunden. Insbesondere Politiker sprechen gern davon, dass es ein Unding sei, behinderte Menschen, in diesem Fall Kinder und Jugendliche, außerhalb der Regelschu- len zu unterrichten und sie damit an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Auf diese Weise wird die Inklusion zu einem Politikum. Bildungspolitiker, aber auch Politiker aus anderen Fachgebieten, fordern in einem fast schon unheimlichen Einklang die Umsetzung der UN- Behindertenrechtskonvention, die besagt, dass niemand aufgrund einer Behinderung von irgendeiner Form von institutionalisierter Bildung ausgeschlossen werden darf. Generell stellt die Forderung etwas dar, womit sich Politiker als besonders sozial, weltoffen und men- schenfreundlich präsentieren können, schließlich ist der Grundgedanke, alle Menschen am gesamten Leben der Gesellschaft teilhaben zu lassen, ein positiver. Dennoch entfacht diese Thematik große Debatten, denn insbesondere Personen, die pädagogisch arbeiten, melden Kritik und Zweifel an der Inklusion an. Aber auch viele sogenannte Experten haben Beden- ken, ob das der richtige Weg ist, um Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft zu integrieren, ohne dass die Gesellschaft oder die Behinderten darunter leiden.

Bei allen diesen Überlegungen und Diskussion wird häufig vergessen, dass in einigen Schulen bereits Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam in einer Klasse, in einem Raum unter- richtet werden. Es gibt unterschiedliche Modellversuche, die bereits vor zwei oder drei Jahr- zehnten begonnen haben und deren Konzeptionen auch nach der Beendigung der Versuchs- phase fortgesetzt wurden und bis heute noch fortbestehen. Diese Schulen haben somit be- reits jahrelange Erfahrungen mit der gemeinsamen Beschulung von behinderten und nicht- behinderten Kindern und Jugendlichen. Deren Erfahrungen sollte man sich für die Umset- zung der Inklusion zu Nutze machen. Auf diesem Wege könnten vielleicht bereits einige Ar- gumente für oder gegen die Inklusion bekräftigt oder entkräftet werden. Außerdem wird es auch bei den Modellversuchsschulen nicht so gewesen sein, dass alles von Anfang an rei- bungslos von statten ging. Es ergaben sich Probleme, die es zu überwinden galt und womög- lich tauchen diese Probleme auch bei inklusiven Schulkonzepten auf, sodass Lösungsansätze aus den Erkenntnissen gewonnen werden könnten. Die vorliegende Studie wird an einer Bielefelder Gesamtschule durchgeführt, weshalb das Thema wie folgt lautet:

Gemeinsamer Unterricht in der Sekundarstufe. Eine Studie zu Erfahrungen und Problemen an einer Gesamtschule.

Dem Thema dieser Ausarbeitung entsprechend ergibt sich folgende Forschungsfrage:

Welche Erkenntnisse k ö nnen aus den langj ä hrigen Erfahrungen des ‚ Gemeinsamen Unterrichts ‘ für die Inklusion gewonnen werden und inwieweit sind die Erfahrungen hilfreich bei der Umsetzung des Inklusionskonzepts?

Die Ziele dieser Ausarbeitung sind sehr unterschiedlich. Orientierend an der Forschungsfrage ergibt sich zunächst folgendes Ziel:

1. Die Erfahrungen und Probleme des ‚ Gemeinsamen Unterrichts ‘ an der Gesamtschule darstellen.

Da das Konzept des ‚Gemeinsamen Unterrichts‘ ein integratives Konzept ist und nicht den Ideen eines inklusiven Konzepts entspricht, muss der Unterschied zwischen diesen beiden Konzeptionen aufgezeigt werden, weshalb man zu folgender Zielformulierung gelangt:

2. Den wissenschaftlich-theoretischen Unterschied zwischen der Integration und der In- klusion darlegen.

Aus der theoretischen Darlegung des Unterschieds zwischen den beiden pädagogischen Entwürfen in der Studie können Vor- und Nachteile beider Konzeptionen ersichtlich werden, sodass das dritte Ziel lautet:

3. Vor- und Nachteile des ‚ Gemeinsamen Unterrichts ‘ gegenüber dem Inklusionskonzept darlegen.

Im Rahmen der Studie sollen schließlich die Probanden, also die Schüler mit Behinderungen in den jeweiligen Klassen in den Fokus rücken. Entsprechend ergibt sich folgendes Ziel:

4. Darstellung der Integration der behinderten Schüler an der Gesamtschule.

Nachdem der wissenschafts-theoretische Unterschied, die jeweiligen Vor- und Nachteile der Integration und Inklusion und die Integration der Schüler an der untersuchten Schule dargestellt sind, kann abschließend folgendes Ziel verfolgt werden:

5. Einen Ausblick auf die Umsetzbarkeit des Inklusionskonzepts geben.

Um die beschriebenen Ziele erreichen zu können, wird im Anschluss an diese Einleitung im zweiten Kapitel zunächst damit fortgefahren, den Begriff der Behinderung im schulischen Kontext zu erläutern. Das heißt. Es sollen die unterschiedlichen Förderpunkte beschrieben und erläutert werden. Diese Klärung ist grundlegend für das Verständnis der weiterführen- den Ausführungen, da hier die Beeinträchtigungen von Kindern und Jugendlichen im Rah- men der Integration wie auch der Inklusion thematisiert werden. Das dritte Kapitel setzt sich mit der Entwicklung des Bildungssystems von der Exklusion bis zur Inklusion auseinander. Insbesondere die Integration und die Inklusion werden hier ausführlich betrachtet. Denn anschließend im vierten Kapitel werden diese beiden Konzepte gegenübergestellt und mitei- nander verglichen, sodass das Ziel der Darlegung des wissenschafts-theoretischen Unter- schieds erreicht werden kann. Das fünfte Kapitel widmet sich Untersuchungsergebnissen von Studien zur integrativen Pädagogik. Auf diese Weise sollen Vor- und Nachteile, sowie Prob- leme und positive Erfahrungen mit der Integration offengelegt werden, ehe die eigene Stu- die in den Fokus rückt. Die eigene Studie beginnt im sechsten Kapitel. Hier gibt es zunächst einen Hinweis zum Datenschutz, und der Untersuchungsraum wird vorgestellt. Anschließend wird im siebten Kapitel nochmal auf die Forschungsfrage und zwei Thesen eingegangen, die im Rahmen der Studie bearbeitet werden sollen. Im achten Kapitel wird die angewandte Forschungsmethodik für die Schritte der Datenerhebung, Datenaufbereitung, Datenanalyse und Datenauswertung beschrieben. Die Studiendurchführung wird schließlich im folgenden neunten Kapitel dargelegt. Hier geht es von der Datenerhebung über die Datenanalyse bis zur Datenauswertung, also der Interpretation der Daten. Das inhaltlich abschließende Kapitel ist das zehnte. In diesem wird ein Fazit gezogen und ein Ausblick gegeben. Das Literaturver- zeichnis folgt schließlich im elften Kapitel, an das sich der Anhang anfügt.

2 Behinderung in der Schule: Die Förderschwerpunkte

„Mit Behinderung wird bezeichnet eine nicht terminierbare, negativ bewertete, körpergebundene Abweichung von situativ, sachlich, sozial generalisierten Wahr- nehmungs- und Verhaltensanforderungen, die das Ergebnis eines schädigenden (pathologischen) Prozesses bzw. schädigender Einwirkungen auf das Individuum und dessen/deren Interaktion mit sozialen und außersozialen Lebensbedingungen ist.“1

Im Kontext der Schule werden Schüler2, die Behinderungen haben, mit einer sonderpädagogischen Förderung bedacht.

Die „[s]onderpädagogische Förderung soll das Recht der behinderten und von Be- hinderung bedrohten Kinder und Jugendlichen auf eine ihren persönlichen Mög- lichkeiten entsprechende schulische Bildung und Erziehung verwirklichen.“3

Um eine Förderung möglichst angepasst an die speziellen Bedürfnisse der Behinderungen zu ermöglichen, sind Förderschwerpunkte von der Kultusministerkonferenz definiert worden. Sie dienen dazu, eine schwerpunktbezogene Förderung durchzuführen. Dabei wird sehr wohl berücksichtigt, dass gegebenenfalls auch Beeinträchtigungen in unterschiedlichen Förderbe- reichen bestehen können und somit in einem gewissen Maße auch diese speziell gefördert werden müssen. In den folgenden Kapiteln sollen die einzelnen Förderschwerpunkte be- schrieben werden. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass neben den Zielen, die in den För- derschwerpunkten beschrieben sind, auch immer die Vorgaben der allgemeinbildenden Schulen berücksichtigt werden sollen: auch sie sind, soweit das möglich ist, zu erfüllen. Die Gliederung richtet sich dabei nach der anteilsmäßigen Verteilung der Schüler in den einzel- nen Förderschwerpunkten, beginnend mit dem größten Anteil. Eine Übersicht der Verteilung bietet die Abbildung 1.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Verteilung der Förderschwerpunkte

2.1 Förderschwerpunkt: Lernen

Mit 43,7%4 nimmt der Förderschwerpunkt Lernen den größten Anteil an Schülern im Bereich der sonderpädagogischen Förderung ein.

„Sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich des Lernens ist bei Schülern anzunehmen, die in ihren Lern-, Entwicklungs- und Leistungsmöglichkeiten so beeinträchtigt sind, dass sie auch mit zusätzlichen Lernhilfen der allgemeinen Schulen nicht ausreichend gefördert werden können.“5

Die Lernschwierigkeiten sind dabei so gravierend, dass die Erwartungen und Anforderungen der allgemeinen Schule nicht erfüllt werden können. Das heißt, der natürliche Lernprozess vollzieht sich nicht nach dem gewünschten Muster. Normalerweise lernen Menschen durch die Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt, das heißt, sie machen unterschiedliche Erfahrun- gen, von Zustimmung und Bestätigung über Infragestellungen und Ablehnung bis hin zu Ge- genwehr, in Bezug auf ihre Verhaltensmuster und Wissensmodelle. Und genau in diesem breiten Spektrum an Erfahrungen liegt das Potenzial neue Erfahrungen zu machen bzw. neue Verhaltensmuster und Wissensmodelle aufzubauen, alte zu hinterfragen und gegebe- nenfalls zu erneuern, um in der Umwelt bzw. Gesellschaft zurecht zu kommen. „Die Fähig- keit zu lebenslangem Lernen wird damit zur entscheidenden Qualifikation in unserer Gesell- schaft.“6 Bei den Schülern mit dem Förderbedarf Lernen, besteht eine Störung zwischen In- dividuum und Umwelt, das heißt Umweltreize, die zu einem Lernzuwachs beitragen sollen, werden gar nicht oder falsch aufgenommen, sodass man von einer Lernstörung bzw. - schwäche sprechen kann. Recht häufig äußert sich diese Störung im schulischen Kontext durch die sogenannte Lese-Rechtschreibschwäche, Rechenschwächen und weitere Entwick- lungsstörungen im Bereich schulischer Fertigkeiten. Es treten zum Beispiel Probleme bei der Aufmerksamkeit, der Motivation, der Entwicklung von Lernstrategien und dem Umsetzen von Differenzierungs- und Transferleistungen bei Schülern des Förderschwerpunkts Lernen auf.7 Die sonderpädagogische Förderung soll daher Aneignungsweisen von Lerninhalten vermitteln, Interesse wecken und - unter besonderer Berücksichtigung der Eigenart des Schülers - individuelle Lernwege erschließen sowie die Einschätzung persönlicher Stärken und Schwächen ermöglichen, das beinhaltet auch, das „Umgehen-Können mit Beeinträchti- gungen beim Lernen“8. Auf diese Weise sollen Denkprozesse, Handlungskompetenzen, die emotionale und soziale Stabilität und der Erwerb von altersentsprechendem Wissen geför- dert werden.9 Zurzeit werden 18,9%10 der Schüler mit dem Förderbedarf Lernen inklusiv un- terrichtet.

2.2 Förderschwerpunkt: Geistige Entwicklung

Mit 16%11 nimmt der Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung den zweitgrößten Anteil an Schülern im Bereich der sonderpädagogischen Förderung ein, bildet jedoch bereits eine weitaus kleinere Gruppe als die des Förderschwerpunkts Lernen.

„Schülerinnen und Schüler mit besonderen Förderbedürfnissen im Bereich ihrer geistigen Entwicklung haben sich mit einem unterschiedlichen Maß an intra- und interpsychischen Erschwernissen in der Lebensgestaltung und Lebensbewältigung auseinander zu setzen“12, weshalb sie eine sonderpädagogische Förderung in Anspruch nehmen können. Die geistige Behinderung ist auf eine direkte oder indirekte organische Schädigung des Gehirns zurückzu- führen, die vor, während oder nach der Geburt aufgetreten ist. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen haben beschränkte Möglichkeiten der psychisch-geistigen Entwicklung, sodass es zu Störungen bei der Wahrnehmung, der Sprache, dem Denken, dem Empfinden, dem Handeln und dem Verhalten kommen kann, was zu besonderen, nicht üblichen Ausprägun- gen des Ausdrucks, der Kommunikation und der Handlungen führen kann, das heißt, die ge- samte Persönlichkeit ist durch die hirnorganische Schädigung beeinflusst.13 Da viele unter- schiedliche Bereiche des Einzelnen betroffen sein können, gibt es auch mannigfache Erschei- nungsformen dieser Beeinträchtigung. Im schulischen Kontext sind insbesondere Beeinträch- tigungen im Bereich des Lernens festzustellen, so ist zum Beispiel mit einem verminderten Lerntempo, einem geringeren Durchhaltevermögen und einer beschränkten Eigenständigkeit zu rechnen. Zudem ist die Gedächtnisleistung der Schüler im Förderbedarf Geistige Entwick- lung zumeist stark eingeschränkt.14 Da es aber, wie erwähnt, eine Vielzahl an Erscheinungs- formen bei diesem Förderschwerpunkt gibt, ist das Aufgabenfeld der sonderpädagogischen Förderung sehr breit gefächert, wobei immer das Ziel im Mittelpunkt steht, die Kinder und Jugendlichen auf ein selbstständiges Leben, mit einer ausgeprägten und selbstbewussten Persönlichkeit vorzubereiten, sodass allen gesellschaftlichen Anforderungen in Form von Rechten und Pflichten nachgekommen werden kann. So fördert die Sonderpädagogik bei Schülern mit verminderter geistiger Entwicklung unter anderem deren Identitätsfindung, das heißt, auch das Erlernen des positiven bzw. bewussten Umgangs mit der Beeinträchtigung, die Entwicklung zur Selbstständigkeit und - im schulischen Kontext - das Lernverhalten, also die Merkfähigkeit, die Transferkompetenz, das zukunftsorientierte Denken, die Eigenstän- digkeit im Lernprozess sowie das problemlösende Denken.15 Von den Schülern mit aner- kanntem Förderbedarf Geistige Entwicklung werden zum jetzigen Zeitpunkt lediglich 3,3%16 inklusiv unterrichtet.

2.3 Förderschwerpunkt: Emotionale und soziale Entwicklung

Dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung gehören 11,5%17 aller Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf an.

„Ein sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich der sozial-emotionalen Entwicklung ist insbesondere bei denjenigen Schülern anzunehmen, die sich über einen längeren Zeitraum deutlich abweichend von schulischen und gesellschaftlichen Normen verhalten.“18

Diese Schüler verfügen über eine fehlende oder verzögerte Kompetenz bzw. Entwicklung im Bereich Emotionen und sozialem Verhalten. Im Bereich der emotionalen Entwicklung ist insbesondere die Kompetenz Gefühle auszudrücken, wahrzunehmen und zu regulieren beeinträchtigt, sodass der Umgang mit Gefühlen, das Benennen und Erkennen von Gefühlen und das Empfinden von Empathie eingeschränkt ist.19 In sozialer Hinsicht bestehen Schwierigkeiten beim adäquaten Lösen von Problemen sowie sich situationsangemessen zu verhalten, das heißt ein „günstige[s] Verhältnis von positiven und negativen Konsequenzen“20 in sozialen Auseinandersetzungen zu erreichen.21 Die Symptome bzw. Erscheinungsformen dieser Beeinträchtigung lassen sich in vier Gruppen teilen:22

1. Externalisierendes, aggressives Verhalten: Kinder und Jugendliche die dieser Gruppe angehören fallen durch Aufmerksamkeitsstörungen, aggressiven Verhalten gegen- über Mitschülern und Regelverletzungen auf.
2. Internalisierend, ängstliches Verhalten: Diejenigen, die dieser Kategorie angehören fallen durch Interessenlosigkeit, Müdigkeit, Ängstlichkeit und zurückgezogenes Ver- halten auf.
3. Sozial unreifes Verhalten: Kinder und Jugendliche, die dieser Gruppe angehören, ver- halten sich nicht altersentsprechend, leiden unter Konzentrationsschwächen und ha- ben Sprach- und Sprechstörungen.
4. Delinquentes Verhalten: Kinder und Jugendliche die dieser Gruppe angehören fallen durch Verantwortungslosigkeit, gewalttätiges, frustriertes und reueloses Verhalten sowie durch Beziehungsstörungen auf.

Die bekannteste Störung dieses Förderschwerpunkts ist sicherlich das Aufmerksamkeitsdefi- zitsyndrom, das heißt motorische Unruhe, Impulsivität und Störungen der Aufmerksamkeit. Auch Autismen, also auffällige Verhaltensweisen in der sozialen Interaktion, Phobien und Angststörungen sowie Depressionen zählen zu den sozial-emotionalen Beeinträchtigungen. Beim Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung gibt es somit zwei Extreme in den Verhaltensweisen und entsprechend auch unterschiedliche Probleme im schulischen Kontext. Während die Schüler mit extrovertierten Verhaltensformen stets im Mittelpunkt stehen wollen und durch ihr aggressiv-impulsives Verhalten mit Mitschülern aneinander ge- raten und somit bestehende Regeln in der Schule verletzen, geraten die introvertierten Schüler durch ihre Zurückhaltung oftmals in eine soziale Randlage innerhalb des sozialen Klassengefüges. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich dadurch, dass sich die Schüler häufig über- bzw. unterschätzen und es deshalb zu Frustrationserlebnissen kommen kann. Der son- derpädagogischen Förderung kommt schließlich die Aufgabe zu, den Umgang mit Gefühlen und Emotionen kennenzulernen, einzuüben Empathie zu empfinden, die verbale Kommuni- kation und Kooperation zu trainieren, um im Umgang mit Konflikten regelgerechter und so- zial verträglicher zu handeln, und gegebenenfalls das Selbstbewusstsein zu stärken.23 Für die Lehrkräfte, die Schüler mit sozial-emotionalen Beeinträchtigungen unterrichten, ist es be- sonders wichtig, dass sie ein hohes Maß an Geduld und Toleranz aufbringen, aber auch kon- sequentes Handeln in vorher abgesteckten Grenzen an den Tag legen. Ebenso wichtig ist, dass die Lehrkräfte mit Feingefühl negative Bewertungen dieser Schüler vornehmen, um nicht Ängste zu fördern oder aggressives Verhalten hervorzurufen. Schließlich ist es das Ziel der sonderpädagogischen Förderung, eine langfristige Stabilisierung der Steuerungsfähigkeit des eigenen Verhaltens in emotionaler wie sozialer Hinsicht zu erreichen. Im Förderschwer- punkt emotionale und soziale Entwicklung werden am meisten Schüler inklusiv unterrichtet, nämlich 35,9%24.

2.4 Förderschwerpunkt: Sprache

Der Förderschwerpunkt Sprache macht unter den Schülern im Bereich der sonderpädagogischen Förderung einen Anteil von 10,6%25 aus.

„Sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich der Sprache ist bei Schülern anzunehmen, die in ihrer Entwicklung sprachlicher Handlungsmöglichkeiten so erheblich beeinträchtigt sind, dass sie nicht altersgemäß kommunizieren und ihr Schulerfolg ohne sonderpädagogische Unterstützung gefährdet ist.“26

Bei dem Förderschwerpunkt Sprache gibt es zwei grundsätzlich zu unterscheidende Gruppen von Förderkindern. Zum einen gehören diejenigen Schüler dem Förderschwerpunkt Sprache an, die aufgrund von Entwicklungsstörungen oder physiologisch bedingten Aussprachebeeinträchtigungen den sprachlichen Anforderungen ihres Alters bzw. ihrer Klassenstufe nicht im ausreichenden Maß genügen. Zum anderen werden Kinder und Jugendliche, die aufgrund ihrer Herkunft (zum Beispiel wegen ihres Migrationshintergrunds und dadurch bedingten mangelnden Deutschkenntnissen), im Bereich des Förderschwerpunktes Sprache besonders gefördert. Die sonderpädagogische Förderung unterscheidet sich entsprechend der festgestellten Beeinträchtigung. Zu unterscheiden sind hier sechs Ebenen27:

1. Die phonetische Ebene: Wenn bei einer Person eine Beeinträchtigung auf phoneti scher Ebene vorliegt, dann wird die Atmung des Betroffenen falsch eingesetzt, sodass es zu Artikulationsschwierigkeiten und falschen Stimmgebungen kommt.28
2. Die phonologische Ebene: Bei Beeinträchtigungen dieser Ebene, wird von der be- troffenen Person die bedeutungsdifferenzierende Funktion einzelner Laute nicht er- fasst. Der Kontext einzelner Laute im gesprochenen Wort wird fehlinterpretiert, so- dass diese Laute nicht korrekt wiedergegeben werden.29 Diese ersten beiden Ebene werden teilweise auch zusammengefasst, da es in beiden Fällen um Probleme bei der Aussprache geht.30
3. Die prosodisch-suprasegmentale Ebene: Bei dieser Ebene geht es um parasprachliche Gestaltungmittel: eine Person, die in diesem Bereich eine Beeinträchtigung besitzt, verwendet nonverbale Kommunikationsmittel wie Tonfall, Lautstärke und Pausenfüllungen nicht angemessen.
4. Die lexikalisch-semantische Ebene: Diese Ebene umfasst Probleme bei der Begriffs bildung, dem Nachvollziehen von begriffsgebundenen Wortbedeutungen, also feh- lendes Sprachverständnis und Mängel im Wortschatz, sodass Wortfindungsstörungen auftreten können. Im Kontext dieser Störung gibt es schließlich auch häufig Probleme beim Fremdsprachenerwerb.31
5. Die morphologisch-syntaktische Ebene: Insbesondere grammatikalische Probleme, das heißt Satz- und Wortbildungsprobleme, die durch Wortauslassungen, fehlerhafte Satzstellungen und Konjugations- und Deklinationsfehler zum Ausdruck kommen, werden unter diesem Punkt bzw. in dieser Ebene zusammengefasst. Zurückzuführen ist diese Störung zumeist auf Probleme beim Spracherwerb, sodass vor allem die er- wähnte Gruppe von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund dieses Stö- rungsbild aufweisen.
6. Die pragmatisch-kommunikative Ebene: Hierbei geht es um den sozial- kommunikativen Sprachgebrauch. Bei Personen, die eine Störung auf dieser Ebene haben, kommt es im direkten verbalen Austausch mit einem Gegenüber zu Störun- gen wie Stottern, Poltern, Näseln oder gar Mutismus, das heißt einem zeitweilig- situativen Sprachverlust.32

„Sprache ist zentrales Medium schulischen Lernens“33, mehr noch, Sprache ist die Grundlage von Kommunikation und hat eine immense Bedeutung für menschliche Interaktion: „Sprache und Sprechen […] haben eine herausragende Bedeutung für die Entwicklung des einzelnen Menschen.“34 Aus diesem Grund kommt der sonderpädagogischen Förderung die wichtige Aufgabe zu, die Verfestigung bzw. wenn möglich die Entstehung von sprachlichen Beein- trächtigungen zu verhindern bzw. diese abzuwehren und zu hemmen. Hierzu ist es wichtig, Fehler zuzulassen, zum aktiven verbalen Austausch anzuregen und Strategien zur Wortschat- zerweiterung wie auch zur gelungenen aktiv-verbalen Kommunikation zu vermitteln. Zusätz- lich sollen die betroffenen Schüler lernen, Grenzen ihres individuellen Sprachgebrauchs zu akzeptieren und damit im Alltag umzugehen, sodass letztendlich eine „selbstbestimmte Ver- ständigungsfähigkeit“35 erlangt werden kann. Von den Schülern, die einen Förderbedarf im Bereich Sprache haben, werden fast ein Drittel, nämlich 27%36 inklusiv unterrichtet.

2.5 Förderschwerpunkt: Körperliche und motorische Entwicklung

Der Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung macht einen Anteil von 6,5%37 unter den Schülern mit sonderpädagogischen Förderbedarf aus.

„Sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich der körperlichen und motorischen Entwicklung entsteht bei Schülern dann, wenn die Systemveränderungen, - einschränkungen oder -ausfälle den motorischen und damit den allgemeinen Lern- und Entwicklungsprozess maßgeblich beeinflussen.“38

Die Veränderungen, Einschränkungen und Ausfälle von körperlichen und motorischen Ent- wicklungen lassen sich auf unterschiedliche Schädigungskategorien zurückführen. Dabei können die Schädigungen schon seit der Geburt, seit der frühen Kindheit oder auch erst seit einem späteren Zeitpunkt in der Kindheit oder dem Jugendalter bestehen. Zum einen sind Schädigungen des Zentralnervensystems verantwortlich für Erscheinungsformen wie Epilep- sie, die sich im unkontrollierten neuronalen Entladen des Gehirns (sogenannte Anfälle) äu- ßert,39 oder auch Querschnittslähmungen, die die Nutzung eines Rollstuhls erforderlich ma- chen. Zum anderen sind Schädigungen der Muskulatur und des Skelettsystems auf Erschei- nungsformen wie Wachstumsstörungen, Glasknochenerkrankungen und Muskeldystrophien, das heißt die Schwächung oder Rückbildung von Muskulatur,40 zurückzuführen. Als weitere Kategorie der Beeinträchtigung der körperlichen und motorischen Entwicklung sind chroni- sche Krankheiten und Fehlfunktionen von Organen zu nennen. Zu dieser Kategorie gehören Erscheinungsformen wie Asthma, Neurodermitis, Diabetes, Rheuma und chronisches Nie- renversagen.41 Da die körperlichen und motorischen Beeinträchtigungen, eng mit anderen menschlichen Entwicklungsbereichen, wie emotionaler, kommunikativer, sozialer und kogni- tiver Entfaltung, verknüpft sind und somit die Gesamtentwicklung des Menschen tangiert wird, ist eine sonderpädagogische Förderung notwendig, um eigene selbstständige Hand- lungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Mit Hilfe der sonderpädagogischen Förderung müssen „Kompensationsformen und Hilfen zur Bewältigung eines erschwerten Lebens erlern[t]“42 werden. Dazu sind teilweise technische Hilfsmittel notwendig, wie Schreib- und Zeichenhil- fen oder Computer, zudem müssen vielfältige Wahrnehmungs- und Bewegungsmöglichkei- ten, sowie gewisse Frei- und Gestaltungsräume geschaffen werden, um das individuelle Ent- wicklungspotenzial zu nutzen und fördern. Ein ganz entscheidender Punkt ist auch, dass die Schüler durch die baulichen Gegebenheiten der Schule die Möglichkeit bekommen, selbstständig alle Räume zu erreichen, da ansonsten bereits an diesem Punkt die Eigenständigkeit beschnitten wird. Im Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung werden insgesamt 19,9%43 aller Schüler inklusiv unterrichtet.

2.6 Förderschwerpunkt: Hören

Dem Förderschwerpunkt Hören gehören 3,1%44 aller Schüler mit sonderpädagogischen För- derbedarf an. Sonderpädagogischen Förderbedarf im Bereich des Hörens erhalten Schüler, die unter Hörschädigungen bzw. Beeinträchtigungen der auditiven Wahrnehmung leiden und deshalb dem Unterrichtsgeschehen ohne Hilfsmittel nicht oder nur erschwert folgen können. Dabei kann die sogenannte Schwerhörigkeit von einer leichten (einzelne Laute wer- den nicht gehört) über eine mittelgradige (Mehrzahl der Sprachlaute werden nicht gehört) und hochgradige Schwerhörigkeit (nur noch einzelne Geräusche sind wahrnehmbar) bis hin zum vollkommenden Verlust der Hörfähigkeit reichen.45 Es gilt dabei zwischen zwei Gruppen zu unterscheiden. Manche Kinder und Jugendliche haben ihre Hörfähigkeit oder einen Teil davon bereits prälingual, das heißt vor dem Erwerb der gesprochenen Sprache, verloren, während die andere Gruppe erst postlingual, also nach dem Erwerb der gesprochenen Spra- che ihre Hörbeeinträchtigung erhalten haben. Diejenigen, die ihre Hörfähigkeit prälingual verloren haben, weisen neben Einschränkungen im Hörvermögen auch erhebliche Sprach- schwierigkeiten auf, von denen auch das Textverständnis betroffen sein kann, sodass Förde- rungen aus dem Bereich des Förderschwerpunkts Sprache notwendig werden. Nachhaltige Folgen für die Gesamtentwicklung von Kindern und Jugendlichen sind aber bei beiden Grup- pen gegeben, da die Wahrnehmung beeinträchtigt ist und so unter anderem die emotionale, soziale, aber auch die motorische (Gleichgewichtsstörungen) und geistige Entwicklung be- troffen sein können. Daher ist Aufgabe der sonderpädagogischen Förderung mit Hilfe von Hörerziehung, Wahrnehmungslernen, Artikulationsübungen, rhythmisch-musikalischer Er- ziehung und weiteren Aufgabenschwerpunkten,46 den betroffenen Schülern weitest möglich eine „Eingliederung in die Welt der Hörenden“47 zu ermöglichen. Eine bereits erwähnte Be- sonderheit dieses Förderschwerpunkts ist, dass durch medizinisch-technische Entwicklung der Einsatz von etwaigen Hilfsmitteln möglich ist, die es den Schülern ermöglichen dem Un- terrichtsgeschehen besser zu folgen. Diese Hilfsmittel gehen von einfachen Hörgeräten bis hin zu Hörhilfen, die die Nutzung von einem Mikrofon durch die Lehrkraft aber auch mobiler Mikrofongeräte durch die Klassenkameraden voraussetzt. Trotz des Einsatzes von Hilfsmittel ist es immer sinnvoll, den betroffenen Schüler in die Nähe der Lehrkraft zu setzen, um auch das Absehen (z.B. Lippenlesen) zu erleichtern, durch bauliche Maßnahmen den Schall zu re- duzieren, sowie die Unterrichtsinhalte visuell zu unterstützen bzw. festzuhalten. Zudem muss in Klassen, in denen sich ein Kind oder Jugendlicher mit einer Hörschädigung befindet noch intensiver darauf geachtet werden, dass Nebengeräusche niedrig gehalten werden und das Prinzip ‚nur einer spricht‘ umgesetzt wird. Von den Schülern mit dem Förderschwer- punkt Hören werden 26,3%48 inklusiv unterrichtet.

2.7 Förderschwerpunkt: Kranke

Dem Förderschwerpunkt Kranke gehören 2,1%49 der gesamten Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf an.

„Schülerinnen und Schüler, die aufgrund einer Erkrankung für längere Zeit oder in regelmäßigen Abständen im Krankenhaus bzw. in ähnlichen Einrichtungen statio- när behandelt werden oder die Schule nicht besuchen können, erhalten nach den jeweiligen landesrechtlichen Bestimmungen während dieser Zeit Unterricht.“50

Die Krankheiten und Krankheitsbilder können bei diesen jungen Menschen sehr unterschied- lich sein und beeinträchtigen daher ganz individuell physische, psychische, soziale, willentli- che und affektive Lebensfunktionen.51 Die Erkrankung ist dabei so beeinträchtigend, dass ein Aufschub der Behandlung in die Ferien nicht förderlich für die Gesundheit ist, sodass der bessere Zeitpunkt (während der Schulzeit) genutzt werden muss. Durch sonderpädagogische Förderung soll eine möglichst große Teilhabe des Kindes bzw. des Jugendlichen an der Ge- sellschaft erreicht werden, insbesondere im Hinblick auf die spätere Berufstätigkeit, für die eine schulische Ausbildung unabdingbar ist. Dabei darf die Art und der Grad der Erkrankung nie aus dem Blick verloren werden, ebenso muss der Umfang an Unterricht, auch die Teilha- be am Regelunterricht in der Schule, immer mit den behandelnden Ärzten abgesprochen werden. Zudem soll die sonderpädagogische Fördermaßnahme dazu beitragen, den Willen zur Genesung zu stärken. Bei dem Förderschwerpunkt Kranke haben einige Schüler nur eine begrenzte Lebenserwartung, hier ist es wichtig psychologische Unterstützung hinzuzuziehen und eine Klasse, der der Schüler eventuell angehört, für die Thematik zu sensibilisieren und ein soziales Klassenklima zu befördern. Aus dem Förderschwerpunkt Kranke werden nur 1,4%52 der Schüler inklusiv unterrichtet.

2.8 Förderschwerpunkt: Sehen

Mit einem Anteil von 1,5%53 bildet der Förderschwerpunkt Sehen die kleinste Gruppe des sonderpädagogischen Förderbedarfs. Wenn der Ausgleich des Sehvermögens mit Hilfe einer Brille bzw. Kontaktlinse herzustellen ist, spricht man von einer Sehbeeinträchtigung, diese berechtigt aber noch nicht zur Inanspruchnahme einer gesonderten Förderung. Erst wenn eine Sehbehinderung nachgewiesen ist, das heißt die Verminderung des Sehvermögens nicht mehr mit einer Brille bzw. Kontaktlinsen ausgeglichen werden kann, da die Sehschärfe bei 0.354 oder niedriger liegt, erhalten Schüler eine sonderpädagogische Förderung. Neben der Sehschärfe sind auch weitere Symptome ausschlaggebend für eine Förderung, so zum Bei- spiel ein eingeschränktes Sichtfeld, die Schwierigkeit, Objekte zu fixieren, ein erschwertes räumliches Sehvermögen oder auch Probleme beim Farb- und Kontrastsehen. Ebenso gehö- ren Blinde, die „sich Informationen aus der Umwelt vollständig oder überwiegend über die anderen Sinne und Wahrnehmungsbereiche“55 aneignen müssen, dem Förderschwerpunkt Sehen an. Ziel ist es, Kinder und Jugendliche, die sehbehindert oder blind sind, eine gesell- schaftliche Teilhabe in Form einer selbstständigen Lebensgestaltung, zu ermöglichen: das beinhaltet auch, dass Abhängigkeiten abgebaut werden müssen. Es bedarf dazu einer Förde- rung von lebenspraktischen Fertigkeiten wie der eigenständigen Umwelterschließung und Orientierungsfähigkeit, sodass ein adäquater und selbstbewusster Umgang in bekannten und unbekannten Umgebungen möglich ist und die Mobilität in einem möglichst geringen Maße eingeschränkt ist. In der Unterrichtspraxis können unterschiedliche optische und elektronische Hilfsmittel, wie zum Beispiel besonders große Ausdrucke, Leselupen und Com- puter zum Einsatz kommen, wobei der eigenständige Umgang damit als ein Lernziel anzuse- hen ist. Auch ein passender Sitzplatz, an dem der jeweils individuellen Behinderung eines Schülers Rechnung getragen wird, ist notwendig. Eine weitestgehend barrierefreie Teilhabe am Unterricht ist erwünscht, das beinhaltet auch, dass die sehbehinderten Schüler lernen, die normale Schrift zu lesen und zu schreiben. Blinde bekommen schließlich noch gesonder- te Schrift und Kommunikationstechniken vermittelt. Zudem ist bei ihnen die soziale Einbin- dung in die Klasse, ebenso wie bei den sehbehinderten, von besonderer Bedeutung. Eines darf bei all der Förderung jedoch nicht vergessen werden: „Ein sehbehindertes Kind kennt die Welt nur so wie es sie sieht.“56 Beim Förderschwerpunkt Sehen werden 27,1% der Schü- ler inklusiv unterrichtet.

3 Von der Exklusion zur Inklusion

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 Entwicklung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Bildungssystem57

Behinderungen sind schon seit jeher ein Teil des menschlichen Lebens. Der gesellschaftliche Umgang bzw. die gesellschaftliche Akzeptanz von Menschen mit Behinderungen war jedoch im historischen Verlauf nicht immer dieselbe. Ein erschreckendes Beispiel für eine vollkom- mende Ablehnung dieser Menschen ist die Zeit des Nationalsozialismus, in der behindertes Leben als lebensunwertes Leben geächtet und in letzter Konsequenz dann sogar vernichtet wurde. Im krassen Gegensatz dazu stehen die heutigen Bestrebungen, auch diese Menschen am gesamten gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen.58 Ebenso wie auf der allgemeinen gesellschaftlichen Ebene fanden auch auf bildungspolitischer bzw. schulischer Ebene Ent- wicklungsprozesse bezüglich der Teilhabe von Behinderten statt. Dieser Entwicklungsprozess soll nun im Folgenden nachgezeichnet werden. Allerdings sind die Ausführungen zu den letz- ten beiden Entwicklungsschritten deutlich ausführlicher als die übrigen dargestellt, da auf diesen Bildungskonzepten das besondere Augenmerk in dieser Ausarbeitung liegt. Einen ersten Überblick über die Entwicklung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Bildungssystem gibt die Abbildung 2, in der die fünf wichtigsten Stufen der Teilhabe aufge- führt sind.

3.1 Die Exklusion

Wie bereits erwähnt gab es in der Historie Epochen, in denen Menschen mit Behinderungen keinerlei Akzeptanz entgegengebracht wurde: sie wurden bestenfalls von ihrer Familie ge- duldet und miternährt. Entsprechend gab es auch keine Teilhabe am Bildungssystem. In die- sem Fall spricht man von einer Exklusion. Der Begriff Exklusion hat seinen Ursprung in dem lateinischen Wort ‚excludere‘, das so viel bedeutet wie abschneiden, hindern oder auch aus- schließen. Und genau dies ist die Situation, in der sich Menschen mit Behinderungen bis vor etwa 200 Jahren59 in westeuropäischen Ländern befanden: sie wurden von den Möglichkei- ten sich zu bilden ausgeschlossen bzw. durch die gesellschaftliche Inakzeptanz und Intole- ranz daran gehindert. Allerdings muss in diesem Zusammenhang auch angemerkt werden, dass es bis in das 19. Jahrhundert hinein für alle Kinder keine Schulbesuchspflicht gab.60 Zu- sammenfassend lässt sich sagen: „Exklusion schließt Personen [in diesem Fall behinderte; d. V.] von schulischer Bildung und Erziehung aus.“61

3.2 Die Separation

Auf die Phase der Exklusion folgte schließlich die Separation. Der Begriff Separation hat sei- nen Ursprung ebenfalls im Lateinischen und leitet sich von dem Wort ‚separare‘ ab, was so viel bedeutet wie absondern, trennen und unterscheiden. Entsprechend dieser Wortbedeu- tung werden Menschen mit Behinderungen von denen ohne Behinderung getrennt. Aller- dings bedeutet es nicht (wie noch bei der Exklusion), dass sie keinerlei Teilhabe am Bildungs- system haben. Sie dürfen nun an öffentlichen Institutionen sich schulisch bilden lassen, je- doch werden sie von den Nicht-Behinderten unterschieden und deshalb in separaten Ein- richtungen unterrichtet. Diese Entwicklung hin zu sogenannten Sonderschulen begann be- reits im Zeitalter der Aufklärung,62 als den Menschen bewusst wurde, dass gewisse Beein- trächtigungen nicht die Fähigkeit etwas institutionalisiert zu lernen behindern. Diese Art der separierten Beschulung besteht bis heute, wobei diese Schulen heutzutage häufig Förder- schulen heißen. Noch immer wird der größte Teil der Schüler mit besonderem Förderbedarf in solchen Schulen unterrichtet. Einen großen Aufschwung erhielt diese Schulform in Deutschland nochmals nach dem zweiten Weltkrieg. Es wurde ein differenziertes Sonder- schulwesen errichtet, bei dem die Kinder und Jugendlichen gemäß ihres jeweiligen Förder schwerpunktes63 in der entsprechenden schulischen Einrichtung unterrichtet wurden und heute noch werden. Das Konzept der Förderschule ist es, durch eine herabgesenkte Klassen- frequenz, das Klassenlehrerprinzip und eine homogene Zusammensetzung der Lerngruppe ein möglichst hohes Maß an innerer Differenzierung und Individualisierung vorzunehmen, um so die Schüler mit besonderem Förderbedarf in einem Schonraum auf die berufliche und soziale Integration in der Gesellschaft vorzubereiten. Doch genau an dieser Stelle setzt die Kritik an den separierten Förderschulen an. Es stellt sich die Frage, ob Kinder und Jugendli- che, die in separaten Schulen, das heißt getrennt von Gleichaltrigen, die ihre schulischen Leistungen ohne Beeinträchtigung erbringen können, unterrichtet werden, am Ende ihrer Schullaufbahn auf die gesellschaftliche Wirklichkeit vorbereitet sind oder ob nicht der Schon- raum Förderschule ihnen eine falsche Wirklichkeit vorgegaukelt hat, sodass sie an dem Ver- such ihrer persönlichen Integration in die Gesellschaft scheitern. Durch den fehlenden sozia- len Kontakt bzw. Austausch mit Nicht-Behinderten ihres Alters fehlen positive Vorbilder und es kann zu einer unrealistischen Einschätzung ihres Leistungsvermögens kommen, sodass die Integration in die Gesellschaft tatsächlich scheitern bzw. es zu einer schwierigen Anpassung an die Berufsrealität kommen kann. In einem Satz lässt sich zusammenfassen: Separation „gewährt allen Kinder [sic!] Zugang zu Erziehung und Bildung, jedoch in voneinander abge- grenzten Orten.“64

3.3 Die Kooperation

Da die Separation von Schülern mit Behinderungen in die Förderschulen bei der 68er Gene- ration, aber auch bei vielen Pädagogen auf Widerstand stieß, kam es in dieser Zeit zu ersten Bestrebungen, der in ihren Augen sozial ungerechten Situation für Menschen mit Behinde- rungen entgegenzuwirken. Denn „[d]urch Aussonderung und Separation der behinderten Schüler kann keine soziale Integration gelingen.“65 In diesem Prozess des Entgegenwirkens wurde versucht über Kooperationen - dieser Begriff entstammt dem lateinischen Wort ‚cooperatio‘ und bedeutet Mitwirkung - zwischen Förderschulen und Regelschulen einen Kontakt zwischen Behinderten und Nicht-Behinderten herzustellen. Zur Umsetzung des Ko operationskonzepts wurden viele unterschiedliche Wege eingeschlagen.66 Als ein Beispiel sind die sogenannten Kooperationsklassen zu nennen.67 Bei diesem Konzept werden kom- plette Klassen einer Förderschule in der Regelschule unterrichtet. Sie erhalten dabei einen eigenen Klassenraum, der eine spezielle Ausstattung entsprechend der Förderbedürfnisse hat. Neben der allgemeinen Anwesenheit im Schulgebäude werden zusätzlich gezielte Kon- takte zu Regelklassen hergestellt. Das heißt der Kontakt zwischen den Förderschülern und Regelschülern wird durch Lehrkräfte initiiert. Doch gerade durch diesen initiierten Charakter der Begegnung kann die gewünschte Kooperation zwischen Behinderten und Nicht-

Behinderten genau ins Gegenteil umschlagen. Denn dadurch, dass der Kontakt nicht selbst- gewählt und spontan ist, werden die Förderschüler den Regelschülern als etwas Besonderes ‚vorgeführt‘. Die Wahrnehmung der Behinderten als eine eigenständige, gesonderte und besondere Gruppe von Schülern bleibt bei der Kooperation, wie zum Beispiel bei den hier erwähnten Kooperationsklassen, bestehen. Die Kooperation ermöglicht es also allen Kin- dern, institutionelle Erziehung und Bildung wahrzunehmen und stellt zudem initiierte Kon- takte zwischen in sich homogenen Lerngruppen her, um über die Heterogenität der Gesell- schaft aufzuklären.

3.4 Die Integration

Da es auch beim Konzept der Kooperation fraglich ist, ob die Schüler mit Behinderungen am Ende ihrer Schullaufbahn beim Übergang in das Berufsleben sich als in die Gesellschaft inte- griert wahrnehmen, wird die sonderpädagogische Förderung dahin weiterentwickelt, dass auf eine direkte Integration der Förderbedürftigen hingearbeitet wird. Der Ursprung des Wortes ‚Integration‘ liegt ebenfalls im Lateinischen und leitet sich von dem Wort ‚integratio‘ ab, dessen Bedeutung ‚Wiederherstellung eines Ganzen‘ ist. Wer also von Integration spricht, möchte etwas wiederherstellen, das zusammengehört. Im schulischen Kontext be- deutet dies, dass die gesellschaftliche Heterogenität in der Institution wiederhergestellt wird bzw. sich hier widerspiegelt: Schüler mit festgestelltem Förderbedarf werden in Regelklassen der Allgemeinen Schule unterrichtet, zusammen mit Schülern die keinen besonderen För- derbedarf in Anspruch nehmen müssen. In die Wege geleitet wurde das Konzept der Integra tion Anfang der 1970er Jahre68 durch einzelne Eltern, Erzieher, Sonderschullehrer und Schulleiter. Zunächst gab es, initiiert durch einige Eltern, Einzelintegrationen, ohne geregelte Rahmenbedingungen, bevor dann ab 197369 in den Stadtstaaten ganze Integrationsklassen eingerichtet wurden. Das Modell der Integrationsklassen ist das am weitesten verbreitete integrative Konzept. Die Umsetzung dieses Modells wird zwar nicht immer gleich gehandhabt, dennoch soll nun die grundsätzlich Idee, das Ziel und die schulische wie gesellschaftliche Relevanz von Integrationsklassen beschrieben werden.

3.4.1 Das Konzept

„Der Mensch wird am Du zum Ich“70, dieser Ausspruch Martin Bubers kann man als Grund- prinzip der Integration verstehen, denn „[w]er Sondereinrichtungen besucht, erfährt redu- zierte Entwicklungsanreize und Lernimpulse.“71 Bei der Integration wird den verminderten Anreizen entgegengewirkt, indem die Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in eine Klasse der Allgemeinen Schule integriert werden, um mit den Regelschülern eine „ge- lebte Gemeinschaft“72 zu bilden. Konzeptionell bedarf es also bei der Integration weiterhin einer „defizitorientierten Diagnostik“73, und damit wird weiterhin ein Bedarf an sonderpäda- gogischer Förderung bei den jeweiligen Schülern attestiert. Dementsprechend werden (fi- nanzielle) Ressourcen auch nur dann zur Verfügung gestellt, wenn ein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt wurde. Das bedeutet es kommt grundsätzlich nur zu einer Verlage- rung von Schülern der Sonderschule in Klassen der Allgemeinen Schule. Es vollzieht sich ein Wandel bei der Vorstellung wie Integration funktioniert. Denn die Integration ist nicht mehr nur Ziel, wie bei den separierten Sonderschulen, sondern auch Mittel und Weg, sodass ein Wandel von der indirekten zur direkten Integration vollzogen wird.74 Die behinderten und nicht-behinderten Schüler stehen in einem alltäglichen Kontakt zueinander, sodass z.B. die Unterschiede in Aussehen, Wahrnehmung und Lernleistungsvermögen als selbstverständlich wahrgenommen werden - ein Lern- und Erfahrungseffekt, der für ein friedliches Miteinan- der in einer demokratischen Gesellschaft ohne Aussonderung und Diskriminierung unab dingbar ist. Für die Einübung eines solidarischen Miteinanders ist die Schule prädestiniert, da sie die einzige Institution unserer Gesellschaft ist, die für alle verpflichtend ist, zudem bietet die Unbekümmertheit der Kindheit beste Voraussetzungen, um die gesellschaftliche Hetero- genität, und somit auch den Umgang mit Behinderten, als Normalität zu vermitteln. Durch den sozialen Austausch üben sich die nicht-behinderten Schüler in mehr Rücksicht, Toleranz und Hilfsbereitschaft gegenüber ihren Mitmenschen, während die Behinderten durch das ‚Dabeisein‘ positive Vorbilder der gesamtgesellschaftlichen ‚Normalität‘ haben, sodass wo- möglich Leistungsfortschritte zu erzielen sind.75 Allerdings kann es durch den „Bezugsgrup- peneffekt“76, dem Vergleich des eigenen Könnens mit dem der anderen Schüler in der Lern- gruppe, zu einem Absinken des Selbstwertgefühls kommen. Jedoch sind

„Integrationsklassen […] keine heilen sozialen Welten. Auch sie sind ein Spiegelbild der sie umgebenden Gesellschaft, wenn auch mit dem Anspruch, ein wenig positiver in sie hineinwirken zu können. Sie schaffen Voraussetzungen dafür, dass Schüler soziale Erfahrungen machen und aus ihnen lernen können, die ihnen sonst weitgehend verwehrt wären.“77

In der Konsequenz bedeutet dies auch, dass die behinderten Schüler früher zum Aufbau ei- nes realistischen Selbstbildes kommen, da sie in einem heterogen-realistischen Schülerum- feld erfahren, was ihre Stärken und insbesondere was ihre Schwächen sind. Dies eröffnet jedoch die Möglichkeit an Schwächen, etwa durch die Vorbildfunktion der Mitschüler, zu arbeiten oder aber einen positiven Umgang mit dem eigenen Leistungsvermögen zu erler- nen. Diese Idee des Voneinander-Lernens und des Aufbaus eines realistischen Selbstbildes steht dabei im Gegensatz zu der Förderschule, die - wie erwähnt - als Schonraum für behin- derte Schüler konzipiert ist.

Schule wurde in den bisher angestellten Überlegungen immer nur als Erfahrungsraum und „Sozialisationsinstanz“78 gesehen, in der es ein gegenseitiges Geben und Nehmen von sozia- len Erfahrungen gibt, die deutlich in den Mittelpunkt gerückt werden, weil schließlich die soziale Integration das Ziel des Integrationsweges ist. Da es aber Aufgabe der Schule ist, den Menschen auf alle Bereiche des Lebens vorzubereiten,79 steht der Sozialisationsgedanke immer auch neben dem Leistungsgedanken, denn die Schule ist auch ein Ort der Wissens vermittlung. Insbesondere in unserer heutigen Leistungsgesellschaft, deren Leistungsorientierung mitverantwortlich ist für unseren hohen Lebensstandard, darf es durch die Integration von Schülern mit sonderpädagogischen Förderbedarf zu keinem Absinken des Leistungsniveaus kommen.80 Das soziale Miteinander rückt allerdings bei heterogenen Lerngruppen noch mehr in den Fokus. Es ist unmittelbar einsichtig, dass das Spannungsfeld zwischen Schule als „Sozialisationsinstanz“81 und Schule als Ort der Wissensvermittlung durch die Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen vergrößert wird, weshalb Umstrukturierungen in verschiedenen Bereichen der Schule nötig werden.

3.4.2 Umstrukturierungsprozesse

Als erstes ist sowohl die äußere als auch die innere Schulorganisation zu nennen. Unter der äußeren Schulorganisation ist die Struktur des Bildungssystems zu verstehen, während unter innerer Schulorganisation die Strukturmerkmale der einzelnen Schulen begriffen werden. Eine Umstrukturierung der Schulorganisation ist notwendig, da diese, wie sie momentan vorzufinden ist, einen positiven Umgang mit Heterogenität verhindert.82 „Das deutsche Schulsystem basiert auf einer Illusion: Dem Konstrukt der homogenen Lerngruppe.“83 Es gibt eine sehr frühe und differenzierte Tendenz zur Auslese. Bereits nach der 4. Klasse werden die Schüler in ein drei- bzw. viergliedriges Schulsystem aufgeteilt, um homogene Lerngrup- pen zu erhalten. Heterogenität ist somit im deutschen Bildungssystem zu einem „beseiti- gungswürdigen Problem“84 gemacht worden, obwohl sie faktisch auch in dem gegliederten Schulsystem weiter besteht. Diese differenzierende Struktur ist nicht (im befriedigendem Maße) vereinbar mit dem Konzept der Integration, also der Eingliederung von Schülern aus sonderpädagogischen Einrichtungen in die Allgemeinen Schulen, da so eine bewusste Hete- rogenisierung erzeugt wird. Gesamtschulen, die generell besonders häufig bei innovativen Projekten vertreten sind,85 haben zum jetzigen Zeitpunkt bereits eine recht heterogene Schülerschaft und sollten daher Vorbild für zukunftsweisende Konzepte wie zum Beispiel Gemeinschaftsschulen sein.86 Ein entscheidender Faktor der Weiterentwicklung des Bil- dungssystems ist wie so oft der finanzielle.87 Es ist allerdings wichtig anzumerken, dass ein integratives Schulsystem nur dann nicht teurer ist als eine separate Beschulung in Förder- schulen, wenn die Förderung von Förderschulen gleichzeitig heruntergefahren wird bzw. diese abgeschafft werden. Ein Sparpotenzial bietet ein integratives Schulsystem hingegen nicht, denn es ist festzustellen, dass das Konzept einer integrativen Förderung auch einen Anstieg der anerkannten Förderbedürfnisse bei Schülern nach sich zieht. Das heißt es lassen mehr Eltern bei ihren Kindern einen Förderbedarf feststellen, da sie trotzdem in Allgemeinen Schulen unterrichtet werden können.88

Auf der Ebene der inneren Schulorganisation sind vor allem die Entwicklung- bzw. Weiter- entwicklung von Kooperationen notwendig. Zum einen sind es externe Kooperationen, zum Beispiel mit Förderschulzentren, um Hilfskräfte und Integrationshelfer anzuwerben, mit Er- ziehungsberatungsstellen und insbesondere mit den Eltern. Eine regelmäßige Kommunikati- on und Zusammenarbeit der Eltern mit der Schule bzw. den einzelnen Lehrern ist für eine integrative Förderung unabdingbar, denn nur so kann ein optimaler Lernprozess gewährleis- tet werden.89 Zum anderen ist eine Verbesserung der internen Kooperation notwendig, die sich insbesondere durch ein gelungenes Zwei-Lehrer-System zum Ausdruck bringt.90

Damit ist der nächste wichtige Aspekt angesprochen, der sich in einer integrativen Schule grundlegend ändern muss: Die Rolle und das Selbstverständnis des Lehrers. Grundsätzlich ist es von großer Bedeutung, dass die unterrichtenden Lehrkräfte aufgeschlossen der Integrati- on gegenüberstehen und diese aus Überzeugung bejahen. Theoretisch ist das Unterrichten integrativer Klassen seit 200591 für jede Lehrkraft Pflicht, jedoch sollte eine freiwillige Bereit- schaft bestehen, integrativen Unterricht abzuleisten, da sonst ein innerer Interessenkonflikt entsteht, der sich mit großer Sicherheit negativ auf das Unterrichtsgeschehen auswirkt. Es bedarf also in Weiterbildungen einer Vermittlung von Grundwerten wie „die Wertschätzung der Vielfalt der Lernenden [und; d. V.] die Unterstützung aller Lernenden“92. Da viele Lehrer ihre mangelnde Bereitschaft mit der Selbsteinschätzung von fehlender Kompetenz begrün- den, ist das Teamteaching zu forcieren, da dies für Entlastung sorgen kann. Dabei versteht man unter Teamteaching das gemeinsame Unterrichten zweier Lehrkräfte in einer Klasse. Im Normalfall besteht das Lehrerteam aus einer Regelschullehrkraft und einem Sonderpädago- gen. Im Idealfall ergänzen sich beide mit ihren jeweiligen fachlichen und sozialen Kompeten- zen. In jedem Fall sollen die Lehrkräfte, die unterschiedliche Ausbildungen hatten, zusam- men arbeiten und für die gesamte Klasse da sein.93 Somit ist der Sonderpädagoge genauso für die Regelschüler da, wie auch der Lehrer der allgemeinen Schule für die Schüler mit son- derpädagogischem Förderbedarf da ist. Die Lehrkraft wird vom Einzelkämpfer zum Teamplayer und insbesondere diese neue Rolle bzw. die Auf- und Verteilung der Lehrerrolle gilt es einzuüben, da ein Gelingen nicht grundsätzlich zu erwarten ist. Die beiden Lehrkräfte müssen sich regelmäßig über fachliche, methodische und didaktische Inhalte des Unterrichts austauschen, damit möglichst keine Konflikte innerhalb des Teams, aber auch innerhalb der Klasse entstehen. Für das Gelingen des Teamteachings muss das Verhältnis der Lehrkräfte auch auf der persönlichen Ebene von Akzeptanz, Vertrauen und Sympathie geprägt sein,94 da ansonsten eine Zweckgemeinschaft entsteht, die als solche durch die Feinfühligkeit der Schüler entlarvt werden und gegebenenfalls ausgenutzt werden würde. Ein gelungenes Te- amteaching bietet die Chance, den einzelnen Lehrer zu entlasten und einen individualisier- ten Unterricht durchzuführen. Allerdings haben auch dafür die Pädagogen sich neue Qualifi- kationen anzueignen, so muss zum Beispiel das Wissen um entwicklungsorientierte individu- elle Förderung erworben oder auch das Analysieren von Lerngegenständen auf ihr Potenzial zur inneren Differenzierung erlernt werden;95 den Lehrkräften müssen vermehrt Kompeten- zen vermittelt werden, die ihnen den Umgang mit der ‚neuen‘ Vielfalt erleichtern. Theore- tisch muss auch das paradoxe Anwalt-Richter-Dilemma aufgelöst werden. Das heißt, es muss zu einer Abkehr von der Defizitorientierung kommen, sodass der Lehrer sich vollkommen auf seine Aufgabe als Erzieher und Unterrichtender konzentrieren kann. Allerdings liegt das nicht in der Hand des einzelnen Lehrers, vielmehr ist es die Aufgabe der Schulorganisation, sich einer anderen Beurteilungsstruktur zu öffnen.

Entsprechend muss auch ein Umstrukturierungsprozess auf der Ebene der Unterrichtsgestal- tung stattfinden, wie ihn Reformpädagogen schon lange fordern. Die zuvor kurz erwähnte innere Differenzierung spielt dabei die zentrale Rolle. Denn durch die gewollt geschaffene Heterogenität der Klassen sind offene Unterrichtsformen zwingend notwendig, eine Lehrer- zentrierung wie sie momentan häufig noch vorzufinden ist, ist nicht mehr tragbar. Der Lehrer muss in der Praxis vom Belehrer zum Lernhelfer werden und das Lernen von und mit anderen Schülern muss für gelungenen integrativen Unterricht mehr in den Fokus rücken.96 Dem offenen Unterricht liegen vier grundlegende Prinzipien zugrunde:97

1. Innere Differenzierung: Um der Heterogenität, und der damit einhergehenden Ziel differenz der einzelnen Schüler in integrativen Klassen gerecht werden zu können, müssen freie Formen der Arbeit das Unterrichtsgeschehen bestimmen. Denn „[d]ie Freiarbeit ist […] der Kern aller Integration, sozusagen ihr Ursprungsfeld, auf dem sie sich überhaupt erst entfalten kann.“98 Auch Wochenplanarbeit, Projekt- und Grup- penunterricht sind besonders gut geeignet, um der Zieldifferenz einer Klasse gerecht zu werden.99

2. Individualisierung: Unter Individualisierung wird verstanden, dass in der Unterrichts praxis eine methodische und didaktische Vielfalt angeboten wird, die es den Schülern ermöglicht, die Aufgaben (zum Beispiel eines Wochenplans) nach ihren eigenen Interessen und Möglichkeiten zu erledigen.

„Insgesamt kann festgestellt werden, dass ‚alle‘ Schüler durch die Maßnahmen ‚Innerer Differenzierung‘ und ‚Individualisierung‘ in spezifischer Weise vom in- tegrativen Unterrichtsangebot Vorteile haben, da jeweils dem individuellen Förderbedarf eines Schülers weitgehend entsprochen wird.“100 3. Handlungsorientiertes Lernen:

„Für den integrativen Unterricht ist handlungsorientiertes Lernen ein unverzichtbares Prinzip. Bei dem vorhandenen großen Leistungsspektrum innerhalb der Integrationsklassen können gerade durch das handelnde Lernen auch für die langsamen und lernbeeinträchtigten Schüler angemessene Entwicklungsbedingungen geschaffen werden.“101

Zum handlungsorientierten Lernen gehört es, dass die Schüler mit Kopf, Herz und Hand aktiv und selbstentdeckend Problemlösungsstrategien entwickeln. Das heißt sie lernen mit Hilfe methodischer Vielfalt eigenständig, sich Problemen anzunehmen und diese unter zur Hilfenahme all ihrer Sinne diese zielführend zu lösen. Insbesondere auf Grund dieses Prinzips kommt den Lehrern vermehrt die Aufgabe zu, Lernprozesse zu beobachten, zielleitend zu steuern und den Schülern als Berater zur Seite zu ste- hen.

4. Offener Lehrplan: Um die vorangegangen Prinzipien umsetzen zu können, muss der Unterricht von den Pflichten eines allgemeinen Lehrplans so weit wie möglich ent- bunden werden. Denn nur so kann ein Unterricht stattfinden, der binnendifferen- ziert, individualisiert und handlungsorientiert, ergo offen konzipiert ist. „Im offenen Unterricht ist das außerschulische Leben und Lernen von Kindern ein Teil des schuli- schen Lernens“102 und dieser Gedanke ist nur umzusetzen mit Hilfe eines offenen Lehrplans, da auf diesem Wege eine „Öffnung der Schule zum Stadtteil oder zur Ort- schaft“103 möglich wird, sodass „Eltern und schulfremde Personen mit in schulische Aktivitäten“104 eingebunden werden können.

Bei all diesen Prinzipien wird deutlich, dass der Kindzentrierung gegenüber der Fachorientie- rung eine größere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss, was wiederum bedeutet, dass sich die Lehrkräfte auch dahingehend einem Weiterqualifizierungsprozess unterziehen müs- sen.105 Neben den genannten Prinzipien des offenen Unterrichts, die eine aktive soziale In- teraktion und auch den direkten Einbezug der Schüler in den Unterrichtsprozess berücksich- tigen, sind noch weitere Faktoren wichtig, um eine soziale Integration aller Schüler einer Klasse zu unterstützen. Insbesondere müssen sich die Lehrkräfte darüber im Klaren sein, dass ihr Umgang mit den behinderten Schülern den anderen Schülern als Vorbild dient, wes- halb ein vorbildlicher Umgang der Lehrkräfte wünschenswert ist. Zudem sollten in regelmä- ßigen Abständen Maßnahmen, wie zum Beispiel Ausflüge, gemeinsames Grillen oder Früh- stücken, stattfinden, die dazu beitragen, das Gemeinschaftsgefühl in der Klasse zu bestär- ken, sodass ein allgemein positives Klassenklima vorherrscht, denn nur so kann mit einem solidarischem, verantwortungsbewussten und helfenden Handeln bei den Schülern gerech- net werden.

3.4.3 Zusammenfassung

Es lässt sich zusammenfassend sagen:

„In […] Schulen benötigen wir eine neue Spiel- und Lernkultur, die von der Diffe- renz lebt, in der es erlaubt ist, Fehler zu machen und an diesen Fehlern weiter zu lernen, in der jeder Schüler in seiner Individualität willkommen ist, nach seinen speziellen Fähigkeiten und Bedürfnissen gefördert wird und sich möglichst selbst- tätig auf seinem jeweiligen Entwicklungsniveau mit Problemstellungen auseinan- der setzt, die auf seine gegenwärtige und zukünftige Lebenssituation übertragbar sind.“106

Denn durch die Separation von Menschen mit Behinderungen in Sondereinrichtungen, ha- ben diese eine Randstellung in unserer Gesellschaft eingenommen. Es ist zwar Aufgabe und Ziel dieser Einrichtungen, die Menschen vom Rand der Gesellschaft in diese zu reintegrieren, jedoch bleiben die Erfolgschancen gering bzw. fraglich. Mit dem Konzept der Integration soll es nicht nur das Ziel sein, die Behinderten zu reintegrieren sondern es beschreibt auch den Weg dahin. Dabei betrifft Integration alle und nicht nur diejenigen, die integriert werden sollen. Denn es bedarf Änderungen im System Schule und in der Unterrichtspraxis, von de- nen alle Schüler profitieren sollen. Integration stellt keine Gleichmacherei da,107 im Gegen- teil sie ist als Entwicklungshelfer einer Schulentwicklung zu verstehen, bei der durch Bin- nendifferenzierung und individualisierte Lernprozesse am Ende eine bessere Schule für alle erreicht werden soll.108

„Eine integrative […] Förderung von Kindern und Jugendlichen und Erwachsenen mit „Behinderung“ hat also nachhaltige und positive Auswirkungen auch auf die pädagogische Arbeit in Einrichtungen, die von ihren Ursprüngen her nicht auf die Bedürfnisse dieser Kinder zugeschnitten waren.“109

Dennoch ist nach einer gelungenen schulischen Integration keine berufliche Integration zu garantieren110 und die Gefahr einer Isolation bleibt bestehen,111 allerdings hat sich gezeigt, dass es integrativen Einrichtungen besser gelingt, eine gesellschaftliche Eingliederung zu unterstützen als sonderpädagogischen Einrichtungen.112

3.5 Die Inklusion

Der Begriff Inklusion leitet sich vom lateinischen ‚inclusio‘ ab und bedeutet so viel wie ‚Einschließung‘.113

„Die Herausbildung des Begriffs der Inklusion steht in einem engen Zusammenhang mit der Entwicklung internationaler Leitlinien um einen menschenrechtsbasierten Bildungsbegriff.“114

Der Begriff der Inklusion fand im Jahre 1994 Einzug in den bildungswissenschaftlichen Fokus. Im Rahmen einer Konferenz der UNESCO im spanischen Salamanca, der „World Conference on Special Needs Education: Access and Quality“115, wurde eine Erklärung verfasst, in der die Inklusion bzw. „Inclusive Education“116 als Ziel für zukünftige sonderpädagogische Bemühun- gen ausgegeben wurded. Die Salamanca-Erklärung ist somit der Ausgangspunkt für die bil- dungspolitische Auseinandersetzung mit der Inklusion, wobei im deutschsprachigen Raum zunächst der englische Begriff ‚inclusion‘ (fälschlicherweise) mit dem Begriff ‚Integration‘ wiedergegeben wurde. Dies führte zu Missverständnissen,117 da die Integration bereits in das Bildungssystem Einzug gehalten hatte und es daher zu einer Gleichsetzung der Konzepte der Inklusion und Integration kam.118 Allerdings wurde diese irreführende deutsche Überset- zung auch fünfzehn Jahre später in der Übersetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen nicht korrigiert. Diese sogenannte Behindertenrechtskonven- tion, die im Jahre 2006 verabschiedet und 2009 von Deutschland ratifiziert wurde,119 ist Aus- gangspunkt für den Wandel hin zu einer inklusiven Gesellschaft und somit auch zu einem inklusiven Bildungssystem. Grundlage für die Veränderung des Bildungssystems hin zu einem inklusiven ist der Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention, der auch ins Bundesgesetz übernommen wurde und trotz der föderalistischen Struktur in Deutschland für alle Bundes- länder rechtlich verpflichtend ist.120 Im Artikel 24 im Absatz 2 steht folgendes:

„Bei der Verwirklichung dieses Rechts [das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung; d. V.] stellen die Vertragsstaaten sicher, dass

a) Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom all- gemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden […];
b) Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen in der Ge- meinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem integrativen121, hochwerti- gen und unentgeltlichen Unterricht […] haben;
c) angemessene Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Einzelnen getroffen werden;
d) Menschen mit Behinderungen innerhalb des allgemeinen Bildungssystems die notwendige Unterstützung geleistet wird, um ihre erfolgreiche Bildung zu erleichtern;
e) in Übereinstimmung mit dem Ziel der vollständigen Integration wirksame individuell angepasste Unterstützungsmaßnahmen in einem Umfeld, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet, angeboten werden.“122

Generell verpflichtet sich damit die Bundesrepublik Deutschland dazu, das Konzept eines inklusiven Bildungssystems zu verwirklichen und somit jedem Kind einen diskriminierungsfreien Zugang zu einer nahegelegenen Schule zu ermöglichen. Allerdings besagt der Artikel 4 unter Absatz 2 der Behindertenrechtskonvention auch, dass „jeder Vertragsstaat, unter Ausschöpfung seiner verfügbaren Mittel“123 dazu verpflichtet ist die Inklusion umzusetzen. Damit ergibt sich ein Spielraum für die Umsetzung bzw. die Verwirklichungsdauer, dennoch müssen konkrete Maßnahmenpläne erstellt werden.124

3.5.1 Das Konzept

Das Konzept der Inklusion beruht auf der Idee, dass es zu einer Abkehr von der Defizitorien- tierung kommt, es also keiner „administrativen Etikettierung“125 mehr bedarf. Es wird gene- rell, entsprechend der gesellschaftlichen Wirklichkeit, von einer heterogenen Klassenzu- sammensetzung ausgegangen, ohne dass einzelnen Schülern zuvor ein bestimmter Förder- bedarf oder eine Behinderung attestiert wurde.126 Die Vielfalt ist als Normalität zu verste- hen:

[...]


1 KASTL 2010, S. 108.

2 Um eine einfachere Lesbarkeit zu gewährleisten wird in der gesamten Ausarbeitung darauf verzichtet sowohl die weibliche als auch die männliche Form eines Begriffs aufzuführen. Die jeweils verwendeten Begriffe gelten für beide Geschlechter.

3 SEKRETARIAT DER STÄNDIGEN KONFERENZ DER KULTUSMINISTER DER LÄNDER IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND 1994, S. 4. Im Folgenden wird das Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland in allen Quellenbelegen nur noch mit der Abkürzung KMK angegeben.

4 INSTITUT FÜR BILDUNGSCOACHING.

5 MINISTERIUM FÜR BILDUNG, WISSENSCHAFT, FORSCHUNG UND KULTUR DES LANDES SCHLESWIG-HOLSTEIN 2002, S. 64. Im Folgenden wird das Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig- Holstein nur noch mit Schleswig-Holstein abgekürzt. Dass in diesen Kapiteln Zitate aus einer Niederschrift des Landes Schleswig-Holstein genutzt werden, und nicht der KMK, hat lediglich mit den treffenderen und somit besseren Formulierungen in dieser Schrift zu tun. Inhaltlich wird dasselbe ausgesagt wie in der KMK-Schrift.

6 SCHLESWIG-HOLSTEIN 2002, S. 64.

7 Vgl. KMK 1999, S. 4.

8 A.a.O., S. 2.

9 Vgl. a.a.O., S. 3.

10 INSTITUT FÜR BILDUNGSCOACHING.

11 Ebd.

12 SCHLESWIG-HOLSTEIN 2002, S. 104.

13 Vgl. FORNEFELD 2009, S. 72.

14 Vgl. KMK 1998(a), S. 4.

15 Vgl. a.a.O., S. 6.

16 INSTITUT FÜR BILDUNGSCOACHING.

17 INSTITUT FÜR BILDUNGSCOACHING.

18 SCHLESWIG-HOLSTEIN 2002, S. 95.

19 Vgl. BEYER et al., S. 6.; Vgl. weitergehend SAARNI 2002, S. 13.

20 HINSCH & PFINGSTEN 2007, S. 5.

21 Vgl. BEYER et al., S. 6.

22 Vgl. MYSCHKER 2009, S. 55.

23 Vgl. BEYER et al., S. 6.

24 INSTITUT FÜR BILDUNGSCOACHING.

25 INSTITUT FÜR BILDUNGSCOACHING.

26 SCHLESWIG-HOLSTEIN 2002, S. 85.

27 Vgl. KMK 1998(d), S. 3.

28 Vgl. WILDEGGER-LACK 2009, S. 27.

29 Vgl. HACKER & WILGERMEIN 2009, S. 39f.

30 Vgl. BEYER et al., S. 23.

31 Vgl. GLÜCK 2009, S. 76f.

32 Vgl. LANDESINSTITUT FÜR SCHULE UND MEDIEN BERLIN-BRANDENBURG 2009, S. 17f.

33 KMK 1998(d), S. 5.

34 SCHLESWIG-HOLSTEIN 2002, S. 85.

35 Ebd.

36 INSTITUT FÜR BILDUNGSCOACHING.

37 INSTITUT FÜR BILDUNGSCOACHING.

38 SCHLESWIG-HOLSTEIN 2002, S. 116.

39 Vgl. HEDDERICH 2006, S. 31.

40 Vgl. LELGEMANN 2010, S. 89.

41 Vgl. BEYER et al., S. 14.

42 KMK 1998(b), S. 2.

43 INSTITUT FÜR BILDUNGSCOACHING; BEYER et al., S. 14.

44 INSTITUT FÜR BILDUNGSCOACHING.

45 Vgl. LEONHARDT 2002, S. 77.

46 Vgl. KMK 1996, S. 5, S. 7-11.

47 KMK 1996, S. 3.

48 INSTITUT FÜR BILDUNGSCOACHING.

49 Ebd.

50 KMK 1998(e), S. 1.

51 Vgl. ebd.

52 INSTITUT FÜR BILDUNGSCOACHING.

53 Ebd.

54 Die Zahl 0.3 bedeutet, dass ein Kind auf 30 cm oder näher an ein Objekt herantreten muss, um es zu erkennen, während ein gesundes Kind dieses aus 1 m (1.0) Entfernung erkennen kann. Vgl. auch Klett, S. 34.

55 SCHLESWIG-HOLSTEIN 2002, S. 139.

56 BEYER et al., S. 34.

57 Eigene Darstellung nach SANDER 2008, S. 38.

58 Dies ist aus der Perspektive einer westeuropäischen Gesellschaft geschrieben. Es ist nicht auszuschließen, dass es in einigen Ländern der Welt keine Bestrebungen zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gibt oder diese sogar Opfer ideologisch motivierter psychischer und physischer Gewalt sind.

59 Vgl. SANDER 2008, S. 28.

60 Vgl. ebd.

61 AMRHEIN 2011, S. 17.

62 Vgl. SANDER 2008, S. 28.

63 Vgl. Kapitel ‚2 Behinderung in der Schule: Die Förderschwerpunkte‘.

64 AMRHEIN 2011, S. 17.

65 LÜSCHEN 1994, S. 182.

66 Vgl. SANDER 2008, S. 30.

67 Vgl. HEIMLICH 2012(b), S. 96.

68 Vgl. HEIMLICH 2012(b), S. 98.

69 A.a.O., S. 99.

70 BUBER 1962, S. 97.

71 EBERWEIN & MAND 2008, S. 7f.

72 BEGEMANN 1991, S. 60.

73 HEIMLICH 2012(a), S. 14.

74 Vgl. HEIMLICH 2003, S. 138ff.; LÜSCHEN 1994, S. 104.

75 Vgl. LÜSCHEN 1994, S. 181.

76 HEIMLICH 2003, S. 141.

77 SPECHT 1997, S. 30.

78 BEGEMANN 1991, S. 61.

79 Vgl. a.a.O., S. 65.

80 Vgl. LÜSCHEN 1994, S. 196f.

81 BEGEMANN 1991, S. 61.

82 Vgl. AMRHEIN 2011, S. 38.

83 BOBAN 2012, S. 13.

84 HINZ 2010, S. 3.

85 Vgl. PREUSS-LAUSITZ 2006, S. 91.

86 Vgl. EBERWEIN 2008, S. 56.

87 Vgl. HEIMLICH 2003, S. 57.

88 Vgl. a.a.O., S. 58; HINZ 2002, S. 355.

89 Vgl. HEIMLICH 2003, S. 70ff.

90 Vgl. a.a.O., S. 68ff.

91 Vgl. AMRHEIN 2011, S. 58.

92 MERZ-ATALIK 2014, S. 100.

93 BODE 1991, S. 14; WAHL 1991, S. 19.

94 Vgl. LÜSCHEN 1994, S. 159.

95 Vgl. EBERWEIN & MAND 2008, S. 9.

96 Vgl. LÜSCHEN 1994, S. 160f.

97 Vgl. a.a.O., S. 141ff.

98 VELTHAUS 1988, S. 19; zitiert nach LÜSCHEN 1994, S. 145.

99 Vgl. EBERWEIN 2008, S. 52.

100 FEUSER & MEYER 1987, S. 208.

101 DUMKE, 1991, S. 56.

102 MÜLLER & BLAWERT 1988, S. 5.

103 LÜSCHEN 1994, S. 143.

104 Ebd.

105 HEIMLICH 2003, S. 50.

106 HEIMLICH 2003, S. 16.

107 SANDER 2008, S. 27.

108 Vgl. FEYERER & PRAMMER 2003, S. 187.

109 EBERWEIN & MAND 2008, S. 8.

110 Vgl. LINK 2000, S. 80.

111 GASTEIGER-KLICPERA & KLICPERA 2008, S. 138.

112 EBERWEIN & MAND 2008, S. 7.

113 In diesem Kapitel kann es durchaus sein, dass es Parallelen zum Kapitel „3.4 Integration“ gibt und es deshalb zu Wiederholungen kommt. Diese sind bewusst niedergeschrieben und werden im folgenden Kapitel „4 Die Integration und Inklusion im Vergleich“ aufgegriffen und thematisiert.

114 AMRHEIN 2011, S. 27.

115 Vgl. UNESCO, MINISTRY OF EDUCATION AND SCIENCE SPAIN 1994, S. i.

116 AMRHEIN 2011, S. 27.

117 Vgl. HEIMLICH 2012(a), S. 11.

118 Siehe zur Differenzierung der Begriffe Integration und Inklusion Kapitel „4 Die Integration und Inklusion im Vergleich“.

119 Vgl. BUNDESMINISTERIUM FÜR ARBEIT UND SOZIALES 2011, S. 10.

120 Vgl. BUNDESGESETZBLATT 2008, S. 1426 (Art. 4, Abs. 5): „Die Bestimmungen dieses Übereinkommens gelten ohne Einschränkung oder Ausnahme für alle Teile eines Bundesstaates“ (ebd.). Vgl. auch HEIMLICH 2012(a), S. 12.

121 Wie bereits erwähnt wird in der deutschen Fassung der UN-Behindertenrechtskonvention weiterhin der Begriff Integration statt Inklusion gebraucht. Es gibt inzwischen zwar auch sogenannte ‚Schattenübersetzungen‘, die versuchen das Missverständnis zu beheben, dennoch soll hier auf die Originalfassung des Bundesgesetzblattes zurückgegriffen werden. Vgl. auch METZGER 2013, S. 17. Sowohl bei METZGER als auch auf dem BUNDESGESETZBLATT 2008, S. 1436f. sind die englischen Originaltexte zu finden.

122 BUNDESGESETZBLATT 2008, S. 1436f.

123 A.a.O., S. 1425.

124 Vgl. KATZENBACH & SCHNELL 2012, S. 22.

125 AMRHEIN 2011, S. 19.

126 Vgl. EBERWEIN 2008, S. 43; HEIMLICH 2003, S. 143f.

Ende der Leseprobe aus 164 Seiten

Details

Titel
Gemeinsamer Unterricht in der Sekundarstufe. Eine empirische Studie zu Erfahrungen und Problemen an einer Gesamtschule
Untertitel
Inklusion und Integration im Vergleich
Hochschule
Universität Osnabrück  (Institut für Erziehungswissenschaften)
Note
1,1
Autor
Jahr
2014
Seiten
164
Katalognummer
V282051
ISBN (eBook)
9783656831563
ISBN (Buch)
9783656830894
Dateigröße
5922 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Inklusion, Integration, Gesamtschule, Gemeinsamer Unterricht, Behinderung und Schule
Arbeit zitieren
Jonas Knefelkamp (Autor:in), 2014, Gemeinsamer Unterricht in der Sekundarstufe. Eine empirische Studie zu Erfahrungen und Problemen an einer Gesamtschule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/282051

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