Hartmann von Aues 'Erec'. Analyse von Gestaltung und Funktion des Erzählerkommentars


Hausarbeit, 2014

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Grundlage: Vokalität, auctoritas und exklusives Wissen

3. Exemplarische Analysen
3.1. Sattel- descriptio, Verse 7476-7757
3.2. Erecs und Enites Hochzeit, Verse 1900-2113
3.3. Zweite Grafen-âventiure, Verse 6552-6681

4. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Erzählung lebt vom Erzähler. Nicht erst seit der Neuzeit wird dieses Credo seitens vieler Autoren beherzigt. Geschieht die Rezeption von Prosa heutzutage im Verborgenen, lebte im Mittelalter der Genuss von Literatur vom Beiwohnen eines mündlichen Vortrags. Nicht selten geschah dies in adeligen Kreisen durch den Autor selbst, da man der Schreibtätigkeit im Mittelalter fast nur nachgehen konnte, wenn man Teil der höfischen Lebenswelt war. Ein ansprechender Vortrag bestand auch in der Einbeziehung des Publikums, der sogenannten sermocinatio. Diese wurde nicht spontan im Moment des Erzählens produziert, sondern vorausschauend niedergeschrieben und rezitiert. Mit dem höfischen Roman 'Erec' von Hartmann von Aue möchte ich mich bezüglich der Gestaltung und der Funktion des Erzählerkommentars beschäftigen. Besonderes Interesse gilt dabei der fingierten Interaktion mit dem Publikum, da ich überzeugt bin, dass eine umfassende Einschätzung mittelalterlicher Literatur nicht ohne Berücksichtigung des Mündlichkeitsaspekts derer Vermittlung erfolgen kann. Dies untermauernd, stelle ich meinen Analysen eine theoretische Grundlage voran. Diese umfasst einen kurzen Umriss von Vokalität, auctoritas und der Bedeutung von exklusivem Wissen in der mittelalterlichen Literatur. Es folgt der praktische Teil mit den Betrachtungen dreier Textstellen, die, im Bezug auf den Analysegegenstand, als besonders aufschlussreich wahrgenommen wurden. Zum Schluss möchte ich meine Ergebnisse zusammenfassen und weitere Beobachtungen und Eindrücke, die sich mir während der Bearbeitung meiner Fragestellung ergeben haben, wertungsfrei bis thesenartig festhalten.

2. Theoretische Grundlage: Vokalität, auctoritas und exklusives Wissen

Die Art der Vermittlung des Stoffes, der histoire, durch den Erzähler kann von Text zu Text variieren. Nichtsdestotrotz lassen sich für jede Epoche bestimmte 'Trends' in der Gestaltung des discours ausmachen. Im Mittelalter spielen hierfür verschiedene Faktoren eine Rolle. Ein dieser Epoche zugehöriger Stoff kann niemals losgelöst vom „[...] gesellschaftliche[n], kulturelle[n] und materielle[n] Ambiente [...]“1 der Vortragsart betrachtet werden, da er einst von ihm determiniert wurde. Im discours werden Stoff und obige Gegebenheiten „[...] zu einem 'Gesamtabenteuer' zusammengefügt [...]“2, welches „[...] zur gemeinsamen Erfahrung von Literatur und Welt“3 führt. Eine Instanz, die sowohl die Vermittlung des literarischen Geschehens als auch die Unterhaltung der Hofgesellschaft verfolgt, wird in den discours eingeführt. Demgemäß werden Erzählerfiguren konstruiert , die es vermögen, die gemeinsame Erfahrung von Literatur rhetorisch4 ansprechend und der Erzählung angemessen zu gestalten. Um die Erzählerkommentare besser deuten zu können, sind die äußeren Gegebenheiten, die bei der Vermittlung von Prosa im Mittelalter zugegen waren, zu beleuchten: Ein mittelalterlicher Autor muss sich, möchte er eine eigene Geschichte erzählen, und nicht Bekanntes wiederholen, einer großen narratologischen Herausforderung stellen: Er muss seine Geschichte glaubhaft etablieren, was in mittelalterlicher Literatur über die Autorität ihres Vermittlers, der Erzählinstanz erfolgt. Das Verhältnis des Publikums zum Stoff, ergo deren Wissen oder Unwissen um die histoire, ist dabei entscheidend. Der Erzähler eines 'althergebrachten' Stoffes muss sich beispielsweise nicht in der gleichen Form legitimieren wie der eines neuen Stoffes, da durch das gemeinsame Erinnern von Erzähler und Rezipienten, das Wissen bei den Wissenden bleibt, beziehungsweise keine Wissensübermittlung stattfindet5. Während im Heldenepos das Wissen und die Wahrnehmung des Erzählers nicht von der des Publikums abweicht6, herrscht im höfischen Roman eine „[...] unterschiedliche Verteilung von Wissen [...]“7 Schulz ordnet Hartmanns 'Erec' dem höfischen Roman aus dem Grunde zu, dass der Stoff, den Hartmann bedient, zwar weitgehend bekannt ist, jedoch nicht annähernd so tradiert (und damit gegenwärtig) wie beispielsweise der des Nibelungenliedes8. Der Erzähler im 'Erec' teilt nicht mit, was alle wissen, sondern beansprucht als Vermittler des Wissens an das Publikums eine Exklusivität, die sich auch in der Konturierung der Erzählstimme niederschlägt9.

Scheinbar vernachlässigt Schulz den Aspekt, dass Hartmann sehr wohl den hinlänglich bekannten Artusstoff aufgreift. Dieser ist in seinem Status mit dem des Nibelungenliedes vergleichbar, wird aber von Hartmann mit dem neuen Stoff verknüpft. Bekanntermaßen handelt es sich bei Hartmanns 'Erec' um die Bearbeitung des Romans von Chrétien. Es handelt sich dennoch um keine bloße Wiedergabe von Bekanntem, wonach Schulz recht behält, sondern ein stoffliches Novum, da Hartmann der Erste ist, der 'Erec et Enide' für ein deutschsprachiges Publikum übersetzt beziehungsweise adaptiert. Man könnte daher - wenn auch in zweiter Instanz - von einer Neuinterpretation des Artusstoffes sprechen. Dies führt Hartmann durch den speziellen Umgang mit dem Erzählerwissen vor, teils verlässt er sich, wie sich zeigen wird, auf die Kenntnisse des Publikums, teils spielt er mit der Exklusivität des Erzählerwissens. Gerade diese Mischung bildet eine besondere Dynamik in der Vorantreibung der Erzählung und bietet genug Raum für pointiert platzierte Erzählerkommentare, die ihm helfen, seine auctoritas zu behaupten. Wie genau dies geschehen kann, soll ebenfalls näher beleuchtet werden10. Die Alterität mittelalterlicher Prosa liegt auch in den uns fremden, hermeneutischen Bedingungen. Das schriftlich-lesende Rezipieren von Texten ist ein neuzeitliches Phänomen. Ursula Schäfer11 spricht von der Vokalität mittelalterlicher Erzähltexte. Ihren Studien zu Folge, entsteht die Erzählerfigur nach dem Niedergang der primären Mündlichkeit (zum Beispiel in lateinischer Rhetorik), um Oralität im mittlerweile schriftlichem Diskurs zu fingieren12. Man könne in zeitgenössischen Werken erkennen, dass „[...] sie deutliche Signale von é nonciation tragen, ihre Organisation also dergestalt ist, daß sie - trotz ihrer faktischen texthaften Abgeschlossenheit - als Kommunikationsakt erscheinen.“13 Der höfische Roman 'Erec' ist, so Schulz, ein typisches Beispiel für dieses Phänomen, da „[...] das literarische Werk in statu nascendi behauptet wird.“14 Das bedeutet, dass die Fiktion des Romans im mündlichen Vortrag eines Erzählers vor anwesendem Publikum geäußert wird. Darin begründet sich auch Schäfers Überlegung, da während der Anfertigung einer Art Skripts für den mündlichen Vortrag nicht ohne das Einbringen eines fiktionalen Erzählers einhergehen kann15. Die Bestimmung zum mündlichen Vortag gilt es in meinen Bearbeitungen zu berücksichtigen. Der Autor simuliert bereits während des Niederschreibens des 'Skripts' das mögliche Zwiegespräch zwischen Erzähler und Publikum. Somit liegt nicht nur ein fiktiver Erzähler, sondern auch ein fiktiver Rezipient, der im Dialog zu ihm steht, vor. Dieser wesentliche Aspekt mittelalterlicher Literatur soll an einer geeigneten Textstelle nachgewiesen werden.

3. Exemplarische Analysen

3.1. Sattel- descriptio, Verse 7476-7757

Die Beschreibung vom Sattel von Enites Pferd bildet das Zentrum vieler literaturpoetologischer Betrachtungen des Romans. Der ästhetische Reiz dieser Textstelle ist nicht abstreitbar, Ingrid Strasser beispielsweise spricht von einem 'Gedicht im Gedicht'16. An der descriptio zeigt sich das 'Skripten' einer wahrscheinlichen Interaktion des Erzählers mit dem Publikum besonders deutlich.

daz ich iu rehte seite von diseme gereite, (Erec, 7476f)17

Hier wird das Zusammenspiel zwischen Erzähler und Publikum konturiert. Das Benennen beider Instanzen durch die jeweiligen Personalpronomina zeugt von einer deiktischen Qualität, da beide vorerst nicht genauer beziehungsweise namentlich eindeutig bestimmt werden. Eine Räumlichkeit oder 'Zeigbarkeit' ist eine Kategorie mündlicher Kommunikation. Es wird also auf den mündlichen Vortrag vor Publikum referiert.

Die Handlung des Romans wird aufgebrochen, um ein weiteres narratologisches Element einzufügen, in der der Erzähler mit seinem exklusiven Wissen über die Beschaffenheit von Enites Sattel gewissermaßen kokettiert. Gleichwohl 'gesteht' er (V 7485ff), den Sattel selbst nicht gesehen zu haben. Strasser18 verweist auf die Verse 7389-7393, in denen der Erzähler das Pferd in den unwirklichem Raum des Märchens situiert. Dementsprechend ist das Tier auch eines fantastischen Äußeren, wie es sich nur ein Künstler erdenken konnte. Durch diese Elemente, so Strasser, weist der Erzähler auf die Fiktion seiner Erzählung hin19.

Im Verlauf des Dialogs provoziert die Erzählerfigur das Publikum indem er sein exklusives Wissen nur sehr rationiert preisgibt. Das Publikum zeigt Interesse, was, folge ich Strassers Argumentation, von nichts anderem zeugt, denn einem Interesse an der Fiktion. Diese im Mittelalter neuartige 'Stoffgröße' wird durch Hartmann besonders dadurch lobgepriesen, dass die fiktiven Elementen, auf die das inszenierte Publikum begierig ist, nicht zum Fortlauf der Handlung beitragen. Das bedeutet, sie erfüllen keinen anderen Zweck, denn der Unterhaltung, ergo der Freude an der Fiktion. Die Verse 7476-7484 beinhalten eine weitere widersprüchliche Aussage des Erzählers. Einerseits charakterisiert er sich selbst als tumben knehte, also nicht in der Lage in angemessener Weise von dem Sattel zu berichten. Andererseits formuliert er den Einwand, es würde zu lange dauern ihn in Gänze zu beschreiben20. Im Laufe der Erzählung führt er dem Publikum den Sattel jedoch in ausgedehnten Maße vor Augen und weiß ihn - in griechischer Mythologie gebildet - detailreich zu schildern.

Letzterer Einwand des zu langem Erzählens verweist abermals auf den mündlichen Vortrag. Zum einen fügt er erneut eine deiktische Kategorie ein (' lanc '), als auch das Verb sagen, was auf die Performanz des Vortrags verweist.

Im ersten Redeanteil des 'Publikums (V. 7493f) wird der Erzähler mit dem Namen Hartman angesprochen. Man mag hierbei eine Kongruenz von Autor und Erzähler vermuten, stichhaltige Beweise findet man jedoch nicht im Text. Autor und Erzähler als Einheit zu verstehen scheint für die Betrachtung mittelalterlicher Literatur ein durchaus interessanter Aspekt zu sein. Zumindest scheint eine strikte Trennung beider Instanzen oft nicht möglich, da sich viele Autoren des Mittelalters, so auch Hartmann von Aue, in ihren Werken gerne als Erzähler unter Verwendung der eigenen Namen21, inszenieren. Der Diskussionsbedarf zur eventuellen Kongruenz von Autor und Erzähler ist groß22. Obgleich dieses Thema spannend und sinnfällig ist, kann, meiner Ansicht nach, deren Betrachtung für den 'Erec' nicht erfolgen. Leider ist dessen Prolog, in dem sich Hartmann vermutlich als Autor und Erzählerfigur in einer Person etablieren würde, nicht erhalten. Da sich viele Arbeiten und Aufsätze, die sich an der Diskussion beteiligen, auf den 'Iwein'-Prolog beziehen, ja ihre ganze Argumentation darauf aufbauen, scheint eine haltbare Stellungnahme zum Autor-Erzähler-Verhältnis für dieses Werk Hartmanns kaum realisierbar.

Im fortlaufenden Dialog zwischen Erzähler und Publikum spielt, wie bereits angedeutet, Hartman 23 seinen Vorteil des Exklusivwissens gegen das Publikum aus. Er kommt dem Wunsch des Publikums, die Beschaffenheit des Sattels eigenständig zu erraten nach, fordert aber eine schnelle Antwort ein.

[...]


1 Curschmann, Michael (2004): „Der Erzähler auf dem Weg zur Literatur“, in: Haubrichs, Wolfgang/Lutz, Eckart Conrad/Ridder, Klaus (Hg.): Erzähltechnik und Erzählstrategie in der deutschen Literatur des Mittelalters. Saarbrücker Kolloqium 2002. Berlin: Schmidt, S. 27.

2 A.a.O., S. 27.

3 Curschmann (2004): 27.

4 Curschmann spricht von dem Bemühen an einer „[...]aktive[n] Reminiszenz an ein Milieu, in dem literarische Inhalte mündlich verwaltet und vermittelt wurden [...]“, in: a.a.O., S. 28.

5 Vgl. Schäfer, Ursula (1992): Vokalität. Altenglische Dichtung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Tübingen: Narr, S. 100ff.

6 Vgl. Schulz, Armin (2012): Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive. Berlin [u.a]: De Gruyter, S.373.

7 A.a.O., S.374.

8 Vgl. a.a.O., S. 375.

9 Vgl. ebd.

10 Wissen und Unwissen um den Stoff seitens des Publikums spielen eine entscheidende Rolle in der mittelalterlichen Literatur und auch den Hauptunterschied zwischen Heldenepos und höfischen Roman. Vgl. Schulz (2012): 370.

11 Schäfer beschäftigt sich mit altenglischer Dichtung, allerdings unterscheidet sich in der Vortragsweise (insofern, dass sie vor Publikum erfolgt!) nicht.

12 Vgl. Schäfer (1992): 114ff.

13 A.a.O., S. 54.

14 Schulz (2012): 377.

15 Vgl. Schäfer (1992): 114ff.

16 Vgl. Strasser, Ingrid (1993): „Fiktion und ihre Vermittlung in Hartmanns >Erec<-Roman“, in: Mertens, Volker/Wolfzettel, Friedrich (Hg.): Fiktionalität im Artusroman. Dritte Tagung der Deutschen Sektion der Internationalen Artusgesellschaft in Berlin vom 13.-15. Februar 1992. Tübingen: Niemeyer, S.64.

17 Im Folgenden zitiert nach der Textausgabe: Hartmann von Aue (1973 [zwischen 1180 und 1190]): Erec, Mittelhochdeutscher Text und Übertragung von Thomas Cramer. Frankfurt am Main: Fischer.

18 Vgl. Strasser (1993): 64.

19 Vgl. ebd.

20 iu ze sagenne al ze lanc. (Erec, 7484).

21 Da sie selbst größtenteils adelig waren, konnten sie den Vortrag ihrer Werke auch am Hof tätigen.

22 Vgl. Unzeitig, Monika (2004):: „Von der Schwierigkeit zwischen Autor und Erzähler zu unterscheiden. Eine historisch vergleichende Analyse zu Chrétien und Hartmann“, in: Haubrichs, Wolfgang/Lutz, Eckart Conrad/Ridder, Klaus (Hg.): Erzähltechnik und Erzählstrategie in der deutschen Literatur des Mittelalters. Saarbrücker Kolloqium 2002. Berlin: Schmidt, S. 60 ff.

23 Im Folgenden markiere ich den Unterschied zwischen Hartman (Erzähler) und Hartmann (Autor) über die Schreibweise.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Hartmann von Aues 'Erec'. Analyse von Gestaltung und Funktion des Erzählerkommentars
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
18
Katalognummer
V281899
ISBN (eBook)
9783656758853
ISBN (Buch)
9783656758860
Dateigröße
569 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
analyse, gestaltung, funktion, erzählerkommentars, hartmann, aues, erec
Arbeit zitieren
Nicole Fischer (Autor:in), 2014, Hartmann von Aues 'Erec'. Analyse von Gestaltung und Funktion des Erzählerkommentars, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/281899

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