Normalarbeitsverhältnis oder Prekariat

Der gesetzliche Mindestlohn als sozialer Fortschritt oder als Sargnagel der Tarifautonomie?


Forschungsarbeit, 2014

136 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Normalarbeitsverhältnis oder Prekariat - Der gesetzliche Mindestlohn als sozialer Fortschritt oder als Sargnagel der Tarifautonomie/?"

Normalarbeitsverhältnis oder Prekariat///
I. Atypische Beschäftigungsverhältnisse//
II. Mindestlohn
III. Stärkung kontinuierlicher Erwerbsbiographien
IV. Kleine Selbständigkeit

Nichts ist prognostizierbar. Wir müssen uns von der Utopie der Planbarkeit der Zukunft verabschieden (Angela Merkel).

Kein Mensch wird als politischer Mensch geboren, deshalb ist die Ausbildung politischer und soziologischer Fantasie, die den Möglichkeits-Sinn der Menschen fördert, ein wesentliches Element demokratischer Gesellschaftsverfassungen (Oskar Negt).[1]

Dem Sozialstaat können und dürfen Funktionsdefizite der Tarifautonomie nicht gleichgültig sein. Gesetzgeber und Gerichte haben sich zunächst zu fragen, ob sie aufgrund ihrer Ausgestaltungspflicht die rechtliche Rahmenordnung nachjustieren müssen, um Fehlerquellen zu beseitigen (Thomas Dieterich, Zukunft der Tarifautonomie, WSI-DGB-Symposium "60 Jahre Tarifvertragsgesetz", 23./24. 04.2009).

Normalarbeitsverhältnis oder Prekariat - Der gesetzliche Mindestlohn als sozialer Fortschritt oder als Sargnagel der Tarifautonomie?"

Direktor des FOI[2] /[3] (an der DHBW) Prof. Dr. jur. utr., Dr. rer. publ., Siegfried Schwab, Assessor jur., Mag. rer. publ., Kreisverwaltungsdirektor a. D.*

*unter Mitarbeit von Diplom-Betriebswirtin (DH) Silke Schwab

Die demographischen und ökonomischen Rahmenbedingungen in Deutschland ändern sich bis 2030 grundlegend. Horst W. Opaschowski belässt es aber nicht bei diesem Befund: Um Deutschland zukunftsfähig zu machen, müssen wir frühzeitig wissen, was heute und morgen zu tun ist. Zukunftsforschung kann nicht meinen, lediglich über Entwicklungen Bescheid zu wissen, vielmehr bildet die Vorausschau auf die Zukunft die Basis, den kommenden Generationen Zukunftsperspektiven zu eröffnen. Die Prognosen sollen die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger in die Lage versetzen, mit der Zukunft, wie immer sie sein mag, fertig zu werden, also Risiken zu minimieren und Chancen zu nutzen.[4]

„Der Mensch mit allen seinen Ressourcen wird immer stärker ökonomischen Zielen unterworfen. Damit sind für den Einzelnen nicht nur Chancen, sondern auch Risiken verbunden“.

„Die unzureichende sozialrechtliche Vorsorge[5] erfordert in der Zukunft eine massive steuerfinanzierte Aufstockung der Etats der Sozialversicherungsträger“.[6]

Ein Politikfeld wie die Arbeitsgesellschaftspolitik muss man in so viele Einzelteilen denken, dass man am Ende das "Warum" und das "Wohin" und die Folgen des Handelns erkennt. Man muss mit den Realitäten leben (Siegfried Schwab).

„Bei der Regulierung der Leiharbeit, muss der europarechtlich vorgegebene Gleichbehandlungsgrundsatz verwirklicht werden.“

„Mit einem Mindestlohn[7] sollen die negativen Folgen von geringfügiger Beschäftigung für die Gesellschaft beschränkt werden, weil Arbeitnehmer mit Billiglöhnen keine ausreichende Rente aufbauen können“. Die Höhe des Mindestlohns beträgt ab dem 1. Januar 2015 brutto 8,50 Euro je Zeitstunde. Die Höhe des Mindestlohns kann auf Vorschlag einer ständigen Kommission der Tarifpartner (Mindestlohnkommission) durch Rechtsverordnung der Bundesregierung geändert werden, § 1 Abs. 2 MiLoG.

Die Ansatzpunkte für die Zurückholung des Politischen in die Gesellschaft, in die konkrete Erfahrungswelt der Menschen liegen dort, wo die Menschen leben und arbeiten, im Beruf, in der Nachbarschaft, in der Familie, in der Schule. In diesen Zwischeneinheiten lässt sich gesellschaftliche Verantwortung sinnlich erfahren, weil sie an das eigene Verhalten zurückgebunden werden kann. Politik findet nicht in einer von Beruf und Arbeitsplatz abgetrennten Sphäre statt, sie darf nicht den Berufspolitikern vorbehalten bleiben. Die Form der kapitalistischen Warengesellschaft ist überholt, denn die Produktionsprozesse unterliegen einem Rationalisierungsgesetz (Oskar Negt)

"Mit der Aushöhlung der Tarifautonomie[8] haben die Gespräche im Rahmen der Konzertierten Aktion überhaupt nichts zu tun. - Alles, was dort besprochen wird, ist für die Tarifvertragsparteien ohne jedes Obligo. Ich sagte oft nach gewissen allgemeinen Verständigungen: Gehen Sie in Freiheit in die eigentlichen Tarifvertragsverhandlungen! Es kann gar keine Rede davon sein, dass es irgendwo Beschränkungen gibt. Otto Brenner hat in der letzten Sitzung das Recht auf Tarifautonomie noch einmal ausdrücklich betont. ... Dabei gibt es keine Lohnleitlinien, das weiß Otto Brenner. Das Wort Lohnleitlinie habe ich in den ersten Tagen meiner Amtstätigkeit im Bundeswirtschaftsministerium durch einen Kammerjäger sozusagen vertilgen lassen (Beifall). Wir haben dann in zwei schöne Büchlein geblickt, die ja wohl ganz ungefährlich sind, nämlich in das Grundsatzprogramm und Aktionsprogramm des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Da steht ein anderes Wort: Orientierungsdaten. Dieses Wort aus dem DGB-Grundsatzprogramm ist im Übrigen jetzt sogar im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz als Pflicht der Bundesregierung enthalten, nicht als Pflicht etwa der Gewerkschaften, es zu vollziehen. Davon kann überhaupt keine Rede sein."[9]

Normalarbeitsverhältnis oder Prekariat///

Nach deutschem[10] Recht ist das unbefristete[11] [12] [13] [14] Arbeitsverhältnis[15] das Normalarbeitsverhältnis[16] /[17]. Die vertragliche Befristung[18] eines Arbeitsvertrags bedarf der gesetzlich vorgesehenen Erlaubnis. Fehlt es an einer solchen, ist die Befristung[19] unwirksam und der befristete Arbeitsvertrag gilt nach § 16 Satz 1 TzBfG[20] als auf unbestimmte Zeit geschlossen. Der Arbeitnehmer muss die Unwirksamkeit der Befristung nach § 17 Satz 1 TzBfG[21] spätestens drei Wochen nach dem vereinbarten Ende des Arbeitsvertrags gerichtlich geltend gemacht haben. Andernfalls gilt die Befristung gemäß § 17 Satz 2 TzBfG, § 7 KSchG als wirksam. Das Normalarbeitsverhältnis ist von grundlegender Bedeutung für die Finanzierung des deutschen Sozialversicherungssystems.[22] Die Diskontinuität[23] /[24] von Erwerbsbiografien[25] zielt direkt auf den Bestand und die Struktur der Sozialsysteme ab.[26]

Das Normalarbeitsverhältnis[27] ist in das System der sozialen Sicherung[28] /[29] eingebunden, garantiert eine existenzsichernde[30] /[31] /[32] Verjährung und gesetzlichen Bestandsschutz. [33] Insbesondere die gesetzlichen Krankenversicherungen sind auf das aktuelle Beitragsaufkommen der Versicherten aus dem Normalarbeitsverhältnis angewiesen.[34] Für den Einzelnen ist das unmittelbare Abhängigkeitsverhältnis[35] bei der Zahlung des Krankengeldes spürbar. Dies wird aufgrund des Regelentgeltes berechnet und beträgt 70% des regelmäßigen Arbeitsentgeltes. Die Krankenkassen bzw. das Krankengeld haben damit existenzsichernde Wirkung.

Das Normalarbeitsverhältnis ist auf Dauer angelegt[36] ; es erbringt kontinuierliche Beitragszahlungen in die Rentenversicherungen. Lücken in der Beschäftigung[37] haben nicht unwesentliche Auswirkungen auf die Berechnung der Altersrentenleistungen. Bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen erbringt zwar der Beschäftigte keine Leistungen an die Rentenversicherung, der ArbG entrichtet aber pauschal Beiträge an die Rentenversicherung, so dass der ArbN zumindest geringfügige Rentenanwartschaften erwirbt, vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI. Geringfügig Beschäftigte[38] haben darüber hinaus die Möglichkeit, freiwillig die Beitragszahlungen aufzustocken, damit sie höhere Rentenanwartschaften erzielen.

Atypische Beschäftigungsverhältnisse[39] sind solche, die vom Normalarbeitsverhältnis abweichen. Die sind die Teilzeitbeschäftigung, Befristung[40] /[41] und Leiharbeit[42]. Denkbar sind auch Mischformen (z. B. befristetes Leiharbeitsverhältnis). Nach wohl vorwiegender Auffassung sind atypische Beschäftigungsverhältnisse nicht zwingend prekär.[43] Dies belegt die freiwillig beantragte Teilzeitarbeit, die sicherstellen soll, dass Beruf[44] und Familie[45] gleichermaßen verwirklicht werden können.

Prekäre[46] Arbeitsverhältnisse nahmen –trotz politischer Bekundungen- zu.[47] Normalarbeitsverhältnisse liegen nur vor, wenn würdige[48] Arbeitsverhältnisse[49] geschaffen werden. Dazu gehört insbesondere ein tätigkeitsangemessenes Entgelt. Die Erosion der Normalarbeitsverhältnisse[50] belastet das Sozial[51] - und Steuersystem in der Zukunft.

Fazit: Prekär[52] /[53] beschäftigte Personen können keine ausreichenden Beiträge[54] in die Sozialversicherungssysteme einbringen. Sie können auch keine private Vorsorge finanzieren. Als Rentner werden sie auf staatliche Zusatzleistungen angewiesen sein.[55]

[...]


[1] Warum sollen sich die Bürger politisch engagieren? Weil es um ihre eigenen Angelegenheiten geht; der lateinische Spruch tua res agitur (es ist deine Sache, die hier verhandelt wird) trifft keine Gesellschaftsordnung so in ihrem Wesenskern wie die Demokratie; sie ist die einzige politisch verfasste Ordnung, die gelernt werden muss – nicht ein für allemal als klapperndes Regelsystem von Institutionen, sondern immer aufs Neue, alltäglich und in Praktizierung und Wahrnehmung aller Beteiligungsmöglichkeiten, das macht diese Gesellschaftsordnung beschwerlicher als andere, zum Beispiel autoritär oder totalitär organisierte, aber auch befriedigender und durch ausgeglichene Maßverhältnisse sozialer Gerechtigkeit auch friedensfähiger. Es ist deshalb notwendig, Demokratie wieder als eine Lebensform zu begreifen (Oskar Negt, Der politische Mensch).

[2] Die heilige Kuh Tarifautonomie kann und sollte nicht zum Tanzbär der Politik gemacht werden. Altbundeskanzler Helmut Kohl.

Altbundeskanzler Schröder sprach sich für eine neue Machtbalance zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern aus. „Dass die Tarifparteien selber in überschaubarem Zeitraum diese neue Balance zwischen zentraler Verhandlungsmacht, die nicht zerstört werden darf, und betrieblichen Möglichkeiten neu bestimmen, dass jedenfalls ist die Position, die ich für richtig halte und für die ich in dieser Gesellschaft werben und streiten werde", sagte Gerhard Schröder.

[3] Partnerschaft will nicht eine Klassengesellschaft, nicht den Kampf zwischen Kapital und Arbeit, sondern den Geist des Ausgleichs und der Zusammenarbeit. Partnerschaft respektiert die unterschiedlichen Funktionen der Partner im Betrieb und Unternehmen; sie übersieht keineswegs die gegebenen internen Gegensätze zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, sie kennt aber genauso gut die Interessenverbundenheit und die gegenseitige Abhängigkeit, Hans Katzer, Soziale Partnerschaft, in Barzel (Hg.) Sternstunden des Parlaments, 1989, S. 226. Partnerschaft ist eine klare Absage an die Idee des Klassenkampfes, aber auch an den Herr-im-Hause-Standpunkt. Die Partnerschaft geht keineswegs von der Illusion einer Interessenharmonie aus; sie weiß, dass in unserer industriellen Gesellschaft heute und auch in Zukunft immer wieder Konflikte aus den Interessengegensätzen entstehen. Sie sucht aber Mittel und Wege des Interessenausgleichs. Die Partnerschaft scheut den Konflikt nicht, sie stellt sich dem Konflikt, ist aber bestrebt, das Gemeinsame nicht aus dem Auge zu verlieren.

[4] Die Arbeitswelt ist einem radikalen Wandel unterworfen. Das Normalarbeitsverhältnis und die Normalarbeitszeit sterben aus. Wenigen Vollzeiterwerbstätigen wird in Zukunft ein großes Heer von Gelegenheitsarbeitern und Teilzeitbeschäftigten gegenüber stehen. Arbeit auf Abruf wird zur Regel, wodurch die bislang starr abgegrenzten Zeitblöcke von Arbeit und Freizeit durcheinander geraten (Horst W. Opaschowski).

Die neuen Beschäftigungsformen sind Ausdruck eines berechtigten Flexibilisierungsbedarfs der Unternehmen, aber auch wirtschaftlicher (Insolvenzen, Konzentrationen, Arbeitsplatzabbau in Deutschland) und gesellschaftlicher (Elternzeiten, alleinerziehende Arbeitnehmer) Veränderungen. Sie führen zu Schutzlücken und auf der Arbeitnehmerseite zu einer Zwei–Klassen-Gesellschaft. Es stellt sich dabei zunehmend die Frage, ob und wenn ja mit welchem Modell von Arbeitsbeziehungen unsere Gesellschaft planen und arbeiten will. Vgl. Schwab, Normalarbeitsverhältnis oder Prekariat, in Mannheimer Schriften zur Verwaltungs- und Versorgungswirtschaft, Band 23.

[5] 2008 arbeitete jeder fünfte Erwerbstätige in einem solchen "atypischen Beschäftigungsverhältnis".

[6] Die Billiglöhne von heute führ(t)en zu einer niedrigen Grundsicherung im Alter, die später mit Steuergeldern aufgestockt werden muss. Billiglöhne schaden deshalb der Gesellschaft. Einige der bestehenden Instrumente setzten verfehlte Anreize. Dazu zählt insbesondere die Aufstockung von Billiglöhnen durch Hartz IV sowie die Befreiung des Niedriglohnbereichs von arbeitsrechtlichen Einschränkungen. Die Hinzuverdienstmöglichkeiten von Hartz-IV-Empfängern subventionieren Beschäftigungsverhältnisse selbst dann, wenn der vereinbarte Lohn sittenwidrig ist. Ertragsschwache Arbeitsverhältnisse sind ein Risiko für eine nachhaltige Beschäftigungspolitik, weil sie in aller Regel kombiniert sind mit Defiziten in der betrieblichen Personalpolitik.

[7] Beschäftigte mit einem Gehalt von 7,50 Euro hätten selbst nach 45 Jahren nur eine monatliche Rente von 620 Euro erhielten und damit noch unter der Grundsicherung von rund 670 Euro, vgl. Budras/Jahn, FAZ-NET vom 23.09.2010.

[8] Die Tarifautonomie ist von zentraler Bedeutung für unser Arbeits- und Wirtschaftsleben. Sie ist ein Eckpfeiler der sozialen Marktwirtschaft. Zwei gleich starke Partner handeln den Wert der Arbeit in ihrer Branche aus. Damit sind wir über viele Jahrzehnte gut gefahren. Die Tarifautonomie sichert verantwortliche Abschlüsse und hat eine partnerschaftliche kompromiss- und konsensorientierte Wirtschaftstradition begründet. Sie hat sozialen Frieden im Land und damit auch Stabilität für die gesamte Wirtschaft gesichert. Sie hat den Arbeitgebern Wettbewerbssicherheit gegeben, da in den Branchen für alle die gleichen Lohnbedingungen gelten, und sie hat für Friedenspflicht gesorgt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bietet sie Schutz, Einkommenssicherheit und gleichzeitig die Chance zur Mitbestimmung. Gerade wegen dieser Erfolge dürfen wir die Augen aber nicht vor den Problemen verschließen, die in den letzten Jahren parallel zu den genannten Erfolgen immer deutlicher geworden sind. Die Tarifautonomie hat Risse bekommen, BMASin Andrea Nahles, Arbeit hat in Deutschland ihren Wert, Bundestagsrede am 5. Juni 2014 -- http://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Reden/Andrea-Nahles/rede-14-06-05.html

[9] Karl Schiller , Bundeswirtschaftsminister, auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall am 7.9.1968 Quelle: Protokoll des 9. ordentlichen Gewerkschaftstages der IG Metall in München vom 2. bis 7. September 1968 (6. Verhandlungstag), S. 458 ff. zit. nach: Blanke u.a. (Hrsg.), Kollektives Arbeitsrecht Band 2, Reinbek 1975, S. 258.

[10] Das Normalarbeitsverhältnis, das dem Arbeitenden eine soziale Sicherung und einen Rahmen gibt, in dem er sein Leben planen kann, ist eine wichtige kulturelle Errungenschaft der modernen Gesellschaft. Wie das Arbeitsverhältnis in der Zukunft aussehen soll, das ist eine zentrale Frage der Politik. An dieser Stelle entscheidet sich, ob Menschlichkeit und Humanität Grundlagen einer modernen Gesellschaft bleiben. Wenn das Normalarbeitsverhältnis immer weiter ersetzt wird durch flexible Beschäftigungsverhältnisse, dann geht der Gesellschaft etwas verloren, Lafontaine, Das Herz schlägt links, 1999, S. 268.

[11] Die groben sozialen Unterschiede zwischen den gesellschaftlichen Klassen und Schichten gewinnen wieder an Bedeutung, vgl. Dörre, APuZ 33-34/2008. Verunsicherung hat sich zur dominanten und unerwünschten Grundstimmung herausgebildet, die jedoch blauäugig verharmlost wird. Marginale Armut, vgl. Pangau, Die elementare Form der Armut, 2008, S. 164, greift im Wesentlichen außerhalb der gesetzlichen oder tariflich geschützten Lohnarbeit. Das Prekariat ist in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten differenziert anzutreffen. Am unteren Ende befinden sich die Gruppen, die schon Karl Marx als „Überzählige“ bezeichnet hat, vgl. Marx, Das Kapital, Band 1, S. 657f; vgl. auch Nolte, Riskante Moderne, Die Deutschen und der moderne Kapitalismus, S. 96 – die Polarisierung von Arm und Reich führt zu einer neuen Klassengesellschaft. Von den sog. „Überzähligen“ zu unterscheiden sind die eigentlichen Prekarier, die über längere Zeit auf die Ausübung unsicherer, niedrig entlohnter und gesellschaftlich gering angesehener Arbeiten angewiesen sind. Die rasche Ausdehnung des Niedriglohnsektors muss sich die säumige Politik zurechnen lassen. Sie hat allzu behäbig und unentschlossen über Vor- und Nachteile von Mindestlöhnen diskutiert. Ca. 6,5 Mio. Beschäftigte verdienen weniger als 2/3 des Durchschnittslohns, Bosch/Weinkopf, Arbeiten für wenig Geld, 2007; Dörre, a.a.O. S. 5. Ein weiteres Problem und ein Kristallisationspunkt von Prekariat sind die zwar formal durch einen Arbeitsvertrag geschützten ArbN, die angesichts der wirtschaftspolitischen Situation aber unter massiver Angst um ihren Arbeitsplatz leben. Dabei sind diese Ängste nicht zwangsläufig Ausdruck eines übersteigerten Sicherheitsbedürfnisses. Standortkonkurrenzen, Tarifdumping und Produktionsverlagerungen nähern die Ängste. Zu beobachten und aktiv anzugehen sind auftretende familiale Verwahrlosung, Zielguppenfernsehen, Bildungsdefizite und Billigkonsum derjenigen, die sich zunehmend abschotten und nicht mehr an eine Veränderung glaubt; ihnen fehlt der Aufstiegswille, vgl. Note, a.a.O., S. 96f. Die Erosion insbesondere der gesellschaftlichen Mitte ist nicht nur ein Mentalitätsproblem passiver Leistungsempfänger. Dörre weist zutreffend auf die Gefahr für unsere Demokratie durch wachsende Prekariatspotentiale, die sich nach neuen politischen und gesellschaftlicher Repräsentation bemühen, wenn es nicht gelingt, den Schwächsten in der Gesellschaft ein Leben oberhalb einer Schwell der Respektabilität zu ermöglichen, hin. Erwerbslosigkeit führt zu einer Beeinträchtigung des psychosozialen Wohlbefindens. Depressivität und psychosomatische Beschwerden sowie die Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl sind als Folgen der Erwerbslosigkeit nachgewiesen, Mohr/Richter, Psychosoziale Folgen von Erwerbslosigkeit, APuZ 40-41/2008, S. 6. Negative physiologische Stressreaktionen treten aber bereits in der Phase der Arbeitsplatzunsicherheit ein. Bei Wiederbeschäftigung gehen die psychischen Beeinträchtigungen wieder zurück; ausgenommen sind davon allerdings Menschen, die in „bad jobs“ landen. Da sie schlecht bezahlt und unsicher sind. Die integrierende Wirkung der Erwerbsarbeit in Arbeitsgesellschaften geht weit über die Erzielung von Einkommen hinaus und erzeugt soziale Interaktionen, räumliche und unmittelbare Beziehungen unter den Arbeitskollegen, vgl. Promberger, Arbeit, Arbeitslosigkeit und soziale Integration, APuZ 40-41/2008, S. 7f. Deshalb ist es das Ziel die Arbeitslosen zu aktivieren, vgl. Behrend, Aktivieren als Form sozialer Kontrolle, APuZ 40-41/2008, 16f. Im SGB III wird festgelegt, dass die Leistungen der Arbeitsförderung insbesondere darauf auszurichten sind, das Entstehen von Arbeitslosigkeit zu vermeiden oder die Zeit der Arbeitslosigkeit zu verkürzen. Ziel des Gesetzgebers war es, durch aktive Arbeitsförderung insbesondere dem Entstehen von Langzeitarbeitslosigkeit vorzubeugen bzw. eine schnellstmögliche Reintegration zu ermöglichen.

[12] Prekär Beschäftigte sind nach der Internationalen Arbeitsorganisation diejenigen, die nur „partiell im arbeitsrechtlichen Schutzkreis stehen“, deren Chance auf materielle Existenzsicherung durch Arbeit in der Regel schlecht sind und die nur wenig Einfluss auf die Ausgestaltung ihrer Arbeitssituation haben, vgl. Vogel, Prekariatät und Prekariat, Signalwörter neuer sozialer Ungleichheiten, APuZ 33-34/2008, S. 12f. Prekariatät und Prekariat sind Signalwörter sozialer Ungleichheiten, die ihren Grund in den Veränderungen der Arbeitswelt haben. Prekarier sind Modernisierungsverlierer, das Prekariat das Ergebnis sozialer Resignation, vgl. Vogel, S. 14f. In der Arbeitswelt dominiert eine Kultur des Zufalls als betriebliche Organisations- und Herrschaftsform. Die Unsicherheit von Beschäftigungsverhältnissen hat Einzug in die stabilen Kernbereiche der Arbeitsgesellschaft gefunden. Prekariat wurde zur bedrohlichen Normalität. Auch die gesellschaftliche Mitte ist nicht mehr frei von Destabilisierung. Der Verlust an Sicherheit belastet, vgl. Burzau, Die Absteiger, Angst und Verunsicherung in der Gesellschaft, APuZ 33-34/2008, S. 6f. Arbeit ist eine wichtige Voraussetzung für die gesellschaftliche Integration. Wer seinen Arbeitsplatz (dauerhaft, auch unverschuldet) verliert, läuft Gefahr, an den Rand der Gesellschaft abzugleiten, Blem, Arbeitslosigkeit als zentrale Dimension sozialer Ungleichheit, APuZ 40-41/2008, S. 3f.

Für eine existenzsichernde Tätigkeit sind folgende Kriterien für ein sicheres Arbeitsverhältnis maßgeblich und wichtig:

unbefristete Beschäftigung

Vollzeitbeschäftigung

angemessene, auskömmliche Entlohnung

Einbeziehung in die Sozialversicherung

soziale Integration in den Betrieb

Geltung des KSchG, Horstmeier, Prekäre Beschäftigungsverhältnisse, 2009

[13] Der 68. Deutsche Juristentag fasste den Beschluss gegen eine Lockerung des Kündigungsschutzes im Austausch gegen einen Ausschluss der sachgrundlosen Befristung. Ebenso sprach sich die Abteilung Arbeitsrecht mit ebenso klarer Mehrheit gegen das Vorhaben des Koalitionsvertrags, die geringfügige Beschäftigung über die Einkommensgrenze von 400 € auszuweiten; dies sei "nicht sachgerecht". Der 68. Deutsche Juristentag setzte sich für einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn ein. Dieser Mindestlohn „sollte” einem angemessenen Entgelt für Vollzeitarbeit entsprechen und den Aufbau einer Alterssicherung ermöglichen. Die Pläne der schwarz-gelben Bundesregierung, Mini-Jobs auszuweiten, stießen einhellig auf Widerspruch; empfohlen wurde im Gegenteil, die Privilegierung von 400-Euro-Jobs bei Steuern und Sozialabgaben schrittweise abzubauen.

[14] Der Umbruch der Arbeitswelt ist seit der Sozialenzyklika "Rerum novarum", dem Gründungsdokument der Katholischen Soziallehre, zentrales Thema kirchlicher Lehrverkündung. Heute erleben wir eine neue "Metamorphose der sozialen Frage", die sich prägnant mit dem noch ungewohnten und kontrovers diskutierten Begriff der prekären Arbeit umschreiben lässt. Die Zone der Integration mit geschützten Normalarbeitsverhältnissen schrumpft. Die Erosion standardisierter Beschäftigung breitet sich in vielfältigen Formen aus und erzeugt hohe individuelle und gesellschaftliche Folgekosten. Das Charakteristische der jüngsten Entwicklungen im Bereich der Arbeitswelt ist zweifellos die permanente Erwerbsunsicherheit, die auch viele Menschen in der Mitte der Gesellschaft erreicht hat. Dies beschreibt der Begriff "prekäre Arbeit" (prekär bedeutet wörtlich sehr schwierig, heikel) einerseits präzise, andererseits erschwert er eine nüchterne Analyse der Phänomene zugleich, insofern prekäre Arbeit und Prekariat in der öffentlichen Debatte als Breitbandbegriffe für politische Anklagen verwendet werden. Auch die ethisch-politische Kontroverse um die Bewertung und Gestaltung der Arbeitswelt sind heute prekär.

Die wichtigsten Dokumente der offiziellen Soziallehre zu Fragen der Arbeit sind: 1. "Laborem exercens". Diese war die erste Sozialenzyklika von Johannes Paul II. und wurde 1981 veröffentlicht. Anlass von "Laborem exercens" ist die Beobachtung, dass mehr und mehr Arbeitskräfte durch Maschinen ersetzt werden und dass die hierdurch entstehende Arbeitslosigkeit die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systeme stark belastet. In ihrem Mittelpunkt stehen theologische, anthropologische und ethisch-politische Fragen der Arbeit. 2. Das 2004 veröffentlichte Kompendium der Soziallehre der Kirche, das vom Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden verfasst wurde und eine aktuelle Zusammenfassung der kirchlichen Soziallehre bietet. Der Begriff "prekäre Arbeit" fällt nicht in diesen Dokumenten. Aber einige Aspekte davon werden im Kompendium unter dem Stichwort "res novae" benannt, z. B, Unsicherheit, Instabilität, Flexibilisierung der Arbeit sowie der Druck zur Anpassung der Produktionsprozesse an die Logik von Finanzmärkten du des globalem Wettbewerbs. Insgesamt wird der aktuelle Wandel der Arbeitswelt als "dramatisch" eingestuft.

Die Arbeit ist um des Menschen da und nicht umgekehrt, der Mensch um der Arbeit willen. Trotz dieser Einschränkung ist die Schrift insgesamt von einem Pathos der Arbeit getragen. So wird das theologische Pathos der Arbeit bereits im Kompendium deutlicher mit Formulierungen der Distanz verknüpft: Die Arbeit muss geehrt werden.... Dennoch darf man der Versuchung, sie zum Götzen zu machen, nicht nachgeben, denn den letzten und endgültigen Sinn des Lebens wird man in ihr nicht finden.

Anthropologisch ist Arbeit jede zielgerichtete und leistungsbestimmte Form, menschlicher Tätigkeit. Sie hat Doppelcharakter: einerseits Mühsal, Last, Zumutung und Selbstüberwindung, andererseits Kreativität, Glück und Selbsterfüllung Sie ist zugleich notwendiges Mittel zur Bestreitung der Existenzsicherung und Medium für eine Entfaltung des Menschseins und der sozialen Integration. Arbeit in diesem anthropologisch existenziellen Sinn ist weit mehr als Erwerbsarbeit. Sie gehört auch in privaten und familiären Bezügen zur Daseinsform des Menschen.

Die Anthropologie der Arbeit findet ihren Widerhall in "Laborem exercens": Die Arbeit ist ein Gut für den Menschen - für sein Menschsein - weil er durch die Arbeit nicht nur die Natur umwandelt und seinen Bedürfnissen anpasst, sondern auch sich selbst als Mensch verwirklicht, ja gewissermaßen "mehr Mensch wird§, (LE Nr. 9). Arbeit ist ein sehr hohes und dementsprechend gefährdetes Gut. Aufgrund ihres subjektiven - personalen und funktionalen - zweckgerichteten Doppelcharakters muss eine angemessene Wirtschafts- und Arbeitsordnung stets neu die richtige Balance zwischen Effizienz und humaner Ausgestaltung der Arbeit finden.

Gerechter Lohn und gute Arbeit - gegen alle Kritik könnte sich die kirchliche Soziallehre auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 berufen. Dort finden sich in Art. 23 prägnante Aussagen zur Frage der Lohngerechtigkeit: (2) Alle Menschen haben ohne jede unterschiedliche Behandlung das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. (3) Jeder Mensch, der arbeitet hat das Recht auf angemessene und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert und die, wenn nötig, durch andere soziale Schutzmaßnahmen zu ergänzen ist.

Die aktuelle Debatte der Lohngerechtigkeit spitzt sich gegenwärtig auf die Frage des Mindestlohns zu. Die Europäische Sozialcharta fordert mindestens 60 % des durchschnittlichen Nettolohns des jeweiligen Landes als Mindestlohn. Der gerechte Lohn sei Prüfstein für Gerechtigkeit. Die Forderung ist jedoch aus wirtschafts- und sozialethischer Perspektive mit einem Dilemma konfrontiert: Es besteht die Gefahr, dass durch Mindestlöhne der Abbau von Arbeitsplätzen im Niedriglohnsektor weiter vorangetrieben wird. Denn einfache Arbeiten sind häufig Kosten sparend durch Maschinen ersetzbar. Gerechtigkeitstheoretisch gibt es kein absolutes Kriterium für "gerechten Lohn".

Res novae: Prekariat - nicht jede atypische Beschäftigung ist prekär. Prekär ist Arbeit dann, wenn der Lohn deutlich unter dem Durchschnitt liegt, keine zuverlässige Zukunftsplanung für den Einzelnen ermöglicht und Arbeitnehmerschutzrechte reduziert sind. Prekariat ist also eine relationale Kategorie, bezogen auf die Definition gesellschaftlicher Normalitätsstandards. Prekariarität hat bei dem, der sie erleidet, tief greifende Auswirkungen. Indem sie die Zukunft überhaupt im Ungewissen lässt, verwehr sie den Betroffenen gleichzeitig jede rationale Vorwegnahme der Zukunft und vor allen Dingen jenes Mindestmaß am Hoffnung und Glauben an die Zukunft, das für eine vor allem kollektive Auflehnung gegen eine noch so unerträgliche Gegenwart notwendig ist.

Das Phänomen von Armut und Unsicherheit trotz Arbeit ist zu einer zentralen politischen Herausforderung geworden. Auch die Verunsicherung der Arbeit ist keine Geschichtsnotwendigkeit, sie lässt sich eingrenzen. Das erfordert jedoch eine intensive politische und gesellschaftliche Willensbildung, vgl. Vogt, Arbeit: Position der katholischen Kirche, Arbeit - sozialethisch, Impuls für die VV des Diözesanrates München und Freising, am 3.10.2008. www.kaththeol.uni-muenchen.de/.../1vogt/...vogt/vogt_prek_arbeit.pdf

[15] Die Begriffe des Arbeitnehmers und des Beschäftigten sind daher voneinander getrennt zu betrachten. Arbeitnehmer ist, wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist, BAG, NJW 2004, 461 - das Arbeitsverhältnis ist ein auf den Austausch von Arbeitsleistung und Vergütung gerichtetes Dauerschuldverhältnis. Die vertraglich geschuldete Leistung ist im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation zu erbringen. Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation zeigt sich insbesondere darin, dass der Beschäftigte einem Weisungsrecht seines Vertragspartners (Arbeitgebers) unterliegt. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann, BAGE 88, 263 = NZA 1998, 1336; BAGE 93, 222 = NZA 2000, 1102. Selbstständig ist dagegen, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann, § 84 Abs. 1 S. 2 HGB. Für die Abgrenzung hat sich das Gesetz im Bereich der Vermittlung von Geschäften und Versicherungen für Dritte auf diese beiden Kriterien beschränkt. Zwar sind dabei alle Umstände des Falls in Betracht zu ziehen und schließlich in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Die heranzuziehenden Anknüpfungspunkte müssen sich jedoch diesen gesetzlichen Unterscheidungsmerkmalen zuordnen lassen. Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist das Letztere maßgebend. Dabei kommt es auf eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls an, BAGE 88, 335. Der sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsbegriff ist in § 7 Abs. 1 SGB IV geregelt. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Der sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsbegriff unterteilt sich ein weiteres Mal: in den leistungsrechtlichen und den beitragsrechtlichen Beschäftigungsbegriff, NZS 1994, 140 - für den Begriff des Beschäftigungsverhältnisses die tatsächlichen Verhältnisse für maßgebend erachtet. Um den sozialrechtlichen Schutz von Versicherten unabhängig von Inhalt und Wirksamkeit rechtsgeschäftlicher Erklärungen der Arbeitsvertragsparteien zu gewährleisten, BSGE 37, 13. Ein angemessener Sozialrechtsschutz ist allerdings nicht durchgehend gewährleistet, wenn für das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses ausnahmslos an die tatsächliche Arbeitsleistung angeknüpft wird. Vorübergehende Unterbrechungen der tatsächlichen Arbeitsleistung sollen den Bestand des Beschäftigungsverhältnisses unberührt lassen, wenn „das Arbeitsverhältnis fortbesteht und Arbeitgeber und 243. Eine tatsächliche Arbeitsleistung ist keine zwingende Voraussetzung für die Annahme eines (beitragsrechtlichen) Beschäftigungsverhältnisses, Thomas/Weidmann, NJW 2006, 258. Auch in Phasen, in denen keine Arbeitsleistung erbracht wird, bleibt das (beitragsrechtliche) Beschäftigungsverhältnis erhalten, LSG Rheinland-Pfalz, NJOZ 2007, 5522; Lindemann/Simon, BB 2005, 2463.

[16] Vgl. Wank, Abschied vom Normalarbeitsverhältnis? RdA 2010, 194 – das Normalarbeitsverhältnis ist die Regel § 5 Abs. 3 BetrVG. Ein Arbeitsverhältnis begründet in der Regel auch ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis. Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis sind zwar grundsätzlich deckungsgleich, BSGE 73,126, = NZS 1994, 140; Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 8. Aufl. (2007), VIII 2a. können sich jedoch auch unabhängig voneinander entwickeln, BSG, NJW 1956, 843.

[17] Oschmiansky/Kühl/Obermeier, Das Normalarbeitsverhältnis, 2014 ---- http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/arbeitsmarktpolitik/178192/normalarbeitsverhaeltnis?p=all

Das Normalarbeitsverhältnis war lange Jahre grundlegender Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft. Unbefristete "normale" Vollzeitarbeitsstellen verschwinden zunehmend zugunsten sogenannter atypischer Beschäftigungsformen. Was ist überhaupt ein Normalarbeitsverhältnis. Ein Beschäftigungsverhältnis gilt als Normalarbeitsverhältnis, wenn es folgende Kriterien erfüllt:

Dauerhafte Vollzeitbeschäftigung

unbefristetes Beschäftigungsverhältnis

regelmäßige monatliche und subsistenzsichernde Vergütung

Möglichkeit zur kollektiven Interessenvertretung durch Betriebsrat und Gewerkschaft

Identität von Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis und

vollständige Integration in die sozialen Sicherungssysteme (vor allem Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung).

Unter einem Normalarbeitsverhältnis wird ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis verstanden, das in Vollzeit und unbefristet ausgeübt wird. Ein Normalarbeitnehmer arbeitet zudem direkt in dem Unternehmen mit dem er einen Arbeitsvertrag hat. Bei Zeitarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern, die von ihrem Arbeitgeber der Zeitarbeitsfirma - an andere Unternehmen verliehen werden, ist das nicht der Fall. Das Normalarbeitsverhältnis ist von individueller sowie gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Auf individueller Ebene verknüpft sich mit dem Normalarbeitsverhältnis eine Reihe von gesetzlichen und tariflichen Schutzbestimmungen. UM hat es deswegen als dasjenige Arbeitsverhältnis bezeichnet, das optimal die Kriterien erfüllt, an die die geltende Rechtsordnung vorteilhafte Regelungen knüpft. So orientiert sich die Regulierung der Arbeitsbeziehungen am Normalarbeitsverhältnis. Die Sozialversicherungen und das Steuersystem finanzieren sich über Erwerbsbeteiligung und sind auf Beiträge und Steuern der Beschäftigten angewiesen. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene hat das Normalarbeitsverhältnis eine Ordnungs- und Orientierungsfunktion und die dauerhaft und kontinuierliche Erwerbsbiografie wird zur handlungsleitenden Maxime. Einerseits kann das Normalarbeitsverhältnis einen rein deskriptiven Bedeutungsgehalt aufweisen, indem es sich empirisch auf das tatsächlich typische Beschäftigungsmuster bezieht. Andererseits lässt sich das Normalarbeitsverhältnis als normatives Konzept versstehen, das als Orientierungsgrundlage rechtlicher Vorschriften im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts fungiert und somit wesentlich zur Verteilung von Lebenschancen beiträgt. Das unbefristete Vollzeitarbeitsverhältnis bildet das Rückgrat der Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Es birgt eine hohe Ertragskraft und bietet eine hohe Gewähr der Einhaltung von Schutzstandards. Aus- und Fortbildung sind hier stark ausgeprägt, die Identifikation mit den Zielen des Unternehmens ist groß. Der Gesetzgeber sollte durch intelligente Lösungen diese Form der Rechtsbeziehungen stützen. Zu den atypischen Beschäftigungsformen werden - in Abgrenzung vom Normalarbeitsverhältnis - Teilzeitbeschäftigungen mit 20 oder weniger Arbeitsstunden pro Woche, geringfügige Beschäftigungen, befristete Beschäftigungen und Zeitarbeitsverhältnisse gezählt.

Prekariarität beinhaltet die Unterschreitung von materiellen Standards von durch Arbeits- und Sozialrecht, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung festgelegten rechtlichen Standards sowie von "normalen" betrieblichen Integrationsstandards, die vor allem in der geringen Einbindung in kollegiale Strukturen und der eingeschränkten Repräsentanz durch betriebliche und gewerkschaftliche Interessenvertretungen zum Ausdruck kommt. Als prekär kann ein Arbeitsverhältnis bezeichnet werden, wenn die Beschäftigten aufgrund ihrer Tätigkeit deutlich unter ein Einkommens-, Schutz- und soziales Integrationsniveau sinken, das gesellschaftlich als Standard definiert ist. Prekär ist eine Erwerbsarbeit auch, wenn sie subjektiv mit Sinnverlusten, Anerkennungsdefiziten und Planungsunsicherheit in einem Ausmaß verbunden ist, das gesellschaftliche Standards deutlich zugunsten der Beschäftigten unterläuft. Atypische Beschäftigungsverhältnisse müssen nicht prekär sein.

War man auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos am 28. Januar 2005 noch stolz "Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt (Gerhard Schröder). Dann holte die Entwicklung im Niedriglohnbereich die Politik zusehends in die reale Wirklichkeit und die "ausbeuterischen Lohnverhältnisse" des "entfesselten Kapitalismus" in der Globalisierungsdramaturgie zurück - die Diskussion über menschenwürdige Löhne und die Hoffnung, ja Forderung, dass man von der Hände Arbeit leben sollen können müsste! (Engelen-Kefer). Die GroKo brachte das MiLoG auf den parlamentarischen - steinigen Weg -, vgl. Creutzburg, Vor der Einführung des Mindestlohns: Flucht vor dem Mindestlohn, FAZ vom 26. Juni 2014 - Die Große Koalition will den Mindestlohn einführen und gleichzeitig die Tarifautonomie stäken. Das ist Augenwischerei. Viel mehr fürchten die Parteien die Folgen ihrer Politik - und weisen den Tarifparteien den Schwarzen Peter zu. Es ist eine grobe Beleidigung aller Tarifpolitiker, die n ihren Branche n ordentliche Arbeit machen, so eine Mindestlohnkommission überhaupt mit dem Begriff "Tarifautonomie" zu verbinden. Denn der Kern von Tarifautonomie ist, dass Arbeitnehmer und Unternehmer frei für sich entscheiden, ob sie an einem kollektiven Regelwerk namens Tarifvertrag mitwirken sollen - und ob sie sich ihm unterwerfen oder nicht. Besonders erfolgreich praktizierte Tarifautonomie zeigt sich durch Regelwerke, die auch auf Außenstehende so vernünftig wirken, dass sie sich ihnen freiwillig anschließen. Die Kommission und nicht der Gesetzgeber müsste festlegen, in welcher Höhe und mit welchen regionalen Differenzierungen oder Ausnahmeregeln der Mindestlohn eingeführt wird. Politische Parteien, die nicht zu diesem Schritt bereit sind, haben keine Kompetenz, irgendetwas zur Verteidigung der Tarifautonomie beizutragen. Aufrichtig wäre ihre Haltung unter diesen Umständen dann, wenn sie die Tarifautonomie in Deutschland offen für gescheitert erklärten - dann müssten sie nur noch nachweisen, dass die Verantwortung für die Löhne bei der Politik (den Parteien) besser aufgehoben ist.

[18] Bereits seit Mitte der 1980er Jahre werden befristete Beschäftigungsverhältnisse genutzt, um in wirtschaftlich unbeständigen Zeiten Entlassungskosten zu vermeiden oder bei guter Auftragslage flexible Randbelegschaft aufzubauen und somit die betriebliche Flexibilität zu erhöhen, Behringer/Dengler/Broockmann, Befristete Verträge und Arbeitsplatzdynamik in baden-württembergischen Betrieben, IAQ Kurzberichte 2/2011, S. 4.

[19] Vertretungsfälle rechtfertigen eine befristete Beschäftigung, da der vertretene ArbN weiterhin vertraglich gebunden ist und mit der Rückkehr in das Arbeitsverhältnis die suspendierten Leistungspflichten der Stammkraft den Beschäftigungsbedarf der Vertretungskraft entfallen lässt. Der ArbG rechnet mit der Rückkehr dieses Arbeitnehmers, Tillmanns, § 14 TzBfG, RN 36. Damit besteht für die Wahrnehmung der an sich dem ausfallenden Mitarbeiter obliegenden Arbeitsaufgaben durch eine Vertretungskraft von vornherein nur ein zeitlich begrenztes Bedürfnis, vgl. etwa BAGE 101, 257 ="<"/i> AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 235 = EzA BGB § 620 Nr. 192. Die Befristungsmöglichkeit ermöglicht dem ArbG eine Personalsteuerung ohne Erhöhung der Mitarbeiterzahl. Teil des Sachgrunds ist eine Prognose des Arbeitgebers über den voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs durch die Rückkehr des zu vertretenden Mitarbeiters. Davon kann grundsätzlich ausgegangen werden, weil in der Regel damit zu rechnen ist, dass der Vertretene nach Beendigung der Freistellung oder Beurlaubung seine arbeitsvertraglichen Pflichten wieder erfüllen wird, BAG, NZA 1992, 883. Der Vertretungsbedarf ist prognostizierend darzulegen bei Krankheit, Beurlaubung, Elternzeit und z. B. vorübergehender Abordnung. Entscheidend ist, dass der ArbG aufgrund von konkreten Anhaltspunkten zum Ergebnis gelangen durfte, dass der ArbN seine Arbeitstätigkeit wieder aufnehmen werde, so dass nur ein vorübergehender Bedarf an einer Aushilfstätigkeit besteht. Auch in Krankheitsvertretungen kann der ArbG grundsätzlich davon ausgehen, dass die zu vertretende Stammkraft ihre Tätigkeit wieder aufnehmen wird. Er muss darüber hinaus keine zusätzlichen Erkundigungen über die gesundheitliche Entwicklung des erkrankten Mitarbeiters einholen, Tillmanns, RN 37. Dies gilt selbst bei mehrfacher Folgeerkrankung. Die Prognoseentscheidung des ArbG muss nicht die Dauer des voraussichtlichen Vertretungsbedarfs und den Umfang der wieder aufzunehmenden Tätigkeit umfassen, BAG, NZA 2001, 721. Der sachliche Befristungsgrund der Vertretung verlangt auch nicht die vollständige Übernahme der Aufgaben des zu vertretenden Mitarbeiters, und den funktionellen Einsatz auf der konkreten Stelle des Vertretenen. Die konkrete Personaleinsatzplanung und Aufgabenverteilung unterliegt der Organisationsgewalt des ArbG. Der Sachgrund der Vertretung setzt nicht voraus, dass der befristet zur Vertretung eingestellte Mitarbeiter die vorübergehend ausfallende Stammkraft unmittelbar vertritt und die von ihr bislang ausgeübten Tätigkeiten erledigt. Der Vertreter kann auch mit anderen Aufgaben betraut werden. Die befristete Beschäftigung zur Vertretung lässt die Versetzungs- und Umsetzungsbefugnisse des Arbeitgebers unberührt, BAGE 90, 335 = NJW 1999, 3143. Es muss jedoch sichergestellt sein, dass die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers wegen des Arbeitskräftebedarfs erfolgt, der durch die vorübergehende Abwesenheit des zu vertretenden Mitarbeiters entsteht. Fehlt dieser Kausalzusammenhang, ist die Befristung nicht durch den Sachgrund der Vertretung gerechtfertigt. Der ArbG muss nachvollziehbar die Aufgabenzuordnung im Vertretungsfall darstellen. Nur wenn der Arbeitgeber im Ausnahmefall auf Grund von Informationen, die ihm vorliegen, erhebliche Zweifel daran haben muss, dass die zu vertretende Stammkraft überhaupt wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren wird, kann dies dafür sprechen, dass der Sachgrund der Vertretung nur vorgeschoben ist. Dann kann die Befristung unwirksam sein, BAG, NZA 2002, 665. Dies setzt allerdings voraus, dass der zu vertretende Arbeitnehmer dem Arbeitgeber bereits vor dem Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags mit der Vertretungskraft verbindlich erklärt hat, dass er die Arbeit nicht wieder aufnehmen werde. Die Prognose des Arbeitgebers muss sich nur auf den Wegfall des Vertretungsbedarfs durch die zu erwartende Rückkehr des zu vertretenden Mitarbeiters, nicht aber auf den Zeitpunkt der Rückkehr und damit auf die Dauer des Vertretungsbedarfs erstrecken, vgl. etwa BAG, Urt. v. 26. 6. 1996 - 7 AZR 662/95, BeckRS 1996, 41230. Der die Befristung eines Arbeitsvertrags nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG rechtfertigende Sachgrund der Vertretung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Arbeitnehmer wiederholt zur Vertretung desselben vorübergehend an der Arbeitsleistung verhinderten Arbeitnehmers befristet beschäftigt wird. Die Anzahl der mit der Vertretungskraft abgeschlossenen befristeten Arbeitsverträge führt nicht dazu, dass an die Prüfung, ob der Sachgrund der Vertretung vorliegt, besonders strenge Anforderungen zu stellen sind. Für die Beurteilung, ob der Arbeitnehmer zur Deckung eines durch die vorübergehende Abwesenheit eines anderen Arbeitnehmers verursachten Beschäftigungsbedarfs eingestellt wird, ist es unerheblich, ob der befristet eingestellte Arbeitnehmer bereits zuvor im Rahmen befristeter Arbeitsverträge bei dem Arbeitgeber beschäftigt war, BAG, Urteil vom 25. 3. 2009 - 7 AZR 34/08, NJW 2009, 3180ff. Die zeitliche Überbrückung einer vakanten Stelle durch eine „personelle Übergangslösung“ ist kein sachlicher Grund für eine befristete Einstellung, vgl. BAG, Urt. vom 17.01.2007 – 7 AZR 20/06, DB 2007, 863.

[20] BAG, Urteil vom 23. 4. 2009 - 6 AZR 533/08, NJW 2009, 3534 = BeckRS 2009 68656. Die formale Rechtsprechung des BAG zur Formnichtigkeit der Befristung von Arbeitsverträgen im Ausnahmefall auch zulasten des Arbeitnehmers gehen kann. Nach § 16 Satz 2 TzBfG kann ein ausschließlich aufgrund des Mangels der Schriftform unwirksam befristeter Arbeitsvertrag vorzeitig ordentlich gekündigt werden. Das BAG räumt den Arbeitsvertragsparteien jedoch die Möglichkeit ein, diese ordentliche Kündigungsmöglichkeit auszuschließen. Ist das gewollt, sollte in den Arbeitsvertrag eine Klausel aufgenommen werden, wonach die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses unabhängig von der Wirksamkeit der Befristung bis zum Befristungsende ausgeschlossen ist, vgl. Arnold, GWR 2009, 288178 = GWR 2009, 307; Krieger, ArbR-Aktuell 2009, 288216 - Zur „Falle“ gerät besonders häufig, dass nach der Rechtsprechung des BAG eine schriftliche Befristungsabrede grundsätzlich vor Aufnahme der Tätigkeit geschlossen werden muss, BAG, NZA 2005, 924; zu einer Ausnahme vgl. BAG, NZA 2008, 1185, und dass eine Verlängerung des Arbeitsvertrags nicht vorliegen soll, wenn im Zusammenhang mit der Verlängerung der Laufzeit auch einzelne Arbeitsbedingungen geändert werden, selbst wenn die Änderung zu Gunsten des Arbeitnehmers erfolgt, BAG, NZA 2007, 204. Das Risiko einer Unwirksamkeit der Befristungsabrede trifft i.d.R. den Arbeitgeber, weil Mitarbeiter geltend machen, ihr Arbeitsverhältnis habe nicht zum vereinbarten Befristungszeitpunkt geendet. Fehler bei der Befristung eines Arbeitsverhältnisses können sich aber im Einzelfall auch zu Lasten des Arbeitnehmers auswirken. Während nämlich bei einer wirksamen Befristung das ordentliche Kündigungsrecht des Arbeitgebers grundsätzlich ausgeschlossen ist (§ 15 Abs. 3 TzBfG), kann ein unwirksam befristeter Vertrag jederzeit – insbesondere auch vor dem vereinbarten Befristungsende – vom Arbeitgeber ordentlich gekündigt werden (§ 16 Satz 2 TzBfG); Bayreuther, in Beck'scher Online-Kommentar, § 16 TzBfG, RN 6; Schwab, ODWW 2009, Artikel 410. Der unmittelbare Regelungsbereich des § 16 erfasst die in § 14 geregelten Unwirksamkeitsfälle, ebenso Rolfs, RN 1; Müller-Glöge, in ErfK, RN 1. Unwirksam ist die Befristung bei fehlendem Sachgrund, unzulässiger sachgrundloser Befristung, nicht eingehaltener Schriftform, Tillmanns, § 16 RN 9, und Verstoßes gegen tarifliche Regelungen (vgl. § 14 Abs. 2 S. 3 TzBfG; BAG, Urt. vom 23.06.2004 – 7 AZR 440/03). § 16 regelt ferner die ordentliche Kündigung durch den ArbG. Befristete Arbeitsverträge ohne ausdrückliche Vereinbarung der Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung sind für den ArbG nicht ordentlich kündbar sind. Der Arbeitnehmer soll in seinem Vertrauen auf die festgelegte Vertragsdauer, die so zu einer Mindestlaufzeit wird, geschützt werden. Der ArbG kann das ArbVerh. frühestens zum vereinbarten Ende ordentlich kündigen, sofern nicht nach § 15 Abs. 3 die ordentliche Kündigungsmöglichkeit ausdrücklich einzelvertraglich oder im anwendbaren TV vereinbart ist. Eine Kündigung verstößt nicht gegen Treu und Glauben, wenn der Arbeitgeber nach erfolgreicher Entfristungsklage ordentlich kündigt. § 16 TzBfG sieht eine solche Kündigungsmöglichkeit vor, BAG, NZA 2006, 429ff. § 16 S. 1 Halbs. 2 TzBfG sieht ausdrücklich die Kündigungsmöglichkeit für den Arbeitgeber vor. Danach kann der Arbeitgeber im Fall der materiell unwirksamen Befristung frühestens zum vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses ordentlich kündigen. Das TzBfG ordnet gerade nicht an, dass der Arbeitgeber nach einer durch den Arbeitnehmer erhobenen Entfristungsklage einem Kündigungsverbot oder etwaigen Sperrfristen unterliegt. Eine ordentliche Kündigung durch den ArbG ist auch nicht per se sittenwidrig, missbräuchlich oder treuwidrig i.S.d §§ 138, 242 BGB. Ebenso wenig verstößt sie gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB, BAG, NZA 2006, 429f. Unerheblich ist auch, ob die Kündigung lediglich vorsorglich als Reaktion auf eine erhobene Entfristungsklage erfolgt, BAG, NZA 2006, 429. Die „vorsorgliche“ Kündigung nach erhobener Entfristungsklage verstößt nicht gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB i.V. mit § 134 BGB. Nach § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht deshalb bei einer Maßnahme benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Als „Maßnahmen“ i.S. des § 612a BGB kommen auch Kündigungen in Betracht, BAG [20. 4. 1989], RzK I 8 l Nr. 15. Zwischen der Benachteiligung und der Rechtsausübung muss ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen. Die zulässige Rechtsausübung muss der tragende Beweggrund, d.h., das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme sein. Es reicht nicht aus, dass die Rechtsausübung nur den äußeren Anlass für die Maßnahme bietet, BAGE 101, 312 = NZA 2002, 1389; Bayreuther, in Beck'scher Online-Kommentar, § 16 TzBfG, RN 5. Die Einlassungen des ArbG, der sich trotz Unwirksamkeit der Befristung auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses beruft oder die Unwirksamkeit der Befristungsabrede bestreitet, sind regelmäßig nicht als konkludente Kündigungserklärung auszulegen. Der ArbN kann eine Klärung der rechtlichen Situation durch eine Entfristungsklage herbeiführen.

[21] Die Regelung des § 17 TzBfG findet auf sämtliche Befristungsabreden Anwendung. Nach § 17 S. 1 TzBfG muss der Arbeitnehmer, der geltend machen will, dass die Befristung des Arbeitsvertrags rechtsunwirksam ist, innerhalb von drei Wochen nach dem vereinbarten Ende des befristeten Arbeitsvertrags Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis auf Grund der Befristung nicht beendet ist. Es ist unerheblich, auf welche Unwirksamkeitsgründe sich der Arbeitnehmer berufen will. Er muss die Klagefrist also auch dann einhalten, wenn er lediglich einen Verstoß gegen das Schriftformerfordernis (§ 14 Abs. 4 TzBfG) rügen will Nach § 7 KSchG i.V. mit § 17 S. 2 TzBfG gilt die Befristung als wirksam, wenn die Rechtsunwirksamkeit der vereinbarten Befristung nicht innerhalb dieser Frist gerichtlich geltend gemacht worden ist. Das trifft gem. § 21 TzBfG auch für auflösend bedingte Arbeitsverträge zu. Da § 17 TzBfG für beide Vertragsparteien zwingendes Recht enthält, ist ein bereits bei Abschluss des befristeten Vertrages vereinbarter Klageverzicht wegen Verstoßes gegen §§ 22, 17 TzBfG unwirksam, BAG AP Nr. 7. Die Wirksamkeitsfiktion gilt grundsätzlich für alle Unwirksamkeitsgründe, also auch für die Geltendmachung des Fehlens der Zustimmung des Integrationsamtes nach § 92 SGB IX., vgl. Schwab, ODWW; Schwab, Mannheimer Schriften zur Verwaltungs- und Versorgungswirtschaft, Band 23.

Das Erfordernis der Entfristungsklage nach § 17 Satz 1 TzBfG betrifft nicht nur den Arbeitnehmer, dessen Status bei Vertragsschluss unstreitig ist, sondern auch denjenigen, der sich darauf beruft, ein von den Vertragsparteien zunächst nicht als Arbeitsverhältnis angesehenes befristetes Vertragsverhältnis sei rechtlich als Arbeitsverhältnis einzuordnen. Denn es ist kein Grund ersichtlich, denjenigen zu privilegieren, der sich erst nach Ablauf eines befristeten Vertragsverhältnisses darauf beruft, dieses sei tatsächlich kein Dienstverhältnis, sondern ein Arbeitsverhältnis gewesen, zumal bei einer unverschuldeten Verkennung des Status die nachträgliche Zulassung der Entfristungsklage nach § 17 Satz 2 TzBfG i. V. m. § 5 KSchG in Betracht kommt. Auch der Zweck des § 17 TzBfG, nämlich die rasche Klärung der Frage, ob ein Arbeitsverhältnis aufgrund Befristung geendet hat oder nicht, vgl. APS/Backhaus, 3. Aufl., § 17 TzBfG, RN 6, verbietet eine Differenzierung danach, ob die Vertragsparteien bei Vertragsschluss von einem Arbeitsverhältnis ausgingen oder sich der aufgrund des Vertrages tätig Gewordene erst später auf ein Arbeitsverhältnis beruft, LAG München, BeckRS 2009 67483.

§ 17 TzBfG erfasst alle Unwirksamkeitsgründe einschließlich der Mängel im Mitbestimmungsverfahren und Formmängel. Die Klagefrist ist auch dann einzuhalten, wenn ein Verstoß gegen das Schriftformgebot gerügt wird, Mestwerdt, § 17 TzBfG, RN 18. Die Klagefrist ist dann einzuhalten, wenn der ArbN die Rechtsunwirksamkeit eines Arbeitsverhältnisses geltend macht. Nach dem Wortlaut des § 17 S. 1 TzBfG muss lediglich die Rechtsunwirksamkeit der Befristung mit einer fristgerechten Klage geltend gemacht werden. Streiten dagegen die Parteien darüber, ob überhaupt eine Befristungsabrede getroffen wurde oder ob eine vertraglich vereinbarte Voraussetzung für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorliegt, findet die Klagefrist des § 17 S. 1 TzBfG keine Anwendung, BAG, Urt. vom 19.01.2005 – 7 AZR 113/04, BeckRS 2005 30349196 - die in § 17 Satz 2, § 21 TzBfG i.V.m. § 7 1. Halbs. KSchG angeordnete Fiktion bei Versäumung der Klagefrist bewirkt allein, dass der Arbeitsvertrag als wirksam befristet oder wirksam auflösend bedingt gilt. Es wird nicht fingiert, dass und gegebenenfalls zu welchem Zeitpunkt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Grund der wirksamen Zweckbefristung oder des Eintritts der wirksamen auflösenden Bedingung eingetreten ist, BAG, Urteil vom 23. Juni 2004 - 7 AZR 440/03 - AP TzBfG § 17 Nr. 5. Das ergibt sich aus den weiteren gesetzlichen Tatbeständen, z. B. aus § 15 Abs. 2 TzBfG. Selbst wenn der (wirksam) vereinbarte Zweck bereits mit der Verkündung eines früheren arbeitsgerichtlichen Urteils erreicht worden wäre, hätte dies nach § 15 Abs. 2 TzBfG frühestens zwei Wochen nach Zugang einer schriftlichen Unterrichtung des Klägers durch die Beklagte über den Zeitpunkt der Zweckerreichung zur Beendigung des zweckbefristeten Arbeitsverhältnisses führen können. Die Klagefrist greift nicht, wenn die Rechtsunwirksamkeit einzelner befristeter Arbeitsbedingungen umstritten ist, Mestwerdt, § 17 RN 17; Pfeiffer, in HK-KSchR, § 2 RN 24; Hesse, a.a.O.., RN 2. In § 17 TzBfG ist ausdrücklich der unwirksame Vertrag genannt. In diesem Fall ist eine allgemeine Feststellungsklage zu erheben, Bayreuther, in Beckscher Online Komment, § 17 TzBfG, RN 2 - der Klageantrag richtet sich dabei auf Feststellung des Fortbestands der bisherigen Arbeitsbedingungen, BAG 4.6.2003 AP TzBfG § 17 Nr. 1. Dies gilt auch wenn streitig ist, ob überhaupt eine Befristung oder auflösende Bedingung vereinbart worden ist (Feststellungsklage). Nicht anwendbar ist § 17 auch dann, wenn die Parteien nur über den Eintritt des Befristungstatbestandes, insbesondere die vereinbarte Zweckerreichung streiten. Wird die Unwirksamkeit wegen mangelnder Bestimmtheit geltend macht, ist die Dreiwochenfrist einzuhalten. Dies ergibt sich aus der Fiktionswirkung des § 17 i.V.m. § 7 KSchG, die sämtliche Unwirksamkeitsgründe einer konkreten Befristungsabrede erfasst. Denkbar ist etwa der Klageantrag: „Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des/der… mit 35 Wochenstunden unbefristet fortbesteht.“ § 17 TzBfG ist nicht einschlägig, wenn der Arbeitnehmer die Feststellung begehrt, dass auf Grund einer widerspruchslosen Fortsetzung eines befristeten Arbeitsverhältnisses ein unbefristetes Arbeitsverhältnis entstanden ist (§ 15 Abs. 5 TzBfG: BAG, Urteil vom 18.10.2006 AP TzBfG § 14 Nr. 28). Stellt sich im Prozess heraus, dass die Fiktionswirkung des § 15 Abs. 5 TzBfG nicht eingetreten ist, steht dem Arbeitnehmer so noch die Möglichkeit offen, gegebenenfalls die Rechtsunwirksamkeit der Befristung geltend zu machen. Der Arbeitnehmer kann eine Befristung innerhalb von drei Wochen nach ihrem Auslaufen ohne Rücksicht darauf angreifen, ob die Parteien das zu Grunde liegende Arbeitsverhältnis mittlerweile fortgesetzt haben oder nicht. Nach der Rechtsprechung darf der Arbeitnehmer einen im Rahmen einer Mehrfachbeschäftigung vorangehenden Arbeitsvertrag jedenfalls dann noch mit der Entfristungsklage angreifen, wenn die Parteien bei Abschluss des letzten befristeten Arbeitsvertrages dem Arbeitnehmer das Recht ausdrücklich vorbehalten haben, die Wirksamkeit der vorangehenden Befristung prüfen zu lassen, BAG, NZA 2008, 295. Der Arbeitgeber ist hierzu jedoch nicht verpflichtet.

Ein kalendermäßig befristetes Arbeitsverhältnis endet nach § 15 Abs. 1 TzBfG mit dem Ablauf der vereinbarten Zeit. Bei kalendermäßiger Befristung beginnt die Frist an dem Tag, der dem Ereignisdatum (Beendigung) nachfolgt (§ 187 Abs. 2 S. 1 BGB). Sie endet gemäß § 188 Abs. 2 2. Halbs. BGB mit dem Tag des Ereignisses drei Wochen später, Müller-Glöge, a.a.O.., RN 8. War eine Zweckbefristung vereinbart, beginnt die Klagefrist gemäß § 187 Abs. 1 BGB am Tage nach Eintritt des Ereignisses und endet gemäß § 188 Abs. 2 1. Halbs. BGB an dem Tag, der nach seiner Benennung dem Tag entspricht, in den das Ereignis fällt, Hesse, a.a.O..., RN 18.

Die Versäumung der Klagefrist des § 17 TzBfG hat materiell-rechtliche Wirkungen, so dass die Klage als unbegründet abzuweisen ist, vgl. Gallner, in HK-KSchR, § 4 KSchG, RN 110; APS/Backhaus, RN17; Vossen, NZA 2000, 704, 707; BAG, Urt. vom 24.06.2004 – 2 AZR 4161/03 – prozessuale Klageerhebungsfrist mit materiell-rechtlichen Wirkungen, Hesse, in MünchKommt, § 17 TzBfG, RN 1. Etwaige Mängel in der Befristungsabrede gelten als geheilt. Eine Durchbrechung dieser Fiktion bei erheblichen Verstößen gegen die Rechtsordnung (z. B. Verstoß gegen die guten Sitten) findet in § 17 S. 2 i. V. mit § 7 KSchG keine Rechtsgrundlage, Mestwerdt, § 17 TzBfG, RN 21; vgl. Hesse, a.a.O..., RN 22 - Eine Ausnahme bei besonders schweren Gesetzesverstößen, ist mit dem eindeutigen Wortlaut nicht vereinbar und widerspräche auch der Systematik.

[22] Vgl. Waltermann, Gutachten B zum 8. DJT, NJW Beil. 2010, 81; ders. NZA 2010, 860; VGL: AUCH Udsching; Thesen zum 68. DJT, AuR 2010, 317; Kocher NZA 2010, 841; vgl. ferner Kocher/Welti, WSI Mitteilung 6/210.

[23] Schon Max Weber sprach davon, dass der Mensch ein Gehäuse brauche, um seine Zeit auszulegen. Der amerikanische Soziologe Sennett sagt, dass Normalarbeitsverhältnisse der Charakterbildung dienen. Sie vermitteln Werte wie Treue und gegenseitige Verpflichtung. Sie befähigen, langfristige Ziele zu verfolgen. Umgekehrt führen flexible Arbeitsverhältnisse, wenn kein anderer Ausgleich gegeben ist, nach seiner Meinung zur Zerstörung des Charakters und zum Verlust der Selbstachtung. Der Abbau der sozialen Sicherheit und des Kündigungsschutzes erzeugt bei den Menschen Angst, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren. Flexibilität und Mobilität führen dazu, dass Freundschaften flüchtig bleiben und die Eingebundenheit der einzelnen in die örtliche Gemeinschaft immer brüchiger wird. Auch auf die Familien wirken sich Flexibilität und Mobilität aus. Während die Familie Bindung fordert, fordert Flexibilität und Mobilität, in Bewegung zu bleiben und keine Bindungen einzugehen. (Lafontaine, S. 269)

[24] Die empirischen Ergebnisse zeigen einen Rückgang innerbetrieblicher Wechsel und Aufstiegschancen, der für männliche Beschäftigte in großen Firmen und mit geringer Arbeitsmarkterfahrung besonders stark ausfällt. Unfreiwillige Arbeitgeberwechsel haben nur unter den Geringqualifizierten klar zugenommen. Beschäftigungssicherheit und Karriereperspektiven sind nach wie vor sehr ungleich verteilt. Vieles spricht sogar dafür, das sich bestehende Ungleichheiten eher weiter verschärft haben, insbesondere im Hinblick auf die Bildung, Giesecke/Heisig, Höheres Risiko für Geringqualifiziert, Wie sich die berufliche Mobilität in Deutschland verändert hat, WZB Brief Arbeit 07/Oktober 2010

[25] Beschäftigungslosigkeit ist mit der tatsächlichen Nichtbeschäftigung des Versicherten unabhängig vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses im Sinne des Arbeitsrechts gegeben, BSGE 89, 243 = NZA-RR 2003, 105

[26] Vor den Arbeitsgerichten hält lediglich ein geringer Prozentsatz betriebsbedingter Kündigungen der Überprüfung stand. Um dieser Problematik zu entgehen, wird vielfach versucht, einvernehmliche Beendigungen zu erzielen. Im Gegenzug zur Aufgabe seines Arbeitsplatzes erhält der Arbeitnehmer eine materielle Kompensation in Form einer Abfindung und oftmals immaterielle Vorteile wie beispielsweise eine Freistellung von der Arbeitsleistung, vgl. Panzer, Panzer: Sozialversicherungsrechtliche Auswirkungen der Beendigung von Arbeitsverhältnissen, NJW 2010, 11.

[27] Zu einer modernen, erfolgreichen Unternehmenskultur gehört nicht nur Ehrbarkeit und gesellschaftliche Verantwortung, langfristiges Denken, sondern auch soziale Kompetenz, d. h. die Fähigkeit, menschlich mit den Mitarbeitern umzugehen und sie motivieren zu können. Wer Loyalität von den Mitarbeitern erwartet, muss sie auch den Mitarbeitern entgegenbringen. Die Mitarbeiter sind die wichtigsten Ressourcen im Unternehmen, die es zur Erhaltung oder Steigerung der Produktivität zu erschließen gilt.

[28] Ein moderner, vorsorgender Sozialstaat wird heute gebraucht, um erfolgreich auf tiefgreifende sozio-ökonomische Strukturveränderungen in der Gesellschaft, auf den Arbeitsmärkten, in den Familien und zwischen den Geschlechtern zu reagieren. Der Sozialstaat ist organisierte und aktiv gelebte Solidarität. Vor allem das Altern unserer Gesellschaft bringt komplexe Herausforderungen mit sich, die mit steigenden Kosten bei Rente, Gesundheit und Pflege einhergehen. Übergeordnet spielen Fragen der Chancengleichheit, der sozialen Teilhabe von älteren und schwerbehinderten Menschen und der – moralischen wie ökonomischen – Kosten gesellschaftlicher Spaltung eine immer wichtigere Rolle. Die Folgekosten der auf nachsorgende Absicherung abzielenden Politik werden in den kommenden Jahren weiter stark ansteigen und damit den Handlungsdruck kontinuierlich erhöhen. Gefragt ist vor diesem Hintergrund ein erneuertes Sozialstaatsmodell, das die veränderten Lebenslagen der Menschen stärker individuell berücksichtigt, breit gestreute gesellschaftliche und ökonomische Teilhabe ermöglicht und sicherstellt und dabei sinnvolle und nachhaltige Finanzierbarkeit verspricht. Angesichts eines limitierten finanziellen Spielraums müssen neue Wege gefunden werden, unter aktiver Einbeziehung der vorhandenen sozialstaatlichen Akteure und ohne erheblichen finanziellen Mehraufwand wirksame Handlungsstrategien anzustoßen.

Jeder Mensch hat die Pflicht, eigenverantwortlich seine eigene Kraft zu nutzen, aber auch das in der Verfassung verbriefte Recht, die Gemeinschaft dann in Anspruch zu nehmen, wenn er auf Hilfe und Unterstützung angewiesen ist. Freilich nur nach den gemeinschaftlichen Regeln. Vorsorgender Sozialstaat heißt: Der Sozialstaat sorgt vor, indem er Maßnahmen ergreift, um zu verhindern, dass soziale Notlagen überhaupt erst entstehen. Der Sozialstaat und seine Sozialen Sicherungssysteme dürfen nicht nur als Ausfallbürgschaften für gescheiterte Eigenverantwortung begriffen werden. Der Sozialstaat darf sich nicht zufrieden geben mit der Aufgabe, gesellschaftliche Fehlentwicklungen auszugleichen, den Schwächsten in der Gesellschaft ergänzende Notfallhilfe zu leisten. In den vergangenen Jahren wurde unter dem Druck knapper Kassen und hoher Arbeitslosigkeit eine Diskussion darüber geführt, ob wir uns „den Sozialstaat“ noch leisten können. Die konservative Idee des Sozialstaats war beschränkt auf die Kompensation von Risiken. Die linke Idee des Sozialstaats ging darüber hinaus: Er sollte die Menschen aus Zwängen befreien, sein Ziel war die Emanzipation und die aktive Gestaltung unserer Gesellschaft nach sozialen Grundsätzen. Sozialpolitik will nicht nur reparieren und in Notfällen einspringen, sondern vorausschauend gestalten“, Hubertus Heil, Berliner Republik, 4/2006.

Der Sozialstaat muss Lebenschancen eröffnen und Gerechtigkeit fördern. Damit unvereinbar: Die Frauenerwerbsquote ist immer noch viel zu gering; insbesondere Frauen über 50 Jahre alt und nach Kinderpausen finden nur schwer in das Berufsleben zurück. Oft bleiben nur Minijobs. Die geringfügige Beschäftigung ist aber kein Ausweg, sondern eine Sackgasse. Sie verschiebt das Versorgungsproblem in die Phase des Rentenbezugs und fördert letztlich die Altersarmut. Der Wechsel, den die betroffenen Menschen lösen, wird von der Gesellschaft regelmäßig nicht eingelöst. Ältere und gering qualifizierte Arbeitnehmer haben trotz des demografischen Wandels in der Gesellschaft und fehlender Arbeitskräfte (gefordert wird die uneingeschränkte Zuwanderung von besser qualifizierten Arbeitskräften) kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Sie stehen schließlich im Wettbewerb um „Einfacharbeitsplätze“ mit Werkvertragsarbeitnehmern aus EU-Nachbarstaaten. Der Sozialstaat ist ein Problemlöser auf dem Weg zu einer gerechten Ordnung in den Beziehungen zwischen den Menschen. Der Sozialstaat hat die verpflichtende Aufgabe, Gesellschaft zu gestalten, Risiken vorzubeugen und für sie vorzusorgen, die Menschen zu ermutigen und zur Eigenverantwortung anzuhalten sowie aus dem Bündel berechtigter Individualinteressen eine soziale Gemeinschaft zu formen. Eine menschliche Gesellschaft, die der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Solidarität verpflichtet ist und ein funktionierendes und integrierendes Gemeinwesen das den Zusammenhalt fördert und die materielle Sicherheit und Stabilität im solidarischen Miteinander gewährleistet.

Der vorsorgende, vorausdenkende nicht nur Krisen nacheilende und Probleme lösen wollende Sozialstaat muss die individuellen Fähigkeiten der Menschen fördern. Wo Lebensläufe brüchiger werden, die Anforderungen die mobile, unstete und grenzenlose Arbeitsgesellschaft zunehmen, muss ein vorsorgender Sozialstaat vorausdenkend, Hilfen entlang des Lebensverlaufs anbieten. Denn er trägt Verantwortung für die entstehende soziale Ungleichheit von morgen. Die enttäuschten Bildungserwartungen von Kindern, die enttäuschten und verschobenen Kindererwartungen verhinderter Eltern und die Versorgungsängste älterer Menschen. Vorausdenken beinhaltet antizipiertes Gegensteuern, eine aktive Familienpolitik (Bemühungen um eine bessere Familie(zeit)zeitpolitik), eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik, eine menschenwürdige und ethisch verantwortete Gesundheitspolitik, die auf Vorsorge und den Ausbau sozialer Infrastruktur setzt. Eine vorausdenkende Sozialpolitik ist nicht preiswert. Der vorsorgende Sozialstaat kein billiger Sozialstaat. Er verhindert aber soziale Ängste vor der ungesicherten Zukunft, er erspart den Menschen Depressionen und macht Mut zu mehr Eigenverantwortung

[29] Die sozialen Sicherungssysteme dienen dem Zusammenhalt der Gesellschaft. Sie sollen auch denjenigen zugutekommen, die unverschuldet in Not geraten sind. Diesen zu helfen ist aber nicht nur Aufgabe eines Teils der Gesellschaft. Ein Sozialstaat definiert sich gerade dadurch, dass alle Staatsangehörigen über die Sicherungssysteme einander Solidarität und Hilfe gewähren, Lafontaine, Das Herz schlägt links, 1999, S. 271.

[30] Der leistungsrechtliche Beschäftigungsbegriff dient insbesondere der Feststellung, ob Beschäftigungslosigkeit als Voraussetzung eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld vorliegt. Wann im leistungsrechtlichen Sinne Beschäftigungslosigkeit vorliegt, ergibt sich aus § 118 Abs. 1 Nr. 1 SGB III. Diese Vorschrift knüpft nicht an den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses an, sondern an die tatsächlichen Verhältnisse. Beschäftigungslosigkeit ist daher mit der tatsächlichen Nichtbeschäftigung des Versicherten gegeben, BSGE 92, 74 = NJW 2004, 3142; BSGE 59, 183; Schlegel, NZA 2005, 973, unabhängig vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses, BSG, NZA-RR 2005, 52. Arbeitslos ist ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit) und eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung sucht (Beschäftigungssuche; § 118 Abs. 1 SGB III i.d.F. des 1. SGB III-Änderungsgesetzes vom 16. 12. 1997 [1. SGB III-ÄndG], BGBl I, 2970). Eine Arbeitslosmeldung liegt vor, wenn sich der Arbeitslose persönlich beim zuständigen Arbeitsamt arbeitslos gemeldet hat (§ 122 Abs. 1 S. 1 SGB III i.d.F. des AFRG).

[31] Ein freier Mensch ist jemand, der alles in allem so lebt, wie er es aus eigenem Antrieb und eigner Überlegung will. alles in allem: Er wird vieles so nehmen und manches so hinnehmen müssen, wie es nun einmal ist. Aus eigenem Antrieb: Er wird vor allem denjenigen seiner Leidenschaften folgen, an denen ihm vor allem liegt - mitsamt den Bindungen, die ihnen entspringen. As eigener Überlegung: Er wird seine Antriebe durch sein Überlegen und sein Überlegen durch seine Antriebe so formen, dass es seine Entscheidungen sind, die seine Lebensvollzüge eher gelingen oder scheitern lassen. Ein freier Mensch ist jemand, der sich von sich und den anderen auf die richtige Weise fesseln lässt. Dazu ist es oft nötig, die Fesseln abzuwerfen, die man sich selbst oder die die Gesellschaft einem angelegt har. Frei zu sein bedeutet, frei von inneren wie äußeren Beschränkungen zu sein die einem an den entscheidenden Stellen keine Wahl lassen. Frei zu sein aber bedeutet auch, frei für bestimmte Anliegen und Vorhaben zu sein - und für die noch unbestimmten Fährnisse, die sich hieraus ergeben werden. Ein freier Mensch ist jemand, der sich selbst zu binden und sich also mit der Ungewissheit der eigenen Existenz zu verbünden vermag, Seel, 111 Tugenden - 111 Laster, S. 170f - Freiheit.

[32] Klar ist: Niedrige Löhne, befristete Stellen und Leiharbeit sind nicht angenehm. Allerdings gibt es solche Phänomene kaum in Berufen, in denen Arbeitnehmer knapp und begehrt sind. Und diese Berufe werden immer mehr. Dann diktieren die Bewerber die Bedingungen. Sie können hohe Gehälter heraushandeln, Sabbaticals und längere Urlaube. Die schlechten Jobs, die es noch gibt, bekommen Arbeitgeber nicht mehr ohne weiteres gefüllt (FAZ vom 28.04.2013, von Patrick Bernau).

[33] Allmendinger, West.art, Talk vom 31.10.10 – Junge Frauen wollen alles! Partnerschaft, Kinder und Beruf. Die Zeit des Entweder oder ist vorbei. Jetzt zählt das Und. Die Gesellschaft kann es sich angeschichts des Fachkräftemangels nicht leisten, auf das Potential gut qualifizierter Frauen zu verzichten. In den Einstellungen zu Beruf und Familie gibt es kaum mehr Unterschiede zwischen Männern und Frauen.

[34] Waltermann, Gutachten, S. 10.

[35] Die Wirtschaftskrise zeigte: Wettbewerb soll kein zerstörerischer Streit sein, sondern es jedem ermöglichen, seine Fähigkeiten zu entfalten. Zu Recht verwendet man eine Doppelstrategie. Man gebietet zwar Lauterkeit, definiert ab nicht positiv durch Gebote von Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Offenheit und Rechtschaffenheit, sondern begnügt sich negativ mit Verboten. Mit guten Sitten sind weder bloße Überheblichkeiten gemeint noch ein Höchstmaß an Sittlichkeit, die Wohltätigkeit oder Philanthropie. Der Wettbewerber darf sich sowohl über Üblichkeiten kreativ hinwegsetzen, als auch die reine Sittlichkeit unterbieten. Er darf aber nicht das Anstandsgefühl des durchschnittlichen Gewerbetreibenden verletzen. Man lobt den Wettbewerb wegen der Freiheitschancen für den Einzelnen (Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung) und den gesellschaftlichen Vorteilen und Nutznießungen. Im Übrigen - der sozial verantwortliche Gewinner kann als Mäzen dem Gemeinwohl dienen und Förderleistungen erbringen, Höffe, Nur ein fairer Kampf bringt Anerkennung, FAZ vom 24. Mai 2009, S. 34.

[36] Die alternsgerechte Arbeitszeitgestaltung ist eine wichtige Voraussetzung, die Herausforderung des demografischen Wandels zu bewältigen. In der sich durch die Entwicklung rasch wandelnden Arbeitswelt hat die Innovations- und Anpassungsfähigkeit der Beschäftigten eine große Bedeutung. Im Zuge des technischen Wandels stellt sich die Frage, wie ältere Beschäftigte diese Fähigkeiten erhalten bzw. entwickeln. Belegschaften lassen sich einfach nicht mehr verjüngen, wenn die Gesellschaft immer älter wird. Damit ist klar, dass eine jugendorientierte, zukunftsgerichtete Personalpolitik in der Beschäftigungsfalle endet. Die Betriebe müssen eine ausgewogene und mehr alternsgerechte Arbeits- und Personaltpolitik (intergenerative Personalpolitik) entwickeln um auch in Zukunft die anfallenden Aufgaben bewältigen zu können. Age diversity Management zielt darauf ab, ältere Mitarbeiter sinnvoll und optimierend in das Unternehmen einzubinden. Der Betrieb kann oft nicht auf das Wissen und die Erfahrungen der Mitarbeiter verzichten. Zu den identitätsstiftenden und erfolgreichen Bausteinen einer zukunftsorientierten Personalpolitik gehört die Motivation der älteren Beschäftigten, das Erfolgswissen an Jüngere weiterzugeben. Der Wettbewerbsdruck verlagert sich vom Kostendruck zum Innovationsdruck. Es wäre trotz eingeschränkter Leistungsfähigkeit falsch, ältere ArbN „alt aussehen zu lassen“. Stattdessen, sind Anstrengungen zur Optimierung der Aufbau- und Ablauforganisation gefordert. Stille, verborgende oder bisher unentdeckte Reserven müssen erschlossen werden.

[37] Alle Mitarbeiter/innen sind ständig mit wechselnden Anforderungen, dynamischen Märkten und veränderten Organisationsformen konfrontiert. Sie sollen gefordert und gefördert werden, um ihre persönliche Fort und Weiterbildung bis weit in die zweite Hälfte des Berufslebens eigenverantwortlich zu planen und zu betreiben. Der heutige Mitarbeiter ist ein „permanent“ unfertiger Mensch der heutigen, neuen Arbeitswelt. Die sich abzeichnende Verschiebung in der Alterspyramide, der Kampf der Generationen, wirft nicht nur gesellschaftliche Probleme auf, sondern stellt eine Herausforderung für die neuen Alten ebenso dar wie für die betriebliche Sozialpolitik.

Eine alternsfreundliche Unternehmenskultur muss in den Führungsbeziehungen umgesetzt werden, um die heute weitgehend vernachlässigten Potenziale älterer Mitarbeiter zu nutzen. Das ABILITY Management (Wiedereingliederungsmanagement) ist ein Element eines ganzheitlichen Gesundheitsmanagements mit dem Ziel, die Beschäftigungsfähigkeit durch ein aktives Eingliederungsmanagement bis in das Rentenalter zu erhalten. Die Mischung machts – der Mensch neigt zu Vereinfachungen. Junge auf dem neuesten fachwissenschaftlichen Stand ausgebildete, dynamische, innovative, wissensdurstige, flexible und karrierebewusste BewerberInnen möchten ältere/n Kollegen/in mit hinkenden theoretischen Kenntnissen und ausgeprägter praktischer Erfahrung, hoher Sozialkompetenz und reichem Erfahrungsschatz, aber leicht unbeweglich geworden, ergänzen. So könnte eine Bewerbung in Zukunft aussehen. Die Betriebe würden beiden, den Älteren, aber auch den jüngeren Berufsanfängern/innen den roten Teppich ausrollen. Wurden bisher zunächst junge Mitarbeiter, dann Frauen oder Fachkräfte aus dem Ausland und erst zuletzt die Älteren gesucht, würde sich schlagartig alles verändern. Die Älterer mit ihrer Kompetenz, Erfahrung, Führungsstärke und oft betrieblichen Loyalität nicht einzustellen wäre aus betriebswirtschaftlicher Sicht eine Dummheit, aus volkswirtschaftlicher Sicht eine Vergeudung und aus gesellschaftspolitischer Sicht eine Schande.

[38] Im Ergebnis zeigt sich, dass sich Mini-Jobs in ihrer Bedeutung nicht auf Beschäftigungsverhältnisse für "hinzuverdienende" Ehefrauen beschränken, sondern dass Beschäftigte im Nini-Job eine heterogene Erwerbsgruppe sind. Bei geringfügig Beschäftigten werden tarifvertragliche Standards oft nicht berücksichtigt bzw. bewusst unterlaufen oder gelten wegen fehlender tariflicher Bindung überhaupt nicht. Dies betrifft sowohl Entgelte (Grundvergütungen, Sonderzulagen und Zuschläge) als auch Vereinbarungen zum Urlaub, Kündigungsschutz, zur betrieblichen Altersversorgung und zu betrieblichen Sozialleistungen. Viele Arbeitgeber rechnen bei den Verdiensten mit Netto-Größen. Sinken die Beitragsabzüge der ArbN kann bei einem gegebenen Stundenvolumen das angestrebte Nettoeinkommen mit einem niedrigeren Bruttoentgelt erreicht werden, was zu einer entsprechenden Verbilligung der Arbeitskosten führt, Bäcker, Geringfügige Beschäftigung: Begrenzung statt Ausweitung, IAQ-Standpunkt, 04/2012.

[39] Eindeutig negativ sind die Wirkungen, die von der Ausweitung atypischer Beschäftigung auf die soziale Sicherheit ausgehen. Der Kreis der Beschäftigten mit unsicherer sozialer Absicherung wächst. Die soziale Sicherungssysteme sind von der Aushöhlung bedroht, Keller/Seifert, Atypische Beschäftigung - Flexibilisierung und soziale Risiken, 2007, S. 17. Atypische Beschäftigungsverhältnisse sind nicht umstandslos als prekär anzusehen, eine Rolle spielen neben der Einkommenssituation die allgemeinen Lebensverhältnisse und die rechtlich-institutionelle Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse, Keller/Seifert, Atypische Beschäftigung - Flexibilisierung und soziale Risiken, 2007, S. 11. Atypisch sind Arbeitsverhältnisse in Teilzeit, geringfügige Beschäftigung <Minijobs>, befristet Beschäftigte. Atypische Formen der Beschäftigung erfüllen auf dem Arbeitsmarkt verschiedene Funktionen. Sie können dazu dienen, die Arbeitskosten zu senken, die Anpassungsfähigkeit des Arbeitseinsatzes zu erhöhen oder die Instrumente der betrieblichen Personalpolitik erweitern. Flexibilität ist eine zentrale Voraussetzung für die Bewältigung notwendigen Strukturwandels im Arbeitsleben, vgl. Keller/Seifert, S. 15. Atypische Beschäftigungsverhältnisse können die betrieblichen Anpassungsstrategien in unterschiedlicher Weise beeinflussen. Geringfügige Beschäftigung bzw. Minijobs sowie Teilzeitarbeit dienen der internen Flexibilisierung. Befristete Beschäftigung dient der externen-numerischen Flexibilisierung, Keller/Seifert, S. 17. Geringfügige Beschäftigung bietet sich bei Tätigkeiten mit geringen betriebsspezifischen Qualifikationen ohne hohe betriebliche Einarbeitungskosten und -zeit an. Befristete Beschäftigung deckt einen zeitlich absehbaren und zeitlich begrenzten Personalbedarf ab (z. B. Elternurlaub, Projekte). Sie kann auch zur Verlängerung der Probezeit eingesetzt werden.

Atypische Beschäftigungsverhältnisse wirken i n das System der sozialen Sicherung hinein. Sie beeinflussen das Niveau individueller Sicherheit und die Systeme selbst, Keller/Seifert, S. 18. Die Systeme orientieren sich wesentlich am Normalarbeitsverhältnis und dessen Finanzierungsmodellen. In Bezug auf Prekarität des Einkommens sind Minijobs, sofern sie ausschließlich ausgeübt werden, sowie Teilzeittätigkeiten mit geringen Stundenvolumen und mit im Vergleich zur Vollbeschäftigung niedrigen Stundenlöhnen als problematisch zu qualifizieren, da ein hohes Risiko der Altersarmut besteht, Keller/Seifert, S. 21.

In Bezug auf Beschäftigungsprekarität liegen die größten Risiken bei der befristeten Beschäftigung, sofern der nahtlose Übergang in weitere Befristung oder dauerhafte Beschäftigung nicht gelingt. Arbeits- und Sozialpolitik sind bei Reformschritten aufeinander zu beziehen. Ein Konzept, welches diese Anforderungen aufgreift bieten Überlegungen zu Flexicurity: Förderung der Beschäftigungsfähigkeit durch Weiterbildung, Einführung eines Systems der Grundsicherung und Vorrang innerer Flexibilität vor externer Flexibilität, vgl. Keller/Seifert, Flexicurity - Wie lassen sich Flexibilität und soziale Sicherheit vereinbaren

[40] 1. Ein zu kurzfristig gestelltes Teilzeitverlangen, das die in § 8 Abs. 2 TzBfG geregelte Ankündigungsfrist von drei Monaten nicht wahrt, kann so ausgelegt werden, dass sich das Begehren auf den Zeitpunkt richtet, zu dem die Drei-Monats-Frist abläuft. 2. Die bloße Berufung des Arbeitgebers auf ein praktiziertes Organisationskonzept, dass alle Beschäftigten des Betriebs, auch die Teilzeitbeschäftigten im Schichtbetrieb arbeiten und in diesem Zusammenhang die Nachmittagsschicht bis mindestens 18:00 Uhr abdecken müssen, ist allein kein Grund für die Ablehnung eines Teilzeitwunschs nach § 8 Abs. 4 TzBfG. Es bedarf darüber hinaus der Darlegung und ggf. des Nachweises konkreter Umstände, inwiefern dieses Konzept dem konkreten Teilzeitwunsch tatsächlich entgegensteht und die gewünschte zeitliche Lage der Arbeit nicht durch zumutbare Änderung der Betriebsabläufe ermöglicht werden kann, LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 15.12.2010 - 3 Sa Ga 14/10.

[41] Die Organisation des Arbeitsmarkts hat auch etwas mit Freiheit und Demokratie zu tun. Um frei zu sein, braucht man eine feste Arbeit. Der zeitlich befristet Beschäftigte muss bei allem, was er tut, daran denken, was diejenigen dazu sagen, die über eine Weiterbeschäftigung entscheiden. Es entsteht eine Art Unterordnung. Die Zensurmechanismen sind auf den ersten Blick nicht erkennbar. Claus Koch hat in der Süddeutschen Zeitung auf den mit der Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse einhergehenden Verlust an Verantwortlichkeit hingewiesen. Ein Mensch der Maschinenwelt und ihrer Arbeitsorganisation, daher autoritär im Dienst der Maschinen und Organisationsvernunft, aber auch zäh im Rebellieren. Die Dienstleistungsgesellschaft kann mit einer Verantwortlichkeitsmoral dieser Art nichts anfangen, weil diese Autorität auch Erfahrung voraussetzt, somit auf Dauerhaftigkeit gestellt ist. Das ist bei den windschlüpfrigen Selbstvermarktern unbequem, Lafontaine, Das Herz schlägt links, 1999, S. 273.

[42] Mindestlohn bei Leiharbeit - Wird ein Leiharbeitnehmer von einem Entleiher mit Tätigkeiten beschäftigt, die in den Geltungsbereich der Dritten Verordnung fallen, so hat ihm der Verleiher nach § 1 S. 3 der Verordnung das im Tarifvertrag geregelte Mindestentgelt zu gewähren. Die Verordnung enthält selbst keine ausdrückliche Regelung ihres Geltungsbereichs. Sie verweist auf den Geltungsbereich des Tarifvertrags zur Regelung eines Mindestlohns für gewerbliche Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk einschließlich Anhang. Damit müssen der räumliche, persönliche und betriebliche Geltungsbereich dieses Tarifvertrags eröffnet sein. Allein der Umstand, dass ein Leiharbeitnehmer eine Tätigkeit als Maler verrichtet, begründet noch keinen Anspruch auf den tariflichen Mindestlohn im Maler- und Lackierergewerbe. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 TV-Mindestlohn gehören zum betrieblichen Geltungsbereich alle Betriebe des Maler- und Lackiererhandwerks. BAG, Urteil vom 21. 10. 2009 - 5 AZR 951/08, ArbRAktuell 2010, 70 = BeckRS 2010, 65213 = FD-ArbR 2010, 297500 = MDR 2010, 394 = NJW 2010, 460. Mit dem „Equal-Pay”-Anspruch beschäftigt sich die Entscheidung des BAG, NZA-RR 2008, 231; zu den neuen Mindestlohngesetzen in Deutschland siehe den Beitrag von Sittard, NZA 2009, 346; Anmerkungen zur Verfassungsmäßigkeit des AEntG und des Mindestarbeitsbedingungsgesetzes 2009 macht Bayreuther, NJW 2009, 2006.

[43] Eichhorst/Marx/Thode, Atypische Beschäftigung und Niedrigarbeitslohn, 2010, S. 9.

[44] Berufe sind verlässliche Signale für die erforderlichen Qualifikationen in bestimmten Tätigkeitsfeldern, sodass Arbeitsplatzwechsel und Einstellungen ohne oder nur mit geringen Anlernkosten möglich sind. Berufe sind komplexe soziale Konstrukte, die in mehreren Institutionen zugleich verankert sind. Veränderungsdruck kann aus allen diesen Institutionen kommen. Im strukturellen Wandel verschwinden Berufe und neue müssen entworfen werden. Zu geschlossenen beruflichen Arbeitsmärkten haben nur Personen mit den geforderten Qualifikationen Zutritt, wie etwa zu den gefahrengeneigten Handwerksberufen durch das Meisterprivileg. Zu offenen beruflichen Arbeitsmärkten hingegen haben auch Beschäftigte mit einer fachfremden oder ohne Berufsausbildung Zugang. Sie können sich die fehlende Qualifikationen durch anlernen erwerben. Angelernte mögen nach ausreichender Berufspraxis nachlanger Betriebszugehörigkeit über die gleichen Qualifikationen wie Fachkräfte verfügen, allerdings können sie ihre Qualifikationen nicht gleichwertig dokumentieren, was bei unfreiwilligem Arbeitsplatzwechsel zu Abstufungen und Lohneinbußen führt, Busch, Facharbeit, Berufe und berufliche Arbeitsmärkte, Keynote auf der Tagung der Arbeitsgemeinschaft Berufsbildungsforschungsgesetz, 17./18.4. 2012, Bonn.

[45] Das Thema Familie rückte zusehends ins Zentrum der gesellschaftspolitischen Diskussionen: aus ökonomischen Gründen (die niedrige Geburtenrate und damit zwangsläufig verbunden die ungünstige demografische Entwicklung in Deutschland) und weil Kinder für die Gesellschaft und die Menschen wichtig sind, versuchte man stärker die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Hoffnung zu fördern, vgl. Walther/Schaeffer-Hegel, Karriere mit Kindern?!, APuZ //2007 - Lange Zeit war die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nahezu ausschließlich ein Frauenthema. Das soll sich jetzt ändern. Denn Kinder brauchen aktive Väter; Frauen wünschen sich partnerschaftliche Männer; und junge Väter wollen mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen. Doch das ist noch nicht alles: Wer will, dass Frauen mehr berufliche Führungsverantwortung ausüben, muss Männer bei der Vereinbarung von Beruf und Familie unterstützen! vgl. auch Schmitt, Familiengründung und Erwerbstätigkeit im Lebenslauf, APuZ 7/2007; Klenner, Familienfreundliche Betriebe - Anspruch und Wirklichkeit, APuZ 34/2007 - das Familienernährermodell verliert an Bedeutung. Heute überwiegen die Zweiverdienerpaare. Daneben wächst die Zahl der Alleinerziehenden. Knapp zwei Drittel aller Eltern mit Kindern unter elf Jahren streben ein Lebensmodell an, in dem beide Partner Berufstätigkeit mit familiärem Engagement verbinden können - dies bekräftigt unter anderem eine repräsentative Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2008. Doch bisher gelingt es wenigen, diesen Wunsch zu realisieren. Meist ist es die unzureichende Infrastruktur zur Betreuung und Bildung von Kindern im Zusammenspiel mit überlieferten Rollenmustern und Erwartungen, an denen die Umsetzung scheitert. Eine zukunftsfähige Gesellschaft braucht jedoch Frauen und Männer in beiden Rollen: als kompetente Fach- und Führungskräfte und als engagierte Eltern, vgl. Walther/Lukoschat, Kinder und Karrieren, Die neuen Paare APUZ 41/2009.

Dass Männer und Frauen häufig vor dem Problem stehen, Beruf und Familiengründung nicht oder nur schwer miteinander vereinbaren zu können, ist ein ganz wesentlicher Grund für den Geburtenrückgang. Denn Elternschaft und Erwerbstätigkeit gehen mit höchst widersprüchlichen und häufig inkompatiblen Anforderungen einher. Die männlich geprägte Arbeitskultur macht es Männern nicht leicht, sich aktiv an der Elternschaft zu beteiligen, und für Frauen ist es immer noch sehr schwer, ihren Beruf auszuüben und eine Familie zu haben. Mit dem Elterngeld fördert die Bundesregierung ein Familienmodell, das es Männern und Frauen ermöglichen soll, Beruf und Familie besser miteinander zu vereinbaren. Durch qualitativ bessere familienpolitische Rahmenbedingungen soll der zunehmenden Kinderlosigkeit begegnet werden. Gefordert und gefördert wird eine nachhaltige Familienpolitik, die neben der Erhöhung der Geburtenrate eine Steigerung der Erwerbstätigkeit von Frauen anstrebt. Mütter sollen nach Erwerbsunterbrechungen leichter ins Berufsleben zurückfinden oder durch einen Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen und Dienstleistungsangebote von vornherein Erwerbstätigkeit und Familie auch bei fortgesetzter Berufstätigkeit vereinbaren können. Heute steht fest: die quantitative Abnahme des Erwerbskräftepotentials würde selbst durch eine Zuwanderung von 3,4 Millionen Menschen/pro Jahr den Altersquotienten in Deutschland nur konstant halten. Die Ursachen für den festzustellenden Geburtenrückgang sind vielfältig. Ökonomische Zwänge sind in der Ursachenkette genauso vertreten wie die Bildungsexpansion und die wahrgenommenen Bildungsoptionen junger Frauen (und der damit verbundene spätere Berufseintritt durch das Studium an Universitäten und Fachhochschulen) , die abnehmende Dauerhaftigkeit von Partnerschaften und der Bedeutungsverlust on Rechtsinstituten wie der Ehe bis hin zur Neuorientierung an postmateriellen Werten wie der Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung. Familienpolitik ist damit nachhaltige Zukunftspolitik. Sie wirkt der Bevölkerungsschrumpfung entgegen und hat positive Effekte für die weitere Zukunft, da das Potenzial der Erwerbstätigen wieder größer wird. Da das ökonomische Erwachsenwerden im Regelfall an den Berufseintritt gebunden bleibt, schwindet die Hoffnung, dass junge Erwachsene während der Ausbildung bereits Kinder bekommen. Wegen fehlender personaler Aussagen über die zukünftigen Lebensvorstellungen junger Erwachsener ist es schwierig, Szenarien der Geburtenentwicklung zu prognostizieren. Mit verbesserten Rahmenbedingungen die angemessene Bedingungen für Lebensläufe, verlässliche Optionen zur Realisierung von Lebensplänen und in hohem Maße Beruf und Familie durch ausreichende Betreuungschancen in Einklang bringt, ist eine dauerhafte demografische Erholungsphase i. S. einer zukunftsfähigen Bestandssicherung eingeleitet worden. Die zeitliche Entzerrung von Familiengründung und Karriere, die Einplanung von Kindern in die Lebensentwürfe führt zu Gestaltungsfreiräumen, die bei einem Teilzeiterwerb im bisherigen Sinn nicht vorhanden waren. Zukunftsfähigkeit setzt ein Familienverständnis als „Verantwortungsgemeinschaft von mindestens zwei Generationen voraus.“ Dies wird von einer soliden Basis aus ökonomischem Wachstum, sozialer Sicherung und Wohlstand gebildet. Nachhaltige, nicht nur bipolar ausgerichtete Familienpolitik wird nicht durch die Alternativen „mehr Betreuung“ oder „mehr Geld“ bestimmt, sondern von einer gesamthaften Betrachtung, die den neuen Charme der Familie als gesellschaftlichen Gewinn sieht und einen Rahmen an familienfreundlichen Maßnahmen schafft. Nur so wird die Familie zum Erfolgsfaktor. Dieser Rahmen reicht von familienbewusster Frauenpolitik bis hin zu familienorientierten Leistungen wie Kinderbetreuung und Gesundheitshilfen. Arbeitgeber müssten eigentlich von weiblichen Mitarbeiterinnen überzeugt sein, schließlich wechseln Frauen seltener den Arbeitgeber. Frauen, die Kinder haben und im Berufsleben bleiben sind im Regelfall erfolgreicher als Kinderlose. Beruf und Familie müssen aber besser vereinbar sein. Das erfordert Arbeitgeber, die sich flexibel zeigen bei der Arbeitsorganisation und Arbeitszeitgestaltung.

[46] Prekariat – „ungeschützt Arbeitende und Arbeitslose“ als neue soziale Gruppierung. Job, Geld, Leben – nichts ist mehr sicher, Groß, Zeit online vom 17.12.2006. Eiden-Offe (Uni Konstanz, „Im Gespräch“) – Prekär bedeutet schwierig, unsicher heikel. Der Begriff wird auch verwendet, um einen Sachverhalt politisch oder moralisch zu skandalisieren, nämlich die Verhältnisse in der Arbeitswelt in der es kaum Sicherheiten gibt. Es entsteht eine neue soziale Gruppe – das Prekariat. Menschen blicken auf die soziale Entwicklung des Lebens durch befristete Beschäftigung, Minijobs, Dauerpraktika und modernes Tagelöhnerwesen. Die Prekarisierung erfasst auch die bisherige Mittelschicht. Die ihr zuzurechnenden Menschen müssen mit dem Widerspruch leben, dass sie trotz hohen Sozialstatus immer schlechtere Arbeitsbedingungen vorfinden. Vom Verlust der Arbeitsplätze waren früher immer die anderen bedroht. Seit der Finanzkrise und im Hinblick auf die staatliche Überschuldung befasst sich zunehmend auch die Mittelschicht mit der Proletarisierung, hat Existenzängste. Die Erwerbsbiografien der „Generation Praktikum“ verläuft in den seltensten Fällen geradlinig.

[47] Anhaltspunkte für die Prekarität einer Beschäftigung sind die Dauer, die Höhe und Kontinuität des Einkommens und die Intensität der sozialen und tariflichen Absicherung des Arbeitnehmers. Allein der Begriff "prekär" deutet schon darauf hin, dass die so bezeichnete Tätigkeit kein Normalzustand sein sollte und dass sie den Menschen Unbehagen zufügt. Die IG Metall übersetzt - 2006 - den Begriff mit "bedenklich, peinlich, unangenehm, unsicher, heikel, schwierig....[...] sowie um etwas bitten müssen, was durch Bitte erlangen. Diese Erläuterung zeigt deutlich, wie problematisch diese Art der Beschäftigung sein kann, da sie Existenzunsicherheit bedeutet, in der sich die Beschäftigten minderwertig fühlen, Siebold, Prekäre Beschäftigungsverhältnisse in deutschen Zeitarbeitsunternehmen: Aufstiegschance oder Armutsfalle? 2012 -- http://www.uni-oldenburg.de/cetro/31251.html.

[48] Der flexible Mensch - Flexibilisierung ist verknüpft mit Fragmentierung von Arbeitsplätzen, ist gewissermaßen das Fragmentierungs-Arsenal des Menschen. Dass sie nicht mehr von einem Arbeitsplatz und Lohn leben können, sondern kombinieren müssen, spielt eben eine große Rolle bei dieser Entstehung von Angst, von Existenzangst. Ich nenne das, dass der Angstrohstoff wächst, ist das eine bedrohliche Gefahr für demokratische Verhältnisse, Oskar Negt, Europa in der Krise, www.innovationsdemokratie.de/.../58/.../Handbuch-Quali2move_D.pdf.

[49] Von wegen Abschalten: Immer mehr Menschen können auch im Urlaub nicht von der Arbeit lassen. Mobiltelefon und Laptop bleiben eingeschaltet - man muss, will ja erreichbar bleiben. Besonders Menschen, deren berufliche Aufgabe nicht strikt vom Privatleben trennen lässt, sollen bewusst Auszeiten nehmen. Das darf auch mal tagsüber an einem normalen Arbeitstag sein. Das hilft die Arbeitsfähigkeit länger aufrechtzuerhalten. Kreative Problemlösungskompetenz erfordert ein hohes Problembewusstsein und Phasen der Entspannung. Nur so können neue Impulse und Ideen entstehen (Mirjam Moll).

[50] Ertragsschwache Arbeitsverhältnisse, Waltermann, a.a.O., S. 70f.

[51] Das erfolgversprechendste Mittel zur Erreichung und Sicherung jeden Wohlstandes ist der Wettbewerb. Er allein führt dazu, dem wirtschaftlichen Fortschritt allen Menschen, im Besonderen in ihrer Funktion als Verbraucher, zugutekommen zu lassen, und alle Vorteile, die nicht unmittelbar aus höherer Leistung resultieren, zur Auflösung zu bringen. Auf dem Wege über den Wettbewerb wird - im besten Sinne des Wortes - eine Sozialisierung des Fortschritts und des Gewinns bewirkt und dazu noch das persönliche Leistungsstreben wachgehalten. Immanenter Bestandteil der Überzeugung, auf solche Art den Wohlstand am besten mehren zu können, ist das Verlangen, allen arbeitenden Menschen nach Maßgabe der fortschreitenden Produktivität auch einen wachsenden Lohn zukommen zu lassen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wichtige Voraussetzungen erfüllt werden. Wir dürfen über dem sich ausweitenden Konsum die Mehrung der Produktivität der Wirtschaft nicht vergessen. Dabei lag am Anfang dieser Wirtschaftspolitik das Schwergewicht auf der Expansion der Wirtschaft, um zunächst einmal das Güterangebot überhaupt zu steigern und auch auf diesem Wege dem Wettbewerb laufend Auftrieb zu geben. Vor allem galt es, der wachsenden Zahl von Arbeitssuchenden Beschäftigungsmöglichkeiten zu eröffnen. De Gefahr einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs droht ständig und von den verschiedensten Seiten her. Es ist darum eine der wichtigsten Aufgaben des auf einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung beruhenden Staates, die Erhaltung des freien Wettbewerbs sicherzustellen. Versagt der Staat auf diesem Felde, dann ist es auch bald um die Soziale Marktwirtschaft geschehen. Dieses hier verkündete Prinzip zwingt dazu, keinem Staatsbürger die Macht einzuräumen, die individuelle Freiheit unterdrücken oder sie namens einer falsch verstandenen Freiheit einschränken zu dürfen. Wohlstand für alle und Wohlstand durch Wettbewerb gehören untrennbar zusammen. Das erste Produkt kennzeichnet das Ziel, das zweite den Weg, der zu diesem Ziel führt, Ludwig Erhard, Wohlstand für Alle, Jubiläumsausgabe 2000, S. 9.

Die volkswirtschaftlich neutrale und autonome Sozialpolitik gehört der Vergangenheit an; sie muss vielmehr einer Sozialpolitik Platz machen, die mit der Wirtschafspolitik aufs engste abgestimmt ist. Die Sozialpolitik darf der volkswirtschaftlichen Produktivität nicht indirekt Abbruch tun und den Grundprinzipien der marktwirtschaftlichen Ordnung nicht widerstreben. Wenn wir überhaupt eine freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung auf Dauer gewährleisten wollen, dann wird es in der Tat zu einem Grunderfordernis, einer Wirtschaftspolitik, die dem Menschen zu persönlicher Freiheit verhelfen will, eine gleichermaßen freiheitliche Sozialpolitik an die Seite zu stellen. Wirtschaftliche Freiheit und totaler Versicherungszwang vertragen sich wie Feuer und Wasser, S. 247. Die Bereitschaft zu freier und eigenverantwortlicher Bewältigung der Lebensrisiken ist notwendige Voraussetzung des Selbständig seins in einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, S. 255.

[52] Die sog. Kleinen Leute im unteren Drittel der deutschen Gesellschaft verliert die Zukunftszuversicht. Die Menschen sind mutlos, voller Furcht vor dem was noch kommen mag. Mit dem Begriff Chance können sie nichts anfangen. Die Chancenlosigkeit wird durch die fehlende Bildung zementiert. Die fehlende Bildung war oft der Selektionshebel im beruflichen und gesellschaftlichen Leben, der sie in die Chancenlosigkeit aufgrund des Nicht-Mithaltekönnens sortierte. Illusionslos sehen sie keine plausible Idee für ein sozial gesichertes Leben in den nächsten Jahrzehnten, vgl. Walter, Spiegel online vom 04.04.2009. Gering oder Falsch qualifizierte Menschen haben trotz wirtschaftlichem Aufschwungs wenig Chancen.

[53] Eine zentrale Ursache für die Prekarisierung der Arbeitswelt ist der steigende Druck auf das Lohnarbeitssystem und damit zusammenhängend die schwindende Macht der Arbeitnehmerschaft. Insbesondere weltmarktorientierte Unternehmen sind zu "kapitalmarktorientierten Steuerungsformen" und einer "straffen Profitorientierung" übergegangen. Damit verbunden ist eine "Verstetigung der Konkurrenz unter den Arbeitenden. Strategische und operative Dezentralisierung ermöglichen teilautonome Segmente in einer stetigen Wettbewerbssituation zu halten. Ein ausgewogenes Verhältnis von zumutbaren Unsicherheiten und notwendigen Sicherheiten ist nicht unbedeutend für ein gelungenes Leben. Wie mit Unsicherheit und diskontinuierlichen Erwerbsläufen umgegangen wird, differiert zwar nach Lebensalter, Geschlecht, Nationalität, Qualifikation und sozialer Herkunft, für alle Menschen gilt aber, dass sie sicherheitsbedürftig sind. An den Sozialpathologien der Depression, des Burn-out oder des "erschöpften Selbst" lässt sich beobachten, dass der "flexible Mensch" überfordert ist, wenn er keinen sicheren Boden unter den Füßen hat. Der menschliche Faktor spielt auch in Zeiten der Kreativwirtschaft und der Dynamisierung der Beschäftigung eine wichtige Rolle. Ein Blick auf die Sozialpathologien zeigt diese Grenzen, die der Flexibilisierung der Arbeitswelt gesetzt sind deutlich auf. Zurück bleibt die Erfahrung der depressiven "Leere". Auch die Marktwirtschaft setzt die Existenz langfristig stabiler Hintergrundbedingungen voraus, die Planungssicherheit und verlässliche Grundlagen der Berechenbarkeit schaffen. Rechtssicherheit auch der immateriellen Sozialbedingungen. Schneider, Der Trend zu prekärer Beschäftigung, Amosinternational 2/2011, S. 19-26 --- http://www.erzbistum.de/media/pfarreien/media16442520.PDF

[54] Rolfs, Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand - Deutsches Arbeits- und Sozialrecht, NZA-Beil. 2010, 139 - seit Anfang 2010 läuft die geförderte Altersteilzeit aus. Das Arbeitskräftepotenzial älterer Arbeitnehmer muss besser aktiviert werden. Das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz sieht im Kern vor, die Regelaltersgrenze (§ 35 SGB VI) vom Jahre 2012 an stufenweise vom 65. auf das 67. Lebensjahr anzuheben. Hiervon betroffen sind – von Vertrauensschutzregelungen, z.B. für Altersteilzeitbeschäftigte, abgesehen – alle Versicherten der Jahrgänge 1947 und jünger. Langjährig Versicherte mit mindestens 35 Versicherungsjahren können mit 63 Jahren in Rente gehen, müssen dann aber einen versicherungsmathematischen Abschlag in Höhe von 0,3% pro Monat (§ 77 Abs. 2 Nr. 2 lit. a SGB VI) – insgesamt also bis zu 14,4% – in Kauf nehmen.

[55] Wir müssen Frauen und Männern die Möglichkeiten geben, die sie zur Entfaltung ihrer Lebensverläufe brauchen: angemessene, qualitativ hochwertige Einrichtungen für die Erziehung und Bildung ihrer Kinder, Flexibilität in der Arbeitsgestaltung über den Lebenslauf hinweg, ein hohes Maß an betrieblichem und gesellschaftlichem Verständnis für ihre familiären Belange, Transparenz bei Beförderungen und Entlohnungen, Allmendinger, Geschlecht als wichtige Kategorie der Sozialstrukturanalyse, APuZ 37-38/2011, S. 3

Der Bürger soll im aktivierenden Sozialstaat befähigt werden, (wieder) aktiv am Markgeschehen teilzuhaben. Der Staat wird nicht mehr als Reparaturbetrieb, sondern als ein befähigter und ermöglichender Staat verstanden, der Vorsorge trifft, damit seine Bürger ein selbstbestimmtes Leben führen können, vgl. Allmendinger, Der Sozialstaat des 21. Jahrhunderts braucht zwei Beine, APuZ 45/2009, 3. Bildung genießt dabei eine herausragende Stellung. Bildungsarmut und der fehlende Zugang zu Wissen sind die zentralen sozialen Risiken in einer wissensbasierten Wirtschaftsgesellschaft. Bildung begründet Hoffnung, vgl. Schwab, Freiheit und Sicherheit, 2014. Wahrgenommene Bildungschancen fördern den gesellschaftlichen und materiellen Aufstieg; sie sind auch ein Rezept für eine durchlässige Gesellschaft und gegen Ungerechtigkeit.

Ende der Leseprobe aus 136 Seiten

Details

Titel
Normalarbeitsverhältnis oder Prekariat
Untertitel
Der gesetzliche Mindestlohn als sozialer Fortschritt oder als Sargnagel der Tarifautonomie?
Hochschule
Duale Hochschule Baden-Württemberg Mannheim, früher: Berufsakademie Mannheim  (Forschungsinstitut FOI)
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
136
Katalognummer
V281730
ISBN (eBook)
9783656759829
ISBN (Buch)
9783656759812
Dateigröße
1389 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tarifautonomie, Koalitionsfreiheit, prekäre Arbeitsverhältnisse, Menschenwürdiger Lohn, Menschenwürde, Arbeitsrecht, Sozialpartnerschaft, Assoziative Selbsthilfe, Innovationen, Industrie 4.0, Stress am Arbeitsplatz, Befristung von Arbeitsverhältnissen, Europarechtliche Grenzen der Kettenbefristung, Mindestlohn, Tarifeinheit, Normalarbeitsverhältnis, Atypisches Arbeitsverhältnis, Prekariat, Sozialstaat
Arbeit zitieren
Prof. Dr. Dr. Assessor jur., Mag. rer. publ. Siegfried Schwab (Autor:in), 2014, Normalarbeitsverhältnis oder Prekariat, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/281730

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