Märchenhaftes Frauenbild. Welche Bezüge bestehen zwischen den Figuren der Gebrüder Grimm und der Frau des 19. Jahrhunderts?


Akademische Arbeit, 2008

15 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Das Märchen – Ein Spiegelbild der Wirklichkeit ?

2 Die Rolle der Frau um 1800 bis zur Mitte des 19. Jhs.

3 Zum Frauenbild in den KHM der Brüder Grimm

Literaturverzeichnis (inklusive weiterführender Literatur)

Einleitung

„Nein, es sind rätselvolle Tatsachen, die Frauen – so wenig neu es ist, so wenig kann man ablassen, davor zu stehen und zu staunen“ – sagt der Dichter Spinell in Thomas Manns Novelle Tristan.“[1]

„Eine der kompliziertesten, unausdeutbarsten, aber zweifellos auch reizvollsten Erscheinungen auf dieser Welt ist die Frau.“[2]

Diese und andere Aussagen versuchen das Wesen der Frau zu beschreiben. Nicht nur die gesellschaftliche Sitte weist ihr einen bevorzugten Platz zu, sondern auch in der Kunst und der Literatur nimmt die Frau eine zentrale Stellung ein. Es ist kein Zufall, dass die weiblichen Gestalten auch im Märchen eine bedeutsame Rolle spielen.

In den meisten Erzählungen, in denen weibliche Helden auftreten, wird eine Auseinandersetzung der Protagonistinnen mit boshaften und gefährlichen Gegenspielern thematisiert. Allerdings sind die Repräsentanten der dunklen Mächte auch vorwiegend weiblich, was zu einer Art Frauenkampf führt.

Da die zwei Märchenbände der Gebrüder Grimm auch für Kinder gedacht waren, sollten die darin vorkommenden Personen als Vorbilder für die kleinen Leser dienen. Aus diesem Grund wurden die bösen Gegenspieler und somit auf eine abstrakte Weise auch alle negativen Eigenschaften und Fähigkeiten, die sie verkörpern, gerecht bestraft und besiegt. Die guten Gestalten wurden schließlich für ihre Leiden oder bemerkenswerten Heldentaten mit endlosem Glück belohnt. Nicht nur damals, auch heute erkennen sich noch viele Mädchen und junge Frauen in einigen Charakteren oder Verhaltensweisen der Märchenheldinnen wieder.

Doch wie realistisch ist das Märchenbild der Frau tatsächlich?

Im Folgenden soll eine Verbindung zwischen den Frauenfiguren in den Kinder- und Hausmärchen und der Situation der Frau im 19. Jahrhundert soll hergestellt werden. Es soll herausgefunden werden, ob die Märchen der Brüder Grimm tatsächlich ein Spiegelbild einer patriarchalischen Gesellschaft waren und deren weibliche Gestalten dem Frauenbild dieser Zeit entsprachen. Die Beantwortung dieser Fragen setzt die Auseinandersetzung mit den geschichtlichen Hintergründen voraus. Aus diesem Grund werden im Folgenden die Kinder- und Hausmärchen in einen ideen- und sozialgeschichtlichen Kontext eingeordnet und kontextbezogen erforscht.[3]

1 Das Märchen – Ein Spiegelbild der Wirklichkeit ?

Die diesem Kapitel zugrunde liegende Annahme ist, dass die Erzählungen aus der Sammlung ʺKinder- und Hausmärchenʺ als „Träger gleichzeitig von vergangener und gegenwärtiger Wirklichkeit“[4] betrachtet werden können. Es steht zwar fest, dass das Märchen eine phantastische Geschichte ist, die keinen direkten Bezug auf historische Ereignisse oder Personen nimmt. Aber die Tatsache, dass es wegen seiner mündlichen Überlieferung und freie Erfindung von den Wertvorstellungen seiner Zeit beeinflusst wurde, ist unumstritten.

Seit die vergleichende Völkerkunde sich mit den Märchen beschäftigte, ist man auf die Verwandtschaft gewisser Märchenthemen mit Vorstellungen, Riten und Sitten mancher Naturvölker, aber auch mit Bräuchen der Kulturvölker aufmerksam geworden; ferner hat man die Beobachtung gemacht, daß das Märchen dort, wo es noch lebendiges mündliches Volksgut ist, sich in seinem Gewande bis zu einem bestimmten Grad dem Ort und der Zeit des Erzählens angepaßt […], gleichzeitig aber doch auch Elemente früherer Epochen und ferner Zonen bewahren kann […] und daß es neben phantastischen Elementen ein schönes Maß von Alltagsgut, Alltagstun enthält […].[5]

Wenn man heute Wunder- und Zaubermärchen liest, distanziert man sich gedanklich von der realen Welt. Die Märchenhandlung erscheint uns als phantastisch und unmöglich, „[…]weil wir die Wirklichkeit der Erzähler oder ihrer Vorfahren nicht mehr kennen und vor allem nicht mehr als Wirklichkeit anerkennen“[6]. Einige der Ereignisse, die in diesen Erzählungen geschildert sind, entsprachen aber zum großen Teil dem damaligen Alltag der Menschen. Hier sind nicht die sprechenden Tiere oder die übernatürlichen Kräfte der Helden gemeint, sondern die dargestellten Sitten und Gebräuche, die moralischen Kriterien und die kleinen Dinge des Lebens, wie z. B. die gekochten Speisen oder die von den Protagonisten bevorzugten Anziehsachen. In den KHM spiegelt sich sogar die heimische Natur wider. „Der Wald ist zwar keine ausschließliche Besonderheit der deutschen Landschaft, doch hat er in keinem Märchenschatz eines anderen Volkes eine so wesentliche Funktion wie im deutschen.“[7]

Lutz Röhrich vertritt die Ansicht, dass die menschliche Welt und alles, was zu ihr gehört, diesen Erzählungen nicht fremd sei. „Das Märchen tut alles, um die Wirklichkeit nicht zu weit zu verlassen.“[8] Im Mittelpunkt der Handlung steht deswegen der Mensch und nicht ein Jenseitiger.

Wenn man die Frage nach dem Wirklichkeitsgehalt der Märchen beantworten will, muss man die geschichtlichen Ereignisse berücksichtigen. So sind z. B. die zauberkundigen Hexen keine Phantasievorstellung der Märchenerzähler gewesen, sondern reale Wesen, die wegen ihrer angeblich bösen Taten verfolgt und verurteilt wurden. „Die Regelstrafe für Hexerei war wegen des häretischen Kontexts das Verbrennen auf dem Scheiterhaufen, wo mehr als 100.000 Verfolgungsopfer ihr Leben ließen.“[9] Ihre übernatürlichen Kräfte und ihr Aussehen wurden zwar übertrieben in den Erzählungen dargestellt, aber deren Existenz wurde nicht erfunden. Man könnte also annehmen, dass das Märchen „[…]auch eine kulturgeschichtliche Auskunft über tatsächliche Vorgänge gebe“[10].

Dieser Meinung waren auch die Brüder Grimm, die „[…] in den archaischen Motiven tradierter Texte […]Relikte früherer Zustände und Weltsicht sahen […]“[11]. Sie sammelten und bearbeiteten die Erzählungen und glaubten daran, Zeugnisse der Menschheitsgeschichte gefunden zu haben, da nicht einzelne Dichter, sondern ein ganzes Volk sie gedichtet habe.

Die aufgestellte Hypothese, dass die Kinder- und Hausmärchen Wirklichkeitselemente enthalten, kann „[…] je nach kulturellem Kontext und subjektiver Auffassung unterschiedlich wahrgenommen […] werden“[12]. Wenn man aber davon ausgeht, kann man diese Erzählungen als eine Art Spiegelbild der historischen und sozialen Begebenheiten bezeichnen. Obwohl in deren Welt das Wunderbare und Übernatürliche als etwas Alltägliches erscheint, bleiben die Märchen „noch irgendwie mit der Wirklichkeit verbunden“[13].

Eine weitere theoretische Grundannahme, die für diese Untersuchung ebenfalls von Bedeutung wäre, ist, die mögliche Erklärung für die Darstellungsweise und Charakterisierung der weiblichen Märchenfiguren in den geschichtlichen Hintergründen zu suchen.

2 Die Rolle der Frau um 1800 bis zur Mitte des 19. Jhs.

Wenn man mehr über das Wesen der weiblichen Märchenfiguren erfahren möchte, scheint es sinnvoller zu sein, deren Vorbilder und Quellen zu untersuchen. Laut Lutz Röhrichs Auffassung entsprechen die Frauenfiguren in den KHM „weitgehend dem Frauenbild des 19. Jahrhunderts“[14]. Um genauer darauf eingehen zu können, was damit gemeint ist, ist es notwendig, sich mit der eigentlichen Natur der Frauen dieses Zeitalters zu befassen.

Die Märchensammlung der Brüder Grimm historisch in die Epoche der Romantik einordnen. Da viele der Erzählerinnen gebildete junge Frauen waren, die aus bürgerlichen Kreisen stammten, sind die Märchen als „eine Schöpfung des Bildungsbürgertums“[15] zu bezeichnen.

Diese Epoche zeichnete sich nicht nur durch neue Kunst- und Literaturbewegungen, sondern auch durch eine fortschrittliche Denkweise, was die Rolle der Frau in der Gesellschaft betraf, aus. Es ermöglichte den Damen aus gehobenen Schichten „[…] eine gewisse Unabhängigkeit und Frische, ein Mut zum Unkonventionellen, wenn es um die Verwirklichung der eigenen Lebensideale ging“[16]. Die bis dahin dominierende Männerwelt akzeptierte die Existenz schreibender Frauen, Malerinnen, Musikerinnen und Wissenschaftlerinnen, die sogar erfolgreich in ihrer eigenen Szene waren.

Die Geschlechterrollen waren aber in den Vorstellungen der Gesellschaft zu fest verankert. „Es war eine patriarchalosche Kultur, in der die Frauen und Kinder, wie in allen patriarchalischen Kulturen, ein Randdasein führten.“[17] Es gab weder Frauen im Öffentlichkeitsbereich noch in der Politik. Der weiblichen Bevölkerung standen die häuslichen Aufgaben und die Erziehung der Kinder zu. Obwohl es einigen Frauen gelang, eine bessere Stellung in der Gesellschaft einzunehmen, gab es auch viele, die sich nicht von ihrer Rolle „als Gefährtin und Geliebte des Mannes“[18] lösen wollten. Sie gaben sich damit zufrieden, ein dem Ehepartner unterstelltes Wesen zu sein.

Auch auf der emotionalen Ebene waren die Frauen unterdrückt und eingeschränkt. „Die Ehe war keine aus Neigung geschlossene monogame Verbindung […]“[19], sondern eine Entscheidung des Mannes, die sie nicht beeinflussen konnten. Deren Wünsche und Gefühle standen nicht im Vordergrund, sondern die wirtschaftlichen Motive.

Die Heirat ist ein sehr wichtiger Vorgang im Patriarchat. Sie übergibt die Frau aus der Vormundschaft des Vaters in diejenige des Ehemannes. Die Frau ist eigentlich Privateigentum erst des Vaters, dann des Ehemannes.[20]

Wenn man aus heutiger Sicht eine solche Eheschließung betrachtet, erscheint sie sogar als eine Art skrupelloses Geschäft, wobei die Frau der verkaufte Gegenstand ist. Die weibliche Rolle zeichnete sich durch eine passive Abhängigkeit von der Männerwelt aus, die zum großen Teil ihr Leben vorbestimmte. „In allen sozialen Schichten lebten die Frauen weniger als individuelle Personen als vielmehr in eingeübten und tradierten Beziehungssystemen zu Eltern, Ehemann, Familie und Kindern.“[21]

Einerseits wurde von den Frauen in bestimmten Situationen passives Verhalten erwartet, andererseits sollten sie in dem häuslichen Bereich aktiv und tüchtig sein. „Was mit alldem von der Frau gefordert war, war keineswegs die Verwirklichung eines rein weiblichen Lebensideals – sondern es war die reinere Verwirklichung des romantischen Lebensideals überhaupt.“[22] Der Mann war derjenige, der inspiriert werden sollte und für die Heldentaten zuständig war. Die Frau durfte schöpferisch sein und sogar mit eigenen Leistungen hervortreten, aber ihre eigentlich vorgelegte Bestimmung war, vor allem Ehefrau, Mutter und Hausfrau zu sein. Es wurden von ihr Spinnen, Weben und Näharbeiten verlangt, sie sollte zugleich auch wunderschön und gut erzogen sein und natürlich sich passiv ihrem Ehegatten gegenüber verhalten.

[...]


[1] Rölleke, Heinz: Die Märchen der Brüder Grimm. Quellen und Studien. Gesammelte Aufsätze. Band 50, Wissenschaftlicher Verlag, Trier 2000, S.196

[2] Vgl. ebd., S. 196

[3] Tepe, Peter: Kognitive Hermeneutik. Textinterpretation ist als Erfahrungswissenschaft möglich. Verlag Königshausen & Neumann GmbH, Würzburg, 2007, S. 191

[4] Lüthi, Max: Märchen. 10. aktualisierte Auflage, Bearbeitet von Hainz Rölleke, Verlag J.B. Metzler, Stuttgart, Weimar, April 2004, S. 115

[5] Vgl. ebd., S. 115

[6] Müller, Elisabeth: Das Bild der Frau im Märchen. Analysen und erzieherische Betrachtungen. Profil-Verlag, München, 1986, S. 37

[7] Röhrich, Lutz: Märchen und Wirklichkeit. 3. Auflage, Franz Steiner Verlag GmbH, Wiesbaden, 1974, S. 201

[8] Lüthi, Max: Märchen. S. 115

[9] Becks, Jürgen / Bongers, Claudia [Hrsg.]: Frauenbilder. Eine Auswahl aus den Beständen des Städtischen Museums Wesel. Copyright bei den Autoren und der Stadt Wesel, Wesel, 2004, S. 12

[10] Müller, Elisabeth: Das Bild der Frau im Märchen. Analysen und erzieherische Betrachtungen. S. 37

[11] Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung., Band 11, Artikel: ʹ Realitätsbezüge ʹ, S. 388

[12] Vgl. ebd., S. 387

[13] Vgl. ebd., S. 388

[14] Röhrich, Lutz: Das Bild der Frau im Märchen und im Volkslied. In: Das selbstverständliche Wunder. S. 85

[15] Müller, Elisabeth: Das Bild der Frau im Märchen. Analysen und erzieherische Betrachtungen. Profil-Verlag, München, 1986, S. 18

[16] Weber-Kellermann, Ingeborg: Frauenleben im 19. Jahrhundert. Empire und Romantik, Biedermeier, Gründerzeit. Verlag C. H. Beck, München, 1983, S. 34

[17] Müller, Elisabeth: Das Bild der Frau im Märchen. Analysen und erzieherische Betrachtungen. S. 19

[18] Gößmann, Elisabeth: Das Bild der Frau heute. Haus der Katholischen Frauen GmbH, Verlagsabteilung Düsseldorf, 1962, S. 12

[19] Becks, Jürgen / Bongers, Claudia [Hrsg.]: Frauenbilder. Eine Auswahl aus den Beständen des Städtischen Museums Wesel. Copyright bei den Autoren und der Stadt Wesel, Wesel, 2004, S. 10

[20] Müller, Elisabeth: Das Bild der Frau im Märchen. Analysen und erzieherische Betrachtungen. S. 103

[21] Weber-Kellermann, Ingeborg: Frauenleben im 19. Jahrhundert. Empire und Romantik, Biedermeier, Gründerzeit. Verlag C. H. Beck, München, 1983, S. 230

[22] Susman, Margarete: Frauen der Romantik. Joseph Melzer Verlag, Köln, 1960, S. 174

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Märchenhaftes Frauenbild. Welche Bezüge bestehen zwischen den Figuren der Gebrüder Grimm und der Frau des 19. Jahrhunderts?
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Philosophische Fakultät)
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
15
Katalognummer
V281569
ISBN (eBook)
9783656754534
ISBN (Buch)
9783656856399
Dateigröße
496 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
märchenhaftes, frauenbild, welche, bezüge, figuren, gebrüder, grimm, frau, jahrhunderts
Arbeit zitieren
Michaela Dimova (Autor:in), 2008, Märchenhaftes Frauenbild. Welche Bezüge bestehen zwischen den Figuren der Gebrüder Grimm und der Frau des 19. Jahrhunderts?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/281569

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