Förderung der Schriftsprache im Kindergarten

Möglichkeiten und Grenzen - aufgezeigt anhand einschlägiger Konzepte


Zwischenprüfungsarbeit, 2014

37 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitende Vorbemerkungen
1.1 Der Pisa Schock

2. Erwerb der Schriftsprache
2.1 Modellvorstellungen zum Schriftspracherwerb
2.2 Das Drei-Phasen-Modell des Schriftspracherwerbs nach Frith 1985
2.3 Das Fünf-Stufen-Modell des Schriftspracherwerbs von Günther (1986)
2.4 Synthese
2.5 Das theoretische Konstrukt der phonologischen Bewusstheit

3. Fördermöglichkeiten des Schriftspracherwerbs im Kindergarten
3.1 Bielefelder Screening zur Früherkennung von Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten (BISC)
3.1.1 Entstehungshintergründe
3.1.2 Theoretische Fundierung
3.1.3 Testaufbau und Durchführung
3.1.4 Auswertung
3.1.5 Gütekriterien
3.1.6 Kritik zum BISC
3.2 Hören, Lauschen, Lernen 1 – Sprachspiele für Kinder im Kindergarten. Würzburger Trainingsprogramm zur Vorbereitung auf den Erwerb der Schriftsprache
3.2.1 Entstehungshintergründe
3.2.2 Theoretische Fundierung
3.2.3 Aufbau und Durchführung
3.2.4 Gütekriterien
3.2.5 Kritik zum Würzburger Trainingsprogramm
3.2 Fördermöglichkeiten im pädagogischen Alltagshandeln: Literacy-Erziehung

4. Fazit und Ausblick

5. Literaturverzeichnis

6. Abbildungsverzeichnis

1. Einleitende Vorbemerkungen

Diese Arbeit widmet sich dem Thema der Fördermöglichkeiten und -grenzen des Schriftspracherwerbs im Kindergarten. Zunächst werden im ersten Kapitel in einem Rückblick einleitend die Entwicklungslinien der Frühpädagogik seit dem PISA-Schock im Jahr 2001 skizziert. Dann werden im zweiten Kapitel Modellvorstellungen zum Schriftspracherwerb erläutert. In diesem Zusammenhang werden zwei allgemein anerkannte Modelle, das Drei-Phasen-Modell von Utah Frith und das Stufenmodell von Günther, vorgestellt.

Im Anschluss daran wird ergänzend auf das theoretische Konstrukt der „phonologischen Bewusstheit“ eingegangen, da dieses Konstrukt wesentlicher Bestandteil der zeitgenössischen Schriftspracherwerbsforschung ist und war.

Passend dazu werden in Kapitel drei mit dem Sprachstandsdiagnoseverfahren Bielefelder Screening zur Früherkennung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten (BISC) und dem Förderprogramm Würzburger Trainingsprogramm „Lauschen, lernen, hören“ 2 Konzepte ausführlich vorgestellt, die sich beide an dem Konstrukt der Phonologischen Bewusstheit orientieren. Dazu werden die beiden Konzepte ausführlich vorgestellt und abschließend einer kritischen Bewertung unterzogen.

Des Weiteren wird im dritten Kapitel auf Fördermöglichkeiten des Schriftspracherwerbs im pädagogischen Alltag eingegangen.

Im abschließenden Kapitel werden, ausgehend vom Status Quo, wünschenswerte Idealziele im Sinne eines Ausblicks formuliert.

Ein formaler Hinweis: In dieser Arbeit wird das generische Maskulinum verwendet, soweit keine geschlechtsneutrale Bezeichnung gefunden werden kann.

1.1 Der PISA-Schock

Im Jahr 2000 wurde von der Organization for Economic Co-operation and Development ( OECD), deutsch: Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) mit der PISA-Studie (Programme for International Student Assessment) die bis dato größte, internationale Schulleistungsstudie durchgeführt.

In dieser ersten Studie wurden im Wesentlichen Schulleistungen in drei Sachgebieten erhoben: Naturwissenschaften, Mathematik und Lesekompetenz. Die Studie wird seit dem Jahr 2000 regelmäßig alle drei Jahre mit wechselndem Schwerpunkt je Durchführung erhoben. In dieser ersten Studie wurde schwerpunktmäßig die Lesekompetenz getestet.

Die OECD definiert Lesekompetenz als

„[…] die Fähigkeit, geschriebene Texte unterschiedlicher Art in ihren Aussagen, ihren Absichten und ihrer formalen Struktur zu verstehen und in einen größeren Zusammenhang einordnen zu können, sowie in der Lage zu sein, Texte für verschiedene Zwecke sachgerecht zu nutzen.“[1].

Die Lesekompetenz wird anhand von festgelegten Stufen gemessen.

Die höchste Stufe ist die „Expertenstufe“ (V). Sie erfordert vollständiges, „textbezogenes Interpretieren“ von mit komplexen Informationen angereicherten Texten, sowie kritisches und Hypothesen bildendes „Reflektieren und Bewerten“ von Texten. Kompetenzstufe IV fordert detailliertes Verständnis von komplexen Texten. Kompetenzstufe III beinhaltet die Anforderung, Informationen im Text zu erkennen, zu ermitteln und Beziehungen zwischen diesen herzustellen.

Darauf folgt die Kompetenzstufe II. Erreichen Schüler und Schülerinnen (SuS) diese Stufe sollen sie mindestens in der Lage sein, einfache Verknüpfungen im Text herzustellen. Die unterste Stufe I ist die „Elementarstufe“. Hier ist das Interpretieren von Texten, deren Informationen aufgrund zahlreicher Redundanzen und einfacher Textstruktur leicht zu erfassen sind, Mindestmaß.[2]

Die Ergebnisse für die deutschen SuS fielen wesentlich schlechter aus als erwartet. Die getesteten Schüler und Schülerinnen (SuS) der Bundesrepublik erzielten im Bereich der Lesekompetenz ein unerwartet schlechtes Abschneiden und landeten unter dem Durchschnitt aller 32 beteiligten Staaten auf dem 22. Platz.

In den anderen Bereichen fielen die Ergebnisse nicht viel besser aus; in Naturwissenschaften und Mathematik belegte die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit jeweils Rang 21 eine ähnlich schlechte Platzierung.[3]

Ein weiteres, auffälliges Merkmal bei den Ergebnissen war der Umstand, dass die Leistungsstreuung in der PISA-Studie von 2000 auffällig breit war. Das heißt, dass der Abstand zwischen den besten und den schlechtesten SuS größer war, als in allen anderen teilnehmenden Staaten.

Darüber hinaus wurde ermittelt, dass fast ein Viertel (23%) aller SuS unzureichende (Unter Kompetenzstufe I: 10%) oder nur elementare Lesefähigkeiten besaß (Kompetenzstufe I: 13%).[4] Ursächlich für das schlechte Abschneiden wurden im Zuge der Auswertung der Studie diverse Faktoren identifiziert (um im Bezug zur Thematik zu bleiben, werden nur die m. E. in dieser Hinsicht relevanten Ergebnisse kurz skizziert; Anm. d. Verf.).

Zum einen schienen die Lehrkräfte nicht kompetent, die Kinder mit schwachen schriftsprachlichen Fähigkeiten zu erkennen: Nur 15% der sogenannten Risikokinder wurden im Vorfeld von den Lehrkräften im Sekundarbereich I mit Hauptschulbildungsgang als solche identifiziert.[5]

Allem Anschein nach waren deutsche Lehrkräfte nur unzureichend ausgebildet hinsichtlich der Vermittlung von Lesekompetenz sowie der Identifizierung von problematischen Erwerbsverläufen der Schriftsprache.

Zum anderen wurde in Deutschland eine mit 42% im Vergleich recht hohe Leseunlust konstatiert.[6] Dies ist m.E. hinsichtlich der Förderung der Schriftsprache im Vorschulbereich ein wichtiges Ergebnis, da hier schon ein grundlegender Hinweis darauf gegeben war, dass der Ansatz eines Förderprogramms den Aspekt der (Förderung der) Lesemotivation in seine Gesamtkonzeption mit einfließen lassen sollte.

Neben der schulischen Leistung gibt die Studie ebenso Auskunft über Chancen(un)gleichheiten (sozioökonomischer und familiärer Hintergrund, geschlechtsspezifische Unterschiede). Hier wurden insbesondere im Hinblick auf Kinder mit Migrationsbiografien deutlich, dass in Deutschland der schulische Erfolg oder Misserfolg wesentlich stärker von der ethnischen und/oder der sozio-ökonomischen Herkunft abhängt, als damals angenommen. Ebenso wird im Zuge dessen erstmals ein Bezug zwischen schlechter Leseleistung und dem schlechten Abschneiden in den anderen Bereichen erkannt.[7]

Die Folge war das, was Rückblickend heute als PISA-Schock bezeichnet wird. Im Kern ist damit gemeint, dass gerade die Bundesrepublik Deutschland, welche sich als tradierte – soziale (!) – Kulturnation versteht (Land der Dichter und Denker), in einem wesentlichen Teil ihres Selbstverständnisses getroffen sah.

Entsprechend heftig waren damit die Reaktionen in der Gesamtgesellschaft, in den Medien und wissenschaftlichen Fachwelt, sodass sich die Politik zum Handeln gezwungen sah.[8]

Die erste PISA-Studie und ihre verheerenden Ergebnisse waren somit der Anstoß, sich auch auf der Ebene der Bildungspolitik Themen zu widmen, die bis dahin vernachlässigt wurden. Daher fiel schnell der Blick auf den vorschulischen Bereich. Neben der PISA-Studie waren hier neueste Forschungserkenntnisse zum Zusammenhang von Sprache und Bildung sowie aus der Kognitionsbiologie und der Entwicklungsbiologie nachgewiesen, die es in die Praxis umzusetzen galt. Dadurch rückte der vorschulische Bereich in den Mittelpunkt, da offensichtlich schien, dass die SuS bereits vor Schuleintritt unzureichend gefördert wurden.

Die erste, im Hinblick auf die Frühpädagogik erwähnenswerte, Reaktion erfolgte am 06.12.2001 per Pressemitteilung seitens der Kultusministerkonferenz (KMK), in welchem ein Handlungskatalog aufgeführt wurde.

Dieser Katalog enthält sieben Handlungsfelder, in welchen die KMK nach Analyse der schlechten PISA-Ergebnisse dringenden Handlungsbedarf sah. Unter anderem sind als erster Punkt „[…] Maßnahmen zur Verbesserung der Sprachkompetenz bereits im vorschulischen Bereich […] “ sowie an zweiter Stelle eine „[…] bessere Verzahnung von Vor- und Grundschule […]“[9] aufgeführt. In den folgenden Jahren wurden die Curricula erneuert, es wurden Bildungsstandards formuliert, welche die alten Lehrpläne im Schulbereich ersetzten. Im Zuge dessen wird nach einem Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 03./04.06.2004 der Gemeinsame Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen[10] verabschiedet.

Hier sind erstmals sechs Bildungsbereiche für den Kindergarten definiert: Sprache, Schrift, Kommunikation; Personale und soziale Entwicklung; Werteerziehung/religiöse Bildung; Mathematik, Naturwissenschaft, (Informations-) Technik; Musische Bildung/Umgang mit Medien; Körper, Bewegung, Gesundheit sowie Natur und kulturelle Umwelten.

Hier wird unter dem ersten Punkt zur Sprache der Begriff Literacy aufgeführt: „ Zentraler Bestandteil sprachlicher Bildung sind kindliche Erfahrungen rund um Buch-, Erzähl- und Schriftkultur (Literacy).“[11] (Auf den Begriff der Literacy wird im Folgenden noch ausführlicher eingegangen. Anm. d. Verf.) Er berücksichtigt des Weiteren den Grundsatz der ganzheitlichen Förderung, Bildung und Erziehung als wechselseitiges und einheitliches Geschehen, formuliert die Rolle des Elternhauses und der Fachkräfte sowie pädagogische Grundprinzipien.[12]

In den einzelnen Bundesländern folgen alsbald eigene Rahmenpläne, die heute aufgrund des Prinzips des Bildungsföderalismus unterschiedlich stark ausdifferenziert sind.

Zudem geht seit dem PISA-Schock in der Schule, und durch die angestrebte Vereinfachung der Übergänge somit auch im Kindergarten, der Blick von einer inputorientierten Sichtweise (was den Lernenden vermittelt werden soll) hin zu einer Orientierung auf den Output (was die Lernenden beherrschen sollen). Diese Outputorientierung soll mittels des Begriffs Kompetenz [13] greifbar und messbar gemacht werden. Durch diesen Begriff richtet sich der Fokus nicht mehr auf fachspezifisches „träges“ Wissen, sondern vielmehr auf verallgemeinerbares, also fächerübergreifendes und problemorientiertes Anwendungswissen sowie die Motivation, Aufgaben lösen zu wollen. Gerade um dieses Ziel zu erreichen, ist eines unerlässlich, die Beherrschung dessen, was nun Literacy[14] genannt wird: erfolgreiche Informationsverarbeitung, kurzum Lesen und Schreiben.[15]

Die Bedeutungssteigerung ergibt sich somit zum einen aus den verheerenden Ergebnissen der PISA-Studie 2000 und zum anderen aus der Erkenntnis, dass Literacy als Schlüssel zu dem neu definierten, übergeordneten Lernziel, nämlich eigenverantwortlich Probleme erkennen und lösen zu können, fungiert.

Es folgten unter den genannten Eindrücken und weiterer schlechter Testergebnisse im Sprachlichen Bereich wie beispielsweise in der IGLU-Studie[16] und der Tatsache, dass europäische Nachbarländer bereits zuvor den Fokus auf die Vorschulzeit gelegt und Bildungspläne verabschiedet hatten, Investitionen in Maßnahmen zur Förderung der (Schrift-) Sprache im vorschulischen Bereich.

Dies schlägt sich unter anderem in breit angelegter, empirischer Forschung und Entwicklung, Erprobung oder gar Ersetzung von diversen sprachdiagnostischen Verfahren und Förder­programmen für den Kindergarten/die Grundschule nieder, welche durch die öffentliche Hand finanziert wurden und weiterhin werden. Das hat zur Folge, dass auf der Ebene der Bundesländer im Bereich der frühpädagogischen Sprachförderung etablierte Programme in Frage gestellt bzw. ersetzt werden, wie beispielsweise in Berlin, wo im Jahr 2004 das in der Kritik stehende Bärenstark durch DeutschPLUS ersetzt wurde.[17] Oder es kommt zu einer innovativen Haltung und neue Sprachdiagnoseverfahren werden wissenschaftlich basiert entwickelt und implementiert, wie unter anderem im Jahr 2007 in Nordrhein-Westfalen das Programm DELFIN 4[18].[19]

Zum anderen bringt die Finanzierung durch öffentliche Mittel auch die Notwendigkeit der Evaluation und Überprüfung der Effektivität und Effizienz der Verfahren und Programme mit sich.

2. Erwerb der Schriftsprache

„Der Schriftspracherwerb ist als mehrstufiger Entwicklungsprozess anzusehen, in dem Kinder nach und nach die verschiedenen der deutschen Schriftsprache vorwiegende eigenaktiv erwerben.“[20]

Der Schriftspracherwerb ist also eine dynamische und nicht immer gleich ablaufende Fortentwicklung. Der Begriff der Schriftsprache bzw. des Schriftspracherwerbs findet sich erst seit 1976[21] in der wissenschaftlichen Diskussion.

Zuvor waren Schreiben und Lesen als zwei separat zu betrachtende Lerngegenstände betrachtet worden, welche sich additiv bedingen.

2.1 Modellvorstellungen zum Schriftspracherwerb

Im Folgenden wird grob die Entwicklung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes skizziert. Im Anschluss werden zwei anerkannte Modelle zum Verlauf des Schriftspracherwerbs vorgestellt.

Coltheart entwickelte 1978 eines der ersten Modelle zum Ablauf des Leseprozesses: das Zwei-Wege-Modell. Es soll nach Coltheart einen direkten und einen indirekten Weg geben. Der direkte Weg wird von erfahrenen Lesern bei bekanntem Wortmaterial genutzt, welche hierbei den Zugriff auf ein orthografisches Lexikon nutzen sollen, in welchem Bedeutung und Aussprache abgespeichert seien. Phonologische Aspekte sind hier ausgeklammert. Der indirekte Weg werde nach Coltheart bei unbekanntem Text via Identifizierung richtiger Graphem-Phonem-Korrespondenzen beschritten. Dieses Modell ist aus verschiedenen Gründen in die Kritik geraten, nicht zuletzt aufgrund der fehlenden phonologischen Aspekte beim direkten Weg wird diesem Modell unter anderem eine verkürzte Sichtweise auf den Leseprozess unterstellt und gilt heutzutage allgemein als überholt. Daher werde ich auf weitere detaillierte Ausführungen verzichten.

Daraufhin ist als nächstes bekanntes Modell zum Schriftspracherwerb das Drei-Stufen-Modell von Uta Frith aus dem Jahr 1985 zu nennen. Dieses Modell ist mittlerweile das bekannteste und soll daher im Folgenden etwas ausführlicher dargestellt werden.

2.2 Das Drei-Phasen-Modell von Frith

Nach der Entwicklungspsychologin Utah Frith (1985) sind drei Stufen des Schriftspracherwerbs, jeweils für den Erwerb von Lesekompetenz (genannt: Phasen) und für den Erwerb von Schreibkompetenz (genannt: Strategien) einzuteilen. Zunächst kommt die logografische/logographemische Stufe, darauf folgt die alphabetische Stufe und zuletzt kommt die orthographische Stufe. Die Stufen beschreiben einen durch die Art und Weise des Gebrauchs der Schriftsprache differenzierten Lernprozess. Diese Stufen werden, so die Annahme, vom Kind sowohl beim Schreibenlernen wie auch beim Lesenlernen im Sinne eines linear ablaufenden Kompetenzzuwachses durchlaufen. Dabei bedingen sich Schreiben und Lesen wechselseitig. Die Linearität gilt jedoch nicht für den Aufstieg in eine nächste Entwicklungsstufe, dieser kann durchaus in seiner Abfolge wechseln.

Die folgende Grafik verdeutlicht den Zusammenhang:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Entwicklungsstufen des Schriftspracherwerbs nach Frith (1985)

Die logografische Stufe beginnt nach Frith (1985) mit dem Lesen des Kindes und wird beim Lesen entwickelt. Am Anfang dieser ersten Stufe werden erste, meist für die Kinder hoch emotional (situativ) konnotierte oder häufig vorkommende, Wörter (wieder-) erkannt. Das können charakteristische Merkmale eines Wortes (Firmenlogos) oder auswendig gelernte Buchstaben sein. Dies geschieht nach Frith via eindeutiger, optischer Erkennungszeichen. Die Kinder können also eine Bedeutung einer Graphemfolge zuordnen. Die dazugehörige Lautfolge wird noch nicht erkannt. Nach Schründer-Lenzen ist die look-and-Say-Strategie hier typisch: Das Kind meint ein Wort erkannt zu haben und sagt unvermittelt das Wort, um bestätigt zu werden oder korrigiert zu werden. Neue Wörter lassen sich auf diese Weise nicht lesen, lediglich das, was visuell im Gedächtnis mit einer Bedeutung verknüpft ist, kann benannt werden. Daher wird diese Strategie verworfen, sobald das visuelle Gedächtnis ausgereizt ist.[22]

Ähnlich ist dies auch mit dem logografischen/logographemischen Schreiben. Hier werden allenfalls Buchstaben gemalt (semasiografische/symbolische Darstellung), jedoch wird noch nicht geschrieben (glottografische Darstellung). Häufig werden also Wortbilder dargestellt, es kommt zu Buchstabenvertauschungen und -auslassungen.

In der alphabetischen Stufe erlernt das Kind nach Frith über das Schreiben das phonologische Rekodieren, die Umsetzung geschriebener in gesprochene Sprache. Zunächst liest das Kind phonographisch, und beginnt demnach phonografisch zu schreiben.

Da diese Art des Schreibens die Nachteile sehr deutlich macht, da das Geschriebene für den Leser oft nicht erkennbar ist, ergebe sich nach Frith beim Kind die Erkenntnis, dass eine neue Strategie notwendig sei, woraus sich das Bedürfnis ergäbe, phonografisch zu schreiben. Nun kann es zu Falschschreibungen kommen, auch bei Wörtern, welche das Kind vorher richtig geschrieben hatte. Jedoch beruhen diese Fehlschreibungen auf der Erkenntnis, dass Phoneme zu Graphemen korrespondieren.

In der orthografischen Stufe erfolgt dann nach Frith beim Lesen eine Orientierung nicht mehr an visuellen Details (Momo ist das Wort mit den zwei Kreisen), sondern an Buchstabenfolgen. Konsonantencluster wie <st> und Morpheme wie -en, zer - werden als Einheit identifiziert. Diese Umorientierung erfolgt auch beim Schreiben [Vgl. Abb. 1: 3 a) zu 3 b) ]. Die Silbenstruktur wird vom Kind jetzt nicht nur zur Erkennung der richtigen Artikulation von Lauteinheiten genutzt, es erfolgt ebenso eine Orientierung Hinsichtlich orthografischer Prinzipien. So nimmt die Häufigkeit von phonetischen Schreibweisen ab und es kommt zunehmend häufiger zur Beachtung morphologischer Schreibweisen wie beispielsweise Vogel.

Nach Frith ist der Schriftspracherwerb mit der orthografischen Phase abgeschlossen. Übertragen auf das Kindesalter ist dies gegebenenfalls bereits in der zweiten Klasse der Fall, manchmal jedoch wesentlich später.[23]

Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass nach Frith (1985) eine wechselseitige Übertragung beim Schreib- bzw. Leseprozess von gewinnbringender Strategie zur anderen angenommen wird und so den gerade im Hintertreffen befindlichen Prozess – im ungestörten Erwerbsprozess – angleicht.

Empirisch konnte dies allerdings noch nicht ausreichend belegt werden.[24] Zudem bleibt in diesem Modell der Einfluss, welchen die unterschiedlichen Merkmale eines Schriftsystems aufweisen, unbeachtet (Frith entwickelte das Modell für den englischsprachigen Raum).

2.3 Das Fünf-Stufen-Modell des Schriftspracherwerbs von Günther (1986)

Das Modell von Frith wurde von Günther 1986 adaptiert und modifiziert. Er erweiterte das Modell um zwei weitere Stufen: Eingangs des Schriftspracherwerbsprozesses setzt er eine präliteralisch-symbolische Stufe. Darauf folgen die drei bekannten aus dem Frith´schen Modell, die logographische, die alphabetische und die orthografische Stufe. Abschließend ergänzte Günther das Modell um die integrativ-automatisierende Stufe.

Günther differenzierte allerdings die jeweilige Stufe in zwei Phasen. Das Stufenmodell nach Günther (1986) besteht somit aus fünf Stufen mit jeweils zwei Phasen, in jeder dieser Phasen wird wechselnd zwischen den beiden Modalitäten Lesen (Rezeption) und Schreiben (Produktion) eine neue Strategie angewandt, die den Erwerbsprozess der nächsthöheren Stufe zuführt.

In der ersten Stufe (Phase 0) ebnet das Kind den Weg zum Erwerb, er beginnt laut Günther jedoch wie bei Frith erst mit Eintritt in die logografische Stufe. Kennzeichnend ist hier, dass das Kind symbolische Darstellungen gebraucht oder Nachahmungen von erfahrenen, älteren Lesern zeigt. Die abschließend hinzugefügte integrativ-automatisierte Stufe (Phase 4) stellt nach Günther „… eigentlich keine neue Strategie mehr dar, sondern bezeichnet den schriftlichen Sprachgebrauch des kompetenten Lesers und Schreibers in einem autonomen und funktionsspezifischen Repräsentationssystem der Sprache.“[25]

2.4 Synthese:

Beiden Modellen gemeinsam ist, dass der Erwerb des Lesens und des Schreibens nicht getrennt als fixe Reihenfolge interpretiert wird. Vielmehr wird ein komplexer Zusammenhang sich gegenseitig bedingender Einflussgrößen beschrieben, die durchaus zeitgleich ablaufen können. Leider blieb Letzteres in der Rezeption nicht ausreichend beachtet, was die Kritik an Stufenmodellen insgesamt in den letzten Jahren lauter werden ließ.[26]

Des Weiteren liegt in beiden Modellen die Dependenzhypothese zugrunde, also dass die geschriebene Sprache über Graphem-Phonem-Korrespondenzen von der gesprochenen Sprache ableitbar sei.[27] Es entstand jedoch durch das neue Verständnis des Erwerbsprozesses als eine fortlaufende Entwicklung, in welchem das Kind entsprechend jeder Phase verschiedene Strategien nutzt, eine Zäsur hinsichtlich der Interpretation von Fehlschreibungen: Sie mussten nun nicht mehr als Defizite sondern als für die Entwicklung notwendige Zwischenschritte auf dem Weg zur orthographischen Strategie verstanden werden.

Des Weiteren ist zu konstatieren, dass dank der Stufen nun eine Bestimmung von Verzögerungen im Erwerbsprozess möglich ist und somit überhaupt erst die Grundlage gegeben ist, exakte Fördermaßnahmen zu entwickeln.[28]

2.5 Das theoretische Konstrukt der Phonologischen Bewusstheit

Wie bereits eingangs dieses Kapitels angesprochen, ist für eine ganzheitliche Beschreibung des Schriftspracherwerbs die Berücksichtigung der vorschulischen Erfahrungen der Kinder unabdingbar und sogar wichtiger Anknüpfungspunkt für Diagnose- und Fördermaßnahmen beim Übergang aus dem Kindergarten in die Schule. Ein bewährtes und scheinbar geeignetes Kriterium zur Erhebung besagter Vorläuferfähigkeiten ist das Konzept der „Phonologische Bewusstheit“.

Ebenso hat sich die zentralste Erkenntnis erst in den vergangenen drei Jahrzehnten durchgesetzt, dass der Erwerb der Schriftsprache nicht erst mit dem Schuleintritt und der Konfrontation mit der Sprache in einem didaktischen Rahmen beginnt, sondern bereits zuvor. Kinder kommen heute weit vor Schuleintritt in Kontakt mit Schrift, darüber hinaus erwerben sie schon mindestens ab der Geburt über die mündliche Kommunikation basale Kenntnisse über Sprache. Es ist somit naheliegend, dass die Kinder bei Schuleintritt unterschiedlichste Vorerfahrungen gemacht haben und somit unterschiedlich ausgeprägte Vorläuferfähigkeiten mitbringen. Diese Ausprägung ist entscheidend für den weiteren Verlauf für einen erfolgreichen Erwerb der Schriftsprache.

Für den erfolgreichen Schriftspracherwerb sind nach heutigem Kenntnisstand viele Einflussgrößen relevant. Nicht allein das Lernniveau des Kindes ist entscheidend, auch spielen sozialer Hintergrund wie elterliche Förderung oder Migrationsbiografien eine entscheidende Rolle, sowie die peer-group, das Lehrangebot, mit Eintritt in die Grundschule dann auch das Klassenklima und Lehrer-Schüler-Verhältnis. Die Tatsache der schlechten PISA-Ergebnisse führte wie schon ausgeführt zu vermehrten Anstrengungen im Bereich der Frühförderung, da hier der wesentliche Grundstein gelegt werden kann, den Erwerb positiv zu beeinflussen. Denn der vorschulische Kontakt mit Schriftsprache entscheidet von 30% bis zu 60% über den weiteren Erfolg.[29]

Dieser Umstand macht deutlich, wie wichtig es ist, dass zum einen grundsätzlich ein erster Kontakt mit Schrift und Schriftproduktion im Kindergarten stattfindet, aber auch darüber hinaus, wie immanent wichtig es ist, das die Fachkräfte über Professionswissen in diesem Kontext verfügen, um gezielt fördern zu können. Wie aber kann im Kindergarten gefördert werden?

[...]


[1] Vgl.: PISA 2000, S. 23.

[2] Vgl. pisa

[3] Vgl.: https://www.mpib-berlin.mpg.de/Pisa/PISA_im_Ueberblick.pdf, S. 8, Tab. 1. [Zugriff 11.06.2014]

[4] Vgl.: ebd. S. 8f.

[5] Vgl.: ebd. S. 10.

[6] Vgl.: ebd. S. 10.

[7] Vgl.: ebd. S. 11 ff.

[8] Vgl.: z.B.: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-20960899.html [Zugriff: 11.06.2014]

[9] Vgl.: http://www.kmk.org/presse-und-aktuelles/pm2001/296plenarsitzung.html [Zugriff: 11.06.2014]

[10] Vgl.: http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_06_04-Fruehe-Bildung-Kitas.pdf [Zugriff: 11.06.2014]

[11] Vgl.: ebd. [Zugriff: 11.06.2014]

[12] Vgl.: ebd. [Zugriff 01.07.2014]

[13] Vgl.: Ausführlich hierzu: http://www.bmbf.de/pub/zur_entwicklung_nationaler_bildungsstandards.pdf [Zugriff: 11.06.2014]

[14] Vgl.: Bredel et.al. (2011): S. 228.

[15] Vgl.: ebd., S.210.

[16] Vgl.: https://www.iqb.hu-berlin.de/fdz/studies/IGLU_2001 [Zugriff: 12.06.2014]

[17] Vgl.: Fried, L. (2008): S. 64.

[18] Vgl.: Fried et. al. (2007): S. 16-18.

[19] Vgl.: Vgl. Fried (2008): S. 64.

[20] Vgl.: Scheerer-Neumann (1996): S. 1166.

[21] Vgl.: Weigl (1976): Schriftsprache als besondere Form des Sprachverhaltens . In: Hofer (Hrsg.): Lesenlernen: Theorie und Unterricht, Düsseldorf 1976, S. 82-98.

[22] Vgl.: Schründer-Lenzen (2013), S. 67/68.

[23] Vgl.: Dürscheid (2006): S. 244.

[24] Vgl.: Scheerer-Neumann (1996): S. 1156, In: Dürscheid (2006): S 243.

[25] Vgl.: Günther (1986): S. 43.

[26] Vgl.: Günther (1995) oder Nerius (2007): S. 421.

[27] Vgl.: Dürscheid (2006)

[28] Vgl.: Günther (1988): S. 194.

[29] Vgl.: Mason/McCornick (1979)

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Förderung der Schriftsprache im Kindergarten
Untertitel
Möglichkeiten und Grenzen - aufgezeigt anhand einschlägiger Konzepte
Hochschule
Technische Universität Dortmund  (ISEP)
Note
1,3
Autor
Jahr
2014
Seiten
37
Katalognummer
V281377
ISBN (eBook)
9783656749080
ISBN (Buch)
9783656749097
Dateigröße
719 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
förderung, schriftsprache, kindergarten, möglichkeiten, grenzen, konzepte
Arbeit zitieren
Bachelor (BfP-BK) Matias Esser (Autor:in), 2014, Förderung der Schriftsprache im Kindergarten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/281377

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Förderung der Schriftsprache im Kindergarten



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden