Der Amerikanische Bürgerkrieg. Eine zweite Amerikanische Revolution?


Magisterarbeit, 2012

127 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Der Revolutionsbegriff im amerikanischen Kontext

3. A House Divided
3.1 Die wirtschaftspolitische Teilung der USA bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs
3.2 Die Abolitionistische Bewegung - Gesellschaftliche Zerrissenheit und soziale Kritik an der Slaveocracy des Südens

4. Der Revolutionsgedanke in zeitgenössischen Quellen
4.1 William H. Seward
4.2 Karl Marx
4.3. The Declaration of the Immediate Causes Which Induce and Justify the Secession of South Carolina from the Federal Union

5. Die Interpretation des Amerikanischen Bürgerkriegs als zweite Amerikanische Revolution durch Historiker
5.1 Der Bürgerkrieg als Klassenkampf und wirtschaftliche Revolution
5.2 Die These einer wirtschaftlichen Revolution
5.3 Der Bürgerkrieg als Katalysator für die Fortentwicklung der Landwirtschaft
5.4 America's unfinished revolution
5.5 Bringing Forth a New Nation

6. Abschließende Betrachtungen

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der Amerikanische Bürgerkrieg ist bis heute eines der am meisten erforschten Themen in der amerikanischen Geschichte. In Hunderten von Publikationen, die jährlich hinzukommen und den bisherigen Bestand von über 50.000 Werken anreichern, haben Historiker seit dem Ereignis selbst versucht, diesen Themenkomplex zu erschließen und sind mit immer neuen Ideen daran gegangen, die Ursachen für den Krieg als auch die grundlegenden Veränderungen, welche hierdurch erwuchsen, vollständig aufzuklären. Hierbei stießen aber alle Historiker an die Grenzen des Machbaren und vermochten es nie, den Themenkomplex in seiner Gesamtheit vollständig zu ergründen und allgemeingültige und unwiderlegbare Tatsachen zu schaffen, auf die man sich grundlegend einigen konnte.

Bereits im Bereich der Ursachenforschung sind sich die Historiker uneins: Während die ältere Forschung, besonders die Vertreter der progressive historiography[1] der 1910er bis 1940er Jahre, noch von einem Konflikt zwischen zwei konkurrierenden Wirtschaftssystemen ausgingen, also dem Gegensatz zwischen einem industriell-kapitalistisch geprägten Norden und einem veralteten System des 18. Jahrhunderts im Süden, mit einer fast schon feudalen Struktur, dominiert von einer kleinen Oberschicht aus Großgrund- und Sklavenbesitzern, auf der anderen Seite gab es doch auch immer schon die heute weitverbreitete Auffassung, die Streitfrage um das Fortbestehen der Sklaverei habe den Konflikt ausgelöst. Diese Meinung vertraten allerdings zu Beginn der Bürgerkriegsforschung nur sehr wenige Historiker oder sahen in der Sklaverei an sich lediglich die Wirtschaftsform des Südens verkörpert. Charles A. Beard, der seit seinem Hauptwerk An Economic Interpretation of the Constitution of the United States[2] 1913 als Begründer und Hauptvertreter der progressive historiography gilt, unternahm den Versuch, die historische Entwicklung der USA auf die wirtschaftlichen Entwicklungen und deren Einfluss auf Politik und Gesellschaft zurückzuführen. Die anfängliche Abneigung und scharfe Kritik an dem der Forschung Beards zu Grunde liegenden ökonomischen Determinismus wandelte sich jedoch vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre zusehends. Durch die Veröffentlichung seines Werks The Rise of American Civilization[3] 1927, das in enger Zusammenarbeit mit seiner Frau, der Historikerin und Frauenrechtlerin Mary R. Beard, entstand, erlangte Beard sowohl von fachwissenschaftlicher Seite als auch beim breiten Publikum regen Zuspruch darin, wesentliche Probleme der Geschichte und der Gegenwart der USA aus der Perspektive von „Eigentum" und „Klasse" zu diskutieren.

Die consensus historians, darunter seit 1945 auch Richard Hofstadter, brachen mit der Theorie Beards, der Verlauf der Geschichte ließe sich als Abfolge von Konflikten zwischen sozioökonomischen Gruppen erklären. Hofstadters Hauptkritikpunkt an der Arbeit der Beards lag darin, dass sie in ihrer Forschung stärker an dem Einfluss der Wirtschaft auf die Politik der Eliten, als an den Massen selbst interessiert gewesen wären.[4] „Wenn der Bürgerkrieg vorrangig von divergierenden ökonomischen Interessen ausgelöst worden sei, dannhätten die Beteiligten bewusst für materielle Ziele kämpfen müssen."[5] Die Generation der progressive historiography „...put such an excessive emphasis on conflict, that an antidote was needed. [...] It seems to me to be clear that a political society cannot hang together, at all, unless there is some kind of consensus running through it, and yet that no society has such a total consensus as to be devoid of significant conflict. It is all a matter of proportion and emphasis, which is terribly important in history. Of course, obviously, we have had one total failure of consensus, which led to the Civil War. One could use that as the extreme case in which consensus breaks down. "[6] Hofstadter war sich aber auch des Verdiensts bewusst, den Charles Beard der Geschichtsschreibung erbracht hatte. Er bestand für ihn darin, „ein kritisches und problemorientiertes Geschichtsbewußtsein gefördert zu haben."[7]

Angestoßen durch die Bürgerrechtsbewegung in den USA, insbesondere durch das african-american civil rights movement der 1950er und 1960er Jahre[8], kam es in der Geschichtsforschung der Nachkriegszeit zu einem radikalen Umdenken. Veröffentlichungen wie The peculier institution[9] oder Slavery: A Problem in American Institutional and Intellectual Life[10] befassten sich nun unter großem öffentlichen Interesse mit sozialen und politischen Problemen, welche die Institution der Sklaverei in Amerika mit sich brachte. Diese Akzentuierung spiegelte sich besonders in der Auslegung der Bedeutung der Sklaverei als Ursache für den Amerikanischen Bürgerkrieg wieder. Wirtschaftliche oder politische Kontroversen wurden nun hauptsächlich unter diesem Gesichtspunkt betrachtet.

Die aktuelle Forschung seit den 1980er Jahren versucht nun zusehends, mittels handfester Quellenarbeit, eine Art Synthese zwischen den vorangegangenen Forschungsergebnissen zu entwickeln. Die seit 1982 erschienen Bände der Reihe Oxford History of the United States bekannter Historiker wie James McPherson, James T. Patterson und David M. Kennedy machten es sich zur Aufgabe, die amerikanische Geschichte durch eine gezielte Verknüpfung der Politik- mit der Sozial- und Kulturgeschichte aufzuschlüsseln und einem breiten Publikum zugänglich zu machen.[11]

Historiker wie Peter Novick und Thomas Haskell machten in dieser Zeit deutlich, dass die Objektivität in der Geschichtsforschung niemals als Neutralität angesehen werden kann, sondern immer auch die zeittypische Färbung des Autors trägt, als auch dessen Interessenschwerpunkt in den Vordergrund seiner Forschung rückt.[12] Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis lässt sich nun auch die Entwicklung der Forschung als solche, als auch die damit verbundene Verschiebung der Forschungsschwerpunkte auf dem Gebiet des Amerikanischen Bürgerkriegs erklären. Eine der prominentesten Forschungskontroversen stellt hierbei gerade die der Existenz einer second American Revolution dar. Die 1927 von Charles Beard in Zusammenarbeit mit seiner Frau entwickelte These, der Amerikanische Bürgerkrieg müsse als eine Art Katalysator in der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung der USA gesehen werden, da dessen Ausgang weitreichende Veränderungen in diesen Bereichen mit sich brachte, stellt sich wie folgt dar:

„[...] that armed conflict had been only one phase of the cataclysm, a transitory phase; that at bottom the so-called Civil War, or the War between the States [...] was a social war, ending in the unquestioned establishment of a new power in the government, making vast changes in the arrangement of classes, in the accumulation and distribution of wealth, in the course of industrial development, and in the Constitution inherited from the Fathers."[13]

Mit dieser These erregten die Beards großes Interesse, ernteten jedoch auch Kritik dahingehend, ihre ideologische Sichtweise sei zu einseitig und zu stark auf die wirtschaftlichen Schwerpunkte fokussiert. Dennoch hatten sie einen Stein ins Rollen gebracht, der bis heute viele Historiker dazu brachte, den Krieg als eine Art Revolution zu betrachten und in seinem Ausgang nach richtungsweisenden Veränderungen für die amerikanische Gesellschaft zu suchen. Die These, eine Umbruchphase in diese Zeit zu verorten, blieb in der Forschung über die Jahre hinweg weitgehend bestehen, lediglich die Auslegungen darüber, was nun tatsächlich als Revolution angesehen werden kann und wie weitreichend deren Erfolge waren, blieben strittig. Die meistvertretene Meinung der modernen Historiker besteht darin, dass der Krieg durch die Abschaffung der Sklaverei das Prädikat einer wahren, jedoch nicht vollendeten Revolution verdient. Durch diese Neuinterpretation des revolutionären Gehalts der These, kam es seit der Bürgerrechtsbewegung in den USA zu einer klaren Verschiebung der Forschungsmeinung, welche die ursprüngliche Bedeutung der These für Beard und dessen Anhänger in den Hintergrund rückte.

In seinem 1988 erschienenen Hauptwerk Battle Cry of Freedom bezeichnet der im Bereich der Bürgerkriegsforschung momentan renommierteste Historiker James M. McPherson den Wahlsieg Lincolns als the revolution of I860.[14] Dafür führt er ein Zitat des Richmond Examiner, einer Zeitung des Südens aus dem Jahr I860 an, das die Partei der Republikaner als eine „party founded on the single sentiment [...] of hatred of African slavery''[15] bezeichnet. Demzufolge war der Süden nach dem Wahlsieg der Republikaner gezwungen, angemessen darauf zu antworten, was McPherson „the counterrevolution of 1861" nennt.[16] In mehreren Veröffentlichungen setzte er sich bereits mit der Theorie einer second American Revolution auseinander, weshalb er auch in der vorliegenden Arbeit als einer der Hauptvertreter der Theorie geführt wird, die den revolutionären Gehalt in der Abschaffung der Sklaverei sehen.[17]

Neben der Darstellung und Abwägung der Forschungsmeinungen bezüglich der Theorie einer second American Revolution und deren Auslegung, legt diese Arbeit einen weiteren Augenmerk auf die historischen Quellen dieser Epoche, da die Zeitzeugen selbst ihren Kampf auch als revolutionär ansahen: Die Bürger des Südens sahen ihre Rebellion als eine Revolution gegen die Tyrannei des Nordens. Die Einwohner des Nordens dagegen sahen ihren Kampf als einzige Möglichkeit, die durch die Revolution von England entstandene Union zu bewahren. Demzufolge sahen beide Parteien den Krieg als Fortführung des 1776 begonnenen Kampfes um ihre jeweilige Freiheit an.

2. Der Revolutionsbegriff im amerikanischen Kontext

Der Amerikanische Bürgerkrieg war für die Zeitgenossen ohne jeden Zweifel ein einschneidendes Erlebnis, für die Historiker und die Nachwelt ein transformierendes Ereignis mit weitreichenden Folgen. Die Schwierigkeit der Auslegung besteht allerdings in der Frage, welche Veränderungen man als revolutionär im Sinne einer second American Revolution sehen will und kann. Rein formal ist „Revolution" ein in unserer Zeit recht dehnbarer, wenig greifbarer, fast schon trivial verwendeter Begriff geworden:

„The term is often thrown around with careless abandon. The concept has almost become trivialized. In our own time we have lived through the technological revolution, the cybernetic revolution, the sexual revolution, the black revolution, the green revolution, the feminist revolution [...]- to name but afew."[18]

Gerade die Werbeindustrie, die ständig darum bemüht ist, neue Waren auf den Markt zu bringen und den vermeintlichen oder tatsächlichen Fortschritt daran hervorzuheben, greift gern auf den Begriff zurück. Ständig, so suggeriert man es dem Kunden, wird etwas „revolutioniert". Auf dem Gebiet des gesellschaftlichen und politischen Lebens wird der Begriff fast ebenso häufig verwandt und in unterschiedlichster Weise interpretiert. Versucht man Klarheit über den eigentlichen Bedeutungsinhalt zu erlangen, oder darüber, welche Voraussetzungen eine Revolution erfüllen und was ihre Erfolge sein müssen, gerät man an einen Punkt, an dem sich die unterschiedlichen Wissenschaften uneins sind. Weder in Geschichte, Gesellschaft und Politik, noch bei den Theoretikern und Akteuren einer Revolution selbst, herrscht Konsens darüber, wie eine klare Definition des Begriffs zu erfolgen hätte: Jede einzelne wissenschaftliche Disziplin setzt ihren Schwerpunkt bei der Definition des Begriffs anders. Im politisch-gesellschaftswissenschaftlichen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff eine nachhaltige, als auch tiefgreifende Veränderungder[19] „sozialen und politischen Strukturen''20, die unter Umständen auch mit einem Bruch des „kulturellen Normensystems einer Gesellschaft'[21] einhergeht.

Selbst die wohl gängigste Bezeichnung einer Revolution als „Umwälzung" bestehender sozialer oder politischer Verhältnisse greift nicht immer. Das zeigt sich in erster Linie darin, dass beispielsweise die Zeitgenossen des Bauernkriegs oder der Reformation ihr Handeln noch gar nicht als eine solche Handlung verstanden. Im Sinne eines singulären Ereignisses mit weitreichenden Folgen, setzte sich der Begriff erst nach 1688 durch, nach der von den Zeitgenossen selbst benannten „Glorious Revolution" in England. Und selbst hier ist noch anzumerken, dass die Akteure eher der Ansicht waren, alte Rechte und Zustände wiederherzustellen und zu festigen, als diese umgestoßen zu haben. Das Ereignis per se wurde erst nachträglich vom Ergebnis her als Revolution verstanden. Im Bewusstsein der Menschen, eine Revolution herbeizuführen und zu vollziehen, wenn die Zeit dafür reif ist, lässt sich erstmals mit der Französischen Revolution 1789 belegen: „Hier zuerst ist Revolution nicht nur nachträglich festgestellt worden, sondern bewusst erlebt und in langen Kämpfen durchgesetzt, schließlich auch wieder bestritten worden."[22] Folglich ist es auch bei der vorliegenden Forschungsdiskussion unumgänglich, sich näher mit den Quellen zu beschäftigen um hervorzuheben, was die Zeitzeugen selbst als „revolutionär" ansahen.

Daneben erscheint es genauso wichtig hervorzuheben, dass die These einer zweiten Revolution nur im amerikanischen Kontext selbst gesehen werden kann, da sich Vergleiche mit europäischen Revolutionen durch ihre Ursachen und Ziele bereits zu stark unterscheiden. Nach der Theorie des American Exceptionalism unterscheiden sich die USA sogar so stark von allen anderen Gesellschaften, dass ein Vergleich mit diesen unter Verwendung allgemeingültiger Theorien und Kriterien unfruchtbar bleiben muss.[23] Mit dem zweiten Band seiner Amerikastudie „De la démocratie en Amérique” legte Alexis de Tocqueville 1840 den Grundstein für diese Theorie, indem er resümierte: „The position of the Americans is therefore quite exceptional, and it may be believed that no other democratic people will ever be placed in a similar one."[24] Die Theorie des American Exceptionalism verankerte sich dann auch im Bewusstsein der Historiker des 20. Jahrhunderts. So sah beispielsweise Frederick Jackson Turner die Theorie in der kontinuierlichen Interaktion von Zivilisation und Wildnis der Frontier-Bewegung verkörpert. Demnach seien die Bedingungen für die Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft so grundlegen anders gewesen, da sie frei von den Problemen und kleinstaatlichen Begrenzungen der europäischen Staaten waren.[25]

Gesellschaftlich besteht ebenso ein großer Unterschied gegenüber Europa. Enorme Klassenunterschiede fehlen in den USA dieser Zeit, was beispielsweise die Triebfeder für den Klassenkampf bei Marx und Engels darstellt:

„Das alte Schema der Einteilung in Stände paßte aufdie Gesellschaft nicht [...]. Es gab so wenig den Ersten wie den Zweiten Stand der europäischen Sozialstruktur [...]. Der Dritte und der Vierte Stand der Europäer waren in den USA zusammen- und ohne ständische Unterschiede und Klassengegensätze auf eine ganz uneuropäische Weise wieder auseinandergewachsen. Die Gesellschaft der USA war [...] klassenlos, [...] - aber sie war keineswegs strukturlos. Es gab weder den Gegensatz von Großgrundbesitz und Bauerntum noch den von Handwerk und Industrie; es gab Spannungen zwischen Stadt und Land, aber diese waren wirtschaftlicher und nicht sozialer Natur; und es gab arm und reich."[26]

Das Gleichheitspostulat der Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 - „All men are created equal" - unterstreicht diese Erkenntnis. Damit hat die amerikanische Gründergeneration einen großen Schritt hin zu einer freien und gleichen Gesellschaft gemacht, indem sie die universalistischen und egalitären Prinzipien der europäischen Aufklärung erstmals in die Wirklichkeit umsetzte. Es herrschte aber weiterhin der „[...] Gegensatz zwischen dem Ideal einer Republik freier und gleicher Bürger und der rechtlichen und sozialen Lage eines nicht unerheblichen Teils ihrer Bevölkerung [,..]"[27] vor. Aus diesem Grund sprechen viele Historiker von einer unvollendeten Revolution, da sie diesen Widerspruch im Fortbestand der Sklaverei, dem Ausschluss der indianischen Bevölkerung vom Gesellschaftsvertrag und in den eingeschränkten Rechten der Frauen verkörpert sehen. Gerade in diesem Bereich hinkten die USA in der Zeit kurz vor dem Bürgerkrieg trotz ihrer Ideale den europäischen Staaten weit hinterher. Während 1861 im rückständigen Russland unter Zar Alexander II. die Leibeigenschaft und die damit verbundenen sklavereiähnlichen Zustände für 22,5 Millionen Menschen abgeschafft wurden, blieb die Institution der Sklaverei in einem Teil der USA weiter bestehen.

Bereits 1787 hob Benjamin Rush diesen Zustand in seiner Adress to the People of the United States hervor:

„There is nothing more common than to confound the terms of the American revolution with those of the late American war. The American war is over: but this is far from being the case with the American revolution. On the contrary, nothing but the first act of the great drama is closed."[28]

Zudem kritisierte er hier auch schon die zu große Eigenstaatlichkeit der Teilstaaten gegenüber der Bundesebene:

„The people of America have mistaken the meaning of the word sovereignty: hence each state pretends to be sovereign. In Europe, it is applied only to those states which possess the power of making war and peace - of forming treaties, and the like. As this power belongs only to congress, they are the only sovereign power in the united states. We commit a similar mistake in our ideas of the word independent. No individual state, as such, has any claim to independence. She is independent only in a union with her sister states in congress."[29]

Rush spricht damit explizit das aus, was die Grundlage für die Befürworter einer „unfinished revolution" darstellt: Das Spannungsverhältnis zwischen Ideal und Realität, sowohl in der amerikanischen Gesellschaft, als auch auf Verfassungs- und Staatsebene.

Die längere Zeit gehegten Zweifel, besonders vor dem Hintergrund eines Vergleichs mit der Französischen Revolution, ob man überhaupt von einer Revolution sprechen kann, sind heute weitgehend abgelegt:

„Versteht man unter einer Revolution eine dramatische Beschleunigung der historischen Zeit, in deren Ablauf Veränderungen möglich werden, die zu einer Neustrukturierung und Neudefinition im Selbstverständnis des betreffenden Gemeinwesens führen, dann waren sowohl die amerikanische als auch die Französische Revolution die beiden wichtigsten Varianten unter den atlantischen Revolutionen des späten 18. Jahrhunderts."[30]

So urteilte auch Horst Dippel: „Dazu gehört auch die Amerikanische Revolution, an deren Charakter als Revolution heute in der Regel keine ernsthaften Zweifel mehr vorgebracht werden."[31] Ohne Zweifel ist der Unabhängigkeitskrieg nicht direkt mit dem Amerikanischen Bürgerkrieg zu vergleichen oder gleich zu setzen, jedoch bleibt dieser als singuläres revolutionäres Ereignis auf dem Staatsgebiet der USA das einzige Vergleichsmaß für die These einer second american revolution. Zudem wird sich im Laufe der Arbeit herausstellen, dass sich eine Vielzahl von Bezügen zwischen den beiden Ereignissen herstellen lassen und sich das Gedankengut, welches in der Unabhängigkeitsära erwachsen ist, in den meisten Aussagen und Formulierungen der Akteure und Zeitgenossen des Bürgerkriegs wiederfinden lässt. Zudem verorten auch die Befürworter der These einer zweiten amerikanischen Revolution, unabhängig der Art und Auslegung einer solchen, den Ursprung der Auseinandersetzung in diese Zeit. Der hier begonnene rote Faden zieht sich demnach bis in die 1860er Jahre und gipfelt in der Sezession der Südstaaten und dem darauf folgenden Krieg.

3. A House Divided 3.1 Die wirtschaftspolitische Teilung der USA bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs.

Beard unterstreicht bereits zu Beginn des Kapitels XVIII seines Werkes The Rise of American Civilization die Notwendigkeit einer Neubetrachtung des Amerikanischen Bürgerkriegs.[32] Seiner Meinung nach hat sich die vorangegangene Forschung hauptsächlich mit der militärischen Auseinandersetzung beschäftigt, jedoch dabei die eigentliche Bedeutung der Auswirkungen auf die amerikanische Geschichte und deren Entwicklung außer Acht gelassen:

„As a matter offact all these symbols are misleading in that they overemphasize the element of military force [,..]."[33] „[...] the battles and campaigns of the epoch are significant to the military strategist; the tragedy and heroism of the contest furnish inspiration to patriots and romance to the makers of epics. But the core of the vortex lay elsewhere."[34] „Viewed under the light of universal history, the fighting was a fleeting incident; the social revolution was the essential, portentous outcome."[35]

Die Zeit sei nun reif dafür, die Auseinandersetzung von einer unvoreingenommenen, rein sachlichen Warte aus zu bewerten und zu beurteilen: „For years the agony of it [of the war] hung like a pall over the land. And yet [...] the cloud was lifted and blown away. Merciful grass spread ist green mantle over the cruel scars and the gleaming red splotches sank into the hospitable earth."[36]

Damit impliziert er, dass durch das Aussterben der letzten Kriegsveteranen, fast 70 Jahre nach dem Ereignis, die neue Historiker-Generation sich ohne direkte persönliche Bezüge dem Thema zuwenden und kritischer hinterfragen kann.

Beard geht davon aus, dass der Ausbruch des Bürgerkriegs und der Krieg als solcher lediglich den Höhepunkt eines sich seit der Gründungszeit der USA zuspitzenden Spannung zwischen zwei unterschiedlichen, miteinander konkurrierenden Wirtschaftsmodellen darstellt:

„The physical combat that punctuated the conflict merely hastened the inevitable. As was remarked at the time, the South was fighting against the census returns - census returns that told of accumulating industrial capital, multiplying captains of industry, expanding railway systems, widening acres tilled by freefarmers."[37]

William H. Seward hat bereits 1858 die Konkurrenz dieser beiden Wirtschaftsmodelle hervorgehoben und war bereits damals davon überzeugt, dass diese nicht auf Dauer innerhalb eines gemeinsamen Landes bestehen können:

„Hitherto, the two systems have existed in different States, but side by side within the American Union. This has happened because the Union is a confederation of States. But in another aspect the United States constitute only one nation. Increase of population, which is filling the States out to their very borders, together with a new and extended network of railroads and other avenues, and an internal commerce which daily becomes more intimate, is rapidly bringing the States into a higher and more perfect social unity or consolidation. Thus, these antagonistic systems are continually coming into closer contact, and collision results. [...] It is an irrepressible conflict between opposing and enduring forces, and it means that the United States must and will, sooner or later, become either entirely a slaveholding nation, or entirely a free­labor nation.“[38]

Anzumerken ist an dieser Stelle jedoch, dass Seward im Folgenden keine Kritik am Wirtschaftsmodell des Südens oder an der Konkurrenz zwischen Agrar­oder Industriestaaten übt, sondern direkt die Sklaverei als inhumanes Instrumentarium ansieht, welches in klarem Gegensatz zum Postulat von Freiheit und Gleichheit der Gründungsväter steht.

Charles Beard zufolge sind die politischen Kompromisse der Zeit vor dem Bürgerkrieg klar als Ausgleich der Balance zwischen diesen zwei Wirtschaftssystemen zu sehen, der Krieg damit als Folge des Verlusts dieser Balance: „Once the planting and the commercial states, as the Fathers with faithful accuracy described them, hab been evenly balanced; by 1860 the balance was gone.“[39] Bestätigt sieht Beard seine Ansicht gerade auch im letzten Versuch Lincolns im März 1861 den Frieden und die Union zu bewahren. Er erließ einen Zusatzartikel, der den sklavenhaltenden Staaten ein für alle Mal die Angst davor nehmen sollte, dass die Bundesregierung irgendwann die Institution der Sklaverei verbieten könnte:

„Lincoln and his Republican brethren, offering proof of their readiness to seal the convenant forever, supported and carried through Congress an amandment to the Constitution declaring that for all the future the federal government should be denied the power to abolish or interfere with slavery in any state. On March 4, 1861 [...] three states had actually ratified it when the outbrake of physical combat stopped the operation.“[40]

Beard sieht die USA in der Zeit des antebellum also als wirtschaftlich und dementsprechend auch politisch instabilen Staatenbund, deren unterschiedliche Interessen miteinander konkurrierten. Formal bilden diese Staaten zwar nach außen eine wirtschaftliche und politische Einheit, im Inneren jedoch schwelt seit der Gründungsphase der USA ein scheinbar unüberwindbarer wirtschaftlicher Konflikt, der das Land teilt. Um diesen Vulkan nicht zum Ausbruch kommen zu lassen, mussten immer wieder neue Kompromisse zwischen diesen beiden Wirtschaftssystemen gesucht und geschaffen werden. Von deren Erfolg hing das weitere Bestehen der USA als gesamtwirtschaftlicher und politischer Einheit ständig ab. Da die USA in dieser Zeit noch kein geographisch festgelegter und damit beständiger Wirtschaftsraum waren, kam es bald zur Ubergewichtung einer der Waagschalen. Bedingt durch die Erschließung neuer Siedlungsräume im Westen geriet dieser konstruierte Ausgleich immer wieder ins Wanken. Dadurch war es bei der Aufnahme eines jeden neuen Staats in den Staatenverbund der USA auch immer von Nöten, einen neuen Kompromiss auszuhandeln, der für beide Seiten zu einer einvernehmlichen Lösung führen sollte. Uber Jahrzehnte war es so möglich einigermaßen einen Ausgleich, wenn auch immer nur auf Zeit, zu schaffen.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestand noch klare Ausgewogenheit zwischen elf sklavenhaltenden und elf sklavenfreien Saaten. Durch die Möglichkeit, das Missouri-Territorium als weiteren Staat in den Verbund der USA aufzunehmen, geriet das Gleichgewicht erstmals ins Wanken. Um den Ausgleich zu wahren, wurde 1820 der Missouri-Kompromiss verabschiedet. Dieser von Henry Clay eingebrachte Vorschlag sah vor, durch die Abtrennung des Staates Maine von Massachusetts nun zwei neue Staaten zur Aufnahme in den Staatenverbund zu haben. Somit war es nun möglich, Missouri als sklavenhaltenden, Maine dagegen als sklavenfreien Staat gleichzeitig aufzunehmen, ohne dieses labile Gleichgewicht zu gefährden und einem der beiden Wirtschaftssysteme auf politischer Ebene, also im Senat, ein Übergewicht zu geben. Die Nebenbestimmung des Kompromisses war jedoch, dass im Louisiana­Territorium nördlich von 36° 30' die Sklaverei verboten sein soll. Dies bedeutete die Verlängerung der Mason-Dixon Linie nach Westen und sollte als Ausbreitungsgrenze zwischen den sklavenhaltenden und sklavenfreien Staaten fortan festsetzen. Somit sollte nur in dem neuaufgenommenen Staat Missouri als einzigem nördlich dieser Linie die Sklavenhaltung erlaubt sein.

„Ifyou persist, the Union will be dissolved. You have kindled afire which all the waters of the ocean cannot put out, which seas of blood can only extinguish.” —Representative Thomas W. Cobb of Georgia, 1819 Thomas Jefferson zeigte sich mehr als bestürzt über diese neugezogene Linie, die seiner Meinung nach den ersten Schritt einer immer tiefer werdenden Kluft zwischen den Free und den Slave States markierte und formal das Land spaltete:

„But this momentous question, like afire bell in the night, awakened and filled me with terror. I considered it at once as the knell of the Union. It is hushed, indeed for the moment. But this is a reprieve only, not a final sentence. A geographical line, coinciding with a marked principle, moral and political, once conceived and held up to the angry passions of men, will never be obliterated; and every new irritation will mark it deeper and deeper."

Durch den Sieg im Krieg gegen Mexiko und den daraufhin unterzeichneten Friedensvertrag von Guadalupe Hidalgo 1848 machten die USA erhebliche Landgewinne südlich der Mason-Dixon Linie, was einer Übergewichtung der sklavenhaltenden Staaten und damit einer Vormachtstellung im Senat gleichgekommen wäre. Die Frage nach einer Einigung spaltete die Parteien bereits im Vorfeld des Friedensvertrags: 1846 war erstmals der

Wilmot Proviso[41] zur Abstimmung gestellt worden. Dieser von Senator David Wilmot eingebrachte Antrag sollte die Einführung der Sklaverei in den im Mexikanisch-Amerikanischen Krieg hinzugewonnenen Gebieten verbieten. Er wurde mehrmals eingebracht, jedoch nie verabschiedet. Jefferson Davis forderte in dieser Auseinandersetzung bereits offen die Sezession der Südstaaten.[42] So auch Robert Toombs:

„If by your legislation, you seek to drive us from the territories of California and New Mexico, purchased by the common blood and treasure of the whole people, and to abolish slavery in this District, thereby attempting to fix a national degradation upon half the states of this Confederacy, I amfor disunion.''[43]

Daher musste man sich abermals eines Kompromisses bedienen, um dieser drohenden Gefahr vorzubeugen. Der Kompromiss von 1850 nahm Kalifornien deshalb als sklavenfreien Staat in die Union auf. Die noch nicht als eigenständige Staaten organisierten Gebiete des New-Mexico-Territoriums[44] sollten bei ihrer Aufnahme in die Union selbst bestimmen, für welches System sie sich entscheiden. Da deren Eingliederung in den Staatenverbund nicht in naher Zukunft lag, erhitzten sich daran die Gemüter der Befürworter und Gegner der Sklaverei nicht.

Anders verhielt es sich dagegen, als Senator Stephan A. Douglas 1854 den Kansas-Nebraska Act zur Schaffung der Territorien Kansas und Nebraska vorlegte. Die Einwohner des neugeschaffenen Kansas-Territoriums sollten selbst bestimmen, ob sie für oder gegen die Sklaverei in ihrem Staat waren. Damit war der Missouri-Kompromiss von 1820 hinfällig, der die Ausdehnung der Sklaverei nur noch südlich des 36. Breitengrades erlaubte und nur Missouri als Ausnahme bestätigte. Zwischen 1855 und 1859 kam es zu einem regelrecht bürgerkriegsähnlichen Zustand in diesem Gebiet zwischen den Gegnern und Befürwortern der Sklaverei, dem sogenannten Bleeding Kansas.[45] Im Januar 1861, lediglich 3 Monate vor Ausbruch des Bürgerkriegs, wurde Kansas als sklavenfreier Staat in die Union aufgenommen. Damit hatten die Free States bis 1861 einen Vorteil von 19:15 erlangt, was auch auf politischer Ebene im Senat von großer Bedeutung war.

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Tabelle 1: Die Entwicklung der Anzahl der freien gegenüber den sklavenhaltenden Staaten.

Wie aus Tabelle 1 unschwer zu erkennen ist, war das Wirtschaftssystem der Sklaverei in der Gründungsphase der USA noch das Dominierende innerhalb des amerikanischen Staatenverbunds. Die Jahre zwischen 1821 und 1837 markieren einen Zeitpunkt der Parität zwischen den konkurrierenden Systemen. Obwohl die sklavenhaltenden Staaten nach dem Sieg über Mexico 1846 für kurze Zeit die Oberhand gewinnen konnten, gelang es ihnen nicht mehr, ihr System auf weitere Staaten zu übertragen. Ihre Anzahl stagnierte bei 15. Die Tree States konnten ihre Zahl dagegen bedeutend bis auf 19 im Jahr 1861 ausbauen. Damit lässt sich ab dem Jahr 1858 ein kontinuierlicher Machtverlust der Slave States innerhalb des gesamten Staatenverbunds der USA belegen, was sich dementsprechend negativ auf die Einflussnahme bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen im Senat auswirkte. Zudem wirkte sich diese enorme Vormachtstellung der Tree States auch auf die Sitzverteilung im Repräsentantenhaus aus. Hatte der Three-Tifths Compromise48 von 1787 dem dünner besiedelten Süden noch die Möglichkeit eingeräumt, die Sklaven in den Volkszählungen mit zu bewerten, um sich einiger Maßen gegenüber den dichter besiedelten Industriestaaten des Nordens über Wasser halten zu können, war nun durch die Ubergewichtung der Tree States auch im Repräsentantenhaus kein Ausgleich mehr zu bewerkstelligen.[46]

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Abbildung 1: Volkszählung in den Slave States I860.49

Abbildung 1 zeigt wie wichtig der Three-Fifth Compromise für den Süden bei einem so gewaltigen Anteil an Sklaven an der Gesamtbevölkerung war. Dennoch ließ sich der enorme Bevölkerungszuwachs in den Nordstaaten auch dadurch nicht mehr kompensieren.

Neben diesem vergeblichen Versuch auf politischer Ebene einen Ausgleich zwischen den Staaten zu schaffen, ist sich Beard sicher, dass sich auf Seiten der Wirtschaft längst die Vorherrschaft der Industriestaaten herauskristallisiert hat: „In fact the real revolution - the silent shift of social and material power - had occured before the southern states declared their independence and precipitated the revolution of violence."50 Louis Hacker nannte dies 1940 den „triumph of industrial capitalism"[47] [48] [49].

Einerseits begründet Beard dies mit der zahlenmäßigen Überlegenheit des Nordens an menschlichen Resourcen:

„[...] the eleven states in the southern Confederacy were confronted by twenty-three [...] in the federal Union. Nine million people, more than one-third of whom were slaves, faced twenty-two million people nearly all white. [...] On the basis of men and terms of service, the ratio of the contending forces was about three to two."[50]

Andererseits hebt er auch die wirtschaftliche Vormachtstellung des Nordens hervor:

„Practically all the iron, steel, textile, and munition industries of the country were in federal control. [...] the major portion of the foreign commerce had long centered in the ports above the Potomac; [...] most of the foreign goods destined for the South had poured through the warehouses of northern cities."[51]

Zudem sieht er das Gros des Kapitals, als auch ein Überangebot an Fachpersonal in den Staaten des Nordens beheimatet: „More than two-thirds of the banking capital of the country was in northern hands. The North also had an almost complete monopoly of the science and skilled labor [...]. "[52]

Die Slave States sahen dementsprechend sowohl auf wirtschaftlicher, als auch auf politischer Ebene einer äußerst ungewissen Zukunft entgegen. Die politische Vormachtstellung der Free States wirkte sich nämlich direkt auf die weitere Wirtschaftsentwicklung des Südens aus:[53] Die Auferlegung hoher Einfuhrzölle für Fertigwaren aus Europa sollte die aufstrebende, gegenüber beispielsweise England jedoch noch nicht konkurrenzfähige Industrie des Nordens schützen und ihr weiteren Auftrieb verleihen. Die Einführung solcher

Schutzzölle widersprach jedoch entschieden den Ansichten des Südens, welcher als Agrargebiet auf die Einfuhr von Industrieprodukten angewiesen war. Zudem beharrte der Süden vehement auf den demokratischen Grundsätzen des freien Überseehandels mit Europa, da er diesem seinen Wohlstand verdankte und weiterhin darauf angewiesen war, seine Rohstoffe wie Baumwolle, Reis und Tabak zu exportieren. Im Gegenzug wurden dort industrielle Fertigprodukte und verarbeitete Textilien und Stoffe angekauft und mit dem Schiff zurücktransportiert[54] Somit war auch auf der Heimfahrt das Schiff beladen und konnte anstelle einer Leerfahrt zudem günstiger benötigte Güter in die Heimathäfen des Südens bringen. Durch diese gegensätzlichen Interessen auf wirtschaftlicher Ebene entfremdeten sich die Slave States und die Free States immer weiter voneinander.

Während sich im Norden und Westen eine moderne Gesellschaft aus freien kleineren Farmern, Arbeitern und Industriellen mit sozialen Aufstiegsmöglichkeiten entwickelte, verharrte der Süden in einer gesellschaftlichen Starre, geprägt von fast schon feudal-aristokratischen Strukturen. Es gab eine kleine wirtschaftliche Oberschicht aus sklavenhaltenden Großgrundbesitzern, die gleichsam die politische Macht in den jeweiligen Staaten innehatte.[55] Daraus ergab sich eine komplexe Vernetzung zwischen Politik und Wirtschaft. Das Gros der weißen Einwohner des Südens bestand dagegen aus armen, sklavenlosen Kleinfarmern[56], die durch die jahrzehntelange Ausdehnung der Monokultur-Plantagen besonders im deep South immer weiter ins wirtschaftliche Abseits gedrängt wurden. Roger L. Ransom zitiert in Conflict and Compromise den Reisebericht des Nordstaatlers Frederick Law Olmsteds, der diese gesellschaftliche Situation zwischen 1857 und I860 belegt:

„Coming directly from my farm in New York to Eastern Virginia, I was satisfied, after a few weeks' observation, that most of the people lived very poorly; that the proportion of men improving their condition was much less than any northern Community; and that the natural resources of the land were strangely unused or were used with poor economy.''[57]

Als Olmsted weiter in den tieferen Süden kommt, werden die Gegensätze zwischen Nord und Süd, aber auch die Armut der einfachen Bevölkerung noch deutlicher:

„I went on my way into the so-called cotton states, within which I travelled over, first and last, at least three thousand miles of roads, from which not a cotton plant was seen, and the people living by the side of which certainly had not been made rich by cotton or anything else. And for every mile of road-side upon which I saw any evidence of cotton production, I am sure that I saw a hundred of forest or waste land, with only now and then an acre or two of poor corn half smothered in weeds; for every rich man's house, I am sure I passed a dozen shabby and half- furnished cottages and at least a hundred cabins - mere hovels, such as none but a poor farmer would house his cattle in at the North.''[58]

Dementsprechend negativ fällt auch sein abschließendes Urteil über das gesamtwirtschaftliche System der Slave States aus: „My own impression of the real condition of the People of our Slave States gave me [...] an impression that the cotton monopoly in some way did more harm than good. [...] and I find that the impression has become a conviction."[59] Ransom geht im Weiteren davon aus, dass viele Historiker auf Grund der Beobachtungen Olmsteds und anderer Berichte dieser Zeit zu dem Trugschluss kamen, die Slave States als wirtschaftlich rückständig zu betrachten.Dabei hätten sie jedoch die Effizienz der Sklavenarbeit und das bis zum Bürgerkrieg ansteigende pro Kopf Einkommen des Südens völlig außer Acht gelassen.[60]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[61]

Abbildung 2: Die Baumwollexporte der USA von 1815-1860.[62]

Dabei ist aus Abbildung 2 klar zu erkennen, dass der Baumwollexport im Vergleich zu den Gesamtexporten parallel bis 1860 kontinuierlich anstieg, dementsprechend auch das pro Kopf Einkommen der Bevölkerung des Südens.

Die Meinung Beards zu diesem Thema ist sehr schwer einzuschätzen, da er sich dazu nicht explizit äußert. Auf politischer Ebene räumt er den Slave States durchaus eine langwährende Dominanz innerhalb der Union ein[63], geht aber in der Zeit des antebellum von einem bereits erfolgten „silent shift''[64] der ökonomischen Kapazität des Südens zu Gunsten des industrialisierten Nordens aus. Klare statistische Belege oder Ähnliches führt er für seine Behauptung jedoch nicht an. Beard geht in seiner Betrachtung über die zweite amerikanische Revolution auch nicht näher auf die zwei konkurrierenden Wirtschaftssysteme ein, noch diversifiziert er näher deren Art, Funktionsweise oder Wirtschaftlichkeit. Auch auf regionale Unterschiede innerhalb der Slave States zwischen dem upper und dem lower oder deep South bezüglich der Effizienz oder Art des Einsatzes der Sklaverei als Wirtschaftsform dieser Staaten geht er nicht ein.

Charles Beard lässt eine weitere Erklärung aus, warum es eigentlich zu dieser Revolution kommen musste. Das wirft auch die Frage danach auf, über welche wirtschaftspolitischen Punkte man sich zwischen den Wirtschaftssystemen uneins war, und warum dieser „irrepressible conflict''[65] bestand. War letztlich nur die Erhebung von Einfuhrzöllen zum Schutze der jungen Industrie des Nordens, also die Frage des tariffs der Streitpunkt? Sollte das letztlich der Auslöser für bürgerkriegsähnliche Unruhen wie Bleeding Kansas gewesen sein - um durch Aufnahme des Staates als Slave State einen größeren politischen Einfluss auf wirtschaftliche Entscheidungen der Gesamtunion zu haben? An der Institution der Sklaverei im Süden selbst versuchte keine politische Instanz zu rütteln, lediglich an deren Ausdehnung. Da das Wirtschaftssystem des Südens und damit der Wohlstand der Oberschicht als wichtigste Stütze auf der Institution der Sklaverei aufbauten, mussten sie sich eigentlich nicht gefährdet fühlen, wirtschaftlich ihre Grundlage zu verlieren.

Roger Ransom geht hier tiefer ins Detail und fördert zwei weitere wichtige Details in diesem Puzzel zu Tage: In One Kind of Freedom hebt er zusammen mit Richard Sutch den Grund für das gesteigerte per capita income hervor.[66] Dieser liegt nicht in einer vermeintlichen Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität in den traditionellen Anbauregionen, sondern im Erschließen neuer fruchtbarer Böden im Westen, die noch nicht durch den exzessiven Anbau von Monokulturen verwüstet waren.[67] „In the cotton-growing regions of the South, crop productivity rose by less than 1 percent from 1839 to 1859 - hardly an impressivefigure. "[68]

„Viewed in this way, southern growth occurred primarily because of a continuous migration to more productive soils of the West. Yet within each geographic division southern growth was slow (and slower on the good lands of the West South central than on the poorer soils of the South Atlantic region). Rather than refuting the arguments that the southern slave economy was moribund, [these figures] support the notions that the South was indeed stagnating with respect to the North and that the only resource left to white Southerners who wished to better their positions was to move westward."

[...]


[1] Oder auch progressive historians genannt; Hauptvertreter waren Charles A. Beard (1874-1948), Vernon L. Parrington (1871-1929), Frederick Jackson Turner (1861-1932); Siehe hierzu: Richard Hofstadter, The Progressive Historians: Turner, Beard, Parrington, New York 1968.

[2] Charles A. Beard, An Economic Interpretation of the Constitution of the United States,

New York 1913.

[3] Charles A. und Mary R. Beard, The rise of American civilization, 2 Bd., New York 1927.

[4] Susan S. Baker, Radical beginnings: Richard Hofstadter and the 1930s, Westport 1985, S. 39, 63; Daniel J. Singal, Beyond Consensus: Richard Hofstadter and American Historiography, in: American Historical Review 89 (October 1984), S. 976-1004. Hier: S. 979, Anm. 7.

[5] Richard Hofstadter, in Übersetzung zitiert in: Andreas R. Klose, Dogmen demokratischen Geschichtsdenkens: monumentalische Nationalgeschichtsschreibung in den USA, Würzburg 2003, S. 222.

[6] Zitiert in: Jack Pole, Richard Hofstadter, in: Robert Allen Rutland (Hrsg.), Clio's Favorites: Leading Historians of the United States, 1945-2000, S. 68-83, Columbia 2000, S. 73f.

[7] Klose 2003, S. 223.

[8] 81955-1968.

[9] Kenneth M. Stampp, The peculier institution: Slavery in the ante-bellum South, New York 1956.

[10] Stanley Elkins, Slavery: A Problem in American Institutional and Intellectual Life, Chicago 1959.

[11] Siehe hierzu: Thomas Bender, Wholes and Parts: The Need for Synthesis in American History, in: Journal of American History 73 (Juni 1986), S. 120-136.

[12] Siehe hierzu: Peter Novick, That Noble Dream: The Objectivity Question and the American Historical Profession, Cambridge 1988; Thomas L. Haskell, Objectivity Is Not Neutrality: Explanatory Schemes in History, Baltimore 1988.

[13] Beard - Beard 1927, 2. Bd., S. 53.

[14] James M. McPherson, Battle Cry of Freedom: The Civil War Era, New York 1988, 202-233.

[15] Zitiert in: McPherson 1988, S. 232.

[16] McPherson 1988, S. 202-35.

[17] Siehe hierzu: James M. McPherson, The struggle for equality: abolitionists and the Negro in the Civil War and Reconstruction, Princeton 1964; Abraham Lincoln and the second American Revolution, New York 1991; The Second American Revolution, in: Michael Perman (Hrsg.), Major Problems in the Civil War and Reconstruction, Boston 1998, S. 433-442.

[18] McPherson 1998, S. 438.

[19] Horst Dippel, Die Amerikanische Revolution 1763-1787, Frankfurt am Main 1985, S. 11.

[20] H.-W. Kumwiede - B. Thibaut, Revolution - Revolutionstheorien, in: Dieter Nohlen (Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, München 1991, S. 593.

[21] Kumwiede - Thibaut 1991, S. 593.

[22] Karl Griewank, Der neuzeitliche Revolutionsbegriff: Entstehung und Geschichte, Frankfurt 1973, S. 230.

[23] Siehe hierzu: Charles Lockhart, The Roots of American Exceptionalism: Institutions, Culture and Policies, New York 2003; Godfrey Hodgson, The Myth of American Exceptionalism, New Haven 2009.

[24] Alexis de Tocqueville, Democracy in America, übers. von Henry Reeve, New York 1835,2. Bd., S. 36.

[25] Siehe hierzu: Frederick Jackson Turner, The Frontier in American History, NewYork 1921; auch online verfügbar auf: http://www.gutenberg.org/catalog/world/ readfile?fk_files=1530503, zuletzt zugegriffen am 30.7.2012.

[26] Victor Austin (Hrsg.), Der Amerikanische Bürgerkrieg in Augenzeugenberichten, Düsseldorf 1963, S. 14.

[27] Anette Völker-Rasor (Hrsg.), Frühe Neuzeit, 2. Auflage, München 2006, S. 108.

[28] Aus Benjamin Rushs Rede Adress to the People of the United States, gehalten im Januar 1787 im American Museum in Philadelphia, abgedruckt in: Colleen A. Sheehan - Gary L. McDowell (Hrsg.), Friends of the Constitution: Writings of the "Other" Federalists, 1787 - 1788, Indianapolis 1998, S. 1-5, hier: S. 1; Im Volltext online verfügbar auf: http://teachingamericanhistory.org/library/index.asp7documentM779, zuletzt zuge­griffen am 30.7.2012.

[29] Sheehan - McDowell 1998, S. 3.

[30] Völker-Rasor 2006, S. 108.

[31] Dippel 1985, S.11.

[32] Beard - Beard 1927, 2. Bd., S. 52-54.

[33] Beard - Beard 1927, 2. Bd., S. 53.

[34] Beard - Beard 1927, 2. Bd., S. 54.

[35] Beard - Beard 1927, 2. Bd., S. 54.

[36] Beard - Beard 1927, 2. Bd., S. 53.

[37] Beard - Beard 1927, 2. Bd., S. 54.

[38] Aus William H. Sewards Rede The irrepressible conflict, gehalten am 27. Oktober 1858 in Rochester, New York; online verfügbar auf: http://archive.org/details/ irrepressibleconüüsewa, zuletzt zugegriffen am 30.7.2012. 39Beard - Beard 1927, 2. Bd., S. 54. 4üBeard - Beard 1927, 2. Bd., S. 65.

[39] Zitiert in: Jan R. Van Meter, Tippecanoe and Tyler Too: Famous Slogans and Catchphrases in American History, Chicago 2008, S. 64.

[40] Zitiert in: Paul Leicester Ford (Hrsg.), The Writings of Thomas Jefferson, 2 Bd., New York - London 1893, hier: 2. Bd., S. 157.

[41] Oder auch Wilmot-Klausel genannt.

[42] Carl Sandburg, Abraham Lincoln, Das Leben eines Unsterblichen, Hamburg 1958, S. 130f.; Siehe auch: Timothy J. Henderson, A Glorious Defeat: Mexico and its War with the United States, New York 2007, S. 180f.

[43] Aus einer Rede Robert Toombs im House of Representatives, gehalten am 13. Dezember 1849, zitiert in: David M. Potter - Don. E. Fehrenbacher, The Impeding Crisis: 1848 - 1861, New York 1976, S. 94; Ebenso in: Roger L. Ransom, Conflict and Compromise: The Political Economy of Slavery, Emancipation, and the American Civil War, New York 1989, S. 99.

[44] Aus dem Gebiet des New-Mexico-Territoriums und den östlich des Rio Grande von Texas abgetretenen Gebiets entstanden später die Bundesstaaten New Mexico und Arizona, welche aber erst 1912 in die Union aufgenommen wurden.

[45] Zu den Ereignissen siehe: Dale E. Watts, How Bloody was Bleeding Kansas? Political Killings in Kansas Territory, 1854-1861, in: Kansas History: A Journal of the Central Plains 18, 2 (Summer 1995), S. 116-129; online verfügbar auf: http://www.kshs.org/ publicat/history/1995summer_watts.pdf, zuletzt aufgerufen am 30.7.2012.

[46] Bei der sogenannten Drei-Fünftel Klausel werden drei Fünftel der in einem bestimmten Staat lebenden Sklaven bei der nationalen Volkszählung für Steuerzwecke, als auch für die Sitzzuteilung des betreffenden Staats im Repräsentantenhaus mitgezählt.

[47] Online abrufbar auf: http://thesocietypages.org/socimages/tag/state-comparisons/ page/2/; zuletzt zugegriffen am 30.7.2012.

[48] Beard - Beard 1927, 2. Bd., S. 55.

[49] Louis Hacker, The triumph of American capitalism: the development of forces in American history to the end of the nineteenth century, New York 1940, S. 373.

[50] Beard - Beard 1927, 2. Bd., S. 55.

[51] Beard - Beard 1927, 2. Bd., S. 55.

[52] Beard - Beard 1927, 2. Bd., S. 55.

[53] Zur Sozialstruktur in den Südstaaten siehe: Ira Berlin, Generations of Captivity: A History of African-American Slaves, London 2003.

[54] Der Zensus von I860 belegt: Es gab 384.884 Sklavenhalter in den gesamten USA bei einer weißen Gesamtbevölkerung des Südens von 7,1 Million; siehe hierzu: Ransom 1989, S. 51.

[55] Frederick Law Olmsted, The Cotton Kingdom: A traveller's observation on cotton and slavery in the American Slave States, 2 Bd., New York - London 21862, hier: 1. Bd., S. 8; zitiert in: Ransom 1989, S. 50.

[56] Olmsted 21862, 1. Bd., S. 11; zitiert in Ransom 1989, S. 50.

[57] Olmsted 21862, 1. Bd., S. 8.

[58] So z.B.: Douglas Dowd, A Comparative Analysis of Economic Development in the American West and South, in: Journal of Economic History 16 (Dezember 1956); als auch: Eugene D. Genovese, The Political Economy of Slavery: Studies in the Economy and Society of the Slave South, New York 1965.

[59] Ransom 1989, S. 51.

[60] Aus: Douglass C. North, The Economic Growth of the United States, 1790-1860, Englewood Cliffs 1961, S. 233, Table A-VIII.

[61] Beard -Beard 1927, 2. Bd., S. 99: „Viewed in the large, the supreme outcome of the civil strife was the destruction of the planting aristocracy which [...] had practically ruled the United States for a generation."

[62] Beard -Beard 1927, 2. Bd., S. 55.

[63] Beard -Beard 1927, 2. Bd., S. 53.

[64] Siehe: Roger L. Ransom - Richard Sutch, One Kind of Freedom: The Economic Consequences of Emancipation, New York 1977, S. 267f.

[65] Ransom 1989, S. 52.

[66] Roger L. Ransom - Richard Sutch, Growth and Welfare in the American South in the Nineteenth Century, in: Explorations in Economic History 16 (April 1979), S. 212-218, hier: S. 214.

[67] Ransom - Sutch 1977, S. 268.

Ende der Leseprobe aus 127 Seiten

Details

Titel
Der Amerikanische Bürgerkrieg. Eine zweite Amerikanische Revolution?
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Historisches Seminar)
Note
2,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
127
Katalognummer
V280591
ISBN (eBook)
9783656739319
ISBN (Buch)
9783656739296
Dateigröße
1118 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
amerikanische, bürgerkrieg, eine, revolution
Arbeit zitieren
M. A. Dennis Heydegger (Autor:in), 2012, Der Amerikanische Bürgerkrieg. Eine zweite Amerikanische Revolution?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/280591

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