Die epikureische Erkenntnistheorie


Hausarbeit, 2012

14 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG

PERZEPTION
I
II
III

VERIFIKATION
I
II
III

FUNKTION

SCHLUSS

LITERATURVERZEICHNIS

Über die epikureische Erkenntnistheorie

Einleitung

Epikurs Popularität ist hauptsächlich auf seinen, wenn auch oft falsch interpretierten, Hedonismus zurückzuführen. Über die epikureische Erkenntnistheorie wird dabei oft hinweggegangen. Elisabeth Asmis schreibt sogar „it is generally believed that Epicurus did not have a coherent method of scientific inference.“1 Ebenso scheint es, als würde die Erkenntnistheorie in Epikurs Philosophie nur eine unbedeutende, ja unbeliebte Rolle spielen, welche unabhängig von dessen Ethik betrachtet werden kann. Diese Arbeit ist deshalb bemüht, im Rahmen des begrenzt zur Verfügung stehenden Platzes ein möglichst umfassendes Bild der epikureischen Erkenntnistheorie abzugeben. Dabei wird sich zeigen, dass die epikureische Philosophie durchaus über eine kohärente wissenschaftliche Methode und ein stimmiges epistemologisches System verfügt. Außerdem soll gezeigt werden, inwiefern die Erkenntnistheorie nötig ist für den epikureischen Hedonismus und inwieweit es möglich ist, Epikur „den diametralen Gegensatz seines Wissenschaftsverständnisses zum neuzeitlichen“2 vorzuwerfen.

Zunächst soll für diesen Zweck die epikureische Lehre von der Wahrnehmung besprochen werden. Zu Beginn wird im Abschnitt Perzeption so das Zustandekommen von Sinneswahrnehmungen erläutert, um in einem zweiten Schritt dann ein erstes Argument für deren wahrheitsverbürgende Stellung anzuführen: das Eliminieren von zwei alternativen Thesen. Anschließend soll die Passivität der Sinne als weiteres Argument hervorgehoben werden. Nach der Abhandlung der Sinneswahrnehmungen geht es im Abschnitt Verifikation um den Übergang von diesen zu gesichertem Wissen. Für diesen Zweck wird in einem ersten Schritt der Begriff „prolêpsis“ eingeführt, um dann den Vorgang der Bildung von Hypothesen und deren Überprüfung darzustellen. In einem letzten Teilabschnitt soll auf einen besonderen Fall hingewiesen werden, der Anlass dazu gibt, die Rolle der epikureischen Erkenntnistheorie im Abschnitt Funktion zu klären. Zum Schluss soll ein kurzer Vergleich zwischen der epikureischen Erkenntnistheorie und deren Rezeption im Werk Friedrich Nietzsches angestellt werden, um an- und abschließend ein konzentriertes, würdigendes Resümee zu geben.

Perzeption

I

Die Epikureer sind der Ansicht, Wahrnehmungen entstünden durch feine Atomfilme, die durch eine kontinuierliche, interne Vibration3 der jeweiligen Objekte abgesondert werden und auf die Sinnesorgane treffen. Da „jeder Durchgang für sie passt“4 sind diese besonders fein und deshalb schnell. Während die Bilder5 durch den zunehmenden Verlust an Atomen in ihrer Größe abnehmen, bleibt deren Anordnung nahezu konstant. Somit wird erklärt, dass sämtliche Gegenstände mit wachsender Entfernung kleiner, ihre Konturen jedoch nur minimal anders erscheinen. Bilder in Vorstellungen und Träumen hingegen entstehen durch das Eindringen von besonders feinen, oft einzelnen Bildern durch die Körperporen.6 Vorstellungen und Träume, wie solche von den „Hundefratzen des Zerberus“ oder die eines „Kentauren“7 ergeben sich durch einzelne, spontan entstandene Bilder oder das Zusammentreffen mehrerer Einzelbilder.8 Dem Einwand, dass somit alle Vorstellungen von der Zufälligkeit der sich einstellenden Bilder abhängen würden und daraus folgend, die Unmöglichkeit eines bewussten Hervorrufens von Bildern, entgegnet Lukrez folgendermaßen: So „wie auch die Augen sich anstrengen und einstellen, wenn sie etwas zu sehen anfangen“ erweist sich der Geist (animus 9 ) als Vorrichtung, die alle Bilder aussortiert bis auf die, welche in den jeweiligen Momenten gebraucht werden - Was keiner Restriktion unterliegt, da „zu jeder Zeit an jedem beliebigen Ort jedes beliebige Bild auf der Stelle bereit ist“10. Vorstellungen, Träume und Verwandtes werden demnach nicht vom Geist selbst erschaffen sondern entstehen durch dessen „aufmerksame Hinwendung“ auf die omnipräsenten Bilder11. Die beschriebene Theorie, dass Vorstellungen und Traumbilder somit ebenfalls von außen herrühren, erweist sich als Stärke im epistemologischen System der Epikureer. Wie Anthony Long und David Sedley bemerken, wird durch die Annahme, Einbildungen könnten nicht ohne von außen eindringende Bilder entstehen, die Möglichkeit ausgeschlossen, dass „die Sinneswahrnehmung selbst gelegentlich eine gleichermaßen interne Phantasie der Sinnesorgane sein könnte“.12

II

An die vorangehenden Ausführungen anschließend sollte es nun möglich sein zu rekonstruieren, warum nach epikureischer Auffassung alle Sinneseindrücke wahr sind. Wie Paul Natorp erläutert, übernimmt Epikur zwar Teile der Erkenntnislehre Demokrits, kommt jedoch durch die Emanzipation von dessen antisensualistischen Zügen zu anderen Schlüssen. So sollen „die Wahrnehmungen der Sinne (...) nicht bloss gültig, nicht bloss das Fundament der Bewährung für den λόγος, der allein die Wahrheit erkenne, sondern sie müssten auch selbst wahr sein.“13 Zunächst wird jedoch der konsequente Skeptizismus der postdemokriteischen Tradition14 verworfen. Dass alle Sinneswahrnehmungen falsch sind, wird somit durch folgende vier Argumente widerlegt.

1. Behaupten zu können, nichts sei wahr setzt voraus, sich zumindest dessen gewiss zu sein. Mit dem sokratischen Paradoxon stellt man sich „auf seinen eigenen Kopf in die eigene Fußspur“15.
2. Um den Begriff „Wissen“ zu gebrauchen, muss man ebenfalls über die Begriffe
„wahr“ und „falsch“ verfügen. Ein konsequenter Skeptiker ist hierzu nicht in der Lage, da er ohne etwas Wahrheit zuzusprechen die wechselseitige Beziehung der Begriffspaare nicht kennen kann.16
3. Dass die Vernunft als höheres Kriterium entscheidet, alle Sinneswahrnehmungen seien falsch ist für die epikureischen Empiriker nicht denkbar. „Wird etwa das von einer falschen Sinneswahrnehmung herrührende Denken die Kraft haben, den Sinnen zu widersprechen, wenn es doch insgesamt von den Sinnen herrührt?“17 4. Ein radikaler Skeptizismus führt in praxi zu einem hohen Maß an Lebensuntauglichkeit.18 Ob dies ein gutes Argument gegen den Skeptizismus ist, bleibt diskutabel. Die praktische Unmöglichkeit eines modus vivendi beweist nicht die Unwahrheit dessen Grundlage. Aus ratgeberethischer Sicht ist dieser Punkt allerdings kaum zu widerlegen.

[...]


1 Asmis (1984), S. 9.

2 Hossenfelder (2006), S. 121.

3 Vgl. Lukrez 2.80-124 (6); Epikur, Brief an Herodot 43-44 (1)

4 Epikur, Brief an Herodot 46-53 (3)

5 Der Gesichtssinn wird aufgrund seines erkenntnistheoretischen Primats ausführlich behandelt. Die Wahrnehmungen der anderen Sinne erklären sich analog. Der Tastsinn ist möglicherweise hervorzuheben, da dieser als selbstverständlich evident angesetzt wird. Dietrich Lemke sieht dies als Grund für das Übergehen des Fühlens in Epikurs Herodotbrief. Vgl. Lemke (1973), S. 5.

6 Vgl. Lukrez 4.722-822 (2)

7 Lukrez 4.722-822 (3).

8 Ebd..

9 Für die „Hinwendung“ ist der animus -Bereich der in animus und anima zweigeteilten Seele verantwortlich. Vgl. Lemke (1973), S. 14.

10 Lukrez 4.722-822 (8).

11 Vgl. Lemke (1973), S. 16, ferner Bailey (1964), S. 563.

12 Long/Sedley (1999), S. 90. Vgl. Diogenes Laërtius 10.31-32 (2). Dieser Punkt wird gegen Ende von Teilabschnitt III wieder aufgegriffen.

13 Natorp (1965), S. 210.

14 Der Skeptizismus Demokrits’ wird erst durch dessen Nachfolger voll entwickelt. Die Skepsis in der pyrrhonischen Tradition wird indirekt mit angesprochen. Vgl. hierzu Long/Sedley (1999), S.97.

15 Lukrez 4.469-521 (1).

16 Vgl. Lukrez 4.469-521 (2)

17 Lukrez 4.469-521 (5)

18 Vgl. Lukrez 4.469-521 (10-11).

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Die epikureische Erkenntnistheorie
Hochschule
Universität Mannheim
Autor
Jahr
2012
Seiten
14
Katalognummer
V280481
ISBN (eBook)
9783656736653
ISBN (Buch)
9783656736646
Dateigröße
548 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
erkenntnistheorie
Arbeit zitieren
Maximilian Reisch (Autor:in), 2012, Die epikureische Erkenntnistheorie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/280481

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die epikureische Erkenntnistheorie



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden