Die Reform des UN-Sicherheitsrats

Eine Analyse der Staatenpositionen nach 1990


Masterarbeit, 2014

151 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkurzungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Fragestellung und ZielederArbeit
1.3 Aufbau der Arbeit
1.4 Literaturuberblick
1.4.1 Monografien, Aufsatze, etc.
1.4.2 Internetplattformen
1.4.3 Vorangegangene Erhebungen von Staatenpositionen

2 Grundlegendeszum UN-Sicherheitsrat
2.1 Aufgaben des Sicherheitsrats
2.2 Zusammensetzung des Sicherheitsrats
2.3 Abstimmungsverfahren im Sicherheitsrat
2.4 Zusammenfassung

3 Reform des UNSC: Grunde, Ziele & Probleme
3.1 Sicherheitsratsreform als Kern der UN-Reform
3.2 Mangel an Reprasentativitat, Effektivitat und Legitimitat
3.3 Hindernisse einerReform des UNSC
3.4 Zusammenfassung

4 Kategorisierung der Diskussion um den UNSC
4.1 GroRe eines erweiterten Sicherheitsrats
4.2 Kategorien der Mitgliedschaft
4.3 Regionale Reprasentation
4.4 Das Vetorecht derfunf standigen Mitglieder
4.5 Arbeitsmethoden undBeziehung zurGeneralversammlung
4.6 Zusammenfassung
4.7 Schlussfolgerungen fur die Analyse

5 Reformgeschichte des Sicherheitsrats
5.1 Die Reformdiskussion bis 1990
5.2 Wiederaufleben der Diskussion in den 1990ern
5.2.1 Neue Weltordnung benotigt neuen Sicherheitsrat
5.2.2 DerRazali-Plan von 1997
5.3 Hohe Erwartungen an den Weltgipfel 2005
5.3.1 Auftakt zumGipfel
5.3.2 Reformmodelle vor dem Weltgipfel
5.4 Neue Gesprache zwischen 2008 und 2013
5.4.1 Das Ende der OEWG
5.4.2 Neue Verhandlungen und eine neueStaatengruppe
5.4.3 Erneuter Abbruch der Verhandlungenund aktuelleSituation
5.5 Zusammenfassung
5.6 Schlussfolgerungen fur die Analyse

6 Analyse der Staatenpositionen
6.1 Einleitende Bemerkungen
6.1.1 Aufbau desKapitels
6.1.2 Auswahl desUntersuchungsmaterials
6.1.3 Oberblick uberdie heute einflussreichsten UN-Staaten
6.2 Untersuchungszeitpunkt 1996/1997 (51. GV)
6.2.1 Kategorie Erweiterung
6.2.2 Kategorie Vetorecht
6.2.3 Kategorie Arbeitsmethoden
6.2.4 Positionender heute einflussreichstenUN-Staaten
6.2.5 Zwischenfazit
6.3 Untersuchungszeitpunkt 2004/2005 (59. GV)
6.3.1 Kategorie Erweiterung
6.3.2 Kategorie Vetorecht
6.3.3 Kategorie Arbeitsmethoden
6.3.4 Positionender heute einflussreichstenUN-Staaten
6.3.5 Zwischenfazit
6.4 Untersuchungszeitpunkt 2013/2014 (68. GV)
6.4.1 Kategorie Erweiterung
6.4.2 Kategorie Vetorecht
6.4.3 Kategorie Arbeitsmethoden
6.4.4 Positionender heute einflussreichstenUN-Staaten
6.4.5 Zwischenfazit
6.5 Vergleich der Untersuchungszeitpunkte
6.5.1 Kategorie Erweiterung
6.5.2 Kategorie Vetorecht
6.5.3 Kategorie Arbeitsmethoden
6.5.4 Positionender heute einflussreichstenUN-Staaten
6.5.5 Zwischenfazit
6.6 Zusammenfassung

7 Fazit und Schlussbetrachtung

8 Literaturverzeichnis

Anhang 1 Analyseanleitung

Anhang 2 Auflistung der Staatenpositionen 1996/1997 (51. GV)

Anhang 3 Auflistung derStaatenpositionen 2004/2005 (59. GV)

Anhang 4 Auflistung derStaatenpositionen 2013/2014 (68. GV)

Anhang 5 Auflistung der heute einflussreichsten UN-Staaten (Stand: 2013)

Tabellenverzeichnis

Tab. 1 Kategorien der UN-Reform

Tab. 2 Ziele der Sicherheitsratsreform

Tab. 3 Modelle der Hochrangigen Gruppe

Tab. 4 Modell der „Gruppe der Vier"

Tab. 5 Modell der Gruppe „Uniting for Consensus"

Tab. 6 Modell der Gruppe afrikanischer Staaten

Tab. 7 Modell der Gruppe „L.69"

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Kategorien und Unterkategorien der Analyse

Abb. 2 Staaten mit mindestens einer klaren Position 1996/1997

Abb. 3 Staatenpositionen 1996/1997-Erweiterung

Abb. 4 Staatenpositionen 1996/1997-Vetorecht

Abb. 5 Staatenpositionen 1996/1997-Arbeitsmethoden verbessern

Abb. 6 Gesamtubersicht - Untersuchungszeitpunkt 1996/1997

Abb. 7 Positionen der heute einflussreichsten Staaten 1996/1997 - nach Bevol- kerung

Abb. 8 Positionen der heute einflussreichsten Staaten 1996/1997 - nach Fla- chengroGe

Abb. 9 Positionen der heute einflussreichsten Staaten 1996/1997 - nach BIP

Abb. 10 Positionen der heute einflussreichsten Staaten 1996/1997 - nach UN- Beitragszahlungen

Abb. 11 Positionen der heute einflussreichsten Staaten 1996/1997 - nach UN- Truppen

Abb. 12 Positionen der heute einflussreichsten Staaten 1996/1997 - Indikatoren zusammengefasst

Abb. 13 Staaten mit mindestens einer klaren Position 2004/2005

Abb. 14 Staatenpositionen 2004/2005-Erweiterung

Abb. 15 Staatenpositionen 2004/2005-Vetorecht

Abb. 16 Staatenpositionen 2004/2005 - Arbeitsmethoden verbessern

Abb. 17 Gesamtubersicht-Untersuchungszeitpunkt 2004/2005

Abb. 18 Positionen der heute einflussreichsten Staaten 2004/2005 - nach Bevol- kerung

Abb. 19 Positionen der heute einflussreichsten Staaten 2004/2005 - nach Fla- chengroGe

Abb. 20 Positionen der heute einflussreichsten Staaten 2004/2005 - nach BIP

Abb. 21 Positionen der heute einflussreichsten Staaten 2004/2005 - nach UN- Beitragszahlungen

Abb. 22 Positionen der heute einflussreichsten Staaten 2004/2005 - nach UN- Truppen

Abb. 23 Positionen der heute einflussreichsten Staaten 1996/1997 - Indikatoren zusammengefasst

Abb. 24 Staaten mit mindestens einer klaren Position 2013/2014

Abb. 25 Staatenpositionen 2013/2014-Erweiterung

Abb. 26 Staatenpositionen 2013/2014-Vetorecht

Abb. 27 Staatenpositionen 2013/2014-Arbeitsmethoden verbessern

Abb. 28 Gesamtubersicht-Untersuchungszeitpunkt 2013/2014

Abb. 29 Positionen der heute einflussreichsten Staaten 2013/2014 - nach Bevol- kerung

Abb. 30 Positionen der heute einflussreichsten Staaten 2013/2014 - nach Fla- chengroGe

Abb. 31 Positionen der heute einflussreichsten Staaten 2013/2014 - nach BIP

Abb. 32 Positionen der heute einflussreichsten Staaten 2013/2014 - nach UN- Beitragszahlungen

Abb. 33 Positionen der heute einflussreichsten Staaten 2013/2014 - nach UN- Truppen

Abb. 34 Positionen der heute einflussreichsten Staaten 2013/2014 - Indikatoren zusammengefasst

Abb. 35 Staaten mit mindestens einer klaren Position - Zeitreihenvergleich

Abb. 36 Neue standige Sitze-Zeitreihenvergleich

Abb. 37 Neue nichtstandige Sitze-Zeitreihenvergleich

Abb. 38 Vetorecht abschaffen-Zeitreihenvergleich

Abb. 39 Vetorecht ausweiten-Zeitreihenvergleich

Abb. 40 Vetorecht beschranken-Zeitreihenvergleich

Abb. 41 Arbeitsmethoden verbessern - Zeitreihenvergleich

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

Lange Zeit hatte Saudi-Arabien auf einen nichtstandigen Sitz im UN- Sicherheitsrat (UNSC) hingearbeitet. Am 17. Oktober 2013 ging der Wunsch in Erful- lung: Die Vollversammlung der Vereinten Nationen wahlte das arabische Land erstmals in das wichtigste Organ der UN. Angetreten aber hat Saudi-Arabien seinen Sitz nicht; Begrundung: Unfahigkeit und Doppelmoral des UNSC (Erdmann 2013, BBC 2013). Damit sorgte Saudi-Arabien fur einen Eklat in der Volkergemeinschaft. Eine Mitgliedschaft schlieRe das Land aus, bis der Sicherheitsrat "reformiert worden ist und ihm die Mittel gegeben wurden, seine Aufgaben zu erfullen und seiner Verantwortung [...] gerecht zu werden" (Saudi Arabia Ministry of Foreign Affairs 2013, Deutsche Obersetzung zitiert nach Erdmann 2013). Sicher waren auch andere Grunde fur die Entscheidung maRgebend; dennoch sorgte der Schritt fur einen neuen negativen Hohepunkt in einer schier un- endlichen Debatte: der Reform des UN-Sicherheitsrats. Seit Grundung der UN, 1945, wahrt diese Diskussion, denn der Rat muss sich stets der aktuellen internationalen Si­tuation anpassen, um seine Aufgaben wahrnehmen zu konnen. Seine letzte Reform liegt allerdings mehr als 50 Jahre zuruck. Da das Ende des Kalten Krieges zu einer ext- remen Veranderung des internationalen Systems fuhrte, hat sich die Debatte speziell in den 1990ern auRerst intensiviert.

Der UNSC bildet das machtigste Hauptorgan der UN und ist hauptverantwort- lich fur die weltweite Friedenssicherung. Eine Untersuchung der Reformdebatte ist daher von groRer Wichtigkeit. So schreiben Gareis und Varwick (2006: 273), dass „in diesem Vorhaben alle Schwierigkeiten und Hindernisse der institutionellen Umgestal- tung der Organisation wie in einem Brennglas gebundelt erscheinen". Sie sprechen vom schwierigsten aller UN-Reformvorhaben (ebd.). Eine Neuordnung des Sicherheits- rats bezeichnet Bauer (2005: 53) als "Kernfrage des Friedenssicherungssystems der Vereinten Nationen". Laut Ozgercin und Steinhilber (2005: 6) spiegeln sich in der De­batte zudem die wichtigsten Rivalitaten auf dem Globus wider. Die Aussagen verdeut- lichen, von welch hoher Gewichtigkeit eine baldige Reform des Organs ist. Bis heute debattieren die UN-Mitgliedsstaaten allerdings ohne Aussicht auf baldigen Erfolg. Die

Diskussion ist festgefahren und das Finden eines Losungsvorschlags scheint unmoglich. Jede Position erzeugt eine Gegenposition, sodass die Debatte von schier unlosbaren Grabenkampfen gepragt ist und immer mehr an Obersichtlichkeit verliert.

1.2 Fragestellung und Ziele der Arbeit

Diese Arbeit wird die Mehrheitsverhaltnisse der verschiedenen Meinungslager in der Diskussion nach der Debattenintensivierung 1990 darstellen und deren Veran- derungen im Zeitverlauf aufzeigen. Die zugrundeliegende Fragestellung lautet: Wie haben sich die Mehrheitsverhaltnisse der Staatenpositionen seit den 1990ern gean- dert? Unter „Position" wird die Haltung eines Staates zu Reformvorschlagen verstan- den. Ein Land kann demnach Vorschlage befurworten, ablehnen oder sich nicht (ge- nau) dazu auRern. Dadurch lassen sich die Mehrheitsverhaltnisse zwischen den Befur- wortern, den Gegnern und unbekannten Positionen aufzeigen.

Als Quellenmaterial der Analyse dienen die offiziellen Protokolle der Plenarsit- zungen zum Agendapunkt „Question of equitable representation on and increase in the membership of the security council and related matters" der Generalversammlung. Auf Grundlage eines Kategoriensystems werden die Stellungnahmen der UN- Mitgliedsstaaten zu verschiedenen Untersuchungszeitpunkten analysiert. Kategorien und Untersuchungszeitpunkte werden im Laufe der Abhandlung erarbeitet. In welchen Kategorien herrscht zu den Erhebungszeitpunkten bspw. die groRte Einigkeit? Welche Forderungen erreichen eine Zweidrittelmehrheit, welche nicht? Aufbauend auf diesen Ergebnissen wird es daraufhin moglich, Tendenzen der Debatte darzustellen. In wel- cher Kategorie haben sich im Laufe der Zeit die Mehrheitsverhaltnisse verschoben? Wachst in einer Kategorie das Lager der Fursprecher oder der Gegner, stagnieren die Verhaltnisse oder schrumpft eine Seite in ihrer Anzahl? Bezogen in einer Kategorie womoglich fruher deutlich mehr Staaten Stellung als heute? Diagramme werden die Auswertungsergebnisse grafisch dar- und gegenuberstellen. Die Auffalligkeiten in den Darstellungen werden angesprochen und durch Erklarungsversuche gestutzt.

Das beschriebene Vorgehen wird nicht nur fur alle UN-Mitglieder durchgefuhrt, sondern auch fur die heute einflussreichsten Staaten der UN (Stand: 2013). Da als Ziel der Reformdebatte u. a. gilt, bedeutende Staaten besser im UNSC reprasentiert zu se- hen, erscheint eine Analyse der Positionen dieser Nationen besonders interessant. Welche Staaten zu den einflussreichsten der UN gezahlt werden, wird in dieser Arbeit uber funf Indikatoren ermittelt. Neben der Bevolkerung, FlachengroRe und dem Brut- toinlandsprodukt eines Staates rucken hierbei auch die Anteile am UN-Gesamtbudget sowie das Abstellen von UN-Truppen in den Fokus. Diese funf Bereiche wurden ge- wahlt, da ihnen in der Diskussion eine groRe Bedeutung zugemessen wird. Vorwiegend dann, wenn es um die Frage geht, welches Land fur einen neuen standigen Sitz in Frage kommt. In allen funf Bereichen werden die zehn starksten Staaten aufgefuhrt. Jedes Land, das mindestens in einem Bereich vertreten ist, wird in die Liste der einfluss­reichsten UN-Staaten aufgenommen. Die Untersuchung wird zeigen, wie sich die Mehrheitsverhaltnisse in den funf Bereichen geandert haben. Eine Analyseanleitung (Anhang 1) stellt die Richtlinien zur inhaltlichen Analyse auf und gibt Ankerbeispiele.

Die Ergebnisse der Arbeit liefern eine Grundlage, grobgefasste Reformvorschla- ge zu entwickeln, die fur den GroRteil der Staaten annehmbar waren. Sie ermoglichen auRerdem, Tendenzen in der Reformdebatte zu erkennen. Aus der Analyse geht auch hervor, welche Widerstande in den einzelnen Kategorien vorherrschen. Die Untersu­chung zeichnet sich zudem durch ihre Aktualitat aus, da sie die Positionen der Staaten fur die jungste Vollversammlung 2013/2014 aufzeigt. Nicht nur aufgrund des einheitli- chen Analysematerials bietet sie sich ferner als Grundlage fur Folgeforschungen an.

Die Arbeit kann die Mehrheitsverhaltnisse nur zu wenigen Fragen darstellen. Eine weitergehende Betrachtung wurde den vorgegebenen Rahmen sprengen. Bei- spielweise geht aus der Analyse nicht hervor, welche potentiellen Anwarter auf einen standigen Sitz den groRten Ruckhalt genieRen oder wie viele Lander eine bestimmte Anzahl von Sitzen fur die verschiedenen Regionen fordern. Es gibt zahlreiche Fragestel- lungen, auf die weitergehende Untersuchungen aufbauen konnen. Ziel dieser Arbeit ist es nicht, einen eigenen mehrheitsfahigen Vorschlag zu entwickeln. Die Abhandlung wird auch keine Reformmodelle aus der Wissenschaft darstellen oder behandeln.

1.3 AufbauderArbeit

Zur Beantwortung der Fragestellung geht die Arbeit in mehreren Schritten vor. Kapitel 2 und 3 haben zunachst einfuhrenden Charakter. Das zweite Kapitel geht auf

Aufgaben, Zusammensetzung und das Abstimmungsverfahren des Sicherheitsrats ein. Diese Kenntnisse sind grundlegend zum Verstandnis der folgenden Betrachtungen. Darauffolgend stellt Kapitel 3 das Thema UN-Sicherheitsratsreform genauer vor. Zu- nachst wird die Wichtigkeit des Themas in der generellen UN-Reformdebatte heraus- gestellt. Im Folgenden wird darauf eingegangen, warum eine Reform des UNSC als notwendig erachtet wird, was sie bezwecken soll und warum die Umsetzung so schwierig zu realisieren ist. Nachdem dem Leser damit eine grundlegende Wissensba- sis zum UNSC und der damit verbundenen Reformdiskussion vermittelt wurde, begin- nen die Voruberlegungen der Analyse. Im vierten Kapitel wird eine Kategorisierung der Debatte erfolgen. Diese dient als Grundlage fur das Analyseraster. SchlieRlich geht Ka­pitel 5 genauer auf die bisherigen Entwicklungen in der Reformdebatte ein. Fur die Analyse ergeben sich aus dieser Betrachtung u. a. die Erhebungszeitpunkte, wichtige Gruppierungen und weitere grundlegende Informationen.

Der Analyseteil folgt im sechsten Kapitel und bildet den letzten Schritt der Ar­beit. Die Erkenntnisse der bisherigen Untersuchung werden in diesem Kapitel gebun- delt. Mit Hilfe des erarbeiteten Analyserasters, der getroffenen Auswahl von Erhe- bungszeitpunkten, etc. werden die Stellungnahmen der Staaten analysiert. Das Kapitel wird auRerdem die Auswahl des Quellenmaterials naher erlautern. AbschlieRend kommt es zu einem Vergleich der Untersuchungszeitpunkte. Die Arbeit wird stets Zwi- schenfazits und Zusammenfassungen bereitstellen, die die wichtigsten Erkenntnisse noch einmal bundeln.

1.4 Literaturuberblick

1.4.1 Monografien, Aufsatze, etc.

Speziell seit den 1990ern beschaftigen sich unzahlige Autoren und Texte mit der Debatte. Frohlich et al. (2005: 8 f.) sprechen bereits 2005 von einer unuberschau- baren Literaturfulle zum Thema UN-Sicherheitsratsreform. In den Folgejahren hat die Komplexitat noch einmal deutlich zugenommen. Die meisten Texte stellen die Reform­debatte in ihrer Breite dar, andere spezialisieren sich auf bestimmte Bereiche (bspw. die Reformgeschichte, die Vetodebatte, die Arbeitsmethoden, usw.). Bedeutende deutsche Werke stammen von Lisette (2002) und Santos (2011). Lisettes (2002) Arbeit geht u. a. aufdie Forderung Deutschlands nach einem standigen Sitz ein. Santos (2011) untersucht in ihrem Buch die Auswirkungen der Sicherheitsratsreform auf die interna­tional Ordnung. Beide Untersuchungen vermitteln ein breites Wissensspektrum zur Sicherheitsratsreform. Auch die Arbeiten von Gareis und Varwick (2007) sowie Fass- bender (1998, 2003, 2004, 2005, 2005a) und Hassler (2013) haben sich, neben zahlrei- chen anderen, als wertvolle Informationsquellen erwiesen. Eine sehr ausfuhrliche Dar- stellung aller Reformvorschlage bis 2005 liefern Frohlich et al. (2005).

International hat sich besonders die Abhandlung von Swart (2013) als auf- schlussreich herausgestellt. Sie beschaftigt sich mit den Entwicklungen in der Diskussi- on zwischen 2007 und 2013. Freiesleben (2013) wiederum zeigt die Reformdebatte zwischen 1945 und 2003 gut auf. Luck (2005, 2007), Martini (2010, 2010a) und Ronzitti (2010) bilden in ihren Abhandlungen die Reformdiskussion in ihrer Breite ab. Zudem haben sich auch altere Arbeiten als sehr gute Quellen erwiesen. Winkelmann (1997) stellt beispielweise ein sehr ausfuhrliches Werk zur Sicherheitsratsreform bis 1997 be- reit. Saksena (1993), Czempiel (1994) und Tsakaloyannis/Bourantonis (1995) bilden besonders gut die Ereignisse zu Beginn der 1990er ab.

1.4.2 Internetplattformen

Gerade aufgrund der Brisanz und Aktualitat des Themas erweist sich das Inter­net als gewinnbringende Quelle. Im Folgenden wird nur eine erlesene Auswahl vorge- stellt. So ist fur eine kurze Einfuhrung in die Sicherheitsratsdebatte die Darstellung des Auswartigen Amts der Bundesrepublik Deutschland empfehlenswert.[1] Reformvor­schlage konnen als *.pdf, in deutscher Sprache, abgerufen werden. Der „Security Council Report" (SCR) stellt aktuelle Informationen uber die Aktivitaten des Sicher- heitsrats bereit.[2] Zwei Internetplattformen stechen in ihrer Materialfulle deutlich her- aus: das „Center for UN Reform Education"[3] und das „Global Policy Forum" (GPF)[4]. Die Plattformen bieten unzahlige Stellungnahmen, Interviews, Forschungsarbeiten, etc. zur Sicherheitsratsreform. Leider sind auf der Seite des Center for UN Reform Education zahllose Verknupfungen seit mehreren Monaten nicht funktionsfahig (letzter Seitenbe- such: 5.3.2014). Eigentlich sollte auch auf die Seite „reformtheun.org"[5] verwiesen werden, die ein breites Informationsangebot bereitstellte. Die Plattform ging wahrend der Arbeiten an dieser Untersuchung allerdings vom Netz.

Das Internet ist zudem zum Beziehen von Dokumenten, Protokollen u. A. zum Thema Sicherheitsratsreform die erste Anlaufstelle. Die Vereinten Nationen verfugen uber eine auRerordentlich gute Archivierung ihrer Dokumente.[6] Ober verschiedene Plattformen, z. B. das United Nations Dag Hammarskjold Library[7], kann kostenfrei auf sie zugegriffen werden.

1.4.3 Vorangegangene Erhebungen von Landerpositionen

Eine Auswertung der Landerpositionen von 2005 und 2006 stellen Hellmann und Roos (2007) bereit. Die Kategorisierung deckt sich weitestgehend mit dem Analy- seraster dieser Arbeit. Auf die Untersuchung wird dennoch aus verschiedenen Grun- den nicht in dieser Arbeit zuruckgegriffen. Zum einen nutzen die Autoren eine Vielzahl von Quellen. Warum die Autoren dabei die Positionen der Lander wahrend der 60. und 61. GV zusammenfassen, erweist sich als besonders fragwurdig. Zum zweiten ergab eine eigene stichprobenartige Oberprufung der Analyse zum Teil erheblich abweichen- de Ergebnisse. Als Beispiel sei Kuba genannt. Die Autoren geben an, der Staat lehne eine Erweiterung des Vetos ab. In der Quelle gibt das Land aber zu bekennen: "The new permanent [...] members joining the Council as part of this expansion should re­ceive the same prerogatives as current permanent members [...], including the veto" (A/60/PV.49:19). Zudem setzt sich Kuba fur eine Beschrankung des Privilegs ein: "[...] it is necessary, as a first step in that direction, to limit the veto's use to actions taken under Chapter VII of the Charter" (ebd.). Diese Position vertritt das Land auch wahrend der 61. GV (A/61/PV.72: 19). Die Autoren tragen fur Kuba jedoch keine Stellungnahme zur Vetobeschrankung ein. Neben auftretenden Rechtschreibfehlern („Lybien", Seite A11) lasst die Darstellung zudem einen gewissen Grad an Nachvollziehbarkeit vermis- sen. Bei Rumanien wurde in die Unterkategorie „Standige Sitze" ein Strich eingetragen, bei Malaysia ein „(ja)". Die Bedeutungen dieser einmaligen Eintragungen werden an keiner Stelle erwahnt. Von einer Nutzung der Analyse wird daher abgesehen.

Das Global Policy Form (GPF) wertete die Staatenpositionen von 2008 aus. Ana- lyseraster und Kodierungen decken sich nicht mit den in dieser Arbeit verwendeten. Die Untersuchung flieRt daher nicht mit in die Analyse ein. Sonstige Arbeiten, die die Stellungnahmen von Staaten mithilfe eines Analyserasters analysieren, sind dem Autor nicht bekannt.

2 Grundlegendeszum UN-Sicherheitsrat

2.1 Aufgaben des Sicherheitsrats

1945 gegrundet, dienten die Vereinten Nationen zunachst als Militarbundnis gegen Deutschland, Japan und deren Verbundete.[8] Heute sind die Vereinten Nationen ein reines Jnstrument der Friedenswahrung" (Gehlhoff 1991: 18). Sie bestehen aus souveranen Staaten und sind „ein politischer Zweckverband ohne uberstaatliche Auto- ritat" (Unser 1997: 25).[9] Der Sicherheitsrat ist eines von funf Hauptorganen und nahm am 17. Januar 1946 seine Arbeit auf.[10] Im Folgenden sollen kurz die Aufgaben des UNSC dargelegt werden, um die Wichtigkeit dieses UN-Organs herauszustellen.[11]

Mit dem Sicherheitsrat beschaftigt sich Kapitel V der UN-Charta. Der Sicher­heitsrat ist laut Artikel 24 der Charta hauptverantwortlich fur die Wahrung des Welt- friedens sowie der internationalen Sicherheit. Er ist das Tor fur die Vereinten Nationen, „eine Schlusselrolle in der internationalen Ordnung einzunehmen" (Santos 2011: 13). Sein Handeln vollzieht er „im Namen der Organisation und nicht der einzelnen Mit- gliedsstaaten" (Unser 1997: 88). Der Rat entscheidet uber friedliche und militarische MaRnahmen zur Erhaltung des Weltfriedens. Das Entsenden von Friedenstruppen liegt in seiner Hand. Weitere Befugnisse sind u. a. das Treffen von Empfehlungen fur die Ernennung des Generalsekretars, die Ernennung von Sonderbeauftragten und die Emp- fehlung zur Aufnahme neuer Mitglieder in die UN. Ferner empfiehlt er der Generalver- sammlung den (vorubergehenden) Ausschluss von Mitgliedsstaaten.[12] Seine Aufgaben kann der UNSC jederzeit wahrnehmen (siehe Artikel 28 der UN-Charta). Bei Bedarf kann er Hilfsorgane einsetzen. Seine Beschlusse mussen von allen Mitgliedsstaaten befolgt werden; diese Macht besitzt kein anderes Hauptorgan der UN.

2.2 Zusammensetzung des Sicherheitsrats

Um die Reformdiskussion rund um den UNSC nachvollziehen zu konnen, ist die Kenntnis uber dessen Aufgaben nur eine elementare Wissenssaule. Der folgende Ab- schnitt beschreibt daher den Aufbau, der diesem Hauptorgan zugrunde liegt.[13]

Der Sicherheitsrat setzt sich nach Artikel 23 der UN-Charta aus funf standigen Mitgliedern und zehn nichtstandigen Mitgliedern zusammen. Kein anderes UN-Organ unterscheidet zwischen solchen Kategorien. Die USA, GroGbritannien, Frankreich, Russland (bis 1991 Sowjetunion) und die Volksrepublik China (bis 1991 Republik China (Taiwan)) bilden die standigen Mitglieder, kurz P5 genannt. Die nichtstandigen Mitglie­der werden von der Generalversammlung gewahlt und verweilen zwei Jahre im Amt. Jedes Jahr kommt es zur Wahl funf neuer nichtstandiger Mitglieder; eine sofortige Wiederwahl ist unmoglich. Als nichtstandige Mitglieder sind laut Artikel 23 Absatz 1 der UN-Charta Staaten zu bevorzugen, die besonders „zur Wahrung des Weltfriedens und zur internationalen Sicherheit" beigetragen haben. Zudem sieht der Absatz eine „angemessene geographische Verteilung der Sitze vor". In der Praxis gilt diese als wich- tigstes Kriterium. Der seit 1965 gultige Schlussel unterteilt in folgende Regionen (Sitze in Klammern): Osteuropa (1), westeuropaische und andere Staaten (2), Lateinamerika (2), afro-asiatische Staaten (5). In der UN-Charta ist diese 1963 festgelegte Regelung jedoch nicht vorhanden; es handelt sich schlicht um ein „gentlemen's agreement" (Fahl 1978: 22; Unser 1997: 88; Lisette 2002: 13). Staaten, die nicht Mitglied des UNSC sind, konnen auf Einladung bzw. Zustimmung der Mitgliedsstaaten an den Sitzungen des Rates teilhaben, verfugen jedoch uber kein Stimmrecht.

2.3 Abstimmungsverfahren im Sicherheitsrat

SchlieRlich ist zu klaren, welche Abstimmungsmechanismen im UNSC herr- schen. Das Abstimmungsverfahren wird in Artikel 27 der UN-Charta geregelt. Es geht auf die Jalta-Formel von 1945 zuruck. Unterschieden wird zwischen Verfahrensfragen und Sachfragen bzw. sonstigen Fragen. Jedes Mitglied besitzt eine Stimme. Abstim- mungen zu Verfahrensfragen setzen lediglich die Zustimmung von neun Mitgliedern des Rates voraus - unabhangig davon, ob es sich um standige oder nichtstandige Mit- glieder handelt. Diese Anzahl ist auch bei Sachfragen notwendig, jedoch mussen hier- bei alle standigen Mitglieder ihre Zustimmung erteilen. Jedes der standigen Mitglieder besitzt ein sogenanntes Vetorecht, von dem es frei Gebrauch machen kann. Abstim- mungen im Sicherheitsrat konnen so blockiert bzw. zum Scheitern gebracht werden (Hufner/Naumann 1974: 47; Fahl 1978: 32 ff.). Die Abgrenzung zwischen den Fragety- pen ist nicht immer eindeutig. Um zu klaren, ob eine Angelegenheit als Verfahrens- oder Sachfrage zu behandeln ist, stimmen die Mitglieder des Rates vorher daruber ab. Die standigen Mitglieder sind bereits bei dieser Abstimmung dazu befugt, von ihrem Vetorecht Gebrauch zu machen. Daher wird von einem doppelten Veto der standigen Mitglieder gesprochen (Wolfrum/Philipp 1991: 767; Lisette 2002:14, Santos 2011: 41).[14] Blockierungen konnen durch Enthaltung umgangen werden. Die Abwesenheit eines standigen Mitglieds gilt nicht als Veto. Weitere Ausnahmen von der Einstimmigkeitsre- gelung bestehen bei der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten (Fahl 1978: 36; Unser 1997:103 f.).[15]

2.4 Zusammenfassung

Das Kapitel zeigte die herausragende Stellung des Sicherheitsrates auf. Er bildet das UN-Organ mit den weitreichendsten Befugnissen und dergroRten Verantwortung.

Seine Zusammensetzung ist besonders, da er aus funf standigen sowie zehn nichtstan- digen Mitgliedern besteht. Dementsprechend herrscht in ihm ein spezielles Abstim- mungsverfahren, gekennzeichnet durch ein (doppeltes) Veto der P5. Es wurde deut- lich, dass das Organ uber verschiedene Moglichkeiten verfugt, seiner Hauptaufgabe, der Sicherung des Weltfriedens, nachzukommen.

3 Reform des UNSC: Grunde, Ziele & Probleme

Nachdem die Grundlagen zum UNSC geklart wurden, wird das folgende Kapitel schrittweise in die Problematik der Sicherheitsratsreform einfuhren. Zunachst kommt es zu einer kurzen Einbettung der Reformdebatte in den Kontext der UN-Reform. Es wird aufgezeigt werden, dass die Reform des UNSC eine besonders bedeutsame Rolle spielt. Im nachsten Schritt erfolgt eine pragnante Darstellung der Kritik, mit der sich der Sicherheitsrat konfrontiert sieht. Es wird versucht, die Debatte zu systematisieren und in Teilbereiche einzugrenzen. Nach der Darstellung der Defizite, die der UNSC aufweist, kommt es zur Klarung der Frage, was eine Losungsfindung in der Debatte so schwierig macht. Der letzte Punkt wird sich in diesem Zusammenhang mit den Voraus- setzungen fur eine Anderung der UN-Charta beschaftigen.

3.1 Sicherheitsratsreform als Kern der UN-Reform

Im Gegensatz zum Volkerbund sind die Vereinten Nationen nicht zerbrochen. Auch den Kalten Krieg, der die Organisation lange Zeit blockierte, uberstanden sie (Czempiel 1994: 49). Dennoch werden die UN seit ihrer Grundung mit Anderungs- und Verbesserungsvorschlagen konfrontiert. Kein Wunder, sind die Vereinten Nationen doch eine Organisation, die auf dynamisches Wachstum sowie die Anpassung an neue Herausforderungen ausgelegt ist (Wolfrum/Philipp 1991: 663 f.; Varwick 2006:15). Die Reform der UN bezeichnet Knapp (2006: 275) daher auch als „Dauerproblem der in­ternational Staatengemeinschaft". Sollten die Vereinten Nationen zu Beginn ihrer Existenz noch dafur Sorge tragen, „kunftige Geschlechter vor der GeiRel des Krieges zu bewahren" (Praambel der UN-Charta), so sehen sie sich heute mit ganz neuen Problem- feldern konfrontiert. Umweltprobleme, Seuchen, Korruption und Terrorismus sind zu ernsthaften Bedrohungen der internationalen Sicherheit geworden. Die Probleme der Gegenwart haben viele Gestalten: sozial, wirtschaftlich, politisch und okologisch (Kugel 2009:7; Thakur 2009: 301).

Besonders mit dem Ende des Kalten Krieges ist eine hitzige Debatte daruber entbrannt, wie die Vereinten Nationen zu reformieren seien, um in der neuen Weltlage bestehen zu konnen.[16] Ohne Weiterentwicklung und Anpassung, dessen sind sich die Mitgliedsstaaten der Organisation bewusst, konnen sich die UN nicht behaupten (Tsakaloyannis/Bourantonis 1995:105; Varwick 2004: 37; Fassbender 2005a: 67; Frohlich et al. 2005: 8; Thakur 2009: 298; Santos 2011: 13). Die Komplexitat des Begriffs Re­form" ist seit Beginn der Diskussionen dabei immer vielschichtiger geworden (Santos 2011:13). Diese Arbeit versteht die UN-Reform den bisherigen Darstellungen und dem Handbuch der Vereinten Nationen folgend als „ein auf Evolution des UN-Systems zie- lender, in Teilen institutionalisierter ProzeB der Anpassung des UN-Systems an eine sich wandelnde Umwelt mit dem Ziel, die Wirksamkeit der Organisation zu verbessern" (Wolfrum/Philipp 1991: 663). Die UN-Reformvorhaben lassen sich in drei Kategorien typologisieren, welche in Tabelle 1 dargestellt sind.

Tab. 1: Kategorien der UN-Reform

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Das Hauptaugenmerk der (offentlichen) Diskussion liegt auf der Reform des UN-Sicherheitsrats (Hilpold 2006: 33). Diese fa lit unter die Kategorie „institutionelle Reformen". Die langwierige Debatte uber die Reform des UNSC belastet die Vereinten Nationen aus diversen Grunden. Bspw. leidet die Glaubwurdigkeit der Organisation darunter (Santos 2011:13). So ist der Sicherheitsrat elementar fur die UN, um ernstge- nommen zu werden und die eigenen, in der Charta verankerten Anspruche effektiv erfullen zu konnen (Papadopoulou 2005: 2). Allerdings hat der UNSC langst an Glaub- wurdigkeit verloren. Herausragende Beispiele sind der Alleingang der USA im Irakkon- flikt 2003 und die militarischen Operationen der NATO 1999 im Kosovo. Der Volker- mord in Ruanda und das Massaker von Srebrenica sind zudem tiefe Wunden, die zei- gen, dass der Sicherheitsrat in seiner jetzigen Form kaum in der Lage ist, die internati­onal Sicherheit wahren zu konnen. Das inkonsequente Vorgehen des Organs schadet daher dem Ansehen der gesamten Vereinten Nationen.

Der UNSC ist zudem die einzige Moglichkeit der UN, Zahne zeigen zu konnen (Tsakaloyannis/Bourantonis 1995: 109). Ohne Starke und Konsequenz kann ein Organ, das den Weltfrieden sichern soil, seinen Aufgaben aber nicht nachkommen. Eine inter­national Friedensorganisation, die dem Feind nur einfache Resolutionen und Verur- teilungen entgegenwirft, ohne Muskeln spielen lassen zu konnen, sei laut Tsakaloyannis/Bourantonis (1995: 109) nicht uberlebensfahig, wie sie am Beispiel des Volkerbundes aufzeigen. Daher bedurfe es einer Anpassung an die neuen internationa- len Begebenheiten (ebd.: 105 f.; Santos 2011: 16). Eine Reform des Sicherheitsrats ist also unausweichlich.

3.2 Mangel an Reprasentativitat, Effektivitat und Legitimitat

Dass eine Reform notig ist, ist einer der wenigen Punkte, in denen sich die UN- Mitgliedsstaaten einig sind. Einigkeit herrscht auch daruber, welche Ziele die Reform haben soll. Diese konnen zusammengefasst werden mit einer Steigerung der Reprasen­tativitat, der Effektivitat und der Legitimitat (Tabelle 2). Anders formuliert soll die Ent- scheidungsfindung demokratischer gestaltet und die Chance erhoht werden, dass Be- schlusse effektiv umgesetzt werden. Zudem soll der Sicherheitsrat die Machtverhalt- nisse der Welt besser abbilden (Lisette 2002: 1; Fasulo 2004: 105; Frohlich et al. 2005: 10; Gareis/Varwick 2006: 275, 277; Muller-Henning 2010: 2; Santos 2011: 169; Sarwar 2011: 257/268 f.). Wie eine Reform aber genau aussehen soll, ist stark umstritten.

Tab. 2: Ziele der Sicherheitsratsreform

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Den Willen der internationalen Gemeinschaft sehen Kritiker in der derzeitigen Zusammensetzung nicht (langer) reprasentiert. Gerade weil es weltweit kein Organ gibt, das dem Sicherheitsrat in Machtfulle und Aufgabenbereichen gleicht, sei es umso wichtiger, dass das Organ eine hohe Reprasentativitat aufweise (Heinz/Litschke 2012: 6). Der UNSC sieht sich ferner mit der Kritik uber mangelnde Transparenz (gegenuber anderen UN-Mitgliedsstaaten und gegenuber der Offentlichkeit) und einer undemo- kratischen Arbeitsweise konfrontiert. Weiterhin steht zur Debatte, dass der Rat sich weder vor der Generalversammlung noch vor den Nationen der Welt verantworten muss (Thakur 2009: 302 f.; Kugel 2009: 2). Die Reformdiskussion kann demzufolge auf zwei groRe Themenbereiche eingegrenzt werden: (1) Die Zusammensetzung des Sicherheitsrats sowie (2) dessen Arbeitsmethoden und seine Beziehung zur General­versammlung (Papadopoulou 2005: 5; Kugel 2009: 2 f.). Eine differenzierte Kategorisie- rung wird in Kapitel 4 erfolgen.

3.3 Hindernisse einer Reform des UNSC

Die herausragende Stellung des Sicherheitsrates bringt es mit sich, dass das Or­gan enorm von nationalen Interessen gepragt ist. Das Bestehen der Vereinten Natio­nen aus verschiedenen Staaten bedeutet, dass Fortschritte nur unter Abwagung der einzelnen Landerinteressen erreicht werden konnen (Heinz/Litschke 2012: 5; Gareis/Varwick 2006: 263). Dass dies unter 193 Mitgliedsstaaten, die auf dem gesam- ten Erdball verteilt liegen, von groRter Schwierigkeit ist, erweist sich als offensichtlich. Das wichtigste Anliegen zahlreicher Regierungen ist das Sichern der eigenen Macht und des eigenen Einflusses. Oft zwingt die Staaten auch die offentliche Meinung im eigenen Land dazu, ihre Interessen in den Vordergrund zu stellen. Die Welt, ihr Friede und ihre Entwicklung mussen dann zurucktreten (Bertrand 1988:34).

Die nationalen (und regionalen) Interessen der verschiedenen Mitgliedsstaaten haben diverse, scheinbar unvereinbare, divergierende Meinungen zur Sicherheitsrats- reform zur Folge. Kein Vorschlag wurde bisher von dem Gros der Staaten akzeptiert. Eine konsensfahige Losung ware erst dann erreicht, wenn moglichst alle UN- Mitgliedsstaaten eine Verbesserung des Status quo erkennen (Gareis/Varwick 2006: 274). Neue Reformvorschlage haben allerdings immer zur Folge, dass sich zwei Bewe- gungen herausbilden: die der Fursprecher und die der Widersacher. Grunde fur Ge- genbewegungen sind u. a. das Einflussstreben der jeweiligen Lander, geopolitische Oberlegungen und regionale Rivalitaten (Santos 2011:14). Thakur (2009: 303) schreibt, die Reform des Sicherheitsrates werde von einer "curious oddity", also einer merk- wurdigen Kuriositat, gefangen gehalten. So herrsche grundsatzlich ein Konsens daru- ber, dass es einer Reform des Rates bedurfe. Sobald allerdings konkrete Vorschlage auf den Tisch gelegt werden, offnen sich tiefe Graben. Es scheint, fuhrt Thakur (2009: 303) weiter aus, als wurde die Anzahl der Verlierer immer wieder die Zahl der Gewinner uberwiegen. Dieser Umstand macht die Durchfuhrung einer Sicherheitsratsreform bis­lang unmoglich. Ferner werden einer solchen auch durch die UN-Charta hohe Hurden gelegt.

Die UN-Charta trat am 24. Oktober 1945 in Kraft. Sie ist keine Verfassung, son- dern ein volkerrechtlicher Vertrag und war von Beginn an nicht als unantastbare Sat- zung gedacht. Es war vorgesehen, sie neuen internationalen Begebenheiten stetig an- zupassen (Unser 1997: 26). Keiner Anderung der Charta bedurfen interne Organisati- onsrechtsreformen. Zahlreiche tiefgreifende Reformvorschlage setzen allerdings eine Anderung voraus. Hierzu zahlt auch die Reform des Sicherheitsrats.

Die Voraussetzungen fur eine Umgestaltung der Charta sind in ihren Artikeln 108 und 109 beschrieben. Anderungen der Satzung sind nur durch eine Zweidrittel- mehrheit in der Generalversammlung moglich - unabhangig von der Zustimmung bzw. Ablehnung der P5. Wurde eine Zweidrittelmehrheit erreicht werden, stunde die Ratifi- zierung aus. Auch dieser mussten zwei Drittel der UN-Mitgliedsstaaten nachkommen. Die Ratifizierung der P5 ist hierbei jedoch zwingend erforderlich, da sie durch ihr Veto- recht Anderungen blockieren konnen (Unser 1997: 26; Bauer 2005: 54; Gareis/Varwick 2006: 269; Nahory/Paul 2008: 31 F.; Martini 2010a: 9; Ronzitti 2010: 3 F.)17. Selbst ein Vorschlag, der die Zweidrittelmehrheit erreicht, konnte so von nur einem standigen Mitglied gekippt werden. Dass unter den P5 selbst keine Einigkeit in der Debatte exis- tiert, erschwert zusatzlich die Einigungsfindung (Gareis/Varwick 2006: 277; Santos 2011: 15). Dadurch zeigen sich drei Probleme, die eine Reform des Sicherheitsrats so schwierig machen. Einerseits mussen die P5 untereinander in der Streitfrage Einigkeit erzielen. Andererseits muss ein Konsens zwischen zwei Dritteln der UN-[17]

Mitgliedsstaaten gefunden werden. SchlieRlich mussen die beiden gefundenen Kom- promisse miteinander vereinbar sein. Frohlich et al. (2005: 11) stellen fest: Jegliche formelle Charta-Anderung ist ein Weltprojekt, das ohne ausreichende Unterstutzung auf allen Kontinenten der Erde keine Realisierungschance hat".

In der Geschichte der UN kam es erst zu funf Anderungen der Charta.[18] Die ein- zige den Sicherheitsrat betreffende Anderung wurde 1965 vorgenommen. Artikel 23 der Charta wurde dahingehend abgeandert, dass die Zahl der Mitglieder des Sicher- heitsrats sich von elf auf 15 erhohte. Weiterhin wurde Artikel 27 erneuert, der fortan vorsah, dass neun Mitglieder Sicherheitsratsbeschlusse in Verfahrensfragen befurwor- ten mussen - vorher waren es sieben (Unser 1997: 86; Weiss 2003: 148 f.; Luck 2007: 113; Kugel 2009: 2). Kapitel 5 wird darauf naher eingehen.

3.4 Zusammenfassung

Die Vereinten Nationen bilden eine Organisation, die geschaffen wurde, sich neuen globalen Herausforderungen und neuen internationalen Ordnungen anzupas- sen. Dementsprechend werden seit ihrer Grundung Reformdiskussionen in verschie- denen Bereichen durchgefuhrt. Durch eine grundlegende Reform sollen die UN wei­terhin in der Lage sein, drangende Probleme effektiv und mit der notigen Legitimation bearbeiten zu konnen. Die Ausrichtung des UNSC ist dabei entscheidend fur die inter­national Stabilitat in diesem Jahrhundert (Tsakaloyannis/Bourantonis 1995:116). Kriti- ker werfen dem UNSC vor allem mangelnde Demokratie, mangelnde Legitimitat, eine unzureichende geografische Reprasentation und eine unzureichende Reprasentation der internationalen Gemeinschaft vor (Ronzitti 2010: 17). Da Staaten vorwiegend im eigenen Interesse handeln, ist es schwierig, in der Debatte Einigkeit zu erzielen. Zusatz- lich erschwert die UN-Charta eine Einigung, da fur eine weitreichende Reform des Sicherheitsrats eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist. Ware diese erreicht, mussten zudem alle standigen Mitglieder den Schritt der Ratifizierung gehen. Aufgrund dieser widrigen Umstande ist die Debatte um eine Reform des Sicherheitsrats zum Dauer- brenner in den UN avanciert.

4 Kategorisierung der Diskussion um den UNSC

Die Reformdebatte wird in funf Kategorien gefuhrt, die die Diskussion systema- tisieren.[19] Kapitel 2 dieser Arbeit stellte den Sicherheitsrat vor. Kapitel 3 gab darauffol- gend eine Einfuhrung in die Reformdebatte. Aufbauend auf den Darstellungen werden die funf Kategorien nun im Einzelnen kurz besprochen. Mit Hilfe dieser Betrachtung soll daraufhin festgelegt werden, wie das Analyseraster der eigentlichen Untersuchung aufgebaut wird.

4.1 GroRe eines erweiterten Sicherheitsrats

Die Zusammensetzung des Rates wurde bereits vor der eigentlichen Grundung der Vereinten Nationen als „willkurlich" (Santos 2011: 22) betitelt. An dieser Kritik hat sich bis heute nichts geandert. Noch heute spiegelt der UNSC die Machtkonstellation nach dem Zweiten Weltkrieg wider. Die internationale Ordnung hat sich seither aller- dings stark verandert. Das Missverhaltnis zwischen UN-Mitgliedschaft und Sicherheits- ratsmitgliedschaft ist mit der gestiegenen Zahl der UN-Mitgliedsstaaten gewachsen. Ganze Kontinente sind derzeit unterreprasentiert und Lander von groRer politischer, militarischer und/oder wirtschaftlicher Macht gar nicht erst vertreten. Breite Zustim- mung herrscht daher bei der Forderung, den Sicherheitsrat um neue Mitglieder zu er- weitern. Die Frage nach dem „Wie" zahlt jedoch zu den umstrittensten in der Reform- diskussion (Fassbender 2003: 184; Klein/Breuer 2008: 89; Nahory/Paul 2008: 29; Santos 2011: 32; Sarwar 2011: 257).

Jene, die sich fur eine Erweiterung des UNSC einsetzen, trennt u. a. die Frage nach der Anzahl der neuen Sitze. Entscheidungen sind hierbei ein Balanceakt zwischen Effektivitat und Legitimitat (CSS 2010:1). Je nachdem, ob unter Effektivitat ein schnel- les Handeln oder eine bindende Wirkung verstanden wird, werden andere Anspruche an die Zusammensetzung des UNSC gestellt, wie Lisette (2002:173 ff.) erlautert. So ist eine kleine Anzahl von Staaten bspw. dem schnellen Handeln forderlich. FalIt die Er- weiterung zu gering aus, sind Reprasentativitat und Legitimitat weiterhin gefahrdet. Wurde die Zahl der Mitglieder des Sicherheitsrats andererseits beliebig erhoht werden, ware der Sicherheitsrat aufgeblaht und umso ineffizienter (Czempiel 1994: 62; Chadwick 2006: 50 f.; Gareis/Varwick 2006: 278; Muller-Henning 2010: 2; Klein/Breuer 2008: 89; Ronzitti 2010: 17). Selbst bei einer Einigung auf die Anzahl neuer Sitze bleiben jedoch weitere Fragen offen.

4.2 Kategorien der Mitgliedschaft

Eine offene Frage ist, in welchen Kategorien der Sicherheitsrat erweitert wer­den sollte. Der UNSC kennt zwei: standige und nichtstandige. Eindringliche Diskussio- nen kreisen v. a. um den Punkt der standigen Mitgliedschaft. Sind es nicht die einfluss- reichsten Lander der Welt, die die Entscheidungen im UNSC fallen, so ist seine Legiti­mitat beschrankt. Das Spektrum der machtigen Staaten auf der Erde erweiterte sich langst um neue Nationen aus Lateinamerika, Asien, Afrika und Europa. Ob weiterhin allein die Siegermachte des Zweiten Weltkriegs, der vor nunmehr 69 Jahren sein Ende fand, die Geschicke des machtigsten VN-Organs leiten sollten, wird in Zweifel gezogen (Fahl 1978: 20 f.; Chadwick 2006: 37; Santos 2011: 27). Ob daher neue standige Mitglie­der installiert werden mussen oder die standige Mitgliedschaft gar abgeschafft gehort, steht zur Debatte. SchlieRlich bleibt auch hier die grundlegende Frage, ob eine Auswei- tung der standigen Mitgliedschaft den Sicherheitsrat nicht gar ineffektiver werden las­sen wurde (Hassler 2013:124 f.).

Abgesehen davon, dass einige Staaten Anspruche auf einen standigen Sitz ver- melden, wird auch die Frage erhoben, ob einige der P5 ihren Platz uberhaupt noch zu Recht innehaben. Speziell GroRbritannien, Frankreich und Russland sehen sich mit dem Vorwurf konfrontiert, ihren standigen Sitz nicht mehr langer verdient zu haben. Grun- de fur die Kritik sind u. a. der Verlust politischen Gewichts, die im Vergleich zu anderen Staaten (v. a. Deutschland und Japan) geringe Wirtschaftskraft und ebenso vergleichs- weise geringen Beitragszahlungen (Tsakaloyannis/Bourantonis 1995: 112; Papadopou- lou 2005:4; Hartwig 2008:47; Thakur 2009: 302; Santos 2011:169/31).

Weniger problematisch scheint der Wunsch, die Kategorie der nichtstandigen Sitze zu erweitern. Mit der Wahl nichtstandiger Mitglieder befasst sich Artikel 23 der UN-Charta. Dieser sieht, wie bereits angesprochen, u. a. einen geografischen Schlussel vor, nach dem jene ernannt werden. Die „angemessene geografische Verteilung" bil- det allerdings nur eine Leitlinie zur Wahl der Mitglieder. Ein Recht auf die Aufnahme als nichtstandiges Mitglied besteht also grundsatzlich nicht. Dieser Missstand trage dazu bei, dass Reprasentativitat, Legitimitat, Effektivitat und Glaubwurdigkeit des UNSC in Frage gestellt werden (Weyel 2008: 9; Santos 2011: 13). Kritiker sehen nicht- standige Mitglieder ohnehin benachteiligt.[20] Hierbei ruckt speziell die zweijahrige Neuwahl in den Fokus. Nahory und Paul (2008: 30) schreiben dahingehend, die nicht­standigen Mitglieder wurden sich wie „short-term passengers on a long-distance train" fuhlen. Eine der wenigen grundlegenden Einigungen in der Reformdebatte liegt zu- mindest darin, den Sicherheitsrat um neue nichtstandige Mitglieder zu erweitern, um seine Reprasentativitat zu steigern (Ronzitti 2010:10).

4.3 Regionale Reprasentation

lm Lager derer, die sich fur eine Erweiterung um neue standige Sitze einsetzen, herrscht wiederum Dissens; speziell bei der Frage danach, was genau der Sicherheits­rat letztendlich reprasentieren soll. Am ehesten wird unter „Reprasentation" eine Aus- gewogenheit aus Landern aller Teile des Erdballs verstanden.[21] Es wird davon gespro- chen, dass der Sicherheitsrat die wichtigsten Religionen, Zivilisationen und Kulturen reprasentieren solle. Jeder Staat hat indes eine eigene Antwort darauf, was er unter „die wichtigsten [...]" und unter „Ausgewogenheit" versteht. Wird demnach nach den Kriterien fur eine Aufnahme als standiges Mitglied in den Sicherheitsrat gefragt, gibt es kaum objektive Antworten (Zacher 2004: 215 f.; Gareis/Varwick 2006: 273; Fassbender 2003: 184). Einige Staaten sehen die Wirtschaftsleistung und den Beitrag zum regula- ren UN-Haushalt als wichtigste Kriterien. Andere sprechen sich fur die territoriale Aus- dehnung, Bevolkerungszahl und die Unterstutzung der UN mit Soldaten bzw. Personal aus. Auch militarische Starke wird teilweise als ein Auswahlkriterium herangezogen (Thakur 2009: 302/304). Je nachdem, welche Kriterien in den Vordergrund geruckt werden, kommen andere Staaten fur neue Sitze in Frage. Durch diese unterschiedli- chen Vorstellungen wird v. a. ein Nord-Sud-Dissens deutlich (Fassbender 2004: 344 ff.).

Derzeit ist der Sicherheitsrat sehr europazentriert aufgestellt. Allein drei der funf standigen Mitglieder - Russland mitgezahlt - stammen vom europaischen Konti- nent. Aus der westlichen Staatenwelt sind zudem die USA vertreten. Ferner kann Eu- ropa im Hochstfall drei nichtstandige Mitglieder stellen. Zahlreiche Lander und Regio- nen, besonders Afrika, sehen sich aufgrund dieser Zusammensetzung diskriminiert. Die derzeitige Zusammensetzung wurde dazu beitragen, dass einige wenige Staaten den Sicherheitsrat dominieren. Je nach Interessenlage der standigen Sicherheitsratsmit- glieder wurden einige Konflikte mehr Aufmerksamkeit als andere erhalten, was die Effizienz des Sicherheitsrats mindere (Wallensteen/Johansson 2004: 30). Die Entschei- dungen des Rates seien eher der Wille von den USA, GroRbritannien und Frankreich, da jene die Entscheidungen am meisten vorantreiben wurden. Demnach sei die Zu­sammensetzung nicht nur zu alt, sondern auch undemokratisch. Gerade jetzt, wo die UN verstarkt fur demokratische Prinzipien einstehen, musse sich dies auch in der Struktur widerspiegeln (Tsakaloyannis/Bourantonis 1995:107 f.; Thakur 2009:302).

Anspruche auf einen standigen Sitz stellen besonders die afrikanischen Staaten Nigeria und Sudafrika sowie die asiatischen Staaten Indien, Indonesien, Pakistan und Japan. Auf dem lateinamerikanischen Kontinent sieht sich Brasilien als Anwarter, in Europa die Bundesrepublik Deutschland (Varwick 2004: 39; Fassbender 2005: 10/17; 2005a: 68; Gareis/Varwick 2006: 273). Der eigenen Interessenlage folgend, sprechen sich verschiedene Lander fur verschiedene Staaten als standige Mitglieder aus. Ge- genwind erhalten die Anwarter stets von ihren regionalen Rivalen, die eine Gefahr fur ihren Status erkennen (Zacher 2004: 217; Nahory/Paul 2008: 32; Klein/Breuer 2008: 84; Kugel 2009: 3; Thakur 2009: 304; Sarwar 2011: 259 F.). Auch bei einer erhohten Repra- sentation im Sicherheitsrat bleibt allerdings die Frage, ob er dadurch nicht ineffizienter arbeiten wurde (Hofstotter 2006:158 ff.; Hassler 2013:107 F.).

4.4 Das Vetorecht der funf standigen Mitglieder

Das enorme politische Gewicht einer standigen Mitgliedschaft ist auf das Veto­recht zuruckzufuhren (Fahl 1978: 33). Die Stellung der GroGmachte als standige Mit­glieder sowie ihr Vetorecht sollten nach dem Zweiten Weltkrieg dazu beitragen, die Fehler des Volkerbundes nicht zu wiederholen (Weiss 2003: 150 f., 2005: 11/13). Das Veto sollte den Siegermachten fortan nicht nur dazu dienen, ihre eigenen Interessen wahren zu konnen. Es sollte auch helfen, eine Kooperation und Verstandigung zwi- schen den Machten zu fordern und damit den Frieden in der Welt zu wahren. Dennoch stand das Vetorecht aufgrund der damit verbundenen, herausragenden Macht von Beginn an in der Diskussion. Da die Sowjetunion sowie die USA die Implementierung dieses Vetorechts allerdings als Grundvoraussetzung ansahen, der Organisation beizu- treten, geriet die Kritik in den Hintergrund (Fahl 1978: 33; Fassbender 2003: 210; Zacher 2004: 211 f.; Wallensteen/Johansson 2004; Luck 2007: 111; Volger 2007: 487; Santos 2011: 20; Sarwar 2011: 258). Besonders wahrend des Kalten Krieges war es jedoch eben jenes Vetorecht, das den Sicherheitsrat blockierte (Hufner/Naumann 1974: 51 ff.; Wolfrum/Philipp 1991: 768; Czempiel 1994: 52; Fasulo 2004: 41; Hofstotter 2006: 143). Kishore Mahbubani (Mbuende 2008: 22), ehemaliger standiger Reprasentant Singapurs bei den VN, und Nahory/Paul (2008: 33) beschreiben das dem Vetorecht zugrundelie- gende Problem kurz und bundig. Ihnen nach wurde den standigen Mitgliedern Macht ohne Verantwortung gegeben, wahrend die nichtstandigen Mitglieder mit Verantwor- tung ohne Macht konfrontiert sind.

Jene, die nicht auf das Vetorecht zuruckgreifen konnen, bezeichnen dieses machtige Instrument zumeist als undemokratisch. Es sei ein Recht, das den Grundsatz der souveranen Gleichheit verletze (Czempiel 1994: 63; Fassbender 2003: 210 f.; Varwick 2004: 38; Fassbender 2004: 351; Papadopoulou 2005: 10; Luck 2007:119; Martini 2010: 4; Ronzitti 2010:13 f.; Santos 2011: 33 ff.). Zudem verletze das Vetorecht in all seinen Formen[22] den Grundsatz der Vereinten Nationen von Treu und Glauben (Santos 2011: 41) und stehe im Widerspruch zu den Ambitionen des Sicherheitsrats. Denn wenn „sich die Verfahren der kollektiven Sicherheit niemals gegen Vetostaaten richten kon­nen" (Czempiel 1994: 66) wird die Friedensfunktion des UNSC ad absurdum gefuhrt.

Auch bei diesem Diskussionspunkt haben sich verschiedene Lager herausgebil- det. Forderungen reichen von der Beibehaltung des Vetorechts, uber eine Einschran- kung, bis hin zur Abschaffung. Zudem stellt sich die Frage, ob neue standige Mitglieder das Privileg erhalten sollten. Da mit dem Innehaben eines standigen Sitzes im Sicher- heitsrat ein enormer Machteinfluss einhergeht, konnen sich die P5 freilich nur schwer mit dem Gedanken eines Machtverlustes anfreunden (Bertrand 1988: 34; Fassbender 2003: 198, 2005a: 71; Fassbender 2004: 351 F.; Klein/Breuer 2008: 90; Ronzitti 2010: 13 f.). Eine Abschaffung des Privilegs scheint daher unrealistisch. Einige Autoren bezeich- nen das Vetorecht der P5 gar als „Ewigkeitsgarantie" (Hofstotter 2006: 147; Klein/Breuer 2008: 75). Eine Beschrankung des Vetorechts konnte beispielweise auf freiwilliger Basis erfolgen oder auf Fragen nach Kapitel VII der UN-Charta.[23] Eine Bei­behaltung bzw. Nichtausweitung des Vetorechtes wurde die P5 in ihrer herausragen- den Stellung festigen. Der Vorschlag der Ausweitung des Privilegs auf neue standige Mitglieder wiederum wurde die Chance erhohen, dass der Sicherheitsrat noch ineffi- zienter arbeite. Besonders eine solche Ausweitung wurde spatere Reformen des Veto­rechtes noch schwieriger werden lassen. Vorschlage, neuen standigen Mitgliedern kein Vetorecht zuzugestehen, wurden den Sicherheitsrat andererseits in drei Klassen bzw. Kategorien teilen. Auch das konnte u. U. zu erhohter Ineffizienz beitragen (Winkelmann 1997: 83; Wouters/Ruys 2005: 26 F.; Klein/Breuer 2008: 91).

4.5 Arbeitsmethoden und Beziehung zur Generalversammlung

Mit der Zunahme der Friedenseinsatze zu Beginn der 1990er stiegen auch die Forderungen nach groGerer Transparenz und dem Ausbau der Mitwirkungsmoglichkei- ten von Nichtmitgliedern und NGOs (Volger 2008: 353, 2010: 195 f.). Volger (2010: 195) zeigt weitere zentrale Diskussionspunkte auf: Format von Sitzungen, Informati- onsbeschaffung, Art der Entscheidungen und Art der Information von Nichtmitglie­dern. Das Feld der Arbeitsmethoden ist noch viel weitreichender. Eine Verbesserung dieser Methoden wurde dazu beitragen, Legitimation, Effizienz, Effektivitat und Re- chenschaftspflicht des Sicherheitsrats zu starken (Mbuende 2008: 26). Zudem erhohe der Rat durch eine solche Reform die Chance, dass seine Beschlusse durch die Mit- gliedsstaaten effektiver umgesetzt werden. Von Reformen in diesem Bereich wurden dementsprechend Mitglieder des Sicherheitsrats und Nichtmitglieder gleichermaRen profitieren (Volger2010: 195).

Wenn auf einem Gebiet Fortschritte bei der Reform des Sicherheitsrats erzielt wurden, dann bei den Arbeitsmethoden; genauer gesagt in den Bereichen Transpa- renz, Kommunikation und Rechenschaftspflicht (Weiss 2003: 154; Zacher 2004: 218; Mbuende 2008: 26; Weyel 2008: 9; Volger 2008: 359, 2010: 195, 200 f.; Santos 2011: 35).[24] Vorwiegender Grund fur die Fortschritte ist, dass Anderungen von Arbeitsme­thoden keiner Zweidrittelmehrheit bedurfen. Allein zwischen 1993 und 2006 wurden dadurch mehr als 50 Beschlusse gefasst (Mitteilung des Prasidenten des Sicherheitsrats, UN Doc. s/2006/78 vom 7.2.2006).

Mittlerweile ist es weitgehend ublich, dass die Inhalte der informellen Diskussi- onen offentlich gemacht und Resolutionsentwurfe den Nichtmitgliedern bereit gestellt werden (Volger 2010: 197). Die Anzahl informeller und formeller Sitzungen halt sich seit Ende der 1990er ungefahr in Waage und neue Sitzungstypen wurden geschaffen (Volger 2008: 358, 2010: 200).[25] Die vorlaufige Geschaftsordnung des Sicherheitsrates (UN Doc. S/96/Rev.7) sieht offentliche Sitzungen als Regelfall an. Zudem greift der Sicherheitsrat immer wieder auf Informationen bzw. Hinweise von externen Experten sowie Nichtmitgliedern zuruck. NGOs und solche UN-Mitgliedsstaaten, die nicht Teil des UNSC sind, besitzen heuten dementsprechend weitaus mehr Mitwirkungsmoglich- keiten als noch zu Beginn der 1990er (Nahory/Paul 2008: 34; Kugel 2009: 3; Volger 2008: 351, Volger 2010: 197/210). So haben auch die Treffen nach der Aria-Formel zugenommen. Diese besagt, laut den Artikeln 31 und 32 der UN-Charta, dass Nichtmit­glieder das Recht auf die Teilnahme an solchen Sitzungen haben, bei denen es um Fra- gen geht, die ihre Interessen besonders betreffen bzw. sie Teil eines Konflikts sind, mit dem sich der Sicherheitsrat beschaftigt (Volger 2010: 201).

Kritisiert werden dennoch auch weiterhin eine mangelnde Kooperation mit truppenstellenden Staaten, mangelnde Transparenz, mangelnde Einbindung von Nichtmitgliedern, die fehlende Rechenschaftspflicht des Sicherheitsrats gegenuber den UN-Mitgliedsstaaten und der Offentlichkeit, etc. Im Detail beanstanden Kritiker u. a., dass zu zahlreichen Sitzungen des Sicherheitsrats weiterhin keine Protokolle angefer- tigt werden. Durch Vorverhandlungen der P5 fuhlen sich die nichtstandigen Mitglieder zudem ubergangen (Volger 2008: 351 ff., 2010:196; Santos 2011: 36/38; Heinz/Litschke 2012:18 f.; Hassler 2013:105 f.). Artikel 12 der UN-Charta ist ein weiteres Beispiel fur einen Diskussionspunkt. Ihm nach ist die Generalversammlung nicht dazu befugt, ohne ausdruckliches Ersuchen durch den Sicherheitsrat, Empfehlungen zu Streitigkeiten ab- zugeben, mit denen sich der Sicherheitsrat bereits befasst. AuGerdem wird die kurze Prasidentschaftszeit im Rat kritisch betrachtet. Diese wechselt monatlich im Rotations- prinzip (Nahory/Paul 2008: 30). Als problematisch wird aber besonders die Haltung der P5 angesehen, die sich gegen eine Institutionalisierung von Fortschritten stellen. Eine solch fehlende schriftliche Fixierung schurt die Angst unter den UN-Mitgliedsstaaten, die P5 konnten das Erreichte ruckgangig machen (Volger 2010:196; Santos 2011:36).

4.6 Zusammenfassung

In seiner Zusammensetzung sollte der Sicherheitsrat 1945 die neue internatio­nal Ordnung widerspiegeln. Diese hat sich bis heute jedoch grundlegend verandert. Zusammenfassend wird demnach deutlich, dass der GroGteil der UN-Mitgliedsstaaten sich nur darin einig ist, dass die Zusammensetzung des Sicherheitsrats geandert wer­den musse. Eine Aufrechterhaltung des Status quo wurde standige und nichtstandige Mitglieder weiter voneinander entfernen; ferner wurde sich das Nord-Sud-Gefalle in- tensivieren (Santos 2011:16). Befurwortet wird grundsatzlich die Erweiterung um neue nichtstandige Mitglieder. Ob es neue standige Mitglieder geben sollte - und wenn ja, welche diese sein sollen - wird hingegen hitzig debattiert.

Die Debatte um das Vetorecht ist emotional sehr aufgeladen (Wouters/Ruys 2005: 34). Da mit dem Recht eine enorme Machtfulle verbunden ist, die nur einem kleinen, auserwahlten Mitgliederkreis zuganglich ist, wird das Privileg als ungerecht empfunden. Das Vetorecht, so die Argumentation, entspreche nicht den (demokrati- schen) Grundsatzen der Vereinten Nationen (Wolfrum/Philipp 1991: 767; Lisette 2002: 14; Santos 2011: 22). Eine Abschaffung scheint aber unmoglich. Die Diskussion ist von grower Sturheit gepragt und befindet sich daher in einer Sackgasse.

Im Bereich der Arbeitsmethoden wurden hingegen bis heute zahlreiche Verbes- serungen erzielt, bspw. eine gestiegene Anzahl offentlicher Sitzungen und eine engere Zusammenarbeit mit Nichtmitgliedern des Rates.[26] Trotz der Verbesserungen bleibt die Kritik an den Arbeitsmethoden des Sicherheitsrats aber ungebrochen. Aus dem Kapitel geht hervor, dass alle funf Kategorien eng miteinander verknupft und kaum voneinan- der zu trennen sind.

4.7 Schlussfolgerungen fur die Analyse

Wie die Betrachtung zeigte, teilt sich die Reformdebatte in viele einzelne Dis- kussionsfelder auf; sie ist damit sehr komplex. So komplex, dass eine Analyse von Stel- lungnahmen der Lander unter Einbeziehung aller Diskussionspunkte den Rahmen die- ser Arbeit deutlich sprengen wurde. Das Ziel muss es daher sein, die Analyse auf weni- ge Problemfelder zu begrenzen, um eine ausfuhrliche Untersuchung der Felder im vor- gegebenen Umfang der Arbeit zu ermoglichen. Daher wird die Entscheidung getroffen, dass die Analyse in drei Kategorien erfolgt: (1) Erweiterung, (2) Vetorecht, (3) Arbeits­methoden. Kategorie 1 wird analysieren, ob sich ein Staat in seiner Stellungnahme fur neue standige und/oder neue nichtstandige Sitze ausspricht, sich dagegen auRert oder keine klare Stellung bezieht. Die Kategorie wird also in zwei Unterkategorien unterteilt: (Neue) standige Sitze und (neue) nichtstandige Sitze. In der Kategorie Vetorecht wer- den die Unterkategorien Abschaffung, Ausweitung (auf neue standige Mitglieder) und Beschrankung festgelegt. Es wird gepruft, ob ein Land diese Schritte bejaht, verneint oder keine erkennbare Stellung bezieht. Diese Positionen werden in der letzten Kate­gorie auch fur die Arbeitsmethoden erfasst. Daruber hinausgehende Betrachtungen waren fur diese Arbeit zu umfangreich und flieRen daher nicht mit in die Untersuchung ein. Beispielhafte weitere Fragen waren: Wie sollen die Sitze unter den Regionen auf- geteilt werden? Nach welchen Kriterien sollen die Inhaber der Sitze bestimmt werden?

Wie soil eine Beschrankung des Vetorechts genau aussehen? Welche Arbeitsmethoden sollen im Speziellen verbessert werden? Abbildung 1 stellt die Unterteilung dar.

Abb. 1 Kategorien und Unterkategorien der Analyse

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

5 Reformgeschichte des Sicherheitsrats

Die wichtigsten Inhalte der Debatte wurden mit den bisherigen Ausfuhrungen aufgezeigt. AbschlieRend wird die Vorbetrachtung auf den Verlauf der Reformge­schichte eingehen. Die Darstellung wird verdeutlichen, wie festgefahren und kompli- ziert die Diskussion ist und wie kompromisslos sie gefuhrt wird. Das Kapitel wird die wichtigsten Reformvorschlage darstellen, grundlegende Dokumente ansprechen und weitere essentielle Vorbetrachtungen fur die darauffolgende Analyse bereitstellen.

5.1 Die Reformdiskussion bis 1990

In der 68-jahrigen Geschichte der Vereinten Nationen kam es nur einmal zu ei- ner Reform des UNSC: 1963. Speziell die Organisation fur Afrikanische Einheit (OAU) trat Anfang der 1960er fur eine Erweiterung des Sicherheitsrats ein. Das Hauptanliegen war, eine gerechtere geografische Verteilung zu schaffen (Czempiel 1994: 59; Luck 2007: 113). Die Anzahl der UN-Mitglieder war infolge der Dekolonisierung auf 113 angestie- gen, eine Erweiterung des Rates stieR daher auf breite Zustimmung. Der Aufnahme neuer standiger Mitglieder wirkten die P5 allerdings fruhzeitig entgegen (Zacher 2004: 213). Infolgedessen war es das Ziel, eine Erweiterung um vier nichtstandige Mitglieder zu erreichen. Durch das Obergewicht der afrikanischen und asiatischen Staaten wurde die Resolution 1991" vom 17.12.1963 schlieRlich mit 97 zu 11 Stimmen angenommen; ein Veto wurde nicht eingelegt. Zur Ratifizierung kam es 1965. Es war die erste Ande- rung der Charta in der Geschichte der UN.

In den folgenden Jahren wurde der Sicherheitsrat durch den Ost-West-Konflikt blockiert und konnte seiner Arbeit kaum nachgehen. Der Fokus von Reformen verla- gerte sich auf andere Bereiche, wie Entwicklung und Wirtschaft (Luck 2007: 114 f.). Dennoch ebbten die kritischen Stimmen nicht ab. Auf Initiative von Entwicklungslan- dern kam es in den 1970ern zu neuen Erweiterungsvorschlagen. 1975 wurde der„Son- derausschuss uber die Charta der Vereinten Nationen und die Starkung der Rolle der Organisation" ins Leben gerufen. In dessen Arbeitsgruppe auRerten sich bereits in den Folgejahren einzelne Mitgliedsstaaten zu Wort, die eine erneute Ausdehnung forder- ten. Letztlich bekraftigte der Sonderausschuss ausdrucklich das Vetorecht und der GroRteil der P5 stellte sich stoisch gegen eine neue Erweiterung. Die Debatte endete zunachst in einer Sackgasse; dennoch verweilte das Thema auf der Agenda der Gene- ralversammlung (Fahl 1978: 30 f.; Unser 1997: 86; Lisette 2002: 38 F.; Fassbender 2003: 186; Zacher 2004: 214; Weyel 2008: 9).[27]

5.2 Wiederaufleben der Diskussion in den 1990ern

5.2.1 Neue Weltordnung benotigt neuen Sicherheitsrat

Das Ende des Ost-West-Konflikts stellte die Weltordnung auf den Kopf. Ahnlich radikale Veranderungen in der internationalen Politik habe es laut Saksena (1993: 170) letztmalig mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gegeben. Nach dem Scheitern der Sowjetunion anderte sich die bipolare Ordnung zu einer unipolaren; der Multilatera- lismus rutschte in eine Krise (Santos 2011: 26). Konflikte veranderten und verlagerten sich. Das internationale System hatte sich ohnehin langst, u. a. in Folge der Dekolonisa- tion, tiefgreifend verandert sowie der Nord-Sud-Konflikt sich deutlich verscharft (Wallensteen/Johansson 2004:17). Es etablierten sich neue Akteure auf der Politikbuh- ne: staatliche, zivilgesellschaftliche und privatwirtschaftliche. Der Sicherheitsrat sah sich neu aufkommenden Krisenherden gegenuber. Sein Verstandnis von Sicherheit musste er deutlich erweitern und sich mit neuen Themenfeldern beschaftigen (Wallensteen/Johansson 2004: 28 f.; Hume 2004: 608 ff.).[28]

Wahrend des Kalten Krieges stellte der UNSC seine Entscheidungsfindung weit- gehend ein und fungierte nur als Diskussionsplattform. Mit dem Ende der Blockbildung erlebte er eine Renaissance. Plotzlich wurden die UN, besonders von den USA, wieder als ein gewinnbringendes Instrument zur weltweiten Friedenssicherung erkannt (Saksena 1993:170 f.; Nahory/Paul 2008: 30). Ohne den Kalten Krieg konnte der Sicher- heitsrat seinen Aufgaben nachgehen wie nie zuvor.[29] Die ungeheure Aktivitat und das Ende der Blockbildung setzten eine neue Runde der Reformdiskussionen in Gang, denn mit der wachsenden Handlungsfahigkeit des Rates stieg auch die Zahl der Kritiker (Tsakaloyannis/Bourantonis 1995: 105; Lisette 2002: 39; Weiss 2003: 149 f.; Gareis/Varwick 2006: 275; Luck 2007:115).

Der neuen Ordnung, so die damaligen Kritiker, werden Zusammensetzung und Arbeitsmethoden nicht mehr gerecht. Der neue Geist des UNSC mache ihn nicht auto- matisch zu einem neuen Organ. Daher forderten zahlreiche Staaten, viele aus der Drit- ten Welt, eine gerechtere geografische Reprasentation und eine Oberprufung des Ve- torechts (Unser 1997: 86; Fassbender 2003: 186; Wallensteen/Johansson 2004: 30; Gareis/Varwick 2006: 18/266/275). Es herrschte die Angst, die USA wurden als einzig verbliebene Supermacht den Sicherheitsrat diktieren (Luck 2007:114). Das Drangen auf eine Reform war so stark, dass es die P5 nicht vermochten, die Diskussion im Keim zu ersticken (Saksena 1993:183; Fassbender 2003:188).

Die Resolution UN Doc. A/RES/47/62 (vom 1. Dezember 1992), mit Namen „Question of equitable representation on and increase in the membership of the Secu­rity Council", zeugte von einer breiten Reformzustimmung. Sie rief den Generalsekre- tar dazu auf, schriftliche Stellungnahmen der Lander einzuholen. 75 Mitgliedsstaaten reichten daraufhin ihre Positionen ein (UN Doc. a/48/264). Die Standpunkte offenbar- ten sehr divergierende Vorstellungen der Mitglieder, wie eine Reform auszusehen ha- be. Ab 1993 wurde die neue „Open-ended working group on the question of equitable representation and increase in the membership of the Security Council and other mat­ters related to the Security Council" mit der Ausarbeitung eines Reformplans beauftragt (UN Doc. A/RES/48/26). Die Gruppe war ein Forum, das den UN-Staaten dazu dienen sollte, ihre Vorschlage einzubringen. Sie stand allen UN-Mitgliedern offen (Lisette 2002:169; Santos 2011:101). Der Arbeitsgruppe lag ein Konsensprinzip zugrun- de, welches Einigungen erschwerte.

Ernst-Otto Czempiel (1994: 60) beschreibt bereits Mitte der 1990er ein parado­xes Dilemma. Ihm nach sei die Dringlichkeit einer UN-Reform von so grower Eile gewe- sen, dass unter den Mitgliedern kaum Bereitschaft herrschte, viel Zeit in eine solche Diskussion zu investieren.[30]

5.2.2 DerRazali-Planvon 1997

Der nach dem damaligen Prasidenten der GV benannte Razali-Plan (UN Doc. A/51/47, Annex II vom 08.08.1997) umfasste Vorschlage zu allen Streitfragen und war der erste konkrete Entwurf fur eine umfassende Reform des Sicherheitsrats. Er sah funf neue standige Sitze ohne Vetorecht vor. Welche Lander diese bilden sollten, blieb ungeklart. Die vorgeschlagenen vier neuen nichtstandigen Sitze hatten den Sicher- heitsrat damit auf insgesamt 24 Mitglieder erweitert.[31] Die Verabschiedung von Reso- lutionen im UNSC sollte durch das Ja von 15 Mitgliedern moglich sein. AuRerdem soll­ten die bisherigen standigen Mitglieder ihr weiterhin erlaubtes Vetorecht auf Themen beschranken, die unter Kapitel VII der UN-Charta fallen. Der Razali-Plan schlug auch eine Anpassung von Artikel 108 der UN-Charta vor (Lisette 2002: 178 ff.; Fassbender 2003: 192 f.; Zacher 2004: 217; Frohlich et al. 2005: 11; Luck 2007: 116; Volger 2007: 497 f., 2008: 297; Santos 2011:102 ff.; Freiesleben 2013: 5).

Der Entwurf war ein Drei-Stufen-Plan. Erst sollte eine einfache Mehrheit die vorgeschlagenen Anderungen annehmen. Schritt zwei beinhaltete die Ernennung der neuen standigen Mitglieder. Dafur sollte in der Generalversammlung anhand einer Zweidrittelmehrheit abgestimmt werden. Schritt drei hatte zum Ziel, die notwendigen Anderungen der Charta durch die Generalversammlung annehmen zu lassen (Fassben­der 2003: 193). Fur die P5 schien der Plan annehmbar, da sie ihr Vetorecht behalten durften und nicht zu teilen brauchten. Dass der Plan dennoch scheiterte, hatte mehre-

[...]


[1] http://www.auswaertiges- amt.de/DE/Aussenpolitik/Friedenspolitik/VereinteNationen/ReformVN/ReformSR_node.html (6.3.2014)

[2] http://www.securitycouncilreport.org/ (6.3.2014)

[3] http://www.centerforunreform.org/ (6.3.2014)

[4] http://www.globalpolicy.org/security-council.html (6.3.2014)

[5] http://www.reformtheun.org (6.3.2014)

[6] Die UN nutzen Dokumentennummern zur Bezeichnung ihrer Dokumente. Eine Aufschlusselung daru- ber, wie UN-Dokumentenkennzeichnungen zu lesen sind, bietet u. a. Volker (2007: IX-X).

[7] http://www.un.org/Depts/dhl/ (6.3.2014)

[8] Zu der UN-Entstehungsgeschichte: Hufner/Neumann (1974), Unser (1997: 20-24), Wolfrum/Philipp (1991: 110-117), Frohlich (2005: 121-132), Volker (2008), Schmitt (2013: 73 ff.).

[9] Zu den Aufgaben der UN: Pallek (2007), Vereinte Nationen (2006:10 f).

[10] Die anderen Hauptorgane: Generalversammlung, Wirtschafts- und Sozialrat, Treuhandrat, Sekretariat, Internationaler Gerichtshof. Siehe u. a. auch: Hufner/Naumann (1974: 44-51).

[11] Zu Aufgaben und Befugnissen des UNSC: Wolfrum/Philipp (1991: 764-766), Vereinte Nationen (2006: 54-75), Heinz/Litschke (2012: 7 f.).

[12] Seit Grundung der UN wurde noch keinem Staat die Mitgliedschaft (vorubergehend) entzogen.

[13] Siehe hierzu auch: Wolfrum/Philipp (1991: 766-768), Vereinte Nationen (2006: 9), Kugel (2009: 2), Heinz/Litschke (2012: 7).

[14] Detaillierte Darstellung zum doppelten Veto: Wouters/Ruys (2005: 6-8).

[15] Hierzu: Unser (1997: 103) und Fahl (1978: 32-42).

[16] Zur UN-Reform siehe auch: Volger (2007: 391-572), Wolfrum/Philipp (1991: 663-673).

[17] Ausfuhrlicher zur Problematik der Anderung der UN-Charta: Winkelmann (1997: 84 f.).

[18] Pragnante Darstellung der funf Anderungen: Frohlich et al. (2005: 7) in einer FuRnote.

[19] Hierzu: Center for UN Reform Education (2007). Die Unterteilung hat sich bis heute leicht verandert. Die GroRe des Sicherheitsrats und die Verbesserung der Arbeitsmethoden werden gemeinsam bespro­chen, getrennt von der Beziehung zur GV. Siehe dazu auch einen Brief der Advisory Group an ZahirTanin vom 10. Dezember2013: https://www.un.org/en/ga/president/68/pdf/letters/12102013Security_Council_Reform_lnformals- 10_December_2013.pdf (9.3.2014). Die Einteilung von 2007 bietet sich fur eine Einfuhrung in das Thema allerdings besser an, da Erweiterung und Arbeitsmethoden getrennt betrachtet werden.

[20] Hofstotter (2006: 153 ff.) beschreibt die strukturellen Nachteile nichtstandiger Mitglieder genauer.

[21] Regionale Gruppen der UN: http://www.un.org/depts/DGACM/RegionalGroups.shtml (6.3.2014).

[22] Formen sind u. a. auch das „verdeckte Veto" und das „reversed veto". Siehe hierzu Santos (2011: 40).

[23] 3 Moglichkeiten, wie Vetobeschrankungen aussehen konnten, stellen u. a. Wouters/Ruys (2005: 21 ff.) sowie Winkelmann (1997: 79-82) vor.

[24] Siehe hierzu auch die Verhandlungsgrundlage UN Doc. s/2006/507 (vom 19 Juli 2006) und den Bericht "Security Council Transparency, Legitimacy and Effectiveness: Efforts to Reform Council Working Meth­ods 1993-2007" vom 18. Oktober 2007, unter: http://www.securitycouncilreport.org/special-research- report/lookup-c-glKWLeMTIsG-b-3506555.php (6.3.2014). Die einzelnen Verbesserungen der Arbeitsme­thoden zwischen 1994 und 2004 listet Weiss (2005: 24 f.) tabellarisch auf.

[25] Eine ausfuhrliche Ubersicht uber die Sitzungsformate des UNSC liefert Volger (2010:198 f.). Unterscheidung zwischen formellen und informellen Sitzungen in: United Nations-Security Council (1999): Note by the President ofthe Security Council, UN Doc. s/1999/1291, Ziff. 5a, vom 30.12.1999.

[26] Volger (2010: 195) nennt unter FuRnote 1 zahlreiche Werke zum Thema Arbeitsmethoden. Siehe auch zum Thema: Volger (2008), Winkelmann (1997: 51-58), Luck (2007: 122 ff.) und Lund (o.J.).

[27] Eine ausfuhrlichere Darstellung der Debatte von 1945 bis 1992 stammt von Winkelmann (1997: 38­42). Ferner beschaftigt sich auch Lisette (2002: 25-35) genauer mit der Reformgeschichte vor 1990.

[28] Pragnante Auflistung der Sicherheitsgefahren im 21. Jahrhundert: Ozgercin/Steinhilber (2005: 2 f.).

[29] 9 Die neue Aktivitat des Rates belegen Wallensteen/Johansson (2004:17 ff.) sowie Lisette (2002: 37 ff.) mit verschiedenen Statistiken.

[30] Intensiver mit der Reformdebatte zwischen 1990 und 1996 setzt sich u. a. Winkelmann (1997: 42-51) auseinander. Dieser liefert auch eine Analyse von Staatenmodellen aus den 1990ern (ebd.: 58-75). Auch auf Lisette (2002:161-260), Fassbender (1998), Kelly (2000) und Bourantonis (2005) sei verwiesen.

[31] Asien, Afrika, Lateinamerika und Osteuropa sollten jeweils einen weiteren nichtstandigen Sitz erhal- ten. Jeweils ein standiger Sitz sollte Lateinamerika und Afrika zugesprochen werden. Neben China wurde der asiatischen Welt ein weiteres standiges Mitglied eingeraumt. Die beiden weiteren neuen Sitze soll­ten von Industriestaaten besetzt werden (Gareis/Varwick2006: 276).

Ende der Leseprobe aus 151 Seiten

Details

Titel
Die Reform des UN-Sicherheitsrats
Untertitel
Eine Analyse der Staatenpositionen nach 1990
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Professur für Internationale Organisationen und Globalisierung)
Note
1,5
Autor
Jahr
2014
Seiten
151
Katalognummer
V280108
ISBN (eBook)
9783656732273
ISBN (Buch)
9783656732259
Dateigröße
1555 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Der Anhang der Arbeit umfasst 48 Seiten. Ein hierin enthaltenes Analysehandbuch zeigt auf, wie bei der Analyse verfahren wurde. Zudem enthält der Anhang eine tabellarische Aufschlüsselung der Staatenpositionen von 1996/1997, 2005 sowie 2013/2014. Abschließend erfolgt eine Auflistung der "einflussreichsten UN-Staaten".
Schlagworte
reform, un-sicherheitsrats, eine, analyse, staatenpositionen
Arbeit zitieren
Marcel Siegert (Autor:in), 2014, Die Reform des UN-Sicherheitsrats, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/280108

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