Heliodor, Aithiopika IV 1-12. Ein philologischer Kommentar


Examensarbeit, 2011

110 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Verwendete Abkürzungen

2. Buch IV
2.1. Kapitel I
2.1.1. Übersetzung
2.1.2. Kommentar und Interpretation
2.2. Kapitel II
2.2.1. Übersetzung
2.2.2. Interpretation und Kommentar
2.3. Kapitel III
2.3.1. Übersetzung
2.3.2. Interpretation und Kommentar
2.4. Kapitel IV
2.4.1. Übersetzung
2.4.2. Interpretation und Kommentar
2.5. Kapitel V
2.5.1. Übersetzung
2.5.2. Interpretation und Kommentar
2.6. Kapitel VI
2.6.1. Übersetzung
2.6.2. Interpretation und Kommentar
2.7. Kapitel VII
2.7.1. Übersetzung
2.7.2. Interpretation und Kommentar
2.8. Kapitel VIII
2.8.1. Übersetzung
2.8.2. Interpretation und Kommentar
2.9. Kapitel IX
2.9.1. Übersetzung
2.9.2. Interpretation und Kommentar
2.10. Kapitel X
2.10.1. Übersetzung
2.10.2. Interpretation und Kommentar
2.11. Kapitel XI
2.11.1. Übersetzung
2.11.2. Interpretation und Kommentar
2.12. Kapitel XII
2.12.1. Übersetzung
2.12.2. Interpretation und Kommentar

3. Schlußbemerkungen

4. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Obgleich der Gattung des antiken Romans vor allem in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer größere Aufmerksamkeit geschenkt wurde,1 ist es erstaunlich, daß der Schwerpunkt des Interesses dabei vorrangig auf der Entstehung und Entwicklung der Gattung und weniger auf den Texten selbst lag.2 Gerade die Tatsache, daß den Wissenschaftlern bei der Suche nach einer Definition dieser Literaturgattung die Fülle von intertextuellen Bezügen und motivischen Parallelen zu bereits etablierten literarischen Genera wie Epos, Geschichtsschreibung, Komödie und Tragödie förmlich ins Auge springen mußte, macht es unbegreiflich, daß sich bislang offenkundig nur verhältnismäßig wenige dazu berufen fühlten, sich aus philologischer Sicht intensiver mit den Texten und ihrer Binnenstruktur zu beschäftigen.

Dies überrascht besonders im Falle der vollständig erhaltenen Aithiopika des Heliodor von Emesa, die m.E. zu recht von vielen Stimmen als Höhepunkt und zugleich krönender Abschluß der Gattung antiker Roman betrachtet werden.3 Der Ruhm und die Wertschätzung dieses Werkes, welches bereits im 5.Jh. in gelehrten Kreisen mit Begeisterung gelesen wurde,4 haben gleich mehrere Ursachen: Als erstes sei hier der aus der Odyssee abgeschaute Kunstgriff erwähnt, mitten im Geschehen mit der Erzählung einzusetzen, um dann die fehlenden Teile der Handlung in Form der Retrospektive wiederzugeben,5 wobei der ägyptische Priester Kalasiris als intradiegetischer Erzähler die Rolle des Odysseus übernimmt.6 Als weitere Abweichung von den strukturellen Grundzügen seiner Vorgänger mag der Umstand gelten, daß Heliodor seine Protagonisten nicht dort enden läßt, wo sie begonnen haben, um ihr Leben wieder aufzunehmen (als hätten sich die dazwischenliegenden Abenteuer außerhalb von Raum und Zeit ereignet), sondern daß die Liebenden nach einer langen Zeit der Abenteuer und Gefahren, in denen sie im übrigen die meiste Zeit nicht voneinander getrennt sind, wie es bei anderen Romanen der Fall ist, am Ende ein vollkommen neues Leben unter anderen bzw. sogar besseren Bedingungen führen können.7 Insofern verwundert es nicht, daß Heliodors Roman in erster Linie aus narratologischer Sicht als äußerst beliebtes Forschungsobjekt gilt.8

Die vorliegende Arbeit stellt einen Versuch dar, mit den ersten 12 Kapiteln des vierten Buches eine sowohl für den Fortgang der Handlung als auch für die Veranschaulichung der ausgefeilten Erzähltechnik Heliodors wesentliche Textstelle dieses Romans zu kommentieren. Markante textkritische Auffälligkeiten, die Einbettung der Passage in den Gesamtzusammenhang sowie die Entschlüsselung bzw. Aufdeckung von auffälligen und weniger auffälligen Intertextualitäten werden dabei weitgehend berücksichtigt. Darüber hinaus konzentriert sich die Arbeit auf die Charakterisierung der auftretenden Personen sowie auf die Interpretation der einzelnen Verhaltensweisen.

Jedes Kapitel wird einzeln behandelt. Im Anschluß an eine jeweils kurze Zusammenfassung des Inhalts folgen die Übersetzung sowie die Interpretation und Kommentierung einzelner Wörter oder ganzer Sätze des Kapitels.

Sofern es nicht anders vermerkt ist, stützt sich der griechische Text auf die 2. Auflage der Edition von R. M. RATTENBURY und T. W. LUMB von 1960. Diese Ausgabe beinhaltet zudem eine französische Übersetzung von J. MAILLON, die bei mitunter kritischen Textstellen mit der englischen Übersetzung von Sir W. LAMB (eingeleitet und kommentiert von J. R. MORGAN) und der deutschen Übersetzung von H. GASSE verglichen wird.

Bedauerlicherweise ist ein ausführlicher philologischer Kommentar zu den Aithiopika bis zum heutigen Tage noch immer ein Desiderat der Forschung - sofern man von dem Kommentar zu den Büchern 9 und 10 von John R. MORGAN absieht, der allerdings nur auf Mikrofilm erhältlich ist.9

Es wäre wünschenswert, nähmen sich in den kommenden Jahren immer mehr Philologen Stück für Stück dieser durchaus anspruchsvollen Aufgabe an - denn für eine einzelne Person wäre ein vollständiger Kommentar zu Heliodor eine wohl kaum zu bewältigende Aufgabe. Möge diese Arbeit als erster Schritt in diese Richtung gelten.

1.1. Verwendete Abkürzungen

BBKL = Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Hrsg. von BAUTZ, F.

W., Bd. 1-31ff. Herzberg 1975-2010ff.

CIG = Corpus inscriptionum Graecarum. Hrsg. von BÖCKH, A.(Bd. 1-

2)/FRANZ, J. (Bd. 3)/CURTIUS, E. (Bd. 4). Berlin 1828-1877.

DNP = Der Neue Pauly. Hrsg. von CANCIK, H./LANDFESTER, M./EGGER, B.,

Bd. 1-16. Stuttgart 1999-2003.

FHG = Fragmenta historicorum Graecorum. Hrsg. von MÜLLER, K. Bd. 1-5.

Paris 1853-1883.

LSJ = A Greek-English Lexicon. Hrsg. von LIDDELL, H.G./SCOTT, R./JONES,

Sir H.S. (Hrsgg.). Oxford 19409.

RE = Paulys Realencyclopädie der classischen Alterthumswissenschaft.

Hrsg. von WISSOWA, G./PAULY, A.F./KROLL, W./MITTELHAUS, K./ZIEGLER, K., Bd. 1-34. Stuttgart 1893-1980.

Sofern Editionen desselben Werkes in der Buchzählung voneinander abweichen, wird in einer Fußnote gesondert darauf hingewiesen, aus welcher Edition ein Zitat entnommen wurde. Beim Zitieren von Autorennamen orientiere ich mich an den Vorgaben von LSJ. Im Falle, daß für einen Autoren oder ein Werk keine eigene Abkürzung vorhanden war, wurde beim Zitieren jeweils der vollständige Name angegeben.

Bei Prosawerken werden einzelne Bücher bzw. einzelne Reden durch römische Ziffern wiedergegeben, wohingegen in der Poesie einzelne Gesänge oder Gedichte durch arabische Ziffern gekennzeichnet sind.

2. Buch IV 1-12

2.1. Kapitel I

Der Beginn des vierten Buches ist durch einen klaren zeitlichen Einschnitt gekennzeichnet. Seit der Götterprozession, bei der sich Theagenes und Charikleia zum ersten Mal begegnet sind,10 ist inzwischen eine Nacht vergangen. Nach Abschluß der spielerischen Wettkämpfe kommt es nun zu einem erneuten Aufeinandertreffen des Paares, welches bereits von beiden Seiten sehnsüchtig herbeigewünscht wird, auch wenn Charikleia etwas widerstrebend erneut das Stadion betritt.

Beim Vergleich mit den übrigen Buchanfängen der Aithiopika fällt auf, daß sie kein einheitliches Schema aufweisen: Beim Übergang vom ersten zum zweiten Buch findet beispielsweise lediglich ein Perspektivenwechsel statt,11 und auch zwischen dem zweiten und dritten Buch ist offenkundig keine Zeit vergangen, da Kalasiris mit seiner Erzählung unbeirrt fortfährt. Doch nicht nur im Hinblick auf ihren Beginn, sondern auch auf ihre Länge weichen die Bücher mitunter stark voneinander ab. Dies gilt noch mehr für die einzelnen Kapitel, deren Struktur hinsichtlich der Unterteilung in einzelne Sektionen in keiner Weise die Willkür einer gliedernden Hand erkennen läßt. Angesichts solcher Unregelmäßigkeiten erscheint es wenig ergiebig, bei der Interpretation des Textes auch die äußerliche Romanstruktur zu berücksichtigen. Nichtsdestotrotz kann davon ausgegangen werden, daß zumindest die Bucheinteilung von Heliodor selbst stammt.

2.1.1. Übersetzung

1) Am darauffolgenden Tag ging zwar der Wettkampf der Pythischen Spiele zu Ende, doch der Kampf der (beiden) jungen Menschen kam zu seiner vollen Entfaltung, wobei Eros, glaube ich, die Spiele ausrichtete und als Schiedsrichter agierte, emsig darauf bedacht, in Form einzig dieser beiden Kämpfenden, die er miteinander verbunden hatte, den eigenen (bzw. den für ihn typischen) als besten der Kämpfe aufzuzeigen. Dies geschieht nämlich folgendermaßen: Griechenland schaute zu, die Amphiktyonen richteten die Spiele aus. Nachdem nun alles andere auf gebührendste Art zum Ende gekommen war - die Wettläufe, die Ringkämpfe und die spektakulären Kämpfe der Faust -, erhob schließlich der Herold seine Stimme: „Die bewaffneten Männer sollen erscheinen!“ 2) Am äußersten Ende des erfüllten Stadions erstrahlte die Tempeldienerin Charikleia; sie war gekommen, wenn auch ungern, wegen des (heiligen) Brauches oder vielmehr deshalb, so scheint es mir, weil sie hoffte, irgendwo Theagenes zu erblicken. In der Linken umschlossen hielt sie feuertragend eine kleine Fackel, mit der Rechten den Zweig einer Dattelpalme vor sich, und als sie erschien, wandte sich das gesamte Stadion zu ihr um, doch niemand war schneller als das Auge des Theagenes - denn schnell sieht der Liebende das Ersehnte. 3) Jener aber - denn er hatte schon vorher gehört, was passieren würde - richtete seinen Verstand einzig auf die Beobachtung, so daß er es nicht ertrug zu schweigen, sondern leise zu mir sagte - er hatte sich ganz bewußt in meine Nähe gesetzt -: „Das ist sie, Charikleia.“ Und ich gab ihm Weisung, sich ruhig zu verhalten.

2.1.2. Kommentar und Interpretation

Bis ," weist der erste Satz in Inhalt und Struktur noch keine eklatanten Besonderheiten auf. Im Gegenteil: Kalasiris berichtet vom Ende der Pythischen Kämpfe, die dem Geschehen des dritten Buches als bedeutende Kulisse gedient haben. Allein das Wort μ deutet darauf hin, daß noch eine zweite, gleichwertige Textstelle folgt. Diese zeichnet sich durch eine wahrhaft unerwartete, ausgeprägte Bildersprache aus: Wo zuerst lediglich die sportlichen „äußeren“ Kämpfe gemeint sind, die zu Ende gehen, wird der Satz mit einem Mal auf die metaphorische Ebene gehoben, indem der Begriff - eine neue Dimension erhält: dem ausklingenden Hintergrundgeschehen entgegengesetzt, kommt es jetzt nämlich zu einem neuen, allerdings „inneren“ Kampf zweier junger Menschen - es ist klar, daß damit nur Charikleia und Theagenes in ihrer Liebe zueinander gemeint sein können, daher verzichtet Heliodor auch darauf, ihre Namen zu nennen. Doch auch bei diesem Kampf gibt es einen, der ihn ausrichtet und zugleich auch noch die Funktion des Schiedsrichters innehat: Eros. Ausgestattet mit charakterisierenden Epitheta zeigt sich der Liebesgott zum einen als generöser Stifter des Kampfes ( / ) und Schiedsrichter (0 01 ), zum anderen als streitsüchtig, ehrgeizig und siegesbesessen ( " # ); Eros ist jemand, der genug Selbstbewußtsein hat, um zu wissen, daß sein - der bedeutendste ist ( ) - denn dieser Kampf betrifft jeden, der sehnsüchtig liebt.

μ Die Pythien, zunächst rein musische Wettkämpfe zu Ehren Apolls, gehörten neben den Olympischen, Nemëischen und Isthmischen Spielen zu den vier großen panhellenischen Nationalfesten. Athletische Disziplinen traten erst im frühen 6. Jh. hinzu, als nach Beendigung des Ersten Heiligen Krieges (dessen Geschichtlichkeit in der Forschung allerdings umstritten ist12 ) die pylaeisch-delphische Amphiktyonie (vgl. hierzu S. 11) mit der Neuorganisation, Aufsicht und Leitung der Pythischen Spiele beauftragt wurde.

Das Verb "# kann (ähnlich wie 1 ) sowohl bei Personen als auch

bei abstrakten Begriffen gebraucht werden.13

Ursprünglich wird das Verb im botanischen Kontext in der Bedeutung des „Aufblühens“ verwendet und beschreibt im übertragenen Sinne das Erwachsensein bzw. die volle Reife eines Menschen. Der Gebrauch des Kompositums anstelle des Simplex ist charakteristisch für Heliodor, wenn er (wie hier) die besondere Intensität eines Vorgangs besonders hervorheben möchte+14 Bezüglich des Inhalts der vorliegenden Stelle bietet sich eine ingressive Übersetzung des Prädikates an.

Zur Zeitform (," und ( # ): Im Griechischen steht das Imperfekt einerseits dann, wenn der Verlauf bzw. die Entwicklung einer Handlung oder eines Geschehens dargestellt werden soll, andererseits wenn etwas noch nicht zu seinem Abschluß gekommen ist.15 Heliodor verwendet diese Zeitform jedoch auffallend häufig, auch dann, wenn man eigentlich den Aorist erwarten würde. Allerdings ist es durchaus zu vertreten, daß trotz des punktuellen Aspektes von „aufhören“ und des ingressiven Aspektes von „aufblühen“ das Imperfekt in beiden Prädikaten an der vorliegenden Stelle berechtigt ist: während im Hintergrund die Pythischen Spiele noch nicht einmal abgeschlossen sind, ist im Vordergrund bereits ein neues Geschehen im Gange bzw. gewinnt jetzt erst an ernsthafter Substanz. Auch SCHMELING charakterisiert Heliodors „sprunghaften“ Gebrauch der Tempora als fast immer gerechtfertigt, aber nicht immer vorhersehbar („[he] uses the imperfect and perfect as narrative tenses, in a way which can nearly always be justified but not always predicted.”16 ).

Heliodor verwendet diese Interjektion des öfteren (vgl. auch IV 2.1), nicht nur innerhalb der wörtlichen Rede - der vorliegende Textabschnitt gehört noch zur Nacherzählung des Kalasiris -, sondern auch in Passagen der auktorialen Erzählung,17 wo sie allerdings in der Regel unübersetzt bleibt. Für den griechischen Muttersprachler hatte dieser Zusatz allerdings eine ganz bestimmte Wirkung: auf diese Weise gelingt es Heliodor, sich wie ein Historiograph von seiner Berichterstattung ein wenig zu distanzieren und somit ihrem Wahrheitsgehalt keine absolute Gültigkeit zu verleihen.

! Das Verb 0 0 1 kann zunächst einmal eine Form des Beurteilens bzw. Entscheidens bezeichnen (Isocr.VII 23.2: ( & 9 " - 1 0 0 1 ). Angesichts der äußeren Umstände ist hier jedoch im engeren Sinne die Tätigkeit eines Schiedsrichters bei sportlichen Wettkämpfen gemeint. Der von einem Gremium ernannte 0 0 1 hatte die Aufgabe, die Spiele zu beobachten und die Kampfpreise zu verleihen (vgl. S. El.690: : ; < .;$ = & > # %) 0 0? . Id.709: ; =.; @ 3 A 0 0? ).

Mit Blick auf den religiösen Charakter der Pythischen Spiele kommt in den Aithiopika diese Aufgabe Charikleia zu.

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Details

Titel
Heliodor, Aithiopika IV 1-12. Ein philologischer Kommentar
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Klassische Philologie)
Veranstaltung
Der antike Roman - Griechische Philologie
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
110
Katalognummer
V280074
ISBN (eBook)
9783656732204
ISBN (Buch)
9783656732198
Dateigröße
933 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
heliodor, aithiopika, kommentar
Arbeit zitieren
Sieglinde Ziegler (Autor:in), 2011, Heliodor, Aithiopika IV 1-12. Ein philologischer Kommentar, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/280074

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