Kulturelle Vielfalt. Die Gesellschaft zwischen Anerkennung und Ausgrenzung


Akademische Arbeit, 2006

38 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung.

1. Im Kontext der interkulturellen Kompetenz relevante gesellschaftliche Entwicklungen und Wandlungsprozesse.
1.1. Sozialer Wandel
1.1.1. Wertewandel und die Pluralisierung der Lebenswelten.
1.1.2. Risikogesellschaft und Veränderungen der Arbeitsgesellschaft
1.2. Globalisierung.
1.2.1. Ökonomische Aspekte.
1.2.2. Sozio-kulturelle Aspekte.
1.2.2.1. Mobilität
1.2.2.2. Migration.
1.2.2.3. Kommunikationstechnologien als wesentliches Element der Globalisierung.

2. Debatten um „Kulturelle Vielfalt“.
2.1. Kulturelle Diversität
2.1.1. Die mehrkulturelle Gesellschaft
2.1.2. Subkulturen.
2.2. Umgang mit Diversität: zwischen Annerkennung und Ausgrenzung.
2.2.1. Ausgrenzungstendenzen.
2.2.2. Kulturelle Differenzen.
2.3. Integration.
2.3.1. Kritik an Integrationskonzepten.
2.3.2. Anforderungen an Einheimische und Migranten.

Literaturverzeichnis (inklusive weiterführender Literatur)

Einleitung

In modernen Gesellschaften wie der BRD ist eine zunehmende kulturelle Vielfalt zu verzeichnen. Als mögliche Ursachen dieser kulturellen Ausdifferenzierung können die Zuwanderung von Individuen aus verschiedensten Kulturkreisen, die Entstehung einer großen Bandbreite subkultureller Milieus als Folge gesellschaftlicher Differenzierungsprozesse sowie eine zunehmende Interaktionsdichte im Zuge regionaler sowie globaler Wandlungsprozesse (z. B. Globalisierung, deutsche Wiedervereinigung und europäische Integration) angeführt werden. Ausgehend von einem erweiterten Kulturverständnis, welches den dynamischen Charakter von Kultur betont und die Differenzierung in Teilkulturen, Subkulturen und Milieus beinhaltet, können Kulturen nicht mehr auf Nationalkulturen reduziert oder als statisch angesehen werden. Aus einer solchen differenzierteren Perspektive ergibt sich ein neues Verständnis kultureller Vielfalt und den damit einhergehenden interkulturellen Begegnungen (vgl. Handschuck/Klawe 2004; Freise 2005). Diese Entwicklungen führen dazu, dass interkulturelle Erfahrungen heute zum Lebensalltag der Menschen gehören und ihre individuelle und kollektive Identitätsbildung prägen.

In der vorliegenden Arbeit sollen zunächst die für den Kontext der interkulturellen Kompetenz relevanten, gesellschaftlichen Entwicklungen und Wandlungsprozesse beleuchtet werden. In der BRD werden diese zum einen durch den sozialen Wandel begünstigt, der sich aus dem Wertewandel und der Pluralisierung der Lebenswelten ergibt, zum anderen durch Globalisierungsprozesse, die mit einer zunehmenden Mobilität von Individuen und Ideen einhergehen. In diesem Zusammenhang wird der Schwerpunkt der Ausführung auf die sozio-kulturelle Globalisierung gelegt werden. Dennoch sollen auch einige bedeutende ökonomische Aspekte angeführt werden. Bei den sozio-kulturellen Globalisierungsaspekten soll gezeigt werden, dass interkulturelle Überschneidungssituationen aus jeglichem Kontakt zwischen unterschiedlichen kulturellen Orientierungen und Handlungsmustern resultieren.

Diese Dynamiken führen zu einer kulturellen Ausdifferenzierung, die sich im Rahmen von Diskussionen um die kulturelle Vielfalt widerspiegelt. Im zweiten Kapitel wird daher die deutsche Gesellschaft als eine mehrkulturelle beleuchtet, in der Kulturen nicht nur nebeneinander existieren, sondern in deren Rahmen Individuen mit ihrer unterschiedlichen kulturellen Prägungen in Interaktion treten. Des Weiteren wird der Umgang mit kultureller Diversität betrachtet. Hierzu wird die Debatte um Anerkennung und Ausgrenzung einzubeziehen sein.

1. Im Kontext der interkulturellen Kompetenz relevante gesellschaftliche Entwicklungen und Wandlungsprozesse

Die globalen und regionalen Wandlungsprozesse werden begünstigt durch den Sozialen Wandel, die Globalisierung, die Migration und eine steigende Mobilität. Diese Phänomene führen zu einer wachsenden gesellschaftlichen Vielfalt sowie einer zunehmenden Dichte und Häufigkeit von interkulturellen Begegnungen. Dazu kommt, dass geographische und soziale Nähe zunehmend unabhängig voneinander werden. Folglich muss man „nicht mehr an einem Ort leben, um zusammenzuleben. An demselben Ort zu leben heißt keineswegs, zusammenzuleben“ (Drechsel 2000: 128). In diesem Zusammenhang spricht Paul Drechsel von einer „Anwesenheit des Abwesenden“ (Drechsel 2000: 128).

Im Folgenden werden deshalb jene Dynamiken genauer erläutert, welche zu oben konstatierter, zunehmender Dichte und Häufigkeit von interkultureller Begegnungen führt. Es bleibt aber anzumerken, dass sie nur einen kleinen Teil der vielfältigen Prozesse repräsentieren, „die unseren Alltag, unsere Lebenswelt und unsere Zukunftsperspektiven ständig verändern“ (Handschuck/Klawe 2004: 15).

1.1. Sozialer Wandel

Der soziale Wandel ist im Wertewandel und der Pluralisierung der Lebenswelten deutlich erkennbar, und findet sowohl auf lokaler, regionaler als auch globaler Ebene statt. Einführend soll nun die Bedeutung von Werten erläutert werden, da sie eine zentrale Stellung im sozio-kulturellen Lebenszusammenhang[1] einnehmen. Sie durchziehen „in prägender und bestimmender Weise alle Bereiche der Gesellschaft und haben maßgeblichen Anteil an der Steuerung des Verhaltens“ (Hillmann 2002: 1). Als ein Strukturmerkmal der Kulturen werden Werte sogar als grundlegend für das Denken, Erleben und Handeln angesehen, obwohl sie meist nicht bewusst wahrgenommen werden. Werte können als Maßstäbe betrachtet werden, „mit denen Menschen ihre Welt ordnen und gewichten“ (Maletzke 1996: 80). So bilden die innerhalb einer Kultur ausgebildeten Werte entscheidende Bezugspunkte für Selektionen: „Je nach den Werten einer Kultur sind bestimmte Möglichkeiten, Gegebenheiten, Objekte, Phänomene u.a.m. bedeutsam, wichtig, nützlich, erstrebenswert, andere hingegen unbedeutsam, unwichtig, nutzlos, uninteressant. Was in der einen Kultur als Bedeutsam eingeschätzt wird, kann in einer anderen womöglich zurückgewiesen werden“ (Hillmann 2002: 43). Diese kulturell bedingte Divergenz der Hierarchisierung von Objekten, Phänomenen usw. verweist auf die unterschiedlichen Wertemuster einzelner Kulturen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass diese Orientierungshilfen für das menschliche Handeln und soziale Zusammenleben nicht nur für Subkulturen oder Kulturen gelten, sondern auch auf die ganze Menschheit bezogen werden können (vgl. Hillmann 2002: 50). Dies zeigt sich beispielsweise in Diskussionen um die Universalität der Menschenrechte. Grundsätzlich unterliegen Werteorientierungen weiterhin dem sozialen Wandel und werden im Prozess der Sozialisation von der einen Generation an die Folgenden weitervermittelt (vgl. Maletzke 1996: 80).

1.1.1. Wertewandel und die Pluralisierung der Lebenswelten

Die Pluralisierung der Lebenswelten bedeutet, dass die heutige Gesellschaft zunehmend komplexer wird und so vom einzelnen nicht mehr hinlänglich zu überblicken ist. (Handschuck/Klawe 2004:17). Dies bedeutet eben auch eine Ausdiffernzierung von Wertemustern und so entsteht eine „Neue Unübersichtlichkeit“, wie sie Jürgen Habermas (1985) diagnostiziert (Handschuck/Klawe 2004: 17). Als Ursache für den Wertewandel[2] und die Pluralisierung der Lebenswelten können nach Handschuck/Klawe drei parallel verlaufende soziale Wandlungsprozesse herangezogen werden: 1. Der Verlust konsensfähiger, allgemein gültiger Wertemuster, 2. die Auflösung traditioneller Milieus und 3. der beobachtbare Wertewandel in unserer Gesellschaft (Handschuck/Klawe 2004: 18f).

Der Verlust konsensfähiger allgemeingültiger Wertemuster geht damit einher, dass in den verschiedenen Lebensbereichen unserer Gesellschaft wie beispielsweise Wohn-, Produktions-, Einkaufs-, Ausbildungs- und Erholungsbereiche unterschiedliche Werte und Normen gelten. Das einzelne Individuum wird somit im Lebensalltag mit differenzierenden Norm- und Wertesystemen konfrontiert (Handschuck/Klawe 2004: 17). Während Werteorientierungen eher auf abstrakterer Ebene zu verorten sind, stellen Normen 'Muss-, Soll- und Kann- Vorstellungen' über angemessenes Verhalten von Menschen in Kulturen dar und finden ihre Auswirkungen eher auf der Ebene des Alltagsverhaltens. Dieselben Verhaltensweisen können dabei in verschiedenen Kulturen unterschiedlich gedeutet werden, so gibt es beispielsweise unterschiedliche Auffassungen darüber, wie die Erziehung aussehen soll oder auch bezüglich der Essgewohnheiten, z. B. was gegessen oder wie es zubereitet wird (vgl. Maletzke 1996: 91). Rollen sind einem Individuum auferlegte Verhaltenserwartungen und –formen, die auf Normvorstellungen von Gruppen beruhen. Dabei können diese Rollenerwartungen beim Individuum zu einem starken sozialen Druck führen (Maletzke 1996: 98), da Rollen sowie auch Normen lediglich Vorstellungen über 'richtiges' und 'falsches' Verhalten widerspiegeln (vgl. Maletzke 1996: 91). Indem nun der Einzelne Träger einer wachsenden Anzahl von Rollen ist, wird es für ihn immer schwieriger den damit einhergehenden Erwartungen angemessenen Verhaltens nachzukommen. Andererseits bietet dies den Individuen aber auch zunehmend die Möglichkeit, neue Lebensformen bzw. –stile zu entwickeln oder sich von den jeweiligen Herkunftsmilieus zu distanzieren. Dies wird zusätzlich begünstigt durch die wachsende räumliche Mobilität, die Steigerung des materiellen Lebensstandards, erweiterte Konsummöglichkeiten und die allgemeine Bildungsexpansion (Handschuck/Klawe 2004: 17). Diese beschriebenen Dynamiken führen von der Auflösung traditioneller Milieus hin zur Vervielfältigung eben dieser, mit der Auswirkung, dass diese auch zunehmend ihre orientierende und bindende Kraft verlieren: „So entstehen vielfältige neue Lebensstile und Milieus, die relativ frei wählbar und deren Zugehörigkeit relativ unverbindlich ist“ (Handschuck/Klawe 2004:18).

In unserer Gesellschaft ist ein Wertewandel zu beobachten. Dieser äußert sich beispielsweise in Veränderungen des Leistungsbegriffes, der Variation von Einstellungen und Formen politisch/sozialen Engagements, einem sich wandelnden geschlechtsspezifischen Rollenverhalten oder im veränderten Umweltbewusstsein (vgl. Handschuck/Klawe 2004: 18f). Die „Wertediffusion einerseits und die Pluralisierung von Lebenslagen und Milieus andererseits lassen die orientierende Kraft von Werten schwinden. Nicht unbedingt vorfindbare Werte sagen mir, welches Handeln „richtig“ oder „angemessen“ ist, sondern ich selbst muss hier entscheiden und für meine Entscheidung Verantwortung übernehmen“ (Handschuck/Klawe 2004: 19). Vom Einzelnen erfordert dies Individualisierung[3], was positiv als höhere Gestaltungsautonomie des Individuums betrachtet werden kann. Diese Autonomie kann aber auch zu einer Überforderung des Einzelnen führen (Handschuck/Klawe 2004:19). Denn die Freiheiten werden beschränkt durch neue Zwänge: so sind die Einzelnen „zwar jetzt allein für ihre Biographieplanung zuständig, […] müssen sich aber den veränderten gesellschaftlichen Gegebenheiten anpassen“, die nahezu alle Lebensbereiche betreffen wie Arbeit, Familie, Freizeitgestaltung und Bildung (Nick 2003: 91).

Die durch Massenmedien erzeugten Meinungen, Gewohnheiten, Einstellungen und Lebensstile liefern die Individuen heute zusätzlich einer neuen „Außensteuerung“ aus (Nick 2003: 91f). Wie oben bereits gezeigt wurde, kann das Individuum nicht mehr auf traditionelle Orientierungssysteme zurückgreifen. Somit ist es den von den Massenmedien vorgegebenen Informationen und Vorstellungen, abhängig vom Grad der individuellen Medienkompetenz, ausgesetzt. Die Gesellschaftsmitglieder sehen sich heute einer nahezu unüberschaubaren Fülle an Handlungsoptionen und Lebensentwürfen gegenüber, die mit Verhaltensunsicherheiten für den Einzelnen einhergehen. „Mit dem Gefühl der Entscheidungsvielfalt ist die Gefahr der Frustration verbunden, da es schwer fällt sich mit seiner Situation abzufinden, wenn auch andere Konstellationen vorstellbar oder möglich wären“ (Nick 2003:93).

Insgesamt sind die Sicherheit bietenden Wert- und Orientierungsmuster in Bewegung geraten und differenzieren sich zunehmend aus (vgl. Handschuck/Klawe 2004: 27). Nach Norbert Elias wirkt sich die Dynamik dieser Prozesse folgendermaßen aus: „Das Verhalten von immer mehr Menschen muss aufeinander abgestimmt, das Gewebe der Aktionen immer genauer und straffer durchorganisiert sein, damit die einzelne Handlung darin ihre gesellschaftliche Funktion erfüllt. Der Einzelne wird gezwungen, sein Verhalten immer differenzierter, immer gleichmäßiger und stabiler zu regulieren“ (Elias 1977: 316f).

1.1.2. Risikogesellschaft und Veränderungen der Arbeitsgesellschaft

Die heutige Gesellschaft wird von Beck (1986) als 'Risikogesellschaft' bezeichnet, da ihre Mitglieder mit einer ungewissen Zukunft und der Aufgabe der Gestaltung eben dieser konfrontiert sind. Dies löst zunehmend Angst und Unsicherheit aus und hat Auswirkungen auf Gestaltung und Bewältigung des Alltags (Handschuck/Klawe 2004: 16f). Der Wandel in der Arbeitsgesellschaft kann hierzu als mögliches Beispiel dienen. Das Arbeitsleben ist für den Einzelnen mit Risiken behaftet. Beispiele hierfür sind nicht nur der Stellenabbau im Rahmen von fortschreitender Rationalisierung, sondern auch neue Anforderungen an Arbeitskräfte wie flexiblere Arbeitszeitstrukturen und die Adaption an die Arbeitszyklen der neuen Technologien. So können traditionelle Arbeitsverhältnisse als Auslaufmodell betrachtet werden (vgl. Handschuck/Klawe 2004: 15).

Die Arbeitswelt ist heute nicht mehr für jeden zugänglich, was mit den hohen und stabilen Arbeitslosenzahlen belegt werden kann. Dazu kommt, dass von den Individuen eine zunehmende Arbeitsmobilität gefordert wird. So bringt Arbeitslosigkeit gerade junge Menschen dazu, ihre gewohnte Umgebung zu verlassen und sich in unbekannte, fremdkulturelle Regionen Deutschlands oder ins Ausland zu begeben. Dies ist in der Regel mit der Hoffnung auf einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz verbunden. Bei der von ökonomischen Faktoren abhängigen Binnenwanderung sind beispielsweise die 18 bis 25jährigen als stärkste Altersgruppe vertreten (vgl. Gogolin 2003: 170f).

Die Optimierung ökonomischer Bedingungen im Produktions- und Dienstleistungsbereich wirkt sich auch auf andere Lebensbereiche aus: so folgt der Ökonomisierung der Gesellschaft „unmittelbar die Ökonomisierung von Sozialbeziehungen (Handschuck/Klawe 2004: 16), was heißen kann, dass soziale Beziehungen aufgrund von „Nutzen“ bewertet werden. So gibt es Gewinner und Verlierer „in diesem Prozess der marktförmigen Konkurrenz um soziale Anerkennung, Lebens- und Entwicklungschancen, gesellschaftlicher Teilhabe und wünschbaren Zukunftsperspektiven“ (Handschuck/Klawe 2004:16).

Aus den aufgeführten beobachteten Entwicklungen in unserer Gesellschaft ist zusammenfassend festzuhalten, dass der Wertewandel zwei bedeutende Auswirkungen mit sich bringt: zum einen sind erhebliche Freiräume für die Gestaltung des eigenen Lebens entstanden, was auch einen Freiheitszuwachs bedeutet. Dies bringt aber andererseits auch neue Anforderungen an den Einzelnen mit sich, nämlich „jeweils individuell, auf sich allein gestellt, seinen Lebensweg selbstverantwortlich zu gestalten und dort, wo früher Konventionen, vorgezeichnete Bildungswege und der normative Druck der soziale Bezugsgruppen jedenfalls den Rahmen des Möglichen absteckten, nun eigenverantwortlich Breschen in die (Lebens-)Realität zu schlagen. Die Herausbildung einer stabilen Identität wird fraglich, wenn nicht gar obsolet“ (Handschuck/Klawe 2004: 20). Der Zugewinn an Autonomie im Rahmen der Individualisierung und die Auswirkungen der Risikogesellschaft begünstigen die Aufweichung der sozialen Bezüge und haben Auswirkungen auf die individuelle und kollektive Identitätsbildung.

1.2. Globalisierung

Aktuelle gesellschaftliche Veränderungen wie die kulturelle Ausdifferenzierung in Deutschland müssen im Kontext der Globalisierung betrachtet werden (vgl. Nick 2003: 86). „Die Globalisierung der Welt erfordert heute mehr denn je das Schauen über den Tellerrand der eigenen Sprache, Kultur und Nation“ (Freise 2005:9).

In Anlehnung an Butterwegge kann Globalisierung allgemein als Prozess verstanden werden, „welcher national(staatlich)e Grenzen überwindet, zur Ausweitung bzw. Intensivierung der sozialen Beziehungen führt und schließlich den gesamten Planeten umspannt“ (Butterwegge 2005: 27). Dieser Globalisierungsprozess hat eine starke ökonomische Komponente und geht mit sozio-kulturellen Wandlungsprozessen einher. Innerhalb unserer Gesellschaft führt dies zu einer zunehmenden Interaktionsdichte zwischen Trägern verschiedener Kulturen. Weiterhin ermöglicht Globalisierung einer wachsenden Zahl von Menschen den Blick über den eigenen kulturellen Tellerrand hinaus, sei es durch die durch die Medien oder den Tourismus. Für den Nationalstaat bringt der Globalisierungsprozess die Notwendigkeit einer Öffnung hinsichtlich der neuen und unbekannten kulturellen Vielfalt mit sich (Nick 2003: 86). Denn der Prozess der Globalisierung ist nicht mehr aufzuhalten und wird sich in Zukunft eher noch beschleunigen (Freise 2005: 83).

Im Folgenden sollen nun diejenigen Aspekte angeführt werden, die die Notwendigkeit interkultureller Kompetenzen im Rahmen von Globalisierungsprozessen begründen können. Dafür werden zunächst kurz die wirtschaftlichen und daran anschließend die sozio-kulturellen Aspekte von Globalisierung betrachtet.

1.2.1. Ökonomische Aspekte

Mittlerweile werden Dienstleistungen und Waren weltweit nahezu grenzenlos gehandelt. Dabei sind sie immer weniger ortsgebunden. Die Welt erscheint als 'globales Dorf' (vgl. Wagner 2002:13, vgl. Freise 2005:81). So wird inzwischen unter Globalisierung „vor allem die unumgängliche, irreversible und alternativlose Marktfreiheit der Unternehmen verstanden, die einer globalen Verheißung gleichkommt, in dem sie tendenziell vollständige Entgrenzung der Wirtschaftsprozesse und damit das Ende aller einhergehenden staatlichen Maßnahmen in Aussicht stellt“ (Scheer 2003: 6). So argumentiert auch Freise (2005: 81), dass die internationalisierte, globale Ökonomie kaum noch durch staatliche Kontrolle zu beeinflussen ist. Die ökonomische Globalisierung wird besonders durch Innovationen im Bereich der Kommunikationstechnologien wie Telefon, Fax und zunehmend Internet begünstigt. Durch diese neuen, nahezu unbeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten verliert der Informationsaustausch seine örtlichen Bezugspunkte, da zum Beispiel durch das 'World-Wide-Web' Distanzen in Sekunden überbrückt werden.[4]

Auf dem Arbeitsmarkt ist eine Polarisierung der nachgefragten Bildungsvoraussetzungen zu vermerken. Die Nachfrage beschränkt sich zunehmend auf Erwerbstätige mit einer hohen oder einer nur geringen Qualifikation. Danach fallen durchschnittlich Qualifizierte in zunehmendem Maße 'durch das Raster'. So werden von den Individuen zunehmend Anpassungsleistungen gefordert, die mit einer großen Verantwortung einhergehen, das heißt „das Individuum selbst muss flexibel auf wechselnde Anforderungen reagieren, sich immer wieder neu justieren, sich umqualifizieren, um durch permanente Selbstveränderung und unbeschränkte Mobilität seine profitable Verwendbarkeit“ zu gewährleisten (Strasser 2001: 28, zitiert nach Handschuck/Klawe 2004: 21f ).

Es gibt Globalisierungsgewinner und –verlierer, zwischen denen das Wohlstandsgefälle voraussichtlich immer weiter steigen wird (vgl. Handschuck/Klawe 2004: 21). Die 'Eine Welt' existiert nicht in der Realität, sondern teilt sich in Zentren des Marktgeschehens (global cities) und Peripherien auf. Dabei wird die Globalisierung des Marktes begleitet von Massenarbeitslosigkeit, kriegerischen Konflikten, ökologischen Konflikten, Naturkatastrophen und Armut. Diese Faktoren sind in den einzelnen Ländern verflochten mit politischen Disparitäten beim Kampf um ökonomischen, politischen und religiösen Einfluss, und erzeugen dadurch weitere Ursachen für Flucht und Auswanderung (Gemende 1999: 9).

1.2.2. Sozio-kulturelle Aspekte

Die kulturelle Globalisierung geht mit einer zunehmenden Interaktionsdichte zwischen verschiedenen Kulturen bzw. Gesellschaften einher. Dies wird zum einen begünstigt durch die zunehmende Mobilität von Individuen wie die Mobilität der Arbeitnehmer, globale Mobilität in der Form von Tourismus und der Migration sowie Zwangsmigration und Flucht.

Zum anderen fördern die neuen Informations- und Kommunikationsmedien eine wachsende Mobilität von Ideen und kulturellen Elementen. Damit sind die Medien als ein wesentliches Element der Globalisierung zu betrachten.

1.2.2.1. Mobilität

Mobilität von Individuen bedeutet Bewegung. Sie kann zu analytischen Zwecken in unterschiedlichen Dimensionen betrachtet werden (vgl. Feldmann-Wojtachnia 2005: 160). In den Sozialwissenschaften wird eine allgemeine Differenzierung zwischen vertikaler und horizontalerMobilität vorgenommen. Die vertikale Mobilität (auch bezeichnet als soziale Mobilität) meint die Möglichkeit und Fähigkeit zur Veränderung der sozialen Position des Individuums, d.h. den sozialen Auf- und Abstieg. Dagegen bezeichnet die horizontale Mobilität die geographische Mobilität des Einzelnen wie z. B. Migrationsbewegungen und Reisen. Dabei ist für das Individuum ein Mindestmaß an sozialem Status nötig, um an der horizontalen Mobilität partizipieren zu können. In Europa und weltweit ist eine Verringerung der sozialen Mobilität zu verzeichnen, was die Schere zwischen Armut und Reichtum weiter auseinander klaffen lässt (vgl. Thimmel/Friesenhahn 2005: 171).

Im Kontext der Globalisierung können zwei wesentliche Faktoren der sozialen Mobilität betrachtet werden, die sich in eine kulturelle und eine strukturelle Mobilität aufschlüsseln lassen (vgl. Gemende 1999: 8). Als kulturelle Bedingung der sozialen Mobilität wird angenommen, dass gemeinsame Vorstellungen von Wohlstand, sozialer Sicherung und politischer Freiheit als Zielwerte die Welt kulturell integrieren und sich im individuellen Bewusstsein niederschlagen. Die Orientierung an nordatlantisch-eurozentrischen Werten im Kontext des modernen Kapitalismus prägt sich in den einzelnen Ländern verschieden aus und ist in manchen Weltregionen nicht unumstritten (vgl. Gemende 1999: 8). Als strukturelle Bedingung sozialer Mobilität gilt das Entwicklungsgefälle zwischen den nationalen Einheiten, was sich in strukturellen Ungleichheiten zwischen Ländern und Regionen zeigt.

[...]


[1] Da der Mensch nach Gehlen ein „instinktarmes Wesen“ ist, dienen Werte ihm als Orientierungs- und Handlungssystem (vgl. Hillmann 2002: 49).

[2] Nach Hillmann ist der Wertewandel vom „Zeitgeist“ der Gegenwart abhängig (vgl. Hillmann 2002:11).

[3] Ulrich Beck geht von einer 'Individualisierung' als Folge gesellschaftlicher Wandlungsprozesse aus (vgl. Handschuck/ Klawe 2004:19). Individuen werden aus traditionellen Bindungen und Sicherheiten gelöst, was gekennzeichnet ist durch eine 'Freisetzungsdimension' und den Verlust von Orientierungen (vgl. Beck 1986: 206).

[4] Dies begünstigt unter anderem die zunehmende Produktionsverlagerung in Billiglohnländer (vgl. Freise 2005:81f). Standortdebatten, die durch die globale Konkurrenz hervorgerufen werden, zielen eher auf die Senkung der Lohnnebenkosten als auf die Evaluation der sozialen Sicherungssysteme (vgl. Handschuck/Klawe 2004: 21).

Ende der Leseprobe aus 38 Seiten

Details

Titel
Kulturelle Vielfalt. Die Gesellschaft zwischen Anerkennung und Ausgrenzung
Hochschule
Fachhochschule Koblenz - Standort RheinAhrCampus Remagen
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
38
Katalognummer
V279871
ISBN (eBook)
9783656728085
ISBN (Buch)
9783668137257
Dateigröße
482 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
kulturelle, vielfalt, gesellschaft, anerkennung, ausgrenzung
Arbeit zitieren
Dipl. Sozialpädagogin Nicole Marx (Autor:in), 2006, Kulturelle Vielfalt. Die Gesellschaft zwischen Anerkennung und Ausgrenzung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/279871

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