Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Prinzipien der Genuszuweisung im Deutschen
2.1 Semantische Prinzipien
2.1.1 Personenbezeichnungen
2.1.2 Tierbezeichnungen
2.1.3 Sachbezeichnungen
2.2 Morphologische Prinzipien
2.2.1 Komposition
2.2.2 Derivation
2.2.3 Konversion
2.2.4 Kürzung
2.3 Phonologische Prinzipien
2.3.1 Phonologische Prinzipien bei mehrsilbigen Substantiven
2.3.2 Phonologische Prinzipien bei einsilbigen Substantiven (Simplizia)
2.4 Prinzipien der Genuszuweisung bei Lehnwörtern
3. Empirische Untersuchung der morphologischen und phonologischen Prinzipien
3.1 Methodik
3.2 Ergebnisse
3.2.1 Ergebnisse zu morphologischen Prinzipien
3.2.2 Ergebnisse zu phonologischen Prinzipien
4. Zusammenfassung
5. Literaturverzeichnis
6. Anhang
1. Einleitung
In der vorliegenden Arbeit wird eine empirische Untersuchung zu Prinzipien der Ge- nuszuweisung durchgeführt. Das Wort „Genus“ wird meist mit einer Definition aus dem Duden verknüpft, in der das Genus als grammatisches Geschlecht bezeichnet wird (Du- den 2009b:152). Diese Definition führt zur Fokussierung des Sprechers auf das Sexus (ein biologisches Geschlecht) (Heringer 1995:203). Dabei werden Substantive oft als männlich, weiblich oder sächlich benannt. Diese Bezeichnungen haben aber nichts mit dem deutschen Genus als einer grammatischen Kategorie zu tun, weil nicht alles, was als Maskulinum bezeichnet wird, männlich ist (Heringer 1995:203). Das bekannteste Bei- spiel für das Auseinandergehen von Genus und Sexus ist das Mädchen. Aus diesem Grund soll der Begriff „Genus“ noch genauer definiert werden. Die Definition wird von Ursula Hoberg übernommen, weil sie das Genus nicht als grammatisches Geschlecht be- zeichnet:
„Genus ist eine Klassifikation des nominalen Lexikon, die semantisch und /oder formal basiert sein kann. Jedes Substantiv gehört (im Prinzip) einer Genusklasse an. Die Klassenzugehörigkeit drückt sich notwendig an Bezugseinheiten des Substantivs aus; sie kann darüber hinaus am Substantiv selbst markiert sein.“ (Hoberg 2004:6).
In der deutsche Sprache gibt es drei Genusklassen: Maskulinum, Neutrum und Femini- num (Mask./Neut./Fem. bzw. m:n:f), und jedes Substantiv hat ein festes Genus. Das be- deutet, dass das Genus des Substantivs sich weder nach dem grammatischen Zusammen- hang richtet, noch frei wählbar ist (Duden 2009b:152). Das Genus wird im Deutschen nur im Singular „an allen adnominalen und den meisten pronominalen Bezugseinheiten mar- kiert“ (Hoberg 2004:75). Die am häufigsten verwendeten Genusmarker sind die Definit- pronomen der/die/das (Hoberg 2004:76). Die Frage ist nun, wie die Substantive ihr Ge- nus bekommen, ist es motiviert oder arbiträr (Köpcke/Zubin 1996:474). Im theoretischen Teil werden die Prinzipien der Genuszuweisung in der deutschen Sprache (bei nativen oder fremden Substantiven) dargestellt.
In dem zweiten Teil dieser Arbeit wird eine empirische Untersuchung durchgeführt, um nachzuschauen, ob die dargestellten Prinzipien in der Realität von den Sprechern angewendet werden oder ob das Genus arbiträr zugewiesen wird. Es wird überprüft, ob die Regeln bewusst erkannt werden oder die Genuszuweisung eine Reihe von Reproduktionen ist. In der Untersuchung können nicht alle Prinzipien der Genuszuweisung überprüft werden, weil diese sehr komplex sind, wie es im theoretischen Teil deutlich wird. Aus diesem Grund wird zuerst die Auswahl der Prinzipien beschrieben.
Am Anfang der Untersuchungsdarstellung wird die Art der Überprüfung präsentiert.
Danach soll deutlich gemacht werden, warum allein die Fragebogen von den Probanden ausgewertet werden, die nur Deutsch als Muttersprache angegeben haben. Danach werden die einzelnen Ergebnisse der durchgeführten Untersuchung dargestellt. In der Arbeit werden die erhaltenen Resultate kritisch diskutiert, um die Frage zu beant- worten, warum von den Probanden einige Prinzipien bewusst erkannt werden und andere nicht.
Am Ende der Arbeit wird eine Zusammenfassung des theoretischen und empirischen Teils gegeben, ob die untersuchten Prinzipien der Genuszuweisung in der Sprachpraxis angewendet werden.
2. Prinzipien der Genuszuweisung im Deutschen
Es gibt Sprachen mit einem offenen Genussystem, in denen eine triviale Genusableitung festgestellt ist (Fischer 2005:87). Fischer bezeichnet das deutsche Genussystem als ein verdecktes System (Fischer 2005:87), das sich durch eine komplexe Zusammenwirkung von semantischen, morphologischen und phonologischen Prinzipien bildet (Fischer 2005:112). In diesem Kapitel sollen die genannten Prinzipien dargestellt werden, um eine empirische Untersuchung theoretisch vorzubereiten.
2.1 Semantische Prinzipien
Im heutigen Sprachgebrauch wird immer mehr akzentuiert, dass die Bezeichnungen für Menschen (im Singular sowie auch im Plural) sexusdifferenzierend sein sollen, z. B. Stu denten/Studentinnen. Bei der Genuszuweisung spielen die semantischen Prinzipien bei Personen-, Tier- und Sachbezeichnungen eine Rolle.
2.1.1 Personenbezeichnungen
Bei mehreren Substantiven, die männliche und weibliche Personen bezeichnen, wird das Sexus mit dem prototypischen Genus (Maskulinum für männlich, Femininum für weiblich) auf der lexikalischen Ebene ausgedrückt (Hoberg 2004:99f):
Verwandtschaftsbezeichnungen:
Mask.: Opa, Vater, Sohn usw.; Fem.: Oma, Mutter, Tochter usw.
Bezeichnungen, die ausdrücklich den Sexus der Personen markieren sollen:
Mask.: Mann, Bube, Herr, Bräutigam usw.; Fem.: Frau, Dame, Nonne, Braut usw.
In diesem Prinzip gibt es einige Personenbezeichnungen, bei denen der Sexus mit dem Genus nicht übereinstimmt. Für Frauenbezeichnungen wird das Neutrum verwendet, z. B. Mädchen, Weib, Frauenzimmer, und für Männerbezeichnungen Femininum (Fischer 2005: 95), z. B. Memme, Tunte, Wache. Dabei kann man das Neutrum Mädchen mit dem Diminutivsuffix (vgl. 2.2.2) (Hoberg 2004:100) und das Neutrum Frauenzimmer mit der Kompositionsregel (vgl. 2.2.1) (Fischer 2005:95) erklären. Die Feminina Memme und Tunte sind formbedingt (Pseudosuffixe (vgl. 2.3.1)), aber das Femininum wird auch als verschlechternde Vorstellung des Begriffsinhaltes verwendet (Hoberg 2004:100), da das erwartete Geschlechtsverhalten nicht erfüllt ist (Fischer 2005:95). Das Genus des Wortes Wache wird von Wörtern wie Wachtperson oder Wachtdienst abgeleitet (Fischer 2005:94). Nur bei wenigen Wörtern kann das Genus nicht mehr erklärt werden, z.B. das Weib (Hoberg 2004:100).
Im Deutschen kann man bei den Personenbezeichnungen kein wechselndes Genus an- wenden, wie z. B. im Französischen coll è gue, je nach Sexus des Referenten (Hoberg 2004:100). Die Möglichkeit, Genus und damit Sexus bei ein- und demselben Wortstamm zu kennzeichnen, ist die Substantivierung der Adjektive und Partizipien, „die ihre genus- differenzierte Flexion (im Singular) beibehalten“, z. B. Studierender oder Studierende, Vorsitzender oder Vorsitzende (Hoberg 2004:101). Diese Regel gilt aber nur dann, wenn vor dem Substantiv ein Undefinitpronomen oder kein Pronomen steht. Wenn aber vor dem Substantiv ein Definitpronomen (der oder die) gestellt wird, übernimmt dieses die Sexusbezeichnung. Damit unterscheiden sich zwei Substantive mit dem gleichen Lexem nicht mehr durch die genusdifferenzierte Flexion, sondern werden mit einem variablen Genus verwendet, der Studierende/die Studierende (Duden 2009a:1033), der Vorsitzen- de/die Vorsitzende (Duden 2009a:1152).
Den Personenbezeichnungen ohne Sexusdifferenzierung wird meistens Maskulinum zugewiesen (Köpcke/Zubin 1996:481), z. B. der Kunde, der Dekan, der Professor. Wenn aber diese Bezeichnungen das natürliche Geschlecht ausdrücken sollen, werden Feminina mithilfe des Motivierungssuffixes -in aus Maskulina gebildet (Hoberg 2004:101), der Kunde/die Kundin, der Dekan/die Dekanin, der Professor/die Professorin. Dabei gibt es Bezeichnungen, die sich für weibliche Personen nicht durchgesetzt haben, z. B. * die Pas- sagierin (Hoberg 2004:101). Der Cosmas2 zeigt aber, dass auch diese Form benutzt wird (86 Treffer): „[…]Stimmt, aber nur für Fahrten von Weinfelden nach Mettlen und umge- kehrt, erklärte die Passagierin.[…]“ (Tageszeitung, 14.07.2001; Christian Ballat: Mit dem Bus in die Badi und ins Kino) (Cosmas2, 26.03.2012, Vorhebung von mir). Diese Regel gilt aber nicht für sexusspezifische (Mann, s. o.) und sexusneutrale (Mensch) Bezeich- nungen, die im Deutschen fast immer das Genus Maskulinum besitzen (Hoberg 2004:101). Dabei gibt es auch Ausnahmen bei sexusneutralen Substantiven, die nicht Maskulinum als Genus haben (Heringer 1995:204, Hoberg 2004:102), die Person, die Geisel, die Waise. Um das Geschlecht zu signalisieren, kann ein Attribut männlich oder weiblich eingeführt werden, z. B. das war eine männliche Geisel. Diese attributive Erwei- terung bei Personenbezeichnungen wird selten verwendet, wenn dann nur „in Stellenan- zeigen“ (Hoberg 2004:100), z. B. wir suchen einen Fahrer (m/w). Um die „Unreife“ der Kinder zu signalisieren, das Kind, das Baby, wird häufig das Neutrum verwendet (Köp- cke/Zubin 1996:483).
2.1.2 Tierbezeichnungen
Bei Tierbezeichnungen wird die Genuszuweisung wie auch bei Personenbezeichnun- gen meist nach der Sexusspezifizierung vorgenommen, z. B. die Henne, der Hahn (Ho- berg 2004:100). Um der Sexus im Tierbereich deutlicher hervorzuheben, werden die Kompositabildungen „mit -männchen/-weibchen oder anderen sexusspezifischen Basis- substantiven“ gebraucht (Hoberg 2004:100), z. B. das Tigermännchen, die Rehgei ß. Die nächste Möglichkeit das Sexus zu markieren ist die Suffigierung. Mit dem Derivations- suffix -in werden bei „höheren“ Tieren die Feminina aus dem „männlichen“ Lexem ge- bildet (Hoberg 2004:101), z. B. der Tiger die Tigerin, der Fuchs die Füchsin. Die- ses Suffix wird auch verwendet, wenn der Wortkern ein Femininum ist, um das Ge- schlecht deutlicher auszudrücken, z. B. die Katze die Kätzin (Hoberg 2004:101). Von dem „weiblichen“ Ausgangspunkt werden die männlich markierte Tierbezeichnungen mit dem Suffix -(e)rich erzeugt (Hoberg 2004:102), z. B. die Maus der Mäuserich. „Bei Lebewesen, bei denen keine besonderen Geschlechterformen existieren, können die se- mantischen Regeln nicht angewandt werden, so bei zwittrigen Lebenswesen: der Wurm, die Schnecke.“ (Duden 2009b:158). Die meisten Tierbezeichnungen werden sexusneutral gebraucht, wie z. B. die Gans oder der Fuchs, um eine allgemeine Tiergattung zu signali- sieren. Aus diesem Grund werden sie öfter für beide Geschlechter angewendet (Hoberg 2004:105).
Es gibt eine Interpretation der Genuszuweisung bei Tierbezeichnungen von Köpcke und Zubin (1996). Sie stellen ein „ethnozoologisches Kontinuum“ dar, um zu zeigen, dass die Tiere mit menschlichen Charakteristika meist Maskulinum bekommen (der Löwe
- mächtig, stark), und die feminine Zuweisung eine Distanz zur menschlichen Welt prä- sentiert (Schlangennamen) (Köpcke/Zubin 1996:484).
2.1.3 Sachbezeichnungen
In dieser Kategorie werden die Substantive nach ihrer Bedeutung in bestimmten Grup- pen zusammengefasst (Hoberg 2004:106). Das bedeutet, dass semantisch verwandte Be- zeichnungen mit dem gleichen Genus verwendet werden (Fischer 2005:91). Diese Grup- pen sind:
Alkoholische Getränke Mask.: Wodka, Wein, Brandy; mit der Ausnahme: das Bier (Köpcke/Zubin 1996:479, Fischer 2005:91);
Automarken Mask.: Opel, Mercedes, Volkswagen; mit Ausnahmen: die Isabel la, die Isetta, die Corvette (Fischer 2005:91);
Himmelsrichtungen Mask.: Norden, Süden, Westen (Fischer 2005:91);
Kalendarische Angaben Mask.: Juli, Herbst, Mittwoch (Köpcke/Zubin 1996:480, Fischer 2005:91); (bei Mittwoch kommt der Genuswechsel durch die Apokope (Fischer 2005:91): mhd. die mittewoche (Lexer 1992:143) nhd. der Mittwoch (Duden 2009a:742);
Musik- und Tanznamen Mask.: Jazz, Rock, Walzer; mit den Ausnahmen: Polka, Menuett (Fischer 2005:91); (bei Tänzen wie Rumba und Samba kommt es zur Ge- nusschwankung, weil diese Substantive auf das Fremdsuffix -a enden, das das Fe- mininum verlangt (vgl. 2.2.2). Im Rechtschreibduden wird angezeigt, dass das Ge- nus Femininum ist und umgangssprachlich Mask. verwendet wird (Duden 2009a:917, 924), im Fremdwörterbuch Duden wird für Rumba nur Femininum und für Samba Femininum und umgangssprachlich Maskulinum angegeben (Duden 2007:922, 928));
Buchstaben Neut.: L, M, N (aber der Buchstabe L) (Fischer 2005:91);
Chemische Grundstoffe und Substanzen Neut.: Brom, Eisen, Chlor (Köp- cke/Zubin 1996:480);
Farben Neut.: Braun, Lila, Rosa (Fischer 2005:91, Köpcke/Zubin 1996:480);
Länder-, Landschafts- und Städtenamen zu 80% Neut.: Frankreich, Allgäu, Frankfurt (Hoberg 2004:106f., Duden 2009b:160); (In der Regel werden diese Namen ohne Artikel benutzt. Durch die Erweiterung mit einem Attribut oder die Ersetzung des Personalpronomen werden die Namen mit Neutrum gebraucht und daraus wird das Genus abgeleitet (Hoberg 2004:106): Ich liebe Frankreich, weil es wie eine zweite Mutter für mich ist. Aus dem Westreich wurde im Laufe der Zeit das heutige Frankreich . (Duden 2009b:160). Die Länder- und Landschaftsnamen können aber auch Femininum oder Maskulinum zugewiesen bekommen. Die femi- ninen Substantive haben immer das Definitpronomen bei sich (die Ukraine, die Schweiz), die maskuline Substantive müssen nicht mit dem Artikel verwendet wer- den ((der) Iran) (Hoberg 2004:107). Hoberg akzentuiert, dass die Städtenamen, wie Heidelberg oder Quedlinburg, auch das Genus Neutrum haben, um zu signali- sieren, dass nicht mehr von einem Berg oder einer Burg die Rede ist (Hoberg 2004:106f.);
Namen der Kontinente Neut. (Hoberg 2004:107): Amerika, Asien, Europa; (Im Rechtsschreibduden werden diese Namen ohne Definitpronomen angegeben (Du- den 2009a:196, 219, 415). Hoberg bringt als Beispiel die Sätze, wie das ferne Asien oder das alte Europa (Hoberg 2004:106), da die Namen mit einem Definit- pronomen benutzt werden, und daraus schließt sie das Genus der Namen der Kon- tinente.);
Physikalische Maßeinheiten Neut.: Ampere, Ohm, Watt (Hoberg 2004:106);
Spiele Neut.: Bowling, Backgammon, Poker (Fischer 2005:91, Köpcke/Zubin 1996:480); (Die Spielbezeichnungen wie Fu ß ball oder Federball werden nach der Kompositionsregel (vgl. 2.2.1) gebildet und deswegen bekommen sie kein Neut- rum);
Sprachen Neut.: Französisch, Russisch, Hindi (Köpcke/Zubin 1996:480);
Bäume Fem.: Birke, Pappel, Tanne; mit einigen Ausnahmen: der Ahorn, der Wacholder (Fischer 2005:91);
Blumen Fem.: Mimose, Rose, Tulpe; mit vielen Ausnahmen: der Wegerich, der Mohn, das Stiefmütterchen usw. (Fischer 2005:91);
Deutsche Flüsse Fem.: Donau, Elbe, Mosel; mit Ausnahmen: der Rhein, der Main (Fischer 2005:92); (aber ausländische Flüsse werden eher mit Maskulinum gebraucht: der Don, der Mississippi (Fischer 2005:91), aber: die Wolga.); Flugzeugtypen Fem. (Fischer 2005:91): Boeing, Challenger, Tupolev; mit der Ausnahme der Airbus;
Früchte Fem.: Apfelsine, Kiwi, Melone; mit einigen Ausnahmen: der Apfel, der Pfirsich (Köpcke/Zubin 1996:480);
Motorradmarken Fem. (Fischer 2005:91): Honda Fireblade, Suzuki Ninja, BMW G 650 GS;
Schiffsnamen Fem. (Wegener 1995:70): „ Bismarck “ , „ Titanic “ , „ MS Ham- burg “; mit der Ausnahme: der Kormoran (Wegener 1995:70);
Ziffern, Grundzahlen, Zahlwörter Fem.: Drei, Tausend, Zehn (Fischer 2005:91). Heringer bezeichnet dieses Prinzip als Leitwortprinzip (Heringer 1995:208). Das be- deutet, dass die Substantive, die zu einer Gruppe gehören, das gleiche Genus zugewiesen bekommen, wie das Leitwort bzw. der Oberbegriff (Heringer 1995:208). Dies kann bei- spielweise bei der Kategorie „Spiele“ umgesetzt werden (das Spiel das Hockey), aber es gibt Kategorien, die nach diesem Prinzip nicht funktionieren. Die Schiffsnamen zum Beispiel haben das Genus Femininum, obwohl das Leitwort Schiff das Neutrum hat; die Städte haben das Neutrum, obwohl das Leitwort Stadt das Femininum besitzt (Fischer 2005:92). Es gibt auch Kategorien, die gar nicht nach diesem Prinzip funktionieren, z. B. die Kategorie „Besteck“, die kein einheitliches Genus übernommen hat, der Löffel, die Gabel und das Messer (Köpcke/Zubin 1996:473).
Diese Kategorisierungen, wie oben beschrieben, haben viele Ausnahmen, die aber mit formalen Prinzipien erklärt werden können (Fischer 2005:91). Diese werden in den nächsten beiden Kapiteln detailliert dargestellt.
2.2 Morphologische Prinzipien
Im Deutschen entstehen viele Substantive durch eine Wortbildung. Die deutsche Sprache weist einen starken Zusammenhang zwischen dem Genus und der morphologischen Struktur1 des Substantivs auf (Hoberg 2004:9), z. B. Komposition. Dabei hat die Wortbildung einen genusdeterminierenden Einfluss, besonders bei komplexeren Substantiven (Hoberg 2004:32). In diesem Kapitel werden die morphologischen Strukturen, die für die Substantivbildung wichtig sind, ausführlich dargestellt.
2.2.1 Komposition
Wenn ein Substantiv aus zwei oder mehreren Wortstämmen besteht, wird dies als Kompositum bezeichnet (Duden 2009b:664, Elsen 2011:61, Hoberg 2004:32). Bei einfa- chen (zweigliedrigen) wie aber auch bei komplexeren Komposita ist das Genus sehr ein- fach abzuleiten: „Die letzte - äußerste rechte - Konstituente bildet, unabhängig davon, wie die Teile im einzelnen angebunden werden, den Kopf der Konstruktion und bestimmt damit das Genus des zusammengesetzten Substantivs“ (Hoberg 2004:85): z. B. die Schiffsschraubenantriebswelle:
Schiff- Neut. Schraube- Fem. Antrieb- Mask. Welle Fem.
Fem.
Mask.
Fem.
Dieses Kopfprinzip bleibt auch beim nächsten morphologischen Prinzip im Vordergrund, da bei der Suffigierung das Genus vom Suffix vorgegeben wird (Duden 2009b:163, 664).
2.2.2 Derivation
Die Kompositionsregel wird im Deutschen sehr stark genutzt, aus diesem Grund steht die Derivation nur an zweiter Stelle (Elsen 2011:79). Die Derivation ist ein Bildungspro- zess, bei dem mit Hilfe von Affixen (Präfixen, Suffixen oder Zirkumfixen) neue Wörter gebildet werden können (Duden 2009b:665, 1249), z. B. schön schön (Adjektiv) + Suffix -heit = die Schönheit (Substantiv). Für die Genusbestimmung bei der Substantiv- bildung sind Suffixe und Zirkumfixe relevant (Hoberg 2004:32), die anschließend prä- sentiert werden.
In der deutsche Sprache gibt es nur ein einziges nominales produktives Zirkumfix: Ge- … -e, das auch in einer anderen Variante vorkommen kann: Ge- …Ø (Elsen 2011:89; Hoberg 2004:85f.). Diese beiden Varianten führen zu Neutra (Elsen 2011:79; Hoberg 2004:85f.):
- Ge- … -e: Gebände, Gehetze, Gemüse;
- Ge- … Ø: Gebäck, Geschick, Gesöff.
Die meisten deutschen Substantive werden mithilfe des Suffixes gebildet. Dabei wird das Genus des Substantivs bei der Ableitung bestimmt (Kopfprinzip vgl. 2.2.1) (Duden 2009b:163f.; Hoberg 2004:86). Das heißt, dass die Substantive mit dem gleichen Suffix das gleiche Genus zugewiesen bekommen (Fischer 2005:97). Hierbei wird zwischen na- tiven (heimischen) und fremden Suffixen unterschieden (Hoberg 2004:86). Anknüpfend werden die nativen und fremden Suffixe (durch eine Linie getrennt) aufgelistet, die das Genus Maskulinum, Neutrum oder Femininum zuweisen2:
Maskulinum:
- -er, -ler, -ner: Arbeiter, Leser, Flieger (vgl. 2.3.1) (Hoberg 2004:86);
- -el: Deckel, Hebel,ärmel (aber: das Kabel; die Gabel) (vgl. 2.3.1) (Elsen 2011:84, Chan 2005:63);
- -ig: Honig, Käfig, König (aber: das Reisig) (vgl. 2.3.1) (Chan 2005:52);
- -ling: Flüchtling, Häftling, Zwilling (aber: die Reling) (Hoberg 2004:86; Fischer 2005:97, Wegener 1995:73);
- -(r)ich, -(e)rich: Bottich, Kranich, Teppich, Enterich, Wüterich (Duden 2009b:164; Fischer 2005:97, Elsen 2011:84);
- -ant, -ent: Demonstrant, Konsument, Student, Referent (aber: das Talent, das Kon tingent) (Hoberg 2004:86, Chan 2005:53);
- -ar, -är: Formular, Vokabular, Millionär, Revolutionär (Hoberg 2004:86, Elsen 2011:97);
- -eur (-ör): Friseur (Frisör), Kontrolleur, Monteur, Redakteur (Hoberg 2004:86);
- -ier, -iker: Bankier, Alkoholiker, Historiker (aber: das Spalier; die Manier) (Hoberg 2004:86, Elsen 2011:99, Chan 2005:53);
- -us: Zyklus, Numerus, Sexus (aber: das Genus) (Chan 2005:53); Neutrum:
- -lein (Diminutivsuffix): Ä uglein, Büchlein, Fräulein (Hoberg 2004:87);
- -chen (Diminutivsuffix): Männchen, Mädchen, Tischchen (Hoberg 2004:87);
- -(s)el: Anhängsel, Füllsel, Rätsel (vgl. 2.3.1); (aber: der Streusel, der Stöpsel) (Hoberg 2004:87, Fischer 2005:97);
- -tum: Eigentum, Fürstentum, Wachstum (aber: der Irrtum, der Reichtum) (Hoberg 2004:87);
- -at: Konsulat, Diktat, Telefonat (aber: der Stipendiat) (Elsen 2011:98); o -ee: Gelee, Resümee (aber: die Armee) (Elsen 2011:98, Chan 2005:54); o -(e)ment: Argument, Dokument, Medikament (Hoberg 2004:87); o -ing: Camping, Training (Hoberg 2004:87);
- -ma: Dogma, Thema (aber: der Pyjama; die Firma) (Chan 2005:53);
[...]
1 In der Morphologie wird das Wort in mehrere Morpheme zerlegt. Ein Morphem ist die kleinste bedeutungstragende Einheit des Wortes (Hoberg 2004:1).
2 Hier werden als Beispiele die nativen und fünf fremde Suffixe aufgelistet. Die ausführliche Liste mit Suffixen (nativen und fremden) befinden sich im Anhang dieser Arbeit.
- Arbeit zitieren
- Viktoria Popsuy-Johannsen (Autor:in), 2012, Prinzipien der Genuszuweisung im Deutschen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/279833
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