Kollektive Intentionalität. Soziales Handeln und kollektive Akteure


Seminararbeit, 2011

18 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Terminus technicus „Intentionalität“
2.1 Allgemeine Charakteristik
2.2 Zentrale Probleme kollektiver Intentionalität

3. Gemeinsame Praxis - Gemeinsames Handeln
3.1 Gemeinsame Praxis - Soziale Gruppen
3.2 Gemeinsames Handeln - Geteilte Absicht

4. Kollektives Handeln
4.1 Institutionelles Handeln - Kollektive Akteure
4.2 Normativität und Sprache

5. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Eine Analyse kollektiver Intentionalität verfolgt im Allgemeinen das Ziel die Grundlagen des Sozialen zu beschreiben bzw. eine grundlegende Struktur des sozialen und kollektiven Handelns zu erörtern. Zunächst sind diesbezüglich zwei verschiedene Ansätze zu unterscheiden: Jener der versucht die Struktur komplexer sozialer Phänomene aufgrund bescheidener sozialer Zusammenschlüsse, wie z.b. einem gemeinsamen Spaziergang, aufzudecken. Dabei wird meist das individuelle Handeln als Grundlage und die gemeinsamen- und kollektiven Handlungen als eine Folge dessen betrachtet. Die andere Position vertritt hingegen eine Auffassung, wonach kollektive Handlungen ein primitives Phänomen sind, welches nicht auf der Grundlage individuellen Handelns analysiert werden sollte, sondern parallel zu jenen. Ich nehme in dieser Auseinandersetzung keine neutrale Stellung ein, da ich glaube, dass erstere Position eine Prämisse impliziert, welche mir unplausibel erscheint. Explizit wird dies zwar nie behauptet, doch scheint mir, dass bei diesem Ansatz 'Gesellschaft' nicht als etwas Gegebenes, sondern als etwas das durch den Zusammenschluss von Individuen entsteht, betrachtet wird. Dies ist unplausibel weil der Mensch als solcher, folgt man der Evolutionstheorie, nie Einzelgänger war; vielmehr sind soziale Gruppen eine Voraussetzung um dessen Überleben zu sichern. Gemeinsames Handeln entsteht innerhalb der sozialen Gruppe, die als solche intentionale Zustände teilen muss um Bestand zu haben. Auf dieser Annahme beruht auch die Gliederung meiner Auseinandersetzung mit der Thematik 'kollektive Intentionalität'. Ich gehe also davon aus, dass die Grundlage für 'gemeinsames' Handeln eine soziale Gruppe ist, wobei zu beachten ist, dass eine soziale Gruppe nur durch ihren Bestand noch nicht als solche handelt. 'Kollektives' Handeln halte ich für ein Aggregat gemeinsamen Handelns, da ich kollektives Handeln annähernd analog zu institutionellem Handeln betrachte. Dies soll jedoch nicht den Anschein erwecken, ich würde glauben, wie dies erst genannte Position tut, die Struktur komplexer sozialer Phänomene wären mittels einfacher soziale Phänomene zu beschreiben. Meines Erachtens ist der wesentliche Faktor für die Möglichkeit von Institutionen die Sprache, was der eigentliche Grund dafür ist, dass solche Phänomen parallel zu individuellen Handlungen analysiert werden sollten. Sind Körperbewegungen die Basis individuellen Handelns, so sind Sprechakte die Basis kollektiven Handelns.

2. Terminus technicus „Intentionalität“

Intentionalität, als bestimmender Faktor um Handlungen von bloßem Verhalten zu unterscheiden, bezeichnet das Merkmal eines geistigen Zustandes, sich auf etwas zu beziehen. Wenn wir von Wünschen, Überzeugungen, Einstellungen oder Absichten sprechen, so sprechen wir über einen solchen Zustand, denn es ist notwendig, dass sie sich auf etwas beziehen, im Unterschied zu Stimmungen, wie etwa 'schlechte Laune haben', die auch ohne Bezug bestehen können. Es handelt sich also um einen technischen Begriff der im wesentlich durch die drei Merkmale 'Subjekt', 'Gehalt' und 'Modus' charakterisiert wird, die ich im folgenden näher Beschreiben werde.

2.1 Allgemeine Charakteristik

Bei dieser Beschreibung orientiere ich mich im wesentlichen an derjenigen, die in der Einleitung des Sammelbandes „Kollektive Intentionalität - Eine Debatte über die Grundlagen des Sozialen“ von den Herausgebern Hans Bernhard Schmid und David P. Schweikard, gegeben wird.1

Das Subjekt wird darin als der 'Träger' des intentionalen Zustandes charakterisiert, “also [als] dasjenige Wesen, welches die entsprechende Überzeugung oder Absicht 'hat'“.2 Ein Subjekt stellt man sich üblicherweise als ein Individuum vor, also eine physische Tatsache. Ein Kollektiv jedoch besteht offenbar aus vielen und nicht aus einem Träger, weshalb dies im Hinblick auf kollektive Intentionalität die wahrscheinlich größte Herausforderung darstellt. Doch bevor ich darauf zurück komme, gilt es noch die Begriffe Gehalt und Modus zu erläutern.

Der Gehalt wird durch den Gegenstand, d.h. dasjenige worauf sich der geistige Zustand richtet, repräsentiert, wobei der Modus angibt, auf welche Weise dies geschieht. Unterschieden werden drei Klassen von Modi: kognitive Intentionalität, konative Intentionalität und affektive Intentionalität.

Kognitive Intentionalität umfasst dabei diejenigen Einstellungen und Prozesse, die auf Erkenntnis von und Wissen über die jeweiligen Sachverhalte abzielen, auf die sie bezogen sind. Zur konativen Intentionalität zählen Einstellungen, die Ausdruck eines Bestrebens sind. In die Kategorie der affektiven Intentionalität fallen schließlich alle die Zustände, Einstellungen und Haltungen, die eine emotionale Bewertung des Bezugsgegenstandes mitführen.3

Zu erwähnen ist noch die Unterscheidung zwischen engem Gehalt, welcher als unabhängig von der Umgebung des intentionalen Subjekts verstanden wird, und weitem Gehalt, welcher von der Umgebung des Subjekts abhängig ist. Dies ermöglicht irrtümliche von erfolgreicher Bezugnahme zu unterscheiden. Außerdem kommen bei dieser Unterscheidung geisttheoretische Interessen über die Beschaffenheit mentaler Zustände zum Ausdruck, welche sich in den Positionen des Externalismus und Internalismus manifestieren. Erstere sind dabei der Auffassung, mentale Zustände seien zumindest zum Teil von außerhalb des Subjekts liegenden Merkmalen abhängig (weiter Gehalt), während letztere die Auffassung vertreten, mentale Zustände seien vollständig durch intrinsische Eigenschaften des Subjekts bestimmt (enger Gehalt).

2.2 Zentrale Probleme kollektiver Intentionalität

In Anbetracht dieser Charakterisierung, stellt sich nun die Frage, inwiefern Intentionalität kollektiv sein kann bzw. was an Intentionalität kollektiv sein soll.

Eines der Probleme wurde bereits durch den Hinweis auf den Konflikt zwischen Internalisten und Externalisten angedeutet. Es geht dabei um die Frage ob der Gehalt des intentionalen Zustandes allein auf das Subjekt zurückzuführen ist, oder ob dieser auch von der Umgebung des Subjekts abhängig ist. Eine der Lösungsoptionen dafür, führt über eine weitere Problemstellung, die von der propositionalen Verfasstheit intentionaler Zustände handelt. Meines Erachtens sind zumindest einige, wenn nicht sogar die meisten intentionalen Zustände, speziell im Fall kognitiver, jedoch auch bei konativer Intentionalität, Propositionen. Ich werde mich dieser Frage weiter unten noch eingehender widmen und verweise zunächst nur auf Beispiele wie 'die Hauptstadt von Österreich ist Wien' oder 'das Wassermolekül besteht aus zwei Wasserstoff- und einem Sauerstoffatom', von welchen sich unzählige geben lassen. Damit ist zwar noch nicht gesagt, dass intentionale Zustände grundsätzlich Propositionen sein müssen, was ich im übrigen auch nicht glaube, jedoch ist zumindest darauf hingewiesen, dass es intentionale Zustände gibt, die Propositionen sind. Fasst man nun Sprache als eine soziale Praxis auf, man erinnere sich beispielsweise an Wittgensteins Sprachspiele, so scheint der Internalismus vor ein schwer zu lösendes Problem gestellt zu sein, wohingegen dem Externalismus ein starkes Argument gegeben wird. Dieser Aspekt weist also einerseits darauf hin, dass propositional-intentionale Zustände, werden Privatsprachen ausgeschlossen, externe Merkmale aufweisen und andererseits, was in Bezug auf diese Debatte wesentlich interessanter ist, dass solche Zustände (propositional- intentionale Zustände) gar nicht möglich wären ohne ein Kollektiv. An dieser Stelle sei kurz darauf hingewiesen, dass, wie an dieser kurzen Erörterung zu erkennen ist, es stark von sprachtheoretischen bzw. geisttheoretischen Positionen abhängig ist, wie kollektive Intentionalität gefasst wird.

Bei der Beschäftigung mit der Thematik des sozialen Handelns und der kollektiven Intentionalität, hatte ich den Eindruck, dass die Gegenüberstellung von reduktionistischen- bzw. antireduktionistischen Positionen gewissermaßen das Wesen der Debatte bildet. Dies betrifft alle genannten Merkmale von Intentionalität, wobei zu unterscheiden ist, da lediglich strukturelle Gemeinsamkeiten bestehen, was m.E. damit zu tun hat, dass ein Subjekt normalerweise physisch, hingegen der Modus mental und der Gehalt physisch sowie mental, konstituiert ist. So wird von manchen Autoren eine ontologische Reduktion bevorzugt, die das Kollektiv auf dessen teilnehmende Individuen und deren wechselseitigen Beziehungen und Abhängigkeiten reduziert. Andere betrachten das Kollektiv als primitives Phänomen mit irreduziblen Eigenschaften, die sich beispielsweise dadurch äußern, dass es Individuen buchstäblich unmöglich ist, die Handlung zu vollziehen oder, dass das Urteil des Kollektivs mit den mehrheitlichen Meinungen der teilnehmenden Individuen bricht. Kollektive Intentionalität würde somit eine Art kollektives Subjekt oder wie manche Autoren es nennen, ein Pluralsubjekt als Basis verlangen, was den hartgesottenen Cartesianern von vornherein esoterisch erscheinen muss, da hier Begriffe wie 'Gruppengeist', 'kollektives Bewusstsein' oder 'kollektiver Akteur' auftauchen können.

Des weiteren geht es darum, ob Absichten, also mentale Zustände, der Form 'Wir beabsichtigen zu...' ursprünglich sind, was den antireduktionistischen Ansatz darstellt, oder ob diese sich durch mehrere 'Ich beabsichtige zu...' und deren wechselseitigen Überzeugungen und/oder interdependenten Beziehungen zusammensetzen, was einem Reduktionismus entspricht. So würden zwei Leute die gemeinsam spazieren gehen, den Reduktionisten zufolge, jeweils bloß, jedoch als Teile eines kooperativen Zusammenhangs, ihre eigene Beitragshandlung beabsichtigen.

Als antireduktionistisch kann man bezüglich dieser Analysen alle diejenigen Ansätze bezeichnen, welche die direkte Bezugnahme auf gemeinsame Handlungen als konstitutiven Teil kollektiver Absichten behandeln. Diese Position setzt nicht voraus, dass es ein kollektives intentionales Handlungssubjekt gibt, das seine Handlungen in kollektiver Form beabsichtigt; sie basieren vielmehr auf der Vorstellung, dass die gemeinsame Bezugnahme auf das gemeinsame Handeln gerade die wechselseitige Bezogenheit zwischen den Beteiligten erzeugt [...].4

Ein weiteres Problem, welchem m.E. zu wenig Aufmerksamkeit gegeben wird, betrifft die Rolle der Normativität. Da ich dieser Thematik einen eigenen Abschnitt widme, gebe ich an dieser Stelle nur eine kurze Darstellung der Fragen, welche die Autoren beschäftigen, wiederum in Anlehnung an die von Schmid und Schweikard gegebene.5 Ich unternehme dabei den Versuch dieses Problem direkt mit dem Problem der geteilten bzw. kollektiven Bezugsmodi zu verbinden. Da meistens davon ausgegangen wird, dass bei geteilten Absichten und gemeinsamen Handlungen, gemeinsames Wissen über das Vorhaben oder die Handlung besteht, stellt sich zunächst die Frage, ob dieses gemeinsame Wissen, als geteilter kognitiv- intentionaler Zustand, ausreicht, oder ob auch normative Erwartungen und Pflichten zwischen den Beteiligten involviert sein müssen. Dabei kann der eine sowie der andere Standpunkt eingenommen werden, als auch der Standpunkt welchen ich bevorzuge, dass normative Beziehungen grundlegend sind. Was ich in Verbindung mit der Normativitätsfrage sehe, betrifft die Modi geteilter intentionaler Zustände. Werden Absichten so gefasst, dass ihnen Wünsche, Überzeugungen oder Einstellungen voraus gehen, so ist es eine selbstverständliche Konsequenz, dass der Analyse geteilter Absichten, die, wie ich bereits erwähnte, gemeinsames Wissen darüber voraussetzen, die Analyse geteilter kognitiver Zustände folgt. „Aber es gibt auch Forschungsinteressen am Thema kollektive Intentionalität, die nicht unmittelbar mit der Analyse gemeinsamer Absichten verbunden sind. Dies betrifft bislang vor allem folgende Modi intentionaler Einstellungen: Akzeptanz, Aufmerksamkeit und Affektivität.“6 Eine Auseinandersetzung mit dieser Thematik scheint mir sehr interessant, jedoch werde ich, um diese Arbeit nicht überzustrapazieren, mich auf kollektive Akzeptanz beschränken. Kollektive Akzeptanz verdeutlicht sich sehr gut am Beispiel des Geldes. John R. Searle bringt dies auf den Punkt indem er meint: „Es ist eine objektive Tatsache, dass das Stück Papier in meiner Hand ein Zwanzigdollarschein ist oder dass ich Bürger der Vereinigten Staaten bin [...]. Aber diese objektiven Tatsachen existieren nur, insofern sie kollektiv akzeptiert oder anerkannt sind.“7 Außerdem ist es ein bemerkenswerter Aspekt kollektiver Akzeptanz des Geldes, dass sich nicht einfach sagen lässt, es handle sich dabei um einen kognitiven intentionalen Zustand, da bei einem solchen der Geist auf die Welt angepasst wird. Was jedoch im Falle des Geldes dagegen spricht ist, „dass das entsprechende Papier ja gerade dadurch, dass es für Geld gehalten bzw. als solches kollektiv akzeptiert wird, zu Geld wird bzw. Geld ist“.8 Dies bedeutet, dass auch die Welt auf den Geist angepasst wird, was eigentlich eher einer Konation entspricht.

[...]


1 Hans Bernhard Schmid/ David P. Schweikard (Hg.): Kollektive Intentionalität - Eine Debatteüber die Grundlagen des Sozialen. Frankfurt am Main 2009, S. 38ff.

2 Ebd. S. 39.

3 Ebd. S. 42.

4 Vgl. Schmid/Schweikard, Kollektive Intentionalität, S. 54.

5 Vgl. Schmid/Schweikard, Kollektive Intentionalität, S. 54f.

6 Ebd. S. 55.

7 John R. Searle, „Einige Grundprinzipien der Sozialontologie“, in: Kollektive Intentionalität, hg. von Hans Bernhard Schmid/ David P. Schweikard, Frankfurt am Main 2009, S. 505.

8 Vgl. Schmid/Schweikard, Kollektive Intentionalität, S. 57.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Kollektive Intentionalität. Soziales Handeln und kollektive Akteure
Hochschule
Universität Wien  (Philosophie)
Veranstaltung
Analytische Handlungstheorie
Note
1
Autor
Jahr
2011
Seiten
18
Katalognummer
V279827
ISBN (eBook)
9783656736233
ISBN (Buch)
9783656736196
Dateigröße
489 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
analytische Philosophie, Handlungstheorie, Intentionalität, kollektive Intentionalität, kollektives Handeln, gemeinsame Praxis, gemeinsames Handeln, geteilte Absicht, Absicht, kollektive Akteure
Arbeit zitieren
Simon Rauter (Autor:in), 2011, Kollektive Intentionalität. Soziales Handeln und kollektive Akteure, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/279827

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