Die preußischen Agrarreformen von 1807 bis 1816


Hausarbeit (Hauptseminar), 2011

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Thematische Annäherung
2.1 Historischer Abriss
2.2 Motive der Agrarreformen

3 Das „Oktoberedikt“
3.1 Das „Oktoberedikt“ vom 09.10.1807
3.2 Wirkungen des Oktoberedikts

4 Regulierungsedikt von 1811 und Deklaration von 1816
4.1 Das „Edikt zu Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse“ vom 14.09.1811
4.2 Die Deklaration vom 29.05. 1816
4.3 Wirkungen der Deklaration von 1816

5 Gesamtwirkungen der Agrarreformen
5.1 Gesamtwirkungen der Agrarreformen auf den Bauernstand
5.2 Gesamtwirkungen der Agrarreformen auf den Landadel
5.2.1 Die Voraussetzungen in den Köpfen des Landadels
5.2.2 Ökonomische Folgen für den Landadel
5.3 Gesamtgesellschaftliche Auswirkungen der Agrarreformen

6 Die Agrarreformen im Spiegel der Historiker

7 Quellen

8 Literatur

1 Einleitung

Diese Hauptseminararbeit setzt sich zum Ziel, die preußischen Agrarreformen von 1807 bis 1816 in ihren Wirkungen auf den Bauernstand und auf den Stand der Gutsherren in Ostelbien näher zu untersuchen. Außer Acht gelassen werden hierbei die preußischen Domänenbauern, die anderen Rechtsverhältnissen unterstanden.

Es stellt sich die Frage, in wie weit die preußische Regierung an einem wahrhaftigen Interessenausgleich zwischen Gutsherren und Dienstpflichtigen interessiert war, in wie weit dieser Interessenausgleich gelang, wer von den Reformen profitierte und in wie weit diese Reformen, die oft unter dem Begriff „Bauernbefreiung“ subsummiert werden, die gesellschaftlich-staatliche Struktur veränderten.

Der Begriff „Bauernbefreiung“ wird in dieser Hauptseminararbeit genauso gemieden, wie der Begriff „Leibeigenschaft“. „Bauernbefreiung“ ist ganz klar positiv konnotiert und steht so einem unbefangenem Herangehen an die Thematik im Wege. Weiter ist festzuhalten, dass viele Bauern dieser „Befreiung“, aus Gründen, die zu erläutern sein werden, sehr misstrauisch bis ablehnend gegenüberstanden.

„Leibeigenschaft“ wiederum subsummiert unter sich das höchst differente System der bäuerlichen Unfreiheit, auf Grund von Diensten und Abgaben, die dem jeweiligen Gutsherren, welcher gleichzeitig oberster Polizei- und Gerichtsherr war, zu erbringen waren.

Da sich die Frage stellt, wie sich die Bauern in Ostelbien, überhaupt zu den am stärksten belasteten oder eben zu den Bauern mit der am weitesten ausgeprägten bäuerlichen Unfreiheit entwickeln konnten, wird ein kurzer historischer Abriss für notwendig erachtet, schließlich waren die ersten Siedler im Osten des Reiches im Vergleich zu ihren Standesgenossen im Altreich mit weitreichenden (Steuer-)Privilegien ausgestattet.

2 Thematische Annäherung

2.1 Historischer Abriss

Das Beispiel Mecklenburgs kann in seinen Entwicklungszügen als repräsentativ für Ostelbien angesehen werden. Die Ostsiedlung des 12. und 13. Jahrhunderts in Mecklenburg wurde von sog. Lokatoren gesteuert, die später mit Land belehnt wurden. Durch das Lehenssystem bürgerte sich die Ansicht ein, dass die in Ostelbien ansässigen Bauern das Land nur geliehen hätten, obwohl es ihnen meist fest zugewiesen wurde. Eine schriftliche Fixierung des Rechtsverhältnisses fehlte meist.

Von nun an wurde ein grundherrlicher Hufezins, meist in Naturalien erhoben.

Die landesherrlichen Rechte wurden auf Grund steten Kapitalmangels, welcher u.a. durch fehlende

Bodenschätze bedingt war, besonders unter Albrecht II. (reg. 1329-1379) und Heinrich IV. (reg. 1436-1477) an die Vasallen veräußert.

So gelangten die niederen Adligen an die hohe Gerichtsbarkeit und waren nun oberster Polizeibeamter und oberster Richter in Personalunion für das ihnen unterstehende Gut. Aufgrund des Missverhältnisses zwischen Boden und Arbeitskraft waren die Grundherren bestrebt die bäuerliche Arbeitskraft sowohl besser im eigenen Interesse auszunutzen, als auch fester an das eigene Gut zu binden. Diese Tendenz steigerte sich im ausgehenden Mittelalter zur sog. „Schollenbindung“ der Bauern und ab 1572 „machte auch Stadtluft nicht mehr frei.“

Das latente rechtliche Erstarken des Adels gegenüber dem Landesherren zog ein proportionales Erstarken des Adels gegenüber dem Bauernstand nach sich, der ab 1555 vom Adel mit außerordentlichen Steuern belegt werden konnte.

Da der Gutsherr nun auch oberster Richter und Polizeiherr war, wurden die bäuerlichen Abgabeund Dienstpflichten über Jahrhunderte stets weiter gesteigert, so dass den meisten Bauern kaum noch Zeit für die Eigenwirtschaft blieb, bzw. die Anstellung weiterer Knechte, welche zur Fron geschickt wurden, die ökonomischen Spielräume immer weiter einengte.1

Von entscheidender Bedeutung für diese Entwicklung war also die Veräußerung landesherrlicher Rechte an den Landadel auf Grund von Strukturschwäche, so wie das Missverhältnis zwischen Land und Arbeitskräften, was den Landadel dazu motivierte, die Bauern „an die Scholle zu binden“ und ihre Dienste zu steigern.

Im Laufe des ausgehenden 18. Jahrhunderts wurden Reformen zum freien Wirtschaften der Domänenbauern in Angriff genommen, da man sich hiervon höhere Erträge und nach den ersten Jahren auch ein höheres Steueraufkommen versprach.2

Nach dem Frieden von Tilsit, den Zar Alexander I. und Napoleon I. am 07.07.1807 ausgehandelt hatten, hatte Friedrich Wilhelm III. von Preußen, dessen Armee bei Jena und Auerstedt am 14.10.1806 von Frankreich vernichtend geschlagen wurde, nur die Resultate der Verhandlungen entgegenzunehmen.

Preußen verlor die Hälfte seiner Fläche und wurde auf Brandenburg, Pommern, Schlesien und Preußen beschränkt. Auch dieses Rumpfpreußen blieb französisch besetzt bis die immensen Kriegskontributionen gezahlt seien.3

Preußen hatte also durch die napoleonischen Truppen seine völlige Rückständigkeit erfahren, lag politisch, militärisch und finanziell danieder und stand nun vor dem Problem einer „Systemlegitimation“ oder vor der Herausforderung der Schaffung eines neuen Systems.

2.2 Motive der Agrarreformen

Einher mit dem Untergang des Alten Reiches ging das Aufkommen zweier neuer Denkschulen: Zum einen die aufklärerische Philosophie Kants, die die Rechte des Adels nicht als erblich, sondern als temporär ansieht4 und welche ebenso die den Bauern zu gebende Freiheit als Voraussetzung einer freien Gesellschaft ansieht, denn „man kann zu dieser Freiheit nicht reifen, wenn man nicht zuvor in Freiheit gesetzt worden ist.“5

Zum anderen sorgte die postmerkantilistische Wirtschaftstheorie Adam Smiths für Aufsehen, welche einen freien Markt mit freien Bürgern propagierte, da so jeder seine Arbeit am zweckmäßigsten einsetzen könne. Professor Jakob Kraus war nun um 1800 bestrebt, die Theorie Adam Smiths auf preußische Verhältnisse zu übertragen.6

Weiter drohte nach langanhaltenden Bauernunruhen, v.a. in Schlesien, bei einer ausbleibenden „Revolution von oben“ eine „Revolution von unten“, die nach dem französischem Vorbild drohte, die gesamte herrschende Klasse abzusetzen. Dass nämlich „unter dem Bauerntsand [...] doch eine dumpfe Gärung“7 herrschte, stellte u.a. schon der preußische Provinzialminister Friedrich Freiherr von Schroetter 1798 fest.

Gerade nach der Niederlage gegen die französischen Truppen stellte man auch fest, dass man einen freien Bauernstand auch aus ganz pragmatischen Gründen brauchte: Die Kräfte eines Volksheeres sind schier unerschöpflich, aber nur ein freies Volk könnte Träger einer solchen Wehrpflicht sein. Denn der „Bürger im Staat“ „bringe mit Freuden sein Opfer dar, um Gesetz und Freiheit für sich und seine Nachfahren zu sichern.“8 Vor allem Gneisenau erkannte die Kräfte, welche die französische Revolution freigesetzt hatte und forderte dazu auf dass jeder Bauer, „der bis zum Ende für die Sache der Unabhängigkeit kämpft [...] von allen Dienstbelastungen seines Grundstücks befreit werden“9 soll.

Ähnlich äußerte sich wenige Jahre später von Clausewitz: „Der Krieg war urplötzlich wieder eine Sache des Volkes geworden, und zwar eines Volkes von 30 Millionen, die sich alle als Staatsbürger betrachteten [...] Nun hatten die Mittel, welche angewandt [...] keine bestimmte Grenze mehr.“10

Es schien so, als ob man die Revolution, welche die alten monarchisch-feudalen Systeme zusammenbrechen ließ, nur mit den Mittel der Revolution, also mit freien Staatsbürgern, bekämpfen könne.

Die Situation schien nun in dieser „Legitimationskrise“ für den Staat günstig, sich einer Machtprobe mit dem Landadel zu stellen, um so in juristische Bereiche vorzudringen, aus denen sich der Staat bis jetzt herausgehalten hatte.11

3 Das „Oktoberedikt“

3.1 Das „Oktoberedikt“ vom 09.10.1807

Das sog. „Oktoberedikt“ war die erste Reform der landwirtschaftlichen Verhältnisse auf junkerlichen Gutshöfen. Schon in der Präambel des Edikts lässt sich die Motivation Friedrich Wilhelms III. ablesen: Es geht nach dem napoleonischen Krieg um die „baldigste Wiederherstellung und möglichste Erhöhung“12 des Wohlstands der Bevölkerung und darum, „alles zu entfernen, was den einzelnen bisher hinderte, den Wohlstand zu erlangen, den er nach dem Maß seiner Kräfte zu erreichen fähig war.“13

Hier lässt sich auch deutlich die eingegangene Lehre Smiths und Kants erkennen. Wenn also die sozioökonomische Überzeugung, wie sie Friedrich Wilhelm III. in seinem Edikt äußerte, schon vorherrschte, was sich auch durch die früheren Reformen die Domänenbauern betreffend belegen ließe, so ist die einzige Erklärung warum die Reformen nicht eher durchgeführt wurden die, dass der spätabsolutistsiche Monarch den Widerstand des Landadels fürchtete.

Die eigentlichen Paragraphen des Oktoberedikts lassen sich in vier Abschnitte einteilen:

1. Die Freiheit des Grundstücksverkehrs und der freien Wahl des Gewerbes (§ 1 und § 2).
2. Erweiterung der Nutzungsrechte hinsichtlich des Grund und Bodens (erleichterte Teilung, erleichterter Verkauf, erleichterte Hypothekenaufnahme, leichtere Aufhebung der Lehnsverbindungen; § 3,4,5,8 und §9)
3. Einziehung und Zusammenschlagung der Bauerngüter (§ 6 und § 7)
4. Auflösung der „Gutsuntertänigkeit“ ohne nähere Definition des Begriffs (§10, 11 und §12)

Um einschätzen zu können, was sich hierdurch nun konkret geändert hat, ist ein Blick auf das Allgemeine Landrecht von 1794 nötig.

Vor dem Oktoberedikt war freier Güterverkehr nur innerhalb des jeweiligen Standes möglich, es gab also Bauerngüter und adlige Güter, die jeweils nur vom jeweiligen Stand erworben werden konnten.14

Gleiches gilt für die Gewerbefreiheit, auch hier galten bis zum Oktoberedikt ständische Schranken,15 so dass es zu keinem Austausch von Agrarkapital mit Industrie- und Handelskapital kommen konnte.

Weiter gab es vor dem Oktoberedikt ein gesetzliches Vorkaufs- und Näherecht von Boden für die Lehensfolgeberechtigten, was den freien Bodenverkehr behinderte.16

Das Oktoberedikt schuf also einen freieren Handels- und Gütermarkt und erleichterte den Kapitalfluss zwischen Handel, Industrie und Landwirtschaft, da nun auch Bürgerliche ohne außerordentliche landesherrliche Genehmigung befugt waren, Landgüter zu kaufen und in diese zu investieren, genauso wie sich ein Gutsherr in Handel und Industrie einbringen konnte, sofern dies sein ständisches Verständnis zuließ.

Für die Bauern änderte sich wenig, außer dass es ihren Herren erleichtert wurde, v.a. nachdem der Bauernschutz 1807 aufgehoben wurde,17 Bauernstellen zu legen oder zusammenzuziehen. Sie wurden zwar zu eigenverantwortlichen Subjekten erklärt, da ihre Untertänigkeit aufhörte, doch dies bedeutete noch keine absolute Freiheit, wie viele schon vermuteten.

3.2 Wirkungen des Oktoberedikts

Wieviel Zündkraft man dem Oktoberedikt beimaß, lässt sich an der Tatsache ablesen, dass das Oktoberedikt in Pommern bis 1810 immer noch nicht öffentlich bekannt gemacht wurde, so dass die Bauern das Edikt nur vom Hörensagen kannten.18

Vielen Zeitgenossen blieb v.a. unklar, was die Paragraphen zehn bis zwölf nun konkret bedeuten sollten. Viele dachten, dass hiermit sämtliche Bindungen an den Gutsherrn weggefallen wären, was auch die Geheimhaltung des Edikts in Teilen Preußens erklären würde. Diese Vermutung lag auch nahe, weil offen blieb, welcher neue Rechtszustand sonst die Beziehung zwischen Bauern und Gutsherren regeln sollte.

Durch diesen Umstand sah sich die preußische Regierung gezwungen, (erst) am 24.10.1810 ein erläuterndes Schreiben über die Auslegung des Oktoberedikts zu veröffentlichen.19 Hieraus wurde deutlich, dass alle Abgaben und Lasten, die dem gutsherrlichen Verhältnis entsprangen, fortbestehen sollten und dass lediglich folgende, der Gutsuntertänigkeit entspringende Abgaben aufgehoben sind: Loslassungsgelder, Zwangsgesindedienst, andere Zwangsdienste auf dem Gut, Schutzgeld, Erbschaftsbestimmungen der Gutsherren über den bäuerlichen Hof, sofern dieser erblich war, die gutsherrliche Erlaubnis zur Heirat oder zum Nachgehen eines anderen Gewerbes.

[...]


1 Vgl.: Schmidt, Christoph, S. 20-38.

2 Vgl.: Gropp, Volkmar: Der Einfluss der Agrarreformen des beginnenden 19. Jahrhunderts in Ostpreußen auf Höhe und Zusammensetzung der preußischen Staatseinkünfte (Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 9), Bottrop 1967. Leider geht Gropp in seinen Ausführungen nur auf die Auswirkungen der Reformen für die Domänenbauern ein und ist somit für diese Hausarbeit unbrauchbar.

3 Weingärtner, Ralf-Rene, S. 18.

4 Vgl.: Kant, Immanuel: Rechtslehre. In: Conze, Werner, S.42.

5 Kant, Immanuel: Philosophische Religionslehre. In: Conze, Werner, S. 43.

6 Weingärtner, Ralf-Rene, S. 21.

7 Zitiert nach: Harnisch, Hartmut, S. 64.

8 Franz, Günther, S.257.

9 Zitiert nach: Franz, Günther, S. 257.

10 Grassi, Ernesto (Hrsg.), S. 209.

11

12

13

14

15 Abgedruckt in: Conze, Werner, S. 102-105. Edikt vom 09.10.1807. In. Conze, Werner, S. 102. Ebd. Weingärtner, Ralf-Rene, S. 37 ff. Ders., S. 49.

16 Ders., S. 54.

17 Schissler, Hannah, S. 90.

18 Eggert, Oskar, S. 72.

19 Weingärtner, Ralf-Rene, S. 141.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die preußischen Agrarreformen von 1807 bis 1816
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Note
1,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
20
Katalognummer
V279749
ISBN (eBook)
9783656735151
ISBN (Buch)
9783656735120
Dateigröße
697 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
agrarreformen
Arbeit zitieren
Martin Mühlenberg (Autor:in), 2011, Die preußischen Agrarreformen von 1807 bis 1816, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/279749

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