»Was ist Aufklärung?« Foucaults Theorie und die Effekte ihrer Strategien


Hausarbeit, 2009

23 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Die Fragestellung

2. Das Echo einer unvorsichtig aufgeworfenen Frage
2.1. Aufklärung als Aktualität: Kant
2.2. Aktualität der Moderne: Baudelaire

3. Philosophisches Ethos
3.1. Aufklärung deskriptiv
3.2. Aufklärung performativ

4. Noch einmal: »Ontologie des Selbst«

5. Perspektiven

Bibliographie

1. Die Fragestellung

1984 publizierte Michel Foucault seinen Artikel Qu’est-ce que les Lumières? [1] im Magazine Littéraire und in der tageszeitung unter dem deutschen Titel Was ist Aufklärung? Was ist Revolution? [2]. Vielleicht ist dieser Paratext als typisch foucaultsche Manier allzu schnell registriert: Genau zweihundert Jahre nach Kants Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? [3] in der Berlinischen Monatschrift des Jahres 1784 greift Foucault die berühmte Beantwortung bzw. die Frage »Was ist Aufklärung?« auf und publiziert sie – wo anders? – in einer (deutschen) Tageszeitung. Was an anderer Stelle bei Foucault noch ein »Instrument der Subversion«[4] darstellt, scheint sich hier jedoch zur politischen Instrumentalisierung derselben zu verschärfen: In einem gewissen Sinne eine antidoktrinäre Doktrin. Foucaults spezielle autologische Rhetorik wandelt ihren subversiven Charakter um zu einer »heroischen Ironie«, die darin zur philosophischen Pflicht erhoben wird. Was sie inszeniert ist ihr Anspruch auf Freiheit und Allgemeinheit im Vollzug, nämlich die entschiedene Transformation einer sich im »Heute« selbst stellenden Frage: »Was ist Aufklärung?«

Foucaults eigentümliche Wiederholung dieser Frage und sein Antwortangebot sollen im Folgenden näher untersucht werden. Die These, die dieser Ausarbeitung zugrunde liegen soll, könnte folgendermaßen lauten: Foucaults Profilierung eines Selbstverständnisses von Aufklärung bietet sich als Reaktualisierung ihres historischen Anspruches als ein Ethos der Kritik an.

Zu fragen ist vor allem nach der Art und Weise dieser Reaktualisierung, d.h. einerseits nach der historischen Perspektivierung auf die Tradition von Aufklärung und andererseits nach der Geltung der aktualisierten Momente. Indem zunächst der Rekurs auf Kant (2.1) und anschließend die Bestimmung von »Moderne« durch Baudelaire (2.2) im Foucaultschen Text aufgenommen werden, soll sodann das sog. »Ethos der Moderne« ins Zentrum des Blickfeldes rücken (3). Dies geschieht wiederum auf zweierlei Weisen. In einem ersten Schritt soll es dazu um Foucaults theoretische Bestimmung dieser Haltung, wie sie textimmanent beschrieben wird (2.3) und anschließend um die Effekte ihrer performativen Strategien (2.4) gehen. Schließlich wird das ausgearbeitet Selbstverständnis von Aufklärung noch einmal unter dem Stichwort »Ontologie des Selbst« auf die stilistischen Verweisungszusammenhänge des Textes rückbezogen (3) und in die Perspektive der Diskussion um Kritik und Philosophie gestellt (4).

2. Das Echo einer unvorsichtig aufgeworfenen Frage

Aus chronologischer Perspektive rahmt die Auseinandersetzung mit Kant nahezu das Gesamtwerk Foucaults ein: Die 1961 eingereichte thèse complémentaire zur thèse d’Etat[5], eine Übersetzung der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht Kants, eingeleitet durch die Intoduction à l’Anthropologie de Kant [6], zeugt von einer intensiven Beschäftigung insbesondere mit dem Kantischen Spätwerk, welche ihrerseits zum Angelpunkt seines eigenen »Spätwerks« werden sollte. Foucaults Selbstverortung in die »kritische Tradition«[7] wurde in der (freilich noch jungen) Rezeptionsgeschichte eingehend thematisiert und diskutiert. Denn insbesondere mit Blick auf seine teilweise sehr umstrittene Subjektphilosophie, scheint ein derartig affirmativer Bezug auf Kant und die Tradition der Aufklärung nicht selbst­verständlich.[8]

Bereits in dem 1978 vor der Société française de Philosophie gehaltenen Vortrag Was ist Kritik? [9], der als erster Höhepunkt seiner Aufklärungsreflexion angesehen werden kann[10], wird von Foucault die Problematik einer Reaktion auf die Frage »Was ist Aufklärung?« nachdrücklich betont:

»Die Frage ›Was ist Aufklärung?‹ ist ein Problem, dessen wir uns in Frankreich endlich anzunehmen haben. Man kann sich seiner unterschiedlicher Wege annehmen. Deswegen ist der Weg, den ich einschlagen will, keineswegs von Polemik oder Kritik bestimmt – ich möchte, dass Sie mir das glauben. [...] [Ich suche, K.S.] lediglich die Unterschiede zu markieren und ich möchte sehen, wie weit man die verschiedenen Formen der Analyse des Problems der Aufklärung, das vielleicht das Hauptproblem der modernen Philosophie ist, vervielfältigen, voneinander absetzen und ablösen kann.«[11]

1984, Foucault steht nunmehr vor der Gewissheit seines nahen Todes, wird der Artikel Was ist Aufklärung? [12] publiziert. Dieser spielt mit Blick auf sein »Spätwerk« sicherlich eine Art Schlüsselrolle[13]: Er stellt eine prägnante Ausarbeitung des mit dem Vortrag Was ist Kritik? begonnen Projekts dar, indem er eine Aktualisierung der Frage nachzuvollziehen sucht, die in dem Vortrag von 1978 thematisiert, jedoch ausdrücklich noch nicht »gewagt« wurde:

»Die Bewegung, welche die kritische Haltung in die Frage der Kritik hat umkippen lassen, die Bewegung, welche das Unternehmen der Aufklärung in das Projekt der Kritik hat übergehen lassen, [...] müsste man nicht versuchen, jetzt den umgekehrten Weg einzuschlagen? Könnte man nicht versuchen diesen Weg wieder zu durchlaufen – aber in der anderen Richtung? [...] Sie sehen nun, warum ich nicht imstande war, warum ich nicht gewagt habe, meinem Vortrag den Titel zu geben, der gewesen wäre: ›Was ist Aufklärung?‹«[14]

Was genau hätte die Wahl des Titels »Was ist Aufklärung?« für Foucault 1978 zu einem Wagnis gemacht? Sicherlich ist bei derartigem Pathos Skepsis angebracht. Auch gleich zu Beginn des Vortrags heißt es ironisch dazu: »[E]s wäre unanständig gewesen«[15].

Was bis hierher zumindest deutlich wird ist, dass sein Verständnis von Aufklärung in einem gewissen Sinne »von selbst« eine Schwierigkeit mit sich bringt, die es ihm scheinbar nicht ermöglicht, leichtfertig in ihrem Ton zu sprechen. Bekanntermaßen bringt der häufig theatralische Zugriff Foucaults jedoch immer auch einen spielerischen Zug mit sich, der sich nicht selten an der Grenze zur philosophischen Selbstdisqualifikation bewegt oder sie zeitweilig sogar überschreitet. Es geht ihm hierbei, so könnte eine vorläufige These lauten, um den Vollzugscharakter, d.h. die Aktualität der Frage nach und der Antwort auf »Aufklärung«, die in einem Selbstverständnis der Aufklärung zweiter Ordnung als einer Aufklärung über Aufklärung schon in ihrer Präsenz zum Ausdruck kommen müsste. Aber wie kann der Frage »Was ist Aufklärung?« im 20. Jahrhundert ein derartiges Gehör verschafft werden, dass sie sich ernsthaft als Aufklärung im Vollzug selbst beantworten würde? – Formal steht zumindest fest, dass die Stellung der Frage dabei mit seiner Antwort in eins fallen, d.h. zu einem performativen Akt werden müsste.

Spätestens seit L’ordre du discours ist solch ein subversives Sprechen Foucaults bekannt. Die enge Standortgebundenheit einer jeden Performanz richtet den Blick dabei stets auf ihren Realisationskontext und die in ihm enthaltenen »Akzeptanzbedingungen«. Womit sich den Fragen nach der historischen Perspektivierung und ihrem Geltungsanspruch reflexiv eine andere Frage voranstellt. Mit den Worten Bernhard Waldenfels lautet sie immer noch: »Von wo aus spricht dieser Autor?«[16]

Zu untersuchen gilt also im Folgenden, wie eine derartige Gleichzeitigkeit von Frage und Antwort in der Aktualität von Foucault evoziert wird und wie dieser Historismus als ungebrochener und sinnvoller Bezug auf die Kantische Frage Geltung erlangt. Eine zweite These könnte dazu vorerst lauten: Indem die Aufklärung als Projekt der Kritik in Anlehnung an Kants Vernunftkritik, nämlich die Analyse der Möglichkeitsbedingungen von Erkenntnis überhaupt, ins historische transformiert wird, geht es ihr nunmehr um die Interpretation der Möglichkeitsbedingungen dieser Kritik selbst.[17] Die Frage würde für Foucault damit lauten: »Wie war Aufklärung als Kritik überhaupt möglich?« Weil sie sich jedoch nicht als historische, sondern als philo­sophische Frage ausweist, bleibt sie notwendig auch epistemologisch. Provoziert wird dabei dasjenige, was Foucault stets mit dem Oxymoron »historisches Apriori« bezeichnet hat und sich nicht einfach in einer philosophische Disziplin verorten lässt:

»Diese historisch-philosophische Praktik ist eine philosophische Arbeit, deren Erfahrungs­bereich kein festgelegter und exklusiver ist. Es handelt sich nicht um die innere Erfahrung, nicht um die grundlegenden Strukturen der wissenschaftlichen Erkenntnis und auch nicht um historische Inhalte, die von den Historikern bereits als fertige Tatsachen ausgearbeitet und akzeptiert sind. Vielmehr geht es in dieser philosophisch-histotrischen Praktik darum, sich seine eigene Geschichte zu machen: gleichsam fiktional die Geschichte zu fabri­zieren.«[18]

Um sich dieser historisch-philosophischen Arbeit im Text Was ist Aufklärung? anzunähern, soll darin nun im Folgenden der erste Rekurs auf Kant aufgenommen werden.

2.1. Aufklärung als Aktualität: Kant

1978 spricht Foucault von Aufklärung als »das historische Schema unserer Modernität«.[19] Dieses Schema steht auch in seiner Publikation von 1984 nicht als historische Epoche in Frage[20], sondern als das, was Kants Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? als Schnittpunkt zwischen kritischer Reflexion und Reflexion der Geschichte macht, »die Reflexion auf das ›Heute‹ als Differenz in der Geschichte und als Motiv für eine bestimmte philosophische Aufgabe« (WA 41). Der besondere Charakter von Kants Schrift kommt für Foucault in der Weise zum Ausdruck, wie Kant die Frage der Aufklärung stellt:

»Dagegen ist die Art, in der Kant die Frage der Aufklärung stellt, sehr verschieden: sie ist weder ein Weltalter, zu dem man gehört, noch ein Ereignis dessen Zeichen wahr­genommen werden, noch der Anbruch einer Vollendung. Kant definiert Aufklärung in einer nahezu ausschließlich negativen Weise, als einen Ausgang.« (WA 37)

Die Frage laute anders formuliert: »Welche Differenz führt das ›Heute‹[21] im Gegensatz zum ›Gestern‹ ein?« (WA 37). Die negative Funktion in der Rede vom Ausgang könne als Beantwortung Selbstverortung einerseits und Bestimmung der Standortbedingung andererseits sein: Damit das Gestrige die Möglichkeitsbedingung des Heute und der Anspruch des Heute, der Prozess der Aufklärung selbst, zusammen fallen, bedarf es jedoch eines entschiedenen Willens der Aufklärung, nämlich das Ergreifen des Gestrigen im Heute, welche die Transformation des Gestrigen zum Heute ist. Die »selbstverschuldete Unmündigkeit« würde in der Proklamation ihres Ausgangs selbst zum Anfang ihrer Überwindung.

Für Foucault ist daher »Aufklärung durch eine Veränderung der bestehenden Beziehungen zwischen Wille, Autorität und den Gebrauch der Vernunft definiert« (WA 37). Die negative Bestimmung vom Gestern wendet sich damit gegen alles, was der Mündigkeit im Heute je noch entgegensteht. Foucault stellt fest, dass Aufklärung sich dadurch einen Doppelcharakter verschaffe, der sie zum einen zu einer Tatsache und zu einem Prozess und zum anderen zu einer Aufgabe und einer Verpflichtung macht. Die Vernunft wehre in dem Postulat ihrer Autonomie alle Einschränkungen ab und wende sich damit gegen jede Autorität, die diese veranlasst.

Nach Foucault sind dies einerseits kollektive und andererseits individuelle Autoritäts­verhältnisse: Faulheit und Feigheit einerseits und Missbrauch der politischen Souveränität andererseits heißt es in direkter Anlehnung an den Kantischen Text. Gefordert wird nun stattdessen Gehorsam und Vernunftgebrauch beiderseits. Wonach Kant mit seinen Ausführungen zum privaten und öffentlichen Gebrauch der Vernunft fragt, ist für Foucault: »wie der Gebrauch der Vernunft die ihm notwendige öffentliche Form annehmen kann« (WA 40). Die Frage würde damit geistig-institutionell und ethisch-politisch zugleich. Die Autoritätsverhältnisse zwischen Individuum und Kollektiv müßten also im Hinblick auf Aufklärung insofern verschoben werden, als der Vernunft einen größtmöglichen Wirkungs­raum verschafft werden kann.

Für Foucaults Kantinterpretation kann bis hierher Folgendes festgehalten werden: Zum einen erlangt Aufklärung ihren Charakter durch die aktive und indirekte Aneignung des »Heute«, welches nicht vom »Gestern« abzulösen ist und damit die funktionale Gestalt eines »Ausgangs« annehmen muss. Bei dieser Transformation des Gestern muss sie sich dem Vorzeichen des größtmöglichen Vernunftgebrauchs verpflichten und kann somit die Autoritäten ihrer Unterdrückung entmachten. Vorraussetzung dafür ist allerdings, dass sie diese als »Gestern« auch im »Heute« erkennt und negiert. Damit würde sie es jedoch schaffen, im doppelten Sinne aktuell zu werden. Auffällig ist dabei, dass Aufklärung sich in ihrer Konstitution jeglichen Vorgriff versagen muss obgleich sie wesentlich in die Zukunft gerichtet ist. In der Publikation Was ist Kritik? heißt es von der »Kritischen Haltung« der Aufklärung, dass sie nur im Verhältnis zu etwas existieren könne, was sie selbst nicht ist: »Sie ist Instrument, Mittel zu einer Zukunft, die sie weder kennen noch sein wird, sie ist ein Blick auf einen Bereich, indem sie als Polizei auftreten will, nicht aber ihre Gesetze durchsetzen kann.«[22] Im Folgenden soll mit Blick auf Foucaults Ausführungen zur Moderne diese Schwierigkeit näher erläutert werden.

2.2. Aktualität der Moderne: Baudelaire

In der Art, in der Foucault nun die Moderne mit der Aufklärung in Beziehung setzt, stellt er eine Rede von beiden »Epochen« oder »Weltalter«, als historische Gegebenheiten erneut in Frage und widersetzt sich so einer Geschichtsauffassung, die als Ideengeschichte auftritt.[23] Den zweiten Teil (II.) des Artikels »Was ist Aufklärung?« beginnt er deshalb mit einer Charakterisierung der Haltung der Moderne, um ihren Vollzugscharakter zu betonen. Freilich kündigt er diese Betonung wiederum in einer Frageform an:

»Auf Kants Text zurückblickend frage ich mich, ob wir die Moderne nicht eher als Haltung, denn als Abschnitt der Geschichte ansehen sollten. Und mit Haltung meine ich eine Form der Beziehung zur Aktualität; eine freiwillige Wahl verschiedener Menschen; schließlich eine Art des Denkens und Fühlens auch eine Art des Handelns und Verhaltens, das zu ein und derselben Zeit eine Beziehung der Zugehörigkeit ist und sich als Aufgabe darstellt. Wohl ein bißchen das, was die Griechen Ethos nannten.« (WA 40)

Die Charakterisierung dieser Haltung der Moderne vollzieht Foucault am Beispiel von Charles Baudelaire. Dabei stellt er vier Aspekte heraus, die er an Baudelaire, der ihm gewissermaßen als Typus zur Skizzierung der Moderne dient, expliziert.

Erstens sei dies der Wille die Gegenwart zu heroisieren. Mit dem Bewusstsein der Diskontinuität von Zeit nehme »der moderne Mensch« eine Bestimmte Haltung zu seiner Gegenwart ein. Er suche etwas Ewiges in seiner Gegenwart zu ergreifen und diesen Moment zu heroisieren. Zweitens unterstreicht Foucault die ironische Form dieser Heroisierung. Er greift dafür ein Zitat Baudelaires auf, in welchem dieser nun »den Menschen der Moderne« beschreibt. Dies geschieht bei Baudelaire einerseits in Abgrenzung zur Typus des »flâneur«:

»In der Haltung der Moderne geht es nicht darum, den vergänglichen Augenblick zu sakralisieren, um ihn bewahren oder verewigen zu wollen. Es geht vor allem nicht darum, ihn als interessante und flüchtige Kuriosität aufzunehmen: dies wäre, was Baudelaire eine Haltung des ›Flanierens‹ nennt. Das Flanieren gibt sich damit zufrieden die Augen offen zu halten, aufmerksam zu sein und in der Erinnerung zu sammeln.« (WA 43)

Andererseits skizziert Baudelaire den Typus des »modernen Menschen« indem er wiederum seinen Freund den Zeichner Constantin Guys als dessen exemplarisches Beispiel zitiert. Die dreifache Rahmung erlangt nunmehr eine Bestimmung der ironischen Form:

»Für die Haltung der Moderne ist der hohe Wert der Gegenwart nicht von der verzweifelten Anstrengung zu trennen, sie sich vorzustellen, sie sich anders vorzustellen als sie ist und sie zu transformieren, nicht durch Zerstörung, sondern durch ein erfassen dessen, was sie ist« (WA 44).

Drittens sei es die Askese durch die sich der »moderne Mensch« selbst bemächtige, um sich der »Aufgabe der Ausarbeitung seiner Selbst zu stellen« (WA 45). Um sich dieser kurzen Passage im Foucaultschen Text zu nähern, sei ein Seitenblick auf Nietzsches Ausführung zum »asketischen Ideal«[24] erlaubt. Bei Nietzsche handelt es sich in der Askese um eine Art leibliche Figur der Negation.

[...]


[1] Michel Foucault: Qu’est-ce que les Lumières? In: Magazine Littéraire, Nr. 207, Mai 1984, 35-39.

[2] Michel Foucault: Was ist Aufklärung? Was ist Revolution? In: die tageszeitung, 2. Juli 1984, 10-11. Im Folgenden werde ich mich auf die deutsche Übersetzung des längeren Textes What is enlightment? beziehen: Michel Foucault: Was ist Aufklärung? In: Ethos der Moderne. Foucaults Kritik der Aufklärung. Hrsg. von E. Erdmann/R. Forst/A. Houneta, Frankfurt/M./New York 1990, 35 -54. Zitiert wird der Artikel im Text mit dem Sigel WA.

[3] Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Gesammelte Schriften. Hrsg. von der Königlichen Preußischen Akademie der Wissenschaften, 2. Abtlg: Werke Bd. 8, Berlin 1912, 33-43.

[4] Ralf Konersmann: Der Philosoph mit der Maske. Michel Foucauts L’ordre du diskurs. In: Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses. Aus dem Französischen von Walter Seitter. Mit einem Essay von Ralf Konersmann. Frankfurt/M. 112010, 54.

[5] Die ›thèse d’Etat‹ besteht in Frankreich aus einer ausführlichen und detailierten ›thèse principale‹ (auch ›grande thèse‹) und einer eher allgemeineren ›thèse comlémentaire‹ (auch ›petite thèse‹). Foucaults ›grande thèse‹ wurde publiziert als: Michel Foucault: Folie et déraison. Histoire de la folie à l’âge classique. Paris 1961.

[6] Dt.: Michel Foucault: Einführung in Kants Anthropologie. Berlin 2010.

[7] Vgl. den von Foucault selbstverfassten Lexikonartikel im Dictionnaire des philosophes: »Wenn Foucault wirklich in der philosophischen Tradition steht, so in der kritischen Tradition, welche die von Kant ist, und so könnte man sein Unternehmen Kritische Geschichte des Denkens nennen.« Michel Foucault: Schriften. Bd. 4. Frankfurt/M. 2005, 776-777.

[8] Vgl. zur Rezeption des späten Foucault Martin Saar: Einleitung: Zwischen Ethik und Ästhetik. In: Michel Foucault. Zwischenbilanz einer Rezeption. Frankfurter Foucault-Konferenz 2001. Hrsg. von Axel Honneth u. Martin Saar. Frankfurt/M. 2003, 277-282. Saar unterstreicht die Unübersichtlichkeit der divergierenden Lesarten sowie die anhaltende Diskussion um den Stellenwert der späten Texte: »Die Diskussion um die philosophische Bedeutung dessen, was Foucault zum Gegenstand der Forschung seiner letzten Jahre gemacht hat, dauert bis heute an.« Zur Diskussion steht insbesondre die Frage, in wiefern die späten Texte einen »Bruch« im Werk Foucaults darstellen. Einigkeit besteht jedoch scheinbar in der Formulierung einer »Wende zur Ethik«, die Foucault Anfang der achtziger Jahre vollzog: Vgl z.B. Thomas Biebricher: Selbstkritik der Moderne. Foucault und Habermas im Vergleich. Frankfurt/M./New York 2005; Hans Herbert Kögler: Michel Foucault. Stuttgart/Weimar 22004; Hinrich Fink-Eitel: Michel Foucault zur Einführung. Hamburg 42002. Hans-Herbert Kögler will in diesen Jahren einen kategorialen Übergang von einer zwei- zu einer dreidimensionalen Theorie der gesellschaftlichen Reproduktion sehen. Vgl.: Hans-Herbert Kögler: Historische Ethik und dreifache Ontologie beim späten Foucault. In: Ethos der Moderne: Foucaults Kritik der Aufklärung. Hrsg. von Eva Erdmann, Rainer Frost, Axel Honneth. Frankfurt/M./New York 1990, 202-228.

[9] Der Titel stammt nicht von Foucault selbst, sondern wurde posthum mit der Publikation eingeführt.

[10] Axel Honneth sieht in dieser Publikation den »Durchbruch in der internationalen Rezeption des Werkes von Michel Foucault«. Axel Honneth: Schwerpunkt: Wozu Philosophie? Antworten des 20. Jahrhunderts in der Diskussion Michel Foucault: Was ist Kritik? In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. Heft 50/2002/2 Berlin 2002, 246.

[11] Michel Foucault: Was ist Kritik? Berlin 1992, 25.

[12] Im Folgenden werde ich die Differenzen der Varianten des Textes unberücksichtigt lassen. Es sei jedoch bereits darauf hingewiesen, dass es durchaus zur foucaultschen Praxis der »Aktualisierung« gehört, einen gewissen Spielraum durch Variation zur Erprobung von Texten hervorzubringen. Vgl. dazu Kap. 3.2.

[13] Andrea Hemminger weist auf den »nahezu testamentarischen Charakter« der Schrift hin, der laut Auskunft François Ewald der letzte von Foucault verfaßte Text überhaupt gewesen sein soll. Vgl. Andrea Hemminger: Kritik und Geschichte. Foucault – Ein Erbe Kants? Berlin/Wien 2004, 186.

[14] Michel Foucault: Was ist Kritik? Berlin 1992, 41.

[15] Ebd., 7.

[16] Bernhard Waldenfels: Deutsch-Französische Gedankengänge. Frankfurt/M. 1995,199.

[17] Damit soll der Text nicht mehr Gewicht bekommen als ihm zusteht. Ich behaupte einen irreduziblen Unterschied zwischen der Kritik Kants und derjenigen Foucaults im Gegensatz zu Andrea Hemminger, die in ihrer Monographie Kritik und Geschichte versucht beide Werke zu parallelisieren: »Seine [Foucaults, K.S.] Geschichte der Denksysteme stellt, so die hier vertretene These, eine Transformation der Kantischen Kritik dar, bei der das Transzendentale ins Historische gespiegelt wird.« Andrea Hemminger: Kritik und Geschichte. Foucault – Ein Erbe Kants? Berlin/Wien 2004, 14.

[18] Michel Foucault: Was ist Kritik? Berlin 1992, 26.

[19] Ebd., 28.

[20] Vielmehr findet die Auseinandersetzung mit der Epoche der Aufklärung auf historischer Ebene v.a. in den Untersuchungen zur »Klassik« , also in Die Geburt der Klinik und Die Ordnung der Dinge statt.

[21] Im Folgenden wird die subjektivierende Rede von »Heute«, »Gestern«, »Aufklärung« aus pragmatischen Gründen aufgenommen. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass dieser Sprachgebrauch einen nicht unerheb­lichen Effekt hat, der unter 3.2 noch zu thematisieren ist.

[22] Michel Foucault: Was ist Kritik? Berlin 1992, 8-9.

[23] Bemerkenswert erscheint mir vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Diskussion um einen möglichen »Bruch« im Verhältnis zwischen dem »Früh-« und »Spätwerk« Foucaults seine ironische Bemerkung zu dieser Art von Zeitgeschichte: »und eine rätselhafte und beunruhigende ›Postmoderne‹ folgt. Und dann fragt man sich, ob die Moderne eine Folge der Aufklärung und ihre Weiterentwicklung darstellt oder ob man sie als Bruch oder als Abweichung bezüglich der grundlegenden Prinzipien des 18. Jahrhunderts sehn soll« (42).

[24] Vgl. Friedrich Nietzsche: Genealogie der Moral. In: Werke in drei Bänden. Hrsg. von Karl Schlechta. Bd. 2, München 1954. Foucault einen derartigen Bezug auf Nietzsche zu unterstellen, schein mir als ungefährlich. Trotzdem sei zumindest auf einen wichtigen Unterschied verwiesen »Obwohl die Affinität zu Nietzsche von Foucault selbst und seinen Interpreten immer wieder betont wird, teilt Foucault entscheidene Prämissen Nietzsches nicht. Ein wichtiger Unterschied besteht darin, dass Nietzsche unter anderem nicht naturalistisch, sondern auch subjektzentriert argumentiert, was als Psychologisierung sozialer Kämpfe auftritt, die Foucault ablehnt.« (Achim Volkers: Wissen und Bildung. Aufklärung zwischen Wissenschaft und ethisch-ästhetischen Bildungsprozessen. Wiesbaden 2008, 15.)

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
»Was ist Aufklärung?« Foucaults Theorie und die Effekte ihrer Strategien
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Philosophisches Seminar)
Veranstaltung
Was war und was ist »Aufklärung«? Theoretische Texte zum Selbstverständnis und zur Aktualität der Aufklärung
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
23
Katalognummer
V279265
ISBN (eBook)
9783656720850
ISBN (Buch)
9783656722755
Dateigröße
529 KB
Sprache
Deutsch
Arbeit zitieren
Kristin Maria Steenbock (Autor:in), 2009, »Was ist Aufklärung?« Foucaults Theorie und die Effekte ihrer Strategien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/279265

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