Das Insolvenzarbeitsrecht als Sanierungsinstrument


Seminararbeit, 2010

39 Seiten, Note: 14 Punkte


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung
I. Problemstellung
II. Ziel der Arbeit und Gang der Untersuchung

B. Aspekte d. Insolvenzarbeitsrechts m. bes. Relevanz f. Sanierungen
I. Fortbestand des Arbeitsverhältnisses in der Insolvenz, § 108 InsO
1. Regelungsinhalt
2. Zeitliche Zuordnung v. Arbeitnehmerforderungen b. Arbeitszeitkonten
a. Problemaufriss
b. Streitstand
c. Stellungnahme
3. Auswirkungen auf Unternehmenssanierungen
II. Insolvenzgeld, §§ 183 ff, 208 SGB III
1. Allgemeine Funktionsweise
2. (Vor-)Finanzierung von Insolvenzgeld
a. Funktionsweise
b. Zustimmung der Arbeitsagentur, § 188 Abs. 4 SGB III
3. Auswirkungen auf Unternehmenssanierungen
III. Sonderregelungen zu Kündigung und Kündigungsschutz
1. Recht zur ordentlichen Kündigung, § 113 InsO
a. Regelungsinhalt
b. Anwendbarkeit auf Kollektivvereinbarungen
c. Auslegung
d. Einzelprobleme
(a) Verfassungskonformität
i. Nicht gerechtfertigte Verletzung der Tarifautonomie
ii. Ansicht des BAG und herrschende Meinung im Schrifttum
iii. Stellungnahme
(b) Standortsicherungsvereinbarungen
i. Problemaufriss
ii. Insolvenz als auflösende Bedingung
iii. Keine ungerechtfertigte Bereicherung der Masse, § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO
e. Schadensersatz, § 113 S. 3 InsO
2. Beschränkung des Kündigungsschutzes, § 125 InsO
a. Normalfall der betriebsbedingten Kündigung
(a) Kündigungsgrund
(b) Sozialauswahl, § 1 Abs. 3 KSchG
b. Voraussetzungen der Beschränkung
(a) Geplante Betriebsänderung
i. Reiner Personalabbau
ii. Nichtvornahme der geplanten Betriebsänderung
(b) Interessenausgleich
(c) Namentliche Aufzählung der zu kündigenden Arbeitnehmer
c. Rechtsfolgen
(a) Vermutung für Kündigungsgründe, § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO
(b) Privilegierung bei der Sozialauswahl, § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO
i. Bezugsgegenstand der groben Fehlerhaftigkeit
ii. Ausgewogene Personalstruktur, § 125 Abs. 1 Nr. 2 HS 1 InsO
iii. Wesentliche Änderung der Sachlage, § 125 Abs. 1 S. 2 InsO
d. Vergleich mit § 1 Abs. 5 KSchG
3. Beschlussverfahren, § 126 f. InsO
a. Regelungsinhalt
b. Überlegungen zur Effektivität
4. Übertragende Sanierung, § 128 InsO
IV. Betriebsverfassungsrechtliche Sonderregelungen
1. Kündigung von Betriebsvereinbarungen, § 120 InsO
a. Regelungsinhalt
b. Auswirkungen auf Unternehmenssanierungen
2. Betriebsänderungen in der Insolvenz, §§ 121, 122 InsO
a. Betriebsänderungsverfahren nach §§ 111 ff. BetrVG
b. Beschleunigte Betriebsänderung, § 121, 122 InsO
(a) Ablauf
(b) Rechtsfolgen
(c) Überlegungen zu Anwendungsproblemen
c. Auswirkungen auf Unternehmenssanierungen
V. Sozialpläne in der Insolvenz, §§ 123, 124 InsO
1. Sozialplan nach Verfahrenseröffnung, § 123 InsO
2. Sozialplan vor Verfahrenseröffnung, § 124 InsO
3. Auswirkungen auf Unternehmenssanierungen

C. Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A. Einleitung

I. Problemstellung

Jahr für Jahr droht einer beträchtlichen Anzahl von Arbeitnehmern der Verlust ihres Arbeitsplatzes, weil das sie beschäftigende Unternehmen Insolvenz anmeldet. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass im Insolvenzverfahren nicht zwangsläufig die Liquidation als Mittel der Gläubigerbefriedigung gewählt werden muss, sondern auch investive oder übertragende Sanierungen möglich sind[1]. Mit diesen gehen allerdings praktisch immer Personalabbau oder sogar Massenentlassungen einher, weil die Personalkosten i.d.R. großen Einfluss auf die Rentabilität des Unternehmens haben. Aufgrund dieses Zusammenhangs ist es für die Sanierungschancen des einzelnen Unternehmens ebenso wie für die Entwicklungen am Gesamtarbeitsmarkt von besonderer Bedeutung, wie die arbeitsrechtlichen Regelungen des Insolvenzrechts – das Insolvenzarbeitsrecht – die Restrukturierung in Unternehmen in der Krise beeinflussen.

II. Ziel der Arbeit und Gang der Untersuchung

Die Arbeit soll das Insolvenzarbeitsrecht aus dem Blickwinkel der Sanierung beleuchten. Dabei werden in der gebotenen Kürze die arbeitsrechtlichen Instrumente vorgestellt, die das Insolvenzrecht bietet. Hieraus folgend soll ein Beitrag zur Beantwortung der Frage geleistet werden, inwieweit das Insolvenzarbeitsrecht bei Sanierungen und den dazugehörigen Umstrukturierungen hilfreich sein kann.

Bei der Untersuchung der arbeitsrechtlichen Instrumente der Insolvenzordnung wird der Schwerpunkt auf die Unterschiede zu den arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen außerhalb der Insolvenz sowie auf einzelne, sanierungsrelevante aktuelle Probleme gelegt. Im Anschluss folgt jeweils die Betrachtung der praktischen Auswirkung der Regelung auf den Sanierungsprozess.

B. Aspekte des Insolvenzarbeitsrechts mit besonderer Relevanz für Sanierungen

I. Fortbestand des Arbeitsverhältnisses in der Insolvenz, § 108 InsO

1. Regelungsinhalt

Gemäß § 108 Abs. 1 S. 1[2] bestehen Dienst-, und damit auch Arbeitsverhältnisse, auch nach Verfahrenseröffnung zu Lasten der Masse fort. § 108 bildet damit eine Ausnahmeregelung zu § 103, der dem Insolvenzverwalter ein Wahlrecht hinsichtlich der Erfüllung gegenseitiger Verträge einräumt. Damit kommt § 108 ein wichtiger Grundsatzcharakter zu, weil er klarstellt, dass die schutzbedürftigen Belange der Arbeitnehmer auch in der Krise Bestand haben und diesen nicht etwa ein einseitiges Sanierungsopfer auferlegt wird.

§ 108 Abs. 3 bestimmt, dass die Arbeitnehmer Ansprüche für die Zeit vor der Verfahrenseröffnung lediglich als Insolvenzgläubiger i.S.v. § 38 geltend machen können. Die der Verfahrenseröffnung nachfolgenden Ansprüche der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis sind dagegen Masseverbindlichkeiten i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 2.

2. Zeitliche Zuordnung von Arbeitnehmerforderungen bei Arbeitszeitkonten

a. Problemaufriss

Ein besonderes Problem stellen Fälle dar, in denen die Arbeitsleistung von der Zahlung des Entgelts zeitlich entkoppelt ist. Dies ist besonders bei Arbeitszeitkonten und bei der weit verbreiteten Altersteilzeit im Blockmodell der Fall. Zwar steht der Wegfall der staatlichen Förderung der Altersteilzeit kurz bevor[3], allerdings werden gerade deshalb Zeitwertkonten – nicht zuletzt wegen der Anhebung des Rentenalters – voraussichtlich weiter an Bedeutung gewinnen[4].

Nach dem gesetzlichen System der InsO kommt es für Arbeitnehmerforderungen darauf an, ob die Erfüllung (der Arbeitspflicht) zur Insolvenzmasse verlangt wird bzw. für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss – dann Masseverbindlichkeit, § 55 Abs. 1 Nr. 2[5], oder ob der (Entgelt-)Anspruch für die Zeit vor Verfahrenseröffnung besteht – dann Insolvenzforderung, § 108 Abs. 3. Ergänzt wird dieses System durch § 38, der allgemein bestimmt, dass Insolvenzforderungen jene sind, die zur Zeit der Verfahrenseröffnung bereits begründet waren. Es kommt also auf den Zeitpunkt der Anspruchsentstehung an.

Bei Verfahrenseröffnung vor oder während einer Freistellungsphase, der z. T. erhebliche Vorleistungen des Arbeitnehmers vorausgegangen sind, ist fraglich, ob die Ansprüche auf künftige Entgeltzahlungen während der Freistellungsphase Insolvenzforderungen oder Masseverbindlichkeiten sind. Daher ist zu klären, wann Entgeltansprüche, die in der Freistellungphase fällig sind, entstanden sind.

b. Streitstand

In der Literatur wird zum Teil angenommen, dass die Vergütungsansprüche, die in der Freistellungsphase fällig werden, auch erst in der Freistellungsphase entstehen[6]. Rechtsgrund der Vergütung sei lediglich der Arbeitsvertrag, nicht das „Ob und Wann“ der Arbeitsleitung[7]. Dieses Ergebnis entspreche auch dem typischen Leitbild eines Dauerschuldverhältnisses, bei denen der Umfang der Leistungspflichten der Parteien wesentlich von der Laufzeit des Vertrages abhänge. Ein weiteres Argument leitet Leisbrock [8] aus der allgemeinen Ansicht ab, dass das Arbeitsverhältnis auch während der Freistellungsphase fortbesteht. Wenn die Entgeltansprüche in der Ansparphase entstünden, müssten sie folgerichtig in der Freistellungsphase suspendiert sein. Da die Arbeitspflicht ebenso suspendiert sei, könne man nicht mehr von einem zweiseitig verpflichtenden Dauerschuldverhältnis sprechen.

Rechtsprechung und herrschende Meinung im Schrifttum vertreten indessen die Auffassung, dass die Entgeltforderungen bereits in der Arbeitsphase entstehen und nur ihre Fälligkeit – ganz oder teilweise – in die Freistellungsphase hinein verschoben ist[9]. Der Entgeltanspruch sei dann entstanden, wenn der für die Entstehung vorausgesetzte Tatbestand verwirklicht sei. Dieser Tatbestand sei im Falle des Zeitlohns – als Gegenstück zum Akkordlohn – lediglich das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, unabhängig davon, ob die Dienste tatsächlich geleistet wurden. Die Leistungsabschnitte seien vertraglich festgelegt, da sich die Vergütungsvereinbarung auf diese beziehe, so dass spätestens mit dem Ablauf eines solchen Leistungsabschnitts ein entsprechender Anspruch auf Arbeitslohn für diesen Zeitabschnitt entstehe.

c. Stellungnahme

Letzterer Ansicht ist beizupflichten. Die Entgeltansprüche entstehen nicht erst in der Freistellungs- sondern bereits in der Ansparphase.

Der Hinweis auf das typische Leitbild eines Dauerschuldverhältnisses, nach welchem der Umfang der Leistungspflicht wesentlich von der Vertragslaufzeit abhänge, ist in dieser Form nicht stichhaltig. Zwar sind viele Formen von Dauerschuldverhältnissen – so etwa Miete, Pacht und Versicherungsverträge – hinsichtlich des Umfangs ihrer Hauptleistungspflichten wesentlich durch ihre Laufzeiten definiert. Die genannten Vertragstypen haben jedoch die verbindende Gemeinsamkeit, dass die jeweilige Gegenleistung zur Zahlungspflicht praktisch nicht vorgeleistet werden kann und daher die Bildung eines Wertguthabens wie auf einem Arbeitszeitkonto nicht möglich ist. Das Arbeitsverhältnis nimmt daher unter den Dauerschuldverhältnissen aufgrund des Leistungscharakters der Arbeitspflicht eine Sonderstellung ein.

Die Annahme, dass während der Freistellungsphase die Arbeitspflicht suspendiert ist und keine weiteren Entgeltzahlungsansprüche mehr entstehen, beeinträchtigt die Eigenschaft des Arbeitsverhältnisses als zweiseitig verpflichtendes Dauerschuldverhältnis nicht, denn der Entstehungszeitpunkt der Entgeltforderung ändert nichts an der Verpflichtung des Arbeitgebers zur vereinbarten ratierlichen Auszahlung der Vergütung, so dass der Dauercharakter auch von außen betrachtet kontinuierlich fortbesteht.

Somit ist lediglich die Fälligkeit, nicht auch die Entstehung der Entgeltforderung, suspendiert. In Zeiten vor der Verfahrenseröffnung aufgebaute Wertguthaben auf Altersteilzeit- und sonstigen Arbeitszeitkonten sind Insolvenzforderungen i. S. v. § 108 Abs. 3[10].

3. Auswirkungen auf Unternehmenssanierungen

Vor allem im Rahmen der übertragenden Sanierung sind die Auswirkungen des § 108 erheblich, weil die Belastung mit Arbeitnehmerforderungen die Preisfindung beeinflusst und im schlechtesten Fall Kaufinteressenten abschrecken könnte. Zusätzlich kommen noch die Wirkungen des § 613a BGB hinzu, wonach die Arbeitsverhältnisse auf den Erwerber übergehen. Die Qualifizierung von „alten“ Entgeltansprüchen aus Wertguthaben als Insolvenzforderungen mindert diese Belastung in einem gewissen Ausmaß. § 108 muss zudem im Kontext mit den Regelungen zu Kündigung und Kündigungsschutz gesehen werden[11].

Es ist anzumerken, dass § 108 in den laufenden Koalitionsverhandlungen thematisiert wurde und eine Änderung hin zu einer sanierungsvereinfachenden Lösung – sprich Aufweichung des Weiterbeschäftigungsautomatismus – möglicherweise bevorsteht[12].

II. Insolvenzgeld, §§ 183 ff, 208 SGB III

1. Allgemeine Funktionsweise

Gem. § 183 Abs. 1 SGB III hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Zahlung von Insolvenzgeld für die dem Insolvenzereignis vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses, sofern er noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Der Arbeitnehmer erwirbt dabei nach §§ 183 ff., 208 SGB III einen Anspruch gegen die Bundesagentur für Arbeit. Der zu Grunde liegende Arbeitsentgeltanspruch geht im Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Insolvenzgeld auf die Bundesagentur für Arbeit über, § 187 S. 1 SGB III.

2. (Vor-)Finanzierung von Insolvenzgeld

a. Funktionsweise

Die Sanierung eines Unternehmens setzt die Betriebsfortführung voraus. Diese wird aber häufig durch eine zu hohe Belastung des Unternehmens durch Lohn- und Lohnnebenkosten erschwert[13]. Bereits unter der Geltung der KO hatte sich daher ein Mechanismus herausgebildet, der die Betriebsfortführung durch Anreicherung der Masse erleichtert: im Vorfeld des Insolvenzereignisses treten die Arbeitnehmer ihre (Brutto-)Entgeltansprüche – nunmehr vorbehaltlich der Zustimmung der Arbeitsagentur, § 188 Abs. 4 SGB III – an eine Bank ab. Die Arbeitnehmer erhalten dafür ihre Nettolöhne von der Bank ausgezahlt, welche ihrerseits für diese Zwischenfinanzierung Zinsen aus der Masse erhält. Der Anspruch auf Insolvenzgeld geht kraft Gesetzes gemeinsam mit dem Entgeltanspruch auf die Bank als Zessionarin über, § 188 Abs. 1 SGB III. Mit Stellung des Antrages auf Insolvenzgeld gehen sodann die Ansprüche auf Entgelt und Zahlung der Versicherungsbeiträge von der Bank auf die Bundesagentur für Arbeit über, § 187 S. 1 SGB III. Die Ansprüche sind gem. § 55 Abs. 3 Insolvenzforderungen. Der Vorteil dieser Konstruktion liegt aus Sicht der Arbeitnehmer darin, dass sie nicht auf die pünktliche Auszahlung ihrer Nettolöhne warten müssen. Der Arbeitgeber kann seinerseits Personalkosten zeitweilig auf die Bundesanstalt verlagern und so die Liquidität des Unternehmens verbessern.

b. Zustimmung der Arbeitsagentur, § 188 Abs. 4 SGB III

Bedeutsam ist unter dem Blickwinkel der Sanierung das Erfordernis der Zustimmung der Arbeitsagentur, § 188 Abs. 4 SGB III. Diese Zustimmung darf nämlich nur dann erteilt werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze erhalten bleibt, § 188 Abs. 4 S. 2 SGB III. Die Arbeitsagentur hat insoweit eine Prognoseentscheidung zu treffen[14]. Wann ein „erheblicher Teil“ vorliegt, bemisst sich faustformelhaft aus den Zahlenverhältnissen in § 112a BetrVG, allerdings in spiegelbildlicher Form: wo dort von Abbau von Arbeitsplätzen die Rede ist, sind für die Prognoseentscheidung die voraussichtlich erhaltenen Arbeitsplätze abzulesen[15]. Hintergrund der Einführung des Zustimmungserfordernisses war die Beobachtung, dass der Vorläufer des Insolvenzgeldes – das Konkursausfallgeld – bisweilen missbräuchlich als Betriebsmittelkredit zweckentfremdet wurde[16].

3. Auswirkungen auf Unternehmenssanierungen

Die Bedeutung der Finanzierungskonstruktion ist für Sanierungen außerordentlich hoch. Tatsächlich könnten die zur Aufrechterhaltung des Betriebes benötigten Arbeitnehmer anders kaum an das zu sanierende Unternehmen gebunden werden. Aus sanierungspraktischer Sicht ist zudem interessant, dass die auf diese Weise weiter tätigen Arbeitnehmer durch ihre Arbeitsleistung die Masse weiter anreichern, diese durch die Umwandlung massebelastender Entgeltforderungen in bloße Insolvenzforderungen jedoch gleichzeitig geschont und eine Sanierung dadurch erleichtert werden kann. Ihre größte Wirkung entfaltet diese Vorgehensweise dann, wenn der volle Insolvenzgeldzeitraum von drei Monaten ausgeschöpft wird, indem die Insolvenzeröffnung entsprechend lange hinausgezögert wird.

Eine Zustimmung der Arbeitsagentur war früher allerdings nicht erforderlich. Im schlechtesten Fall wird die Zustimmung nicht erteilt, weil voraussichtlich ein zu kleiner Teil der Arbeitsplätze erhalten werden kann. Aus einer Schutzregelung zugunsten des Arbeitsplatzerhalts würde dann ein Katalysator für den Totalverlust der Arbeitsplätze. Diese Gefahr hat der Gesetzgeber aber vor dem Hintergrund der vorangegangenen Missbräuche in Kauf genommen.

III. Sonderregelungen zu Kündigung und Kündigungsschutz

Mit praktisch jeder Sanierung gehen notwendige Kündigungen, teilweise bis hin zu Massenentlassungen, einher. Der Insolvenzverwalter sieht sich dann zuweilen mit einer großen Zahl von Kündigungsschutzprozessen konfrontiert, welche die Sanierung zu erschweren drohen. Dies betrifft nicht nur die investive, sondern auch die übertragende Sanierung, weil auf den Erwerber mit der Übernahme des Betriebes gem. § 613a BGB auch die – evtl. streitigen – Arbeitsverhältnisse übergehen. Ein Käufer würde dann im Vorfeld eine aufgrund schwebender Arbeitsverhältnisse unwägbare Masse in aller Regel bei der Kaufpreisfindung zumindest negativ berücksichtigen, wenn er nicht sogar insgesamt vom Erwerb Abstand nimmt. Auch vor diesem Hintergrund erfährt das allgemeine Kündigungsrecht nach dem KSchG durch das Insolvenzarbeitsrecht Änderungen, die unterschiedliche Auswirkungen auf den Sanierungsprozess haben.

1. Recht zur ordentlichen Kündigung, § 113 InsO

a. Regelungsinhalt

Gemäß § 113 können Insolvenzverwalter sowie Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis in der Insolvenz mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende ordentlich kündigen. Kürzere Fristen bleiben allerdings bestehen. Die Vorschrift ist, wie sich aus § 119 ergibt, vor Verfahrenseröffnung nicht disponibel[17]. Die verkürzte Frist gilt auch für Änderungskündigungen nach § 2 KSchG[18]. Dies ist praktisch sehr wichtig, weil auf diesem Weg z. B. Gehaltsabschläge implementiert werden können.

Die Kappung der Kündigungsfrist ändert jedoch nichts daran, dass für die Wirksamkeit einer Kündigung ein Kündigungs grund erforderlich ist, denn durch § 113 wird kein eigenständiger Kündigungsgrund geschaffen[19]. Allerdings kann durch § 113 ein vereinbarter Kündigungsausschluss überwunden werden, ohne dass die Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung gem. § 626 BGB vorzuliegen brauchen.

Das KSchG – wie alle gesetzlichen Kündigungsausschlüsse – ist auch auf Kündigungen durch den Insolvenzverwalter anwendbar. Diese sind damit auch im Wege der Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht angreifbar.

b. Anwendbarkeit auf Kollektivvereinbarungen

§ 113 S. 1 spricht von „vereinbarten“ Vertragsdauern bzw. Kündigungsausschlüssen. Umstritten ist, ob auch für tarifliche Regelungen und Betriebsvereinbarungen die Kündigungsfristen auf drei Monate gekappt sind. Diese Frage ist deshalb so bedeutsam, weil der überwiegende Teil der Arbeitnehmer in Deutschland im Geltungsbereich kollektiver Regelungen tätig ist und Tarifverträge regelmäßig Vorschriften über die Ausgestaltung des Kündigungsrechts enthalten[20].

Plander sieht kollektive Kündigungsregelungen als von vornherein von § 113 unberührt an[21]. Die herrschende Meinung in der Literatur sowie die Rechtsprechung halten dagegen auch tarifvertragliche Regelungen vom Anwendungsbereich des § 113 für erfasst[22], wenn sie längere als dreimonatige Kündigungsfristen vorsehen.

c. Auslegung

Letzterer Ansicht ist nach Auslegung des § 113 zu folgen. § 113 ist auch auf Kollektivvereinbarungen anwendbar. Hierfür spricht zunächst der Wortlaut der Vorschrift, nach dem ausnahmslos jede vereinbarte Vertragsdauer sowie jeder vereinbarte Kündigungsausschluss erfasst sind. Ein Tarifvertrag ist ein zivilrechtlicher Vertrag zwischen nach § 2 Abs. 1-3 TVG tariffähigen Parteien. Folglich sind in ihm enthaltene Regelungen über Vertragsdauern oder Kündigungsausschlüsse „Vereinbarungen“. Daran ändert es nichts, dass § 1 Abs. 1 TVG feststellt, dass die vereinbarten Regelungen in Tarifverträgen Rechtsnormqualität haben. Denn diese bedeutet nicht, dass es sich um gesetzliche Regelungen handelt, welche im Gegensatz zu Tarifverträgen nicht ausgehandelt, sondern von legitimierten Organen beschlossen werden. Die Rechtsnatur des Tarifvertrages als Vertrag wird durch § 1 Abs. 1 TVG nicht berührt.

Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift lässt kaum Zweifel daran, dass der Gesetzgeber die Begrenzung kollektivrechtlicher Kündigungsfristen und Unkündbarkeitsregelungen gewollt hat[23].

Unter Sanierungsaspekten wäre ein anderes Ergebnis ebenfalls nicht sinnvoll. Tarifliche Kündigungsregelungen begünstigen in aller Regel ältere Arbeitnehmer stärker, da diese insoweit schutzbedürftiger sind als jüngere Arbeitnehmer. Andererseits ist der Erfolg einer Sanierung auch stark davon abhängig, dass es gelingt, eine ausgewogene Personalstruktur zu erhalten, auch wenn im Verlauf der Sanierung insgesamt Personal abgebaut werden muss. Nähme man einzelne Personengruppen aus diesem Prozess heraus, wäre die Ausgewogenheit der Personalstruktur im Abbau jedoch kaum zu bewerkstelligen. Insofern kann also sogar gesagt werden, dass eine Nichtanwendung des § 113 InsO auf Tarifverträge dem Sinn und Zweck der InsO zuwiderlaufen würde.

d. Einzelprobleme
(a) Verfassungskonformität

i. Nicht gerechtfertigte Verletzung der Tarifautonomie

Von Teilen der Literatur und Rechtsprechung wird eingewandt, § 113 greife ungerechtfertigt in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG ein und verletze dadurch in verfassungswidriger Weise die Tarifautonomie[24]. In diese dürfe der Gesetzgeber grundsätzlich nur eingreifen, wenn er dabei andere verfassungsrechtliche Güter schütze und das Verhältnismäßigkeitsgebot beachtet sei. Die Wirkungskraft der Tarifautonomie nehme dabei in dem Maße zu, wie den Tarifvertragsparteien ein Ausgleich ihrer gegenseitigen Interessen gelungen sei. Bestehende tarifliche Regelungen genössen damit einen höheren Schutz als potentielle zukünftige Regelungen. Konsequenterweise müssten bei stärkerem Schutz auch die Rechtfertigungsgründe für den Eingriff entsprechend stärker sein. Vorliegend gehe es jedoch nicht um hinreichend gewichtige, grundrechtlich geschützte Belange Dritter. Denn die Interessen der Gläubiger entsprächen im Wesentlichen den Arbeitgeberinteressen. Das durch Art. 14 GG geschützte Eigentumsrecht der Gläubiger sei beim Abschluss des Tarifvertrages bereits hinreichend berücksichtigt, da die Arbeitgeber als Tarifvertragspartei daran beteiligt seien. Die von der Aussetzung von Unkündbarkeitsregelungen regelmäßig besonders betroffenen betriebsälteren Arbeitnehmer würden zudem besonders stark durch § 113 belastet.

ii. Ansicht des BAG und herrschende Meinung im Schrifttum

Nach ständiger Rechtsprechung des BAG verstößt § 113 nicht gegen die Tarifautonomie[25]. Dem Gesetzgeber stehe das Recht zu, mithilfe der Schaffung wirtschaftsrechtlicher Vorgaben Interessen gegeneinander abzuwägen. Konkret habe er mit § 113 die durch das Eigentumsgrundrecht, Art. 14 GG geschützten Gläubigerforderungen den Arbeitnehmerrechten vorgezogen, um eine Bevorzugung nicht mehr benötigter Arbeitnehmer zu vermeiden. Es stehe nicht die Abwägung von Arbeitnehmer- gegen Arbeitgeberrechte in Frage, da die Gläubiger gerade nicht an die Stelle des Arbeitgebers träten.

Die Spruchpraxis des BAG ist in weiten Teilen der Literatur auf Zustimmung gestoßen[26]. Auch hat das BVerfG zwei arbeitsgerichtliche Vorlagebeschlüsse als unzulässig zurückgewiesen[27]. Dabei hat es über die Argumentation des BAG hinaus angemerkt, dass auch das Insolvenzgeld als anderweitiges Sicherungssystem für die Arbeitnehmer, die häufigen Freistellungen von Arbeitnehmern innerhalb der Kündigungsfrist sowie der durch § 113 S. 3 gewährte Schadensersatzanspruch gegen die Verfassungswidrigkeit sprächen.

iii. Stellungnahme

Der Ansicht des BAG ist zu beizupflichten. § 113 ist nicht verfassungswidrig.

Dem BVerfG ist allerdings entgegen zu halten, dass einige seiner Argumente nicht zu überzeugen vermögen. Das Insolvenzgeld, §§ 183 ff., 208 SGB III betrifft nicht den Zeitraum nach, sondern vor der Insolvenzeröffnung. Zudem kann seine Existenz nichts zur Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines solchen Eingriffs in die Tarifautonomie beitragen, denn bei tariflichen Kündigungsregelungen geht es um den Erhalt von Arbeitsverhältnissen, nicht lediglich um die Sicherung von Entgeltzahlungen. Auch der durch § 113 S. 3 gewährte Schadensersatzanspruch ist als bloße Insolvenzforderung in keiner Weise als Kompensation für verlorene Unkündbarkeit anrechenbar. Auch dort steht der Zahlungsanspruch im Mittelpunkt, um den es kündigungsgeschützten Arbeitnehmern nicht primär gehen dürfte.

Die Lösung ist vielmehr dort zu suchen, wo es um die Verhältnismäßigkeit des unstrittigen Eingriffs des § 113 in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG geht. Den Tarifparteien wird durch die Tarifautonomie zwar Normsetzungskompetenz zugebilligt, diese schließt jedoch die Regelungskompetenz des Gesetzgebers nicht völlig aus. Dieser hat u.a. mit § 113 versucht, ein funktionsfähiges Insolvenzverfahren zu gewährleisten, in dessen Rahmen es zu einem angemessenen Ausgleich sämtlicher Gläubigerinteressen – so auch der Arbeitnehmerinteressen – kommen muss. Eine einseitige Massebelastung zugunsten tariflich geschützter Arbeitnehmer würde jedoch nicht nur diese einseitig begünstigen, sondern zudem Sanierungschancen gefährden und damit letztlich die Arbeitnehmerinteressen der gesamten Belegschaft nicht minder belasten. Die Unternehmensinsolvenz ist eine Krisensituation, in der maßvolle Eingriffe des Gesetzgebers in das Tarifgefüge möglich sein müssen, auch weil Tarifverträge i.d.R. nicht in und für Unternehmenskrisenzeiten geschlossen wurden. Der Gesetzgeber hat mit § 113 seine Verantwortung, ein funktionsfähiges Insolvenzverfahren zu gewährleisten, wahrgenommen und dabei auch im Rahmen ordnungsgemäßen Ermessens gehandelt. Ein ungerechtfertigter Eingriff in die Tarifautonomie liegt damit nicht vor.

(b) Standortsicherungsvereinbarungen

i. Problemaufriss

Ein bisher nicht befriedigend gelöstes Problem entsteht nach derzeitiger Rechtslage dann, wenn im Rahmen einer vor Verfahrenseröffnung getroffenen Standortsicherungsvereinbarung die Arbeitnehmer auf Entgelt verzichtet haben und der Arbeitgeber sich im Gegenzug verpflichtet hat, von ordentlichen Kündigungen Abstand zu nehmen. Wie gesehen verliert die Unkündbarkeitsklausel in der Insolvenz wegen § 113 ihre Wirkung, der Entgeltverzicht der Arbeitnehmer bleibt dagegen wirksam. Letztlich würden damit die Arbeitnehmer durch ihren Lohnverzicht, der auch die anderen Gläubiger begünstigt, zusätzlich zum Arbeitsplatzabbau belastet[28]. Nach Ansicht des BAG[29] sprechen Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Normzweck, nämlich die Verminderung der Entstehung von Masseschulden, gegen eine entsprechende Einschränkung des Kündigungsrechts. Der Gesetzgeber habe dadurch die Interessen der Gläubigerschaft bewusst „in Einklang gebracht“. Es kann aber kaum übersehen werden, dass die Arbeitnehmer auf diese Weise keinerlei Kompensation für den von ihnen erbrachten Lohnverzicht erhalten.

ii. Insolvenz als auflösende Bedingung

Als Lösung kann man daran denken, im Rahmen der Standortsicherungsvereinbarung bereits den Wegfall des Entgeltverzichts für den Fall der Insolvenz zu vereinbaren (sog. Lösungs- oder Insolvenzklausel[30] ). Derartige Abreden sind als durch die Verfahrenseröffnung auflösend bedingte Vertragsänderungen zu betrachten, so dass mit Bedingungseintritt gem. § 42 der alte Rechtszustand wieder hergestellt ist. Solche Klauseln sind zwar nach herrschender Meinung zulässig und nicht anfechtbar[31], jedoch helfen Sie den Arbeitnehmern nur begrenzt. Denn aus der Differenz der reduzierten zu den ursprünglichen Bezügen aus der Zeit vor Verfahrenseröffnung können wegen § 108 Abs. 3 nur kaum werthaltige Insolvenzforderungen entstehen[32]. Lediglich die für den Zeitraum zwischen Insolvenzeröffnung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschuldeten Bezüge werden Masseverbindlichkeiten i. S. v. § 55 Abs. 1 Nr. 2.

iii. Keine ungerechtfertigte Bereicherung der Masse, § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO

Die Entgeltdifferenz aus der Zeit vor der Verfahrenseröffnung kann auch nicht nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 kondiziert werden. Zwar mehren die Arbeitnehmer durch ihre Lohnzurückhaltung die Masse, jedoch greift der Kondiktionsanspruch nur für Bereicherungen der Masse nach Verfahrenseröffnung[33].

e. Schadensersatz, § 113 S. 3 InsO

Im Falle der Kündigung durch den Insolvenzverwalter kann der gekündigte Arbeitnehmer gem. § 113 S. 3 Schadensersatz verlangen. Zu Ersetzen ist der Verfrühungsschaden, also das durch die verfrühte Beendigung entgangene Entgelt, abzüglich anderweitig erhaltener Verdienste oder Sozialleistungen[34]. Sofern ein Arbeitnehmer, der kraft Vereinbarung gar nicht ordentlich kündbar war, durch § 113 nunmehr kündbar wird, geht der Schaden allerdings über die Verfrühung hinaus. Richtigerweise ist dann zur Berechnung des Schadens der Wert des Arbeitsplatzes nach §§ 9, 10 KSchG analog heranzuziehen[35].

Nach der gesetzlichen Regelung („als Insolvenzgläubiger“) handelt es sich – obwohl auf einer Rechtshandlung des Insolvenzverwalters beruhend – um eine bloße Insolvenzforderung i.S.v. § 38. Die Werthaltigkeit dieses Anspruches ist daher prinzipiell nur als gering einzustufen[36]. Dies erhöht allerdings die Überlebenschancen des zu sanierenden Unternehmens[37]

2. Beschränkung des Kündigungsschutzes, § 125 InsO

Durch § 125 Abs. 1 kommt es zu einer Veränderung der Beweislast im Kündigungsschutzprozess und der Überprüfbarkeit der Sozialauswahl, wenn eine Betriebsänderung geplant ist und zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat ein Interessenausgleich zustande gekommen ist, in dem die zu kündigenden Arbeitnehmer namentlich bezeichnet sind. Die Regelung ist auf den Fall der Fortführung des Unternehmens gerichtet und betrifft damit unmittelbar die Sanierungsthematik.

Auf den vorläufigen Insolvenzverwalter nach § 22 ist § 125 nicht anwendbar. Stattdessen kann er jedoch von den Möglichkeiten des § 1 Abs. 5 KSchG Gebrauch machen[38].

a. Normalfall der betriebsbedingten Kündigung

Der Normalfall der betriebsbedingten Kündigung setzt gem. § 1 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Var. 3 KSchG voraus, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist (Kündigungsgrund), und gem. § 1 Abs. 3 KSchG, dass die zu kündigenden Arbeitnehmer richtig ausgewählt wurden (Sozialauswahl).

(a) Kündigungsgrund

Der Arbeitgeber hat gem. § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG im Falle des Angriffs der Kündigung im Kündigungsschutzprozess die Tatsachen zu beweisen, welche die Kündigung bedingen. Konkret beinhaltet dies den Beweis[39], dass eine unternehmerische Entscheidung gefällt wurde, die zu einem Arbeitskräfteüberhang führt und das Bedürfnis nach Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entfallen lässt, sowie dass kein milderes Mittel möglich ist, mit dem die Kündigung vermeidbar wäre, etwa ein freier anderweitiger Arbeitsplatz[40].

(b) Sozialauswahl, § 1 Abs. 3 KSchG

Die Sozialauswahl erfordert eine Abwägung zwischen den möglichen Kündigungen horizontal vergleichbarer Arbeitnehmer innerhalb des Betriebes, und zwar nach den Kriterien der Dauer der Betriebszugehörigkeit, des Alters, der Unterhaltspflichten und der Schwerbehinderteneigenschaft. Rügt der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl, so ist es am Arbeitgeber seine Gründe zunächst darzulegen. Gegebenenfalls muss der Arbeitnehmer sodann die Fehlerhaftigkeit beweisen (sog. abgestufte Darlegungs- und Beweislast).

b. Voraussetzungen der Beschränkung

In diese vorgenannten Grundsätze wirkt § 125 bei Vorliegen seiner Voraussetzungen beschränkend ein. § 125 Abs. 1 S. 1 setzt voraus, dass eine Betriebsänderung i. S. v. § 111 BetrVG geplant ist und dass zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat ein Interessenausgleich zustande gekommen ist, in dem die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnet sind.

(a) Geplante Betriebsänderung

Der Insolvenzverwalter muss eine Betriebsänderung planen. § 125 Abs. 1 S. 1 verweist dabei auf § 111 BetrVG, dessen Tatbestand heran zu ziehen ist[41]. Die geplante Betriebsänderung muss zudem kausal für die Kündigung sein[42].

Aus sanierungspraktischer Sicht ergeben sich einige Einzelfragen.

i. Reiner Personalabbau

Ist im Rahmen der Sanierung lediglich Personalabbau geplant, ohne dass zusätzlich ein Merkmal des § 111 S. 3 Nr. 1-4 BetrVG erfüllt ist, so ist § 125 dem Wortlaut nach nicht anwendbar. So ist etwa denkbar, dass der Insolvenzverwalter plant, in mehreren oder allen Betriebsteilen die nach seiner Einschätzung überzähligen Arbeitsplätze zu streichen, ohne dass jedoch ein Betriebsteil als solcher eingeschränkt oder stillgelegt wird. Kämen dem Insolvenzverwalter hier nicht die Erleichterungen des § 125 zugute, wäre dies für diese Gruppe von Sanierungen hinderlich. Nach der Rechtsprechung liegt jedoch eine Betriebsänderung vor und findet damit § 125 über seinen Wortlaut hinaus Anwendung, wenn die Grenzen für die Anzeigepflicht nach § 17 Abs. 1 KSchG erreicht werden[43]. Sanierungserleichternd hat das BAG damit den Anwendungsbereich des § 125 erweitert.

[...]


[1] Vgl. § 1 S. 1 InsO; Bork, Rdnr. 355 ff.

[2] §§ ohne nähere Bezeichnung sind solche der InsO.

[3] Spätester Antrittstermin ist der 31.12.2009.

[4] Vgl. Pressemitteilung zur Zeitwertkontenstudie der HDI-Gerling Lebensversicherung AG vom 11.6.2008, abrufbar unter http://www.hdi-gerling.de/docs/pressemeldungen/080611_hg_zwk-studie.pdf (letzter Abruf 7.10.2009); Pochadt/Raab, S. 26 ff.

[5] Für den vorläufigen Insolvenzverwalter vgl. Schaub, DB 1999, 217, 219.

[6] Leisbrock, S. 65 ff.

[7] vgl. auch Palandt- Weidenkaff, § 611 Rn. 50 (68., neubearbeitete Aufl. München 2009).

[8] Leisbrock, S. 65 ff.

[9] BAG, Urteil v. 19.10.2004 – 9 AZR 645/03 – NZA 2005, 527 = AuR 2005, 460; Palandt- Weidenkaff, § 611 Rdnr. 50; Steindorf/Regh- Steindorf, § 4 Rdnr. 9; Zwanziger, § 108 Rdnr. 34.

[10] Zu beachten ist aber die gesetzliche Insolvenzsicherungspflicht des Arbeitgebers aus § 7e SGB IV.

[11] Siehe dazu ausführlich unten B.III.

[12] Vgl. Fichtner/Pache, FTD vom 15.10.2009.

[13] Steinwedel, DB 1998, 822, 823.

[14] Hierzu ausführlich Zwanziger, § 108 Rdnr. 124 ff.

[15] Zwanziger, § 108, Rdnr. 125.

[16] Uhlenbruck- Berscheid, § 22 Rdnr. 147 ff.; Steinwedel, DB 1998, 822, 823 ff.

[17] Zum fortbestehenden besonderen Kündigungsschutz nach § 15 KSchG, § 22 BBiG, § 9 MuSchG u.a. siehe Schaub, DB 1999, 217, 223; Zwanziger, § 113 Rdnr. 13 f.

[18] Giesen, ZIP 1998, 46, 47.

[19] BAG Urteil v. 5.12.2002 – 5 AZR 571/01 – AP KüSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 125 = BB 2003, 1339; FK- Eisenbeis, vor §§ 113 ff Rn. 8; Warrikoff, BB 1994, 2338; Zwanziger, § 113 Rdnr. 1.

[20] Vgl. Bick, Wirtschaft und Statistik 2001, 1101 ff.

[21] Plander, DZWir, 1999, 183 ff.

[22] Zur Betriebsvereinbarung BAG, Urteil v. 22.9.2005 – 6 AZR 526/04 – BAGE 116, 19 = BB 2006, 1278; zum Tarifvertrag Urteil v. 16.6.1999 – 4 AZR 191/98 – BAGE 92, 41 = NJW 2000, 972; Urteil v. 19.1.2000 – 4 AZR 70/99 – AP Nr. 5 zu § 113 InsO = BB 2000, 1096; FK- Eisenbeis, § 113 Rdnr. 30; Lakies, RdA 1997, 144, 146; Kittner /Trittin, Kündigungsschutzrecht, § 113 Rdnr. 4; Schrader, NZA 1997, 70; Steindorf/Regh- Steindorf, § 3 Rdnr. 92; Warrikoff, BB 1994, 2338; Zwanziger, § 113 Rdnr. 18 f.

[23] Vgl. Rechtsausschuss , BT-Drucks. 12/7302, S. 169, der davon ausging, dass sich die Frage, ob tarifvertraglich festgelegte Kündigungsfristen als gesetzliche Fristen aufzufassen seien, nicht mehr stelle, wenn die InsO selbst eine bestimmte Frist nenne.

[24] ArbG Stuttgart, Beschl. v. 4.8.1997 – 18 Ca 1752-1758/97 – NZA -RR 1998, 137, 140; Kittner/Däubler/Zwanziger- Däubler, § 113 Rdnr. 29 ff.; Zwanziger, § 113 Rdnr. 21 ff. m. w. Nachw.

[25] BAG Urteil v. 16.6.1999 – 4 AZR 191/98 – BAGE 92/41 = NZA 1999, 1331 ff.; Urteil v. 16.5.2002, NZA 2003, 93 ff; Urteil v. 17.11.2005 – 6 AZR 107/05 – AP InsO § 113 Nr. 19.

[26] FK- Eisenbeis, § 113 Rdnr. 29 ff.; Heinze, NZA 1999, 57, 59; Steindorf/Regh-Regh, § 3 Rdnr. 100.

[27] BVerfG, Beschluss v. 8.2.1999 – 1 BvL 24/97 – NZA 1999, 597 ff.; Beschluss v. 21.5.1999 – 1 BvL 22/98 – NZA 1999, 923 ff.

[28] Vgl. Zwanziger, § 113 Rdnr. 27.

[29] BAG, Urteil v. 17.11.2005 – 6 AZR 107/05 – BAGE 116, 213 = BB 2006, 1636 .

[30] Steindorf/Regh- Steindorf, § 2 Rdnr. 103.

[31] BAG Urteil v. 19.1.2006 – 6 AZR 529/04 – BAGE 117, 1 = BB 2007, 52.

[32] Vgl. Zwanziger, § 113 Rdnr. 27.

[33] Hess, Insolvenzrecht, Rdnr. 770.

[34] Zwanziger, § 113 InsO, Rdnr. 30.

[35] Zwanziger, § 113 Rdnr. 31.

[36] Ascheid/Preis/Schmidt- Dörner, § 113 InsO Rdnr. 13; Lakies, RdA 1997, 144, 146 f.; Zwanziger, § 113 Rdnr. 29.

[37] Warrikoff, BB 1994, 2338, 2345.

[38] Annuß/Lembke, Rdnr. 193; zu § 1 Abs. 5 KSchG siehe unten B.III.2.d.

[39] BAG, Urteil v. 24.10.1979 – 2 AZR 940/77 – BAGE 32, 150; Urteil v. 30.4.1987 – 2 AZR 184/86 – BAGE 55, 262.

[40] BAG, Urteil v. 15.12.1994 – 2 AZR 320/94 – AP Nr. 67 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; Urteil v. 21.9.2000 – 2 AZR 320/94 – BAGE 79, 66.

[41] Kittner/Däubler/Zwanziger- Däubler, § 125 InsO Rdnr. 7; Zwanziger, § 125 Rdnr. 7.

[42] BAG Urteil v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02 – NZA 2006, 64; Steindorf/Regh- Regh, § 3 Rdnr. 629 m. w. Nachw.

[43] BAG Urteil v. 10.12.1996 – 1 AZR 290/96 – AP Nr. 32 zu § 113 BetrVG 1972, Steindorf/Regh- Regh, § 3 Rdnr. 628; a. A. offenbar Zwanziger, § 125 InsO, Rdnr. 7, m. w. Nachw.; bei Großbetrieben müssen 5 % der Arbeitnehmer von Entlassung betroffen sein.

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Das Insolvenzarbeitsrecht als Sanierungsinstrument
Hochschule
Universität Hamburg
Note
14 Punkte
Autor
Jahr
2010
Seiten
39
Katalognummer
V279251
ISBN (eBook)
9783656721468
ISBN (Buch)
9783656723134
Dateigröße
493 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Insolvenzrecht, Arbeitsrecht, Insolvenzarbeitsrecht, Sanierung, Restrukturierung, Wirtschaftsrecht, Zivilrecht
Arbeit zitieren
Mirko Werler (Autor:in), 2010, Das Insolvenzarbeitsrecht als Sanierungsinstrument, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/279251

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