Politische Ökonomie des Wohlfahrtsstaats


Zusammenfassung, 2013

20 Seiten


Leseprobe


Politische Ökonomie des Wohlfahrtsstaats

Definition Wohlfahrtsstaat: Institutionalisierte Form der sozialen Sicherung, gewährleistet Existenzminimum für jeden Menschen, schützt vor elementaren Risiken der modernen Industriegesellschaft (Altern, Arbeitslosigkeit, Gesundheit, Unfall, Pflege) und bekämpft Ausmaß gesellschaftlicher Ungleichheit durch Restribution.

Zentrale theoretische Ansätze und Ergebnisse der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung

Normative Ansätze

- „Ethik des Wohlfahrtsstaats“: Konzentration auf grundlegende Werte (Solidarität, Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit) und auf legitime Handlungsorientierungen des sozialen Miteinanders

Kommunitaristische Ansätze

- These: Werte und Gerechtigkeitsvorstellungen sind immer eingebettet in Gemeinschaft der Bürger und der dort praktizierten Moral à Gefühl der Zusammengehörigkeit, das zu Selbsthilfe und Unterstützung anregt und staatliche Intervention unterstützt und ggf. ersetzt
- Bezug zur Ökonomie: Reich der Notwendigkeit, wo Knappheit von Ressourcen die Realisierung von Werten und Normen einschränkt à Gier des Marktes unterminiert normatives Fundament, auf dem Wohlfahrtsstaat basiert (zB durch Ausnutzung von Sozialleistungen)

Vergleichs-, Stadien- und Entwicklungstypologie

Furniss und Tilton (1977): Modelle des Wohlfahrtstaats:

- Positive State: Kontinuierliches Wirtschaftswachstum als zentrales Ziel
- Social Security State: Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung als Ziele
- Social Welfare State: Soziale Gerechtigkeit und Solidarität als Ziele

Abgrenzung des deutschen Bismarck-Modells vom britischen Beveridge-Modell

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Klassische Ansätze und Kontroversen

Sozioökonomische Ansätze

- Gehen von hoher Abhängigkeit zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik aus
- Staatliche Sozialpolitik als funktionale Reaktion auf Veränderung der Arbeits- und Lebensformen
- Zwei Richtungen: Kommt zu ökonomischem Problemdruck (Arbeitslosigkeit), Reichtum eines Landes auch wichtig à Universeller Trend zum Wohlfahrtsstaat
- Industrialisierung des Wohlfahrtsstaat betrifft direkte Zusammenhänge zwischen ökonomischem Wachstum und das in Sozialausgaben gemessene staatliche Output
- Phasenmodell (Jens Alber):
- Vor 1. WK war Sozialpolitik eine von bürgerlichen Eliten getragene Abwehrmaßnahme gegen politische Mobilisierung der Arbeiter
- In Zwischenkriegszeit positiver Effekt der Arbeiterbewegung auf Gestaltung der Sozialversicherungen à Am stärksten entwickelt wo sozialistische Parteien an der Macht waren
- Nach 2. WK verringerte sich Einfluss politischer Faktoren ohne dass Arbeiterparteien ganz an Macht verlieren
- Neomarxistische Ansätze: Sozialpolitik hat Funktion, soziale Reproduktion kapitalistischer Gesellschaften zu unterstützen, Klassenkonflikte zu befriedigen und so Akkumulation von Kapital auch unter prekären Kapitalismussystemen zu gewährleisten
- Wohlfahrtsstaat wirkt stabilisierend bei zyklischen Krisen weil er Klassenkonflikte in politisch regelbare Verteilungskonflikte transferiert
- Aktuelle Ansätze: Begründen Entwicklung des modernen Wohlfahrtsstaat mit Offenheit der Ökonomie und Globalisierung à Export von Gütern erfordert ökonomische Stabilität und geringe Streikneigung, was starke staatliche Intervention und höhere Sozialausgaben bedeutet

Politisch-institutionelle Ansätze

- Konzentration auf Demokratie à Machtressourcen, Interessen und Konflikte spielen wichtige Rolle

„Sozialdemokratisches Modell“:

- Wohlfahrtsstaat ist Produkt von Klassenauseinandersetzungen, wird vor allem von Arbeiterbewegung gefordert und realisiert
- Parameter des Wohlfahrtsstaat werden vor allem durch Regierung bestimmt
- Wettbewerb zwischen bürgerlichen und linken Parteien, reformistischen Gruppierungen sind für Ausbau des Wohlfahrtsstaat
- Entstehung und Entwicklung von Linksparteien sind Funktion der Mobilisierung der Arbeiterklasse à Partizipationsmöglichkeiten im politischen Prozess liefern Arbeitern nötige Ressourcen, um Entwicklung eines modernen und universellen Wohlfahrtsstaat durchzusetzen

Synopse der deutschen Parteiprogramme

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

- Neuere Ansätze: Institutionen sind Vetopunkte und Ursache für Pfadabhängigkeit
- Wohlfahrtsstaat ist kein Monolith sondern setzt sich zusammen aus ganz verschiedenen Institutionen, die in unterschiedlichen historischen Perioden geprägt wurden und deren Zusammenspiel wichtig für Dynamik der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung ist
- Beispiel Schweiz: Nachzügler-Wohlfahrtsstaat à Institutionelle Bedingungen (Direktdemokratie, Föderalismus) waren erfolgreiche Vetopunkte

Konzeptionelle und empirische Integrationsversuche

- Untersuchung der Ursachen der Sozialausgaben

Ergebnis: Wachstum des Wohlfahrtsstaats tritt auf,

- wenn Arbeitslosenquote gegenüber dem Vorjahr zunimmt
- wenn die Entlohnung von Angestellte des Staats an der Privatwirtschaft gemessen wird
- wenn Koalitionsregierung amtiert (Kompromisse verlangen oft Aufschläge auf die Sozialpolitik)
- wenn Zahl der Vetospieler gering ist
- wenn Linksparteien oder christdemokratische Parteien stark sind

Esping-Andersens Regime-Ansatz: Erweiterung

- Wandel zur globalisierten, postindustriellen Gesellschaft
- Bedeutung der privaten Haushalte für Produktion von sozialen Dienstleistungen à Liberal: Dienstleistungen als Niedriglohnsektor, Sozialdemokratisch: Staat stellt Dienstleistungen zur Verfügung, Konservativ: Abdeckung durch private Haushalte/Familie
- Ergänzung um „rudimentären Wohlfahrtsstaat“ (Spanien, Portugal, Griechenland)
- Systeme sind nur partiell entwickelt, kein rechtlicher Anspruch auf Wohlfahrt, aber traditionelle Formen der sozialen Sicherung
- Ergänzung um „radikalen Wohlfahrtsstaat“ (Großbritannien, Australien, Neuseeland): Radikaler Egalitarismus, wenig Sozialausgaben, aber starke umverteilende Elemente
- Ergänzung um „postsozialistische Wohlfahrtsstaaten“ (Ostblock): Folgen der politisch-ökonomischen Transformation müssen bewältigt werden, junge Institutionen des Wohlfahrtsstaats
- Kritik: Modell hat nur Eigenschaften, keine Erklärungen, Wandlungsprozesse können nicht erfasst werden, institutionelle Regelungen sind nicht immer klar zuordbar, nur Ausmaß der Dekommodifizierung als Variable
- Trotzdem ist Modell wichtig für Wohlfahrtsstaatsforschung

Theorien sozialpolitischer Steuerung und des Wohlfahrtspluralismus

- Produktion von sozialen Leistungen in drei Sektoren: Staat, gewerblichen sozialen Dienstleistungsunternehmen, Nonprofit-Unternehmen (Großverbände der freien Wohlfahrtspflege, Vereine, Stiftungen) à Heterogen und breite Funktionspalette

Korporatismus der Wohlfahrtsverbände in Deutschland

- Korporatismus = Formen der Beteiligung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen an politischen Entscheidungsprozessen
- Dritter Sektor in Deutschland vor allem von Wohlfahrtsverbänden geprägt (Caritas, paritätischer Wohlfahrtsverband) à Starke Stellung und politisches Gewicht (historische Ursachen, einzigartig in Europa)
- Wohlfahrtsverbände Träger von einem Drittel aller sozialen Dienstleistungseinrichtungen
- Finanzierung aus staatlichen Geldern, Erstattungen der Sozialleistungsträger, Spenden und Mitgliedsbeiträge
- Hohes Maß an Verhandlung und Kooperation zwischen Wohlfahrtsverbänden
- Steuerungsdefizite in den Wohlfahrtsverbänden à Kein Corporate Governance-System

Vom Wohlfahrtsstaat zur Wohlfahrtsgesellschaft?

- Zwei mögliche Modelle des Wohlfahrtsstaats:
- Ökoliberales Modell: Konzentration auf steuerfinanzierte Grundsicherung, gesellschaftliche Teilung durch Etablierung eines zweiten (Niedriglohn)-Arbeitsmarktes
- Kommunitaristische Modell: Ausweitung zivilgesellschaftlicher Selbsthilfe, Bürger helfen sich in kollektiven Selbsthilfeeinrichtungen gegenseitig

Feministische bzw. Gender-Ansätze

- Geschlecht und Wohlfahrtsstaat: Es existieren unterschiedliche Gender-Regime, in denen spezifische Ideologien und Politiken zum Ausdruck kommen, die die Lage von Frauen beeinflussen
- Drei Mechanismen: Geschlechterspezifische Arbeitsteilung, auf einen Ernährer ausgerichteten Lohn- und Steuersysteme, traditionelle Ehe

Geschlechter-Regime im Vergleich

- Regime unterscheiden sich nach Grad der Unabhängigkeit der Frau
- Drei Formen:
- Male Breadwinner (männlicher Ernährer, traditionelle Arbeitsteilung)
- Separate gender roles (Regime der Rollentrennung, wachsende Ansprüche der Frau zB Teilzeitarbeit)
- Regime der individuellen Versorgung (Geschlechter teilen sich Aufgaben der Erziehung, Pflege,…)
- Verschiedene Modelle der Geschlechterarrangements:
- Vormodernes Modell (Landwirtschaft, Frau und Mann teilen Arbeit auf)
- Hausfrauen-Modell (Versorgerehe) à BRD früher
- Vereinbarkeitsmodell (Niederlande, BRD heute)
- Doppelversorgermodell mit staatlicher Kinderbetreuung (Schweden, Dänemark)
- Doppelversorgermodell mit partnerschaftlicher Kinderbetreuung (Niederlande künftig)
- Zwei Trends:
- Modernisierung der männlichen Versorgerehe (zB durch Teilzeitarbeit)
- Doppelversorgermodell mit staatlicher Kinderbetreuung
- In konservativen Wohlfahrtsstaat verstäärkt sich Förderung von Gleichstellung, Ausweitung sozialer Elternechte, Ausbau von Kinderbetreuung

Interdependenz von Wohlfahrtsstaat und Kapitalismus

Wert von Sozialpolitik

- Ausbau eines starken Wohlfahrtsstaats hat Leistungsfähigkeit der privaten Wirtschaft überfordert und Arbeits- und Steuermoral erodieren lassen à Finanzierung der Sozialpolitik ist wirtschaftlich kontraproduktiv (hohe Steuern, Sozialabgaben)
- Folge: Wachstumsschwäche und Beschäftigungsprobleme, Abwanderung von Unternehmen, Schwarzarbeit
- Staatliche Systeme gelten als ineffizient (nicht nach Markt- oder Leistungsprinzipien aufgebaut)
- Aber: Wohlfahrtsstaat glättet soziale Konflikte, stabilisiert in Krisenzeiten, kann selbst Arbeitgeber werden
- Doppelfunktion von Sozialpolitik: Vermindert Arbeitslosigkeit (zB durch Frührente), aber je höher die Sozialleistungsquote in einem Zeitraum ist, desto geringer ist Beschäftigungswachstum in der nachfolgenden Periode

Kompatibilität und Komplementarität von Regimen der Wohlfahrt und der Ökonomie

- Markt ist nicht einzige Governanceform, sondern nationale Ökonomien bestehen aus Subsystemen, die sich gegenseitig verstärken à Unterscheidung in koordinierte und liberale Marktwirtschaften

Analysen des Ab- und Umbau des Wohlfahrtsstaats

New Politics und New Policy

- Neue politische Bedingungen seit 70er Jahre (demografisch, sozial, kulturell, ökonomisch)
- „Blame Avoidance“: Kürzungen durch Sparzwänge werden auf technische Zusammenhänge, weniger einflussreiche Gruppen oder in die Zukunft geschoben

[...]

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Politische Ökonomie des Wohlfahrtsstaats
Hochschule
FernUniversität Hagen
Veranstaltung
Modul 2.1: Staat und Wirtschaft in der Globalisierung
Autor
Jahr
2013
Seiten
20
Katalognummer
V279189
ISBN (eBook)
9783656727330
Dateigröße
894 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
politische, ökonomie, wohlfahrtsstaats
Arbeit zitieren
Michaela Sankowsky (Autor:in), 2013, Politische Ökonomie des Wohlfahrtsstaats, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/279189

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