Gesundheitsmanagement in sozialen Einrichtungen

Implementierung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements aufgezeigt an einer Werkstätte für Menschen mit Behinderung


Bachelorarbeit, 2014

151 Seiten, Note: 1,4


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Kurzzusammenfassung

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Glossar

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Aufbau

2 Operationalisierung von Begrifflichkeiten
2.1 Begriff Gesundheit
2.2 Begriff Krankheit
2.3 Begriff Betriebliches Gesundheitsmanagement
2.4 Begriff Betriebliche Gesundheitsförderung

3 Betriebliches Gesundheitsmanagement im Kontext
3.1 Dynamik und Flexibilisierung in Lebens- und Arbeitswelt
3.1.1 Belastungen durch gesellschaftlichen Umbruch
3.1.2 Belastungen in neuen Arbeitswelten
3.2 Belastungen in der Sozialen Arbeit
3.3 Auswirkungen der Belastungen
3.3.1 Auswirkungen auf Arbeitnehmer
3.3.2 Auswirkungen auf Unternehmen
3.3.3 Auswirkungen auf die Gesellschaft

4 Subjektive Wirkung von Belastungen
4.1 Individuelle Bewältigungsfähigkeiten
4.2 Ressourcen als Widerstandskräfte
4.3 Resilienzfähigkeit

5 Einschlägige Theorien, Modelle und Ansätze
5.1 Einschlägige Arbeitspsychologische Theorien
5.2 Bewertung der Theorien

6 Nutzen und Notwendigkeit von BGM
6.1 Gesetzliche Vorgaben zum Gesundheitsschutz
6.2 Nutzen des BGM
6.3 Ziele des BGM

7 Belastungen und Herausforderungen in der Behindertenhilfe

8 Aktueller Forschungsstand zu Gesundheit in der Behindertenarbeit

9 Implementierung von BGM in der CAB UW SMÜ
9.1 Projektstart
9.1.1 Projektvorbereitung und Grobplanung
9.1.2 Projekt-Kick-Off
9.1.3 Projektauftrag
9.2 Projektanalyse
9.2.1 CAB Mitarbeiterbefragung 2012
9.2.2 Analyse der Ausgangslage des AK Gesundheit
9.2.3 Krankenstandsanalyse
9.2.4 Gesundheitsorientierte Mitarbeiterbefragung
9.2.4.1 Fragebogendesign
9.2.4.2 Hypothesenbildung
9.2.4.3 Auswertung der Ergebnisse
9.2.4.4 Hypothesenbewertung
9.2.5 Gesundheitszirkel
9.3 Projektumsetzung
9.4 Projektsteuerung
9.4.1 Qualitätssicherung
9.4.2 Evaluation Die Strukturqualität frägt danach, ob notwendige Strukturen und Voraussetzungen geschaffen wurden, um die Ziele erreichen zu können
9.4.3 Bezug zur Balanced Scorecard

10 Ausblick und Weiterentwicklung des GM
10.1 Arbeitsplatzanalyse
10.2 Ressourcenworkshop

11 Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Anlage XIII: Maßnahmenplan Gesundheitszirkel

Kurzzusammenfassung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Betrieblichem Gesundheitsmanagement in sozialen Einrichtungen. Es wird der Frage nachgegangen, wie sich ein Gesundheitsmanagement unter Berücksichtigung unternehmerischer Besonderheiten prozesshaft einführen lässt. Ziel ist es, zu klären, inwiefern Organisationen vor dem Hintergrund des Wandels in der Arbeitswelt und gesellschaftlicher Entwicklungen zukunftsfähig sind. Es wird dargelegt, wie die Wettbewerbsfähigkeit durch Steigerung der Gesundheit und des Wohlbefindens langfristig erhalten werden kann. Im Speziellen erfolgt die Ausgestaltung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements für eine Werkstätte für Menschen mit Behinderung. Aufbauend auf den theoretischen Grundlagen wird der betriebliche Bedarf erfasst und entsprechende Maßnahmen der Gesundheitsförderung entwickelt.

Die Fragestellungen werden auf der Grundlage aktueller Fachliteratur und Erkenntnissen aus betrieblichen Analysen im Sinne von Gesundheitsscreenings diskutiert. Vor dem Hintergrund der notwendigen Partizipation wird das Vorhaben in Projektform unter Beteiligung der Belegschaft realisiert. Daher stellen Einschätzungen und Sichtweisen der Beschäftigten ergänzende Informationsquellen dar.

Demographische Entwicklungen und Fachkräftemangel werden sich auch auf die Behindertenhilfe auswirken. Personalbindung, Employer Branding und die Akquise von Fachkräften werden daher zu zentralen Aufgaben. Ein Betriebliches Gesundheitsmanagement vereint diese Aspekte und stellt einen nachhaltigen Erfolgsfaktor dar.

Ziel dieser Arbeit ist es, durch Beteiligung von Mitarbeitern und Commitment der Führungsebene eine konstruktive Einstiegshilfe zur langfristigen Umsetzung von Gesundheitsmanagement zu schaffen. Dadurch kann Gesundheit dauerhaft in Strukturen und Abläufe integriert werden und als Unternehmensziel verankert werden.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Die drei Säulen des BGM

Abbildung 2: Daten zu Präsentismus

Abbildung 3: Ökonomische Folgen von Mitarbeiterfluktuation

Abbildung 4: Wechselwirkung zwischen Belastung und Beanspruchung

Abbildung 5: Projektphasen des BGM

Abbildung 6: Erfolgsfaktoren des BGM

Abbildung 7: Analysebausteine des GM

Abbildung 8: Ergebnisse zu körperlichen und psychischen Belastungen

Abbildung 9: Ergebnisse zu Doppelbelastung

Abbildung 10: Zusammenhang der Belastungen mit der Tätigkeit

Abbildung 11: Interesse an Angeboten der BGF

Abbildung 12: Interesse an weiteren Angeboten der BGF

Abbildung 13: Ursache-Wirkungskette der Health BSC

Abbildung 14: Kennzahlen des BGM

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Die drei wichtigsten Diagnosegruppen

Tabelle 2: Volkswirtschaftliche Kosten durch AU

Tabelle 3: Skala für Mittelwerte

Tabelle 4: Krankendaten der CAB UW SMÜ

Glossar

Arbeitsfähigkeit ist definiert als die Fähigkeit eines Menschen, die ihm in einer Arbeitssituation gestellten Aufgaben erfolgreich zu bewältigen (Ilmarinen & Tempel, 2002, S. 136). Hierzu gehören zum einen individuelle Faktoren, wie „körperliche, mentale und soziale Fähigkeiten, Gesundheit, Qualifikation, Kompetenz, Einstellungen und Werte“(Hasselhorn & Freude, 2007, S. 9). Zum anderen sind die Arbeitsbedingungen wie psychische und körperliche Arbeitsanforderungen, Arbeitsumfeld und Führungsverhalten maßgeblich(Hasselhorn & Freude, 2007, S. 9).

Arbeitsunfähigkeit (AU) ist ein „durch Krankheit oder Unfall hervorgerufener Körper- oder Geisteszustand“, aufgrund dessen die bisherige Erwerbstätigkeit dauerhaft oder über eine bestimmte Zeit nicht weiter ausgeübt werden kann(Prof. Dr. Becker, 2014). In dieser Arbeit setzt Arbeitsunfähigkeit eine Krankmeldung beim Arbeitgeber und physische Abwesenheit vom Arbeitsplatz voraus. Präsentismus zählt demnach nicht als Arbeitsunfähigkeit, auch wenn die Arbeitsfähigkeit aus medizinischer Sicht nicht gegeben ist. Demzufolge ist in dieser Arbeit Arbeitsunfähigkeit mit Absentismus gleichzusetzen.

Arbeitszufriedenheit bezeichnet die Erfüllung von Erwartungen und Bedürfnissen durch die Arbeitssituation (Von Rosenstiel, 2003, S. 424)

Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) bietet Arbeitnehmern, die über eine längere Zeit arbeitsunfähig werden, nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit Möglichkeiten zur Rückkehr ins Arbeitsleben(Dr. Berninger-Schäfer, 2013, S. 21). Hierzu werden Integrationsvereinbarungen zwischen Arbeitgeber, Personalvertretung und Mitarbeiter geschlossen(Dr. Berninger-Schäfer, 2013, S. 21). Das Ziel ist es, „Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und den Arbeitsplatz des betroffenen Beschäftigten zu erhalten“ (Unfallkasse des Bundes, 2009). Gesetzlich geregelt ist das BEM in § 84 SBG IX.

Commitment bezeichnet das „Ausmaß der Identifikation eines Mitarbeiters mit dem Unternehmen“ (Uhle & Treier, 2011, S. 409). Besonders erstrebenswert ist affektives Commitment, welches eine emotionale Verbundenheit bezeichnet, durch die Mitarbeiter freiwillig im Unternehmen weiterbeschäftigt werden möchten. Das Ausmaß von Commitment wirkt sich auf Leistung, Motivation und Anwesenheit am Arbeitsplatz aus(Uhle & Treier, 2011, S. 409).

Demographischer Wandel bezeichnet die „fortlaufende und nachhaltige Veränderung einer Gesellschaft auf Bevölkerungsebene“(Pleye, 2014). In Deutschland ist der demographische Wandel aufgrund der niedrigen Geburtenrate durch Bevölkerungsrückgang und Unregelmäßigkeiten in der Altersstruktur gekennzeichnet (Statistische Ämter des Bundes und der Länder, 2011). Bis 2020 wird sich ein Mangel an Erwerbstätigen herausbilden, da geburtenschwache Jahrgänge wenige Nachwuchskräfte hervorbringen und gleichzeitig ältere, geburtenstarke Jahrgänge kontinuierlich aus dem Erwerbsleben ausscheiden(Statistische Ämter des Bundes und der Länder, 2011). Die Folgen des demographischen Wandels sind altersgemischte Teams, Generationenkonflikte und neue Herausforderungen für die sozialen Sicherungssysteme (Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2014).

Dienst nach Vorschrift bezeichnet ein Arbeitsverhalten, das durch geringe emotionale Bindung an die Organisation gekennzeichnet ist. Der betreffende Mitarbeiter ist nicht bereit, sich freiwillig für die Ziele der Organisation einzusetzen und erfüllt nur vorgegebene Aufgaben.

Employer Branding bezeichnet den „Aufbau und die Pflege von Unternehmen als Arbeitgebermarke“ und zielt auf Mitarbeiterbindung und -gewinnung (Prof. Dr. Lies, 2014). Das Unternehmen positioniert sich durch „nachhaltige Formulierung und Einlösung von Leistungsversprechen für aktuelle und künftige Arbeitnehmer“ (Prof. Dr. Lies, 2014) als attraktiven Arbeitgeber. Employer Branding stellt dadurch eine mittel- bis langfristige Aufgabe des Personalmanagements dar und muss systematisch in Organisationen integriert und weiterentwickelt werden(Dinges, 2012).

Erholung ist die „Wiederherstellung der psychologischen und physiologischen Funktionen nach einer Belastung in eine Normallage durch passives Ausruhen bis hin zu Schlaf“(Rau, 2011, S. 90).

Führung von Organisationen ist die „unmittelbare, absichtliche und zielorientierte Einflussnahme von Vorgesetzten auf Unterstellte mit Hilfe der Kommunikationsmittel“ (Domsch, Regnet & Von Rosenstiel, 2001, S. 11).

Hypothesen sind Vermutungen im Vorfeld, die anschließend empirisch bestätigt oder widerlegt werden(Statista, 2014).

Motivation ist „die Bereitschaft zum Handeln oder zu einem bestimmten Verhalten, wenn ein Motiv zum Beispiel durch äußere Reize oder eigene Hoffnung realisierbar scheint“(Deutsche Gesellschaft für Qualität, 2012, S. 6). Jemanden zu motivieren bedeutet, „durch entsprechende Maßnahmen Einfluss auf die Motivation zu nehmen“(Deutsche Gesellschaft für Qualität, 2012, S. 7). Arbeitsmotivation sind die Beweggründe des Individuums zur Arbeitsleitung“ (Prof. Dr. Maier, 2014)

Identifikation mit der Arbeit kann als „Übereinstimmung dessen, was die Arbeitsorganisation im Rahmen ihres Zielsystems anstrebt, mit dem, was die Mitglieder anstreben“ (Von Rosenstiel, 2003, S. 425) definiert werden.

Innere Kündigung ist die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch emotionale Distanzierung und Gleichgültigkeit gegenüber der Tätigkeit, ohne dieses nach außenwirkend aufzulösen. Innerlich gekündigte Mitarbeiter zeigen geringes Arbeitsengagement und sind emotional nicht an die Organisation gebunden.

Inzidenz beschreibt die Menge an Neuerkrankungen und ist damit wesentlich für die Betrachtung und Bewertung von Gesundheitsrisiken in einer Bevölkerung (Gesundheitsberichterstattung des Bundes, 2014) .

Als Meilensteine bezeichnet man im Projektmanagement einen definierten Punkt oder ein Ereignis, „an dem im Rahmen eines Projekts der Abschluss einer Einzelaktivität überprüft wird“ (Prof. Dr. Lackes, 2014).

Mitarbeiterbindung umfasst Maßnahmen, um Mitarbeiter möglichst lange im Unternehmen zu halten. Mitarbeiterbindung wird dabei als Daueraufgabe des Personalmanagements gesehen, die nie abgeschlossen sein kann (Loffing & Loffing, 2010, S. 5) . Konkret gemeint ist eine „wechselseitig beeinflusste emotionale Beziehung zwischen den Beschäftigten und der Organisation, welche stetige Anpassungen und hohe Flexibilität fordert“ (Loffing & Loffing, 2010, S. 6) . Die Begriffe Mitarbeiterbindung und Commitment können synonym verwendet werden.

Objektivität ist die „Unabhängigkeit einer wissenschaftlichen Aussage von subjektiven Einschätzungen und Bewertungen“(Prof. Dr. Ramb, 2014).

Präsentismus bezeichnet eine „ physische Anwesenheit am Arbeitsplatz trotz krankheitsbedingter Leistungsminderung“(Rigotti & Mohr, 2011, S. 62) . Die Ursachen können in der Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, einer hohen Anspruchshaltung oder einem übertriebenen Pflichtgefühl gegenüber dem Unternehmen oder Kollegen liegen (Dr. Berninger-Schäfer, 2013, S. 12) .

Prävalenz bezeichnet die „(relative) Häufigkeit von Krankheitsfällen zu einem bestimmten Zeitpunkt“(Gesundheitsberichterstattung des Bundes, 2014).

Reliabilität ist ein Gütekriterium, welches in wissenschaftlichen Analysen Berücksichtigung findet. Die Reliabilität einer Erhebung gibt an, „inwieweit Messergebnisse, die unter gleichen Bedingungen mit identischen Messverfahren erzielt werden, übereinstimmen“ (Prof. Dr. Wübbenhorst, 2014).

Sozialkapital ist das soziale Vermögen einer Organisation, das heißt „der Umfang und die Qualität der internen Vernetzung, der Vorrat gemeinsamer Überzeugungen, Werte und Regeln (…)“ (Badura, Walter, & Hehlmann, 2010, S. 5). Damit umfasst das Sozialkapital „weiche“ Faktoren und stellt einen intangiblen Vermögenswert dar. Sozialkapital bietet den Mitarbeitern Ressourcen, Handlungsmöglichkeiten und Wissensweitergabe (Fuchs, 2010, S. 113). Menschen in sozialen Gemeinschaften mit einem hohen Sozialkapital sind produktiver, glücklicher und damit auch gesünder(Fuchs, 2010, S. 114). Zudem können die Mitglieder einander vertrauen und erleben ihre Arbeit als „sinnhaft, verständlich und beeinflussbar“(Kaminski, 2013, S. 17f).

Ein Symptom ist in der Medizin oder Psychologie ein Anzeichen oder ein Kennzeichen , das auf eine Krankheit hindeutet(Grüner, Kahl, & Georg, 1974, S. 189).

Als Syndrom bezeichnet man das gleichzeitige, komplexe Auftreten verschiedender Symptome (Köck & Ott, 1994, S. 708). Dieser Begriff wird im Zusammenhang mit Krankheit verwendet, „die durch mehrere typische Symptome in Erscheinung treten“ (Köck & Ott, 1994, S. 708) .

Telearbeit kennzeichnet die zeitliche und räumliche Entgrenzung von Arbeit durch wechselnde Arbeitsplätze oder Home-Office (Schweizerischer Versicherungsverband, 2014, S. 8).

Die Unternehmenskultur nimmt entscheidenden Einfluss auf die gesamte Organisation und das Handeln jedes einzelnen Mitarbeiters. Die Kommunikation und der Umgang der Kollegen untereinander, das Verhältnis von Führungskräften zu Mitarbeitern, akzeptiertes Verhalten und Leistungsorientierung werden dadurch geprägt (Scharnhorst, 2012, S. 195). Die Unternehmenskultur stellt also den Mitarbeitern Denk- und Verhaltensmuster bereit und gibt Werte vor(Grossmann & Scala, 2011, S. 16). Maßgeblich sind sowohl offizielle Leitbilder und Regeln, als auch informelle Regelungen(Scharnhorst, 2012, S. 195). Die Gesundheitskultur legt fest, inwieweit Gesundheit als Unternehmensziel verankert ist und wie die Umsetzung im Betrieb erfolgt.

Das Gütekriterium Validität bezeichnet bei einer wissenschaftlichen Forschung das Ausmaß, in dem eine Messmethode tatsächlich das Konstrukt misst, das gemessen werden soll(Prof. Dr. Wübbenhorst, 2014).

Work-Life-Balance beschäftigt sich mit der Frage „Wie (qualifizierte) Beschäftigte angesichts wachsender Leistungs- und Flexibilitätsanforderungen Arbeiten und Leben in eine ‚Balance‘ bringen können“ (Bornewasser & Zülch, 2013, S. 193). Ursprünglich entstammt der Begriff US-amerikanischen Konzepten zur Personalentwicklung(Bornewasser & Zülch, 2013, S. 193). In Deutschland ist die Bezeichnung ‚Vereinbarkeit von Leben und Arbeit‘ beziehungsweise ‚Vereinbarkeit von Beruf und Familie‘ gebräuchlicher, wobei Work-Life Balance nicht exakt dieselbe Bedeutung trägt (Bornewasser & Zülch, 2013, S. 190). Während die ‚Vereinbarkeit von Beruf und Familie‘ primär erwerbstätige Frauen anspricht, geht es bei Work-Life-Balance generell um Erwerbstätige und implizit um qualifizierte beziehungsweise hochqualifizierte Arbeitskräfte (Bornewasser & Zülch, 2013, S. 193).

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Vorbemerkung

Aus Gründen der Sprachökonomie und der besseren Lesbarkeit wird auf die Nennung beider Geschlechter verzichtet. Die Verwendung der männlichen Form schließt hier grundsätzlich auch die weibliche Form ein.

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

„In der einen Hälfte des Lebens opfern wir unsere Gesundheit, um Geld zu erwerben. In der anderen Hälfte opfern wir Geld, um die Gesundheit wiederzuerlangen.“ (Voltaire *1694 †1778, eigentl. François-Marie Arouet, frz. Philosoph und Schriftsteller)

In diesem Zitat steht Arbeit im Widerspruch zu Gesundheit. Dieser Meinung nach scheint Arbeit grundsätzlich die Gesundheit zu schädigen. Es wird ein Konflikt zwischen Gesundheit und Wohlstand postuliert. Demnach sind Gesundheit und Wohlstand nicht zu vereinen. Zugleich wird das eindimensionale Verständnis von Gesundheit als Absenz von Krankheit postuliert. Auch im heutigen Zeitalter konnte diese einseitige Betrachtung vor allem in der Arbeitswelt noch nicht vollkommen ausgemerzt werden.

Im Hinblick auf gestiegene Lebenserwartung hat sich die Gesundheit der Menschen aus medizinischer Sicht stark verbessert. Durch gesetzliche Vorgaben zum Arbeitsschutz wird die Sicherheit von Beschäftigten gewährleistet. Angesichts steigender Prävalenz psychischer Leiden und der Chronifizierung und Multimorbidität von Krankheiten bleibt der Gesundheitszustand von Arbeitnehmern kritisch zu beurteilen.

Die Ursachen vieler Erkrankungen liegen in den veränderten organisatorischen Bedingungen und den hieraus resultierenden Belastungen. Themen wie Stress am Arbeitsplatz, Burnout und psychische Erkrankungen sorgen seit einigen Jahren für Schlagzeilen. Dadurch erlangt das Thema Relevanz in der breiten Öffentlichkeit und in Fachkreisen. Die Bedeutung der Work-Life-Balance nimmt zu und prägt die Wertvorstellungen von Arbeitnehmern. Auch Manager werden zunehmend für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter verantwortlich gemacht. Für Unternehmen erhält die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden der Beschäftigten zunehmende strategische Bedeutung. Modernes Personalmanagement hat erkannt, dass Leistung und Engagement die Gesundheit auf Dauer nicht schädigen dürfen und nur gesunde Mitarbeiter leistungsfähig sind. Daher wird die Förderung von Sozialkapital und Humanressourcen zu einem zentralen Aufgabengebiet.

Betriebliche Gesundheitsmanagementsysteme stellen eine geeignete Methode dar, um Belastungen am Arbeitsplatz ganzheitlich zu reduzieren und die Produktivität zu steigern.

1.2 Zielsetzung und Aufbau

Die vorliegende Bachelorarbeit soll allgemein die Relevanz Betrieblicher Gesundheitsförderung herausarbeiten. Hierzu wird Gesundheit unter verschiedenen Blickwinkeln und Bezugsfeldern betrachtet und die Bedeutung präventiver Maßnahmen betont. Im Speziellen wird am Beispiel der CAB Caritas Augsburg Betriebsträger gGmbH Ulrichswerkstätte Schwabmünchen die prozesshafte Implementierung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements dargestellt. Unter Berücksichtigung unternehmensspezifischer Hintergründe und Belange soll eine konstruktive Einstiegshilfe zur nachhaltigen Verankerung geschaffen werden. In der Themenstellung dieser Arbeit sind vor allem soziale Einrichtungen der Behindertenhilfe angesprochen. Unter Beachtung organisationsbezogener Besonderheiten können Ansätze allgemein auf betriebliche Einheiten Anwendung finden. Der Leser erhält einen umfassenden Einblick in die Methodik gesundheitsgerechter Organisationen. So soll der Einsatz von BGM angeregt und unterstützt werden.

Das Ziel der Arbeit wird mithilfe folgender Vorgehensweise erreicht.

Im Theorieteil wird das Handlungsfeld eines GM im Allgemeinen dargestellt. Dies umfasst neben der Klärung relevanter Termini die Veränderung von Organisationsumwelten. Auf Entwicklungen in der Sozialen Arbeit wird in Kapitel 3.2 im Besonderen eingegangen. Die Zunahme an psychischen Erkrankungen bildet den Gegenstand des nächsten Abschnittes. Daneben werden Auswirkungen auf Organisationen und die Volkswirtschaft dargestellt.

Das vierte Kapitel betont den Einfluss individueller Faktoren bei der Entstehung von Krankheiten.

Im fünften Gliederungspunkt wird der Bezug zu relevanten psychologischen Lehrsätzen hergestellt.

Anschließend wird der Handlungsbedarf anhand gesetzlicher Bestimmungen verdeutlicht. Zudem werden die Vorteile und Ziele von Gesundheitsförderung benannt.

Abgerundet werden die theoretischen Grundlagen durch eine Betrachtung der speziellen Belastungsintensität in der Behindertenarbeit und dem diesbezüglichen Forschungsstand.

Nach einem allgemeinen Einstieg in die Thematik eines BGM, bei dem u. a. Erfolgsfaktoren zu einer Strategie formuliert werden, erfolgt die konkrete Umsetzung. Bevor die Gesundheit der Mitarbeiter gefördert werden kann, müssen gesundheitliche Risiken und Belastungen erfasst werden. Ein umfassender Bericht über die CAB UW SMÜ soll anhand der Ergebnisse verschiedener Mitarbeiterbefragungen und einer Analyse des Krankenstands erstellt werden. Desweiteren werden Arbeitsbelastungen im Gesundheitszirkel in Gruppenarbeit analysiert.

Ausgehend von den Analyseergebnissen erfolgt die praktische Umsetzung durch Handlungsempfehlungen des Gesundheitszirkels und Angeboten zur Gesundheitsförderung.

Abschließend werden Empfehlungen zur Evaluation und Weiterentwicklung des Gesundheitsmanagements gegeben.

2 Operationalisierung von Begrifflichkeiten

Um ein gemeinsames Verständnis für grundlegende Termini zu schaffen, wird im Folgenden deren Bedeutung erläutert. Andere Begrifflichkeiten, die lediglich für einzelne Kapitel relevant sind, werden im Kontext erklärt.

2.1 Begriff Gesundheit

Im Zentrum des BGM steht die Gesundheit. Dieser Begriff wird im allgemeinen Sprachgebrauch täglich verwendet und ist gleichzeitig mit einem breiten Spektrum an Interpretationen verbunden. Daher ist die einheitliche Klärung dieser Bezeichnung wesentlich. Etabliert hat sich die Definition von Gesundheit als „Zustand des vollständigen, körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefinden und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen“ (WHO, 1948) . Nach der Ottawa-Charta der WHO (1986) wird dem Mensch selbst eine aktive Rolle für die eigene Gesundheit zuteil. Daher ist Gesundheit auch „die Kompetenz des Individuuums, die eigenen Gesundheitspotentiale auszuschöpfen und zu erweitern, sowie angemessen auf Herausforderungen der Umwelt zu reagieren“ (Uhle & Treier, 2011, S. 5). Enger gefasst ist Gesundheit die „Fähigkeit zur Problemlösung und Gefühlsregulierung, durch die ein positives seelisches und körperliches Befinden – insbesondere ein positives Selbstwertgefühl – und ein unterstützendes Netzwerk an sozialen Beziehungen erhalten oder wiederhergestellt wird“ (Fissler, 2010, S. 32). Zur Beurteilung des Gesundheitszustandes können verschiedene psychische, physische und verhaltensbezogene Messgrößen herangezogen werden (Ulich & Wülser, 2012, S. 26ff) . Die wichtigsten Gesundheitsindikatoren sind nach Uhle & Treier Lebensqualität und Zufriedenheit (2011, S. 4) .

Zur Erklärung psychosomatischer Zusammenhänge wird in dieser Arbeit das biopsychosoziale Gesundheitsmodell herangezogen, welches die Leib-Seele Theorie erklärt und biologische, psychische und soziale Einflüsse auf die Gesundheit berücksichtigt. Gesundheit ist kein absoluter Zustand, sondern entwickelt sich dynamisch in Interaktion mit der Umwelt (Rigotti & Mohr, 2011, S. 67) . Der Mensch befindet sich zu jedem Zeitpunkt auf einem Kontinuum zwischen den Polen Gesundheit und Krankheit und schwankt damit in verschiedenen Gesundheits- und Krankheitszuständen (Rigotti & Mohr, 2011, S. 67).

Aufgrund der wichtigen Bedeutung für diese Arbeit wird die psychische Gesundheit speziell betrachtet. Psychische Gesundheit ist „die Fähigkeit zur Bewältigung externer und interner Anforderungen, die sich in optimistischer Stimmung, seelischem und körperlichem Wohlbefinden, Selbstaktualisierung und selbst- und fremdbezogener Wertschätzung ausdrückt“ (Becker, 1995, S. 224).

2.2 Begriff Krankheit

Krankheit als Gegensatz zu Gesundheit ist eine Abweichung von einem Zustand des „vollständigen, körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens“ (WHO, 1948) . Eine Krankheit wird anhand krankheitsspezifischer Kriterien, fachsprachlich als Symptome oder Syndrome bezeichnet, in ein Klassifikationssystem eingeordnet und diagnostiziert (Becker, 2006, S. 19) .

Krankheit äußert sich auf somatischer und psychologischer Ebene (Becker, 1982, S. 3f) . Demzufolge geht Erkrankung über körperliche Fehlfunktion oder Schädigung hinaus (Fissler, 2010, S. 33) . Auch Gefühlszustände, die erheblich länger als die betreffende Ursache andauern oder normales Handeln behindern, können als Anzeichen von Krankheit oder Störung gedeutet werden (Äsberg, Nygren, & Rylander, 2001, S. 16) . Daher werden psychische Leiden, wie beschädigte Identität oder länger anhaltende Angst- oder Hilflosigkeitsgefühle, als Krankheitssymptome begriffen (Fissler, 2010, S. 33) .

Psychische Erkrankungen sind „Beeinträchtigungen der normalen Funktionsfähigkeit des menschlichen Erlebens und Verhaltens, die sich in emotionalen, kognitiven, behavioralen, interpersonalen und/oder körperlichen Beeinträchtigungen äußern“ (Bastine, 1998, S. 19). Besondere Bedeutung erhalten psychische Erkrankungen aufgrund ihrer stark negativen Auswirkungen auf „Denken, Motivation und Verhalten, aber auch auf das Immun- und Herz-Kreislauf-System“ (Fissler, 2010, S. 33) .

2.3 Begriff Betriebliches Gesundheitsmanagement

Der Begriff Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) wird zunächst in seinen Wortbestandteilen betrachtet. Das Verständnis von Gesundheit wurde bereits in Kapitel 2.1 geklärt. Unter Management (zu Deutsch ‚Führung‘ oder ‚Leitung‘) versteht man die „auf Planungsprinzipien und Zielvorstellungen beruhende Gestaltung betrieblicher Abläufe, Aufbaustrukturen und Zuständigkeiten“ (Resch, 2003, S. 26). Ein Managementsystem ist damit als inhärenter Bestandteil mit dem gesamten Unternehmen verknüpft (Kaminski, 2013, S. 50). Der Begriff BGM umrahmt ein neues Konstrukt. Es geht um die Entwicklung betrieblicher Strukturen und Prozesse zur gesundheitsfördernden Gestaltung von Organisationen und die Befähigung von Mitarbeitern zu gesundheitsgerechtem Verhalten (Badura, Walter & Hehlmann, 2010, S. 33). Der Wert Gesundheit wird dabei als betriebswirtschaftliches Ziel definiert und in der Unternehmenspolitik verankert. BGM schafft nachhaltige und dauerhafte Strukturen zur „Erhaltung und Förderung der Gesundheit, der Motivation und des Wohlbefindens“ (Schneider, 2011, S.19) von Mitarbeitern.

In Abbildung 1 werden die drei Säulen des BGM Arbeitsschutz, Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) und Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) bildhaft dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.4 Begriff Betriebliche Gesundheitsförderung

Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) stellt eine Säule des BGM dar. Da BGF für diese Arbeit wesentlich ist, soll auf die anderen beiden Säulen an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Bei BGF handelt es sich im Gegensatz zu Arbeitsschutz und BEM um freiwillige Leistungen durch den Arbeitgeber. Gemeint sind Maßnahmen zur Bestärkung oder Erhaltung gesundheitlicher Ressourcen. Nach der ‚Luxemburger Deklaration zur Betrieblichen Gesundheitsförderung in der EU‘ umfasst BGF „alle Maßnahmen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Gesellschaft zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz“(ENWHP, 2007, S. 2).

Grundsätzlich lassen sich verhaltensorientierte und verhältnisorientierte Angebote differenzieren. Während verhältnisbezogene Maßnahmen betriebliche Strukturen und Verhältnisse im Blick haben, beschäftigen sich verhaltensbezogene Interventionen mit individuellem Gesundheitshandeln(Unfallkasse des Bundes, 2009). Verhaltens- und personenzentrierte Gesundheitsförderung stehen in starker Wechselwirkung zueinander und sind schwer voneinander zu trennen.

3 Betriebliches Gesundheitsmanagement im Kontext

Unternehmen können nicht isoliert von Wirtschaft und Gesellschaft betrachtet werden. Vielmehr müssen sich Organisationen stark am gesellschaftlichen und marktwirtschaftlichen Rahmen ausrichten. Das betriebliche Umfeld prägt maßgeblich die innerbetriebliche Entwicklungsdynamik. Verschiedene Disziplinen, wie Arbeitsmedizin, Arbeits- und Organisationspsychologie und Stressforschung haben den Einfluss von Arbeitsbedingungen auf die Gesundheit wissenschaftlich unterlegt (Grossmann & Scala, 2011, S. 15). Daher können die Bedingungen für Gesundheit nicht ohne Verständnis für interne und externe betriebliche Veränderungen erfasst werden(Grossmann & Scala, 2011, S. 15). Das folgende Kapitel beleuchtet zunächst Belastungen in neuartigen Organisationsumwelten und stellt anschließend die Auswirkungen auf Arbeitnehmer, Unternehmen und Gesellschaft dar.

3.1 Dynamik und Flexibilisierung in Lebens- und Arbeitswelt

Der Wandel in Gesellschaft und Wirtschaft hat sozioökonomische Entwicklungsprozesse in den Industrienationen grundlegend verändert. Dieses Kapitel beleuchtet aktuelle Entwicklungen und Veränderungen in Lebens- und Arbeitswelten. Ziel ist es, eine kritische Auseinandersetzung anzuregen und für das Belastungsspektrum von Arbeitnehmern zu sensibilisieren.

Gesellschaftliche und wirtschaftliche beziehungsweise arbeitsorganisatorische Entwicklungen stehen in einer starken Wechselwirkung zueinander. Aus gesellschaftlichen Grundhaltungen entstehen spezifische Bedürfnisse, welche anschließend durch die Wirtschaft befriedigt werden. Gleichzeitig verändert das Angebot an Konsumgütern die gesellschaftlichen Werte. Daher müssen für das umfassende Verständnis der Postmoderne sowohl gesellschaftliche, als auch marktwirtschaftliche Bedingungen erfasst werden.

3.1.1 Belastungen durch gesellschaftlichen Umbruch

Enorme Verbesserungen des Lebensstandards und Bildungsexpansion sind die Ursachen des gesellschaftlichen Wandels (Beck, 1986, S. 115). Schnelllebigkeit und rasante Entwicklungen prägen die Lebenswelt der Menschen und stellen ambivalente Herausforderungen dar. Technische Innovationen verändern Kommunikations- und Informationswege und prägen soziale Interaktionen. Die ‚Digital-Natives‘ Generation wächst mit neuen Technologien und Medien auf und kann Informationen schnell verarbeiten und vernetzen (Schweizerischer Versicherungsverband, 2014, S. 8). Die Multioptionsgesellschaft bietet dem Menschen zahlreiche Möglichkeiten und differenzierte Lebenswege. Durch erweiterte Freiheitsgrade entstehen Modelle der situativen Lebensführung. Das Individuum löst sich zunehmend von traditionellen Werten und aus Familiensystemen und gestaltet seine eigene Lebensbiographie. Klassische Rollenmodelle verändern sich. Folglich wird es zur Entwicklungsaufgabe des Menschen, eine flexible Identität aufzubauen, die zukünftige Optionen offenhält (Schröder, 2009, S. 14). Nach Schröder entsteht Individualismus „aus der Schwierigkeit, Identität ohne Bezugsrahmen des alten kulturellen Modells definieren oder neu zu definieren zu müssen“ (2009, S. 122) . Auch zwischenmenschliche Beziehungen werden flexibler und weniger tragfähig gehandhabt. Dadurch steigt das Risiko sozialer Vereinsamung und die Suche nach dem Lebenssinn und die Sehnsucht nach stabilen Beziehungen werden immanent. Beck thematisiert in seiner Individualisierungstheorie die wachsende Anonymität in der Gesellschaft und zunehmende Selbstverunsicherung(1986, S. 115).

Zusammengefasst kann man sagen, dass technische Innovationen die Virtualität und Komplexität der Gesellschaft beschleunigen. Gleichzeitig wird aber der Mensch in sozialen Beziehungen und seiner Identitätsbildung verunsichert.

3.1.2 Belastungen in neuen Arbeitswelten

Ökonomie und Arbeit befinden sich gegenwärtig in einem tiefgreifenden Umbruchprozess. Dieser Abschnitt behandelt aktuelle Entwicklungen und wirtschaftliche Veränderungen im Zuge der globalen Marktwirtschaft. Ein besonderes Augenmerk liegt auf den hieraus resultierenden Arbeitsanforderungen und Belastungen für Arbeitnehmer.

Das im Zuge der Industrialisierung entstandene fordistische Produktionsmodell ist zumindest hinsichtlich lebenslanger Beschäftigung beim gleichen Arbeitgeber und hohem Lohnniveau nicht mehr zeitgemäß (Schröder, 2009, S. 24; Minssen, 2012, S. 7). Die postmoderne Industriegesellschaft ist gekennzeichnet durch transnationale Produktionsnetze, die sich veränderten Markterfordernissen flexibel und dynamisch anpassen. Der Kapitalismus lässt keinen Stillstand zu, sondern ist auf immer währenden Wachstum und Leistungssteigerung angelegt. Durch weltweit gestiegene Mobilität haben sich globale Märkte zu internationalem Handel vereinigt . Der Nachfragemarkt entwickelte sich zu einem Verdrängungsmarkt und der Wettbewerb verschärft sich zunehmend. Viele mittelständische Unternehmen müssen mit drastischen Sparmaßnahmen gegensteuern. Auf die ambivalenten Kundenerwartungen reagieren Unternehmen mit flexiblen und offenen Strukturen, die optimal auf universelle Bedürfnisse ausgerichtet sind. Für den Arbeitnehmer wirken sich globale Berufschancen gewinnbringend aus. Berufliche Veränderungen können die Erwerbsbiographie aufgrund interdisziplinärer Vernetzung bereichern. Der Arbeitsmarkt bietet gute Aufstiegschancen und lässt auch Frauen uneingeschränkt Führungspositionen anstreben.

Allerdings haben sich die Belastungen durch die Arbeit in den letzten Jahren massiv verändert und erhöht, da die Last der Marktunsicherheit oftmals auf Arbeitnehmer abgewälzt wird. Die Situation ist für Beschäftigte mit wachsenden Unsicherheiten verbunden. Während das fordistische System strukturiert und sicher war, ist das wirtschaftliche Handeln heute auf Kurzfristigkeit und Elastizität angelegt. Von Arbeitnehmern wird verlangt, „sich flexibler zu verhalten, offen für kurzfristige Veränderungen zu sein und ständig Risiken einzugehen (…)“ (Sennett, 2006, S. 10) . Unsichere Wirtschaftslagen und hohe Arbeitslosigkeit führen zu Leistungsdruck und Existenzängsten. Unternehmen fordern von ihren Mitarbeitern „soziale und psychische Flexibilität“ (Winterhoff-Spurk, 2002, S. 28). Wohnortwechsel zu Gunsten beruflicher Möglichkeiten werden zur Normalität.

Belastungen ergeben sich auch aus der Arbeitsaufgabe selbst. In vielen Bereichen nimmt die Arbeitsverdichtung zu, das heißt dieselbe Arbeit ist von weniger Beschäftigten zu bewältigen. Dadurch steigt die Arbeitsbelastung, die Arbeitszeit wird intensiviert und es bleibt weniger Zeit für Pausen, Gespräche oder für die Pflege des Betriebsklimas (Resch, 2003, S. 15) . Durch den Abbau von Hierarchien ist von Abteilungen mehr Eigenverantwortung und Selbstmanagement gefordert. Belegschaften stehen unter massiven Druck und haben ihren Erfolg selbstständig sicherzustellen. Pongratz und Voß sprechen von dem Typus des „Arbeitskraftunternehmers“(Pongratz & Voß, 2003). Im Zuge der umfassenden Kundenorientierung stellt Emotionsarbeit nicht nur im Dienstleistungssektor eine wesentliche Anforderung dar. Gemeint ist der „ dauerhaft kompetente Umgang mit den eigenen Emotionen“(Uhle & Treier, 2011, S. 259) . Arbeitsprozesse werden aufgrund des technologischen Wandels und gestiegener Qualitätserwartungen zunehmend komplexer. Die Arbeitsanforderungen steigen und in vielen Bereichen ist Daueraufmerksamkeit notwendig. Zudem werden Qualifikationen vergänglich und in den meisten Berufen ist lebenslanges Lernen gefordert. Der Umgang mit EDV und Maschinen scheint vor allem älteren Mitarbeitern im Vergleich zu den ‚Digital-Natives‘ Probleme zu bereiten.

Fortschritte in der Kommunikationstechnologie ermöglichen neue Arbeitsformen, wie beispielsweise die Telearbeit. Räumlich entgrenzte Arbeit scheint optimal auf Menschen zugeschnitten, die aufgrund von Kindererziehung oder der Pflege von Angehörigen auf flexible Arbeitsgestaltung angewiesen sind. Bedenklich ist, wenn die Grenzen zwischen Lebens- und Arbeitswelt nicht genau geregelt sind. Wird der Arbeitsort in den Privatbereich verlagert, darf die berufliche Tätigkeit private Zeit nicht ersetzen. Daneben werden digitale Technologien auch zur Erreichbarkeit von Mitarbeitern in ihrer Freizeit verwendet. Durch das ‚always online‘ Symptom wird ein ständiges Gefühl der Verfügbarkeit vermittelt und Erholung und Work-Life-Balance stark eingeschränkt.

Desweitern werden Arbeitsschritte durch neue Technologien automatisiert und menschliche Arbeitskraft rationalisiert. Zur Gewinnmaximierung verlagern viele Unternehmen ihre Produktionsstätten in Niedriglohnländer. Dadurch steigt die Arbeitslosigkeit und die Arbeitsplatzunsicherheit wächst.

Eine markante Diversität der Beschäftigungsmodelle stellt auch die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses dar. Atypische Arbeitsverhältnisse wie „Teilzeit-beschäftigung, geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, befristete Arbeits-verhältnisse, Leiharbeit“ (Bornewasser & Zülch, 2013, S. 44) haben sich stark verbreitet. Während ein Normalarbeitsverhältnis durch einen „unbefristeten Arbeitsvertrag, eine sozialversicherungspflichtige Vollbeschäftigung mit festen Arbeitszeiten, ein tarifvertraglich normiertes Entgelt, Sozialversicherungspflicht, sowie Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit“ (Minssen, 2012, S. 70) charakterisiert ist, fehlen atypischen Arbeitsverhältnissen viele dieser Vorteile. Gleich bleibt meist lediglich die Weisungsgebundenheit an den Arbeitgeber.

3.2 Belastungen in der Sozialen Arbeit

Soziale Arbeit zielt darauf ab, „Hilfen zur Prävention, zur Minderung und zur Bewältigung von Problemen, Schwierigkeiten und Missständen anzubieten“ (Poulson, 2009, S. 13). Hilfeleistungen sind breit gefächert und umfassen „gesundheitliche, ökonomische, psychische, erzieherische, kulturelle und rechtliche“ Handlungsfelder(Poulson, 2009, S. 14). Soziale Arbeit stellt ein spannendes Tätigkeitsfeld dar, denn Fachkräfte können ihre Persönlichkeit in die professionelle Beziehung einbringen und diese „quasi als Werkzeug“(Poulson, 2009, S. 14) benutzen. Die Arbeit mit Menschen gilt als sinnstiftend und erfüllend. Auf der anderen Seite ist diese Tätigkeit mit einer hohen Belastungsintensität verbunden. Beschäftigte des sozialen Sektors werden durch ihre Arbeit beansprucht und sind besonders Burnout gefährdet.

Die tägliche Arbeit von Fachkräften ist gekennzeichnet durch ein permanentes Spannungsfeld aus staatlichen, ökonomischen und bürokratischen Strukturen und der Lebenswelt der Klienten(DBSH, 2014). Der Ausgleich von Interessenskollisionen beteiligter Parteien ist eine zentrale Aufgabe, denn die Betreuung und Versorgung von Menschen hängt wesentlich von staatlichen Mitteln ab. Ökonomisierungstendenzen haben zur Folge, dass nicht alle Bedarfslagen in vollem Umfang gedeckt werden können. Daneben müssen erweiterte Aufgaben wie Sozialmanagement, Qualitätssicherung und Fundraising bewältigt werden (Poulson, 2009, S. 14).

Ein wesentliches Element des Integrationsauftrages von Sozialarbeitern ist die professionelle Beziehung. Das essentielle Vertrauensverhältnis zu Klienten ist mit hohem emotionalen Einsatz und dem Bezug zu seiner Lebenswelt verbunden. Daraus entsteht ein permanentes Spannungsfeld aus Engagement und Interesse am Klienten und der maßvollen Distanz zu seiner Person (Poulson, 2009, S. 14). Die Wahrung des Nähe-Distanz-Verhältnisses gilt als komplexe Herausforderung. Eine Balance aus Empathie und persönlicher Abgrenzung ist erstrebenswert. Für die eigene Psychohygiene müssen Mitgefühl und Mitleid voneinander abgegrenzt werden (Poulson, 2009, S. 14). Gelingt dies nicht, kann die Situation zu einer persönlichen Belastung werden.

Desweiteren ist die Soziale Arbeit als Profession keineswegs so anerkannt wie andere Disziplinen. Beispielsweise hat Oevermann der Sozialen Arbeit aufgrund der Weisungsgebundenheit und dem nicht klar abgegrenzten Tätigkeitsfeld den Professionsstatus abgesprochen (Vergleiche zum Beispiel Oevermann, 1996) . Soziale Berufe erfahren in der Gesellschaft oftmals geringe Anerkennung. Dadurch ist der Arbeitsstolz von Sozialarbeitern meist nicht besonders groß.

3.3 Auswirkungen der Belastung en

Gesellschaftliche und ökonomische Dynamiken wirken sich auf den arbeitenden Menschen selbst, auf Organisationen und auf die Gesellschaft aus. In diesem Kapitel werden zunächst Folgen für die Gesundheit von Arbeitnehmern dargestellt. Anschließend werden die unternehmerischen Auswirkungen mittels betrieblicher Kennzahlen demonstriert. Zuletzt werden volkswirtschaftliche Effekte fokussiert.

3.3.1 Auswirkungen auf Arbeitnehmer

Wie in Kapitel 2.1 bereits angeführt, entsteht Gesundheit durch Interaktion mit der Umwelt. Aktuell beeinflussen Veränderungen der postmodernen Arbeitswelt und gesellschaftliche Entwicklungen den Lebensbereich des Individuums stark. Ambivalente Herausforderungen, zunehmende Unsicherheiten und zeitliche und räumliche Entgrenzung von Arbeit stellen hohe Belastungen dar. Steigende Anonymität und Individualisierungsdruck erweitern das Spektrum. Gerade die Vielfalt an Optionen und Möglichkeiten stellt viele Menschen vor große Probleme. Der maßvolle Umgang und die neuen Anforderungen an das Selbstmanagement führen oft zu Überforderung. Mit den gestiegenen Belastungen erhöht sich zugleich das Krankheitsrisiko von Arbeitnehmern .

Damit diese Wechselwirkung plausibel wird, ist zunächst die Bedeutung der Arbeit für den Menschen zu klären. Der Job nimmt viel Raum und Zeit im Leben ein. Die Einflüsse hieraus sind umfassend und gehen über das berufliche Umfeld hinaus. Beispielsweise stehen Freizeitaktivitäten, sozialer Status und finanzielle Möglichkeiten in indirekter Beziehung zur Arbeit (Von Rosenstiel & Nerdinger, 2011, S. 49). Auch soziale Anerkennung resultiert oftmals aus dem beruflichen Werdegang. Neben der Sicherung der materiellen Existenz werden soziale Kontakte gefördert, Weiterbildungsmöglichkeiten geschaffen und Selbstverwirklichung realisiert.

U nter idealen Bedingungen ist Arbeit gesundheitsförderlich und dient der beruflichen und persönlichen Entwicklung. Bei zu hohen Belastungen und ungünstigen Arbeitsbedingungen steigt allerdings die Inzidenz von Erkankungen . Gelingt die Entwicklung neuartiger, flexibler und dynamischer Alltagsmuster zur Stressbewältigung nicht, drohen Krankheit, Unwohlsein, Unzufriedenheit und Frustration(Schröder, 2009, S. 36).

Statistiken zufolge leidet in der EU bereits jeder dritte Arbeitnehmer unter den negativen Folgen von arbeitsbedingtem Stress (Team Gesundheit, 2013). In Deutschland ist nach Angaben des Berliner Meinungsforschungsinstituts jeder Fünfte von gesundheitlichen Stressfolgen betroffen (Team Gesundheit, 2013). Gerade bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen lässt sich der Zusammenhang zu den Arbeitsbedingungen annehmen. Den Ergebnissen einer schwedischen Studie zufolge sehen 60 bis 70% der Langzeitkranken ihren Beruf als Auslöser(Äsberg, Nygren, & Rylander, 2001, S. 20).

Immer mehr Arbeitnehmer haben also Schwierigkeiten, den gestiegenen Anforderungen im Job gerecht zu werden. Komplexe Organisationsvorgänge und -strukturen schränken die Handlungsfreiheit und Selbstbestimmung ein. Daraus resultiert der Verlust des Subjekterlebens und des Gefühls von „Kohärenz, Konstanz und Kontinuität“(Schröder, 2009, S. 120). Während sich die Krankenstände in den letzten Jahren nur wenig verändert haben, hat sich die Prävalenz psychischer Erkrankungen überdurchschnittlich stark erhöht. In den vergangenen 38 Jahren ist die AU aufgrund psychischer Unpässlichkeiten von zwei auf 14,7% angestiegen (BKK Dachverband e.V., 2013).

Tabelle 1 stellt die drei wichtigsten Diagnosgruppen des Gesundheitsreports über das Jahr 2012 dar. Demnach haben psychische Leiden nach Krankheiten des Muskel-Skelettsystems einen größeren Anteil an AU-Tagen als Atemwegserkrankungen (BKK Dachverband e.V., 2013). Hinsichtlich der Auftretenshäufigkeit übersteigen psychische Erkrankungen Atemwegskrankheit-en jedoch nicht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1 : Die drei wichtigsten Diagnosegruppen

(Quelle: BKK Dachverband e.V., 2013)

Im Jahr 2011 war jede dritte Frühberentung auf seelische Probleme zurückzuführen (BKK Landesverband Bayern, 2011). Zu den häufigsten psychischen Erkrankungen zählen Depressionen, Angststörungen, sowie Alkohol- und andere Suchterkrankungen (BKK Landesverband Bayern, 2011). Einer Studie des Statista Instituts zufolge waren im Jahr 2010 26% der Bevölkerung von depressiven Symptomen betroffen (Statista, 2014). Zudem wurden bei 12% depressive Syndromen und bei weiteren 8% eine psychische Erkrankung nach dem DSM IV Klassifizierungssystem diagnostiziert (Statista GmbH, 2010).

Immer mehr Beschäftigte sind wegen permanenter beruflicher Überlastung von Burnout betroffen. Nach der Gallup-Studie hatten 36% der Befragten innerhalb des letzten Monats das Gefühl, innerlich ausgebrannt zu sein (Gallup, 2014). Burnout ist gekennzeichnet durch „physische Erschöpfung, Antriebslosigkeit, Desinteresse an der Umwelt, Emotionsarmut, Gefühle der Hilflosigkeit, Verlust des Selbstvertrauens und Enttäuschung über Privatleben und Arbeit (…)“ (Schönpflug, 1987, S. 141). Gleichzeitig treten Gefühle der „Depersonalisation, inneren Leere, Depression und völligen Erschöpfung“ auf (Winterhoff-Spurk, 2002, S. 154). Die Burnout-Charakteristik weist damit viele Gemeinsamkeiten zur ursprünglichen ‚Erschöpfungsdepression‘ auf (Prof. Dr. med. Faust). Eine schwedische Studie belegt, dass sich Langzeit psychisch erkrankte Arbeitnehmer deutlich von Patienten in Psychiatriebehandlung unterscheiden und äußerst selten von schwerwiegenden Persönlichkeitsstörungen betroffen sind (Äsberg, Nygren, & Rylander, 2001, S. 20). Vielmehr sind diese Menschen arbeitsunfähig geworden, weil „sie hart gearbeitet haben, manchmal zu ehrgeizig sind und Schwierigkeiten haben, sich selbst Grenzen zu setzen“(Äsberg, Nygren, & Rylander, 2001, S. 20).

Neben psychischen Erkrankungen resultieren aus Arbeitsbelastungen körperliche Leiden. Zu den häufigsten körperlichen Beschwerden gehören Muskel- und Skeletterkrankungen hauptsächlich in Bezug auf Wirbelsäule und Rücken (BKK Dachverband e.V., 2013). Aus Expertensicht ist auch die Einnahme von leistungssteigernden Mitteln wie Psychopharmaka und Amphetaminen bei Arbeitnehmern gestiegen (AOK Bundesverband, 2013). Viele körperliche Symptome ergeben sich aufgrund psychosomatischer Zusammenhänge aus psychischen Belastungen. Daneben wirken sich hohe Arbeitsbelastungen in gesundheitsschädigendem Verhalten und nachlässigem Gesundheitsbewusstsein aus. Beispiele hierfür sind ungesunde Ernährung und Zigarettenkonsum.

Der DGB-Index Report „Gute Arbeit“ bestätigt, dass die Arbeitsbelastungen in Deutschland gestiegen sind und die Gesundheit von Beschäftigten sich verschlechtert hat. Für fast zwei Drittel der Befragten hat die Arbeitsintensität im Vergleich zum Vorjahr zugenommen (Institut DBG-Index Gute Arbeit, 2013). Außerdem sehen sich fast die Hälfte der Probanden mutmaßlich nicht in der Lage, unter ihren derzeitigen Arbeitsbedingungen bis zum Rentenalter arbeitsfähig zu bleiben(Institut DBG-Index Gute Arbeit, 2013).

In sozialen Berufen wird Selbstfürsorge oft zu Gunsten des Engagements für Klienten vernachlässigt (Poulson, 2009, S. 15). Während die Erkennung von Bedürfnissen der Klienten eine Alltagsaufgabe darstellt, scheinen in der ‚Fürsorge für sich selbst‘ Defizite zu liegen und Belastungsgrenzen nicht wahrgenommen zu werden (Poulson, 2009, S. 15). Im Sozialwesen rechnen nur 24% der Beschäftigten damit, ihrem Job bis zur Rente in vollem Umfang nachgehen zu können(Institut DBG-Index Gute Arbeit, 2013). Dieses Ergebnis entspricht dem Wert des Leiharbeitersektors. Angesichts der schlechten Bedingungen von Leiharbeitsverhältnissen erscheint dieser Vergleich besorgniserregend. Die Arbeitsbedingungen im sozialen Bereich wurden mit „56 von 100 Indexpunkten“ im Branchenvergleich am schlechtesten bewertet (Institut DBG-Index Gute Arbeit, 2013). Verschiedene Studien belegen, dass der Krankenstand im Gesundheits- und Sozialwesen eher höher als der branchenübergreifende Durchschnitt einzustufen ist (Vergleiche zum Beispiel BKK Bundesverband, 2012). Betrachtet man speziell die Pflegeberufe, ist das Resultat noch negativer. 4/5 der Pflegekräfte „müssen hetzen, fühlen sich nicht leistungsgerecht bezahlt und werden es voraussichtlich nicht bis zum Erreichen des Rentenalters schaffen“ (Institut DBG-Index Gute Arbeit, 2013). Nach Ergebnissen des AOK Pflege-Reports bewerten Mitarbeiter der stationären Pflege ihre Gesundheit kritischer als Beschäftigte in den übrigen Wirtschaftszweigen. Dreiviertel der Befragten geben an, immer oder häufig unter gesundheitlichen Problemen zu leiden (AOK Bundesverband, 2011, S. 11). Der Gesundheitszustand von Pflegekräften verschlechtert sich vor allem mit zunehmenden Alter (AOK Bundesverband, 2011, S. 12). Dies lässt darauf schließen, dass die Belastungen in der Pflege wohl besonders hoch sind und mit zunehmendem Lebensalter schwerer zu bewältigen sind. Auch der Krankenstand liegt mit 5,75% über dem branchenübergreifenden Durchschnitt von 4,2% (AOK, 2012).

Neben den offiziell ermittelten Arbeitsunfähigkeitsdaten ist die Zahl an unterlassenen Krankmeldungen vermutlich hoch. Der Fehlzeiten-Report belegt, dass im Jahr 2009 71,2% der Beschäftigten krank zur Arbeit gegangenen sind(WIdO, 2010). Abbildung 4 zeigt, dass die Gründe hierfür hauptsächlich in den Arbeitsbedingungen oder der Stigmatisierung von Kranken liegen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Daten zu Präsentismus (Quelle: WIdO, 2010)

Da psychische Erkrankungen in der Arbeitswelt oftmals tabusiert werden, ist von einer besonders hohen Dunkelziffer auszugehen (Roschker, 2013, S. 46).

Ingesamt bleibt festzuhalten, dass ein hoher Anstieg an psychischen Erkrankungen zu verzeichnen ist, auch wenn ein Teil auf gesteigerte Behandlungsprävalenz zurückzuführen ist. Die veränderten Belastungsmuster in Arbeitswelten scheinen eine wesentliche Ursache zu sein. Ein Rückgang ist bisher nicht zu erwarten, die Belastungsfaktoren werden vermutlich in Zukunft eher noch an Intensität gewinnen. Zudem sind die Langzeitfolgen neuer Beschäftigungskonstellationen und atypischer Arbeitsverhältnisse längst noch nicht absehbar.

3.3.2 Auswirkungen auf Unternehmen

Für Unternehmen stellt Gesundheit einen betriebswirtschaftlichen Wert dar, denn Arbeitsunfähigkeit und Krankheitsfolgen verursachen Kosten und schmälern den Gewinn. Durch krankheitsbedingte Fehlzeiten werden betriebliche Abläufe gestört und die Produktivität herabgesetzt. Auch negative Auswirkungen auf die Kundenzufriedenheit aufgrund von Qualitätsverlusten sind möglich.

Die Arbeitsbedingungen nehmen wesentlichen Einfluss auf die emotionale Bindung zur Organisation. Geringe emotionale Bindung reduziert die Leistungsbereitschaft von Mitarbeitern und damit die Produktivität des Unternehmens. Nach der Gallup Studie (Siehe Anlage I) leisten 67% der Arbeitnehmer in Deutschland ‚Dienst nach Vorschrift‘ und weitere 17% haben bereits innerlich gekündigt (Gallup, 2014). Lediglich 16% der Beschäftigten sind emotional an die Organisation gebunden und setzen sich freiwillig für deren Ziele ein(Gallup, 2014). Für Unternehmen geht dadurch viel Potential verloren.

Geringe Verbundenheit zum Betrieb begünstigt einen Arbeitgeberwechsel. Nur 45% der Beschäftigten ohne emotionale Bindung planen in einem Jahr noch beim selben Arbeitgeber beschäftigt zu sein (Gallup, 2014). Abbildung 5 veranschaulicht die betrieblichen Folgen von Mitarbeiterfluktuation.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Ökonomische Folgen von Mitarbeiterfluktuation (Quelle: Gallup, 2014)

Demnach entstehen Kosten für die Neubesetzung durch Stellenausschreibung, Auswahlverfahren und Einarbeitung. Diese Summe beläuft sich schätzungsweise auf das Doppelte der reinen Gehaltskosten(Gallup, 2014). Der Wettbewerb verschärft sich, wenn Mitarbeiter zur Konkurrenz abwandern und dort Know-How einbringen. Auch für die verbleibenden Beschäftigten entstehen negative Folgen durch Mehrarbeit und schlechtes Betriebsklima. Für das Unternehmen ergeben sich direkte Kosten durch Imageverlust und Kundenabwanderung. Außerdem reduziert sich die Zufriedenheit des übrigen Mitarbeiterstammes und weitere Kündigungen sind denkbar.

Nach einer Erfassung der BKK sind Arbeitnehmer, die trotz psychischer Erkrankung arbeiten, rund 1,8 Stunden am Tag unproduktiv (BKK Bundesverband, 2005).

Zieht man beispielsweise den Gesundheitsreport der TK heran, waren Arbeitnehmer im Jahr 2012 durchschnittlich 14,2 Tage arbeitsunfähig gemeldet (TK, 2013). Wenn ein AU-Tag im Schnitt zwischen 200 und 400 Euro kostet (BAuA, 2006; Czycholl, 2012), hat das Unternehmen im Jahr mit 2800 bis 5680 Euro pro Mitarbeiter zu rechnen. Eine psychische Erkrankung dauert mit durchschnittlich 39,5 Tagen fast dreimal so lang wie andere Krankheiten (PsyGA, 2013) und kostet den Betrieb zwischen 5440 Euro und 10880 Euro.

Nach Roschker entstehen durch Präsentismus dreimal so hohe Kosten wie durch AU selbst, denn mangelnde Aufmerksamkeit und verminderte Leistungsfähigkeit führen zu Fehlern und Unfällen(Roschker, 2013, S. 46). Durch Verschleppung der Krankheit verlängert sich die Fehlzeit und erhöht sich die Ansteckungsgefahr (Roschker, 2013, S. 46).

Badura schätzt den Anteil krankheitsbedingter Kosten auf rund 10% der gesamten Personalkosten (Badura et al., 2010, S. 14). Nach Fissler setzen dementsprechende Arbeitsausfälle die Gesamtproduktivität um 12% herab(2010, S. 417).

3.3.3 Auswirkungen auf die Gesellschaft

Unternehmen tragen mit ihren erwirtschafteten Gewinnen zum gesellschaftlichen Wohlstand bei. Im Gegenzug haben auch Verluste Auswirkungen auf die Volkswirtschaft. Krankheitsbedingte Fehlleistungen führen zu einem Ausfall an Bruttowertschöpfung und damit zu einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Das BIP berechnet die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes und gilt damit als Indikator für Wohlstand(Horvath, 2014).

Tabelle 2 : Volkswirtschaftliche Kosten durch AU

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: BAuA, 2012)

Tabelle 2 stellt die volkswirtschaftlichen Kosten durch AU dar. In der BRD entstehen jährliche Produktionsausfallkosten von 53 Milliarden Euro. Der hieraus resultierende Ausfall an Bruttowertschöpfung beträgt 92 Milliarden Euro. Eine Differenzierung nach Krankheitsarten kann Tabelle 2 entnommen werden.

Neben krankheitsbedingtem Arbeitsausfall wird die Produktivität durch innerlich gekündigte Mitarbeiter herabgesetzt. Nach der Studie des Gallup Instituts belaufen sich die volkswirtschaftlichen Kosten hiervon auf 118,4 Milliarden Euro (Gallup, 2014).

Volkswirtschaftliche Kosten ergeben sich außerdem durch Auswirkungen auf die soziale Sicherung in Deutschland. Die BRD ist nach Artikel 20 und 28 des Grundgesetzes zum Sozialstaatsprinzip verpflichtet. Der Staat hat seinen Bürgern ein menschenwürdiges Dasein zu garantieren und sie in Notlagen zu unterstützen. Gesundheit wird im Sozialstaat als „öffentliches, schützenswertes Gut im Interesse der Gesellschaft“ (Roschker, 2013, S. 47) verstanden. Daher steht der Staat für die Gesundheit seiner Bürger ein. Die Zunahme an Krankheiten geht folglich mit erhöhten Staatsausgaben einher. Gesundheit wird deshalb zu einem bedeutenden volkswirtschaftlichen Faktor.

Übersteigt der Bedarf an Krankenbehandlung die Beitragszahlungen der Krankenversicherung, hat der Staat finanziellen Ausgleich zu schaffen. Frühberentungen verschärfen die Finanzierungsproblematik der Rentenversicherung, die aufgrund des demographischen Wandels ohnehin schon enorm ist. Arbeitnehmer, die länger als sechs Woche krank sind, erhalten anstelle ihres Gehalts Krankengeld vom Staat (Roschker, 2013, S. 47).

4 Subjektive Wirkung von Belastungen

Arbeit ohne jeglichen Stress ist nicht realisierbar und praxisfern. Von sog. ‚daily hassels‘ (zu Deutsch: Alltagsstress) bleibt wohl kein Mitarbeiter verschont. Arbeit ist immer mit gewissen psychischen, körperlichen oder psychosozialen Anstrengungen verbunden. Zahlreiche Studien belegen die Zunahme von Belastungen und Stress am Arbeitsplatz. Es ist allerdings nicht möglich, die Stressoren allgemeinverbindlich in Korrelation zur Inzidenz von Krankheiten zu setzen(Schneider, 2011, S. 67). Arbeit ist nicht zwangsläufig gesundheitsschädigend. Im Vergleich zu Arbeitslosigkeit ist sie sogar gesundheitsförderlich. Bei der Entstehung von Krankheiten kommt es vielmehr auf individuelle Persönlichkeitseigenschaften und Bewältigungsstrategien an.

Der erste Teil dieses Kapitels stellt die Wechselwirkung zwischen Belastung und Beanspruchung dar und erklärt allgemein die Wirkung von Bewältigungsfähigkeiten. Im zweiten Teil werden wesentliche Ressourcen zum Schutz vor Krankheit erläutert. Der dritte Teil beschäftigt sich mit dem Thema Resilienz.

4.1 Individuelle Bewältigungsfähigkeiten

Das Belastungs-Beanspruchungskonzept nach Rohmert und das transaktionale Stressmodell nach Lazarus erklären, weshalb Belastungen nicht auf alle Menschen gleich wirken. Beide Modelle beschreiben das Zusammenspiel von Belastungen und psychischer Bewältigung. Bei Inkongruenz zwischen Anpassungserfordernissen der Umwelt und Kapazitäten des Individuums entstehen negative Beanspruchungen (Uhle & Treier, 2011, S. 82). Demnach sind Gesundheit und Krankheit das „Resultat der dynamischen Wechselwirkungen von Beanspruchungs- und Erholungsprozessen“ (Rau, 2011, S. 83).

Nach dem Belastungs-Beanspruchungskonzept sind Belastungen neutrale Einflüsse und Beanspruchung die unmittelbaren subjektiven Auswirkungen(Resch, 2003, S. 36). Die körperlichen, seelischen und geistigen Beanspruchungsfolgen hängen von Bewertungen und Bewältigungsmechanismen ab(Dr. Berninger-Schäfer, 2013, S. 92).

Abbildung 4 veranschaulicht die beschriebene Wechselwirkung zwischen Belastung und Beanspruchung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Wechselwirkung zwischen Belastung und Beanspruchung (Quelle: eigene Darstellung angelehnt an Resch, 2003, S. 26)

Als gesundheitsschonend gilt allgemein das natürliche Gleichgewicht zwischen Arbeit und Erholung, also zwischen Anspannung und Entspannung(BGW, 2013). Da Beanspruchung und Erholung sich wechselseitig beeinflussen und in einem ausgewogenen Verhältnis stehen sollen, ist das Belastungs-Beanspruchungs- modell um den Aspekt der Erholung zu ergänzen (Rau, 2011, S. 91).

Beim transaktionalen Stressmodell steht die Entstehung von Stress im Vordergrund. Die Begriffe „Belastungen“ und „Stressoren“ werden synonym verwendet und sind negativ konnotiert. Belastungen werden bereits im Kontext der Umwelt und in der Einwirkung auf den Menschen zu abhängigen Variablen konditioniert (Uhle & Treier, 2011, S. 82). Die Bewertung der Belastung erfolgt zweitstufig. Zunächst werden die persönlichen Auswirkungen und anschließend die Bewältigungsmöglichkeiten reflektiert (Resch, 2003, S. 43).

Grundsätzlich ist das transaktionale Stressmodell in seinem Verständnis von Stress zu begrenzt. Lazarus versteht unter Stress eine „Beziehung zwischen Person und Umwelt, die von der Person als ihre eigenen Ressourcen auslastend oder überschreitend und als ihr Wohlbefinden gefährdend wahrgenommen wird“ (Lazarus & Folkman, 1984, S. 19). Lazarus Auffassung nach ist Stress immer schädigend. Grundsätzlich ist Stress jedoch nicht negativ, denn durch erhöhte Muskelspannung und erhöhten Herzschlag werden Energiereserven mobilisiert und der Körper in Reaktionsbereitschaft versetzt (DAK-Gesundheit praxis + recht, 2012). Physiologisch bezeichnet ‚Stress‘ eine langanhaltende Erregung des Sympathikus, einem Bestandteil des vegetativen Nervensystems (Dr. Berninger-Schäfer, 2013, S. 93). Selye unterscheidet in seinem Konzept ‚general adaption system‘ Stress in leistungsfördernden ‚Eu-Stress‘ und schädlichen ‚Di-Stress‘ (Winterhoff-Spurk, 2002, S. 146) . Eu-Stress entsteht, wenn die Belastung als Herausforderung erlebt wird. Der Mensch nimmt die Aufgabe trotz des Kraftaufwandes an. Der Stress kann bewältigt werden und bleibt ohne gesundheitliche Folgen. Diese Form von Stress kann sogar leistungsfördernde Effekte haben, denn der Mensch wird zu zusätzlichen Aktivitäten motiviert und nutzt Gegebenheiten aktiv für seine Ziele (Winterhoff-Spurk, 2002, S. 155). An dieser Stelle ist das sog. „Flow“-Konstrukt als die höchste Form der Eigenmotivation anzuführen (Uhle & Treier, 2011, S. 12). In diesem Zustand wird die Sinnhaftigkeit erkannt und der Mensch ist vollkommen durch seine Arbeit erfüllt. Wird eine Belastung jedoch als Bedrohung wahrgenommen, entsteht Di-Stress. Die gesundheitlichen Auswirkungen sind abhängig von den verfügbaren Ressourcen. Kann der Stress ausgeglichen werden, bleibt die Reaktion neutral. Ist die Situation nicht zu bewältigen, werden die psychischen Anpassungskapazitäten überfordert. Der Mensch fühlt sich belastet und angespannt und erlebt Gefühle wie „Ärger, Angst, Aggressivität, Hilflosigkeit und ihren physischen Korrelaten wie Herzklopfen, Magendrücken oder Schweißausbrüchen“ (Rensing, Koch, & Rippe, 2013, S. 4). Die Folgen sind außerdem Konzentrationsschwierigkeiten, Fehleinschätzungen und verminderte Leistungsfähigkeit (Siegrist & Luitjens, 2011, S. 16).

Kurz gesagt sind die gesundheitlichen Auswirkungen von Fehlbelastungen abhängig von Dauer und Intensität der Stressoren und intraindividueller Vulnerabilität und Bewältigung. Das Erleben von kurzzeitigem Stress mit angemessener Intensität und Dauer ist eine normale menschliche Reaktion. Werden Stresszustände häufig oder permanent hervorgerufen, kann die Gesundheit beeinträchtigt werden. Anhaltender Stress am Arbeitsplatz ist ein wesentlicher Faktor für das Auftreten von depressiver Stimmung (Poppelreuter & Mierke, 2012, S. 26).

4.2 Ressourcen als Widerstandskräfte

Antonovsky (*1923 †1994) gilt mit seinem Salutogenese Modell als Vorreiter für ressourcenorientiertes Denken im Gesundheitswesen. Anstatt nach den Ursachen für Krankheit zu fragen, beschäftigte er sich damit, weshalb Menschen trotz zahlreicher Belastungen gesund bleiben (Uhle & Treier, 2011, S. 74). Nach dem heutigen Stand ist man sich einig, dass die Ausprägung von protektiven Faktoren und Widerstandskräften einen wesentlichen Einfluss auf die Entstehung von Krankheiten hat.

Ressourcen sind persönliche und situative Bewältigungsmöglichkeiten, um Belastungen, Einschränkungen und Risiken ohne Schädigung der Gesundheit überstehen zu können (Grossmann & Scala, 2011, S. 17). Ressourcen begünstigen die Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen und dienen der Vermeidung von Unzufriedenheit und Frustration (Siegrist & Luitjens, 2011, S. 29). Damit entfalten sie eine Pufferwirkung gegenüber gesundheitsgefährdenden Faktoren und können Fehlbelastungen teilweise kompensieren (Uhle & Treier, 2011, S. 76). Das Salutogenese Modell von Antonovsky lässt sich gut auf die Arbeitswelt übertragen, denn hieraus entstehen oftmals Belastungen, denen mit Ressourcen entgegengewirkt werden muss. Unterschieden werden personale, soziale und organisationale Ressourcen.

Personale Gesundheitsressourcen sind feste Persönlichkeitseigenschaften, welche sich aus dem Wesen des Menschen selbst ergeben und von innen, aus der Person heraus, wirken(Uhle & Treier, 2011, S. 83). Nach Uhle & Treier zählen hierzu „Persönlichkeitseigenschaften, Wertvorstellungen, Kompetenzen“ (2011, S. 83). Genauer gefasst sind „Fach-, Methoden-, Sozial- und Persönlichkeitskompetenz“ gemeint (Uhle & Treier, 2011, S. 93). Bamberg, Ducki & Metz verstehen unter personalen Ressourcen „Zukunftsorientiertheit, Flexible Bewältigungsstile, Selbstregulationsfähigkeit, Dispositionellen Optimismus beziehungsweise Kohärenzerleben, Hardiness, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, Kontrollüberzeugungen und Erholungsfähigkeit“ (2011, S. 29). Nach Antonovsky ist die wichtigste Ressource der Kohärenzsinn, welcher durch die Komponenten Verstehbarkeit, Sinnhaftigkeit und Handhabbarkeit von Anforderungen charakterisiert ist (Uhle & Treier, 2011, S. 93ff). Daraus ergibt sich Handlungs- und Bewältigungsfähigkeit und ein positives, aktives Selbstbild, das einher geht mit der „Gewissheit, sich selbst und die eigenen Lebensbedingungen steuern und gestalten zu können“(Scharnhorst, 2012, S. 199). Nach Scharnhorst zählen gelingendes Stress- und Zeitmanagement, konstruktiver Umgang mit Konflikten und Work-Life-Balance zu den wesentlichen personalen Ressourcen(Scharnhorst, 2012, S. 135).

Soziale Ressourcen beziehen sich auf soziale Netzwerke im beruflichen Bereich (Vorgesetzte oder Kollegen) oder im Privatleben (Lebenspartner, Familie oder andere Personen) (Bamberg, Ducki & Metz, 2011, S. 29). Diese Menschen bieten Unterstützung und können helfen, Krisen schneller zu überwinden.

Organisationale Ressourcen sind arbeitsplatzbezogen und ergeben sich unmittelbar aus den betrieblichen Abläufen und Strukturen. Hierzu zählen „Aufgabenvielfalt, Tätigkeitsspielräume, Qualifikationsnutzung, Lernmöglichkeiten und Partizipationsmöglichkeiten“ (Bamberg, Ducki & Metz, 2011, S. 29).

Laut der INQA Studie ist die wichtigste Ressource für Arbeitnehmer soziale Unterstützung durch Kollegen, gefolgt von Wertschätzung und Anerkennung durch Führungskraft und anschließend hohe Entwicklungs-, Einfluss- und Lernmöglichkeiten(INQA, 2006).

Während personale Ressourcen größtenteils genetisch veranlagt sind, können soziale und organisationale Ressourcen aktiv beeinflusst und gefördert werden. Ein BGM sollte die Unterstützungsfaktoren der Mitarbeiter zum Beispiel durch einen Ressourcenworkshop erfassen und gezielt fördern, da sich hieraus viele Potentiale zur Steigerung des Wohlbefindens und der Arbeitszufriedenheit ergeben. Soziale Ressourcen können im betrieblichen Kontext durch wertschätzende Führung, offene Gesprächskultur und gutes Betriebsklima gestärkt werden. Organisationale Ressourcen werden durch gesundheitsgerechte Gestaltung von Abläufen, Arbeitsumgebung und Aufgaben gefördert. Auch BGF und eine positive Gesundheitskultur stellen wesentliche organisationale Ressourcen dar und begünstigen die Bewältigungsfähigkeit und die Vorbeugung von Krankheiten.

4.3 Resilienzfähigkeit

In der Psychologie wird die Widerstandsfähigkeit gegenüber äußeren Belastungen als Resilienz bezeichnet. Das Resilienzkonzept betrachtet das Zusammenspiel aus Persönlichkeitseigenschaften und äußeren Bedingungen(Dr. Berninger-Schäfer, 2013, S. 77). Im Gegensatz zu Kapitel 4.2 geht es primär um internale Faktoren. Resilienz bezeichnet die „Fähigkeit, Krisen durch Nutzung persönlicher und sozial vermittelter Ressourcen zu meistern und sich dabei weiterzuentwickeln“ (Siegrist & Luitjens, 2011, S. 23). Eine Rolle spielt das „Zusammenspiel zwischen Umgebung, Vorerfahrungen, und der Art und Weise, wie Krisen und Belastungen verarbeitet werden“(Siegrist & Luitjens, 2011, S. 25). Resiliente Menschen können durch emotionale und kognitive Auseinandersetzung eine Krisensituation bewältigen und erleben negative Gefühlszustände nur kurzfristig (Siegrist & Luitjens, 2011, S. 33). Resilienz entwickelt sich im Laufe des Lebens und wesentlich aus der Notwendigkeit, Probleme zu bewältigen (Dr. Berninger-Schäfer, 2013, S. 77). Resilienz kann aktiv weiterentwickelt und gestärkt werden, genetisch veranlagte Vulnerabilität spielt nur eine gewisse Rolle. Als Resilienzfaktor gilt eine „stabile Persönlichkeit, die auch in Krisen das innere Gleichgewicht behält“ (Siegrist & Luitjens, 2011, S. 40). Durch emotionale Stabilität werden eigene Gefühle kontrolliert und Misserfolge schneller überwunden (Siegrist & Luitjens, 2011, S. 42). Daraus ergibt sich die Fähigkeit zur Selbstreflexion und ein gesundes Selbstbewusstsein (Siegrist & Luitjens, 2011, S. 42). Kognitive Fähigkeiten können Gedanken bewusst über flexible und zielgerichtete Denkmuster steuern und das Erleben positiv beeinflussen(Siegrist & Luitjens, 2011, S. 44). Kontaktfähigkeit trägt dazu bei, tragfähige und stabile Beziehungen aufzubauen. Diese bieten in Krisenzeiten großes Unterstützungs-potential (Siegrist & Luitjens, 2011, S. 47). Daneben ist eine proaktive Grundhaltung, das heißt eine „aktive und initiative Rolle und die selbst-verantwortliche Steuerung von Reaktionen“ (Siegrist & Luitjens, 2011, S. 49) ein wesentlicher Resilienzfaktor. Durch Selbstverantwortung trifft das Individuum eigene Entscheidungen und handelt autonom (Siegrist & Luitjens, 2011, S. 50).

Einschlägig für die Resilienztheorie ist das ‚tragfähige Sinnkonzept‘ von Viktor Frankl. Demnach muss das Leben auch dann einen Sinn haben, wenn sich gewöhnte Umstände schlagartig verschlechtern (Siegrist & Luitjens, 2011, S. 52). Entscheidend ist die Fähigkeit zur Akzeptanz und zur Lösungsorientierung, denn dadurch verliert die Belastung ihre Dynamik und es kann die Gegenwart und Zukunft fokussiert werden (Siegrist & Luitjens, 2011, S. 54).

In Organisationen stellen resiliente Mitarbeiter einen wichtigen Erfolgsschlüssel dar, denn sie können Belastungen überwinden und gleichzeitig ihre eigenen Ressourcen weiterentwickeln (Dr. Berninger-Schäfer, 2013, S. 78).

Resilienzförderung durch emotionale Unterstützung durch die Führungskraft oder Selbstreflexionstraining erscheint daher gewinnbringend.

5 Einschlägige Theorien, Modelle und Ansätze

Die Arbeitspsychologie und die Arbeitswissenschaft stellen ein breites Repertoire an Modellen und Theorien für die Entstehung von psychischen Belastungen durch die Arbeit bereit. In Kapitel 4.1 wurden das transaktionale Stressmodell beziehungsweise das Belastungs-Beanspruchungskonzept und das Salutogenese Modell dargestellt. In diesem Kapitel werden weitere gesundheitsrelevante Lehrsätze herangezogen. Andere theoretische Konstrukte wie Lerntheorien oder Modelle zur gesundheitlichen Verhaltensänderung und allgemeine psychologische Erkenntnisse ohne Bezug zur Arbeitswelt bleiben in dieser Arbeit unerwähnt.

Im ersten Teil dieses Kapitels werden die Theorien Person-enviroment-fit und Job-demand-control, die Handlungsregulationstheorie und das Modell der Gratifikationskrisen erläutert. Im zweiten Abschnitt werden diese Lehrsätze hinsichtlich Praxisrelevanz und Alltagstauglichkeit bewertet.

5.1 Einschlägige Arbeitspsychologische Theorien

Im Folgenden werden vier ausgewählte arbeitspsychologische Modelle vorgestellt. Diese Annahmen erklären, wie psychische Belastungen durch ungünstige Arbeitsbedingungen entstehen. Die Konzepte definieren jeweils verschiedene Ursachen für die Entstehung von Fehlbelastungen. Damit liegt jeder Theorie ein anderes Verständnis von gesundheitsgerechter Arbeitsgestaltung zu Grunde.

Die erste Theorie ist das Person-enviroment-fit Modell der Michigan-Schule. Hierbei entstehen gesundheitliche Beeinträchtigungen durch eine unausgeglichene Person-Umwelt-Beziehung und mangelnde Sinnerfüllung (Richter et al., 2011, S. 34). Diese Lehre fordert also die Übereinstimmung zwischen Person und Arbeitsumgebung. Bei einer Diskrepanz entsteht gesundheitsschädigender Stress (Richter et al., 2011, S. 34). Als Indikatoren für gesundheitsgerechte Arbeitsbedingungen können die Übereinstimmung zwischen Anforderungen und Arbeitsfähigkeit und die Erfüllung arbeitsbezogener Bedürfnisse und Erwartungen betrachtet werden (Richter et al., 2011, S. 34).

Das Job-Demand-Control Modell nach Karasek beschäftigt sich mit der Kombination aus Tätigkeitsspielraum und Arbeitsintensität (Richter, et al., 2011, S. 36). Demnach stehen psycholgischen Anforderungen, wie zum Beispiel Zeitdruck, mögliche Kontroll- und Einflusschancen gegenüber.

Da dieses Modell den individuellen Umgang mit Belastungen nicht aufgreift, erweiterte Johnson dieses Konstrukt 1989 unter Einbeziehung von Ressourcen(Peter, 2012, S. 80).

Nach der Handlungsregulationstheorie von Leontjew (1982) entstehen förderliche Bedingungen aus einer Balance aus Regulationsanforderungen und Regulationsmöglichkeiten und geringen Regulationshindernissen (Resch, 2010, S. 98f). Unter Regulationserfordernissen werden konkret Planungs- und Denkanforderungen verstanden(Resch, 2010, S. 99). Arbeit muss so gestaltet sein, dass Potentiale menschlichen Handelns unterstützt und gefördert werden. Hierzu gehört Zielbildungs- und Entscheidungskompetenz und ganzheitliche Durchführung eines Prozesses (Richter et al., 2011, S. 39). Regulation ist definiert als die „psychische Steuerung des Handelns“. (Resch, 2003, S. 38). Hohe Regulationserfordernisse bieten großen Entscheidungs- und Handlungsspielraum und gelten als Indiz für menschengerechte Arbeitsgestaltung (Resch, 2003, S. 39). Im Gegenzug gilt eine Arbeit mit geringen Regulationserfordernissen als veränderungswürdig (Resch, 2003, S. 39). Regulationsbehinderungen treten auf bei einem Widerspruch zwischen den Arbeitsbedingungen und den Aufgabenzielen (Resch, 2003, S. 39). Hierzu gehören Regulationshindernisse und Regulationsüberforderungen (Resch, 2003, S. 75). Dieser Ansatz weist viele Ähnlichkeiten zu dem „Konzept der vollständigen Tätigkeit“ der Dresdner Arbeitspsychologie auf, wonach vollständige Tätigkeiten mit optimalen Arbeitsaufgaben unter guten Arbeitsbedingungen in einem fördernden Arbeitsumfeld die Gesundheit verbessern (Resch, 2003, S. 41).

Das Modell der Gratifikationskrisen (Effort-Reward-Imbalance Modell) nach Siegrist (1996) sieht die Ursache psychischer Belastungen in einem Mangel an Vergünstigungen. Als Arbeitsanforderungen werden Anweisungen oder Arbeitsplatzbeschreibungen definiert (Scharnhorst, 2012, S. 99). Als Belohnungen für die Arbeitsleistung kommen „Gehalt, Anerkennung, Status, Karrieremöglichkeiten und Arbeitsplatzsicherheit“ (Scharnhorst, 2012, S. 99) in Betracht. Erlebt der Arbeitnehmer subjektiv ein Ungleichgewicht, das heißt entspricht die Belohnungsseite nicht der Anforderungsseite, kommt es zu einer Gratifikationskrise (Scharnhorst, 2012, S. 100). Verschiedene Studien bestätigen diese Annahme, da der Zusammenhang zwischen Gratifikationskrisen und emotionaler Erschöpfung, psychosomatischen Beschwerden, Depressionen und koronaren Herzerkrankungen wissenschaftlich nachgewiesen werden konnte (Scharnhorst, 2012, S. 100).

Janssen, Kentner & Rockholtz vereinen die genannten Theorien in ihrer Definition. Demnach ist Arbeit gesundheitsfördernd, wenn:

- sie technisch sicher und ergonomisch beanspruchungsarm ist
- sie der Qualifikation der betroffenen Person entspricht
- ihre Zusammenhänge im Betriebsablauf erkennbar sind
- die Entscheidungs- und Gestaltungsräume groß genug sind
- Routine, Kreativität und Motorik angemessen gefordert werden
- sie möglichst störungsfrei erfüllt werden kann
- materielle und immaterielle Anreize vorhersehbar sind und als gerecht empfunden werden
- sie in einem Klima gegenseitiger Unterstützung verrichtet wird und
- eine persönliche Entwicklungsperspektive bieten

(Janssen, Kentner & Rockholtz, 2004, S. 42)

5.2 Bewertung der Theorien

Jede der genannten Modelle besitzt ihre Berechtigung. Für ein grundsätzliches Verständnis der gesundheitlichen Auswirkungen von Arbeitsbedingungen erscheinen die angeführten Lehrmeinungen geeignet. In der Praxis kann die Entstehung von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz meist nicht mit einer einzigen Theorie geklärt werden. In der Regel spielen mehrere Faktoren zusammen und Ursachen treten kombiniert auf. Zudem wird der Einfluss von sozialen Aspekten wie Betriebsklima oder Führungsstil vernachlässigt. Gerade diesen Komponenten wird in der Praxis aber eine entscheidende Bedeutung zugeschrieben.

Die Definition von Janssen, Kentner & Rockholtz vereint verschiedene Kriterien gesundheitsgerechter Arbeitsgestaltung und bezieht gleichzeitig soziale Aspekte mit ein. Daher kann diese Theorie als umfassend und vielschichtig bezeichnet werden. Objektiv betrachtet ist eine Arbeit unter den genannten Kriterien wünschenswert.

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Ende der Leseprobe aus 151 Seiten

Details

Titel
Gesundheitsmanagement in sozialen Einrichtungen
Untertitel
Implementierung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements aufgezeigt an einer Werkstätte für Menschen mit Behinderung
Hochschule
Duale Hochschule Baden-Württemberg Heidenheim, früher: Berufsakademie Heidenheim
Note
1,4
Autor
Jahr
2014
Seiten
151
Katalognummer
V279112
ISBN (eBook)
9783656721383
ISBN (Buch)
9783656723233
Dateigröße
7800 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gesundheitsmanagement, demographischer Wandel, Employer Branding, Gesundheitsförderung, Mitarbeiterbindung
Arbeit zitieren
Linda Pollner (Autor:in), 2014, Gesundheitsmanagement in sozialen Einrichtungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/279112

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