List und Lüge in Phaedrus' Fabeln


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

21 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Fabeln in der Antike
1) Griechische Fabeln
2) Lateinische Fabeln

Phaedrus
1) Biographisches
2) Besonderheiten seiner Fabeln

Definition der Lüge

Die List in Phaedrus‘ Fabeln
1) Lüge
2) List

Fazit

Quellenangabe

Anhang
1) Der Aufbau der Fabel
2) Versmaß der Fabeln des Phaedrus

Fabeln in der Antike

Die Beschäftigung mit der Fabel der Antike birgt durch die Bruchstückhaftigkeit des Materials von vornherein Schwierigkeiten. Dies ist zum einen durch den unklaren Forschungsstand bedingt, zum anderen dadurch, dass diese Art des Erzählens zu ihrer Zeit nicht als literarische Gattung angesehen wurde, sondern zur Verdeutlichung von Aussagen herangezogen wurde.[1] Diese Gebrauchstexte, wie Holzberg sie nennt, wurden vielfach verändert, angepasst und neu angeordnet, so dass heute nicht über die Intention des Autors bei diesem Vorgang gesprochen werden kann, sondern die Willkür oder Absicht der Bearbeiter im Vordergrund stehen. Dennoch liefert die Fabel als Gattung einige Gemeinsamkeiten: Generell handelt es sich dabei um „die Erzählung einer konkreten Handlung, aus der eine allgemeine Wahrheit der Moral oder Lebensklugheit durch die aktive Tätigkeit des Geistes der Zuhörer gewonnen werden soll“[2], sie besitzt also eine Doppelnatur durch eine lehrende, wie auch eine erzählende Komponente. Bereits in der Antike entwickelten sich gewisse Grundzüge, die die Fabel als Gattung prägten, beispielsweise ihre Kürze, die häufige Verwendung von Tieren als Personifizierung menschlicher Handlungsmuster und Eigenschaften, der Aufbau[3] mit einem moralischen Lehrsatz als Pro- oder Epimythion, sowie der die Allegorie belebende Witz.

Das Verstehen von Fabeln wird hauptsächlich durch eigene Erfahrungswerte des Lesers gewährleistet, der durch seine Erlebnisse und Kenntnisse in der Lage ist, die zweite Ebene der Fabel umzumünzen.

Grundsätzlich unterscheiden muss man jedoch die griechischen und römischen Fabeln der Antike[4].

1) Griechische Fabeln

Zum ersten Mal erörtert wird die Fabel als literarische Gattung bei Aristoteles. In seiner „Rhetorik“[5] nennt er sie als Erzählform, die innerhalb einer Argumentation als Beweismittel fungieren kann. Zur Bezeichnung der Fabel verwendet er hierbei das griechische Wort λόγος[6], das jedoch keinesfalls eindeutig ist. Desweiteren findet man in der griechischen Literatur die Bezeichnungen αἶνος[7] und μῦθος[8] [9], die ebenfalls mehrere Bedeutungsaspekte haben.

Im weiteren Verlauf der Fabelgeschichte findet sich die Veröffentlichung einer Fabel des Aesop[10] durch Demetrios von Phaleron[11] als nächstes Zeitzeugnis, wobei es sich vermutlich um das erste griechisch-römische Fabelbuch der Antike handelt.[12] Doch bereits Hesiod war auf diesem Gebiet tätig und hinterlässt in seinem „Werke und Tage“ eine Fabel von „Nachtigall und Habicht“[13], die wiederum altorientalische Vorgänger zu haben scheint.

Bis heute wird angenommen[14], dass diese Gattung vom Nahen oder Fernen Osten nach Griechenland kam. Allerdings gibt es zahlreiche Beweise - beispielsweise aus der ägyptischen und chinesischen Literatur – die zweifellos bestätigen, dass es Fabeln bei nahezu allen Völkern gegeben haben muss. Eventuell liegt ihr Auftauchen in der Veränderung der Gesellschaft und der damit verbundenen Verschärfung gesellschaftlicher Gegensätze begründet – gesichert ist dieses Wissen jedoch nicht.

Während die Fabel laut Aristoteles also anfangs hauptsächlich zum Erreichen bestimmter Zwecke eingesetzt wurde, galt sie bald auch als gute Rhetorikübung, Überträger von Lebensweisheiten und Manipulationsmittel. Das Besondere hierbei war, dass sie ein sehr breit gefächertes Publikum ansprach. Während die meiste Literatur dem gehobenen Volk vorbehalten war, erfasste die Fabel auch die unteren Schichten und verhalf durch ihr Wesen auch wenig Gebildeten zu Erkenntnissen.[15]

Der bekannteste griechische Fabeldichter ist Aesop, über den biographisch nur wenig bekannt ist – er soll ein Sklave von Missgestalt gewesen sein, der im 6.Jahrhundert vor Christus als einfacher Mann in Griechenland lebte und aufgrund seines Talents für pointierte Erzählungen befreit wurde. Bereits zu Lebzeiten erntete er wohl auch Neid und Missgunst, so dass er vielleicht wegen seiner Witze, vielleicht aus Eifersucht in Delphi von den dortigen Einwohnern getötet worden sein soll; bis heute steht nicht fest, ob es sich bei Aesop überhaupt um eine historische Person handelt.[16] Fest steht jedoch, dass die Fabel in dieser Zeit prosaisch war, in mündlicher Tradition stand und auch lateinische Fabeldichter später auf ihn zurückgriffen. Besonders Phaedrus orientiert sich stark an ihm.

2) Lateinische Fabeln

Seinen etymologischen Ursprung hat die Fabel trotz ihrer griechischen Anfänge[17] im Lateinischen, auch wenn das Wort fabula [18] als Namengeber ebenso wenig eindeutig ist, wie seine griechischen Vorgänger.

Sehr früh erschien die Fabel als literarische Gattung in der römischen Literatur, zum Beispiel bei Ennius, Horaz und Lucilius. Sie alle nutzten die Fabel als Lehrstück innerhalb eines Prosa- oder Poesietextes, um eine Botschaft zu transportieren – oft aus aktuellem politischem Anlass und in Verssatiren.

Erst Phaedrus, „der die Fabel durch dichterische Formung ‚literaturfähig‘ machte“[19], schuf jedoch ein reines Fabelbuch auf Latein. Probleme mit der Oberschicht aufgrund ihrer zweideutigen Inhalte und Anspielungen hatten seine Vorgänger, wie er gleichermaßen.

Phaedrus

1) Biographisches

Phaedrus, dessen vollständiger Name[20] bis heute unbekannt ist, ist wohl der erste antike Schriftsteller, der ein komplettes Buch voller Fabeln in Versform verfasste. Leider ist über sein Leben sehr wenig bekannt, da er von seinen Zeitgenossen mit Ignoranz gestraft wurde, weshalb diese lediglich spärliche Informationen über ihn weitergaben.[21]

Was bekannt ist, stammt hauptsächlich aus den fünf Fabelbüchern des Phaedrus selbst: er wird wohl als Sklave in Thrakien, vermutlich Pydna, geboren, „erhält aber eine lateinische Schulbildung“[22], kommt dann nach Rom[23], wo er von Augustus freigelassen wird, hat also wohl an dessen Hof gedient. Wahrscheinlich nahm er dort eine pädagogische Funktion ein.[24] Seine Fabelbücher verfasste er allerdings wohl zur Zeit des Tiberius und Caligula, als er bereits frei war.

Nach Augustus‘ Tod im Jahr 14 nach Christus kam Tiberius an die Macht und mit ihm auch sein Präfekt Seianus, welcher Phaedrus wegen einer scheinbaren Ehrverletzung anklagte und schließlich als einziger Zeuge über den Fabeldichter richtete. „Doch hat er nicht so schwer darunter gelitten, daß er nicht weiter als Schriftsteller hätte öffentlich hervortreten können.“[25] Wahrscheinlich hat Phaedrus die Veröffentlichung des fünften Fabelbuches seines Werkes noch miterlebt, ehe er in Rom getötet wurde, nachdem er sich den Zorn der Oberen zuzog. Aus diesen Angaben datiert man sein Leben zwischen 15 vor und 51 nach Christus.

2) Besonderheiten seiner Fabeln

Da uns im Gegensatz zu seinen Lebensdaten die Fabeln des Phaedrus vorliegen, kann über sie wesentlich mehr ausgesagt werden. Lediglich über den Aufbau können keine eindeutigen Angaben gemacht werden, da die fünf Fabelbücher nicht vollständig zu sein scheinen.[26]

Obwohl Phaedrus in seinem ersten Prolog erwähnt, dass er eigentlich nur Aesops Fabeln in Jamben wiedergeben möchte, wird er von Buch zu Buch selbstständiger. Alle seine Fabeln sind in jambischen Senaren[27] geschrieben; er ist der erste, der Fabeln in Versform wiedergibt.

Analog zum allgemeinen Aufbau der Fabel[28] zeigt auch Phaedrus seine Lehre in jeder Fabel entweder in einem Epi- oder Promythion. Mehrdeutigkeiten weist er auf die Wesenhaftigkeit des Lebens selbst zurück. Grundsätzlich ist auch die brevitas als Merkmal seiner Fabeln zu sehen, wobei die Kürze bei Phaedrus eine relative Angabe ist und mitunter 60 oder gar mehr Zeilen meinen kann.

Stilistisch sind Phaedrus‘ Erzählungen schlicht gehalten; er arbeitet zwar mit variationes, Personifikationen und Abstrakta, hält aber sonst klare Formulierungen ein.

Weshalb er ausgerechnet Fabeln gewählt hat, um seine Gedankenwelt zu Papier zu bringen, erklärt Phaedrus ebenfalls:

Servitus obnoxia, quia quae volebat non audebat dicere, affectus proprios in fabellas transtuli calumniamque fictis elusit iocis.[29]

Ein häufig thematisierter Aspekt innerhalb Phaedrus‘ Parodien auf die Staatsmänner seiner Zeit ist die Lüge, beziehungsweise List, die als negativ geprägte Eigenschaft selbstverständlich einen großen Stellenwert darin hat und nachfolgend näher beleuchtet werden soll.

Definition der Lüge

Einen ersten Anhaltspunkt zur Definition der Lüge bietet der Kirchenvater Augustinus in seinem nach ihr benannten Buch mit dem Titel de mendacio, bei dem es sich zusammen mit seiner Gegenschrift contra mendacium um die ersten monographischen Abhandlungen über dieses Thema handelt. Doch auch in seinen übrigen Werken erwähnt dieser die Lüge häufig und benennt die für ihn charakteristischen Merkmale. Zum einen ist ein Lügner für Augustinus niemand, der seine wahre Meinung oder Überzeugung zum Ausdruck bringt; in seinen Augen sind Lügner vielmehr Verleugner ihrer wahren Gedanken, die Dinge aussprechen, welche ihrem Denken widerstreben. Lügen ist für Augustinus also das Gegenteil von „die Wahrheit auszusprechen“.

[...]


[1] Vgl. hierzu Holzberg, Niklas, Die antike Fabel, Darmstadt ²2001, S.1ff.

[2] Vgl. Wienert, Walter: Die Typen der griechisch-römischen Fabel, in: FF Communications, Vol. XVII, No. 56, Helsinki 1925, S.8.

[3] Siehe Anhang 1

[4] Auf die Fabeln weiterer antiker Völker wird hier nicht detaillierter eingegangen, da sie den Rahmen der Arbeit sprengen würden.

[5] Siehe N. Holzberg, a.a.O., S.13f. zur Erläuterung dieser Stelle der „Rhetorik“.

[6] Zum genauen Bedeutungsumfang der Bezeichnung siehe: Wilhelm Pape: Handwörterbuch der griechischen Sprache. Braunschweig 31914, Band 2, S. 58-61, s.v. λόγος.

[7] Zum genauen Bedeutungsumfang der Bezeichnung siehe: Wilhelm Pape: Handwörterbuch der griechischen Sprache. Braunschweig 31914, Band 1, S. 58, s.v. αἶνος.

[8] Zum genauen Bedeutungsumfang der Bezeichnung siehe: Wilhelm Pape: Handwörterbuch der griechischen Sprache. Braunschweig 31914, Band 2, S. 215, s.v. μῦθος.

[9] Zum Wortumfang dieser griechischen Bezeichnungen vgl. DNP Bd. 4, 1998, Sp. 355ff.: Die Griechen nannten die Fabel αἶνος, λόγος und μῦθος. Mit der Bezeichnung αἶνος (nur in archaischer Zeit benutzt), unterstrichen sie die paränetische und ermahnende Funktion. Der vom 6. Jh. an (Aisopos) benutzte Begriff λόγος betonte das Element. Der Terminus μῦθος, der vom 5. Jh. an auf die nicht-äsopische Fabel und von Platon an auch auf die äsopische angewandt wurde, hob das Element hervor. In der Schule der Kaiserzeit dominierte der Begriff μῦθος, der den Terminus λόγος zu Beginn der byzanthinischen Zeit endgültig ersetzte.

[10] Aesop oder auch Aisopos ist der Produzent der meisten griechischen Fabeln. Ob es sich dabei um eine Person handelt, ist nicht klar, da keine historischen Zeugnisse vorhanden sind. Vermutet wird nach mehreren Quellen (vgl. hierzu DKP, s.v. Aisopos), dass er Sklave des Samiers Iadmon war und wohl um das 6.Jh. vor Christus gelebt haben soll.

[11] Demetrios von Phaleron wurde vor 344 v.Chr. geboren und war sowohl Staatsmann, als auch Philosoph. Dass er Aesops Fabeln erstmals zusammenfasste und veröffentlichte, berichtet Diogenes Laertios (5,80). Er galt als literarisch äußerst begabt und auch in der Staatslenkung sehr versiert, vgl. hierzu DKP, s.v. Demetrios von Phaleron.

[12] Vgl. hierzu N. Holzberg, a.a.O. S.13.

[13] Siehe Schönberger, Otto (Hrsg.): Hesiod - Werke und Tage (griechisch-deutsch) Ditzingen 1995, S. 202-212.

[14] Zu dieser Annahme vgl. Schnur, Harry (Hrsg.): Fabeln der Antike: Griechisch - Lateinisch – Deutsch, München 21985, S.10f.

[15] Vgl. hierzu Irmscher, Johannes (Hrsg./Übers.): Sämtliche Fabeln der Antike, Köln 2006, V f.

[16] Vgl. hierzu N. Holzberg, a.a.O., S.16.

[17] Auch weitere Ursprünge sind vorhanden, die griechischen dominieren jedoch die Entwicklung der Fabel.

[18] Lat. Wörterbuch Bedeutung?

[19] H. Schnur, a.a.O., S.22.

[20] Vgl. DKP, in welchem erwähnt wird, dass er evtl. C. Iulius Phaedrus geheißen haben könnte; in Inschriften findet man den Namen Phaeder (evtl. Umgangssprache), griechisch lautete sein Name wahrscheinlich Phaidros. Vgl. hierzu auch Schönberger, Otto, S.216.

[21] Martial nennt Phaedrus in seinem Buch einen improbum, Avianus erwähnt seine fünf Fabelbücher, weitere Literaturquellen sind nicht bekannt (vgl. Schönberger, Otto S.215ff.).

[22] Albrecht, Michael von: Geschichte der römischen Literatur, Bd. 2 ; München ²1994, S.794: die zahlreiche Verwendung von Zitaten und Inhalten römischer Schriftsteller, wie Lukrez, Catull, Vergil u. w., lässt auf die Kenntnis der römischen Literatur schließen. Vgl. hierzu auch Schönberger, Otto, a.a.O., S.216.

[23] Diese Annahmen sind aus Phaedrus‘ Fabeln abzuleiten, in welchen er erwähnt, dass er als Schüler Ennius gelesen habe und auch, dass er aus dem Sklavenstand die Freiheit erlangte.

[24] Vgl. hierzu DNP, s. v. „Phaedrus“

[25] Siehe Lexikon der Alten Welt (LAW), 1965, Sp. 2279, s.v. „Phaedrus“. Womit Phaedrus genau bestraft wurde, ist bis heute unklar, scheinbar hatte es jedoch keinerlei Auswirkungen auf sein schriftstellerisches Tun.

[26] Der variierende Umfang der Bücher, sowie der Appendix Perottina, ein 32 Fabeln umfassender Anhang, der erst 1470 durch den Humanisten Nicola Perotti beigefügt wurde, untermauern diese Vermutung. Desweiteren entschuldigt sich Phaedrus im Prolog zu Buch I dafür, dass er Bäume sprechen lassen würde, was in der uns erhaltenen Sammlung des Codex Pithoeanus nicht der Fall ist. Dies ist ein weiteres Indiz für die Unvollständigkeit dieser Anordnung.

[27] Siehe Anhang 2.

[28] Siehe Anhang 1.

[29] Phaedrus Prol. III, 34-36.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
List und Lüge in Phaedrus' Fabeln
Hochschule
Universität Konstanz
Autor
Jahr
2010
Seiten
21
Katalognummer
V278991
ISBN (eBook)
9783656720249
ISBN (Buch)
9783656720331
Dateigröße
595 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
list, lüge, phaedrus, fabeln
Arbeit zitieren
Katharina Los (Autor:in), 2010, List und Lüge in Phaedrus' Fabeln, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/278991

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