Arzt und Patient. Ethische Standpunkte und Entwicklungen


Essay, 2007

13 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Hinführung

II. Modelle der Arzt-Patienten-Beziehung

III. Die ärztliche Verantwortung

IV. Allokationsethische Aspekte der Rationierung

V. Die ärztliche Verantwortung

VI. Arzneimitteltherapie
Anhang

VII. Quellenangabe

I. Hinführung

„Im Herzen wächst der Arzt, aus Gott geht er, des natürlichen Lichts ist er, und der höchste Grad der Arznei ist die Liebe.“

So sprach bereits Paracelsus. Doch was ist in den letzten 500 Jahren geschehen, was uns an diesem Ausspruch zweifeln lässt? Gerade in der heutigen Zeit des gesundheitspolitischen Umbruchs wird immer wieder über das Verhältnis zwischen Arzt und Patient debattiert, welches unter der ständig wachsenden Bürokratie und dem damit verbundenen Zeitdruck des Arztes während der Behandlung zunehmend leidet. Kann hier noch von Liebe gesprochen werden?

Um diesbezüglich einen repräsentativen Überblick über die verschiedenen Meinungen der Patienten zu gewinnen, führte ich in diversen Bruchsaler Arzt- und Physiotherapiepraxen eine Umfrage (siehe Anhang Seite 1-2) durch, welche die ganze Situation aus Sicht der Patienten schildert. Besondere Auffälligkeiten werden später detaillierter erläutert.

Im Nachhinein erfuhr ich, dass der MEDI-Gesundheitsverbund analog zu dieser Umfrage in ganz Baden-Württemberg eine anonyme Befragung (siehe Anhang Seite 3-4) der Patienten im Zuge der Erscheinung des „Ärztehasserbuches“ von Werner Bartens startete. Auch diese Ergebnisse, sowie der Standpunkt der Ärzte werden im Zusammenhang etwas genauer beleuchtet.

Ich möchte mich im Folgenden nicht nur auf empirische Meinungen stützen, sondern auch die ethische Vertretbarkeit dieser Neuerungen diskutieren, sowie die Entwicklung dieser Beziehung über viele Jahrtausende hinweg im Kontext erörtern. Immerhin finden wir bereits bei Platon, Hippokrates und anderen Philosophen der Antike eine ausführliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik.

Aufgrund der Vielzahl von Erkrankungen und der mannigfachen Fachrichtungen der Ärzte, sowie wegen der vielen verschiedenen Situationen ist diesbezüglich leider keine Spezialisierung möglich. Ebenso kann nachfolgend nur eine winzige Auswahl philosophischer Meinungen im Ansatz wiedergegeben werden, da auch die Philosophen sich schon seit vielen Jahrhunderten über die moralisch-ethische Seite der Arzt-Patienten-Beziehung Gedanken machen.

II. Modelle der Arzt-Patienten-Beziehung

Laut Dr. Ezekiel J. und Dr. Linda L. Emanuel, zwei englischen Bioethikern, werden vier Modelle der Beziehung zwischen Arzt und Patient unterschieden, welche die beiden in ihrer Schrift „Four models of the physician-patient relationship“ veröffentlichten.

Das deliberative Modell:

Das erste Modell ist das so genannte deliberative Modell. Hier hat die Interaktion zwischen Arzt und Patient die gemeinsame Suche und Auswahl der bestmöglichen Therapie als höchstes Ziel. Der Arzt nimmt die Funktion eines weisen Freundes ein, der sich in einem gleichberechtigten Gespräch mit dem Patienten unterhält und ihn nicht durch seine fachliche Meinung beeinflusst.

Das paternalistische Modell:

Das zweite, so genannte paternalistische Handlungsmodell beruht auf dem Paternalismus, einem Handlungsprinzip, das bei ärztlichen Entscheidungen auf die Zustimmung des Patienten verzichtet. Der Arzt überprüft also zuerst den Gesundheitszustand des Patienten und sucht in seinem Wissen nach der besten Möglichkeit, die Krankheit zu heilen oder den Schmerz zu mildern. Dann teilt er seine Entscheidung dem Patienten mit, der sich voll und ganz auf die Kompetenz des Arztes verlässt und seine Therapie- und Medikationsvorschläge annimmt.

Das Informationsmodell:

Als drittes steht das Informations- oder auch Konsumentenmodell zur Debatte. Hier versorgt der Arzt den Patienten nach einer ausführlichen Examination mit allen möglichen Informationen zu seiner Krankheit und gibt ihm eine komplette Übersicht über die Handlungsalternativen und Therapien, Risiken und Chance, die bestehen. Der Arzt bleibt dabei objektiv und lässt den Patienten unbeeinflusst entscheiden, welche Therapie und Medikation er wählen möchte. Die Meinung des Arztes bleibt in diesem Modell gewöhnlich außen vor.

Das interpretative Modell:

Das letzte und meiner Meinung nach auch sinnvollste Modell, ist das interpretative.

Hier wird analog zum Informationsmodell der Patient ausführlich untersucht und über die Diagnose vom Arzt aufgeklärt. Er erhält Informationen zu seiner Krankheit, Behandlungen und Therapien, sowie zu Risiken und Chancen.

Danach schlägt der Arzt allerdings sein Behandlungskonzept vor und wirkt beratend auf den Patienten ein und bettet seine Vorschläge in dessen Wertvorstellungen ein. Beide kommen so zu einer gemeinsamen Lösung, mit der sie zufrieden sind und denken, das bestmögliche getan zu haben.

Von diesen vier Modellen ist das paternalistische bei weitem das älteste und bekannteste. Es hat sich über viele Jahrhunderte bewährt und ist bereits im Hippokratischen Eid verankert.

Da die Autonomie der Patienten – wie auch des Menschen überhaupt - jedoch immer wichtiger wird, kann kaum ein Arzt mehr auf dieses Beziehungsmodell zurückgreifen, da die Patienten sich bei einer solchen Behandlung nicht mehr ernst genommen und übergangen fühlen. Der Mensch von heute möchte informiert sein, möchte mitsprechen und hält sich nur ungern an Dinge, die ihm ungefragt verschrieben werden.

Dies schmälert dann natürlich auch den Behandlungserfolg. Darf der Patient hingegen selbst bei dem Therapiekonzept mitentscheiden und kennt er das volle Ausmaß seiner Krankheit mit allen Risiken, macht auch seine Psyche bei der Therapie mit und die Heilung kann trotz einer eventuell identischen Therapieverordnung bei weitem bessere Effekte erzielen.

Natürlich gilt es zu beachten, dass der Arzt bei einer ärztlichen Entscheidung auf Leben und Tod nicht auf Rückfragen und Vorschläge achten kann und darf, sondern „in dubio pro vita“ das Leben des Patienten retten muss.

III. Die ärztliche Verantwortung

„Als Grundlage für den Umgang mit Hochtechnologie und ihren Erzeugnissen eignet sich weder eine libertäre, unreflektierte Technikgläubigkeit, noch eine defensive Technikphobie; zu fordern ist eine offensive Verantwortungsethik.

Dies gilt besonders für das Arzneimittel als präventiv, diagnostisch oder therapeutisch wirkendes Produkt pharmazeutischer Technologie. Um die kardinale Bedeutung des Prinzips Verantwortung im Arzneimittelbereich herauszustellen und es für Pharmaethik nutzbar zu machen, bedarf es der Definition und Abgrenzung des Verantwortungsbegriffes.“[1]

Die Verantwortung ist im Allgemeinen ein ethisches Prinzip teleologisch-dialogischer Qualität, d.h. eines Prinzips, das an den Konsequenzen von Handlungsentscheidungen orientiert und auf die Zukunft ausgerichtet ist. Die Instanz der Verantwortung ist das Gewissen. Ein Verantwortung übernehmendes Subjekt steht demnach für die Konsequenzen seines Handelns, sowie seines Nicht-Handelns ein – unabhängig davon ob diese beabsichtigt sind oder nicht. Dieses Einstehen muss einerseits rechtlich gesehen werden, andererseits moralisch. Das betreffende Subjekt muss also sowohl Haftung, als auch Schuld tragen, wenn es im Begriff ist, Verantwortung zu übernehmen. Während uns die Schuld im Gewissen als innere Sanktion mit Scham-, Reue- und Schuldgefühlen plagt, bezieht sich die Haftung meist auf rechtliche Strafen, wie Geld- oder Freiheitsstrafen als Sanktionen. Das Prinzip Verantwortung ist also ebenso an Gesetze und Normen der Gesellschaft, wie an individuelle Erfahrungen und Werte gebunden.

Jeder Mensch befindet sich grundsätzlich in einer offenen Situation, die als persönliche Freiheit empfunden wird, d.h. es stehen ihm diverse Handlungsoptionen zur Wahl. Diese Möglichkeiten und ihre Folgen werden im Gewissen an subjektiven Wertmaßstäben und Empirien auf ihre ethisch-moralische Vertretbarkeit geprüft. Was letztlich diesem alltäglichen und doch komplexen Prozess entspringt, ist die tatsächliche Handlung.

Hans Jonas formulierte 1984 die „Pflicht der kausalen Macht“, welche das Prinzip der Verantwortung legitimiert. Demnach wird für einen Menschen die Verantwortung zum „Kardinalprinzip“ für tatsächliche Handlungsentscheidungen, sofern ihm die „kausale Macht“ innewohnt. Hierbei ist es wichtig zu beachten, dass die Verantwortung durch kein anderes höheres Leitprinzip eingeschränkt werden kann. Das ethische Abwägen von Risiken ist nur dann von Nöten, wenn die Handlungsentscheidung nicht bereits durch das Anwenden gesetzlicher Normen gelöst werden kann.[2]

Kant hingegen spricht in diesem Zusammenhang von einem „inneren Gerichtshof“, vor dem ein Verantwortung tragendes Subjekt immer bestehen muss. Er geht also davon aus, dass in jedem Menschen die Maßstäbe richtigen Handelns impliziert sind und er sie somit bei jeder Handlungsentscheidung bewusst anwendet. Beide Positionen erscheinen zunächst ähnlich. Allerdings spricht Kant immer nur von der Handlung an sich – er betrachtet die Folgen nicht.[3]

IV. Allokationsethische Aspekte der Rationierung

Die Folgen ungerechter Verteilungen medizinischer Güter hingegen werden heute immer häufiger diskutiert. Die „Allokationsethik“ als junges philosophisches Forschungsgebiet gerät zunehmend in den Focus medizinischer Diskussionen, da die Rationierung im medizinischen Bereich immer gravierendere Folgen aufweist. (Vor allen Dingen gesetzlich versicherten) Menschen werden teilweise Behandlungen und Therapien verweigert, die im Extremfall Leben hätten retten können. So werden beispielsweise immer mehr ambulante Operationen durchgeführt, um die operierten Menschen anschließend bei erfolgreichem Verlauf direkt wieder entlassen zu können und kein Krankenhausbett belegen zu müssen, das nicht zwingend erforderlich ist. Doch was, wenn Komplikationen auftreten? Immer häufiger hören wir von Fällen, in denen verunreinigte Pharmaka, unzureichende Überwachungen oder vorschnelle Entlassungen bei Patienten zum Tod führen. Solch leichtfertiges Handeln kann und darf moralisch in unserer Zeit doch nicht geduldet werden. Während die Ärzte immer noch an historische Verpflichtungen, wie den hippokratischen Eid, das Genfer Ärztegelöbnis (1948), sowie die ärztliche Verpflichtungsformel des Deutschen Ärztetages (1979) gebunden sind, hat sich die Beziehung zwischen Arzt und Patient längst von einer durchweg paternalistischen zu einer annähernd gleichberechtigten Kunden-Arzt-Beziehung gewandelt. Trotzdem sind den Ärzten die Hände gebunden. Gefangen zwischen immer strengeren Auflagen von Seiten der Krankenkassen und auch der Politik, können sie kaum mehr eine vertrauensvolle Beziehung zu ihren Patienten aufbauen.

[...]


[1] Wolfgang Wagner in „Arzneimittel und Verantwortung“, S.3

[2] Vgl. Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung, S.172 ff.

[3] Vgl. Immanuel Kant: „Über ein vermeintliches Recht, aus Menschenliebe zu lügen“, in: Werke, Band 8, S. 421 ff.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Arzt und Patient. Ethische Standpunkte und Entwicklungen
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
2,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
13
Katalognummer
V278989
ISBN (eBook)
9783656723639
ISBN (Buch)
9783656723622
Dateigröße
415 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
arzt, patient, ethische, standpunkte, entwicklungen
Arbeit zitieren
Katharina Los (Autor:in), 2007, Arzt und Patient. Ethische Standpunkte und Entwicklungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/278989

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