Berufsberatung von Jugendlichen


Forschungsarbeit, 2012

81 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Wandel in der Arbeitswelt und die Bedeutung für die Berufswahl

3. Berufsberatung unter dem Aspekt ausgewählter Berufswahltheorien
3.1 Der persönlichkeitstypologische Ansatz
3.2 Die Berufswahl als lebenslanger Entwicklungsprozess
3.3 Die konstruktivistische Auffassung der Laufbahnentwicklung
3.4 Das „Life-designing“ -Modell als mögliche Innovation

4. Die Laufbahninterventionen der Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit
4.1 Der operative Ansatz der Beratungskonzeption
4.2 Objekttheorien innerhalb des praktizierten Prozessmodells
4.3 Fallbetrachtungen aus Sicht theoriegeleiteter Kriterien
4.3.1 Fall A
4.3.2 Fall B
4.3.3 Fall C
4.4 Praxisbezüge zu den Annahmen des „Life-designing“ -Modells

5. Ansätze zur Weiterentwicklung bestehender Methoden der Berufsberatung

6. Zusammenfassung

Literatur

Anhang

Transkriptionsregeln

Beratungsgespräch A

Beratungsgespräch B

Beratungsgespräch C

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Verteilung der Neuzugänge auf die drei Sektoren des beruflichen Ausbildungssystems

Abbildung 2: Doppelverortung von Beratung

Abbildung 3: Hexagonales Modell zu den Beziehungen der Typen nach Holland mit Angabe der Korrelationskoeffizienten

Abbildung 4: Der Beratungsprozess (formatunabhängig)

1. Einleitung

Die professionelle Unterstützung bei der Berufswahl erfordert grundsätzlich eine theoretische Fundierung von Modellen, die in der Praxis umgesetzt werden können. Die Berufsberatung stützte sich dabei lange Zeit auf traditionelle Berufswahlansätze, die in den neueren Forschungen aufgrund der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts kritisch hinterfragt wurden. Die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und der rasante gesellschaftliche sowie technische Wandel lassen die Orientierung an Vorgehensweisen, die dem 20. Jahrhundert entstammen, obsolet erscheinen. Insbesondere die bedeutende Trait-and-Factor-Theorie wird als unpassend für die Erfordernisse der heutigen Zeit erachtet, weil aus ihr einzig statische Merkmalserfassungen hervorgehen, die das Potential und die Möglichkeiten von Individuen im Berufswahlprozess nur bedingt berücksichtigen. Aus der „Life-designing“ -Theorie rund um ein internationales Forschungsteam sind Voraussetzungen für die zukünftige Berufsberatung entstanden, die eine neue Perspektive aufwerfen und damit die traditionelle Sichtweise von der Diagnose von Eigenschaften und den daraus abgeleiteten Prognosen für eine berufliche Entwicklung in Frage stellen. Die BA als Anbieter der Berufsberatung für Jugendliche in Deutschland handelt dazu nach einer neuen Beratungskonzeption, die jedoch alte Muster bei Berufswahlmodellen abbildet. Dazu hat sie den gesetzlichen Auftrag der Berufsberatung, um Jugendliche und Ausbildungsmarkt bestmöglich zusammenzubringen. Unter den besonderen Bedingungen dieser institutionellen Verortung von Berufsberatung muss daher eine Eignung neuer Theorien überprüft werden. Auch die spezielle Zielgruppe von Jugendlichen am Übergang von Schule in den Beruf erfordert eine passende Auswahl von Berufswahlansätzen, die gerade bei kaum vorhandenen beruflichen Erfahrungen und einer ersten Berufswahl unterstützend wirken können. Dabei stellt sich auch die Frage nach der Relevanz bedeutender Veränderungen in der Arbeits- und Lebenswelt für diese Zielgruppe. Ist daher das Fortführen traditioneller Berufswahlansätze sinnvoll oder sollten neuere Bestrebungen im Sinne der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts in der Berufswahl von Jugendlichen Beachtung finden? Ziel dieser Arbeit ist demnach die Klarstellung von geeigneten Berufswahltheorien für die speziellen Anliegen von Jugendlichen. Dadurch soll die Erforderlichkeit einer Weiterentwicklung von traditionellen Ansätzen thematisiert werden, welche den heutigen Entwicklungen gerecht werden kann.

In Kapitel 2 wird daher zunächst der Wandel in der Arbeitswelt mit den Auswirkungen für die Berufswahl beschrieben. Darauf folgt ein Überblick über die gängigsten Berufswahltheorien, wobei die Innovation des „Life-designing“ -Modells eine tragende Rolle einnimmt. Mit der dadurch erfolgten Einordnung von theoretischen Grundsätzen folgt in Kapitel 4 eine Darstellung über die vorhandenen Laufbahninterventionen innerhalb der Berufsberatung der BA, was eine Anknüpfung an die neue Beratungskonzeption beinhaltet. Dazu folgen drei Fallbeschreibungen aus der Berufsberatung, die auf ihre Schwerpunkte in der Berufswahl hin untersucht werden. Dieser Praxisbezug wird anschließend mit den neueren Forderungen des „Life-desinging“ -Modells abgeglichen, um eine mögliche Weiterentwicklung in der Berufsberatung beurteilen zu können. In der abschließenden Zusammenfassung werden prägnante Punkte der Arbeit wiedergegeben, sodass sich ein kurzer Überblick gegeben werden kann.

2. Der Wandel in der Arbeitswelt und die Bedeutung für die Berufswahl

Berufswahlprozesse des vergangenen Jahrhunderts waren überwiegend geprägt von geradlinigen Laufbahnkonzeptionen. Berufsbiographien knüpften vielfach an erste Berufswahlentscheidungen an, was eine vorausschauende Planung der weiteren beruflichen Entwicklung zuließ (vgl. Schiersmann 2011, S. 81). Der klassische Verlauf von Bildung und Beruf vollzog sich über die Schulbildung, woran sich ein kurzer Übergang in eine Berufsausbildung oder ein Studium anschloss und worauf wiederum eine Beschäftigung oder mögliche Weiterbildungsaktivitäten folgten. Lineare Berufsentwicklungen zeigten sich als Ergebnis von absehbaren Chancen und Risiken, die auf die Berufswahl Einfluss nahmen. Die gesellschaftliche und arbeitsweltliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat diese Struktur von beruflicher Vorhersehbarkeit und Sicherheit nunmehr grundlegend verändert, sodass die heutige Arbeitsrealität die Laufbahnentwicklung vor neue Herausforderungen stellt. Egbringhoff (2011) beschreibt den strukturellen Wandel in der Arbeits- und Lebenswelt zutreffend mit zwei zentralen Begriffen: Entgrenzung und Subjektivierung. Veränderte Arbeitssituationen und -anforderungen rufen Anpassungsbereitschaft und häufige Arbeits- und Berufswechsel hervor, wodurch auch Normalarbeitsverhältnisse verdrängt werden, die Berechenbarkeit und Langfristigkeit als Kennzeichnung tragen. Lebenslanges Lernen, Flexibilität und Eigenverantwortung für den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit wird den Erwerbspersonen zunehmend abverlangt, was insgesamt Unsicherheiten impliziert (vgl. Egbringhoff 2011, S.43). Diese Forderungen richten sich vor dem Hintergrund der rasanten technologischen Entwicklung und betrieblicher sowie gesellschaftlicher Umstrukturierungsphasen an jene Individuen, die ihre berufliche Entwicklung planen wollen und müssen. Insbesondere junge Menschen an der ersten Schwelle von der Schule in die Erstausbildung stoßen in diesen Situationen leicht an Entscheidungsgrenzen. Die Folgenabschätzung bei der Berufswahl Jugendlicher steht aufgrund mangelnder beruflicher Vorerfahrung und der Notwendigkeit zur Informationsbeschaffung und -verarbeitung unter besonderem Druck (vgl. Ertelt & Schulz 2002, S. 235). Probleme bei der Berufswahlentscheidung sind dabei von existentieller Bedeutung, gerade weil sie einen weitreichenenden Schritt in der Lebensentwicklung betreffen. Innerhalb der strukturellen und gesellschaftlichen Veränderungsprozesse wirken die ursprünglich hohen Anforderungen des Treffens von Berufswahlentscheidungen bei jungen Menschen damit wesentlich komplexer. Mögliche Unsicherheiten während einer beruflichen Orientierung werden durch den Wandel in der Berufs- und Arbeitswelt zusätzlich erschwert.

Vielen Jugendlichen steht in Berufswahlprozessen eine Vielzahl von beruflichen Orientierungswegen gegenüber, welche als Möglichkeiten für den Erfolg in der späteren Arbeitswelt gesehen werden können, wenn zuvor eine gute schulische Vorbildung erreicht worden ist (vgl. Nestmann, Sickendiek & Engel 2007, S. 14). Dabei reicht das Angebot an Ausbildungs- und Qualifikationswegen außerhalb der allgemeinbildenden Schulen in Deutschland von der weiteren Schulbildung und schulischer Berufsausbildung über Berufsausbildungen des dualen Systems bis hin zu Studienangeboten. Die Anzahl an anerkannten Ausbildungsberufen nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) allein beträgt derzeit 345 (vgl. BIBB 2011), worin noch keine vollzeitschulischen Ausbildungsgänge enthalten sind, die ebenfalls eine Berufsqualifizierung beinhalten. Bei den stärker diversifizierten Studienmöglichkeiten ist die Anzahl dagegen weitaus höher, was an der großen deutschlandweiten Auswahl von derzeit 15.851 Studiengängen (vgl. Hochschulrektorenkonferenz 2011) abzulesen ist. Dieses breite Spektrum an Orientierungsmöglichkeiten kommt jedoch nur denjenigen zugute, welche die Anforderungen (z.B. geforderter Schulabschluss) des jeweiligen Ausbildungsganges erfüllen können (vgl. Nestmann u.a. 2007, S. 14). Schulabgänger mit eher ungünstigen Ausgangspositionen finden daher schwerer einen Zugang zu einer Ausbildungsmöglichkeit, was die beachtlich hohe Teilnehmeranzahl am Übergangssystem zeigt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Verteilung der Neuzugänge auf die drei Sektoren des beruflichen Ausbildungssystems 2008[1]

Die Abbildung zeigt die Verteilung der Neuzugänge im beruflichen Ausbildungssystem unterhalb des Hochschulbereichs. Mehr als ein Drittel (34,1 %) der Neuzugänge durchläuft zunächst das Übergangssystem, indem kein Berufsabschluss erreicht werden kann. Zwar ist dieser Anteil seit 2006 leicht rückläufig. Dennoch hält sich das Niveau des Übergangssystems in den letzten Jahren stabil im Vergleich zur geringeren Bedeutung in den 1990er Jahren (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010, S. 96). Diese feste Größe im Berufsausbildungssystem spiegelt die Passungsproblematik zwischen Schulabgänger und qualifizierter beruflicher Ausbildung wieder. Einer der Gründe dafür wird in den gestiegenen Anforderungen der Berufsausbildungen gesehen, die für viele Jugendliche wesentliche Hürden in der Berufswahlrealisierung darstellen (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008, S. 111). Besonders deutlich wird dies bei spezieller Betrachtung der Dreierbeziehung von direkten Indikatoren zur Berufswahl wie persönlichen Neigungen, erbrachte Schulleistungen sowie Berufs- und Arbeitsmarktanforderungen. Konflikte in der Berufswahl entstehen häufig dadurch, wenn bei der Gegenüberstellung dieser Indikatoren bereits Differenzen als Anpassungsprobleme ersichtlich werden (vgl. Hirschi 2011, S. 101). Die Angleichung der persönlichen Ausgangsposition an die Realität des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes stellt die Betroffenen oft vor große Herausforderungen, weil eine hohe Bereitschaft zur Veränderung gefordert wird. Die neueren Entwicklungen zeigen daher, dass die Komplexität der Berufswahl nicht nur von der Fülle an Möglichkeiten beeinflusst wird, sondern überwiegend von der Handlungsbereitschaft der Person im sozialen Umfeld und der Realisierungschance am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt bestimmt wird (vgl. Hirschi 2011, S. 100).

Aufgrund der klaren Bedeutung dieser direkten Einflussfaktoren bleiben die Herausforderungen des Wandels in der Arbeitswelt für die Berufswahl zunächst eher hintergründig. Die tatsächlich vorhandenen Interaktionsprozesse von Person und Umwelt innerhalb der Berufswahl (vgl. ebd.) zeigen jedoch, welche Signifikanz der Strukturwandel daran hat. Berufswahl findet heute in einer schnelllebigen Wissens- und Informationsgesellschaft statt, die den Anforderungen der globalisierten Arbeitsmärkte gerecht werden muss. Junge Berufswahlbetroffene stehen demnach vor einer Entscheidung, die geprägt ist von Eigenverantwortung, Anpassungsfähigkeit, dynamischen Berufsanforderungen und wandelnden Arbeitsstrukturen. Die Entscheidung für die erste Berufswahl hat nicht mehr jene Tragweite, dass der gewählte Beruf ein ganzes Leben lang ausgeübt wird. Vielmehr unterliegen Berufsentscheidungen ständigen Prozessen der Veränderung und Umorientierung, sodass Berufsbiographien seltener geradlinig verlaufen und sich zugleich die Unsicherheit in der Beschäftigung erhöht (vgl. Schober 2007, S. 101). Berufswahlprozesse setzen zwar zunächst im Bezug auf den ersten Übergang von der Schule in eine Erstausbildung an. Sie sind damit jedoch nicht abgeschlossen, denn aufgrund der Erfordernisse zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit, die sich durch Anpassungsbereitschaft, Flexibilität und lebenslanges Lernen äußern, findet die Berufswahl lebensbegleitend statt. Berufsberatung kann innerhalb dieser schwierigen Entscheidungssituationen fördernd wirken. Die Herausforderungen der heutigen Zeit verlangen jedoch eine zukunftsorientierte Berufsberatung, welche an die Veränderungen und neuen Rahmenbedingungen angepasst ist (vgl. Schiersmann 2011, S. 82). Das professionelle Handeln der Berufsberatung, welches sich auf die Anwendung geeigneter Berufswahltheorien stützt, bildet dabei die Grundlage für eine weiterentwickelte Unterstützung in Berufswahlprozessen.

3. Berufsberatung unter dem Aspekt ausgewählter Berufswahltheorien

Das spezielle Feld der Berufsberatung lässt sich über bestimmte Aufgaben und Ziele, individuelle Beratungsanlässe im beruflichen Kontext sowie beteiligte Zielgruppen und Beratungseinrichtungen definieren. Die Fragestellungen im Bereich von Bildung, Beruf und Arbeit mit angrenzenden gesellschaftlichen Themen erfordern ein professionelles Beratungshandeln, welches sich grundsätzlich aus kontextbezogenem Wissen und feldunspezifischen Kompetenzen speist. Erst ein Zusammenwirken von Kenntnissen zu berufs- und arbeitsbezogenen Problemstellungen, Kausalitäten innerhalb von Berufswahl- und Entscheidungsprozessen sowie Gesprächs- und Beratungsprozessmethoden können den Anforderungen dieses speziellen Beratungsfeldes gerecht werden (vgl. Engel, Nestmann & Sickendiek 2007, S. 35). Diese Unterscheidung der Verortung von verschiedenen Wissens- und Kompetenzgebieten aus der allgemeinen Beratung kann dabei zu einer gleichfalls differenzierten Betrachtung von Ansätzen in der Berufsberatung führen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Doppelverortung von Beratung (Engel, Nestmann & Sickendiek 2007, S. 35)

Die Abbildung zeigt eine Unterteilung von Wissensbereichen aus der Beratung, wobei Ansätze zur Gestaltung von Kommunikation und Beratungsprozessen (1) von kausalen Modellen und Interventionen des speziellen Handlungsfelds (2) abgegrenzt werden. Diese Abgrenzung unterstützt die weitere Darstellung insofern, dass professionelle Beratung differenziert und nicht als Ganzes betrachtet werden kann. Berufsberatung als spezielle Beratungsform kann demnach ebenfalls zweifach verortet werden, weil der Beratungsprozess mit dem Blick auf Gesprächs- und Handlungsmethoden einerseits eine Abgrenzung von den Interventionsformen unter Beachtung von Berufswahltheorien andererseits erfordert. In dieser Arbeit richtet sich der Fokus schwerpunktmäßig auf Objekttheorien zur Berufswahl, die dem speziellen Handlungsfeld zugeordnet sind, weil sie eine isolierte Betrachtungsweise ohne Anbindung an operative Ansätze wie beispielsweise Prozessmodelle zulassen. Die folgende Darstellung von Berufswahltheorien im Beratungsfeld beinhaltet zunächst keine Abgrenzung oder Bezugnahme zu operativen Theorien. Das Verhältnis dieser Interventionen zu operativen Ansätzen und ein Beispiel von praktischer Einbettung von Objekttheorien in ein Prozessmodell zur Berufsberatung werden jedoch später in Kapitel 4 thematisiert.

Aus der Verortung von Berufswahltheorien außerhalb des Beratungs- und Interaktionswissens geht auch hervor, dass diese keine Anleitung zum Beraten geben können, sondern vielmehr helfen sollen, Ratsuchende in ihrer Situation besser zu verstehen. Es geht demnach darum, die Person, das Umfeld und die Rahmenbedingungen objektiv und subjektiv in der Lebensrealität zu deuten, sodass eine Problembewältigung in Gang gebracht werden kann (vgl. Sickendiek 2007, S. 53). Die folgende Auswahl von Berufswahltheorien stützt sich auf wissenschaftliche Diskurse, die im Hinblick auf Lösungsmöglichkeiten bei Schwierigkeiten im Berufswahlprozess stattfanden oder innerhalb von Weiterentwicklungsansätzen derzeit noch andauern. Dabei beschränkt sich die Auswahl auf vier bedeutende Ansätze, wodurch insbesondere differentialpsychologische, entwicklungspsychologische und psychodynamische Bereiche einbezogen werden (vgl. Sickendiek 2007, S. 56). Zugleich verläuft die Darstellung von den anfänglich traditionellen und eindimensionalen Ansätzen hin zu postmodernen Ansätzen, die weniger berufliche Eignung- und Neigungsaspekte im Vordergrund sehen (vgl. Sickendiek 2007, S. 74). Dazu erweist sich zunächst eine Dominanz bei traditionellen Ansätzen des 20. Jahrhunderts, denen langjährige Verdienste und weitere Beständigkeit gegenüber neueren Theorieentwicklungen zuzurechnen sind (vgl. Brown 2002, S. 19). Der folgende Überblick von Berufswahltheorien findet jedoch insbesondere unter Beachtung der aktuellen Entwicklungen aus Kapitel 2 statt, die eine insgesamt veränderte Lage von Voraussetzungen und Rahmenbedingungen des 20. Jahrhunderts für heute und die Zukunft beschreiben.

3.1 Der persönlichkeitstypologische Ansatz

Die Idee für diese Theorie beruht auf der traditionellen Annahme von Parsons (1909), dass Menschen mehr Zufriedenheit erlangen können, wenn sie einen Beruf für sich auswählen und nicht nach einer Arbeit „jagen“ müssen. Durch diese simple Überlegung sollte Zufriedenheit als Schlüssel für eine Effizienzsteigerung bei der Arbeitnehmertätigkeit dienen, was zugleich bei Arbeitgebern Kosten einsparen sollte (vgl. Brown 2002, S. 4). Schon in der Entwicklung der frühen Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts sollte diese Zufriedenheit ermöglicht werden, wenn Menschen den Beruf nach ihren Interessen, ihrer Eignung und ihrer Persönlichkeit ausrichten. Dieser Trait-and-Factor-Ansatz sollte nach der bestmöglichen Passung von Mensch und Beruf suchen, was nach der Forschung zwischen vorliegenden Tätigkeitsanforderungen und individuellen Merkmalsausprägungen ermittelt wurde. Diese begriffliche Gegenüberstellung prägt die Berufswahl bis heute sehr stark, womit dieser Ansatz seit einhundert Jahren Bestand hat und als grundlegend bedeutend angesehen wird.

Der bekannteste Ansatz zur Klassifizierung von beruflichen Merkmalsausprägungen geht auf John Holland (1997) zurück, der sechs Persönlichkeitstypen entwarf, die sich anhand von bevorzugten Tätigkeiten, Selbstbeschreibungen und Kompetenzen unterscheiden (vgl. Spokane, Luchetta & Richwine 2002, S. 376). Diese Persönlichkeitstypen stehen im direkten Bezug zu jeweils modellhaften Umfeldbedingungen, die eine Entfaltung des speziellen beruflichen Typus in Form von vorhandenen Interessen, Fähigkeiten und Einstellungen zulassen. Der Ansatz nach Holland lässt sich anhand von vier Annahmen grundlegend charakterisieren (vgl. Spokane u.a. 2002, S. 379):

1. In unserer westlich orientierten Industriekultur lassen sich die meisten Personen nach einer der sechs Persönlichkeitstypen kategorisieren: dem realistischen, dem erforschenden, dem künstlerischen, dem sozialen, dem unternehmerischen oder dem konventionellen Typus.
2. Auch das beruflich-soziale Umfeld lässt sich modellhaft nach den sechs Typen kategorisieren: realistisch, erforschend, künstlerisch, sozial, unternehmerisch oder konventionell.
3. Menschen suchen sich diejenigen Umfeldbedingungen, welche ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten ausüben lassen, wo sich ihre Einstellungen und Interessen wiederfinden und sie angemessene Rollen und Probleme übernehmen können.
4. Verhalten wird bestimmt von der Interaktion zwischen Persönlichkeit und Umwelt.

Die sechs verschiedenen Persönlichkeits- und Umfeldtypen wurden von Holland jeweils in einer reinen Form definiert (vgl. Brown 2007, S. 34). Dazu weist der realistische Typus (R) eine Bevorzugung von sachlich konkreter Arbeit auf, die sich überwiegend auf handwerkliche, technische oder körperliche Tätigkeiten bezieht. Der strukturierte Umgang mit Maschinen, Material, Werkzeugen oder Tieren kann vor dem Hintergrund eines traditionellen Wertesystems den ursprünglich männlich geprägten Berufen zugeordnet werden. Dazu zählen beispielsweise Mechaniker[2], Techniker oder Landwirte. Der realistische Typus deutet auch auf eine Vermeidung von sozialen Aufgaben hin oder blendet Zwischenmenschlichkeit im Beruf nahezu aus, weil dies insbesondere bei den konkret strukturierten und praxisorientierten Handlungsschwerpunkten keine Notwendigkeit darstellt.

Der erforschende Typus (I) setzt dagegen auf intellektuelles und theoretisches Vorgehen, welches durch forschende und wissenschaftliche Berufe geprägt ist. Genauer sind Menschen gemeint, die sich eher introvertiert, persistent sowie gelehrt einschätzen und Arbeit in der Wissenschaft oder mit starker geistiger Herausforderung bevorzugen. Ähnlich wie beim realistischen Typus wird eine Ablehnung gegenüber Emotionalität und Sozialem unterstellt, weshalb Führungspositionen oder unternehmerische Tätigkeiten Ausnahmen im Beruf darstellen. Hier sind überwiegend Berufe wie Biologen, Chemiker, Mathematiker oder Geologen beispielgebend, die den speziellen Typus vertreten.

Weiter ist der künstlerische Typus (A) mit Kreativität und unkonventionellen Handlungen behaftet, welche sich schwerpunktmäßig in Kunst, Musik oder Literatur niederschlagen. Dabei spielt Fantasie und Originalität eine übergeordnete Rolle, wobei ökonomische Interessen vernachlässigt werden. Anders als bei den zuvor beschriebenen Typen wird Gefühlen eine besondere Bedeutung zugeschrieben, die auch mit anderen Menschen ausgetauscht werden. Die insgesamt liberale und offene Haltung wird vor allem in künstlerischen Berufen wie beispielsweise Musiker, Maler oder Schauspieler gesehen, die eine expressive, unabhängige und nonkonformistische Art zulassen.

Der soziale Typus (S) beschreibt Menschen, die sich in der direkten Interaktion mit Menschen wohlfühlen oder unter Bezugnahme ihrer Zuwendung oder Hilfe mit Menschen arbeiten wollen. Das berufliche Umfeld wird demnach im sozialen Kontext gesehen, der sich vorwiegend in den therapeutischen, pädagogischen oder religiösen Einrichtungen des Staates und der Kirchen sowie sonstigen Sozialträgern verorten lässt. Dabei haben die zwischenmenschlichen Beziehungen hohe Bedeutung, wogegen technische und wissenschaftlich-abstrakte Aufgabenfelder eher vermieden werden. Auch eine besondere Achtung von ethischen Belangen und Gleichheitsgrundsätzen findet sich in diesem Typus wieder. Berufsbeispiele wie Lehrer, Berater, Therapeut oder Krankenpfleger können hier genannt werden.

Der unternehmerische Typus (E) verbindet Merkmale wie Dominanz, Aggressivität oder Einsatzfreude, die sich im kaufmännischen Erfolg niederschlagen. Hier finden sich eher extrovertierten Menschen wieder, die nach Leistungsorientierung streben und mit ihrer Selbstsicherheit eine Beeinflussung anderer erreichen wollen, was auch durch vorhandene Führungsstärke bewiesen werden kann. Das Arbeiten innerhalb traditioneller Werte mit dem direkten Blick auf Erfolgsaussichten lassen wissenschaftliche und abstrakte Problemstellungen jedoch kaum zu. Der Typus wird durch Berufe vertreten, die sich im kaufmännischen, im Management oder auch in der Selbständigkeit (z. B. Maklertätigkeit) wiederfinden.

Das Modell nach Holland wird abschließend mit dem konventionellen Typus (C) beschrieben, welcher Arbeit in klaren Ordnungsrahmen mit definierter Struktur beinhaltet. Diese Arbeit schlägt sich hauptsächlich in Verwaltungstätigkeiten oder in der Datenverarbeitung nieder, welche nach traditionellen Tugenden ausgeführt wird und soziale Anerkennung umfasst. Es bestehen kaum Verbindungen zu künstlerischen Aktivitäten, weil starre Regelungen auf die berufliche Entfaltung wirken. Hier fühlen sich Menschen zugehörig, die gerne nach direkten Anweisungen in einem eindeutig definierten Arbeitsfeld handeln wollen. Freundlichkeit, Gehorsam und Ehrgeiz sind für eine planmäßige Arbeitsausführung relevant, was jedoch Methoden nach eigener Initiative eher hemmt. Mögliche Berufe sind hier beispielsweise Finanzbeamte, Controller oder Buchhalter.

Der Ansatz nach Holland verbindet jede Person innerhalb der Berufswahl mit einer dieser Kategorien, wodurch sich individuelle Personenmerkmale im Bezug auf berufliche Präferenzen mit Berufen des Beschäftigungssystems als entsprechende Umwelt ausdrücken lassen (vgl. Brown 2007, S. 35). Dazu existiert bis heute das von Holland entwickelte Instrument Self-Directed Search [3], was in Anknüpfung an die dargestellten Typen persönliche Merkmale in eine spezielle Codierung umwandelt. Die Grundlage für das Verhältnis der einzelnen Typen zueinander bildet ein Beziehungsgeflecht in hexagonaler Form, woraus deren Unterscheidung räumlich erkennbar wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Hexagonales Modell zu den Beziehungen der Typen nach Holland mit Angabe der Korrelationskoeffizienten (vgl. Brown 2007, S. 36)

Die Abbildung 3 zeigt die räumliche Anordnung der verschiedenen Typen, woraus Ähnlichkeiten und Unterschiede ersichtlich werden, die sich zunächst durch den jeweiligen Abstand von Typus zu Typus offenbaren. Zusätzlich sind in dem Modell die Korrelationskoeffizienten angegeben, welche den jeweiligen Grad der Typenähnlichkeit untereinander beschreiben. Direkt benachbarte Typen (z.B. konventionell C und unternehmerisch E) deuten auf einen hohen Korrelationskoeffizienten und somit auf einen hohen Grad der Ähnlichkeit hin, was bei der Kombination von drei Typen innerhalb der Anwendung des Instruments als Konsistenz bezeichnet wird. Die berufliche Persönlichkeit wird in dem genannten Testinstrument erfasst und anschließend als Ergebnis in einem Drei-Buchstaben Code (auch Holland Code genannt) wiedergegeben, wodurch Menschen passende Berufe zugeschrieben werden. Dabei gibt der erste Buchstabe die größte Ähnlichkeit von Persönlichkeit und Umwelt wieder. Die zwei weiteren Buchstaben beschreiben hier eine entsprechend schwächere Übereinstimmung. Auch der Grad der Ähnlichkeit von Persönlichkeits- und Umwelttypen bestimmt nach dem Holland Code die Persönlichkeitskonsistenz bei einem Menschen. Aus der Kombination CES ergibt sich somit eine höhere Konsistenz als bei der Kombination RES. Neben der Konsistenz beschreibt die Differenzierung die Klarheit der Zuordnung von Menschen und Umwelten im jeweiligen Typus, was sich aus der Höhe der zu erreichenden Testwerte im Vergleich zu anderen Typen ergeben kann. Das ausgeprägte Zusammenspiel von Differenzierung und Konsistenz soll nach dem Ansatz von Holland zu einer hohen Passung von Mensch und Beruf führen. Liegt dies vor, wird von Kongruenz gesprochen, da eine Person in dem Arbeitsumfeld wirken kann, die ihrem individuellen Persönlichkeitstypus entspricht. Eine hohe Kongruenz wird nach Holland gleichgesetzt mit einer Maximierung von Arbeitszufriedenheit und -leistung (vgl. Brown 2007, S.35). Bei dem Vorliegen einer geringen Passung von Persönlichkeitstypus und Umfeld besteht dabei entsprechend Inkongruenz, was etwa bei einer realistisch geprägten Person in einem überwiegend künstlerisch ausgerichteten Arbeitsumfeld gesehen wird. Bei der Kategorisierung von sechs verschiedenen Persönlichkeitstypen bleibt jedoch insgesamt zu beachten, dass es sich dabei um Idealtypen handelt.

Der Ansatz von Holland als wohl bekannteste Form der Trait-and-Factor-Theorie gilt als einflussreichstes Modell aller existierenden Berufswahltheorien (vgl. Brown 2007, S. 37). Auch in der Berufsberatungspraxis dominiert dieser Ansatz bis heute, weil dessen Anwendung einen einfachen und deutlichen Rahmen darstellt und aufgrund der Messung von berufsrelevanten Interessen, Eigenschaften und Fähigkeiten eine Berücksichtigung von Bedürfnissen und Motivationsaspekten stattfindet (vgl. Sickendiek 2007, S. 57). Die statische Erfassung von Merkmalen zur Prognostizierung bestmöglicher Berufe birgt jedoch einige Risiken im Berufswahlprozess. So liegt gerade bei einer simplifizierten Anwendung des Modells im Sinne der Idealtypisierung eine zu kurz gedachte Berufswahlunterstützung vor, die unter den Voraussetzungen des heutigen Arbeitsmarkts kaum ausreichend erscheint. Wie in Kapitel 2 bereits beschrieben, können speziell Arbeitsumgebungen nur schwer statisch charakterisiert werden, weil sie laufend veränderbar sind und nur selten ganzheitlich isoliert von anderen Bereichen stattfinden. Eine Berufsberatung, die zudem auf die alleinige Nutzung eines persönlichkeitstypologischen Ansatzes zurückgreift, lässt das Beratungshandeln auf ein Testen, Informieren und Empfehlen degenerieren (vgl. Nestmann 2011, S. 61). Dieser mechanische Umgang mit Interessen, Fähigkeiten und Einstellungen in Form von Merkmalsausprägungen wird einer Berufswahlunterstützung nur unzureichend gerecht. Auch wurde bereits in der zusammenfassenden Betrachtung von Spokane, Luchetta und Richwine (2002) von einer alleinigen Zuhilfenahme des Ansatzes abgeraten, weil aufgrund der vereinfachten Kategorisierung von Typen sich die eigentliche Komplexität des theoretischen Modells von Holland verschleiern lässt. Demnach wird die Relevanz des Modells für die Berufswahl zwar hervorgehoben. Zur Vermeidung der genannten Schwierigkeit wird jedoch ein integratives oder eklektisches Berufswahlmodell empfohlen, welches in theoretischer und praktischer Hinsicht ausreichend geeignet erscheint.

Richtet sich der Blick bei diesem Modell indes auf die Zielgruppe von Jugendlichen, die sich im ersten Berufswahlprozess befinden, tritt weiter eine durchaus paradoxe Problemstellung in Erscheinung. Zunächst basiert die Trait-and-Factor-Theorie auf der Erfassung von berufsrelevanten Eigenschaften, die speziell bei Jugendlichen ohne Berufserfahrung entsprechend anhand von Freizeitaktivitäten oder Neigungen aufgrund vorliegender Hobbys im Zusammenhang mit der schulischen Orientierung entstehen. Diese Merkmale innerhalb der noch frühen Persönlichkeitsentwicklung werden in der Theorie als dauerhaft stabil angesehen, welche sich während der späteren beruflichen Sozialisation weiter verfestigen sollen (vgl. Enoch 2011, S. 136). Obwohl die wissenschaftliche Fundierung der Typisierung nach dem Holland Modell hier nicht angezweifelt werden soll, stellt sich insbesondere bei Jugendlichen die Frage nach dem Zusammenhang von beruflicher Orientierung einerseits und bereits vorab vorhandener Neigungen wie Freizeit- und Schulinteressen andererseits. Aufgrund einer empirischen Untersuchung zu dieser Fragestellung kann diesem Zusammenhang vorerst nicht entsprochen werden, weil sich gezeigt hat, dass die Stimmigkeit zwischen beruflicher Orientierung und Freizeit- sowie Schulinteressen kaum gegeben ist (vgl. BMBF 2007, S. 229). Genauer wurde ein Zusammenhang lediglich im technischen Bereich festgestellt, wozu eine Technikorientierung in Form von Schulfächern (z.B. Mathematik, Physik) bei gleichzeitigem technischem Freizeitinteresse (z.B. Arbeiten mit Computer in der Freizeit) erkannt wurde. Die individuellen Neigungen aus Schule und Freizeit korrelieren demnach nur bedingt mit der berufsbezogenen Orientierung, was überwiegend gegen die Passungstheorie spricht und den Ansatz von Holland in der Berufswahl nahezu obsolet macht.

Der persönlichkeitstypologische Ansatz nach dem Modell des „person-environment-fit“ hat an Relevanz bisher nicht verloren und insgesamt große Verdienste erlangt. Aufgrund der geschilderten Schwachstellen und den Herausforderungen des modernen Arbeitsmarkts wirkt dieses Modell als Berufswahlunterstützung jedoch unzureichend, weshalb eine Anpassung oder Ergänzung der Theorie gefordert sein kann. Gleichwohl bietet dieser Ansatz speziell für Jugendliche erste Möglichkeiten zur Reflexion des beruflichen Lebensweges, weil die Anwendung klar und transparent erfolgen kann. Der Umgang mit einer statischen Typisierung sollte jedoch kritisch angegangen werden, auch weil dieser als Reflexionsgrundlage in der Berufsberatung einen weiteren Entwicklungsprozess in der Berufswahl nicht ausschließt.

3.2 Die Berufswahl als lebenslanger Entwicklungsprozess

Aufgrund der aktuellen Entwicklungen des fortlaufenden Wandels in der Arbeitswelt fällt der lebensbegleitenden Laufbahn- und Berufswahlplanung eine erhebliche Bedeutung zu (vgl. Kap. 2). Dazu rücken entwicklungsbezogene Berufswahltheorien in den Vordergrund, die sich auf die gesamte Entfaltung von Bildung und Beruf beziehen. Anders als die Trait-and-Factor-Theorien, die von einem statischen Vergleich von persönlichen Merkmalen und vorgegebenen Berufsanforderungen sowie einem entsprechend linearen Berufsverlauf ausgehen, unterstellen entwicklungsbezogene Ansätze ein Veränderungspotenzial bei Menschen und Arbeitsumfeldern. Donald E. Super hat als bis heute wichtigster Vertreter der entwicklungsbezogenen Theorien bereits im Jahre 1954 auf die einseitige Sichtweise bei der Feststellung von individuellen Merkmalsdefiziten im Vergleich zu entscheidenden Berufsanforderungen hingewiesen. Dabei stellte er die Bedeutung von individuellen Fähigkeiten und Interessen im Berufswahlprozess keinesfalls infrage, sondern er bezweifelte die Sinnhaftigkeit der Hervorhebung von vorhandenen Differenzen bei Personen zu beruflichen Anforderungen, was lebenslange Einschränkungen in der Berufswahl zur Folge haben könnte (vgl. Super 1954, S. 13).

Der Ansatz von Super entwickelte sich über die Zeit zu einem Konstrukt aus verschiedenen Forschungsansätzen der Differentialpsychologie, Entwicklungspsychologie, Soziologie und Persönlichkeitspsychologie. Dabei betonte Super, dass seine Sichtweise eine segmentierte Theorie hervorbrachte, welche aus mehreren ähnlichen Vorschlägen zusammengesetzt wurde und letztendlich als integriertes Modell gelten sollte (vgl. Brown 2007, S. 47). Die insgesamt tiefgreifende Theorie nach Donald E. Super kann mit einer kurzen und verdichtenden Beschreibung kaum ausreichend beschrieben werden, weil sie die umfassende Länge und Breite der gesamten Laufbahn- und Lebensentwicklung in einer Spanne von der Geburt bis zum Tod beinhaltet (vgl. Amundson, Harris-Bowlsbey & Niles 2009, S. 20). Ein zusammenfassender Überblick kann jedoch ausgehend von dem Modell des „Life-Career Rainbows“ dargestellt werden, worauf verschiedene Lebensstadien verteilt auf einer Art Regenbogen platziert sind. Diese Lebensstadien sind in Verbindung mit Altersstufen angegeben, die den äußeren Rahmen des Regenbogens (Maxizyklus) bilden. Mit dem beginnenden Stadium „Wachstum“(growth) ist zunächst die Kindheit bis 14 Jahre gemeint, indem Bezug auf die körperliche und geistige Entfaltung genommen wird (vgl. Brown 2007, S. 49). Während dieser Zeit bilden sich bedeutende Einstellungen und Verhaltensweisen heran, die das individuelle Selbstkonzept ausgiebig prägen und somit den Grundstein für die spätere Arbeitswelt legen. Das darauf folgende Stadium „Erkundung und Erprobung“(exploration) beinhaltet den Zeitraum der Adoleszenz mit der Altersstufe 14 bis 25, in welcher sich Berufe als Lebensaspekt im Bewusstsein entwickeln. Allerdings sind während der anfänglichen Fantasiephase noch unrealistische Berufsvorstellungen gemeint, die Bezug nehmen auf das spielerische Leben der Individuen (z.B. Pilot, Astronaut, Pop- oder Filmstar). Die Berufswahlentscheidungen bleiben dabei eher unklar und temporär, womit sie nur selten langfristig von Bedeutung bei den Individuen sind. Die Herausforderung für die Individuen in diesem Stadium zeigt sich insbesondere im Verstehen ihrer selbst oder der Arbeitswelt, was aufgrund mangelnder oder bisher unberücksichtigter Erfahrungen häufig Schwierigkeiten verursacht. Das Stadium „Etablierung“(establishment) spricht dagegen die Personengruppen mit bereits gemachten Berufs- und Arbeitserfahrungen an und ist gekennzeichnet mit der Altersstufe von 25 bis 45. Während dieser Zeit streben Individuen zunächst eine Überprüfung ihrer zuvor getroffenen Berufswahl an, indem sie Berufe einfach ausprobieren. Dadurch soll herausgefunden werden, ob der jeweilige Beruf zum Individuum passt oder ob ein Berufswechsel angestrebt werden muss. Mit dem zunehmenden Erwerb von Erfahrungen und Fähigkeiten kann eine gewisse berufliche Stabilität erreicht werden, die sich ergibt, wenn berufliche Aspekte längerfristig mit dem Selbstkonzept vereinbar sind und dadurch berufliche Zufriedenheit erlangt werden kann. Während des Stadiums „Erhaltung des Erreichten“(maintenance) wird die berufliche Situation weiter ausgebaut oder verbessert. In dieser Altersstufe von 45 bis 65 zeigt sich insbesondere die Wandlungsmöglichkeit von Beruf und Selbstkonzept, die eine kontinuierliche Anpassung oder Veränderung vom Individuum verlangt. Grundsätzlich versuchen Menschen in diesem Stadium zufriedenstellende Aspekte der beruflichen Situation weiter zu verstärken und unangenehme Anteile zu verändern. Im letzten Lebensstadium „Abbau und Rückzug“(disengagement/ decline) ist der Altersbereich ab 65 beschrieben, welcher den Vorruhestand oder die Vorbereitung auf das Ausscheiden vom Berufsleben einschließt. Während dieses Stadiums suchen Individuen eher die Zurückhaltung im Beruf, weil sie sich immer intensiver mit dem Rückzug aus der Arbeitswelt befassen.

Die insgesamt fünf Lebensstadien umschließen als Regenbogen zugleich die von Super genannten neun Lebensrollen Kind, Schüler und Student, Privatmann, Bürger, Berufstätiger, Ehegatte, Hausmann/ -frau, Elternteil und Rentner. In späteren Arbeiten hat Super diese Rollen auf sechs reduziert (Kind, Schüler und Student, Privatmann, Bürger, Berufstätiger, Familienmitglied). Diese bedeutenden Rollen in chronologischer Ordnung unterscheiden sich anhand ihrer typischen Einstellungen oder Verhaltensweisen, was sich auf die berufliche Entwicklung auswirkt (vgl. Super 1980, S. 289 ff.). Die Schwerpunktsetzung für Freizeit und Beruf variiert zudem je nach Rollenzugehörigkeit. Dazu sind die Aktivitäten in den Lebensbereichen von Individuen, die mithilfe der definierten Rollen konkretisiert werden, abhängig von den Lebensstadien innerhalb des Maxizyklus. Auch lässt sich jede Rolle anhand der dafür aufgewendeten Zeit und Tatkraft beschreiben, wodurch die Zeit und Investition für Arbeit ebenfalls erkennbar wird (vgl. Amundson u.a. 2009, S. 21). So ist die Rolle eines Berufstätigen beeinträchtigt von der Krankheit seines Kindes, weil er als Familienmitglied dadurch weniger oder keine Zeit bei der Arbeit verbringen kann. Nach der Aussage von Super bestimmt sich eine erfolgreiche Berufsentwicklung durch die Fähigkeit zur Lebensrollenauswahl, der Eignung diese zu organisieren und zu gewichten. In Abhängigkeit der Lebensstadien (Wachstum, Exploration, Etablierung, Aufrechterhaltung oder Rückzug) bilden sich andere Herausforderungen, welche auf die spezielle Rollen-Interaktion wirken. Eine hohe Anzahl von angemessen ausgeglichenen Rollen während eines Lebens erhöht insgesamt die Wahrscheinlichkeit einer Lebenszufriedenheit und Erfüllung (vgl. Amundson u.a. 2009, S. 22). Dabei ist das Ausleben von Selbstkonzept, Interessen, Werten, Fähigkeiten und Zielen verantwortlich für eine erfolgreiche Berufswahl und -entwicklung. Super nutzte dazu auch speziell die Begriffe berufliche Identität und berufliches Selbstkonzept, die bei guter Passung für einen Berufserfolg stehen sollen. Denn hat ein Mensch seine Interessen, Fähigkeiten und seine Eignung erkannt (berufliche Identität) und diese in Form einer subjektiven Gewichtung im Beruf entsprechend platziert (berufliches Selbstkonzept), wird aufgrund der Passung beruflicher Erfolg und Zufriedenheit unterstellt. Insgesamt kann die Theorie innerhalb des „Life-Career Rainbows“ mit der Verbindung von beruflichen Lebensräumen und -rollen in einer Zusammenfassung von vierzehn Grundthesen nach Super dargestellt werden (vgl. Brown 2007, S. 47 ff.):

1. Menschen unterscheiden sich bezüglich ihrer Fähigkeiten, Bedürfnisse, Werte, Interessen, Eigenschaften und Selbstkonzepte.

2. Menschen sind aufgrund ihrer Charakteristika für eine Reihe von Berufen geeignet.

3. Jeder Beruf verfügt über ein charakteristisches Anforderungsprofil mit Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmalen, jedoch mit einer Toleranzbreite, die eine gewisse Anzahl an Berufen für jedes Individuum und eine gewisse Anzahl an Individuen für jeden Beruf zulassen.

4. Berufliche Präferenzen und Fähigkeiten sowie Arbeits- und Lebenssituationen ändern sich ebenso wie das individuelle Selbstkonzept, welches sich durch den zeitlichen Verlauf und die Erfahrung weiterentwickelt. Das Selbstkonzept beinhaltet jedoch als Folge des sozialen Lernens eine zunehmende Stabilität und eine gewisse Kontinuität bei der Wahl und Anpassung von der späten Adoleszenz bis ins reife Alter.

5. Dieser Veränderungsprozess vollzieht sich als Abfolge der dargestellten Lebensstadien (Maxizyklus). Innerhalb der Übergänge von Stadien oder bei der Bewältigung von besonderen Laufbahnereignissen (z.B. Krankheit oder Verletzung) wird jeweils auch ein Minizyklus durchlaufen.

6. Individuelle Laufbahnmuster, welche durch das erreichte berufliche Niveau und die Abfolge sowie Dauer von ausgeführten Tätigkeiten erkennbar werden, sind bestimmt von der sozioökonomischen Herkunft, den geistigen Begabungen, der Ausbildung, den Fähigkeiten, den Persönlichkeitsmerkmalen (Bedürfnisse, Werte, Interessen, Eigenschaften und Selbstkonzepte), der beruflichen Reife und den Angeboten an beruflichen Möglichkeiten.

7. Laufbahnerfolg hängt von der Bereitschaft ab, die Anforderungen der Lebenswelt zu bewältigen, mit denen ein Individuum aufgrund seiner biologischen und sozialen Entwicklung und infolge gesellschaftlicher Erwartungen innerhalb des jeweiligen Lebensstadiums konfrontiert wird. Diese Bereitschaft wird als Berufsreife bezeichnet.

8. Berufsreife ist ein hypothetisches Konstrukt, was sich nur schwer operationalisieren lässt. Zur Bestimmung der Berufsreife kann jedoch eine Anlehnung an einstellungsbezogen und kognitive Dimensionen dienen, die eine Abbildung von wesentlichen objektiven Anforderungen ermöglicht (vgl. Super´s Career Development Inventory).

9. Die Entwicklung der Berufsreife kann innerhalb der jeweiligen Lebensstadien erleichtert werden, indem Fähigkeiten und Interessen in realer Erprobung und die Entwicklung des Selbstkonzepts gefördert werden.

10. Der Prozess der Berufsentwicklung bedeutet im Wesentlichen die Entfaltung und Implementierung des beruflichen Selbstkonzepts. Dabei zeigt sich das Selbstkonzept als ein Produkt der Interaktion von kongenitalen Begabungen, physischer Ausstattung, Möglichkeiten aus der Wahrnehmung diverser Rollen und der Auswertung über das Ausmaß der Anerkennung von Rollenübernahmen bei Vorgesetzten und Kollegen (interaktives Lernen).

11. Der Prozess von Synthese und Kompromiss zwischen individuellen und sozialen Faktoren sowie zwischen Selbstkonzept und Realität beruht auf der Rollenübernahme und dem Lernen durch Feedback, unabhängig davon, ob die Rollenübernahme beispielsweise in der Fantasie, im Beratungsgespräch, in realen Lebensaktivitäten, in Teilzeitbeschäftigung oder bei Arbeitsaufnahme stattgefunden hat.

12. Arbeits- und Lebenszufriedenheit hängen von den Möglichkeiten des Individuums ab, seine Fähigkeiten, Bedürfnisse, Werte, Interessen, Persönlichkeitsmerkmale und Selbstkonzepte angemessen auszuleben. Genauer hängen sie von der Etablierungsmöglichkeit in einer speziellen Tätigkeit, der Arbeitssituation und dem Lebensweg ab, in welchem Individuen eine Art von Rollen übernehmen, die sich entwickeln und Erprobungserfahrungen unter kongenitaler Beachtung angemessen zulassen.

13. Der Grad an Zufriedenheit, den Menschen durch Arbeit erhalten, ist proportional zum Grad der Möglichkeit des Einbringens von eigenen Selbstkonzepten.

14. Für die meisten Menschen verschaffen Arbeit und Beruf eine wichtige Orientierung für die persönliche Ausrichtung, obwohl dieses Orientierungsfeld für einige nebensächlich oder kaum existent ist. Bei diesen sind andere Bereiche wie Freizeitaktivitäten oder Haushaltsführung von zentraler Bedeutung.

Zusammenfassend beschreibt die Theorie nach Super im Wesentlichen das Erlangen der beruflichen Reife und die Bedeutung des Anpassungsverhaltens von Personen als Entwicklungsaufgabe. Trotz des umfassenden theoretischen Ansatzes bleibt dieser jedoch teilweise allgemein, sodass eine direkte Umsetzung als Praxismodell für die Berufsberatung zur Förderung eines beruflichen Selbstkonzepts zunächst offen bleibt (vgl. Sickendiek 2007, S. 58). Dennoch bezieht Super alle kontextbezogenen Faktoren des Arbeitsmarkts durch die Beachtung von sozialen und formalen Regeln mit ein, was insbesondere eine Förderung der Integration des beruflichen Selbstbildes unter realistischer Betrachtung aller Einflussfaktoren zur wichtigen Aufgabe der Beratung macht. Durch die Berücksichtigung von Rat suchender Person, gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen zu gleichen Teilen kann dieser Ansatz Hinweise zur Beachtung der Schwerpunktbehandlung in der Berufsberatung auch im 21. Jahrhundert geben. Eine praktische Verwendung dieses Modells kann sich ergeben aus den Möglichkeiten der Identifizierung für die Berufswelt relevanter Merkmale, der Analyse dieser im Zusammenhang mit den äußeren Bedingungen und dem lebensbegleitenden Verstehen aus der Kombination von interaktiven Rollen und beruflicher Entwicklung (vgl. Amundson u.a. 2009, S. 22). Auch schreibt Brown (2007) dazu, dass die Theorie als Basis für die Laufbahnberatung gelten kann. Dabei wird im Berufsberatungsprozess nach seiner Ansicht die Entwicklung der Berufsreife grundlegend fokussiert, welche in mehrere Komponenten aufgegliedert werden kann, die sich mithilfe des Career Development Inventory (CDI) messen lassen. Als Überblick können folgende Bestandteile genannt werden (vgl. Brown 2007, S. 54):

- Aktive Laufbahnplanung (career planning): Die aktive Wahrnehmung der Berufsreife durch die Individuen selbst und den Einbezug in den Prozessplan, was anhand einer Skala für die Selbstwahrnehmung abgebildet wird.
- Exploration beruflicher Möglichkeiten (career exploration): Individuen können eine Bereitschaft zur Erkundung aufbringen, wenn sie dazu berufsbezogene Sachmittel nutzen. In Kombination mit der Skala des „career planning“ kann somit eine neue Skala zu berufsbezogenen Einstellung entstehen.
- Aktives berufliches Entscheidungsverhalten (decision making): Berufsreife Individuen verfügen über ein Wissen für eine berufliche Entscheidung, wenn sie ein Vertrauen zu ihren eigenen Fähigkeiten haben.
- Umfangreiche Informationsaktivitäten bezüglich der Berufswelt (world-of-work infomation): Offensichtlicher Bestandteil dieser Skala ist das Vorliegen korrekter Informationen aus der Berufswelt, die zur Erlangung einer Berufsentscheidung notwendig sind.
- Kenntnis der präferierten Berufe (knowledge of preferred occupations): Nach dem Verfahren werden von Individuen zwanzig Berufe ausgewählt, wozu Fragen nach den dazugehörigen Tätigkeiten und Anforderungen gestellt werden, damit sich im Ergebnis ein spezieller Beruf herauskristallisieren kann. Auch hier ist eine Kombination mit der Skala der „world-of-work information“ Komponente angedacht, die zusammen eine Auswertung über den Wissensstand der Laufbahnentwicklung geben.
- Laufbahnorientierung (career orientation): Das Gesamtergebnis des CDI als umfassendes Maß der Berufslaufbahnreife.

Zwar wird innerhalb dieser Komponenten auch eine gewisse Nähe zur Trait-and-Factor-Theorie deutlich, weil stabilen und kongenitalen Merkmalen von Individuen eingangs große Bedeutung zugeschrieben werden. Allerdings unterscheidet sich der Ansatz deutlich von der Theorie nach Holland, weil auf dem Weg zur Bildung der Berufsreife nicht die Defizite im Vordergrund stehen, sondern die Feststellung der Berufsreife unter der Beachtung von erforderlichen Einstellungen, Fähigkeiten und berufsbezogenem Wissen dient lediglich als Ausgangspunkt für eine Entwicklung der Berufsreife sowie einer Reduzierung von Defiziten (vgl. Amundson u.a. 2009, S. 22). Zudem verbindet Super die Vergangenheit, das Gegenwärtige und die Zukunft, wobei unterstellt wird, dass sich berufliche Rollen ähnlich wie das berufliche Selbstkonzept weiterentwickeln und sich deshalb über die Lebensspanne verändern (vgl. Sickendiek 2007, S. 58). Demnach verlieren die statischen Persönlichkeitsmerkmale im Vergleich zu Holland´s Theorie an Bedeutsamkeit und die Theorie des Passungsmodells wird zumindest aufgeweicht. Auch können die Gedanken von Super in der heutigen Arbeitswelt überstehen und Berater sowie Ratsuchende inspirieren, Defizite einzugestehen und Anpassungen zuzulassen, damit eine individuelle Verwirklichung in der Berufswelt ermöglicht werden kann.

Trotz der Eignung des entwicklungspsychologischen Ansatzes nach Super für die heutige Zeit kann die Frage dennoch auf die Möglichkeit der konkreten Umsetzung des Modells insbesondere bei der Zielgruppe von Jugendlichen gerichtet werden. Speziell Erstberufswähler sind bei ihrer Berufswahlentscheidung auf ihre vorhandenen Merkmale und Eigenschaften angewiesen, weil berufliche Erfahrungswerte kaum vorhanden und die Lebensspanne nur wenig fortgeschritten ist. Sie müssen sich deshalb überwiegend auf Trait-and-Factor-Modelle stützen, die ihnen eine erste Gewissheit in beruflicher Hinsicht aufgrund der Ausprägung ihrer Neigungen geben können (vgl. Enoch 2011, S. 138). Ein Ausblick über Entwicklungsansätze und gegenwärtige sowie spätere Rollenkonstellationen über die Lebensspanne scheinen bei einem Jugendlichen zur nachschulischen Berufswahl eher unangebracht. Zwar behandelt das Stadium „exploration“ gerade diese Zielgruppe, welche ihre Interessen und Neigungen im Zusammenspiel von Kuriosität und Fantasie erlebt. Der Ansatz kann dazu jedoch nur einen Rahmen bieten, der möglichen anderen Theorien (z.B. Holland) mehr Bedeutung gibt und Erklärungsansätze beisteuern kann (vgl. Brown 2007, S. 54). Ein konkreter Nutzen der Theorieanwendung ergibt sich erst dann, wenn gerade in dem noch unsicheren Stadium der Berufsreife während der Jugend eine Annäherung an den beruflichen Kontext erfolgen kann. Darauf folgen sollte ein konkreter Prozess der Berufsentwicklung, welcher auch mit anderen Berufswahltheorien kombiniert werden kann.

3.3 Die konstruktivistische Auffassung der Laufbahnentwicklung

Die konstruktivistische Laufbahntheorie aus dem Bereich der psychodynamischen Ansätze kann generell als Erweiterung der entwicklungsbezogenen Berufswahltheorie angesehen werden. Hauptvertreter dieser neueren Theorie ist Mark L. Savickas, der den Ansatz von Super speziell auf die veränderten Rahmenbedingungen und Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bezogen hat (vgl. Amundson u.a. 2009, S. 24 ff.). Dadurch wird der vorherrschenden Perspektive des 20. Jahrhunderts in der Form eines statischen und messbaren Passungsverfahrens von menschlichen Eigenschaften und Berufsanforderungen zugleich weniger Bedeutung beigemessen. Denn die Relevanz von individuellen Persönlichkeitstypen im Bezug auf charakteristische Berufe wird aus konstruktivistischer Sicht genauer hinterfragt mit der bedürfnisorientierten Prägung des Lebensstils. In der erweiterten Theorie von Savickas werden insbesondere aktuelle Erkenntnisse berücksichtigt, sodass Individuen und deren Umfeld sich in der heutigen Zeit gleichermaßen schnell verändern. Die Grundlage für die konstruktivistische Auffassung ergibt sich aus Super´s Vorschlag, dass die Theorie des Selbstkonzepts besser als Theorie der persönlichen Konstrukte benannt werden sollte. Demnach entfalten sich Berufslaufbahnen nicht, sie werden konstruiert (vgl. Savickas 2002, S. 154).

[...]


[1] Eigene Darstellung in Anlehnung an die Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2010), S. 96 (Abb. E1-1).

[2] Aus Gründen der besseren Übersichtlichkeit wird in dieser Arbeit auf die Nennung der weiblichen Form verzichtet. Die Verwendung der männlichen Form schließt die weibliche Form gleichermaßen mit ein.

[3] Die deutschsprachige Adaption des Instruments „Explorix“ basiert ebenfalls auf dem Ansatz von Holland (vgl. Explorix 2011, abrufbar unter: http://www.explorix.ch/grundlage.html (Stand: 27.12.2011).

Ende der Leseprobe aus 81 Seiten

Details

Titel
Berufsberatung von Jugendlichen
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Institut für Bildungswissenschaft)
Veranstaltung
Personenbezogene Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
81
Katalognummer
V278828
ISBN (eBook)
9783656720645
ISBN (Buch)
9783656722007
Dateigröße
1024 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Eignungsdiagnostik, Berufswahl, Karriereplanung, Personalwirtschaft, Ausbildungsreife, Berufsorientierung, Arbeitsmarkt, Work-Life-Balance, Personalentwicklung, Coaching, Berufsberatung, Personalpsychologie, Generation Y
Arbeit zitieren
Thomas Röser (Autor:in), 2012, Berufsberatung von Jugendlichen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/278828

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