Chile: Transformation abgeschlossen, Demokratie konsolidiert?


Seminararbeit, 2004

17 Seiten, Note: 2.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

I. Einleitung

II. Klärung der Begriffe und Definitionen

III.1 Konzentration der Macht auf Pinochet
III.2 Besonderheiten Chiles

IV. Argumentation und Beantwortung der Fragestellung

V. Zusammenfassung

VI. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Einer der großen Arbeitsbereiche der Disziplin der Politikwissenschaft ist das Gebiet der Analyse und des Vergleichs politischer Systeme und dort im Besonderen die Transformations- oder Demokratieforschung. Diese versucht die Wege politischer Systeme zur Demokratie zu beschreiben, zu erklären und zu analysieren. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist häufig die Überzeugung, dass die Demokratie vielleicht nicht die perfekte, aber immerhin die am wenigsten schlechte Form ist, in der menschliches Zusammenleben organisiert werden kann, gestützt von dem im Zusammenhang der Internationalen Beziehungen häufig erwähnten empirischen Befund des „demokratischen Friedens“, also der Tatsache, dass Demokratien bisher untereinander keine Kriege geführt haben. Im Rahmen dieser Arbeit werde ich mich daher mit einem Fallbeispiel aus der Transformationsforschung der sogenannten dritten Demokratisierungswelle beschäftigen, die ab Mitte der 70er Jahre des vorangegangenen Jahrhunderts zu beobachten ist.1

Die Fragestellung, der ich nachgehen möchte, lautet: „Chile: Transition abgeschlossen, Demokratie konsolidiert ?“ Es wird mir vor allem darum gehen, zu klären, inwieweit im Falle Chiles von einem vollständigen, abgeschlossenen Übergang von einem autoritären Regime zu einer Demokratie gesprochen werden kann und ob diese anhand der benutzten Definitionen und in dem theoretischen Rahmen als konsolidiert betrachtet werden kann. Außerdem werde ich versuchen, die Unterschiede zwischen der Transformation Chiles und anderen lateinamerikanischen Ländern darzustellen. Ich werde die Zeit der Festigung des autoritären Regimes mit Hilfe der Verfassung von 1980 bis zur zweiten demokratischen Regierung unter Präsident Frei betrachten.

Der erste Teil der Arbeit klärt die grundsätzlichen Begriffe und gibt die Definitionen, mit denen gearbeitet wird und anhand derer die Ergebnisse der chilenischen Transformation und Konsolidierung gemessen werden. Hauptsächlich werde ich mich diesbezüglich auf die Arbeiten von Juan Linz und Alfred Stepan sowie Wolfgang Merkel beziehen. Nach diesem theoretischen Teil werde ich in zwei Unterkapiteln die Konzentration der Macht auf General Pinochet und die Besonderheiten des chilenischen Fallbeispiels darstellen und der Frage nachgehen, wieso im Unterschied zu anderen lateinamerikanischen Transformationsländern in Chile die altem Regimeeliten in der Lage waren, den Weg zur Demokratie mehr oder weniger stark zu behindern. Danach folgt die Argumentation und Beantwortung der Fragestellung, sowie eine abschließende Zusammenfassung.

II. Klärung der Begriffe und Definitionen

Um dem Anspruch wissenschaftlicher Genauigkeit Rechnung zu tragen und Missverständnisse zu vermeiden, ist es zunächst unerlässlich, die wichtigsten Begriffe klar zu definieren und darzulegen, auf welche Autoren man sich bezieht, da gerade auf dem Gebiet der Transformationsforschung häufig viele Begriffe verwechselt, ausgetauscht oder synonym verwendet werden. Ich werde in dieser Arbeit den Begriff der Transition im Sinne Merkels verwenden, nämlich als einen Vorgang, der ausschließlich den Übergang von autokratischen, also allen nichtdemokratischen,2 zu demokratischen Systemen bezeichnet, wohingegen der Begriff Transformation als Oberbegriff ohne spezifische Bedeutung behandelt wird, der sowohl Regime- und Systemwechsel, Regime- und Systemwandel sowie Transition einschließt.3

Dies impliziert die Frage nach einer gültigen Definition von demokratischen und autokratischen Systemen. Als autokratische Systeme bezeichnet Merkel alle nichtdemokratischen Systeme, wobei er zwischen autoritären und totalitären Systemen unterscheidet. Die Trennlinie zwischen autoritären und totalitären Systemen ist in der Praxis jedoch keineswegs scharf, vielmehr muss man von einem Kontinuum ausgehen, an deren Enden die mit Hilfe von sechs Kriterien konstruierten Idealtypen stehen. Diese Kriterien sind Herrschaftslegitimation, Herrschaftszugang, Herrschaftsmonopol, Herrschaftsstruktur, Herrschaftsanspruch und Herrschaftsweise.4 Linz und Stepan benutzen nur vier Kriterien um sowohl zwischen demokratischen als auch zwischen verschiedenen Formen von nichtdemokratischen Systemen zu unterscheiden, nämlich Pluralismus, Ideologie, Mobilisierung der Bevölkerung und Form der Herrschaft.5

Da ich mich in dieser Arbeit an ihren Kriterien orientieren will, werde ich im Folgenden die von ihnen konstruierten Idealtypen von Demokratie und Autoritarismus kurz vorstellen. Die Demokratie ist demnach gekennzeichnet durch politischen Pluralismus, verstärkt durch umfassende pluralistische Autonomie in Wirtschaft, Gesellschaft und zivilen Organisationen. Eine zweckbestimmte Ideologie herrscht nicht vor, jedoch eine starke geistige Bindung (commitment) an die Staatsbürgerschaft und an Bürgerrechte, sowie der Glaube an die Rechtmäßigkeit von Minderheitenrechten und an individuelle Werte. Es gibt geringe bis keine Mobilisierung der Bevölkerung durch das Regime, je-

doch einen nicht näher bestimmbaren Aufwand des Regimes, gute Staatsbürgerschaft und Patriotismus zu fördern. Die Teilnahme am politischen Geschehen ist jedem offen gestellt. Friedliche Opposition wird toleriert. Die politische Führung wird durch freie Wahlen gewählt, die nach verfassungsmäßigen Regeln ablaufen müssen. Der wichtigste Punkt ist allerdings, dass Wahlen periodisch wiederholt werden müssen und die Möglichkeit zur Abwahl der Regierung bestehen muss.

Im Gegensatz zur Demokratie zeichnet sich der Autoritarismus durch eingeschränkten politischen Pluralismus aus, der einen offenen Herrschaftszugang ausschließt, wohingegen sozialer und wirtschaftlicher Pluralismus recht ausgedehnt sein können. In vielen Ländern hatte dieser bereits Wurzeln in der Gesellschaft geschlagen, bevor das autoritäre Regime an die Macht gelang. Möglicherweise gibt es begrenzten Raum für Opposition. Es gibt keine leitende Ideologie, jedoch bestimmte vorherrschende Mentalitäten, wie zum Beispiel „Nationale Sicherheit“. Abgesehen von bestimmten Punkten in der Entwicklung des Regimes ist die Mobilisierung der Gesellschaft gering. Die politische Führung ist meist eine Person oder eine kleine Gruppe, die die Macht nach schlecht definierten, aber recht vorhersagbaren Regeln ausübt.6 Betrachtet man Chile während der Militärherrschaft unter General Pinochet, so kann man mit diesen Definitionen eindeutig von einem autoritären Regime sprechen.

Bei Betrachtung der Frage, ob man im Falle Chiles von einer abgeschlossenen Transformation sprechen kann, muss man zunächst eindeutig klar definieren, wann dies der Fall ist. Viele Autoren gehen davon aus, dass freie Gründungswahlen und eine neue Regierung ein hinreichendes Kriterium für den Abschluss einer Transition darstellen.7 Dieses Argument scheint mir jedoch nicht ausreichend und daher möchte ich mich in dieser Arbeit auf die Definition von Linz und Stepan beziehen:

„A democratic transition is complete when sufficient agreement has been reached about political procedures to produce an elected government, when a government comes to power that is the direct result of a free and popular vote, when this government de facto has the authority to generate new politics, and when the executive, legislative and judicial power generated by the new democracy does not have to share power with other bodies de jure.”8

Da mir diese Definition in Hinsicht auf das Zustandekommen der Regierung etwas zu kurz gegriffen erscheint, möchte ich die Bedingung anfügen, dass die Regierung nicht nur das Resultat einer freien “Volksabstimmung” (popular vote) sein muss, sondern dass auch die Art des Wahlsystems den Ansprüchen einer gerechten Umsetzung der Stimmen in Mandate genügen muss. Die Gründe für diesen Zusatz werde ich später näher erläutern.

Die Ergebnisse der Transition in Chile werden sich also vor allem daran messen lassen müssen, ob die Wählerstimmen einer freien Wahl angemessen in politische Herrschaft umgesetzt wurden, Manipulationen aufgrund des Wahlsystems oder Wahlbeschränkungen also ausgeschlossen wurden, ob die neue Regierung die Macht hat, eine von den alten Regimeeliten losgelöste, eigenständige Politik zu betreiben und ob das Prinzip der Gewaltenteilung und Gewaltenkontrolle vorherrscht, oder ob es unangemessene Verschränkungen zwischen Exekutive, Legislative und Judikative gibt oder sogar weitere Gewalten existieren, die demokratischen Verfahrensweisen entgegenstehen.

Als letztes muss der Begriff der Konsolidierung definiert werden, um später eine Beantwortung der Fragestellung zu ermöglichen. Wann also kann man von einer konsolidierten Demokratie sprechen? Merkel unterscheidet zwischen vier Ebenen, auf denen Konsolidierung stattfindet, die konstitutionelle sowie die repräsentative, die Verhaltenskonsolidierung der informellen politischen Akteure und schließlich die langfristige Konsolidierung der Bürgergesellschaft.9 Ich möchte jedoch auch hier mit der Definition von Linz und Stepan arbeiten, die drei Ebenen der Konsolidierung betrachten.

Die erste Ebene betrifft das Verhalten der Akteure im Territorium des Staates. Wenn kein bedeutender nationaler, wirtschaftlicher, politischer oder institutioneller Akteur durch die Aufwendung nennenswerter Ressourcen versucht, seine Ziele entweder durch die Errichtung eines undemokratischen Regimes, durch Anwendung von Gewalt oder durch Abtrennung vom Staat zu erreichen, kann von Konsolidierung gesprochen werden.

Auf der zweiten Ebene ist eine Demokratie konsolidiert, wenn eine große Mehrheit der Bevölkerung der Ansicht ist, dass demokratische Verfahrensweisen und Institutionen die angemessenste Alternative zur Regelung des gemeinsamen Lebens in einer Gesellschaft darstellen und wenn die Unterstützung für antidemokratische Kräfte vergleichsweise gering ist.

[...]


1 Merkel/Thiery 2002: “Systemwechsel.“ S.181

2 Merkel 1999: „Systemtransformation. Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung.“ S.34

3 Merkel/Thiery, S.182

4 Merkel, S. 34 ff.

5 Linz/Stepan 1996: “Problems of Democratic Transition and Consolidation: Southers Europe, South America and Post-Communist Europe.” S. 38 ff.

6 Linz/Stepan, S. 44-45

7 Barahona de Brito 1997: „Human rights and democratization in Latin America: Uruguay and Chile.” S. 98 u.a.

8 Linz/Stepan, S. 3

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Chile: Transformation abgeschlossen, Demokratie konsolidiert?
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Seminar Analyse und Vergleich politischer Systeme
Note
2.0
Autor
Jahr
2004
Seiten
17
Katalognummer
V27741
ISBN (eBook)
9783638297066
Dateigröße
501 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Chile, Transformation, Demokratie, Seminar, Analyse, Vergleich, Systeme
Arbeit zitieren
Pascal Zimmer (Autor:in), 2004, Chile: Transformation abgeschlossen, Demokratie konsolidiert?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27741

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