Gottfried von Straßburgs Gestalt des "Tristan"


Seminararbeit, 2010

16 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Tristans Edelgestalt

von Tatjana Georgievska

ANALYSE

Der Standpunkt, den Curtius dargestellt hatte, ist im Ganzen für das Thema, das ich behandle, akzeptierbar. In meiner Seminararbeit versuche ich, aufgrund der dargestellten Stellungnahmen, Tristans Edelsinn in Gottfried von Straßburgs Werk ausführlich zu beschreiben. Tristans Gestalt ist ohne Zweifel künstlerisch sehr komplex. Man muss zugeben, dass es eine gewisse Herausbildung in seiner Entwicklung gibt. Das Bruchmoment, als Transformationselement, ist Tristans Liebe zu Isolde. Tristan strebt nach ritterlichen Idealen, unter denen man auch ihre Erscheinungsformen versteht. Ethische Tugenden der Rittergesellschaft waren: die heitre Seelenlaune (der hohe muot), Beständigkeit (staete), Treue (triuwe) und Heldentum (tapferkeit), mit denen sie sich bemüht hatten, ihre ritterliche Ehre zu verteidigen. Ihre Charakteristiken waren: Gemessenheit in Benehmen (maze), Geschicklichkeit der Selbstbeherrschung und Kontrolle der eigenen Gefühle und Handlungen (zuht). All das führte zur Schaffung der gesitteten Erziehung auf dem Ritterhof (hövischheit) und diese Sitten wurden zur Regel für das heilige Leben.”[1]. Von dem ehrenhaften Ritter erwartete man, dass er den Kodex des Rittertums respektiert und diese Regeln umfassten das Musterbild des heldenhaften Verhaltens und zwar: unbesiegbare Macht und Tapferkeit, Gerechtigkeit und Bescheidenheit, Ergebenheit zu den Übergeordneten, anständiges Benehmen untereinander, Mitgefühl für die Schwachen und Ergebenheit zur Kirche. Dieses Leitbild und heldenhaftes Verhalten bemerkte man nie im alltäglichen Leben, aber es wurde als höchstes Nachahmungsmodell anerkannt. Die Pflicht eines Ritters war, dass er seine kämpferische Kraft im Dienst des Gottes nützt, er sollte auch als Schützer der Kirche, Witwen und Kinder gelten. Diese ehrenhaften Helden mussten auch am Kreuzzug gegen Ungläubigen (Paganen) teilnehmen. Ihre Aufgabe war auch: Teilnahme an verschiedenen Wettbewerben und Kennen der höflichen Sitten und Kommunikation. Die Hoftugenden waren neben schon angeführten auch Mildtätigkeit (milte), ethische Vollkommenheit und Ganzheit (güete), ethische Führerschaft (kiusche)“.[2] Auf ihren Höfen pflegten und entwickelten die Ritter als Dichter oder Mäzene die Hof-Liebeslyrik und Heldensage. Gottfried von Straßburg musste all das im Sinne haben, als er begann, Tristans Gestalt darzustellen.

Gottfried gestaltet den Helden, der nach der persönlichen Entwicklung und Verwirklichung seiner eigenen Fähigkeiten und Eigenschaften strebt. Er ist auf der Suche nach der eigenen Identität und dem folgerichtigen Benehmen. Er bemüht sich geehrt, anerkannt, anständig, bekannt, ruhmvoll und besser als andere Menschen zu werden. Vorrangigkeit erlangt er durch seine Schönheit und körperliche Kraft und Einübung. Bei ihm erscheint auch das Erreichungsmotiv, das nach den wertvollen Verfahren strebt, indem sich der Einzelne durch seine anständigen und höflichen Handlungen auszeichnet. Dieses Thema entwickelt der Schriftsteller, indem er auf die besonderen Verfahren im Benehmen hinweist und er legt auch den Akzent auf den hohen Bewertungsmaßstab der Errungenschaft. Die Entwicklung des Errungenschaftsmotivs beginnt sehr früh, noch im Familienkreis. Die Person mit hohen Leistungen genießt im Mittelalter den beträchtlichen sozialen und materiellen Rang in der adligen Gesellschaft. In Tristans Gestalt erkennt man das gesellschaftliche Motiv. Tristan strebt nach der Annäherung an den Menschen und Kooperation mit ihnen. Er spürt auch den Bedarf nach der emotionellen Stütze.

Das entwickelte sittliche Bewusstsein bei Tristan ist ein sehr wichtiger Anreger der ethischen und gesellschaftlichen Aktivität. Tristan übergeht wegen der intellektuellen Entwicklung von der heteronomen (abhängigen, von anderen übernommenen) zur autochthonen (selbstständigen) Sittlichkeit, die er selbst gestaltet. Seine Vorbilder waren zuerst Rual und Marke. Danach beginnt er völlig neue ethische Prinzipien zu entfalten. Er bewahrt fundamentale Basistugenden, die er erworben hatte. Tristan ist die hohe sittliche Persönlichkeit. Die ethische Handlung ist solche, die man wegen der Verpflichtung, Respektierung des sittlichen Gesetzes und seiner Prinzipien und Regeln, ausführt. Solche Handlung stellt Willensfreiheit dar. Neben ethischen Normen können auch Emotionen, die die sittlichen Handlungen beeinflussen, wie zum Beispiel, als Tristan sich verliebt hatte und wegen seines Gefühls gegen die sittlichen Normen der Gesellschaft verstößt hat. Ethik der Sorge ist die Sorge um den Wohlstand der anderen Menschen und sie kennzeichnen uneigennützige und edelmutige Handlungen. Gewisse Motive und Gefühle spornen den Menschen an, solche Handlungen auszuführen. Die christliche Religion predigte seit je die Liebe zum Nächsten und Hilfe für andere Menschen.

Tristan besitzt sozusagen prosoziales Benehmen, indem er die Handlungen, die den anderen Menschen und der Gesellschaft im Allgemeinen von Nutzen sein könnten, ausführt. Er tut solche Taten dabei nicht aus eigenen Interessen. Man bemerkt auch die altruistischen Gefühlsregungen, denn Tristan hat immer als Ziel den Wohlstand des anderen Menschen. Er erwartet keinen eigenen Nutzen, er ist auch dazu fähig, Opfer zu werden (Der Kampf mit Morolt, später mit dem Drachen). Sein emotionales Hineinversetzen in den psychischen Zustand der anderen Person (z.B. Markes) wird nämlich als Empathie bezeichnet. In Tristans Gestalt gibt es auch gewisse Vorliebe, den anderen Menschen in Gefahr zu helfen. Diese Vorliebe stammt vom Elterninstinkt, mit dem das Gefühl der Zärtlichkeit und Sorge verbunden ist, indem dieses Gefühl als “Erscheinungsbild des uneigennützigen und altruistischen Verhaltens (Rual) vorkommt.“[3]

Tristan ist eine charaktervolle und auf das eigene Seelenleben gerichtete Persönlichkeit. In seiner Figur gibt es sowohl angeborene als auch erworbene Anreger seines Benehmens. Unter ihnen bemerken wir auch Interaktion und Verbundenheit. Eingeborene Urheber wären Kampflust, gesellschaftliche Bestätigung und erworbener Anreger wäre nur solches Verhalten, das er später im Leben anlernte. Die Vererbung bietet eingeborene Neigungen, die mit Genen übermittelt werden. Sie dienen nur als Voraussetzung für die Entwicklung der bestimmten Funktionen und Eigenschaften. Erbfaktoren und die Umwelt wirken gleichzeitig und gegenseitig. Eisenreich meint, dass die genetische, erbliche Basis nur das Potenzial oder die Möglichkeit zur Entwicklung des bestimmten Phenotips beziehungsweise der bestimmten Persönlichkeit und ihrer Eigenschaften ist. „Die Erbfaktoren stellen nur die Basis oder die Unterlage für die Entwicklung dar und sie bestimmen die obere Entwicklungsgrenze.“[4] Ob solche Erbschaft sich vom genetischen Potenzial in eine bestimmte Persönlichkeit entwickeln und bis zur welchen Grenze diese Entwicklung laufen würde, bestimmen die äußeren Faktoren (Gegendumstände). Diese Faktoren beeinflussen das genetische Potenzial des Einzelnen.

Die Erbfaktoren könnten für das konkrete Benehmen in der bestimmten Zeit verantwortlich sein, während die Gegendumstände verantwortlich für das konkrete Verhalten im langen Zeitablauf sind.

Die Koeffizienten der Erbschaft vermehren sich mit dem Ausgleichen der Gegendumstände und sie vermindern sich mit den Gegenden, die sich gegenseitig voneinander unterscheiden.

Tristan ist sehr entschieden (wenn er sich auf den Weg zum Kampf mit Morolt machte) und er erlebt bestimmte Phasen der Entschlossenheit: ihm passierte eine Schwierigkeit, die er überwinden sollte, er stellt das Bewusstsein von der Situation her, im Moment, als er sich entscheiden musste und er prüft alle Umstände, um die er sich bemühen sollte. Die dritte Phase ist die Suche nach der Lösung, in der viele Möglichkeiten vorkommen, die er mit all ihren Vor-und Nachteilen kritisch bewertet. In der letzten Phase akzeptiert er nur eine einzige Lösung. Er entscheidet sich doch am Ende dafür, Isolde Marke zurückzugeben. Tristan besitzt eine reiche innere Welt. Gottfried beschreibt sie aber sehr wenig. Der Schriftsteller vernachlässigt hauptsächlich diesen psychischen Plan, indem er nach der Typisierung des Helden strebt.

Den Edelsinn, wie es beschrieben wurde, erwirbt Tristan mit seiner Geburt, aber die Erziehung spielt auch eine große Rolle in diesem Prozess. Tristan hat zwei Väter: Rual und Riwalon. „Jeder von diesen Vätern wurde zum Rang der vollkommenen Metapher erhoben. Riwalon ist die personifizierte Tapferkeit und Rual stellt Weisheit dar. Die beiden Väter sind übertragene Verkörperung der Qualität, die in der Hauptfigur Tristan reflektiert wurde.“[5] Riwalon ist großmütig, er ist auch ruhmvoll und er sorgt für seine Heldentaten. Er ist auch jung und tut im Kampffeld. Ihn spornt die unabhängige Kraft der Liebe (minne) zu Blanchefleur. Er verführt sie auch. Rual, auf der anderen Seite, ist untergeordnet (aus dem niedrigen Stand stammend). Er ist gezwugen am Verhehlen teilzunehmen, um Tristan zu retten. Er genießt die perfekte Ehe und ist immer am Tatort mit Riwalon da. Obwohl Riwalon herrscht, führt Rual ihre gemeinsamen Handlungen. Die beiden Väter wurden auch auf ganz andere Art und Weise dargestellt. Die Verräterei rächte sich dem Riwalon: er hatte unbegründet seinen eigenen feudalen Adeligen angegriffen. Nachdem er Marke seinen Knenchtdienst übergegeben hatte, verführte er seine Schwester und er stimmt schließlich zu, um Rual zu befriediegen, schwangere Blanchefleur zu heiraten.

Auf der anderen Seite zwingt Ruals Treue zu Riwalon ihn dazu, Tristans Geburt zu verstecken und ihn zu adoptieren. Mit fanatischer Hingebung sucht Riwalon mehr als drei Jahre seinen abgefahrten Tristan auf der ganzen Welt (bis er arm wurde und sich äußerlich veränderte). „Tristan ist der perfekte Spiegel seiner gegensätzlichen, in seinen Augen gefundenen, Qualitäten: er zeigt die besten Riwalons und Ruals Charakterzüge und zwar die Tapferkeit mit Hochmut, Klugheit ohne Aussprache.”[6] Er ist künstlerisch, sprachlich und sportlich (besonders im Fechten-Rittertum) eingeübt. Später nach dem “Minnetrank“ beginnen die schlimmsten Qualitäten seiner Väter zu dominieren: Die Verräterei, zu der Riwalon imstande ist und der Betrug, den er begeht, um Tristans richtige Geburt zu verstecken. Da weder Riwalon noch Rual eine dominierende Rolle spielen, ist es klar, dass Tristan das Beste von seinen beiden Vätern herauszuziehen versucht: “ Senfte und ritterlicher pris diu missehellent alle wis und mugen vil tibele samet wesen. Ouch han ich selbe wol gelesen, daz ere wil des libes not; gemach daz ist der eren tot,...sos reht, daz ich mich noch erhol, wan min dinc stat billiche wol an libe und an dem muote.got rate mir zem guote, daz ich dem muote vollevar!“[7]

[...]


[1] Dragoslava Perišić:” Srednjovekovni roman”. Im Buch Z.Konstantinović, Ivan Pudić, D. Perišić u.a.: “Njemačka književnost”, Buch 1, Svjetlost Sarajevo – nolit Beograd 1979, S. 23.

[2] Elisabeth und Herbert Frenzel:” Daten deutscher Dichtung”, chronologischer Abriss der deutschen Literaturgeschichte , Band 1: Von den Anfängen bis zur Romantik, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1979, S. 24- 27.

[3] Nikola Rot und Slavoljub Radonjic: “ Psihologija”. Zavod za udzbenike Beograd, 2009, Abschnitt:Osnovne psihicke pojave-psihicki procesi, osobine i stanja, S.144,145,146.

[4] Nikola Rot und Slavoljub Radonjic: “Psihologija”. Zavod za udzbenike., Beograd 2009,Abschnitt: Psihologija kao naucna disciplina, S. 31-34.

[5] G.S. Penn und F.C. Tubach:” The constellation of characters in the ‘Tristan’ of Gottfried von Straßburg”. In Monatshefte,Vol.64, No.4, S. 329-330.

[6] a.a.O. S.330

[7] Gottfried von Straßburg:” Die Geschichte der Liebe von Tristan und Isolde“. Frankfurt 2008, Vers 4427 und 4441.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Gottfried von Straßburgs Gestalt des "Tristan"
Hochschule
Universität Belgrad  (Institut für deutsche Sprache, Literatur und Kultur)
Note
2
Autor
Jahr
2010
Seiten
16
Katalognummer
V277331
ISBN (eBook)
9783656725770
ISBN (Buch)
9783656725732
Dateigröße
527 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
gottfried, straßburgs, gestalt, tristan
Arbeit zitieren
B.A. Tatjana Georgievska (Autor:in), 2010, Gottfried von Straßburgs Gestalt des "Tristan", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/277331

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