Theoretische Erklärungsansätze der Erscheinungsform Nichtsesshaftigkeit


Studienarbeit, 2004

14 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffsklärung

3. Theoretische Erklärungsansätze der Erscheinungsform Nichtsesshaftigkeit
3. 1 Psychiatrisch- neurologische Ansätze
3. 2 Der psychologische Ansatz
3. 3 Der Armutsansatz
3. 4 Der Unterversorgungsansatz
3. 5 Der Etikettierungs- / Stigmatisierungsansatz

4. Zusammenfassung

1. Einleitung

Der Verlust der Wohnung ist eine der schlimmsten Auswirkungen von Armut.

„Für das Jahr 2002 schätzt die Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe die Gesamtzahl der Wohnungslosen in der BRD auf 410.000 Menschen. Davon lebten 13%, also ca. 20.000 Menschen auf der Straße, „machten Platte“.[1] Sie leben in öffentlichem Raum und gleichzeitig gehören sie zu dem Teil der Bevölkerung über den die Öffentlichkeit kaum etwas weiß bzw. wissen möchte. „Dies drückt sich bereits im alltäglichen Sprachgebrauch aus, wenn Begriffe wie „Nichtsesshafte“, „Obdachlose“ oder „Wohnungslose“ meist unreflektiert angewandt werden. Insbesondere die Bezeichnung der „Nichtsesshaftigkeit“ bringt ein dahinterstehendes gesellschaftliches Problem auf den Punkt. Althergebrachte Ausdrücke wie „Penner“, „Trebegänger“ oder eben „Nichtsesshafte“ drücken Stigmatisierungen und Vorurteile“[2] aus, wie z.B. „sind alles Alkoholiker und Arbeitsscheue“. Dies ist auf die Entwicklungsgeschichte der Vorstellung vom Wohnungslosen zurückzuführen und hängt mit gesellschaftlichen Bedingungen und den sie begleitenden Erklärungsansätzen der Wissenschaft zusammen.

„Bereits im 19. Jahrhundert wurde nach ursächlichen Erklärungen für die sogenannte „Landstreicherei“ gesucht.“[3] Im Rahmen dieser Arbeit soll kurz auf die Problematik der Begrifflichkeiten eingegangen werden und warum andere Termini sich als adäquater erweisen. Im Anschluss werden typische Erklärungsansätze, die Wohnungslosigkeit ursächlich erklären wollen, von damals bis heute vorgestellt. Sie spiegeln auch das für die jeweilige Zeit kennzeichnende Verständnis, das diesem Personenkreis entgegengebracht wurde und den daraus resultierenden gesellschaftlichen Folgen für die Betroffenen.

2. Begriffsklärung

„Die erste große Wirtschaftskrise zur Zeit der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts brachte eine Verarmung breiter Bevölkerungsschichten mit sich. Die Arbeitslosen mussten ihren Lebensunterhalt durch Betteln sicherstellen und suchten Arbeitsplatz und Wohnung. Mit dem Programm Arbeit statt Almosen prägte Pastor von Bodelschwingh im Rahmen der ursprünglichen Nichtsesshaftenhilfe den Begriff der „Wanderarmen“. Arbeitswilligen Wanderern sollte in Arbeiterkolonien als Gegenleistung Herberge und Verpflegung gewährt werden.“[4] Ordnungs- und sozialpolitisches Ziel war die Bekämpfung der Bettlerei, „indem man das Obdachlosenproblem vor dem Hintergrund einer Wanderfürsorge zum ordentlichen Wandern herausdefinierte.“[5] Im Nationalsozialismus wurde der Ausdruck der „Wanderarmen“ durch „Nichtsesshafte“ abgelöst, der gleichzeitig zu einem Charakterzug umgedeutet wurde, nämlich nicht sesshaft und arbeitsscheu zu sein. Heute noch wird in Verordnungen und Ausführungsgesetzen zum BSHG, welche jedes Landesparlament selbst bestimmt, die Formulierung Nichtsesshafte, Nichtsesshaftenhilfe o.ä. benutzt. In den bayerischen Sozialhilferechtlinien zu §72 BSHG ist in §100 DVO an mehreren Stellen von „Nichtsesshaften“ die Rede. Schon lange wird gefordert, diese Formulierungen zu ändern. „Bereits 1987 brachte der Deutsche Städtetag den Oberbegriff „Wohnungsnotfall“ ein. Dies sind Personen, die aktuell oder unmittelbar von Wohnungslosigkeit betroffen sind, oder die in unzumutbaren Wohnverhältnissen leben. Wohnungslos ist also, wer nicht über mietvertraglich abgesicherten Wohnraum verfügt. Dazu zählen im sozialhilferechtlichen Sektor auch Menschen, die in Einrichtungen, wie Frauenhäusern und Übergangsheimen leben, oder die in Billigpensionen untergebracht sind, wobei hier die Kosten durch den Sozialhilfeträger nach §§11, 12 oder § 72 übernommen werden. Ebenso Selbstzahler in Billigpensionen oder vorübergehend bei Bekannten wohnende werden zur Gruppe der Wohnungslosen gerechnet. Nicht zuletzt zählen auch auf der Straße lebende Menschen zur Gruppe der Wohnungsnotfälle.“[6] Viele Autoren postulieren generell die Begriffe „Wohnungslosigkeit“ bzw. „Wohnungslose“ zu verwenden, da daraus lediglich eine sozioökonomische Notsituation ableitbar ist. Dadurch wird der Tendenz entgegengewirkt, Wohnungslosigkeit zu individualisieren oder den Betroffenen etikettierende Merkmale zuzuschreiben, bis hin zu Persönlichkeitsstörungen (vergleiche hierzu den nächsten Abschnitt). Denn schließlich teilen alle Wohnungslosen vor allem ein Merkmal: arm zu sein und nicht so zu wohnen, wie es individuellen und gesellschaftlichen Grundbedürfnissen gerecht werden würde. Letztlich wird allerdings die Verwendung eines alternativen Begriffes alleine nicht ausreichen, gesellschaftliche Vorurteile auszuräumen. Einrichtungen und Lobbyverbände der Wohnungslosenhilfe werden noch viel Aufklärungsarbeit in der Öffentlichkeit zu leisten haben, wenn stigmatisierenden Vorstellungen entgegengewirkt werden soll.

3. Theoretische Erklärungsansätze der Erscheinungsform Nichtsesshaftigkeit

Die theoretischen Modelle der letzten hundert Jahre zeigen eine Entwicklung von einer anfänglich individualisierenden, personenzentrierten, bis hin zu einer sozialstrukturellen Sichtweise. „Die Ansicht, die Ursachen der Wohnungslosigkeit seien im Betroffenen selbst, also in Defiziten seiner Persönlichkeit zu suchen“[7], wurde zunehmend durch neuere Untersuchungen verdrängt, die ihren Fokus auf soziale bzw. gesellschaftliche Bedingungen und Prozesse richteten.

3.1 Psychiatrisch- neurologische Ansätze

„Durch den deutschen Arzt Donath wurde 1899 der Krankheitsbegriff des Wandertriebs (Poriomanie) propagiert, der anfangs als eine Form der Epilepsie verstanden wurde. Nichtsesshaften, auf den Strassen umherziehenden Menschen, wurde ein zwanghafter innerer Drang zum Umherwandern zugeschrieben. Neben der Landstreicherei wurde, die mit dem Begriff verbundene Vorstellung, eines „krankhaften Wanderzustandes“ zunehmend auf Schulschwänzen, Fortlaufen aus der Fürsorgeerziehung und Fahnenflucht ausgeweitet.

[...]


[1] Vgl. www.bag-wohnungslosenhilfe.de/fakten/1.phtml

[2] Vgl. Gillich, Stefan u. Nieslony, Frank; Armut und Wohnungslosigkeit; Fortis Verlag; Köln 2000, S. 63

[3] Vgl. Gillich, Stefan u. Nieslony, Frank; Armut und Wohnungslosigkeit; Fortis Verlag; Köln 2000, S.131

[4] Vgl. Gillich, Stefan u. Nieslony, Frank; Armut und Wohnungslosigkeit; Fortis Verlag; Köln 2000, S. 107ff.

[5] Vgl. Preußer, Norbert; ObDach; Beltz Verlag; Weinheim/ Basel 1993, S. 45

[6] Vgl. Gillich, Stefan u. Nieslony, Frank; Armut und Wohnungslosigkeit; Fortis Verlag; Köln 2000, S. 67 ff.

[7] Vgl. Gillich, Stefan u. Nieslony, Frank; Armut und Wohnungslosigkeit; Fortis Verlag; Köln 2000, S.131

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Theoretische Erklärungsansätze der Erscheinungsform Nichtsesshaftigkeit
Hochschule
Hochschule München  (Fachbereich Sozialwesen)
Veranstaltung
Wohnungslosigkeit als Gegenstand der Sozialen Arbeit
Note
1
Autor
Jahr
2004
Seiten
14
Katalognummer
V27719
ISBN (eBook)
9783638296878
Dateigröße
505 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theoretische, Erklärungsansätze, Erscheinungsform, Nichtsesshaftigkeit, Wohnungslosigkeit, Gegenstand, Sozialen, Arbeit
Arbeit zitieren
Iris Gorke (Autor:in), 2004, Theoretische Erklärungsansätze der Erscheinungsform Nichtsesshaftigkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27719

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