Über einen für die Traurigkeit bestimmten Minneritter

Gâwân aus der Sicht von Wolfram von Eschenbach und Chrétien de Troyes


Bachelorarbeit, 2013

42 Seiten, Note: 3,0


Leseprobe


1.

Wolfram von Eschenbach ist einer der berühmtesten und produktivsten Dichter der deutschen Literatur des Mittelalters. Sein literarisches Schaffen bilden Liebesgedichte und drei große Romane, von welchenTiturelundWillehalmunvollendet sind.

Wolframs wichtigstes WerkParzivâlist ein Artusroman, der eine besondere Gattung der westeuropäischen mittelalterlichen Literatur darstellt. Diese Romane sind in Verbindung mit der charismatischen Persönlichkeit des Königs Artus und seinen Rittern der Tafelrunde. Sie beschreiben die ritterlichen Abenteuern, aber die Minnethematik ist auch von großer Bedeutung.[1]

Der Stoff kommt aus Frankreich nach Deutschland. In diesen Werken erscheinen Beschreibungen der Festspielen des Königs Artus und die Damen spielen eine wichtige Rolle. Die Beziehung zwischen den Damen und Rittern ist institutionalisiert. Das Leitthema der höfischen Kultur ist eine edle Minne und ein echter Kampf. Wenn es um die innere Dimension des Werkes geht, ist darauf hinzuweisen, dass Artus kein wahrer Held ist, sondern ein Garant der Geschichte. Der König ist vorbildlich, aber passiv.

Im Gegensatz zu Hartmann benutzt Wolfram die Quelle fr eier und so seine eigene Poesie schafft und die Geschichte im Geiste der deutschen Mentalität formt.

Zunächst vor allem für den Adel geschrieben, und zunehmend auch für das breite Publikum, hat die epische Literatur in der späteren Zeit die Bedürfnisse der höheren Schichten der Gesellschaft in der Entwicklung nicht ausreichend zufriedengestellt. Wenn die erste Zeit der Kriegsbegeisterung vorbei war, was für das 11. Jahrhundert charakteristisch war, wendete sich das Interesse des jetzt freieren Adels und Klerus zu anderen Bereichen. Der Durst nach Produkten der dichterischen Phantasie wird unwiderstehlich stärker, neben chansons de geste, die für künstlerische Umsetzung der historischen Ereignissen gehalten wurden, und außerdem interessiert man sich für die Werke, in denen sich die reine Fiktion mit unterschiedlichsten biographischen Daten mischt. Deswegen entwickelt sich im 12. Jahrhundert eine andere, auch erzählende Literatur, die sich nach der Thematik und Form von Heldenepen unterscheidet, vor allem von denen aus der heroischen Periode.

Der Akt des Übergangs vom Edelknabe zum Ritter bekommt festlichen Charakter, wobei eine moralische und religiöse Komponente hinzugefügt wird. Die Nachtwache des zukünftigen Ritters, die Fasten, die Predigt über seine Aufgaben, die Umarmung der Senioren und das Umbinden des Schwertes (das gesamte Prozess) sprachen nicht nur über die Geburt eines Kriegers, sondern auch eines tapferen Mannes, eines Trägers der Grundsätzen der Gerechtigkeit und eines Verteidigers der Schwachen. Im 12.Jahrhundert kommt es zu einer allgemeinen Erhöhung der Reputation und des Einflusses der Frauen. In der Abwesenheit des Herren bekommt die Frau die Rolle der Gönnerin. Sie wird Förderin der Dichter, die sich auf ihrem Hof versammeln, manchmal aber auch selbst die Dichterin. Sie ist Erzieherin der jungen Edelknaben, die für ihre ästhetische und moralische Erziehung ihr zu verdanken haben. Die Frau wird wichtiger Empfänger und in diesem Sinne begannen die Schöpfer sich auf sie zu verlassen. Während die heroische Dichtung vor allem für Männer war, reden die Romane des bretonischen Zyklus und die Troubadourlyrik die Frauen an. Neue ritterliche Vorstellung von der Minne ist das Ergebnis des neuen Status der Frauen. Durch Übertragung der Beziehung Herr-Vasall auf die Liebesdomäne, fang der Mann an, zu seiner Frau zu gehorchen, er bettelt sie um Liebe und erwartet geduldig ihre Neigung; mit fast masochistischer Unterwerfung hat er ihre Laune ausgehalten. Es entwickelt sich das Verständnis von Minne als einem großen, fernen, fast unereichbaren Ideal, einer absoluter Minne, etwas, das sich selbst das Ziel ist. Die einzige Belohnung für einen verliebten Mann ist oft nur die bloße Möglichkeit, eine Frau zu lieben. Im Sinne einer solchen Anschauung und des Verständnisses über die schematische Übertragung auf den Liebesplan eines untergeordneten Verhältnisses, kann die Toleranz der Minne eines Ritters gegenüber verheirateter Dame seitens ihres Ehemannes, eines mächtigen Feudalherren, verstanden werden. Viele edle Frauen waren die Besitzerinnen von großen Domänen, also sie waren unabhängig.

In die französiche Literatur der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts gehen neue Legenden ein, die die antike Stoffe zurückdrengen, weil sie dem modernen Leser geographisch näher waren und mit ihren geheimnissvollen Persönlichkeiten und Ereignissen die Neugier noch mehr geweckt haben. Das war der Zyklus der bretonischen Legenden (la matière de Bretagne), der in zwei Gruppen unterteilt wird: die Gedichte der „Tafelrunde“, dh. Gedichte in Verbindung mit dem König Artus und seinen Rittern und die Gedichte über die Liebe zwischen Tristan und Isolde.

Über die Entstehung und Weiterleitung des „bretonischen Stoffes“, und vor allem über den Ursprung der Legende vom König Artus, gibt es zahlreiche und komplizierte Theorien. Sicher ist, dass Artus, der nach der neuesten Forschungen keltischer Herrscher zu sein scheint (früher dachte man, dass er nur ein gewöhnlicher Führer war, welcher nur in den Legenden als König gefeiert wurde), und der sich den sächsischen Eroberern widersetzt hat, das Objekt der Bewunderung und der Hoffnungen seiner Landsleute war. Normannische Herrscher, die die Kelten gegen die Angelsachsen zu wenden pflegten, ermutigten die bretonische Tradition. Besonders die Plantagenets haben auf die Legenden über Artus Tod beharrt, mit dem Wunsch, durch Brechung des Glaubens an seine Ruhephase und sein Aufwachen, sich selbst den Platz seiner Nachfolger zu sichern. Es ist bekannt, dass sich die keltischen Legenden in Frankreich nach 1130 ausgebreitet haben. Für die Ausbreitung dieser Legenden ist das WerkHistoria regum Britanniaewichtig, das um 1136 Geoffroi de Monmouth geschrieben hat, und in ihm fiktive Heldentaten des Königs Artus beschrieben hat, angeregt durch patriotische Gefühle und Widerstand gegen die Sachsen.

Chrétien de Troyes trägt die größte Verantwortung für die Einführung des bretonischen Stoffes in die französische Literatur. Mit seiner Neigung zum geheimnisvollen und mythologischen, geht Chrétien „Le Conte du Graal“ vollständig in die Mystik. In der französischen Literatur ist er der Gründer des Zyklus über den sogenannten „Heligen Gral“ (le saint Graal), eine Schale, in der sich das Blut Christus befindet, und über die Suche nach ihr, mit ihrer mystischen Symbolik. Im Roman über Parzivâl sind die weltlichen Bestrebungen des Helden im Hintergrund zugunsten überirdischer Bestrebungen, und die Figur des idealen Ritters bekommt eine andere, spirituelle Dimension.[2]

Bumke hat richtig bemerkt, dass dieses ideales Bild, in dem die Minne der höchste sozialle Wert ist, von der Realität abweicht. Kein Mensch lebte als Helden der Artusromane, deren Streben sich völlig nach der Erreichung der Hochachtung in den Ritterturnieren und der Minnedienst gerichtet hat. Die Dichter haben eine märchenhafte Welt beschrieben, in der alle politischen, wirtschaftlichen und soziallen Probleme und Konflikte, mit denen der Adel konfrotiert wurde, künstlich weggelassen wurden. Sie schafften so eine Art von Utopie. Man bekommt den Eindruck, dass sie dadurch für eine kurze Zeit die Schwierigkeiten und Belastungen der Realität vergessen wollten. Wie der Hofprediger Petrus von Blois bemerkt hat (gest. 1204), besteht im Ritterorden keine Ordnung. Denn wer am meisten unhöffliche Wörter spricht, schimpft, am wenigsten Angst vor Gott hat, die Diener Gottes und die Kirche verachtet, wird unter den Rittern als fähigste und angesehnste geschätzt. Sobald sie schworen, über die öffentliche Ordnung Sorge zu tragen, nie aus der Schlacht wegzulaufen, ihr Leben dem öffentlichen Wohl zu schenken, beginnen die Ritter zu plündern, von Dienern Gottes zu stehlen, die Armen zu unterdrücken. Indem sie den Schmerz bei anderen Leuten verursachten, realisierten sie ihre eigene verbotene Wünsche. Anstatt ihren Mut zu beweisen und die Stärke im Kampf gegen den Feind zu äußern, trinken sie lieber und sich streiten, faulenzen, übertreiben beim Essen und Trinken. Durch ihre schlechte Lebensweise beschädigten sie ihren guten Ruf. Wenn die Rittern in den Krieg gingen, haben sie auf ihre Pferde keine Waffen sondern Wein beladen, keine Speere, sondern Käse usw. Solches Verhalten haben sowohl Kleriker als auch Dichter verurteilt. Deswegen reichten sie nach der fernen Vergangenheit, nach der Zeit, in der König Artus und die Ritter der Tafelrunde gelebt haben. Dadurch wollten die Dichter die soziale Praxis beeinflussen.[3]

Während des 12. Jahrhunderts kommt es zur intensiven Säkularisierung der deutschen Literatur. Zur Beschleunigung dieses Prozesses haben mehrere wichtige gesellschaftliche und politische Änderungen beigetragen, vor allem die Erhöhung des kaiserlichen Machtes zur Zeit der Dynastie Hohenstaufen. Kaiserlicher Hof, obwohl im ständigen Konflikt mit dem Päpsten, wird zum Mittelpunkt einer neuen, säkulären Kultur, deren Ideal der mittelalterliche Ritter darstellt. Ethische Ideale der ritterlichen Gesellschaft waren heitere gesellschafteliche Stimmung (hôhe muot), Beständigkeit (staete), Treue (triuwe), und Mut (tapferkeit), mit dem sie ihre ritterliche Ehre (êre) zu verteidigen strebten. Die Gemessenheit beim Verhalten (mâze) und die Fähigkeit der Beherrschung sich selbst (zuht), eigener Gefühle, Worte und Werke, führten zur Schaffung von edlen höfischen Sitten (hövescheit), die als geweihte Lebensnormen aufgenommen wurden. Neben genannten Tugenden haben die Ritter am Hofe als Gönner oder Dichter die höfische Liebeslyrik Minnesang und höfische Epen gepflegt und entwickelt, die oft höfische Romane genannt wurden. Ihre Blütezeit fand im späten 12. und frühen 13. Jahrhundert statt.

Der höfische Roman in Deutschland erreicht seinen Höhepunkt mit Werken von Hartmann, Gottfried und Wolfram. Die meisten von diesen Romanen wurde aus Frankreich übernommen, mit einer Verspätung von 30 Jahren. Der Stoff für diese Romane wurde zuerst aus der Antike genommen (Alexander der Große, Trojanischer Krieg, Eneida), und dann aus alten keltischen Sagen, die zusammen mit flüchtigen Briten nach Bretagne angekommen sind.[4]

2.

Wolfram zählt zu den größten deutschen und europäischen Dichtern des Mittelalters. Er wurde 1170 in der Stadt Eschenbach geboren, nach seinen eigenen Mitteilungen war armer Herkunft und der Dienst des Grafen von Wertheim. Er behauptete, dass er weder lesen noch schreiben kann. Dies dürfte nicht wörtlich verstanden werden, da seine Werke großes literarisches Können und Geschicklichkeit zeigen. Einige Zeit lang wanderte er durch Deutschland als reisender Ritter und genießte die Neigung des Grafen Hermann von Thüringen. Eine Zeit lang verbrachte er am Hofe des Gönners in Wartburg. Da traf er wahrscheinlich Reinmar und Walter von der Vogelweide. Er starb 1220 und wurde in Eschenbach begraben. Als Minnesänger hinterließ Wolfram einige Minnelieder. Die wichtigsten sind die Tagelieder. Außerdem hat er drei epische Werke nach französischen Vorbildern geschrieben. Das erste und wichtigste Wolframs Werk ist “Parzivâl“(entstand zwischen 1200-1210). Es ist ein Meisterwerk Deutschlands und eins der berühmtesten Werke der Weltliteratur, in dem Wolfram die Artus-Sage mit der Gral-Sage verbunden hat und einige Elemente eines keltischen Märchens hinzugefügt hat.

Der Dichter gibt keine zuverlässigen Informationen über seine Quellen für dieses Werk. Einmal hat er sich geäußert, dass er keine Vorbilder hat (115,29-30); auf der anderen Seite beruft er sich oft auf aventiure maere und erwähnt sonst unbekannten Kyot als seinen Gewährsmann. Bisherige Studien (Rachbauerа, Fourquetа, Mergellа) zeigen, dass Wolframs Hauptquelle für Parzivâl das Werk Chrétien de Troyes“Le Conte du Graal“war. Eschenbach benutzte auch andere sekundäre Quellen. Ab dem 11. Buch distanzierte er sich immer mehr von französischer Quelle.

Man merkt den Einfluss der deutschen Quellen, Veldeke und Hartmann.

In Bezug auf die Typologie zählt Parzivâl zu den Doppel-Romanen. Als literarische Gattung tritt dieser Roman in der Antike auf; im Mittelalter zum ersten Mal bei Chrétien de Troyes, vorbereitet in Lancelot und aufgeführt in “Le Conte du Graal“. Wolfram übernimmt das Schema des Doppel-Romans, entwickelt ihn aber nicht im Sinne von Chrétien.

3.

Gâwân ist die wichtigste Figur in diesem Roman nach Parzivâl. Ihm wurden die Bücher 6-14 gewidmet. Sein Name wird zum ersten Mal im zweiten Buch des Romans erwähnt, an der Stelle wo der Dichter ein Turnier beschreibt. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit ist eigentlich sein Vater Lot, der König von Norwegen, über den positiv gesprochen wird („gein valscheit der træge“; „der snelle gein dem prîse“, „der küene degen wîse.“). Als er Gâwân erwähnt, weist Eschenbach darauf hin, dass er zu klein ist, um auf den Turnieren teilzunehmen, was bedeutet, dass er noch ein Kind ist. Es wurde erwähnt, dass er den Kampf wollte, wusste aber, dass er stark genug sein sollte, um die „Speere zu brechen“. Er war ohne Zweifel kämpferisch.

Im sechsten Buch beginnt Eschenbach mit intensivem Aufbau dieses Charakters. In der erstmaligen Beschreibung wird angedeutet, dass er, wie auch Parzivâl, für eine intensive Liebe fähig ist. Auf diese Weise möchte er die Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, dass die Minnethematik in seinem Fokus ist. Gâwân erscheint zuerst in einer Szene, die durch den hohen Grad der Symbolisierung gekennzeichnet wird. Parzivâl, der sich bei der Jagd verloren hat, befindet sich in einer schneebedeckten Umgebung (es hat viel geschneit, obwohl es Mai war). Im Morgengrauen bummelte er ohne den Weg zu wissen; sein Falke verletzte die Gans, die den Schutz im Stamm eines Baums fand. Aus ihrer Wunde fallen drei Bluttropfen auf den Schnee. Nachdem Parzivâl diese Tropfen sieht, überwindet ihn die Sehnsucht, die das Ergebnis seiner treuen Liebe zu Condwîr âmûrs. Mit dem visuellen Eindruck fasziniert (mit dem Kontrast zwischen dem Knallrot und zärtlicher weißer Farbe), findet er wie sich die Schönheit dieser Szene nur mit der Schönheit seiner Geliebten vergleichen kann.[5]Nach Eschenbachs Worten fühlte Parzivâl wahre Liebe zu Condwîr âmûrs. Diese ungewöhnliche Szene betont stark Parzivâls Zärtlichkeit und Verbundenheit mit der Frau, die das Gegenstand seiner Liebe ist, aber auch die Macht seiner Liebe (in Gedanken versunken fiel er in Trance). In seinem Kommentar hebt Eschenbach eine starke magische Kraft der Liebe hervor (ihre faszinierende Wirkung), sowie die Tatsache, dass Parzivâl mit der Liebe seiner Condwîr âmûrs bezaubert war. Sie hat ihm den Verstand „gestohlen“ (weggenommen), und so saß er auf seinem Pferd, als er schlief. Der Schriftsteller spricht über Gâwâns Rolle bei der Parzivâls Befreiung aus diesem Zustand, in den er gefallen war. Er stellt ihn als Artus Neffe vor und sagt, dass er die magische Wirkung von Bluttropfen erkannt hat, da er, wie auch Parzivâl, für eine intensive Liebe fähig war; den „Zugrundegehenden“ kehrte er in die Realität zurück, indem er das Symbol der Liebe mit einem Schal deckte. Durch den Vergleich mit Parzivâl, kündigt der Schriftsteller die Zusammenfassung über Gâwân an und möchte zugleich seine Rationalität hervorheben.

Es wurde weiter erzählt, wie Gâwân Parzivâl an den Hof von Artus brachte; da beklagte ihn Ritter Kingrimursel, dass er seinen Herren und Verwandten, König Kingrisin von Ascalon, geschlagen hat. Kingrimursel verlangt, dass Gâwân, falls er seine Unschuld beweisen möchte, innerhalb 40 Tage in Schanpfanzun an einem Zweikampf teilnimmt. Obwohl er durch diese Beschwerde betroffen wurde (viel später weist Schriftsteller darauf hin, dass sie unbegründet wurde), musste er diese Anforderung akzeptieren; würde er seine Entscheidung im Bezug auf seine Teilnahme am Zweikampf ändern, würde er die Ritter der Tafelrunde entehren, zu denen er selbst gehört. Parzivâl geht weiter und Gâwân macht Vorbereitungen für den Kampf (wählt die Gefolge und Waffen aus).

Am Beginn des siebten Buches lobt der Schriftsteller Gâwân und sagt, dass er nie etwas Schändliches getan hat. Für ihn benutzt er das Adjektiv „erkande“. Er macht dem Leser/Hörer deutlich, dass dieser Held „nach einiger Zeit“ über den Roman entscheiden wird. Eschenbach platziert Gâwân zweifellos gleich neben seiner Hauptfigur. Gâwâns Porträt wird an dieser Stelle durch Hervorhebung einiger seiner wesentlichen Charakterzügen ergänzt: er zeigte feste Einstellung, Mut und Fähigkeit, sich selbst zu beherrschen. Eschenbach weist auf Gâwâns militärische Fähigkeiten hin (er ist im Kampf erfolgreich und befindet sich immer im Mittelpunkt der Erreignisse).

Danach zeigt Eschenbach wie Gâwân nach Schanpfanzun reist. Auf seinem Weg hält er an einem Ort, von einer großen Armee angezogen, die in entgegengesetzter Richtung geht. Er denkt darüber nach, wie es zu spät ist, in den Wald zu entfliehen. Die Feigheit stimmt aber mit seinem Stolz nicht überein. Er entscheidet, den Speer zu nehmen, falls sie ihn angreifen. Von einem Junge, der in seiner Nähe war, erfährt er, dass die Armee vom König Meljanz von Lîz geführt wird, der in den Kampf gegen Herzog Lyppaut geht, dessen Tochter Obîe ihn beleidigt hat. Sie verspottete den Wunsch des Königs, ihm für seine Minnedienst die Belohnung zu geben. Nachdem er das alles gehört hat, denkt Gâwân nach, ob er bleiben sollte, um den Kampf zu betrachten (er fragt sich, ob es zu riskant ist) oder ob er weitergehen sollte, obwohl er als Ritter an dem Zweikampf zweifellos das Interesse hat. Er ist mit Bêârosche beeindruckt (er ist prächtig), reitet zu Schloss, kann aber nicht reinkommen, weil die Tore gemauert sind. Deswegen reitet er bergauf. Er zieht die Aufmerksamkeit der Fürstenfamilie, besonders ihrer Tochter. Die ältere Obîe sieht in ihm einen gewöhnlichen Händler,[6]und die jüngere Obilôt widerspricht. Sie lobt sein Aussehen und macht deutlich, dass es liebenswert ist. Sie will ihn als Ritter zu sich nehmen und ihm die Belohnung geben, falls er ihr Minnedienst leistet. Gâwân kann von seiner Stelle dieses Gespräch hören. Lyppauts Ehefrau konfrotiert mit Obîe, weil sie denkt, dass der Fremde kein Händler ist. Dann widerspricht Obilôt stärker ihrer Schwester und veröffentlicht die Einzelheiten ihrer Liebesgeschichte. Obîe versucht danach Gâwân nicht nur mit den Worten zu erniedrigen. Sie schickt den Edelknaben, ihn zu fragen, ob die Pferde zum Verkauf sind. Er bleibt aber sprachlos, weil er mit dem Gâwâns Aussehen erschrocken wurde[7]; er wurde vom Angst fast gelähmt (360, 17-23). Danach verlangt Obîe vom Grafen der Stadt Scherules, Gâwâns Pferde und Ware zu nehmen; sie warnt, dass der Händler bzw. Gâwân sie zu betrügen versuchen wird und dass Scherules es verhindern muss. Beim Treffen merkt Scherules Gâwâns Qualitäten (361,21-26), wird herzlich und bietet ihm die Gastfreundschaft. Der dritte Versuch von Obîe, Gâwân zu schädigen, scheint der gefährlichste zu sein. Sie sendet ihrem Vater eine Nachricht, dass auf dem Weg ein Geldfälscher ist, wobei sie an Gâwân denkt. Sie informiert den Vater, dass Gâwân etwas Gutes und Teueres besitzt, was er als militärische Gehälter nutzen kann und viele Söldner mit Pferden, Silber und Kleidung bezahlen kann. Aber Scherules hilft Gâwân; er überzeugt Lyppaut, dass er betrogen wurde. Danach möchte Lyppaut Gâwân kennen lernen; bei dem Treffen merkt er seine Schönheit, angemessenes ritterliches Verhalten und gewagte Haltung (364,24-30).

Es scheint, dass Eschenbach absichtlich mit der Beschreibung von Obîes Nachteilen übertreibt. Dann versucht er ihr unangemessenes Verhalten zu erklären.[8]In seinem Exkurs zeigt er, dass niemand vollständig erzählen kann, bis zu welchen Wundern die Liebe führen kann; eine wahre Liebe des Herzens schwächt deutlich den Verstand. Wenn er über die Liebe zwischen Obîe und Meljanz spricht, betont er, dass sie sich viel geliebt haben und dass ihre Treue so stark war. Deswegen sollte der Zorn von Meljanz keine Kritik, sondern das Mitgefühl wecken. Eschenbach gibt an, dass Obîe wütend wurde[9]und dass Gâwân, obwohl unschuldig, wie viele andere Männer, wegen ihrer Frustration leiden musste. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf einen wichtigen Charakterzug von Obîe: sehr oft, aus Wut, „si kom dicke ûz frouwenlîchen siten“, dh. sie benimmt sich unangemessen. Sie hat es gestört, immer wenn sie einen edlen Mann sah. Dann wunschte sie immer, dass Meljanz der erste ist. Durch die Rechtfertigung von Obîe, versucht der Schriftsteller darauf hinzuweisen, dass auch in seiner Zeit („auch heute“) die Liebe oft zum Zorn führt.

Fürst Lyppaut bittet Gâwân um ritterliche Hilfe und zeigt seine Bereitschaft, ihm die notwendige Kampfausrüstung zu besorgen. Gâwân sagt jedoch, dass er seine Bitte gerne akzeptieren würde, aber dass er selbst auch in den Kampf gehen muss, um sein Ansehen wieder zu gewinnen. Lyppaut gibt nicht nach und versucht weiter, Gâwân zu überreden, auf seiner Seite zu kämfen. Er lobt Gâwân und verweist auf seine Unschuld. Die Rede verwandelt sich in eine Art persönlischen Bekenntnisses, emotional gefärbt.[10] Offensichtlich mit Lyppauts Bekenntnis wird Gâwân erschüttert und verspricht ihm, bis zu der Nacht über seine Teilnahme am Zweikampf zu entscheiden.

[...]


[1]Laut: MERTENS, Volker: „Der deutsche Artusroman“. Stuttgart 1998 (= Reclam Ausgabe Universalbibliothek 17609).

[2]Nikola Banašević, „Französische Literatur des Mittelalters“. Im Buch Französische Literatur (vom Mittelalter bis 1683), erste Ausgabe, Buch I. Sarajevo, Belgrad, 1976, S. 24-29.

[3]Laut: Joachim Bumke, „Höfische Kultur, Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter“. Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 2002, S. 381,382,430-432.

[4]Dragoslava Perišić, „Mittelalterlicher Roman“. Im Buch von mehreren Autoren Deutsche Literatur, Buch I, Sarajevo,Belgrad, 1979, S.23-24.

[5]Parzivâl beschließt, dass vor ihm eigentlich das Bild seiner Geliebten liegt. Zwei Tropfen Blut spiegeln die Wangen von Condwîr âmûrs wieder, und der dritte - ihr Kinn.

[6]Gâwân, wie Parzivâl, gelangt in den Liebeskrieg.

[7]Gâwân war wütend und seine Augen funkelten.

[8]Bayard Quincy Morgan, in seiner Studie: „Some Women in Parzival“, S. 190 bezeichnet dieses Benehmen als: pervercity, dh. pervertiert.

[9]Laut Morgans Deutung, war sie traurig (grieve), „Some Women“, S. 90

[10]Lyppaut spricht davon, wie er zwei Töchter hat, die er sehr liebt. Er informiert Gâwân über seinen Kummer und die Gefahr, der er ausgesetzt ist. Er gesteht, dass er überzeugt ist, dass ihn Meljanz angrifft, weil er keinen Sohn hat, ihn zu verteidigen. Er sagt jedoch, dass derjenige, der seine Tochter wählt, obwohl ihr der Schwert verboten ist, eine Hilfe sein kann (hier denkt er an den Schwiegersohn, auf den er hofft). Im Kommentar zu dem Text wird festgestellt, dass Lyppaut an Meljanz denkt, weil Gâwân, über den sich Obîe verspottet hat, in Frage nicht kommt . Dies könnte Lyppauts Verhältnis zu Meljanz völlig zerstören.

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Details

Titel
Über einen für die Traurigkeit bestimmten Minneritter
Untertitel
Gâwân aus der Sicht von Wolfram von Eschenbach und Chrétien de Troyes
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Germanistik)
Note
3,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
42
Katalognummer
V276635
ISBN (eBook)
9783656704171
ISBN (Buch)
9783656710134
Dateigröße
601 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
gawan, minneritter
Arbeit zitieren
B.A. Tatjana Georgievska (Autor:in), 2013, Über einen für die Traurigkeit bestimmten Minneritter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/276635

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