Befragung ehemaliger Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Jobcoaching-Projekts

Die wachsende Bedeutung von Schlüsselqualifikationen auf dem Arbeitsmarkt und deren Berücksichtigung im Konzept des Jobcoaching-Projekts


Examensarbeit, 2004

125 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Inhalt

VORWORT

1. EINLEITUNG
1.1 Definition von „Lernbehinderung“
1.2 Aktualität der Thematik „Berufsvorbereitung und -eingliederung von lernbehinderten Schüler n

2. STAND DER FORSCHUNG
2.1 Die Arbeitsmarktsituation im Hinblick auf Abgänger der Schule für Lernbehinderte betrachtet
2.2 Die besondere Bedeutung von „Schlüsselqualifikationen“ für die Berufseingliederung Lernbehinderter
2.2.1 Was sind „Schlüsselqualifikationen“?
2.2.2 Bedeutsamkeit der „Schlüsselqualifikationen“ auf dem Arbeitsmarkt
2.2.3 Möglichkeiten zum Erwerb von „Schlüsselqualifikationen“
2.3 Kognitive Leistungsfähigkeit
2.4 Emotionale Probleme der lernbehinderten Jugendlichen
2.5 Richtlinien zur Berufsvorbereitung in der Sonderschule für Lernbehinderte
2.6 Maßnahmen zur Berufseingliederung

3. EIGENE FRAGESTELLUNG

4. METHODE
4.1 Forschungsprojekt Jobcoaching
4.1.1 Was ist das Jobcoaching?
4.1.2 Inhalte des Jobcoachings
4.1.3 Ziele des Jobcoaching-Projekts
4.2 Methodisches Vorgehen
4.2.1 Qualitative Sozialforschung
4.2.2 Die Datenerhebung
4.3 Auswahl der Interviewpartner

5. DIE AUSWERTUNG
5.1 Rahmenbedingungen
5.2 Das Interview
5.3 Die Transkription
5.4 Analyse der fünf Interviews
5.4.1 Interview 1: Ali
5.4.2 Interview 2: Sonja
5.4.3 Interview 3: Sven
5.4.4 Interview 4: David
5.4.5 Interview 5: Andreas
5.5 Gesamtauswertung und Vergleich der fünf Einzelanalysen

6. DISKUSSION
6.1 Anmerkungen zur Methode
6.2 Beantwortung der Fragestellung
6.3 Notwendigkeit der Förderung von Schlüsselqualifikationen im Rahmen der vorberuflichen Bildung in Schulen für Lernbehinderte
6.4 Fazit

7. ZUSAMMENFASSUNG

LITERATURVERZEICHNIS

ANHANG
A Leitfaden für das Interview mit den Jugendlichen
B Transkription
Interview 1: Ali
Interview 2. Sonja
Interview 3: Sven
Interview 4: David
Interview 5: Andreas

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der beruflichen Eingliederung der Schüler der Sonderschule für Lernbehinderte. Hierzu wird ein Berufseingliederungsprojekt, das Jobcoaching-Projekt der Universität zu Köln, genauer betrachtet. Kern der Arbeit ist die Analyse und der Vergleich von fünf Interviews, welche mit ehemaligen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Jobcoaching-Projekts geführt wurden. Das Augenmerk wird besonders auf die Bedeutung und die Funktion von Schlüsselqualifikationen bei der beruflichen Eingliederung gerichtet.

Aufbau der Arbeit:

In Kapitel 1.1 wird der Begriff „Lernbehinderung“ kurz definiert. Kapitel 1.2 beschreibt die Aktualität der Thematik „Berufsvorbereitung und -Eingliederung von lernbehinderten Schülern“.

Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der derzeitigen Arbeitsmarktsituation unter der besonderen Berücksichtigung von „Schlüsselqualifikationen“. Ebenso werden Defizite hinsichtlich der kognitiven Leistungsfähigkeit und emotionale Probleme von Abgängern der Sonderschule für Lernbehinderte aufgezeigt. Kurz wird auf die Richtlinien der Berufsvorbereitung durch das Fach Arbeitslehre in der Sonderschule für Lernbehinderte eingegangen. Zum Abschluss von Kapitel zwei werden verschiedene Methoden der beruflichen Rehabilitation (unter Einbeziehung rechtlicher Grundlagen) genannt.

In Kapitel drei werden zwei eigene Fragestellungen formuliert.

Kapitel vier umfasst den methodischen Teil der Arbeit. Zunächst wird das Forschungsprojekt Jobcoaching detailliert dargestellt. Des Weiteren werden der qualitative Forschungsansatz und die in dieser Arbeit angewendete Methode der Datenerhebung beschrieben. Am Schluss dieses Kapitels wird die Auswahl der Interviewpartner erläutert.

In Kapitel fünf wird die Auswertung der fünf Einzelanalysen dargestellt.

In Kapitel sechs werden Anmerkungen zur angewendeten Methode gemacht. Die zwei Fragestellungen werden beantwortet. Es wird über die Notwendigkeit von Schlüsselqualifikationen bei der beruflichen Eingliederung diskutiert und Stellung genommen. Zum Abschluss der Arbeit wird ein Fazit formuliert.

In Kapitel sieben werden die einzelnen Kapitel der Arbeit noch einmal kurz referiert, damit sich der Leser einen genaueren Überblick über die Arbeit verschaffen kann.

1.1 Definition von „Lernbehinderung“

Den Begriff „Lernbehinderung“ zu definieren ist aufgrund der Problematik der Begriffsbildung und –bestimmung und auch aufgrund der schwierigen Geschichte des Faches sehr kompliziert (Schröder, 2000). So ist es nicht so einfach, den Personenkreis der Lernbehinderten zu umschreiben und einzugrenzen.

Schröder (2000) versteht Lernbehinderung

als eine derart ausgeprägte, verschärfte Situation negativer Abweichung im schulischen Lernen, dass die Allgemeine Schule, so wie sie im deutschen Bildungssystem existiert, sie nach ihrem Verständnis und Auftrag mit ihren Mitteln und Möglichkeiten (einschließlich zusätzlich aufgewandter Förderung) nicht mehr auf ein ihr erträgliches Ausmaß reduzieren kann und zu tolerieren bereit ist. (S. 95).

Bleidick (1977) hat „Lernbehinderung“ sehr provokativ mit dem tautologischen Satz „Lernbehindert ist, wer eine Schule für Lernbehinderte besucht“ definiert (in: Schröder, 2000, S. 88).

Klauer und Lauth zählen Lernbehinderungen zu den Lernstörungen persistierender Art, dass heißt zu den fortdauernden Lernstörungen.

Lernbehinderungen wachsen nicht aus. Sie bleiben auch im Erwachsenenalter bestehen (Deege, Skript WS 02/03). Nach Kanter

sind Schüler lernbehindert, wenn ein schwer wiegendes, umfängliches und lang andauerndes Leistungsversagen vorliegt (1977, S. 34, in: Deege, Skript WS 02/03). Diese Definition ist auch in der Verordnung über die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs

und die Entscheidung über den schulischen Förderort (VO-SF) enthalten. Laut der VO-SF liegt eine Lernbehinderung nämlich dann vor, „wenn die Lern- und Leistungsausfälle schwerwiegender, umfänglicher und lang dauernder Art sind und durch Rückstand der kognitiven Funktionen oder der sprachlichen Entwicklung oder des Sozialverhaltens verstärkt werden“ (Kultusministerium Nordrhein-Westfalen, 1995, § 5 Absatz 1).

Für Lernbehinderung gibt es keine monokausale Erklärung. Vielmehr besteht eine Wechselwirkung zwischen neurophysiologischen, sozialen und psychischen Komponenten (Schulte-Markwort, 1996). Diese wirken zusammen und können sich so gegenseitig verstärken. Die schwerwiegendste Ursache liegt jedoch nachweisbar im soziokulturellen Bereich. Familien von Lernbehinderten sind häufig von Armut, Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit betroffen. Oft sind diese Familien unvollständig. Die sprachlichen Anregungen sind ungenügend und den Kindern fehlt es an Erziehung und an Geborgenheit. Häufig sind sie überfordert von den verschiedenen Faktoren, die ihre (frühe) Kindheit beeinflussen (Bleidick, 1996).

Weitere Ursachen für Lernbehinderung können diskrete Hirnleistungsschwächen (MCD = minimale cerebrale Dysfunktion) und auch genetische Komponenten (erbliche Minderbegabung) sein (Bleidick, 1996).

Als Lernstörungen bezeichnet man Minderleistungen beim absichtsvollen Lernen. Diese zeigen sich dadurch, „dass das gewünschte Können, Wissen und Verhalten (z.B. Lesen, Rechnen, Schreiben, Mitarbeit) nicht in ausreichender Qualität, nicht mit

ausreichender Sicherheit sowie nicht in der dafür vorgesehenen Zeit erworben wird“ (Lauth, Grünke & Brunstein, 2004, S. 13).

Die Klassifikation nach Klauer und Lauth (1997) definiert verschiedene Arten von Lernstörungen. Sie können zum einen vorübergehend (passager) sein und zum anderen überdauernd (persistierend) sein.

Lernstörungen können einzelne Bereiche betreffen (partielle Lernstörung) oder allgemein sein (generelle Lernstörungen).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Klassifikation von Lernstörungen nach Klauer & Lauth (1997) (in: Lauth, Grünke & Brunstein, 2004, S. 13)

1.2 Aktualität der Thematik „Berufsvorbereitung und - Eingliederung von lernbehinderten Schülern"

Schüler, welche als lernbehindert eingestuft wurden, sollen in der Schule und in außerschulischen Maßnahmen so gefördert werden, dass ein Einstieg in das Berufsleben möglich ist, um ihnen ein eigenständiges und wirtschaftlich unabhängiges Leben zu ermöglichen.

Aufgrund der derzeitigen Arbeitsmarktsituation in Deutschland, auf welche in Kapitel zwei genauer eingegangen wird, und aufgrund der speziellen Probleme lernbehinderter Schüler, insbesondere das Fehlen von extrafunktionalen Fertigkeiten (Schlüsselqualifikationen), Rückstände in den kognitiven Funktionen und emotionalen Probleme, gestaltet sich deren Integration in den Arbeitsmarkt jedoch sehr schwierig. Aus diesen Gründen ist die Berufsvorbereitung, welche auch zu den Aufgaben der Schule für Lernbehinderte gehört, unabdingbar. Berufsvorbereitende Aspekte sind während der Schulzeit und auch nach der Schulentlassung weiterhin zu berücksichtigen. Schröder (2000) formuliert dies folgendermaßen:

Im Übergang von der allgemein bildenden Schule für Lernbehinderte in das Leben als Jugendliche und Erwachsene, insbesondere in das Berufsleben, ist ein Zusammenarbeiten der schulischen mit außerschulischen, vor allem berufsberatend und sozialpädagogisch tätigen Institutionen unabdingbar. (S. 221).

Es ist wichtig, sich mit den Problemen der Abgänger der Sonderschule für Lernbehinderte im Rahmen ihrer beruflichen Eingliederung zu beschäftigen, um ihnen einen Einstieg in das Berufsleben zu ermöglichen, und diesen Eingliederungsprozess so gut wie möglich zu erleichtern.

Das Jobcoaching-Projekt, welches in Kapitel vier ausführlich vorgestellt wird, ist eine solche Hilfsmaßnahme, welche die Schüler von Lernbehindertenschulen bei ihrem Berufseingliederungsprozess unterstützen soll.

2. Stand der Forschung

2.1 Die Arbeitsmarktsituation im Hinblick auf Abgänger von Lernbehindertenschulen betrachtet

Auf dem deutschen Arbeitsmarkt existiert seit mehreren Jahrzehnten ein Arbeitskräfteüberhang. Daraus folgt eine große Konkurrenz unter den Arbeitsnachfragern. Es besteht eine Verdrängung von oben nach unten, das heißt, dass ältere Arbeitnehmer durch jüngere und teure Arbeitnehmer durch Kostengünstigere ersetzt werden (Schäfer, 2002). Betriebe stellen an ihre Mitarbeiter Anforderungen, die diese an ihrem jeweiligen Arbeitsplatz zu erfüllen haben. Werden diese Anforderungen (berufsbezogene Fähigkeiten oder auch Verhaltensweisen à Schlüsselqualifikationen) von einem Mitarbeiter oder einem Arbeitssuchenden nicht erfüllt oder ist die Arbeitskraft zu teuer, so erfolgt als Konsequenz die Arbeitslosigkeit (Schäfer, 2002). Besonders häufig arbeitslos sind Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Dies weist die Arbeitslosenstatistik seit Jahrzehnten nach. Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung werden eher arbeitslos als beispielsweise Facharbeiter oder Arbeitnehmer mit Studium und bleiben häufig auch länger arbeitslos (Schäfer, 2002).

Da es für Menschen mit (Lern-) Behinderung keinen speziellen Arbeitsmarkt gibt, gelten auch für sie die Konkurrenzmechanismen des allgemeinen Arbeitsmarktes, sofern sie sich auf diesem Arbeitsmarkt orientieren möchten und dort eine Beschäftigung suchen. Nur für Arbeitnehmer mit Schwerbehinderungen gibt es in der Bundesrepublik Deutschland vielfältige Schutzbestimmungen. Diese Schutzbestimmungen gelten jedoch nicht, wenn beispielsweise eine Betriebsstilllegung erfolgt oder die Verlagerung der Produktion ins Ausland erfolgt.Aus diesen Gründen können auch Menschen mit einer Schwerbehinderung arbeitslos werden (Schäfer, 2002).

Der Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Jahren verändert. Durch den strukturellen Wandel fallen einfache Berufe und Beschäftigungsmöglichkeiten weg (Schäfer, 2002). Diese Berufe und Beschäftigungen mit geringen Ansprüchen an intellektuellen und kognitiven Fähigkeiten sind jedoch besonders relevant für lernbehinderte oder lernbeeinträchtigte Jugendliche (Grünke & Ketzinger, 2000). In den letzten Jahren ist ein deutlicher Rückgang an so genannten „Hilfsarbeiterjobs“ in Produktion, Lagerhaltung und Transport etc. zu erkennen. Hoffmann und Walwei (1999) (in: Deege, Skript WS 02/03) stellten von 1991 bis 1997 einen Rückgang der Beschäftigten in diesem Bereich von 15,9 % auf 13,2 % fest. Bei Arbeiten dieser Art herrscht ein Verdrängungswettbewerb, bei dem Abgänger aus Schulen für Lernbehinderte kaum Chancen haben. Zum einen, da ihnen die, auf dem heutigen Arbeitsmarkt wichtigen „Schlüsselqualifikationen“ fehlen (Deege, WS 02/03) und zum anderen, da die Schule für Lernbehinderte einen schlechten Ruf hat und es viele Vorurteile gegenüber Schülern von Lernbehindertenschulen gibt. Die Schule für Lernbehinderte wird auch boshaft „Brettergymnasium“ oder sogar „Blödenschule“ genannt (Grünke & Ketzinger, 2000). So haben die Schüler von Lernbehindertenschulen nicht nur aufgrund ihrer Leistungsbeeinträchtigung kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt sondern auch aufgrund vieler Vorurteile, die es gegenüber dieser Sonderschulform gibt. Aus diesen Gründen hatten es Abgänger von Lernbehindertenschulen auch in Zeiten des Lehrlingsmangels schwer, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Nur ein sehr geringer Prozentsatz von ihnen kam zu einem erfolgreichen Abschluss ihrer Berufsausbildung (Schröder, 2000).

Junge Menschen mit Behinderung müssen bei der Berufswahl einige wichtige Aspekte beachten. Die eigenen Wünsche, Interessen und Werthaltungen sollten möglichst berücksichtigt werden. Absolventen der Schule für Lernbehinderte müssen jedoch bei einer realistischen Berufswahl unterstützt werden. Dafür ist es wichtig, die eigenen Fähigkeiten einschätzen zu können und Anforderungen gewachsen zu sein. Lernbehinderte müssen mit Einschränkungen bei ihrer

Berufsfindung rechnen und diese akzeptieren, da trotz spezieller Hilfen nicht alle Berufswünsche zu realisieren sind (Schäfer, 1996). Jugendliche mit Lernbehinderung haben es schwer, in eine Ausbildung vermittelt zu werden, da das Angebot an Ausbildungsberufen gerade für diese Gruppe eingeschränkt ist. Besonders die Mädchen sind von diesem eingeschränkten Angebot betroffen (Lernen fördern, 1999). Schließlich müssen sich die Jugendlichen auch dem Wettbewerb und der Konkurrenz um Ausbildungs- und Arbeitsplätze stellen und versuchen, diesem Druck standzuhalten (Schäfer, 1996).

Das Fehlen von „Schlüsselqualifikationen“ (siehe 2.1.1 bis 2.1.3), Defizite im Bezug auf die kognitive Leistungsfähigkeit (siehe 2.3) und emotionale Probleme der Jugendlichen (siehe 2.4) sind wohl mit Gründe, weshalb Schulabgänger als ausbildungsunfähig eingestuft werden. Nach IHK-Schätzungen beträgt der Anteil der ausbildungsunfähigen Jugendlichen zwölf Prozent. Diese Jugendlichen müssen zunächst eine berufsvorbereitende Maßnahme absolvieren (Kölner Stadt-Anzeiger, 5. Dezember 2003, Nr. 283).

2.2 Die besondere Bedeutung von „Schlüsselqualifikationen“ für die Berufseingliederung Lernbehinderter

Im folgenden Kapitel wird der Begriff „Schlüsselqualifikationen“ erläutert und die Bedeutsamkeit derselben auf dem Arbeitsmarkt, besonders im Hinblick auf Lernbehinderte, geschildert.

2.2.1 Was sind „Schlüsselqualifikationen“?

Die Berufseingliederung lernbehinderter Jugendlicher ist nicht nur aufgrund der heutigen Arbeitsmarktsituation problematisch. Erschwert wird der Eingliederungsprozess der Abgänger aus Schulen für Lernbehinderte auch durch das Fehlen von so genannten „Schlüsselqualifikationen“. Die Bildungskommission NRW liefert 2003 folgende Definition für den Begriff „Schlüsselqualifikationen“:

Schlüsselqualifikationen sind erwerbbare allgemeine Fähigkeiten, Einstellungen und Strategien, die bei der Lösung von Problemen und beim Erwerb neuer Kompetenzen in möglichst vielen Inhaltsbereichen von Nutzen sind. Zu ihnen gehören:

- Erkenntnisinteresse und eigenständiges Lernen,
- die Reflexion und Optimierung der eigenen Lernprozesse und damit die Fähigkeit dazu zu lernen,
- das Zutrauen in die eigene Selbstwirksamkeit als Grundeinstellung,
- Flexibilität,
- Fähigkeit zur Kommunikation und zur Teamarbeit,
- Kreatives Denken.

Sie sind nicht auf direktem Wege zu erwerben, zum Beispiel in Form eines eigenen fachlichen Lernangebots; sie müssen vielmehr in Verbindung mit dem Erwerb von intelligentem Wissen aufgebaut werden. (Bildungskommission NRW, Zukunft der Bildung, 1995, S. 113 f., in: Online-Verwaltungslexikon olev.de, 2003).

Es gibt jedoch sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, was „Schlüsselqualifikationen" sind. Dies zeigen Untersuchungen von Koch/Hensge (1992, in Stein, 2000). Aus diesem Grund gibt es keine allgemein gültige Definition für den Begriff „Schlüsselqualifikationen".

Verschiedene Autoren definieren den Begriff unterschiedlich und setzen unterschiedliche Schwerpunkte. Mertens beispielsweise, der den Begriff „Schlüsselqualifikationen" 1974 prägte, sah in diesen Qualifikationen eine „Schlüsselrolle für die Erschließung von Verstehens-, Verarbeitens- und Verhaltensmustern" (Mertens, 1974, S. 40, in: Stein, 2000). Das Verständnis Mertens von „Schlüsselqualifikationen" war stark funktional orientiert und beschränkte sich überwiegend auf Sach- und Methodenkompetenzen, was zu Kritik führte. Dies führte zur Weiterentwicklung und zu neuen Konzeptionen. Verschiedene Autoren wie Reetz (1990), Laur-Ernst (1990; 1991); Klein (1989), das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMB+F, 1996) und dem Modellversuch „PETRA" der Siemens AG beschäftigten sich mit der Weiterentwicklung und dem Aufstellen neuer Konzeptionen. Die Konzeptionen der einzelnen Autoren ergeben ein sehr heterogenes Gesamtbild (Stein, 2000). Die Abbildung von Stein (2000) zeigt, wie sich der Begriff „Schlüsselqualifikationen" in den letzten Jahren in Bezug auf die vier Qualifikationsgruppen SACHKOMPETENZ, METHODENKOMPETENZ, SOZIALKOMPETENZ und SELBSTKOMPETENZ gewandelt und erweitert hat :

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Konzeptionen von „Schlüsselqualifikationen“ (Stein, 2000, S. 444).

Wie Abbildung 2 zeigt, gibt es eine sehr große Vielfalt an „Schlüsselqualifikationen“ und je nach Branche gibt es unterschiedliche „Schlüsselqualifikations-Kataloge“ mit breiten Interpretationsräumen. Ein Arbeitnehmer muss nicht über das gesamte Spektrum an Schlüsselqualifikationen verfügen. Die Notwendigkeit der Anwendung bestimmter Schlüsselqualifikationen ist in den verschiedenen Branchen unterschiedlich groß (Deege, Skript WS 02/03, S. 25).

In der nachfolgenden Abbildung verdeutlicht Lenzen (1998, S. 34, in: Deege, Skript WS 02/03, S. 25) die Vielfalt von Zielvorstellungen, Strategien und Fähigkeiten, geordnet nach abnehmender Häufigkeit, welche mit dem Begriff, „Schlüsselqualifikationen“ verbunden wird:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Mögliche Bedeutungsinhalte von Schlüsselqualifikationen

2.2.2 Bedeutsamkeit von „Schlüsselqualifikationen“ auf dem Arbeitsmarkt

„Schlüsselqualifikationen“ gewinnen auf dem Arbeitsmarkt zunehmend an Bedeutung. Dies konnte Dahrendorf bereits Anfang der 80er Jahre anhand von Fallstudien feststellen, welche er in Betrieben durchführte. Dahrendorf bezeichnet „Schlüsselqualifikationen“ als „extrafunktionale Fertigkeiten“, welche nicht im engeren Sinne berufliche oder fachliche Qualifikationen darstellen (Schäfer, 2002). Er definiert sie als „persönliche Eigenschaften, die auf eine hohe Arbeitsmotivation schließen lassen“ (in: Schäfer, 2002, S. 138). Bei (lern-) behinderten Jugendlichen sind die Arbeitseinstellung und die Leistungsmotivation für die Arbeitgeber besonders bedeutsam (Schäfer, 2000). Die lernbeeinträchtigten Jugendlichen können mit einer positiven Arbeitseinstellung und Leistungsmotivation und auch anderen „Schlüsselqualifikationen“ oder Kompetenzen wie Problemlösefähigkeit, Flexibilität, Handlungskompetenz und Kooperationsfähigkeit, Defiziten aufgrund ihrer Lernbeeinträchtigung entgegenwirken und kompensieren (Stein, 2000). Für die Unternehmen ist die Fachkompetenz eines Mitarbeiters sehr wichtig. Mindestens genauso wichtig sind auf dem heutigen Arbeitsmarkt jedoch auch Persönlichkeit und soziale Kompetenzen (Zedler, 2002).

Die Schlüsselqualifikationen alleine sind jedoch kein „Sesam öffne dich" für den Arbeitsmarkt, da nicht jeder den „Schlüssel" besitzt oder erwerben kann. Auch fallen aufgrund des strukturellen Wandels weiterhin relevante Arbeitsplätze für (Lern-) Behinderte weg (Stein, 2000). Ribolits sagt deutlich (1996, S. 55, in: Stein, 2000): „Einen Schlüssel, den alle Arbeitnehmer erwerben könnten, um sich den Zugang zum Arbeitsmarkt aufzuschließen, gibt es nicht".

2.2.3 Möglichkeiten zum Erwerb von „Schlüsselqualifikationen“

Es gibt einige Programme, mit deren Hilfe der Erwerb von „Schlüsselqualifikationen“ gefördert werden kann. Dazu zählen das induktive Denktraining von Klauer (1993), ein räumliches Denktraining, (Masendorf, 1993, 1994; Souvignier, 2000), ein Denktraining zur Verbesserung des praktisch-technischen Verständnisses (Masendorf, 2000), ein Training zur Förderung der sozialen Kompetenz (Petermann & Petermann, 1996), ein Training zur Verbesserung des Selbstkonzeptes und der Kontrollüberzeugung von Grünke (2000) und ein Aufmerksamkeitstraining von Lauth & Schlottke (1999). Ebenso ist ein spezielles Motivationstraining von Rollett (1997) relevant, welches bei aktiver Leistungsverweigerung in definierten Aufgabenfeldern zum Einsatz kommen kann. Alle diese Trainings können mit lernbehinderten Jugendlichen durchgeführt werden. Sie wurden auch für diese Schülergruppe entwickelt, validiert und erprobt (Deege, Skript WS 02/03).

Ebenso können Schlüsselqualifikationen in handlungsorientierten Lernformen (zum Beispiel: Betriebspraktika, Betriebs- und Arbeitsplatzerkundungen, Rollenspiele, Projekte etc.) wirklichkeitsnah erlernt und erprobt werden (Lindmeier, 99).

2.3 Kognitive Leistungsfähigkeit

Nicht nur das Fehlen von Schlüsselqualifikationen erschwert die Integration in den Arbeitsmarkt, sondern auch Defizite in Bezug auf die kognitive Leistungsfähigkeit. Häufig weisen die Schüler Mängel in elementaren Unterrichtsfächern auf. Daher sind spezifische Förderungen vor allem in den Kulturtechniken (Deutsch und Mathematik), jedoch auch in den anderen Unterrichtsfächern, unabdingbar.

Zudem haben die Jugendlichen oft Schwierigkeiten im Hinblick auf den Lerntransfer, das Problemlösen (Einsicht in geeignete Lösungswege) und das Einüben und Festigen des Gelernten (Eser, 2000, in: Jugert, 2002).

Weiterhin haben die Schüler der Schule für Lernbehinderte Probleme hinsichtlich der Lernorganisation, der Verinnerlichung des Gelernten, der Situationsabhängigkeit, der Problemerfassung und Hypothesenprüfung, des kognitiven Stils, der Symbolisierung oder Versprachlichung und der Konzeptualisierung und Sequenzierung (Kobi, 2002).

Diese Fähigkeiten, bei denen Lernbehinderte häufig Defizite aufweisen, sind jedoch im Berufsleben von Bedeutung.

Arbeitgeber stellen heutzutage höhere Ansprüche an zukünftige Mitarbeiter, beispielsweise im Hinblick auf Kulturtechniken, Fremdsprachenkenntnisse oder auch auf technische und wirtschaftliche Grundkenntnisse (Schäfer, 2002). Daher ist es notwendig, die kognitiv-intellektuellen Leistungsdefizite von lernbehinderten Jugendlichen bestmöglich auszugleichen, damit sie diesen erhöhten Ansprüchen der Arbeitgeberseite gerecht werden können und eine Chance auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erhalten (Grünke & Ketzinger, 2000). Je höher die berufliche Qualifikation der Jugendlichen ist, desto besser können bei ihnen Zeiten der Arbeitslosigkeit verringert oder sogar vermieden werden (Lernen fördern, 1999).

Egal von welcher Schulart die Schulabgänger kommen, so sollten sie jedoch alle über Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, die sich

schwerpunktmäßig den Bereich der beruflichen Orientierung (zum Beispiel vorberufliche Bildung hinsichtlich wirtschaftlicher und berufsorientierter Themen), der Allgemeinbildung (zum Beispiel solide Grundkenntnisse bezüglich Mathematik und Rechtschreibung), der informationstechnischen Grundbildung (zum Beispiel Wissen über Computer) und berufsübergreifenden Qualifikationen (Schlüsselqualifikationen, zum Beispiel Lern- und Leistungsbereitschaft, Konzentrationsfähigkeit) zuordnen lassen (Zedler, 2002).

2.4 Emotionale Probleme der lernbehinderten Jugendlichen

Der Anteil der psychisch auffälligen Lernbehindertenschüler ist vergleichsweise hoch (Marcus/Schmidt, 1993, in Grünke & Ketzinger, 2000). Besonders häufig verfügen die Jugendlichen über ein negatives Selbstbild und eine externale Kontrollüberzeugung.

Hinderlich bei der beruflichen Eingliederung sind auch Verhaltensweisen, welche die lernbeeinträchtigten Jugendlichen häufig an den Tag legen:

Abgänger aus Schulen für Lernbehinderte

- legen durch den gesamten Eingliederungsprozess hindurch ein planloses Handeln und eine resignative Haltung an den Tag,
- treffen ihre beruflichen Entscheidungen sehr spät,
- nutzen kaum Informationsquellen und sind deswegen über ihre beruflichen Möglichkeiten sowie die Berufswirklichkeit nur schlecht informiert,
- konzentrieren sich auf ein sehr schmales Spektrum von Berufswünschen,
- hegen Berufswünsche, für die ihr Ausbildungsniveau nicht ausreicht und
- zeigen ein unsicheres und unentschlossenes Bewerberverhalten (Goosmann, 1990, in: Grünke & Ketzinger, 2000).

Diese Verhaltensweisen der Schüler zeigen sich häufig während des Übergangs von der Schule in die Ausbildung beziehungsweise ins Erwerbsleben. Ursachen für dieses Verhalten der Jugendlichen ist die Umorientierung, welche der Einstieg in das Berufsleben mit sich bringt. Sie müssen sich nach der jahrelangen Sonderbeschulung erstmalig außerhalb ihrer gewohnten und beschützenden Umgebung zurechtfinden (Grünke & Ketzinger, 2000). Der Einstieg in das Berufsleben fordert den Aufbau neuer sozialer Kontakte und ebenso eine leistungsmäßige Umorientierung. Dadurch fühlen sich jedoch viele Jugendliche überfordert. So kommt es, dass die Hauptgründe für viele Ausbildungsabbrüche nicht eine „zu schwierige Praxis" oder eine „zu schwierige Theorie" sind, sonder sehr häufig „psychische Probleme". Dies fanden Wasilewski & Faßmann (1998, in: Grünke & Ketzinger, 2000) als wichtigste Ursache bei einer Analyse der Gründe für Ausbildungsabbrüche lernbehinderter „Azubis" heraus.

2.5 Richtlinien zur Berufsvorbereitung in der Sonderschule für Lernbehinderte

Die Berufsvorbereitung in der Sonderschule für Lernbehinderte wird im Rahmen des Faches Arbeitslehre durchgeführt. Die Richtlinien für die Schule für Lernbehinderte in Nordrhein-Westfalen (1977) definieren die Inhalte des Faches folgendermaßen:

Arbeitslehre befasst sich mit der Arbeits- und Wirtschaftswelt, technischen Voraussetzungen und gesellschaftlichen Problemen und Konsequenzen. Sie soll notwendiges Wissen und Grundfertigkeiten vermitteln, soziales Verhalten sowie kritisches Bewusstsein entwickeln und fördern und den Schüler zur Selbst- und Mitbestimmung befähigen. (Richtlinien für die Schule für Lernbehinderte (Sonderschule) in Nordrhein-Westfalen. Richtlinien und Beispielplan „Arbeitslehre", 1977).

Die Richtlinien beziehen sich auf die Lernstufen sieben bis neun. Inhalte des Faches Arbeitslehre sind schwerpunktmäßig technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Lernbereiche. Die Lernziele beziehen sich darauf Wechselbeziehungen zwischen Technik, Wirtschaft und Gesellschaft zu erkennen; Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln und realistisch einzuschätzen, damit die Berufswahlreife erlangt wird; gegebene Möglichkeiten zu erkennen und zu nutzen, um ein Leben innerhalb von Familie und Gesellschaft planen und führen zu können und persönliche Chancen und Interessen in der Arbeitswelt wahrzunehmen und die gesellschaftliche Situation mitzugestalten (Richtlinien für die Schule für Lernbehinderte (Sonderschule) in Nordrhein-Westfalen. Richtlinien und Beispielplan „Arbeitslehre", 1977). Um diese Lernziele des Faches Arbeitslehre umzusetzen, sollen verschiedene Methoden eingesetzt werden, mit denen die Lernziele erreicht werden können. Folgende Methoden sind für das Fach Arbeitslehre relevant: - Projekt, -Fallstudie, - Rollenspiel, -Planspiel, - Berufsfeldorientierung, - Betriebserkundung und - Betriebspraktikum. Die wichtigste Methode für das Fach ist jedoch das Projekt, da praktische Schülertätigkeit mit theoretischem Unterricht verbunden werden kann (Richtlinien für die Schule für Lernbehinderte (Sonderschule) in Nordrhein-Westfalen. Richtlinien und Beispielplan „Arbeitslehre", 1977).

2.6 Maßnahmen zur Berufseingliederung

Die Abgänger der Sonderschule für Lernbehinderte zählen neben Jugendlichen aus Schulen für Lernförderung und Erziehungshilfe und Hauptschulen, neben Schulverweigerern, ausländischen Jugendlichen, Aussiedlern und benachteiligten Mädchen zur Gruppe benachteiligter Jugendlicher, die im deutschen dualen System der beruflichen Ausbildung kaum eine Chance haben einen Ausbildungsplatz zu finden oder eine Ausbildung erfolgreich abzuschließen (Deege, Skript WS 02/03). Daher steht dieser besonderen Gruppe von Jugendlichen eine besondere Förderung in Bezug auf die Berufseingliederung zu. Dies ist auch rechtlich abgesichert:

SGB III § 19 Behinderte Menschen

(1) Behindert im Sinne dieses Buches sind Menschen, deren Aussichten, am Arbeitsleben teilzuhaben oder weiter teilzuhaben, wegen Art oder Schwere ihrer Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 des Neunten Buches nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert sind und die deshalb Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben benötigen, einschließlich lernbehinderter Menschen.
(2) Behinderte Menschen stehen Menschen gleich, denen eine Behinderung mit den in Absatz 1 genannten Folgen droht.

Gemäß des Sozialgesetzbuch IX § 2 Absatz 1 sind Menschen behindert, „wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist“.

Die gesetzlichen Grundlagen ermöglichen auch Abgängern der Schule für Lernbehinderte die Aufnahme in speziellen Einrichtungen der Berufsvorbereitung. Ein großer Teil der Abgänger von Schulen für Lernbehinderte (à über 90 % in den Bereichen Köln, Dortmund und einigen anderen -Arbeitsamtsbezirken; Grünke & Castello, 2003) besucht nach dem Schulabschluss eine solche Fördermaßnahme. Gründe dafür sind, dass die betroffenen Schüler noch Förderung in verschiedenen Bereichen benötigen oder dass ihnen das Berufssystem keinen Platz bietet, obwohl sie ihn ausfüllen könnten (Schröder, 2000). Zuständig für die berufsvorbereitenden Maßnahmen ist die Bundesanstalt für Arbeit (BA), welche ihren Sitz in Nürnberg hat (Grünke & Ketzinger, 2000).

Im März 2002 besuchten 5,5 % der Jugendlichen eine von der BA finanzierte berufsvorbereitende Maßnahmen (Grünke & Castello, 2003).

Die Maßnahmen der BA umfassen überwiegend ein oder zwei Jahre. Sie werden in Betrieben oder überbetrieblichen Reha-Einrichtungen durchgeführt. Die BA überträgt die Durchführungen der berufsvorbereitenden Maßnahmen einem freien oder auch gemeinnützigen Träger. Alle Angebote sind fest definiert und institutionalisiert (Grünke & Castello, 2003).

Folgende Maßnahmen werden von der Bundesanstalt für Arbeit angeboten:

- Zum einen gibt es die Förderlehrgänge F in vier unterschiedlichen Formen. Die ersten drei (F1 bis F3) sind aus lernbehindertenpädagogischer Sicht von Interesse. F1 ist für Jugendliche gedacht, „die für eine Berufsausbildung in Betracht kommen, jedoch wegen ihrer in einer nicht nur vorübergehenden Behinderung begründeten Lernerschwernis einer besondern Förderung bedürfen" (Schröder, 2000, S. 223). F2/F3 ist für diejenigen Jugendlichen gedacht, „die aufgrund der Art und Schwere ihrer Behinderung für eine Berufsausbildung nicht in Betracht kommen, andererseits durch die Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte unterfordert wären" (Schröder, 2000, S. 223). Der Förderlehrgang F4 ist für „behinderte Menschen, die wegen der Dauer ihrer medizinischen Rehabilitation nicht mehr wettbewerbsfähig sind" (Berufsbildungsbericht 2003, Tabelle 30, S. 342). F 4 ist nicht relevant für die Absolventen von Lernbehindertenschulen. Die Förderlänge umfassen Zeiträume zwischen sechs Monaten (F 4) und 36 Monaten (F 3). Der Förderlehrgang F 1 dauert 12 Monate und der Förderlehrgang

- F2 24 Monate. Das Ziel aller vier Lehrgänge besteht darin, über gezielte Hilfen eine dauerhafte Integration in Ausbildung und Arbeit zu erreichen (Berufsbildungsbericht 2003, Tabelle 30).
- Der Grundausbildungslehrgang (G) ist für ausbildungsunreife Jugendliche und junge Erwachsene gedacht (unabhängig von der erreichten Schulbildung) (Berufsbildungsbericht 2003). Diese konnten entweder von der Berufsberatung nicht in eine Ausbildung vermittelt werden oder im Falle eines Ausbildungsabbruchs nicht wieder vermittelt werden. Oder aber die Jugendlichen streben eine Ausbildung an, haben aber ihre Berufswahlentscheidung noch nicht getroffen (Berufsbildungsbericht 2003). Ziele des Grundausbildungslehrgangs sind, die Jugendlichen in eine qualifizierte Ausbildung zu vermitteln, die Motivation für eine berufliche Ausbildung zu festigen, und so die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und die Jugendlichen bei der Überprüfung beziehungsweise beim Treffen der Berufswahlentscheidung zu unterstützen. Der Grundausbildungslehrgang dauert zwischen zwei und zwölf Monaten (Berufsbildungsbericht 2003).
- Der tip-Lehrgang (testen, informieren, probieren) soll junge

Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen den Anschluss

an das Berufsleben verloren haben (z.B. durch

Drogenabhängigkeit, fehlende Motivation,vielfache

Bildungsdefizite, Scheitern in der Arbeit o.ä.), in maximal drei

Monaten wieder das Arbeitsleben heranführen

(Berufsbildungsbericht 2003). Ziele des tip-Lehrgangs sind das

„Wecken und Fördern der Bereitschaft für die Aufnahme einer

beruflichen Ausbildung oder Arbeitnehmertätigkeit sowie

Feststellung der Teilnahme an weiteren erforderlichen

berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen“

(Berufsbildungsbericht 2003, Tabelle 30).

- Zur schulischen Berufsvorbereitung, welche an berufsbildenden Schulen angeboten wird, zählen das Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) und das Berufsgrundschuljahr (BGJ). Beide Maßnahmen verschaffen Einblicke in verschiedene Berufsfelder. Ebenso kann der Hauptschulabschluss erworben und die Berufsschulpflicht erfüllt werden. Das Niveau des BGJ ist jedoch niedriger als beim BVJ (Schröder, 2000).
- Es besteht auch die Möglichkeit, dass die Jugendlichen betriebliche behindertenspezifische Ausbildungsgänge oder eine Ausbildung in einem Berufsbildungswerk absolvieren, unter der Berücksichtigung besonderer Ausbildungsregelungen für Behinderte nach § 48 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) und § 42b der Handwerksordnung (HwO) (Grünke & Ketzinger, 2000).
- Benachteiligte Jugendliche haben zudem die Möglichkeit ausbildungsleitende Maßnahmen (abH) zu erhalten. Sie werden auf der Grundlage des Arbeitsförderungsgesetzes finanziert. Das Angebot umfasst Stützunterricht in der Fachtheorie, Aufarbeitung der Berufsschulinhalte, Lernberatung und sozialpädagogische Begleitung. Aufgrund der Tatsache, dass Absolventen der Schule für Lernbehinderte jedoch in sehr wenigen Fällen eine betriebliche Ausbildung absolvieren, ist der Anteil der Lernbehinderten sehr gering (Schröder, 2000).
- Der Lehrgang zu Verbesserung beruflicher Bildungs- und Eingliederungschancen (BBE) ist für Jugendliche und junge Erwachsene gedacht, die nicht zu der Zielgruppe der G- und F-Lehrgänge gehören. Zu diesen gehören sozial Benachteiligte, Aussiedler und Ausländer, Personen mit schwerwiegenden Bildungsdefiziten (auch im Fall von Ausbildungsabbruch), Strafentlassene und Strafgefangene und Jugendliche, die wegen vorübergehender Entwicklungsschwierigkeiten im physischen und psychischen Bereich der Belastung einer Berufsausbildung noch nicht gewachsen sind (Berufsbildungsbericht 2003). Dieser Lehrgang hat sich zum Ziel genommen, die Teilnehmer intensiv zu unterstützen, die Persönlichkeit zu stabilisieren und die bildungsmäßigen Voraussetzungen für die Aufnahme einer Ausbildung zu optimieren. Des Weiteren werden fachpraktische und fachtheoretische Grundkenntnisse vermittelt, sofern eine Ausbildung noch nicht in Frage kommt. Der Lehrgang zur Verbesserung beruflicher Bildungs- und Eingliederungschancen (BBE) dauert bis zu 12 Monaten (Berufsbildungsbericht 2003).

Die Bundesanstalt für Arbeit bietet weitere Maßnahmen an (Berusfsbildungsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) und blindentechnische und vergleichbare Grundausbildung), welche jedoch nicht für Absolventen der Schule für Lernbehinderte relevant sind (Berufsbildungsbericht 2003).

Die Werkstatt für Behinderte kommt für Absolventen der Schule für Lernbehinderte nicht in Frage. Zum einen, weil sie eine Tätigkeit dort unterfordern würde, und zum anderen, weil eine Beschäftigung dort nach gesetzlichen Vorgaben nicht möglich ist. Zudem liegt das derzeitige Entlohnungssystem der Werkstatt für Behinderte weit unter dem Niveau eines Hilfsarbeiterlohns (Lernen fördern, 1999).

Neben den Angeboten der Bundesanstalt für Arbeit gibt es bundesweit weitere Programme zur beruflichen Eingliederung von verschiedenen Vereinen, Initiativen und Einrichtungen. Das Ziel aller Maßnahmen ist, die Teilnehmer auf die Anforderungen einer Berufsausbildung vorzubereiten oder während einer (behindertenspezifischen) Ausbildung zu unterstützen.

Die Zielerreichung all dieser Maßnahmen muss jedoch nicht gewährleistet sein. Trotz der Teilnahme an unterschiedlichen Maßnahmen bei verschiedenen oder den gleichen Trägern, besteht die Gefahr, nach Abschluss der Maßnahme arbeitslos zu sein. Durch die Teilnahme an mehreren Förderungen hatte eine zunehmende Zahl von Jugendlichen eine „Maßnahmenkarriere“ hinter sich, ehe sie eine Ausbildung antreten konnten (Biermann/Rützel, 1993).

3. Eigene Fragestellung

In den vorangegangenen Ausführungen wurde deutlich, dass Schlüsselqualifikationen auf dem heutigen Arbeitsmarkt eine immer größere Rolle spielen. Lernbehinderte Jugendliche verfügen jedoch aufgrund ihrer Lernbehinderung weniger über diese Art der Qualifikation. Es ergeben sich folgende Forschungsfragen:

1. Inwiefern wird die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen im Konzept des Jobcoaching-Projekts berücksichtigt?
2. Lässt sich aus den Antworten der Schüler etwas über die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen heraus hören?

4. Methode

4.1 Forschungsprojekt Jobcoaching

Im Folgenden wird das Forschungsprojekt Jobcoaching im Hinblick auf allgemeine Informationen zum Projekt, Inhalte und Ziele vorgestellt.

4.1.1 Was ist das Jobcoaching?

Das Jobcoaching ist ein Modellversuch der Heilpädagogisch - Rehabilitationswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln zur Berufseingliederung gering qualifizierter Jugendlicher. Das Konzept wurde 1997 nach amerikanischem Vorbild entwickelt (Jobcoaching 2003). Das Projekt wurde in zwei Modellversuche gesplittet, die sich inhaltlich jedoch nicht unterscheiden. Unterschiede gibt es im Hinblick auf den Geldgeber, die geografische Region und den zeitlichen Beginn der Förderung (Grünke & Ketzinger, 2000).

Das erste Vorhaben wurde von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung in Essen finanziert und das Zweite finanzierte sich durch das Ministerium für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Die Teilnehmer des ersten Modellversuches stammten aus dem Ruhrgebiet und die Teilnehmer des Zweiten aus dem Großraum Köln. Die Schüler, welche am von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung finanzierten Projekt teilnahmen, konnten mit der Förderung schon während der Schulzeit beginnen. Dies war bei dem vom Ministerium für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen finanzierten Projekt aus formalrechtlichen Gründen nicht möglich. Jugendliche, die an diesem Projekt teilnahmen, mussten ihre Vollzeitschulpflicht bereits erfüllt haben (Grünke & Ketzinger, 2000).

Der Modellversuch unterstand der wissenschaftlichen Gesamtleitung von Dr. Matthias Grünke (Diplom-Psychologe). Zusätzlich gab es zwei

Projektleiter. Stefan Tullius (Diplom-Psychologe) leitete das Projekt, welches von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung finanziert wird. Armin Castello (Diplom-Psychologe) war Projektleiter des vom Ministerium für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen finanzierten Projektes. Jedem Projektleiter unterstanden Teamleiter, welche angehende Lehrkräfte sind und ihr erstes Staatsexamen bereits absolviert haben. Den Teamleiter wiederum waren jeweils zehn studentische Jobcoaches untergeordnet (Grünke & Ketzinger, 2000).

Das Projekt, welches von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung unterstützt wurde, war das größere Projekt und es konnten vierzig Jobcoaches eingestellt werden. Bei dem von dem Ministerium für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen unterstützen Projekt wurden zwanzig Jobcoaches eingestellt. Insgesamt konnten 140 Schüler an dem Modellversuch Jobcoaching teilnehmen, da jeder studentische Jobcoach zwei oder drei Jugendliche betreut hat (Grünke & Ketzinger, 2000).

Die Aufgaben des wissenschaftlichen Gesamtleiters und der beiden Projektleiter bestanden in der Konzeption des Forschungsdesigns, der organisatorischen Koordination der Projekte, der Auswertung der Untersuchungsdaten und in der Schulung der Teamleiter und Jobcoaches. Die Teamleiter übernahmen die Funktion des ständigen Ansprechpartners für die studentischen Jobcoaches

(Grünke & Ketzinger, 2000).

Im Dezember 1999 startete das Projekt offiziell. Im März 2000 bekamen die studentischen Jobcoaches die erste Schulung, in der sie auf die Aufgaben als Jobcoach vorbereitet wurden (Jobcoaching, 2003). Die Inhalte dieser Schulung bezogen sich auf den im Hauptstudium verpflichtenden Bereich der „Sondererziehung und Rehabilitation der Lernbehinderten“ (Grünke & Ketzinger, 2000). Zu diesem Zeitpunkt wurde in den relevanten Gebieten (Ruhrgebiet und Großraum Köln) noch nach Schulen gesucht, welche sich an dem Projekt beteiligen möchten. Letztendlich haben sich 23 Schulen an dem Modellversuch beteiligt (Jobcoaching, 2003). Die Schüler wurden von den jeweiligen

Klassenlehrern ausgewählt. Das Kriterium für die Auswahl eines Jugendlichen war, dass er von dieser Maßnahme profitieren würde (Grünke & Ketzinger 2000), und mit einer entsprechenden individuellen Förderung aller Voraussicht nach in den ersten Arbeitsmarkt vermittelbar wäre (Grünke & Castello, 2003). Zudem sollte es sich um Jugendliche handeln, die eine hohe Arbeitsmotivation vorwiesen (Grünke & Castello, 2003).

Im Juni/Juli 2000 startete das Jobcoaching in den teilnehmenden Schulen und im November 2002 wurde das Projekt offiziell beendet (Grünke & Ketzinger 2000).

4.1.2 Inhalte des Jobcoachings

Bei dem Modellversuch Jobcoaching wird unter verschiedenen Aspekten gefördert. Ein wesentlicher Förderschwerpunkt ist die Berufsvorbereitung. Des Weiteren werden die Kulturtechniken gefördert, das Arbeits- und Sozialverhalten und die allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit. Ein ebenso wichtiger Inhalt des Jobcoachings ist die individuelle und kontinuierliche Begleitung der Schüler durch die studentischen Jobcoaches.

Die Berufsvorbereitung im Rahmen des Jobcoaching-Projektes beinhaltete neben der schulischen Berufseingliederung (Blockpraktika) einen so genannten Werkstatttag. Das bedeutet, dass der Jugendliche einen ganzen Tag der Woche in einem Ausbildungsbetrieb seiner Wahl verbringt, um praktische Erfahrungen im Berufsleben sammeln zu können. Dies erhöht die Chancen einer beruflichen Eingliederung (Jobcoaching 2003).

[...]

Ende der Leseprobe aus 125 Seiten

Details

Titel
Befragung ehemaliger Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Jobcoaching-Projekts
Untertitel
Die wachsende Bedeutung von Schlüsselqualifikationen auf dem Arbeitsmarkt und deren Berücksichtigung im Konzept des Jobcoaching-Projekts
Hochschule
Universität zu Köln  (Heilpädagogische Fakultät, Seminar für Lernbehindertenpädagogik)
Note
gut
Autor
Jahr
2004
Seiten
125
Katalognummer
V27643
ISBN (eBook)
9783638296403
ISBN (Buch)
9783656246121
Dateigröße
875 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Bei dem Jobcoaching-Projekt handelt es sich um ein Berufseingliederungsprojekt der Universität zu Köln für SchülerInnen der Sonderschule für Lernbehinderte. Das Projekt startete im Juni/Juli 2000 und wurde im November 2002 offiziell beendet. Ein wesentliches Thema dieser Arbeit sind Schlüsselqualifikationen und deren Bedeutung auf dem Arbeitsmarkt. Zudem werden im ersten Teil auch Grundlagen der Lernbehindertenpädagogik (vor allem in Bezug auf die berufliche Eingliederung) angesprochen.
Schlagworte
Befragung, Teilnehmerinnen, Teilnehmer, Jobcoaching-Projekts, Bedeutung, Schlüsselqualifikationen, Arbeitsmarkt, Berücksichtigung, Konzept, Jobcoaching-Projekts
Arbeit zitieren
Daniela Viereck (Autor:in), 2004, Befragung ehemaliger Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Jobcoaching-Projekts , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27643

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