Fragen an die Freudsche Traumdeutung: Symbolismus oder Assoziation?

Ist die Freudsche Traumdeutung ein widersprüchliches Kapitel in der Geschichte der Traumforschung?


Hausarbeit, 2003

42 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Freuds Traumdeutung: Ein widersprüchliches Kapitel
in der Geschichte der Traumforschung?

2. Die Grundpfeiler der Freudschen Traumdeutung:
Eine knappe Darstellung anhand eines symbolträchtigen Traums
2.1 Eine erste Unterscheidung:
Manifester Trauminhalt und latente Traumgedanken
2.2 Der Traum als Hüter des Schlafs
2.3 Die Traumarbeit: Wie der Wunsch maskiert wird
2.3.1 Verdichtung
2.3.2 Verschiebung
2.3.3 Symbolbildung
2.4 Eine Traumdeutung

3. Die Welt der Zeichen
3.1 Die Freudsche Konzeption des Symbolbegriffes
3.1.1 Den Symbolen auf der Spur: Worin sich ihre Bedeutung zeigt
3.1.2 Die Symbolgenese
3.2 Eine linguistische Perspektive
3.2.1 Wie die Metapher unser Denken strukturiert

4. Traumdeutung & Symbolismus:
Freuds Konzeption im Spiegel der psychoanalytischen Kritik
4.1 Assoziationen vs. Traumsymbole: Die Kritik von Rand & Torok
4.2 Weitere kritische Anmerkungen

5. Diskussion

6. Schlussbetrachtung

Literaturangaben

1. Freuds Traumdeutung: Ein widersprüchliches Kapitel in der Geschichte der Traumforschung?

"Der geschickteste Beurteiler von Träumen ist der, der Ähnlichkeiten zu beobachten versteht."

(Aristoteles 1997, S. 134)

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(www.traumpraxis.de)

Mehr als zweitausend Jahre verstrichen zwischen der Äußerung des Aristoteles und der gegenübergestellten Anpreisung einer "Traumsymboldatenbank" aus dem World Wide Web. Auch die Fülle der im Handel erhältlichen Publikationen, die der Bedeutung des Traums auf den Grund zu gehen versuchen, zeigt, dass unsere nächtlichen Fantasieerlebnisse bis zum heutigen Tage nichts von ihrer faszinierenden Kraft verloren haben.

Mit der Publikation der Traumdeutung (1991) und anderer Arbeiten zum Traum schlug Sigmund Freud vor ca. 100 Jahren ein neues Kapitel in der wissenschaftlichen Betrachtung des Traumes auf. In Abgrenzung zu den seiner Zeit gängigen Auffassungen postulierte Freud, dass der Traum als psychisches Phänomen ein sinnvolles, bedeutsames Gebilde ist und, für das Seelenleben des Träumers von Belang, auch in das seelische Treiben des Wachens einzureihen sei (Freud 1991, S. 19).

Fortan nehmen Befürworter und Gegner der klassischen psychoanalytischen Traumlehre auf Freud Bezug, um ihre eigenen Interpretationen der Ursprünge, Beschaffenheit und Bedeutung unserer Traumproduktionen kontrastierend darzustellen.

Es ist jedoch nicht die Auseinandersetzung mit der Traumdeutung als solche, sondern die Besonderheit der psychoanalytischen Vorgehensweise, die als bleibender Verdienst Freuds zu betrachten ist: Das zentrale Moment dieser Vorgehensweise besteht darin, mit Hilfe der freien Assoziation an Informationen des Träumers zu gelangen, die darauf schließen lassen, in welcher Weise der Träumer seine unbewussten Regungen verhüllt.

Erst durch sinnverstehende Arbeit unter der unabdingbaren Beteiligung der Einfälle des Träumers lässt sich aus dem manifesten Traumbericht der latente Inhalt des Traums schrittweise rekonstruieren.

Um so mehr kann es erstaunen, dass Freud zur gleichen Zeit einen Katalog von allgemein anwendbaren Bedeutungen oder symbolischen Gleichungen zusammenstellt, welcher scheinbar die Assoziationen des Träumers überflüssig macht, und der die Bedeutung von Traumelementen, vielleicht sogar in der Manier der eingangs propagierten "Traumsymboldatenbank", zu entschlüsseln versucht. Genau diese Gegensätze sind es, die selbst überzeugte Psychoanalytiker die Freudsche Psychoanalyse als gespalten und in sich widersprüchlich bezeichnen lassen (Rand & Torok 1996, S. 290ff.).

In dieser Arbeit werde ich zunächst die zentralen Elemente der Freudschen Traumdeutung anhand eines exemplarischen Traumes aufzeigen. Eine weitere Darstellung befasst sich eingehender mit dem psychoanalytischen Symbolbegriff und ferner mit der Symbol- bzw. Zeichenentstehung aus linguistischer Perspektive.

Wie bei allen vitalen Wissenschaften haben sich im Verlaufe der Zeit auch in der psychoanalytischen Traumforschung Differenzierungen, Ergänzungen und Revisionen der durch Freud geprägten Traumlehre ergeben. Die hier eingebrachte Kritik, welche ich im Anschluss erörtern werde, richtet sich jedoch an das Freudsche "Original", daher werde auch ich in meiner Arbeit von diesem ausgehen. Ist die Traumdeutung Freudscher Prägung ein widersprüchliches Kapitel in der Geschichte der Traumdeutung?

2. Die Grundpfeiler der Freudschen Traumdeutung:
Eine knappe Darstellung anhand eines symbolträch-tigen Traums

Der Klient hat sich auf die Behandlungscouch niedergelassen, unweit von dieser sitzt, vom Analysanden nicht einsehbar, der Analytiker und lauscht seinen Einfällen, etwa einem kürzlich geträumten Traum. Als Überbleibsel aus der hypnotischen Behandlung hält Freud an der Couchlage fest. Denn er wollte einerseits nicht, dass seine Mienen den Patienten beeinflussen und zu Deutungen Anlass geben, andererseits war es Freud unangenehm über mehrere Stunden am Tag angestarrt zu werden (Freud 1999[b], S. 467).

Das freie Assoziieren, als Grundregel der Psychoanalyse mit dem Analysanden vereinbart, dient hierbei einem besseren Zugang zu unbewussten Inhalten, als dies die Konzentration auf das Aufspüren eines pathogenen Elementes ermöglicht (Bartosch 2000, S. 217).

Als Gegenstück zur freien Assoziation fungiert die gleichschwebende Aufmerksamkeit: Es ist dies die Art und Weise, in der nach Freud der Analytiker dem Analysanden zuhören soll. Kein Element der Äußerrungen des Analysanden hat hierbei eine bevorzugte Stellung zu erhalten. Dies schließt ein, dass der Analytiker seine eigene unbewusste Aktivität so frei wie möglich funktionieren lässt, und die Motivationen unterbricht, die gewöhnlich seine Aufmerksamkeit lenken (Laplanche & Pontalis 1999, S. 169).

Freuds besondere Kunst der Traumdeutung besteht nun darin, in wiederholten Versuchen, durch Bildung vorläufiger Hypothesen, eine noch verborgene Struktur herauszupräparieren. Hamburger (1993, S. 187) vergleicht Freud mit dem Archäologen, der Scherben sammelt, stets registrierend, wo und in welcher Lage er sie gefunden hat. Aus dem Fortgang dieses Prozesses schließt der Begründer der Psychoanalyse nun auf den Ablauf der Zertrümmerung, aus dessen Kenntnis wiederum sich die Gestalt des ehedem intakten Gefäßes begreifen lässt.

Ein geeignetes Mittel Freuds Traumtheorie, insbesondere seine Überlegungen zu den Traumsymbolen, anschaulich darzustellen, wird es sein, diese anhand eines exemplarischen Traumes abzuhandeln. Im Rahmen meiner studentischen Tätigkeit als Personenbeförderer gelangte ich an einen mir durch Inhalt, Kürze und Prägnanz tauglich erscheinenden Traum. Eine merkwürdige Sache habe mein männlicher Fahrgast kürzlich geträumt, aus der er sich, wie er berichtet, keinen Reim zu machen wisse:

Der Traum von den Pizzen und dem Ofen

"Im Traum hatte ich Hunger. Ich nahm drei Pizzen und schob sie zum Aufbacken in den Ofen. Ich kam jedoch nicht zum Essen. Mit einem Mal wurde alles irgendwie rot und ich wachte auf!"

Was ist der Sinn dieses Traumes? Wo die Bedeutung für den Träumer?

Es ist nun das Vorbild jeder psychoanalytischen Untersuchung, sich soweit wie möglich die Lösung ihrer Rätsel von den Untersuchten selbst sagen zu lassen (Freud 1999[a], S. 98). Freud erwartet, dass auch die an die Traumelemente angeknüpften weiteren Einfälle durch keinen anderen Komplex als den des Elementes selbst bestimmt sind und so auch zu dessen Aufdeckung führen werden (1999[a], S. 108).

Meine Erkundigung bringt jedoch nichts zutage, nicht das Entfernteste möchte dem Träumer zu seinem nächtlichen Fantasiegebilde einfallen. Vielmehr scheint es, als habe ihm gerade die vorgebliche Sinn- und Bedeutungslosigkeit des berichteten Traumes die Erzählung desselben erleichtert, wenn nicht gar dazu ermutigt, denn es bleibt nun an dem vorlauten Studenten der Psychologie, eine Deutung vorzuschlagen und hierbei zu scheitern.

2.1 Eine erste Unterscheidung:
Manifester Trauminhalt und latente Traumgedanken

"Wir wollen das, was der Traum erzählt, den manifesten Trauminhalt nennen, das Verborgene, zu dem wir durch die Verfolgung der Einfälle kommen sollen, die latenten Traumgedanken."

(Freud 1999[a], S. 118)

Eine erste und für das Verständnis der Freudschen Traumdeutung unerlässliche Unterscheidung ist die Differenzierung zwischen dem manifesten Trauminhalt und dem latenten Traumgedanken. Die alleinige Betrachtung der manifesten Elemente des Traumes führt, von Kinderträumen abgesehen (Freud 1999[a], S. 124ff.), nicht zu einer sinn- und bedeutungsvollen Klärung der geträumten Erscheinungen. Auch der Träumer selbst weiß mit ihnen nichts anzufangen. Der manifeste Traum und seine spezifischen Elemente sind also der entstellte Ersatz für etwas Anderes, Unbewusstes, und es ist die Aufgabe der Traumdeutung eben dieses Unbewusste aufzufinden. Durch das Vorgenannte erklärt sich auch die Notwendigkeit der folgenden, durch Freud (1999[a], S. 112) aufgestellten Regeln:

- Man kümmere sich nicht um das, was der Traum zu besagen scheint, sei er verständig oder absurd, da es doch auf keinen Fall das von uns gesuchte Unbewusste ist.
- Man beschränke die Arbeit darauf, zu jedem Element die Ersatzvorstellungen zu erwecken, denke nicht über sie nach, prüfe sie nicht, ob sie etwas Passendes enthalten, und kümmere sich nicht darum, wie weit sie vom Traumelement abführen.
- Man warte ab, bis sich das Verborgene, gesuchte Unbewusste von selbst einstellt.

Ich darf also davon ausgehen, dass der Traum meines Fahrgastes in seiner gesamten Gestalt nicht die Darstellung einer Speisung ist, die zunächst durch rätselhafte, traumimmanente Umstände und sodann endgültig durch das Erwachen verhindert wurde. Hunger muss nicht ein Mangel an Nahrung, Nahrung nicht eine sättigende Speise und der Herd nicht eine Zubereitungsstätte derselben bedeuten.

Jedoch schon das Befolgen der Regel k will sich, wie berichtet, nicht als fruchtbar erweisen. Und spätestens jetzt drängen sich weitere Fragen auf: Was bringt den Träumer dazu, anstelle des latenten, die manifesten Traumgebilde auf der Traumbühne aufzuführen? Und weiter: Warum bedarf es überhaupt dieser nächtlichen Aufführungen?

2.2 Der Traum als Hüter des Schlafs

In der achten Vorlesung wendet sich Freud (1999[a], S. 124ff.) den Träumen von Kindern zu. Was ist die Besonderheit von Kinderträumen? Freud findet in den infantilen Träumen eine weniger stark ausgeprägte Übersetzung der latenten Traumgedanken in den manifesten Traum, also eine schwächere Entstellung der latenten Traumgedanken vor. Über die Untersuchung der Kinderträume hofft Freud leichter und mit größerer Sicherheit allgemeine Aufschlüsse über das Wesen des Traumes zu gewinnen. Da manifester und latenter Traum hier weitgehend zusammenfallen, bedürfen sie kaum der Deutungsarbeit. Anhand einiger kleiner Beispiele arbeitet Freud heraus, dass der Kindertraum als eine Reaktion auf ein rezentes Erlebnis des Tages, welches eine Sehnsucht bzw. einen unerledigten Wunsch zurückgelassen hat, anzusehen ist. Als eine solche Reaktion bringt der Traum eine direkte und unverhüllte Erfüllung dieses Wunsches. Und genau diese Wunscherfüllung postuliert Freud als den einen Hauptcharakter des Traumes. Es ist nun für einen jeden schön, wenn Wünsche sich erfüllen (eine allgemeine Redewendung ist es ja auch, zu sagen, "wenn Träume sich erfüllen"), es ist aber bislang nicht klar geworden, warum es gerade die Aufgabe des Traumes sein soll, Wünsche als erfüllt darzustellen. Freuds Erklärung ist stringent und von bestechender Eleganz:

"Der Traum als Reaktion auf den psychischen Reiz muss den Wert einer Erledigung dieses Reizes haben, so dass er beseitigt ist, und der Schlaf fortgesetzt werden kann. (...) wir merken bereits, dass der Traum nicht der Schlafstörer ist, als den man ihn schilt, sondern der Schlafhüter, der Beseitiger von Schlafstörungen. Wir finden zwar wir hätten besser geschlafen, wenn nicht der Traum gewesen wäre, aber wir haben unrecht; in Wirklichkeit hätten wir ohne die Hilfe des Traumes überhaupt nicht geschlafen. (...) Er konnte es nicht vermeiden, uns etwas zu stören, sowie der Nachtwächter oft nicht umhin kann, einigen Lärm zu machen, während er die Ruhestörer verjagt, die uns durch den Lärm wecken wollen."

(Freud 1999[a], S. 127f.)

Eine kleine Begebenheit, deren Zeuge ich ebenfalls während einer Personenbeförderung werden durfte, erlaubt es mir, einerseits die beschriebene leichte Eingängigkeit in infantile mentale Vorgänge, vor allem aber die Dynamik einer mentalen Wunscherfüllung zu illustrieren:

Ich befördere ein etwa sechsjähriges Mädchen - Lisa - mit seiner Mutter. Offenkundig erinnert sich die Mutter im Verlaufe der Fahrt an ein bislang nicht geahndetes Vergehen ihrer Tochter. Denn die anfänglich harmonische Unterhaltung zwischen beiden nimmt mit einem Mal eine unangenehme Wendung: In scharfem Ton bekräftigt die Mutter, dass, wenn es Lisa erlaubt werde einen Kinderfilm auf Video zu schauen, es keinesfalls gestattet sei, das Videogerät auszuschalten um das Erwachsenenprogramm zu sehen. Die sofortige Rechtfertigung Lisas, sie habe doch nur während des Spulens der Kassette ferngesehen, führt - wegen der vermeintlichen Lüge - zur Androhung von Hausarrest.

Nach einigen Sekunden peinlicher Stille beginnt das Kind scheinbar unvermittelt laut und deutlich die Melodie eines Liedes zu singen und bittet schließlich mich, den Fahrer des Wagens, zu raten, woher ihr Liedchen stammt. Und tatsächlich ist mir die Melodie aus meiner eigenen Kindheit noch gut bekannt: Ich antwortete, es handelt sich um die Titelmelodie der Kinderfernsehserie Pipi-Langstrumpf. Und ich kann es mir nicht verkneifen hinzuzufügen, dass ich auch errate, was der Grund dafür ist, dass sie gerade jetzt dieses Lied singt: Lisa möchte gern wie Pipi-Langstrumpf sein. Denn Pipi lebt selbstständig in einer großen Villa, sie ist ein Mädchen mit übernatürlichen Kräften, sie jagt Einbrecher aus dem Haus, sogar ein Pferd kann sie mit einer Hand heben und sicherlich kommt niemand auf die unter diesem Umständen geradezu absurde Idee einem derart starken und selbstständigen Mädchen das Fernsehen zu verbieten.

Das Beispiel zeigt, auf welch elegante Weise die unsterblichen Kinderwünsche nach Kraft, Unabhängigkeit und jederzeitiger Lustbeschaffung, durch die Zurechtweisung der Mutter kränkend beschnitten, zumindest auf dem Wege der Imagination, hier, ein starkes Mädchen wie Pipi-Langstrumpf zu sein, sich erfüllt wiederfinden. Die kleine Episode macht überdies deutlich, wie im Umkehrschluss des Freudschen Postulats, dass das Traumerleben in das seelische Treiben des Wachens einzureihen sei, sich die mentale Wunscherfüllung des wachen Kindes - analog zum Traum - als Auflösung zweier widerstrebender Tendenzen zeigt (Angst vor Drohungen der Mutter vs. Wunsch nach Lustbeschaffung). Bemerkenswert ist aber auch die Mühelosigkeit, mit dem es dem Kind gelingt, die Erfüllung seiner beschnittenen Wünsche in dem selben Stoff, nämlich dem des Films zu finden, welcher ja Anlass und Ausgangspunkt der mütterlichen Zurechtweisung war. Mit einem Begriff der Freudschen Traumlehre gesprochen, kann man in der Zurechtweisung des Kindes den "Tagesrest" erkennen, welcher möglicherweise den Anstoß eines noch zu träumenden Traumes gibt.

Der Traum als Hüter des Schlafes täuscht also dem Träumenden die Erfüllung seiner Wünsche vor, um auf diese Weise die Abfuhr von Triebspannungen zu ermöglichen. Weiter geht Freud davon aus, dass der bewusste Wunsch nur dann zum Traumerreger wird, wenn es ihm gelingt, einen gleichlautenden unbewußten Wunsch zu wecken, durch den er sich verstärkt. Jederzeit bereit, sich Ausdruck zu verschaffen, wartet die unbewusste Regung auf eine Gelegenheit, sich mit einer Regung aus dem Bewussten zu verbinden und ihre große Intensität auf deren Geringere zu übertragen (Freud 1991, S. 543). Auch an dieser Stelle zeigt sich die besondere Bedeutung der Unterscheidung zwischen dem latenten Traum, denn auf diesen bezieht sich die beschriebene Wunscherfüllung und dem manifestem Traum, in dem die Darstellung des erfüllten Wunsches, oft in keinster Weise zu erkennen ist (Mertens 1999, S. 31).

Konnte ich zunächst feststellen, dass die beschriebenen Traumelemente - der Hunger, die Pizzen, der Ofen und die rote Farbe - mit großer Wahrscheinlichkeit als die maskierten Darsteller der latenten Traumregie auf die Bühne gelangten, so kann ich nun weiter in dem latenten Trauminhalt einen verborgenen Wunsch und seine Erfüllung vermuten. Noch ist an ein Verständnis des hier eingebrachten Traumes jedoch nicht zu denken. Erneut gelangt die Traumentstellung des latenten Traumgedankens in den Focus der Betrachtung: Wie stellt es der Traum an, zum Schutze des Schlafes die noch im Traum als anstößig und verboten erlebten unbewussten Regungen hinter Masken zu verbergen?

2.3 Die Traumarbeit: Wie der Wunsch maskiert wird

"Die Traumentstellung ist eine Folge der Zensur, welche von anerkannten Tendenzen des Ichs gegen irgendwie anstößige Wunschregungen ausgeübt wird, die sich nächtlicherweile, während des Schlafs, in uns rühren." (Freud 1991, S. 148)

Je anstößiger die gegen den Schlaf des Träumers anstürmenden Wünsche sind, desto mehr müssen sie verstellt, verschlüsselt und maskiert werden. Unangenehme Emotionen, Angst und Schuldgefühle, Scham und depressive Verstimmung sollen aus dem Traum verbannt, und - ähnlich wie in der Tagesphantasie des zuvor beschriebenen Kindes - in einem Kompromiss ihre Auflösung finden. In dem selben Sinne werden auch die neurotischen Symptome als Kompromissbildungen zweier sich konflikthaft entgegenstrebender Tendenzen angesehen (Mertens 1999, S. 48).

Als Traumarbeit bezeichnet Freud den Prozess, in welchem der latente Traum in den manifesten umgesetzt, der anstößige, schlafstörende Wunsch maskiert wird. In der IX. Vorlesung zur Traumzensur beschreibt Freud in Analogie zur behördlichen Zeitungszensur eine erste systematische Vorgehensweise der anerkannten Tendenzen des Ichs gegen die unliebsamen Wunschregungen: Es sind dies Auslöschungen, Streichungen und Lücken. in dem ansonsten als recht zusammenhängend erlebten Traumgebilde (Freud 1999[a], S. 138ff.).

Diese Brüche in einer Traumsequenz vermögen in manchem Träumer sicherlich Verwunderung und Irritation hervorrufen; ungleich stärker imponieren jedoch die Leistungen der Traumarbeit, wenn wir die scheinbar sinnlosen, wirren, aber doch von ungeahnter Kreativität geschaffenen Resultate seiner Verdichtungs-, Verschiebungs- und Symbolisierungsschöpfungen betrachten.

2.3.1 Verdichtung

"Die erste Leistung der Traumarbeit ist die Verdichtung. Wir verstehen darunter die Tatsache, dass der manifeste Traum weniger Inhalt hat, also eine Art von abgekürzter Übersetzung des letzteren ist." (Freud 1999[a], S. 174)

Nicht in jedem Traum kommt es nach Freud zu einer Verdichtung, niemals jedoch komme es vor, dass der manifeste Traum umfang- und inhaltsreicher sei als der latente Traum. Die Traumarbeit der Verdichtung ist ein Mittel der Zensur und gleichzeitig auch ein Mittel, ihr zu entgehen. Laplanche & Pontalis (1999, S. 581) erklären die Verdichtung als eine Charakteristik des unbewussten Denkens. Der Traum nutzt die Verdichtung nicht nur um die Zensur zu täuschen; über weite Strecken werden in ihr auch mechanische oder ökonomische Momente, wie sie dem unbewusstem Denken generell eigen zu sein scheinen, offenbar.

Die Verdichtung im Traum kommt mit Freud (1999[a], S. 174) auf drei Wegen zustande:

- Gewisse latente Elemente werden zur Gänze ausgelassen,
- von manchen Komplexen des latenten Traums, geht nur ein Teil in den manifesten über,
- vor allen Dingen aber werden latente Elemente, die etwas Gemeinsames haben, für den manifesten Traum zusammengelegt und zu einer Einheit verschmolzen.

Die Besonderheit des dritten Weges ist, dass hier eine neue Verbindung erstmalig geschaffen wird; die verschmolzenen Bilder oder Netzwerke erscheinen als völlig neue Schöpfungen und imponieren als die kreativste Tätigkeit der Seele (Mertens 1999, S. 58). Lässt sich von hier aus Weiteres zur Deutung des eingebrachten Traumbeispiels erblicken? Bislang nicht – der latente Traumgedanke bleibt unerkannt. Einzig seine Knappheit und inhaltliche Armut legen nahe, dass der Mechanismus der Verdichtung seine Hand im Spiel hatte.

2.3.2 Verschiebung

Die Verdichtung allein, soweit als Mittel der Zensur genutzt, vermag es jedoch nicht, die latenten Traumgedanken, d.h. den auf Erfüllung drängenden anstößigen Wunsch, zum Schutz des Schlafs ausreichend zu verschleiern.

Freud benennt eine zweite Dynamik unbewusster Prozesse, welcher er die Federführung bei der Ausgestaltung des manifesten Traumes zuschreibt: Die Verschiebungsarbeit (1991, S. 309ff.). Die Elemente des latenten Traumgedankens finden als Resultat dieser Arbeit nicht als diese ursprünglichen in den manifesten Traum Eingang, sondern erscheinen in einer anderen Anordnung und unter geänderter Bedeutungsgewichtung seiner Elemente im manifesten Traum. Der Akzent, die Bedeutung und die Intensität einer Vorstellung haben sich von dieser gelöst und sind auf andere, ursprünglich weniger intensive Vorstellungen übergegangen, die mit der ersten durch eine Assoziationskette verbunden sind (Laplanche & Pontalis 1999, S. 603). Die Ersetzung durch eine Anspielung ist uns auch aus dem wachen Denken bekannt; ebenso wie beim Witz sind derartige Anspielungen jedoch leicht verständlich. Ihre Auflösung führt zu dem beabsichtigten Effekt, einen spezifischen, vielleicht verborgenen Aspekt des Umschriebenen zu betonen. Im Gegensatz dazu ist es geradezu ein Zeichen erfolgreicher Traumzensur, wenn der Rückweg von der Anspielung zum Eigentlichen unauffindbar geworden ist. Mit diesem Wissen darf ich das am Anfang dieser Arbeit eingebrachte Zitat des Aristoteles so verstehen, dass die Geschicklichkeit des Traumdeuters nichts Anderes ist als die Fähigkeit, die verwischten Spuren zwischen dem nunmehr dominanten Traumelement und dem zugehörigen latenten Element aufzufinden, also die in die Mühle der Verschiebung gelangte Beziehung zwischen ihnen zu rekonstruieren. Wie aber sollte dies möglich sein, wenn, wie beim Traum von den Pizzen und dem Ofen keine Bezugspunkte, sprich keine assoziierten Einfälle des Träumers zur Verfügung stehen; Einfälle die nach der psychoanalytischen Methode notwendige Anhaltspunkte für das Aufdecken des latenten Trauminhaltes darstellen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 42 Seiten

Details

Titel
Fragen an die Freudsche Traumdeutung: Symbolismus oder Assoziation?
Untertitel
Ist die Freudsche Traumdeutung ein widersprüchliches Kapitel in der Geschichte der Traumforschung?
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für klinische Psychologie)
Veranstaltung
Pflichtschein
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
42
Katalognummer
V27642
ISBN (eBook)
9783638296397
ISBN (Buch)
9783638867221
Dateigröße
674 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Anhand eines exemplarischen Traums wird zunächst die technische vorgehensweise der klassischen Freudschen Traumdeutung mitsamt ihrer Hintergründe knapp behandelt. Es folgt die Diskussion der Optionen der Symboldeutung vs. der Assoziationsdeutung. Hierbei wird der Symbolbegriff sowohl aus psychologischer als auch aus ethnologischer und linguistischer Perspektive näher beleuchtet. Die Arbeit schließt mit einer Entscheidung über die "richtige" Vorgehensweise bei der Deutung eines Traumes.
Schlagworte
Fragen, Freudsche, Traumdeutung, Symbolismus, Assoziation, Pflichtschein
Arbeit zitieren
Dipl. Psych Daniel Katz (Autor:in), 2003, Fragen an die Freudsche Traumdeutung: Symbolismus oder Assoziation? , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27642

Kommentare

  • Gast am 10.10.2005

    Feedback.

    Liebe Käufer meiner Traumarbeit,

    hat Ihnen meine Arbeit gefallen? Über ein kleines Feedback würde ich mich sehr freuen - auch Fragen beantworte ich gerne!

    Beste Grüße

    Daniel Katz

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